Ansichten eines Regenwurms

Mit dem Regenwurm ist es so eine Sache. Meist nimmt ihn keiner wahr und ernst nehmen tut ihn kaum jemand. Und doch: meist ist er da und oft auch wichtig. Ein eigenes Leben hat er allemal, wenn auch überwiegend unter der Erde - da wühlt und gräbt er sich durch alles durch und kommt mit allem in Kontakt, was es da so gibt im Wurzelbereich und drunterhinaus. Was dahin gerät - und das meiste kommt früher oder später mal da an - betrifft ihn und seine Freunde. Ab und zu kommt Rupert (so der Name des Regenwurms) an die Erdoberfläche, um zu sehen, was die da oben schon wieder alles treiben. Und gibt Kunde davon seinen staunenden Kumpels im Erdreich und jenen über der Erde, die sich für ihn interessieren.

Die Katholiban und das Leben

Du sollst nicht töten.

Zum ersten Mal sind in Irland Abtreibungen unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Trotz heftigstem Widerstandes der Katholischen Kirche in Irland.

Auf den ersten Blick ist das zu erwarten. Auf den zweiten Blick weniger. Denn der christliche Glaube äußert sich in keinster Weise negativ zum Krieg, in dem ja bekanntlich Menschen getötet werden. Das Alte Testament schildert seinen Gott als Kriegsgott und das Neue Testament ist entgegen aller Propaganda alles andere als pazifistisch.

Jesus erzählt kriegerische Gleichnisse (Lukas 14; 31) und als ihn Soldaten fragen, was sie tun sollen, ruft er nicht zur Abkehr vom kriegerischen Beruf auf, sondern, dass sie mit ihrem Sold zufrieden sein sollen (Lukas 3; 14). Er hat bewaffnete Begleiter (Matthäus 26; 51), ruft auf zum Waffenkauf (Lukas 22; 36) und sagt folgende Sätze:

„Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert“ (Matthäus 10; 34) oder „Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden; was wollte ich lieber, denn es brennete schon!“ (Lukas 12;49)

Solche Sätze sind weder von frühen noch von späten Christen pazifistisch verstanden worden.

Wurm ist es gewohnt, von den Menschen nicht ernst genommen zu werden. Deshalb hier die Stellen, um in aller Ruhe nachzulesen:

 

Tiefer Schnitt ins Leben

In Südafrika starben Anfang Juli offiziell 30 junge Männer an missglückten Beschneidungen, mehr als 300 sind verletzt oder schwer verstümmelt. Dabei wurde bekannt, dass im Mai diesen Jahres auch schon über 30 Jugendliche bei dieser Zeremonie ihr Leben lassen mussten.

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/suedafrika-beschneidungszeremonien-fordern-30-todesopfer-a-909906.html

 

Dass männliche Kinder und Jugendliche (immerhin ca. ein Drittel der männlichen Kinder weltweit) diesem Ritual unterzogen werden, hat sich auch bei uns Regenwürmern rum gesprochen, aber über Probleme bei diesem Eingriff reden die Menschen nicht gerne. Mensch kann davon ausgehen, dass es weltweit eine sehr hohe Dunkelziffer bei Komplikationen oder gar Todesfällen nach verunglückten Beschneidungen gibt.

Dass Menschen brutal sein können, wissen wir im Erdreich nur zu gut. Was uns aber immer wieder erstaunt, ist, wie sie ihre Brutalität begründen. Im Falle der Beschneidung nämlich mit hygienischen und medizinischen Gründen. Wie uns Menschen versichert haben, ist Hygiene kein Problem, wenn mann sich regelmäßig wäscht. Und Beschneidungen können problemlos dann ausgeführt werden, wenn es medizinisch geboten ist. Die Vorhaut zu entfernen, weil sie ja mal Probleme machen könnte, ist Unfug. Schließlich wird Kindern auch nicht automatisch der Blinddarm entfernt, sondern erst dann, wenn er tatsächlich Probleme macht. Da es beim Eingriff nun öfter zu Komplikationen bis hin zu Todesfällen kommt, ist das medizinische Argument aus Wurm-Sicht völlig daneben.

Arabischer Winter

Das Militär hat geputscht, der Präsident steht unter Hausarrest. Etliche Tote und bürgerkriegsähnliche Zustände. Wie auch immer es in Ägypten weiter gehen mag: Es wird nicht gut ausgehen. Wir Regenwürmer haben das seit Jahrzehnten vorausgesehen, denn das eigentliche Problem Ägyptens (und vieler anderer Länder) ist die Bevölkerungsexplosion. In den letzten 50 Jahren hat sich die Bevölkerung Ägyptens verdreifacht. Das heisst für den Staat: Es werden 3x so viele Lebensmittel, 3x so viel Wasser, 3x so viele Arbeitsplätze, 3x so viel Wohnraum, 3x so viele Rohstoffe gebraucht und 3x so viel wird die Umwelt belastet. Theoretisch. Praktisch sind in den letzten 50 Jahren auch die Ansprüche gestiegen: Es werden bessere Lebensmittel und Arbeitsplätze sowie mehr Wohnfläche für den Einzelnen gewünscht, es gibt mehr Verkehr und mehr Möglichkeiten, die Umwelt zu verdrecken.

Big Brother is watching you

„Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“ Das ist ein schöner Satz, an den wir uns im Erdreich halten. Wenn wir etwas wissen wollen, dann fragen wir danach (und zwar genau danach); was wir sagen, das denken wir; wenn wir etwas nicht verstehen, sagen wir das. Schwierig wird es erst, wenn wir mit den Menschen zu tun haben. Bei den meisten Menschen funktioniert das gar nicht so und ist dann tatsächlich „vom Übel“.

Getürkt

Die friedlichen Demonstrationen haben ein Ende: Gewaltsam wurden in Istanbul der Taksim-Platz und der Gezi-Park von der Polizei geräumt. Auf Geheiss des Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan.

Seit 2003 ist Erdogan Ministerpräsident der Türkei und hat mit seiner islamischen Partei AKP erstaunliche Erfolge vorzuweisen: aus politischem und wirtschaftlichen Chaos kommend, ist die Türkei mittlerweile ein trotz aller Spannungen politisch stabiles Land, hat eine große wirtschaftliche Erfolgsgeschichte vorzuweisen, hat den Einfluss des Militärs zurückgedrängt, im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen gewisse Liberalisierungen durchgeführt, die Spannungen zu Kurden und Armeniern zumindest teilweise abgebaut und steht nicht zuletzt außenpolitisch so gut da wie noch nie zuvor. Zum einen wg. der wirtschaftlichen Stärke, zum anderen mit der Vorbildfunktion für andere islamische Staaten, den Staat von einer halbwegs moderaten islamischen Partei regieren zu lassen.

So weit, so gut. Weniger gut ist, dass die AKP seit über 10 Jahren mit einer breiten bzw. absoluten Mehrheit das Land regiert und das immer deutlicher spürbar wird. Die Türkei war mal ein laizistisches Land wie früher Tunesien und der Irak und heute noch Frankreich. „Laizistisch“ heisst, dass Staat und Kirche getrennt sind. Mittlerweile werden diejenigen an den türkischen Schulen und Universitäten schief angesehen, die nicht 5x am Tag an den öffentlichen Gebeten teilnehmen und Mädchen und Frauen dürfen sich immer öfter Kommentare anhören, wenn sie kein Kopftuch tragen. Kommentare von lokalen Politikern dürfen sich auch die Lokal-Besitzer anhören, die noch Alkohol ausschenken mit der Folge, dass es immer weniger öffentlichen Alkohol-Ausschank gibt.

Erdogan empfiehlt den Frauen, mindestens drei Kinder zu bekommen. Selbst ohne Änderung der Gesetze würden durch den immer mehr zunehmenden gesellschaftlichen Druck die Rechte der Frauen eingeschränkt, Minderheiten bekommen mehr und mehr Probleme, Meinungsfreiheit gibt es immer weniger.

„Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“

„Erdogan muss weg, die AKP muss weg, die Demonstranten genießen unsere vollste Sympathie“. Das dürfte die erste Reaktion der meisten Menschen sein. Ein Wurm denkt da anders. Auch wenn es viele überraschen dürfte: Rupert Regenwurm ist für Erdogan. Aus folgenden Gründen: