Weltgeist zu Fuß

Ohne Vorausgang der deutschen Philosophie, namentlich Hegels, wäre der deutsche wissenschaftliche Sozialismus – der einzige wissenschaftliche Sozialismus, der je existiert hat – nie zustande gekommen.“

Dieser Satz stammt von Lenin und macht neugierig auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der vor 250 Jahren geboren wurde.

Wie kein anderer steht Hegel für den Triumph – aber auch das Elend der Philosophie.

 

Hegel kurz zusammengefasst

 

Aus „Wikipedia: „Georg Wilhelm Friedrich Hegel (* 27. August 1770 in Stuttgart; † 14. November 1831 in Berlin) war ein deutscher Philosoph, der als wichtigster Vertreter des deutschen Idealismus gilt.

Hegels Philosophie erhebt den Anspruch, die gesamte Wirklichkeit in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen einschließlich ihrer geschichtlichen Entwicklung zusammenhängend, systematisch und definitiv zu deuten. Sein philosophisches Werk zählt zu den wirkmächtigsten Werken der neueren Philosophiegeschichte. Es gliedert sich in „Logik“, „Naturphilosophie“ und „Philosophie des Geistes“, die unter anderem auch eine Geschichtsphilosophie umfasst. Sein Denken wurde außerdem zum Ausgangspunkt zahlreicher anderer Strömungen in Wissenschaftstheorie, Soziologie, Historie, Theologie, Politik, Jurisprudenz und Kunsttheorie, es prägte vielfach auch weitere Bereiche der Kultur und des Geisteslebens.

Nach Hegels Tod kam es zu einer Aufspaltung seiner Anhänger in eine „rechte“ und eine „linke“ Gruppierung. Die Rechts- oder Althegelianer wie Eduard Gans und Karl Rosenkranz verfolgten einen konservativen Interpretationsansatz im Sinne eines „preußischen Staatsphilosophen“, zu dem Hegel im Vormärz erklärt worden war, während die Links- oder Junghegelianer wie Ludwig Feuerbach oder Karl Marx einen progressiven gesellschaftskritischen Ansatz aus der Philosophie Hegels ableiteten und weiterentwickelten. Insbesondere Karl Marx wurde durch Hegels Philosophie geprägt, die ihm durch die Vorlesungen Eduard Gans’ bekannt wurde. Hegels Philosophie wurde so einer der zentralen Ausgangspunkte für den Dialektischen Materialismus, der zum Wissenschaftlichen Sozialismus führte. Hegel übte auch entscheidenden Einfluss auf Søren Kierkegaard und die Existenzphilosophie aus, später vor allem auf Jean-Paul Sartre. Die Methode Hegels, den Gegenstand dadurch zu begreifen, dass alle seine Ansichten zur Darstellung gebracht werden, erlaubte es, dass sich die gegensätzlichsten Vertreter auf Hegel beriefen und noch heute berufen.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Wilhelm_Friedrich_Hegel

 

Einfluss auf den Marxismus

 

Aus einem früheren Beitrag des Wurms: Karl Marx sieht einen geschichtlichen Entwicklungsprozess. Ausgehend von der Urgemeinschaft, versuchen bei Gelegenheit diejenigen, die an den Schalthebeln der wirtschaftlichen Produktion sitzen, sich immer größere Vorteile zu verschaffen. Verkürzt ausgedrückt, geht es über die Sklavenhalter-Gesellschaft und den Feudalismus zum Kapitalismus.

Das ist bislang noch einleuchtend und wurm fragt sich, warum das nicht allgemein so gesehen wird.

Der Analyse der Vergangenheit mögen ja noch viele zustimmen, aber nicht zwangsläufig der Prognose der Zukunft. Die heisst: durch Klassenkampf der unteren Schichten wird durch die „Diktatur des Proletariats“ mit dem Endziel des Kommunismus eine klassenlose Gesellschaft errichtet. Im Endstadium gibt es keine Unterdrückung mehr und es heisst „jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“.

Anders ausgedrückt: für alle diejenigen, die wirtschaftlich unterdrückt werden, entsteht ein Paradies auf Erden, wo alles gut wird und wofür es sich zu kämpfen lohnt.“

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/329-der-erloeser.html

 

Etwas ausführlicher und detaillierter ist das unter anderem im „Wikipedia“-Artikel nachzulesen. Ebenso wie über Hegels interessantes Leben, Wissen und Wirken.

Wer sich näher mit Hegel auseinandersetzen möchte, wird unter anderem beim Presseportal der Humboldt-Universität zu Berlin fündig: https://www.hu-berlin.de/de/pr/250-jahre-georg-wilhelm-friedrich-hegel

Und beim Projekt „5 Minuten Hegel - Eine digitale Gratulation zu seinem 250. Geburtstag am 27. August 2020“: https://5minutenhegel.de/

 

Das Elend der Philosophie

 

Komplizierte Gedanken sind nicht einfach auszudrücken – aber bei Hegel handelt es sich zum großen Teil um Geschwurbel und zu einem nicht geringen Teil um Absurditäten, die der Wurm in manchen Fällen als „inhuman“ bezeichnen möchte.

Ein Beispiel dafür ist Napoleon. Von ihm gibt es viel Positives zu berichten – aber auch viel Negatives. All diejenigen, die durch seine permanenten Kriege zu leiden hatten oder gleich getötet wurden, werden nicht positiv auf ihn zu sprechen sein.

Anders Hegel. Aus „Wikipedia“: „Im Oktober 1806 hatte Hegel gerade die letzten Seiten seiner Phänomenologie des Geistes niedergeschrieben, als die Vorboten der Schlachten von Jena und Auerstedt aufzogen. In einem Brief an den mit ihm befreundeten Friedrich Immanuel Niethammer schrieb Hegel am 13. Oktober 1806:

Den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognizieren hinausreiten; – es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht.“

Hegel erlebte kurz zuvor den Einzug Napoleons in die Stadt und war als Anhänger der Französischen Revolution begeistert, die „Weltseele zu Pferde“ – später oft verändert in „Weltgeist zu Pferde“ – gesehen zu haben. In Napoleon sah Hegel die Weltseele respektive den Weltgeist exemplarisch verkörpert; die Idee des Weltgeistes wurde als metaphysisches Prinzip zum Zentralbegriff der spekulativen Philosophie Hegels: Für ihn war die gesamte historische Wirklichkeit, die Totalität, der Prozess des Weltgeistes. Dadurch realisiere sich der „Endzweck“ der Weltgeschichte, und zwar die „Vernunft in der Geschichte“. Mit dieser These knüpfte er an die von Schelling erstmals publizierte Weltgeisttheorie an.“

Die gerechte Strafe für diesen Mumpitz folgte auf dem Fuße: „Infolge der Besetzung Jenas durch französische Truppen war Hegel gezwungen, die Stadt zu verlassen, nachdem sich französische Offiziere und Soldaten in seinem Haus einquartiert hatten und ihm seine finanziellen Mittel ausgingen.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Wilhelm_Friedrich_Hegel#Politische_Philosophie

 

Bertrand Russell über Hegel

 

Das genaue Gegenteil von Hegel ist Bertrand Russell, der sich klar und allgemein verständlich ausdrücken konnte und ein großer Humanist war. Im Gegensatz zu allen heutigen Hegel- und sonstigen Philosophen-Verstehern, sagt er auch, dass und warum ihm etwas nicht gefällt. Siehe unter anderem http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/424-bertrand-russell-denken.html

In seinem Meisterwerk „Philosophie des Abendlandes“ widmet er Hegel einen längeren Abschnitt. Kürzer und knackiger sind zwei Essays, in denen Hegel vorkommt und aus denen der Wurm zitieren möchte.

Aus „Philosophie und Politik“: „... Dieses sinnlose Hin und Her, das uns die Naturwissenschaft allein zu bieten hat, konnte die Philosophen nicht befriedigen. Sie haben sich vorgenommen, eine Formel des Fortschritts zu entdecken, mit der sie beweisen können, daß die Welt sich allmählich immer mehr nach ihrem Geschmack gestaltet. Das Rezept für eine solche Philosophie ist einfach. Die Philosophie entscheidet zunächst, welche Züge der bestehenden Welt ihm gefallen und welche Züge ihm Unbehagen bereiten. Dann sucht er sich an Hand einer sorgsamen Auswahl von Tatsachen zu beweisen, das Universum werde von einem allgemeinen Gesetz regiert, das eine Zunahme des nach seiner Auffassung Angenehmen und eine Abnahme des nach seiner Auffassung Unerfreulichen herbeiführt. Hat er dann solchermaßen sein Fortschrittsgesetz formuliert, wendet er sich mit dem Bemerken an die Öffentlichkeit: „Es ist Bestimmung, daß die Welt sich nach meiner Vorhersage entwickelt; wer rechtbehalten und nicht auf der falschen Seite einen fruchtlosen Kampf gegen das Unvermeidliche führen will, möge sich mir anschließen.“ Wer ihm darin widerspricht, wird als unphilosophisch, unwissenschaftlich und altmodisch abgetan, während seine Meinungsgefährten sich ihres Sieges gewiß fühlen, da ja das Universum auf ihrer Seite steht. Obendrein galten die Sieger in diesem Wettstreit aus einigermaßen dunklen Gründen zugleich als im Besitz der Tugend.

Dieser Standpunkt ist zum erstenmal voll und ganz von Hegel eingenommen worden. Seine Philosophie ist etwas so Seltsames, daß man kaum erwarten konnte, daß er vernünftige Menschen dazu überreden würde. Doch nichtsdestoweniger fand er Anhänger. Er drückte sich so dunkel und verschwommen aus, daß man seine Lehre unbedingt für sehr tiefgründig halten mußte. Dabei kann sie in wenigen kurzen und klaren Sätzen dargestellt werden, wobei allerdings ihre Absurdität offenkundig wird. Das Folgende ist, obwohl Hegelianer es natürlich behaupten werden, keineswegs eine Karikatur.

Hegels Philosophie läßt sich folgendermaßen umreißen: Die wirkliche Wirklichkeit ist zeitlos, wie bei Parmenides und Plato, aber es gibt außerdem eine in Erscheinung tretende Wirklichkeit, die sich in der Alltagswelt in Raum und Zeit realisiert. Das Wesen der Wirklichkeit aber kann allein durch die Logik bestimmt werden, denn es gibt nur eine Art von möglicher Wirklichkeit, die nicht in sich selbst widersprüchlich ist. Diese heißt die „absolute Idee“, Hegel gibt von ihr folgende Definition: Die absolute Idee als höchste Einheit der subjektiven und der objektiven Idee ist der Begriff der Idee - ein Begriff, dessen Objekt die Idee als solche ist, und für den das Objektive Idee ist - ein Objekt, das alle verschiedenen Merkmale in seiner Einheit einschließt. Es widerstrebt mir, die strahlende Klarheit einer solchen Definition durch einen Kommentar zu verderben, aber tatsächlich könnte man dasselbe mit den Worten ausdrücken: „Die absolute Idee ist reines Denken über reines Denken.“ Hegel hat sich selbst bereits hinreichend bewiesen, daß das Denken nur über das Denken nachdenken kann, weil es gar nichts anderes gibt, worüber man nachdenken könnte. Manche Leute werden das vielleicht etwas langweilig finden und sagen: „Ich denke lieber über Kap Horn oder den Südpol oder Mount Everest oder den großen Andromeda-Nebel nach; ich befasse mich mit den Zeiten, in denen die Erdrinde sich abkühlte, während das Meer vor Hitze kochte und Vulkane über Nacht aufbrachen und wieder verschwanden. Ich halte den Vorschlag, meinen Verstand allein mit den nächtlichen Elaboraten wortspinnender Professoren anzufüllen, für eine unerträgliche Zumutung und bin der Meinung, daß es wirklich nicht der Mühe wert war, durch diesen Wortschwall hindurchzuwaten, wenn weiter nichts der Lohn dafür ist.“ Mit diesen Worten würden sie der Philosophie Lebewohl sagen und glücklich weiterleben, bis sie gestorben sind. Doch wir würden Hegel Unrecht tun - und das möge Gott verhüten -, wenn wir diesen Leuten zustimmten. Denn Hegel würde uns darauf hinweisen, daß das Absolute, wie der Gott des Aristoteles, niemals über etwas anderes als sich selbst nachdenkt, weil es weiß, daß alles andere Illusion ist, daß wir jedoch, die wir als Sklaven des zeitlichen Prozesses in einer Welt der Phänomene zu leben gezwungen sind, die wir nur die einzelnen Teile sehen und das Ganze höchstens in Augenblicken mystischer Schau vage erahnen können - daß wir als illusionäre Produkte der Illusion so zu denken gezwungen sind, als ob Kap Horn tatsächlich für sich bestünde und nicht nur als Idee im göttlichen Geist. Wenn wir an Kap Horn denken, geschieht in Wirklichkeit nichts anderes, als daß das Absolute sich eines Kap Horn-Gedankens bewußt wird. Es hat wirklich solch einen Gedanken, oder besser solch einen Aspekt jenes einen Gedankens, den es zeitlos denkt und ist, und dieses ist die einzige Wirklichkeit, die Kap Horn zukommt. Da wir aber solche Höhen nicht erreichen können, tun wir am besten, an das Kap in der allgernein üblichen geographischen Weise zu denken.

Aber was hat das alles - wird hier jemand einwenden - eigentlich mit Politik zu tun? Auf den ersten Blick vielleicht nicht viel. Für Hegel dagegen ist der Zusammenhang ganz deutlich. Aus seiner Metaphysik folgt ohne weiteres, daß wahre Freiheit im Gehorsam gegenüber einer beliebigen Autorität besteht, daß Redefreiheit ein Uebel und die absolute Monarchie etwas Gutes ist, daß der preußische Staat zu seinen Lebzeiten der beste aller bestehenden Staaten war, daß Krieg gut ist und eine internationale Organisation zur friedlichen Bereinigung von Streitigkeiten ein Unglück wäre.

Vielleicht werden einige meiner Leser nicht sofort einsehen, wie solche Folgerungen zustande kommen. Deswegen möchte ich mit einigen Worten auf die Zusammenhänge eingehen.

Obwohl die Zeit etwas Unwirkliches ist, hat die Folge von Erscheinungen, aus der sich die Geschichte zusammensetzt, doch eine merkwürdige Beziehung zur Wirklichkeit. Hegel entdeckte das Wesen der Wirklichkeit durch einen rein logischen Prozeß, den er „dialektisch“ nannte und der in der Entdeckung von Gegensätzen in abstrakten Ideen besteht und ihrer Angleichung, indem man sie konkretisiert. Jede dieser abstrakten Ideen wird als Entwicklungsstufe der „Idee“ aufgefaßt, deren höchste Stufe die „absolute Idee“ ist.

Seltsamerweise wiederholt nun der zeitliche Prozeß der Geschichte aus einem Grund, über den sich Hegel niemals ausgelassen hat, die logische Entwicklung der Dialektik. Man könnte - da die Metaphysik auf die gesamte Realität angewendet zu werden beansprucht - annehmen, daß der zeitliche Prozeß, der ihr parallel läuft, kosmisches Ausmaß hätte, aber nichts von alledem! Er ist lediglich an unseren Planeten gebunden, beschränkt sich auf die überlieferte Geschichte und (so unglaublich es klingen mag) ausgerechnet nur soweit sie Hegel bekannt war. Verschiedene Völker haben zu verschiedenen Zeitpunkten die Stadien der Idee verkörpert, die der dialektische Prozeß zu jener Zeit erreicht hatte. Von China wußte Hegel nur, daß es existierte, deswegen verkörperte China die Kategorie des bloßen Daseins. Von Indien wußte er nur, daß die Buddhisten an das Nirwana glauben, deshalb stellte Indien die Kategorie des Nichts dar. Die Griechen und Römer hatten auf der Liste der Kategorien schon bessere Plätze, aber alle späteren Stufen blieben den Deutschen vorbehalten, die seit dem Niedergang Roms die einzigen Bannerträger der „Idee“ gewesen waren und 1830 die „absolute Idee“ fast vollständig verwirklicht hatten.

Für jeden, der noch die Hoffnung nährt, daß der Mensch ein mehr oder weniger vernünftiges Wesen ist, muß der Erfolg dieses Unsinns erstaunlich sein. Zu seinen Lebzeiten wurde Hegels System von fast allen akademisch gebildeten jungen Deutschen anerkannt, was vielleicht durch die Tatsache zu erklären ist, daß es dem deutschen Selbstbewußtsein sehr schmeichelte. Ueberraschender schon ist sein Erfolg außerhalb Deutschlands. In meiner Jugend waren die meisten Philosophie-Professoren an englischen und amerikanischen Universitäten Hegelianer, so daß ich, ehe ich selber Hegel las, wirklich annahm, es müsse etwas Wahres an seinem System sein; doch wurde ich alsbald durch die Feststellung kuriert, daß alles, was er über die Philosophie der Mathematik gesagt hat, barer Unsinn war.

Am seltsamsten war seine Wirkung auf Marx, der einige seiner verrücktesten Grundsätze übernahm, insbesondere den Glauben, daß Geschichte sich nach einem logischen Plan entwickle und sich wie der reinste abstrakte Dialektiker darum bemühe, innere Widersprüche zu vermeiden. Auf einem großen Teil der Erdoberfläche wird man heute liquidiert, wenn man dieses Dogma in Zweifel zieht, und westliche Wissenschaftler, die politisch mit Rußland sympathisieren, pflegen diese Sympathie durch einen Gebrauch des Begriffs der Kontradiktion zum Ausdruck zu bringen, den kein ordentlicher Logiker billigen kann.

Wenn wir bei einem Mann wie Hegel den Zusammenhängen zwischen Politik und Metaphysik nachgehen, müssen wir uns mit einigen sehr allgemeinen Zügen seines praktischen Programms zufrieden geben. Daß Hegel Preußen glorifizierte, war gewissermaßen ein Zufall; in seinen jüngeren Jahren hatte er Napoleon glühend verehrt, und erst mit seiner Anstellung als preußischer Staatsbeamter wurde er zum deutschen Patrioten. Noch in der letzten Fassung seiner „Philosophie der Geschichte“ bezeichnet er Alexander, Cäsar und Napoleon als Männer, die auf Grund ihrer Größe berechtigt seien, sich von den Verpflichtungen der Moralgesetze ausgenommen zu fühlen. Wenn ihn seine Philosophie zu einem Bewunderer Deutschlands macht; so nicht, weil es im Gegensatz zu Frankreich stand, sondern weil es in seinen Augen Ordnung, Systematik, Reibungslosigkeit und Wirksamkeit der obrigkeitlichen Kontrolle verkörperte. Seine Vergottung des Staates wäre, wenn es sich um das despotische Regime Napoleons gehandelt hätte, ebenso abstoßend gewesen. Seiner eigenen Ansicht nach wußte er, woran es der Welt fehlt, obgleich es die meisten Menschen nicht wußten: eine starke Regierung kann, was eine Demokratie niemals fertigbringt, die Menschen zwingen, für das allgemeine Beste zu handeln. Heraklit, dem Hegel zutiefst verpflichtet war, hat einmal gesagt: „Alles Vieh wird mit Schlägen auf die Weide getrieben.“ Laßt uns also auf jeden Fall für die Schläge sorgen; ob sie zur Weide führen, ist nicht so wichtig, ausgenommen natürlich für die Tiere selbst.

Es ist klar, daß ein autokratisches System, so wie es von Hegel oder den heutigen Schülern von Marx befürwortet wird, theoretisch nur auf der Basis eines unbestreitbaren Dogmas zu rechtfertigen ist. Wenn man zu wissen meint, welche Zwecke das Universum in bezug auf das menschliche Leben verfolgt, was mit Sicherheit geschehen wird und was für die Menschen gut ist, selbst wenn sie selbst anderer Meinung sind; wenn man wie Hegel sagen kann, daß die eigene Geschichtstheorie als ein Ergebnis nur einem selbst bekannt sei, weil man das ganze Feld durchmessen habe - dann wird man auch davon überzeugt sein, daß kein Grad des Zwanges zu groß ist, wenn er zum rechten Ziele führt.

Die einzige Philosophie, die in ihrer ganzen geistigen Haltung eine theoretische Rechtfertigung der Demokratie bietet, ist der Empirismus. Locke, der in der Philosophie der Neuzeit als Begründer des Empirismus gelten kann, macht uns deutlich, wie eng diese Lehre mit seinen Ansichten über Freiheit und Toleranz und seiner Opposition gegen die absolute Monarchie verknüpft ist. Er wurde nie müde, die Ungewißheit des größten Teiles unseres Wissens zu betonen, doch nicht aus dem Skeptizismus eines Hume, sondern um die Menschen darauf aufmerksam zu machen, daß sie unrecht haben könnten und daß sie diese Möglichkeit im Umgang mit anderen, deren Ansichten mit ihren eigenen nicht übereinstimmen, immer in Rechnung stellen sollten. Er hatte die üblen Folgen beobachtet, die sowohl aus dem „Enthusiasmus“ der Presbyterianer wie aus dem Dogma vom göttlichen Recht der Könige entstanden waren; beiden stellte er eine politische Lehre gegenüber, die sich aus lauter einzelnen zusammengeflickten Bestandteilen zusammensetzte und sich in jedem einzelnen Punkt durch ihren Erfolg in der Praxis bewähren sollte ...“

 

Aus „Die tieferen Beweggründe der Philosophie“: „Die meisten Philosophen sind von Natur aus furchtsam und mißtrauen dem Unerwarteten. Wenige von ihnen würden als Piraten oder Einbrecher wirklich glücklich sein. Demgemäß ersinnen sie Systeme, die die Zukunft wenigstens in großen Zügen errechnen lassen. Der vollendete Meister dieser Kunst war Hegel. Für ihn waren der Gang der Logik und der Lauf der Geschichte im großen und ganzen identisch. Die Logik bestand für ihn in einer Reihe sich verbessernder Versuche, die Welt zu beschreiben. Wenn der erste Versuch zu primitiv ist, was er gewiß sein wird, so wird man finden, daß er sich selbst widerspricht; dann wird man es mit dem Gegenteil, der „Antithese“,versuchen, aber auch sie wird sich selbst widersprechen. Das führt zu einer „Synthese“, die etwas von der ursprünglichen Idee und etwas von ihrem Gegenteil enthält, aber komplizierter ist und sich selbst zugleich weniger widerspricht, als die beiden früheren. Diese neue Idee wird sich jedoch ebenfalls als unzulänglich erweisen, und man wird durch ihr Gegenteil zu einer neuen Synthese getrieben werden. Dieser Vorgang setzt sich fort, bis man die „Absolute Idee“ erreicht, in der es keinen Widerspruch gibt und die daher die wirkliche Welt beschreibt.

Aber die wirkliche Welt ist bei Hegel wie bei Kant nicht die Erscheinungswelt. Die Erscheinungswelt macht dieselben Entwicklungen durch wie der Logiker, der vom Reinen Sein zur Absoluten Idee vorstößt. Das Reine Sein wird veranschaulicht durch das alte China, von dem Hegel nur wußte, daß es existiert hatte; die Absolute Idee hingegen durch den preußischen Staat, der Hegel eine Professur in Berlin verliehen hatte. Warum die Welt diese logische Entwicklung durchmachen soll, ist nicht klar; man ist versucht, zu glauben, daß die Absolute Idee sich zunächst selber nicht ganz verstand und Fehler beging, als sie versuchte, sich in Ereignissen zu manifestieren. Aber das hätte Hegel natürlich nicht gesagt.

Hegels System befriedigte die Instinkte der Philosophen mehr als alle seiner Vorgänger. Es war so dunkel, daß keine Dilettanten hoffen durften, es jemals zu verstehen. Es war optimistisch, da die Geschichte ein Fortschritt in der Entfaltung der Absoluten Idee ist. Es zeigte, daß der Philosoph, der in seiner Studierstube über abstrakte Probleme nachdenkt, von der wirklichen Welt mehr wissen kann als der Staatsmann, der Historiker oder der Naturwissenschaftler. Was das letztere betrifft, so muß zugegeben werden, daß da ein peinliches Versehen unterlief. Hegel veröffentlichte seinen Beweis, daß es genau sieben Planeten gebe, gerade eine Woche vor der Entdeckung des achten. Die Sache wurde vertuscht, und eine neue, umgearbeitete Auflage hastig vorbereitet; immerhin gab es einige Spötter. Aber trotz dieses unglücklichen Zufalls blieb Hegels System eine Zeitlang in Deutschland siegreich. Als man es in seinem Ursprungsland fast vergessen hatte, begann es sich an den englischen und amerikanischen Universitäten durchzusetzen. Heute aber sind seine Anhänger ein kleines und rasch schwindendes Häuflein. Im Bewußtsein der akademischen Welt wurde es von keinem folgenden großen System mehr abgelöst, und heute wagen nur mehr wenige zu behaupten, daß der Philosoph durch bloßes Denken ohne Beobachtung die Irrtümer des Naturwissenschaftlers entdecken könne.

Außerhalb der Universitäten jedoch erhob sich ein letztes großes System aus Hegels Asche und hat in weiten Kreisen den unbeschwerten Glauben an die Macht des bloßen Denkens wachgehalten, den unsere Professoren verloren haben. Dieser letzte Ueberlebende einer fast ausgestorbenen Spezies ist die Lehre von Karl Marx. Marx übernahm von Hegel den Glauben an die Dialektik, das heißt, an logische Entwicklung durch These, Antithese und Synthese, die in der Menschheitsgeschichte und nicht nur im abstrakten Denken zum Ausdruck kommt. Für Hegel, der an der Spitze seiner Kollegen stand und die Verehrung seiner Landsleute genoß, war es möglich, im preußischen Staat das Ziel zu sehen, dem alle früheren Anstrengungen zustrebten; aber für Marx, der arm und krank war und in der Verbannung lebte, war es klar, daß die Welt noch nicht vollkommen ist. Noch eine Umdrehung des Rades der Dialektik - das heißt, noch eine Revolution - ist nötig vor der Erringung des tausendjährigen Reiches. Es kann kein Zweifel sein, daß diese Revolution stattfinden wird, denn Marx betrachtete wie Hegel die Geschichte als einen logischen Prozeß, so daß ihre Abschnitte so wenig bezweifelt werden können, wie die Arithmetik. Glaube und Hoffnung finden so ihren Platz in der marxistischen Lehre.

Das meiste von Marx' Theorien ist von Hegel unabhängig, aber das Hegelsche Element ist wichtig, weil es die Siegesgewißheit und die Ueberzeugung beisteuert, mit unwiderstehlichen kosmischen Kräften im Bunde zu sein. Gefühlsmäßig entspricht der Glaube an die Hegelsche Dialektik bei denen, die gegenwärtig in unglücklichen Verhältnissen leben, dem christlichen Glauben an die Wiederkehr des Messias; aber seine vermeintliche logische Grundlage spricht ebenso zu den Hirnen wie zu den Herzen. Seine Macht über die Geister wird nicht so sehr von bürgerlichen Vorurteilen gefährdet, als vielmehr von der empirischen Geisteshaltung der Naturwissenschaft, die nicht glauben will, daß wir über das Universum soviel wissen können, wie die Metaphysiker glaubten. Vielleicht ist die empirische Nüchternheit so schwer, daß die Menschen sie sich nur dann bewahren werden, wenn sie glücklich sind. Wenn dem so ist, dann sind die verschiedenen irrationalen Glaubensbekenntnisse unserer Zeit ein natürliches Ergebnis unserer selbstverschuldeten Unglücksfälle, und neue Katastrophen mögen vielleicht eine neue Aera der Metaphysik herauf führen.“

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm