„Der Tod ist Privatsache - da waren sich alle Parlamentarier einig. Immer wieder wurde das an diesem Freitag in der Bundestagsdebatte um die Neuregelung des Gesetzes zur Sterbehilfe betont: Jeder Mensch solle selbst entscheiden können, ob er im Fall einer todbringenden Krankheit aus dem Leben scheiden will oder nicht. Der Staat dürfe hier nicht regulieren.
Gleichzeitig hat die Politik nun kommerzielle Sterbehilfevereine, wie sie etwa der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch gegründet hatte, verboten - und eben doch eingegriffen.
Wie uneins sich die Abgeordneten über sämtliche Parteigrenzen hinweg tatsächlich waren, zeigte sich schon an den vier verschiedenen Entwürfen, die von einer deutlichen Liberalisierung bis hin zum totalen Verbot alles beinhaltet hatten - am Ende entschieden sich die 602 Abgeordneten mit 360 Ja-Stimmen für einen Entwurf der Abgeordnetengruppe um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD).
Nach der neuen Regelung ist geschäftsmäßige Sterbehilfe verboten und dies im Strafgesetz verankert. Bisher war es möglich, sich etwa mithilfe eines Sterbehilfevereins das Leben zu nehmen. Die Organisation besorgte die tödlichen Substanzen - der Patient musste sie dann selbst nehmen oder zumindest den Knopf für eine automatische Spritze betätigen. Das ist jetzt vorbei.
In der Debatte wurde vor allem ein Wort diskutiert: "geschäftsmäßig". So stand es im Entwurf von Brand/Griese. Genau darin sahen Kritiker ein Problem. Denn ein Mediziner handele bereits geschäftsmäßig, wenn er eine Leistung regelmäßig durchführe. Befinden sich Ärzte also weiter in einer Grauzone?
"Palliativmediziner, die ihrer normalen ärztlichen Tätigkeit nachgehen, brauchen keine Angst zu haben, dass sie sich strafbar machen", sagt der Medizinrechtler Oliver Tolmein. Sogar Beihilfe zum Suizid ist nach Einschätzung Tolmeins theoretisch möglich - wenn der Arzt sich dazu jeweils strikt auf den Einzelfall bezogen entscheidet und nicht auf Wiederholung angelegt handelt.
Aber genau hier sehen Medizinethiker wie Urban Wiesing das Problem. Ab wann ist das Handeln eines Arztes auf Wiederholung angelegt? Bei zwei Fällen von Sterbebeihilfe? Oder bei zehn? "Die Unsicherheit wird steigen, die Grauzone bleibt bestehen - sie zu entfernen, wäre aber die Aufgabe eines neuen Gesetzes gewesen", sagt Wiesing. Auch Tolmein fürchtet: "Wer häufiger Beihilfe leistet, sollte sich darauf einstellen, dass es Ermittlungen geben kann. Wenn er aber nur strikt einzelfallbezogen handelt, sollte es noch nicht mal zu einer Anklage kommen." Deshalb rät er Medizinern, sich mit einer guten und gründlichen Dokumentation des Handelns vor Ermittlungen zu schützen.
Patienten, die wegen einer für sie unzumutbaren todbringenden Erkrankung aus dem Leben scheiden wollen, sollten zunächst ein Beratungsgespräch führen. Halten sie danach an ihrem Entschluss fest und der Mediziner signalisiert seine Unterstützung zur Beihilfe, ist das möglich. Aber es ist zu befürchten, dass etliche Mediziner vor Beratung und Beihilfe zurückschrecken werden - schließlich könnten sie nun mit dem Strafgesetz in Konflikt kommen. "Durch das Verbot der Vereine und die unklare Regelung wird der Sterbe-Tourismus in die Schweiz steigen", prognostiziert Wiesing.“