Ansichten eines Regenwurms

Mit dem Regenwurm ist es so eine Sache. Meist nimmt ihn keiner wahr und ernst nehmen tut ihn kaum jemand. Und doch: meist ist er da und oft auch wichtig. Ein eigenes Leben hat er allemal, wenn auch überwiegend unter der Erde - da wühlt und gräbt er sich durch alles durch und kommt mit allem in Kontakt, was es da so gibt im Wurzelbereich und drunterhinaus. Was dahin gerät - und das meiste kommt früher oder später mal da an - betrifft ihn und seine Freunde. Ab und zu kommt Rupert (so der Name des Regenwurms) an die Erdoberfläche, um zu sehen, was die da oben schon wieder alles treiben. Und gibt Kunde davon seinen staunenden Kumpels im Erdreich und jenen über der Erde, die sich für ihn interessieren.

Nacht der langen Messer

Helmut Kohl sagt: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten." http://www.helmut-kohl-kas.de/index.php?menu_sel=15&menu_sel2=213&menu_sel3=122

 

Rupert Regenwurm sagt: Alle herrschenden Menschen haben ein Interesse daran, ihre Sicht der Vergangenheit den nicht-herrschenden Menschen nahe zu bringen.

Ein schönes Beispiel ist der Umgang mit zwei zumindest interessanten Ereignissen der Vergangenheit, die dieser Tage ein halbwegs „rundes“ Jubiläum haben: 70 bzw. 80 Jahre.

Das eine Ereignis gibt es und hatte nur wenige Auswirkungen. Wenn es nicht statt gefunden hätte, wäre es kein großer Unterschied gewesen. Dafür wird es seit Jahrzehnten groß medial aufbereitet. Wenn der Wurm richtig gezählt hat, gibt es am Jahrestag 10 Sendungen im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen: Spiel- und Fernsehfilme, Dokumentationen, Gedenkfeiern, Bundeswehr-Gelöbnisse.

Das andere Ereignis hatte viele und starke Auswirkungen. Wenn es nicht statt gefunden hätte, wäre die Weltgeschichte anders verlaufen. Dafür wird es seit Jahrzehnten von den Medien weitest gehend ignoriert. Wenn der Wurm richtig nachgeschaut hat, gab es am Jahrestag keine einzige Fernsehsendung.

Der Verdacht liegt nahe, dass das eine Ereignis groß aufgebauscht werden und das andere in Vergessenheit geraten soll. Es handelt sich um den 20. Juli 1944, dem Attentat auf Adolf Hitler und den 30. Juni 1934, einer staatlichen Mordaktion, die in der Regierungs-Propaganda als „Röhm-Putsch“ und im Volksmund als „Nacht der langen Messer“ in die Geschichte eingehen sollte.

Da genau dieser „Röhm-Putsch“ sowohl in den Schulen als auch in den Medien kaum behandelt wird, möchte der Wurm diesen zum Anlass nehmen, etwas näher auf die damalige Zeit einzugehen. An Hand einer Person, die mit den unmittelbaren Geschehnissen nichts zu tun hatte außer, dass sie ermordet wurde: Gregor Strasser (manchmal auch Straßer geschrieben).

Den Namen schon mal gehört? Falls nicht: woher auch – er spielt zwar auch heute noch eine nicht zu unterschätzende Rolle, wird aber in den offiziellen Medien kaum erwähnt.

Heimat großer Söhne

Vor knapp zwei Wochen fand im österreichischen Spielberg ein Formel 1-Rennen statt, das in Österreich heftige Reaktionen ausgelöst hat. Das hat weniger mit dem Rennen als mit der Interpretation der Nationalhymne von Andreas Gabalier zu tun:

https://www.youtube.com/watch?v=LtXzh6NOJ_w

 

Nun sind nicht alle Menschen mit der österreichischen Nationalhymne bewandert – deshalb hier der Text der ersten Strophe, den Andreas Gabalier gesungen hat und der von 1947 bis 2011 gültig war:

„Land der Berge, Land am Strome,

Land der Äcker, Land der Dome,

Land der Hämmer, zukunftsreich!

Heimat bist du großer Söhne,

Volk, begnadet für das Schöne,

Vielgerühmtes Österreich.

Vielgerühmtes Österreich.“

 

Gut und schön, aber was da störte, war die Zeile „Heimat bist du großer Söhne“, die letztendlich durch „Heimat großer Töchter und Söhne“ ersetzt wurde.

http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96sterreichische_Bundeshymne

 

Der Wurm wundert sich, dass das erst so spät im Jahr 2011 war bzw. dass der Text überhaupt so durchgegangen ist. „Heimat großer Menschen“ – gut, damit sind alle gemeint. In dem Moment, wo eine Gruppe besonders hervor gehoben wird, heisst das automatisch, dass diejenigen Menschen, die einer anderen Gruppe zugehören, nicht gemeint sind.

Wenn der Text hieße „Heimat bist du großer Katholiken“, „großer Politiker“, „großer Vegetarier“, „großer Menschen ab 1,80 m Körpergröße“ oder „großer Dirndlträger“, wäre damit klar, dass Interessen hinter diesem Text stehen und von großen Teilen der Bevölkerung bewusst oder unbewusst so verstanden würden. Bei diesen Beispielen würde ein Österreicher sagen, dass auf die Nicht-Katholiken, Nicht-Politiker, Nicht-Vegetarier, Menschen unter 1,80 m Körpergröße oder Nicht-Dirndlträger „gschissen“ sei.

Warum das bei „Heimat großer Söhne“ anders sein soll, erschließt sich dem Wurm nicht. Und es ist ja auch nicht so, dass Österreich keine großen Töchter gehabt hätte. Spontan fallen dem Wurm die Regentin Maria Theresia und Bertha von Suttner ein: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/101-die-waffen-nieder.html

Die Diskussion, die gerade in Österreich abläuft, nimmt die Nationalhymne als Anlass, geht aber viel tiefer und könnte genau so gut in Deutschland statt finden. Deshalb möchte der Wurm in diesem Falle beide Länder zusammen fassen.

Kampf um jeden Ball

„Die Fifa-Disziplinarkommission hat Uruguays Stürmer Luis Suárez nach dessen Beißattacke im WM-Spiel gegen Italien für neun Spiele und vier Monate gesperrt. Das teilte der Fußballweltverband in Rio de Janeiro mit: "So ein Verhalten kann auf keinem Fußballplatz toleriert werden", sagte der Chef der Disziplinarkommission, Claudio Sulser. Der 27-jährige Suárez wurde zudem zu einer Geldstrafe von 100.000 Schweizer Franken (82.000 Euro) verurteilt …

Am 24. Juni im WM-Vorrundenspiel gegen Italien hatte Suárez seinen italienischen Gegenspieler Giorgio Chiellini in der 79. Minute in die Schulter gebissen. Der mexikanische Schiedsrichter Marco Rodriguez und seine Assistenten an den Linien hatten die Szene nicht gesehen. Suárez konnte aber aufgrund der TV-Bilder verurteilt werden.“

http://www.spiegel.de/sport/fussball/fifa-luis-suarez-nach-beissattacke-gesperrt-a-977713.html

http://www.spiegel.de/panorama/luis-suarez-spott-bei-twitter-nach-beiss-attacke-von-uruguay-stuermer-a-977273.html

 

Außer in Uruguay wird die Höhe der Strafe allgemein als angemessen angesehen. Vielleicht zu Recht. Der Wurm fragt sich jedoch: wem hat Luis Suarez größeren Schaden zugefügt? Das Opfer, Giorgio Chiellini, dürfte sich spätestens am nächsten Tag von den Schmerzen und dem Schrecken erholt haben. Und hat jetzt für den Rest seines Lebens was zum Erzählen.

Beissen wird nicht toleriert, aber wenn eine Mannschaft verliert, wird gerne ihre „fehlende Aggressivität“ bemängelt. Es geht oft darum, den Gegner zu bekämpfen, ihn „weg zu hauen“, ihn mit unfairen Mitteln am Spiel zu hindern bzw. dessen Spiel zu zerstören. Dabei stört es nicht, wenn ein gegnerischer Spieler sich vor Schmerzen am Boden krümmt oder mehrere Monate verletzt ausfällt.

Die Waffen nieder!

 „Es galt den edlen Männern aller Zeiten

 Als ihres Strebens schönster, höchster Lohn,

 Fürs Vaterland zu kämpfen und zu streiten

 Als ganzer Mann und als getreuer Sohn.

 

Und rief die Not sie alle auf zur Wehre

Da fehlte „keiner“ in den wackern Reih’n,

Sie waren stolz, sich auf dem Feld der Ehre

Mit Leib und Blut dem Vaterland zu weihn.

 

Doch heute sind verhallt die Kampfeslieder,

Herein bricht eine neue feige Zeit,

Erbärmlich murmeln sie „Die Waffen nieder“,

Genug, genug, wir wollen keinen Streit.

 

Ist das das Volk, das, wenn Geschütze krachten,

Im Pulverdampf oft frohen Mutes stand,

Und das, stets ungebeugt, in vielen Schlachten

Der Feinde Scharen siegreich überwand?

 

Ermannet Euch! Gefährten, Freunde, Brüder,

Die ihr doch stets das Vaterland geliebt,

Nun merket wohl: Es gibt kein Waffen nieder,

Weil’s keinen Frieden ohne Waffen gibt!

 

Drum haltet fest den Säbel in der Rechten,

Laßt nimmer ihn entsinken eurer Hand

Und ruft die Not, dann seid bereit zu fechten,

Bereit zu sterben für das Vaterland.“

 

Sollte jemand wissen wollen, um wen es sich bei diesem 17jährigen edlen Säbel-Rassler handelt, der dieses Gedicht geschrieben hat: es handelt sich um Rainer Maria Rilke, der es als Antwort auf den Roman „Die Waffen nieder!“ von Bertha von Suttner dichtete.

Vor 100 Jahren starb einer der größten Menschen, den die Erde je gesehen hat: Bertha von Suttner. Zwar ist sie nicht ganz vergessen, aber doch irgend wie in den Kleiderschrank zu den Mottenkugeln gelegt. Zumindest gibt es keinen großen Film über sie und zu ihrem 100jährigen Todestag am 21. Juni haben es das deutsche und österreichische Fernsehen nicht nötig, eine Dokumentation über sie zu senden – obwohl an diesem Tag mehrere historische Dokumentationen über andere Themen gezeigt werden.

Das Gute an der bösen Diktatur

„Am Dienstag übernahmen Aufständische der sunnitischen Organisation Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIS) nach viertägigen Kämpfen einen Großteil der irakischen Stadt Mosul. Das Land steht damit noch näher an einem offenen Bürgerkrieg.

Der ISIS (auch bekannt als Islamischer Staat im Irak und Syrien und Islamischer Staat im Irak und al-Sham) besetzte Regierungsgebäude, Fernsehsender, Polizeigebäude, Gefängnisse, militärische Einrichtungen und den Flughafen der zweitgrößten Stadt des Landes, nachdem die irakischen Soldaten und Polizisten ihre Posten verlassen, ihre Waffen zurückgelassen hatten und geflohen waren.

Die Niederlage der Regierungstruppen, deren Stärke in der Region angeblich 60.000 Mann beträgt, gegen ein paar hundert Aufständische ist eine Demütigung für die Zentralregierung. Sie enthüllt ihre extreme Schwäche und stellt ihre weitere Existenz in Frage. Premierminister Nuri al-Maliki regiert mit einer sektiererischen schiitischen Regierung, die die sunnitischen Stammesführer gegen sich aufgebracht hat, indem sie führende Sunniten aus öffentlichen Ämtern entfernte und anderweitig an den Rand drängte.“

https://www.wsws.org/de/articles/2014/06/12/iraq-j12.html