Der Psychologe Rainer Mausfeld hat mit „Angst und Macht – Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien“ nach dem im letzten Jahr erschienenen „Warum schweigen die Lämmer? - Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören“ sein 2. Buch mit dieser Thematik veröffentlicht.
Richtig bekannt wurde Rainer Mausfeld, nachdem ein Student seinen Vortrag „Warum schweigen die Lämmer? - Techniken des Meinungs- und Empörungsmanagements“ per Video aufgenommen und auf YouTube veröffentlicht hatte. Wer den Genuss hatte, ihn bei einem seiner Vorträge zuzuhören, wird bestätigen können, dass er zu den besten Vortragenden dieses Landes gehört.
Der Beitrag des Wurm schöpft aus den beiden Büchern, seinen Vorträgen und mit ihm veröffentlichten Interviews.
https://www.youtube.com/watch?v=Rx5SZrOsb6M
Was macht Demokratie attraktiv?
„Die Demokratie ist mit einer Paradoxie behaftet. Keine Herrschaftsform begrenzt für die Herrschenden die Ausübung politischer Macht so stark wie die Demokratie. Aus der Perspektive derjenigen, die über Macht verfügen, muss sie also zwangsläufig wenig attraktiv erscheinen. Zugleich hat die Demokratie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts einen beispiellosen Siegeszug angetreten und gilt heute als einzig legitimierte Herrschaftsform. Das ist eine paradoxe und somit erklärungsbedürftige Situation. Nun ist kaum anzunehmen, dass diejenigen, die über große demokratisch nicht rechenschaftspflichtige Macht verfügen, zu der Einsicht gekommen sein könnten, dass eine solche Macht stets die Gefahr in sich birgt, mit schwersten Zerstörungen einherzugehen, und dass somit als Konsequenz aus den Blutspuren der Geschichte eine Selbstbegrenzung von Macht durch ihre Unterwerfung unter demokratische Kontrolle geboten sei. Es gehört nämlich gerade zum Wesen von Macht, dass sie sich nicht selbst begrenzt, sondern nach mehr Macht drängt. Die Gründe für den Siegeszug der Demokratie müssen also an anderer Stelle zu suchen sein.
Auf uns übt die Idee einer politischen Selbstbestimmung des Volkes eine besondere Faszination aus. Denn wir haben einen natürlichen Widerwillen dagegen, einem fremden Willen unterworfen zu sein, und wollen die Bedingungen unseres gesellschaftlichen Lebens gerne mitbestimmen. Schon die Bezeichnung „Demokratie“ trägt ein emanzipatorisches Versprechen in sich. Sie vermag, Wünsche nach politischer Freiheit und Selbstbestimmung zu wecken und zu verstärken und gesellschaftliche Energien freizusetzen, die auf die Einlösung eines solchen Versprechens drängen. Das im Wort „Demokratie“ angelegte emanzipatorische Versprechen erfüllt also grundlegende Bedürfnisse der Machtunterworfenen. Eben dadurch gefährdet es jedoch die Stabilitätsbedürfnisse der Machtausübenden. Die Machtunterworfenen streben nach politischer Selbstbestimmung, die Machtausübenden streben nach Stabilität und Ausweitung ihrer Macht. Das ist einer der grundlegenden Antagonismen gesellschaftlicher Organisation.
Da die Machtunterworfenen in der Mehrzahl sind und die Machtausübenden in der Minderheit, ist, wie schon David Hume bemerkte, „nichts überraschender als die Leichtigkeit, mit der die Vielen von den Wenigen regiert werden“.“
https://www.youtube.com/watch?v=OwRNpeWj5Cs
Repräsentative Demokratie
Sicherung der Interessen der Minderheit der Reichen
„Die Politikwissenschaftler Martin Gilens und Benjamin Page haben jüngst (2014) am Beispiel der USA untersucht, mit welchem Stimmgewicht der Willen der großen Mehrheit des Volkes in politische Entscheidungen eingeht. Ihre Analysen zeigen, dass das Stimmgewicht nahe bei null liegt und dass 70 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Einfluss auf politische Entscheidungen haben ...
„Demokratie wird also nur so weit als zulässig angesehen, wie der Bereich der Wirtschaft von demokratischen Entscheidungsprozessen verschont bleibt – solange sie also keine Demokratie ist … Aus Sicht multinationaler Konzerne stellt Demokratie vor allem ein Geschäftsrisiko dar. Wenn die Bevölkerung partout nicht bereit ist einzusehen, dass die Organisation einer Gesellschaft „wirtschaftlichen Sachzwängen“ Rechnung zu tragen hat und dass Löhne und Sozialleistungen äußerst nachteilige Faktoren für die Kapitalvermehrung sind, müssen durch die herrschenden Eliten eben geeignete „Strukturanpassungsmaßnahmen“ auf autoritärem Wege durchgesetzt werden."
Erfindung der Repräsentativen Demokratie
„Noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Demokratie - und damit war die partizipatorische Demokratie der Antike gemeint - als Pöbelherrschaft diffamiert. Auch die Gründerväter der USA teilten überwiegend diese tiefe Abneigung gegen das Volk und gegen alles, was demokratisch war. Sie wollten eine Republik und keine Demokratie, wobei sie den wesentlichen Unterschied zwischen Demokratie und Republik darin sahen, dass in einer Republik die Ausübung der politischen Macht auf eine kleine Anzahl Bürger übertragen wird, die von den übrigen Bürgern gewählt werden ...
Zu diesem Zweck schufen sie ein neuartiges System der Repräsentation (und der Gewaltenteilung), für das einer der Gründerväter, Alexander Hamilton, 1777 erstmals den Ausdruck „representative democracy“ einführte. Mit dem Prinzip der parlamentarischen Repräsentation sollte für die gesellschaftliche Machtausübung ein Mechanismus der Willenszusammenführung geschaffen werden, der zwei Ziele vereinigt. Zum einen sollte das Bedürfnis des Volkes nach einer Volksherrschaft befriedigt werden. Zugleich wurde ein solcher Repräsentationsmechanismus, in den Worten der US-amerikanischen Sozialhistorikerin Ellen Meiksins Wood „als ein Mittel verstanden, um das Volk von der Politik fernzuhalten“ und „eine besitzende Oligarchie mit der Unterstützung der Masse der Bevölkerung über Wahlen an der Macht zu halten“. Dazu bedurfte es einer „Neudefinition von Demokratie“, die die Mehrdeutigkeiten eines oligarchischen Ansatzes verschleierte." Die Idee der repräsentativen Demokratie diente also von Anfang an der Demokratieabwehr. Die Bezeichnung „repräsentative Demokratie“ war die historische Zauberformel, die es ermöglicht, dem Namen nach eine Demokratie zu haben und zugleich die Herrschaft der Eliten zu sichern und die Eigentumsordnung zu schützen.
Die Verfassung der USA wurde zum historischen Modell einer Elitentheorie der Demokratie. Deren bis heute einflussreichste Form geht auf Joseph A. Schumpeter (1883-1950) zurück, einen der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Schumpeter zufolge müsse sich eine funktionierende Demokratie auf eine Konkurrenzwahl von Funktionseliten beschränken …
Um der Demokratie, das heißt der Herrschaft „verantwortungsvoller Eliten“, eine hinreichende „Stabilität“ zu verschaffen, wurde eine Vielzahl von Entwicklungen gefördert oder initiiert. Hierzu gehörte vor allem die Förderung und die Verstärkung des Einflusses von wesentlich autoritär organisierten Strukturen innerhalb einer Gesellschaft. Vor allem der gesamte Bereich der Wirtschaft ist im Kapitalismus in prototypischer Weise autoritär, wenn nicht gar totalitär organisiert. Er bildet in kapitalistischen Demokratien geradezu die Basiszelle antidemokratischer Haltungen und Organisationsformen. Durch eine Erhöhung der Durchlässigkeit zentraler politischer Instanzen für Einflüsse aus dem privatwirtschaftlichen Bereich lassen sich autoritäre Elemente in öffentlich kaum sichtbarer Weise in den politischen Bereich einbringen. Andere Kernzellen genuin antidemokratischer, autoritärer organisierter Systeme sind der militärische Bereich, die Geheimdienste, Think-Tanks und Stiftungen. Die Geheimdienste zeigten seit je eine natürliche Tendenz, sich gegenüber einer parlamentarischen Kontrolle zu verselbständigen und bildeten teilweise systematische Verflechtungen mit dem organisierten Verbrechen aus. Prominentestes, weil vergleichsweise gut untersuchtes Beispiel ist die CIA. Schon in den 1950er-Jahren bildeten Ölkartelle, Wall Street und CIA ein enges Geflecht von Machtstrukturen, das sich einer Kontrolle durch die Regierung weitgehend entzog. Heute verfügen die USA über 17 Geheim- und Sicherheitsdienste mit einem offiziellen Budget von im Jahr 2016 53 Milliarden Dollar. Die zentralen Behörden sind: CIA, NSA, NRO, NGA, DIA und FBI; allein die NSA hat etwa 40.000 Angestellte.
Hinzu kommt eine sich bürokratisch verselbständigende und sich demokratischer Kontrolle entziehende Sicherheitsbürokratie und Sicherheitsindustrie: In den USA sind 1.271 staatliche Organisationen und 1.931 private Firmen mit insgesamt fast einer Million beschäftigter Personen in Programme eingebunden, die unter dem Banner „counterterrorism“ und „homeland security“ weitgehend eigenständige und autoritär organisierte Strukturen bilden.
Auch die ursprünglich in der Mitte der Gesellschaft verankerten Volksparteien verbanden sich im Rahmen ihres Prozesses einer Oligarchisierung und Korrumpierung, wie er schon 1911 von dem bedeutenden deutschen Soziologen Robert Michels beschrieben worden war, immer enger mit wirtschaftlichen Interessengruppen und integrierten sich personell wie ideologisch in staatliche und wirtschaftliche Machtstrukturen. Durch ein großes Arsenal von Mechanismen, die bis in die Gesetzgebung reichen, wurde ein Spektrum offener und verdeckter Formen politischer Korruption etabliert und zunehmend institutionalisiert. Um ein jüngeres Beispiel zu nennen: Eine empirische Studie des Roosevelt Institute untersuchte „den Einfluss des Geldes auf Stimmabgaben zur Finanzregulation“ sowie im Telekomsektor „die Verbindung von Industriespenden und Kongress-Stimmabgaben“ mit dem Ergebnis: „Eine beträchtliche Anzahl von Vertretern der Legislative verkauft das öffentliche Interesse im Austausch für politisches Geld.“ So entstanden innerhalb einer vordergründig demokratischen Gesellschaft autoritär organisierte „Stabilitätskerne“ für die tatsächlichen Zentren der Macht.
Diese Entwicklungen beschleunigten und verstärkten sich in zuvor nicht gekannter Weise mit der Entfaltung des Neoliberalismus und dem mit ihm verbundenen Übergang vom „demokratischen Kapitalismus“ der Nachkriegszeit zur „marktkonformen Demokratie“ in einem zunehmend totalitären Spätkapitalismus. Die Demokratie erschien dem globalisierten Kapital nun nicht mehr als nützliches Mittel zur sozialen Befriedung und Produktivitätssteigerung, sondern als grundsätzlich hinderlich. Der Neoliberalismus verzichtete zunehmend auf eine demokratische Rhetorik und ging dazu über, jede Form von Demokratie als Behinderung eines freien Marktes zu bekämpfen. Mit dieser wesentlich durch Think-Tanks vorangetriebenen Entfaltung neoliberaler Ideologie fand ein Übergang des Kapitalismus von einer autoritären zu einer zunehmend totalitären Organisationsform statt, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens nach dem neoliberalen Modell zu organisieren suchte. Demokratie wurde darauf reduziert, rationale Problemlösungen im Sinne einer Anpassung an die „Naturgesetzlichkeiten“ globalisierter Märkte zu produzieren. Begleitet von ideologischen Kampfbegriffen wie „Strukturreformen“ oder „Bürokratieabbau“ wurden über Steuergesetzgebung und andere Mechanismen Kapital, Konzerne und Reiche zunehmend von Beiträgen zu Gemeinschaftsaufgaben entlastet. Auf diese Weise wurde der Staat in seiner sozialen Handlungsfähigkeit ausgetrocknet und durch eine Austeritätspolitik in eine Schuldenabhängigkeit von den Finanzmärkten getrieben. Der so erzeugte und den Finanzmärkten preisgegebene Schuldenstaat wurde in diesem Prozess weitgehend zu einem Umverteilungs- und Subventionsstaat für die ökonomisch Starken und zu einem Überwachungsstaat für die ökonomisch Schwachen umgebaut. Durch die sogenannte Globalisierung, die das Kapital über nationale Grenzen hinweg noch mobiler und flexibler machte, während die Mechanismen seiner demokratischen Einhegung national gebunden blieben, verschoben sich die tatsächlichen politischen Machtverhältnisse in einer für die Öffentlichkeit kaum noch zu ermessenden Weise zugunsten autoritär organisierter und öffentlich nahezu unsichtbarer Zentren der Macht.
Damit wird die von den Erfindern der repräsentativen Demokratie aufgestellte Forderung „Wer das Land besitzt, der soll es auch regieren“ unter den neoliberalen Bedingungen globalisierter Finanzmärkte in einer so radikalen Weise erfüllt, dass wohl keiner der Väter der amerikanischen Verfassung das resultierende totalitäre Machtgebilde auch nur in die Nähe des Begriffs „Demokratie" bringen würde. Für diejenigen indes, die als Politiker im Rahmen der gegenwärtig vorgegebenen Machtkoordinaten operieren, ist die damit einhergehende vollständige Aushebelung der Demokratie eine ganz selbstverständliche Arbeitsgrundlage. Schon Hans Tietmeyer, Staatssekretär und Chefunterhändler der Regierung Kohl bei den Weltwirtschaftsgipfeln, hatte sie am 3. Februar 1996 beim Weltwirtschaftsforum in Davos klar zum Ausdruck gebracht: „Ich habe bisweilen den Eindruck, dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden.“ Und auch der damalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hatte das eigentlich Selbstverständliche ganz beiläufig ausgesprochen: „Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.“ (20. Mai 2010)“
Unsichtbare Herden-Besitzer
„Im Feudalismus war das Ziel eines Veränderungswillens noch klar erkennbar. Damit hatte auch das politische Handeln ein Ziel, und die sozialen Spannungen konnten sich, oftmals sehr blutig, in Revolutionen entladen. Solange jedoch die eigentlichen Zentren der Macht unsichtbar sind, können sich politische Veränderungsbedürfnisse des Volkes nur auf Ablenkziele richten und müssen somit politisch ins Leere gehen. Die repräsentative Demokratie hat für die eigentlichen Zentren politischer Macht den Vorteil, dass die gesamte Veränderungsenergie des Volkes in der Wahl anderer Repräsentanten aus einem vorgegebenen Spektrum erschöpft wird. Damit fehlen innerhalb der gegenwärtigen Formen repräsentativer Demokratie Mechanismen, durch die ein Veränderungswille politisch wirksam werden kann. Genau dadurch stellt die repräsentative Demokratie für die Machteliten eine nahezu perfekte Herrschaftsform dar; sie ist eine Form der Oligarchie, die jedoch dem Volk als Demokratie erscheint.
In der Herdenmetapher bedeutet dies, dass die repräsentative Demokratie die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Hirten lenkt und die Herdenbesitzer gleichsam unsichtbar macht; die Veränderungsenergie des Volkes bleibt darauf beschränkt, andere Hirten aus dem Personal des Herdenbesitzers zu wählen ...
Parlamentswahlen spielen offenkundig in kapitalistischen Demokratien für alle grundlegenden politischen Entscheidungen keine Rolle mehr, und die großen politischen Entscheidungen werden zunehmend von Instanzen und Akteuren bestimmt, die nicht der Kontrolle der Wähler unterliegen. Während also die Hülse einer repräsentativen Demokratie weitgehend formal intakt erscheint, wurde sie ihres demokratischen Kerns nahezu vollständig beraubt, so dass Demokratie für die eigentlichen Zentren der Macht keine Risiken mehr birgt. Diese Entwicklung war bereits in der Erfindung der repräsentativen Demokratie angelegt und wurde seitdem strukturell, prozedural und ideologisch konsequent und systematisch vorangetrieben; sie findet in den vergangenen Jahrzehnten ihren Abschluss im Rahmen der neoliberalen Extremform des Kapitalismus. Die hier entstandenen Organisationsformen eines autoritären Kapitalismus haben sich des Staates, der verbliebenen Hülsen einer repräsentativen Demokratie und aller relevanten Entscheidungsmechanismen des Gemeinwesens in totalitärer Weise bemächtigt. Da die relevanten politischen Entscheidungen nicht durch demokratisch legitimierte Instanzen bestimmt werden, sondern durch öffentlich nicht sichtbare Akteure, werden die mit einer solchen Herrschaftsform verbundenen Phänomene gelegentlich als Tiefer Staat bezeichnet …
Über diese Techniken der Meinungsmanipulation hinaus wurden weitere Mechanismen geschaffen und vorhandene verstärkt, die einen wachsenden Einfluss wirtschaftlicher Interessengruppen auf staatliche Institutionen und das Parteienwesen ermöglichen. Das gelang mit beträchtlichem Erfolg, da sich die repräsentative Demokratie als besonders geeignet für die Einführung verdeckt autoritärer Einflussmechanismen erwies. Schon 1912 hatte der frühere US-Präsident Theodore Roosevelt festgestellt: „Hinter dem, was wir für die Regierung halten, thront im Verborgenen eine Regierung ohne jede Bindung an und ohne jede Verantwortung für das Volk. Die Vernichtung dieser unsichtbaren Regierung und Zerschlagung der unheiligen Allianz von korrupter Wirtschaft und korrupter Politik ist die entscheidende politische Herausforderung dieser Zeit.“
Nebensächliche Wahlen
„Reduziert man jedoch eine demokratische Teilhabe im Wesentlichen auf Wahlen, so widerspricht dies der Leitidee von Demokratie, wie sie in der Zeit der Aufklärung gewonnen wurde.
Wahlen sind also nur ein vergleichsweise nebensächlicher Aspekt der demokratischen Willensbildung. Von den jeweiligen Machteliten werden sie jedoch gerne - unter Vernachlässigung und Missachtung entscheidender Kernelemente der demokratischen Leitidee - in den Vordergrund gestellt, weil sie besonders geeignet sind, im Volk eine Illusion von Demokratie und von Volkssouveränität zu erzeugen. Mit einer solchen Illusion lässt sich der natürliche Widerstand gegen eine gesellschaftliche Fremdbestimmung lahmlegen. In oligarchischen Strukturen, wie sie auch eine Elitendemokratie verkörpert, sind Wahlen nicht Ausdruck einer Volkssouveränität. Vielmehr sind sie ein Instrument der Herrschaftssicherung, das besonders geeignet ist, Veränderungsbedürfnisse zu neutralisieren und in eine gewünschte Richtung zu lenken. Machteliten machen daher, trotz ihres grundsätzlichen Misstrauens dem Volk gegenüber, gerne von Wahlen Gebrauch, um die mit ihnen verbundene gesellschaftliche Befriedungsfunktion zu nutzen. Dies gilt selbst für autokratische und autoritäre Herrschaftsformen. Benito Mussolini hat 1922 eine entsprechende Haltung zu Wahlen besonders unverblümt zum Ausdruck gebracht: „Alle können wählen, bis zur Langeweile, bis zur Verblödung.“
Zu einer Elitendemokratie, wie sie sich in den gegenwärtigen Formen einer repräsentativen Demokratie ausdrückt, gibt es eine Vielzahl von sorgfältig ausgearbeiteten Alternativen, die der Leitidee von Demokratie sehr viel näherkommen. Sie werden - häufig unter Stichworten wie „partizipatorische Demokratie“, „Radikaldemokratie“ oder „Rätedemokratie“ - in der entsprechenden Literatur seit je intensiv diskutiert. Interessanterweise sind sie jedoch in der öffentlichen Diskussion praktisch nicht präsent und gleichsam unsichtbar. Diese Unsichtbarkeit von ernsthaft demokratischen Alternativen ist selbst wiederum Folge einer jahrzehntelangen Indoktrination, in der die gegenwärtige Form einer „repräsentativen Demokratie“ nicht nur als beste Form von Demokratie vermittelt wird, sondern auch als alternativlos, da sie die einzig praktikable Realisierung der Leitidee von Demokratie sei.
Auch Alternativkonzeptionen, die der Leitidee von Demokratie näherkommen, sind durchaus auf Formen einer Repräsentation und auf Funktionseliten angewiesen. Vorrangig vor solchen spezifischen prozeduralen Fragen sind jedoch die allgemeinen prozeduralen Fragen der gesetzgebenden Souveränität des Volkes und der Unterordnung aller Staatsapparate unter das demokratisch zustande gekommene Gesetz sowie Fragen der Partizipation und der Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht der gewählten Repräsentanten dem Volk gegenüber.
Durch die Indoktrination einer Altemativlosigkeit von repräsentativer Demokratie haben wir im gesellschaftlichen Gedächtnis die eigentlichen geschichtlichen Triebfedern dieser Form der Elitenherrschaft vergessen und sind gar nicht mehr in der Lage zu erkennen, dass die Idee einer repräsentativen Demokratie gerade zur Abwehr von wirklicher Demokratie entstanden ist.“
Unsichtbare Alternativen
„Ein weiteres Beispiel für eine sehr erfolgreiche, also nahezu unsichtbare Tiefenindoktrination ist die Überzeugung, dass die Regierungsform einer „repräsentativen Demokratie“ die beste oder zumindest einzig realisierbare Verkörperung der demokratischen Leitidee sei. Diese Art der Tiefenindoktrination steht in unmittelbarer Beziehung zu der oben genannten Ideologie einer „amerikanischen Demokratie“. In der Folge dieser Tiefenindoktrination sind Demokratiekonzeptionen, die sich grundlegend von den gegenwärtig vorherrschenden Formen repräsentativer Demokratie unterscheiden, im öffentlichen Diskussionsraum praktisch unsichtbar gemacht worden. Zwar werden in der politischen Rhetorik die gegenwärtigen Formen repräsentativer Demokratie in einen historischen Zusammenhang mit dem ursprünglichen Leitgedanken von Demokratie gesetzt, wie er im Athen der Antike umgesetzt worden war. Tatsächlich jedoch haben sie damit wenig gemein. Die athenische Form der Demokratie war eine partizipatorische Demokratie, sie war, so der Althistoriker Moses Finley, „im ganz buchstäblichen Sinn eine ‚Regierung durch das Volk‘“.“
Mündiger Bürger nicht erwünscht
„In diesem Standardmodell wird den Bürgern eine politische Rolle zugewiesen, die analog der von Konsumenten ist. Der „mündige Bürger“ gehört ebenso zur bloßen ideologischen Rechtfertigungsrhetorik wie der „rationale Konsument“ in der Ökonomie: Beide sind tatsächlich gerade nicht erwünscht, sondern Bürger wie Konsumenten sind in ihren Einstellungen, Meinungen und Präferenzen so zu formen, dass diese kompatibel mit den Interessen der jeweiligen Eliten sind. Daher entwickelten sich politische Propaganda und Techniken des Meinungsmanagements Hand in Hand mit Techniken der Hervorbringung und Formung von Konsumenten.“
https://www.youtube.com/watch?v=Rk6I9gXwack
Demokratie und Propaganda
Meinungsmanagement
„Um die Bürger in Übereinstimmung mit dem politischen System und den Entscheidungen der politischen Klasse zu bringen, gehört Propaganda zwangsläufig zu einer funktionsfähigen Demokratie. Techniken des Meinungsmanagements hätten zudem gegenüber den Kontrolltechniken einer Diktatur den Vorteil, dass sie ‚kostengünstiger als Gewalt, Bestechung oder irgendwelche anderen Kontrolltechniken‘ seien. In diesem Sinne könne man also Demokratie, die durch ein Meinungsmanagement gelenkt sei, als eine optimale Regierungsform ansehen …
Propaganda im oben genannten Sinne ist heute als ein notwendiger Teil des Indoktrinationssystems aller westlichen Gesellschaften anzusehen. Und die ‚unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist‘, besteht aus nahezu unsichtbaren Geweben von Netzwerken verschiedener Eliten. Diese ‚lenken die gesellschaftlichen Abläufe‘. Sie steuern politische Entscheidungen und vermitteln diese der Öffentlichkeit durch eingebettete Journalisten der Massenmedien als unvermeidliche Sachzwänge zum Wohle der Bevölkerung …
Insgesamt sind zur Lenkung der Bevölkerung Techniken vorzuziehen, die nicht nur kurzzeitig wirken, sondern länger anhaltende Effekte haben. In diesem Sinne ist eine Steuerung von Meinungen wichtiger als eine rein affektive Steuerung. Denn Meinungen sind zumeist stabiler als Affekte. Daher kommt solchen Techniken eine besondere Rolle zu, durch die man Meinungen in geeigneter Weise steuern kann. Ich will hier nur auf ein paar recht einfache Techniken eingehen, für die man keine besonderen Kenntnisse der Psychologie benötigt, sie sind das Standardgeschäft der Massenmedien:
1. Deklariere Fakten als Meinungen. In der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen, liegt, wie Hannah Arendt bemerkte, einer der erschreckendsten Aspekte totalitärer Denksysteme.
2. Fragmentiere die Darstellung eigentlich zusammenhängender Fakten so, dass der Sinnzusammenhang verloren geht.
3. Dekontextualisiere Fakten, löse sie aus ihrem eigentlichen Zusammenhang, so dass sie als isolierte Einzelfälle erscheinen.
4. Rekontextualisiere Fakten, bette sie so in einen neuen, mit „positiven“ Begleitvorstellungen versehenen Kontext ein, dass sie ihren ursprünglichen Sinnzusammenhang und ein damit möglicherweise verbundenes moralisches Empörungspotential verlieren.
Über diese recht einfachen Techniken hinaus hat die Psychologie eine Fülle von sehr viel subtileren und teilweise überraschenden Mechanismen unserer Entscheidungs- und Meinungsbildung identifiziert, die sich für eine sehr effektive Meinungssteuerung nutzen lassen. Dies gilt umso mehr, als zentrale Prozesse unserer Entscheidungs- und Meinungsbildung unbewusst ablaufen und keiner willentlichen Kontrolle unterliegen.“
- mit Informationen überfluten
„‚Man muss die Bürger mit einer Flut von Informationen überziehen, so dass sie die Illusion der Informiertheit haben.‘ Durch diese ‚Illusion der Informiertheit‘ hat der Bürger ein politisch reines Gewissen; er fühlt sich über alles Wesentliche unterrichtet und kann abends beruhigt zu Bett gehen … Die Bürger, die beim Frühstück die Süddeutsche Zeitung lesen, nachmittags in Spiegel online schauen und sich abends die Tagesschau ansehen, sind im Gefühl umfassender Informiertheit so selbstzufrieden, dass sie die Krankheit, an der sie leiden – so Lazarsfeld – nicht einmal mehr erkennen können.
Besonders die sogenannten gebildeten Schichten sind anfällig für die Illusion des Informiertseins. Aus naheliegenden Gründen sind sie in besonderem Grade durch die jeweils herrschende Ideologie indoktriniert – das war im Nationalsozialismus nicht anders als heute; sie sind durch ihre schweigende Duldung ein wichtiges Stabilisierungselement der jeweils herrschenden Ideologien.
- dauernde Wiederholungen
„Eine Reihe experimenteller Studien zeigt, dass eine Aussage, die die Experimentatoren gemacht haben, im eingeschätzten Wahrheitsgehalt der Beobachter steigt, je häufiger sie präsentiert wird, und zwar auch dann, wenn sie zuvor vom Experimentator ausdrücklich als falsch deklariert wurde. Diese Prozesse laufen automatisch und unbewusst ab. Wir können uns also nicht dagegen wehren. Selbst wenn man die Versuchsperson zuvor über dieses Phänomen aufklärt, ändert dies nichts an dem Effekt: Je häufiger sie eine Meinung hört, umso stärker steigt der gefühlte Wahrheitsgehalt. Beispiele aus der Tagespresse gibt es auch hier in Hülle und Fülle, seien es „die reformunwilligen Griechen“ oder, im Zusammenhang mit der Krim, die Bezeichnung „Annexion“. Allein durch dauernde Wiederholung steigt tendenziell der gefühlte Wahrheitswert.“
- Festlegung von Rändern
„Je weniger wir uns in einem Bereich auskennen, umso stärker neigen wir dazu, die Wahrheit gleichsam in der Mitte zu suchen. Wir neigen also dazu, alle Meinungen als gleichberechtigt anzusehen, und meiden die als extrem angesehenen Ränder des beobachteten Meinungsspektrums, selbst dann, wenn die richtige Auffassung tatsächlich dort verortet ist.
Die öffentliche Meinungsbildung lässt sich also sehr wirkungsvoll bereits dadurch steuern, daß man zunächst die Ränder dessen festlegt, was noch als „vernünftig“ gilt. Wer es vermag, die Ränder des in der Öffentlichkeit sichtbaren Meinungsspektrums zu markieren, der hat schon einen großen Teil des Meinungsmanagements erreicht. In einer neoliberalen, also „marktkonformen“ Konzeption von Demokratie, ist es naheliegenderweise besonders wichtig, den linken (politischen) Rand des Zulässigen - also dessen, was man noch verantwortlich vertreten kann - zu markieren. Beispielsweise können die herrschenden Eliten die Auffassungen des Philosophen Jürgen Habermas als das Äußerste deklarieren, was wir in unserer liberalen Demokratie vernünftigerweise zu akzeptieren bereit sind. Positionen, die radikaler sind und deutlicher auf das Zentrum der Macht zielen, werden bereits durch die nahezu unsichtbare Markierung der Grenzen des Akzeptablen für die Öffentlichkeit als „unverantwortlich“ gekennzeichnet. Sie gehören damit nicht mehr zum Bereich dessen, was sinnvoll diskutiert werden kann.“
„Eine äußerst wirksame und gut erprobte Methode des Demokratiemanagements hat in jüngerer Zeit wieder besondere Bedeutung gewonnen. Noam Chomsky beschreibt sie so:
„Der intelligente Weg, Menschen passiv und fügsam zu halten, besteht darin, das Spektrum akzeptabler Meinungen strikt zu begrenzen, aber eine sehr lebhafte Debatte innerhalb dieses Spektrums zu ermöglichen - und sogar kritischere und abweichende Ansichten zu fördern. Das gibt den Menschen das Gefühl, dass freies Denken stattfindet, während die Voraussetzungen des Systems immer wieder durch die Grenzen des zulässigen Bereichs der Debatte verfestigt werden.“
Bei dieser Methode geht es nicht einfach darum, Menschen bestimmte ideologische Meinungen einzutrichtern oder eine ideologische Rahmenerzählung durchzusetzen, sondern gleichsam komplementär darum, ganze Denkmöglichkeiten für die Öffentlichkeit unsichtbar zu machen. Je besser dies gelingt, desto stärker wird die herrschende Ideologie als alternativlos empfunden. Es geht also darum, den öffentlichen Debattenraum so einzuschränken, dass Konzeptionen, welche die herrschende Ideologie und die herrschenden Machtverhältnisse gefährden könnten, als Alternativen gar nicht mehr sichtbar sind. Das gilt nicht nur für konkrete Konzeptionen gesellschaftlicher Organisation, sondern insbesondere auch für allgemeine Leitvorstellungen oder Utopien, wie sie seit jeher der Motor der Zivilisationsentwicklung waren und sind. Wird der öffentliche Debattenraum durch eine Eingrenzung auf Denkmöglichkeiten eingeschränkt, die mit der herrschenden Ideologie verträglich sind, so wird damit auch der Leitidee des „mündigen Bürgers“ das Fundament entzogen - und damit der Leitidee von Demokratie selbst. Denn eine wirkliche Demokratie ist mit dem grundlegenden Problem behaftet, dass sie auf Voraussetzungen beruht, die sie selbst erst schaffen muss. Sie beruht auf dem Leitideal des mündigen Bürgers. Mit ihm steht oder fällt die Idee von Demokratie.“
- unsichtbar machen von nachteiligen Fakten
„Es gehört nicht viel dazu, die Aufmerksamkeit von Menschen so zu manipulieren, dass sie das Offenkundige nicht mehr bemerken und eigentlich augenfällige Fakten für sie unsichtbar sind. Dass dies auch im politischen Bereich mit bemerkenswerter und beunruhigender Wirksamkeit möglich ist, will ich anhand einiger Fakten zeigen, die unmittelbar mit dem genannten Selbsteinschätzungs-Verhaltens-Paradox zusammenhängen, also mit schweren Verletzungen moralischer Normen durch politische Gemeinschaften, denen wir angehören. Dabei möchte ich jedoch die übliche politische Perspektive gleichsam umkehren: Statt danach zu fragen, aus welchen vorgeblichen oder tatsächlichen Motiven Regierungen diese Verbrechen begangen haben, möchte ich den Blick auf die Bevölkerung, also auf uns selbst richten und nach den Gründen fragen, warum wir auf diese Verbrechen nicht mit einer angemessenen moralischen Empörung reagieren.
Da die Fakten hier nur als Grundlage zur Behandlung dieser Fragen dienen, kann ich mich auf ein kurzes Konstatieren weniger Beispiele beschränken. Diese Beispiele sind so gewählt, dass sie die folgenden drei Kriterien erfüllen. 1) Sie beziehen sich auf Taten, für die „wir“ verantwortlich sind, also die politische Gemeinschaft, der wir angehören. 2) Sie beziehen sich auf eindeutige Verletzungen moralischer Normen und Verbrechen, also auf Taten, auf die wir ohne Zögern, wenn unsere „Gegner“ sie begehen würden, mit Empörung und moralischer Verurteilung reagieren würden. 3) Sie sind unstreitig und gut dokumentiert, und auch die Massenmedien berichteten über sie (wenn auch fragmentiert und zumeist geeignet rekontextualisiert) …
Am einfachsten ist das moralische Unsichtbarmachen von Fakten in solchen Fällen, die wegen ihres Umfangs, wegen ihres geringen politischen Gewichts oder weil sie recht abstrakte Sachverhalte betreffen nur eine geringe moralische Sichtbarkeit haben. Derartige kleine Fakten können im Wortsinne sichtbar und dennoch moralisch unsichtbar sein - die Medien können also risikolos über sie berichten, sie jedoch in ihrer Bedeutung unkommentiert lassen oder sie dergestalt in eine Fülle von Belanglosigkeiten einbetten, dass sie unser natürliches moralischen Urteilsvermögen nicht berühren.
Recht mühelos gelingt das moralische Unsichtbarmachen im Falle schwerer Verletzungen moralischer Normen, die durch abstrakte Gewaltverhältnisse verursacht sind. Anders als konkret sichtbare Gewalt unterläuft strukturelle Gewalt gleichsam unsere natürlichen moralischen Sensitivitäten. Hierzu gehören beispielsweise Wirkungen, die aus demokratisch nicht mehr kontrollierbaren Oligarchien des globalisierten Finanzkapitals resultieren. Für die Wahrnehmung von Ursachen, die nicht sinnlich erfassbar, sondern abstrakter Natur sind, ist der menschliche Geist nicht gut ausgestattet; wir erkennen sie zumeist selbst dann nicht, wenn sie gewaltige Folgen haben. Jean Ziegler, der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, bemerkte 2012 in der Zeitung junge Welt: „Der deutsche Faschismus brauchte sechs Kriegsjahre, um 56 Millionen Menschen umzubringen - die neoliberale Wirtschaftsordnung schafft das locker in gut einem Jahr.“ Selbst dann, wenn sich die Ursache benennen lässt, fällt es uns bei abstrakten Strukturen schwer, auf Verbrechen mit moralischer Empörung zu reagieren. Ein Beispiel ist die Weltbank, deren Aufgabe darin besteht, Finanzierungsinstrumente für langfristige Entwicklungs- und Aufbauprojekte im Bereich der Realwirtschaft bereitzustellen. Menschenrechtsorganisationen verurteilen seit Jahren Menschenrechtsverletzungen durch die Weltbank. Gelegentlich findet dieses Thema auch den Weg in die Medien. So schrieb die Süddeutsche Zeitung am 16. April 2015: „Bei von der Weltbank finanzierten Infrastrukturprojekten in Afrika werden Armutsviertel zum Teil ohne Vorwarnung niedergewalzt. Bewohner werden zwangsweise umgesiedelt oder obdachlos.“ Entsprechend Die Zeit vom gleichen Tag, unter dem Titel „Weltbank verletzt Menschenrechte weltweit“: Allein im vergangenen Jahrzehnt hätten „3,4 Millionen Menschen in mehr als 900 Weltbank-Projekten ihr Land oder einen Teil ihrer Lebensgrundlage verloren“. Über diese folgenschweren Fakten kann man die Bevölkerung risikofrei unterrichten; solange der für ihr Verständnis notwendige Kontext - in diesem Fall die Weltbank als eine der institutionellen Säulen des neoliberalen Umverteilungsprojektes - weitgehend unsichtbar bleibt, werden derartige Verbrechen die Bevölkerung nicht sonderlich interessieren oder beunruhigen.
Anders verhält es sich bei konkreten Sachverhalten, wie beispielsweise Folter. Bei Folter gibt es einen Täter. Wenn die Ursache eines Verbrechens nicht abstrakt ist, sondern konkrete Täter auszumachen sind, wird unser natürliches moralisches Empörungsvermögen, unsere moralische Sensitivität eher angesprochen. Doch mit Fragmentierung und einer geeigneten Dekontextualisierung gelingt auch hier ein moralisches Unsichtbarmachen mühelos.“
Notwendigkeit eines Empörungsmanagements
„Nun kann es aus Sicht der herrschenden Eliten Situationen geben, die für die Stabilität eines Systems besonders gefährlich sind, weil sie das Potential für eine Kettenreaktion in sich tragen. Typischerweise werden derartige Situationen durch Vorkommnisse ausgelöst, die das moralische Empfinden der Bevölkerung so heftig ansprechen, dass diese mit Empörung reagiert. Derartige Situationen gilt es rasch und wirksam zu entschärfen. Die auf eine längerfristige Steuerung von Meinungen zielenden Techniken reichen hierfür oftmals nicht aus, so dass besondere Techniken erforderlich sind, die ausgelöste Empörung zu kontrollieren und zu steuern. Ein typisches Beispiel für eine Situation, in der durch ein „unglückliches Missgeschick“ das moralische Empfinden der Bevölkerung so heftig angesprochen wurde, dass diese mit Empörung reagierte, war die Veröffentlichung von Folterbildern aus dem von den USA betriebenen irakischen Gefängnis in Abu Ghraib.
Dieses Beispiel ist auch lehrreich für die Rolle der Massenmedien in einer solchen Situation. Nachdem Amnesty International in Berichten vom 23. Juli 2003 und 18. März 2004 ausführlich über US-Folterungen von Gefangenen durch Elektroschocks, Schlafentzug, Schläge oder Fesselungen der Geschlechtsteile und Ähnliches hingewiesen hatte, entschieden sich die deutschen Leitmedien dafür, über diese Verbrechen erst gar nicht zu berichten und sie somit für die Bevölkerung unsichtbar zu lassen. Obwohl ARD und ZDF im eigenen Internetangebot darüber informierten, verschwieg man diese Verbrechen in Tagesschau, Tagesthemen und heute. Nachdem am 28. April die ersten Fotos der Folterungen an die Öffentlichkeit gelangten, ließ sich das mediale Verschweigen nicht länger aufrechterhalten. Am 30. April 2004 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter dem Titel „Ohne Bilder kein Skandal“ darüber, wie systematisch diese Verbrechen in deutschen Leitmedien verschwiegen worden waren und welche Gründe Leitmedien im Nachhinein für die Nichtberichterstattung vor dem 28. April 2004 geltend gemacht hatten: So nannte der Spiegel - trotz der ausführlichen Beweise in den Amnesty-Berichten - „fehlende Beweise“ als Grund, die Süddeutsche Zeitung war der Überzeugung, dass die Amnesty-Berichte „wenig konkrete Informationen“ seien, und für den Stern hatten sich die Inhalte der Amnesty-Berichte durch „Dementis von US-Stellen“ als irrelevant erledigt. Da nun aber durch die Veröffentlichung der Bilder die Fakten nicht mehr zu leugnen waren, trat man die Flucht nach vorne an und beeilte sich gegenüber der Öffentlichkeit, die systematische Nichtberichterstattung als einen bedauerlichen journalistischen Ausnahmefall darzustellen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sprach von einer „Chronik eines kollektiven Versagens“ und erklärte damit die tatsächliche Regel der Funktionsweise der Massenmedien zur scheinbaren Ausnahme.
Stabilitätsgefährdende Empörungsreaktionen der eigenen Bevölkerung - wie im Falle von Folter oder Massenüberwachung - sind aus Sicht der Eliten rasch einzudämmen oder auf geeignete Scheinziele umzulenken.
Doch auch Empörungsreaktionen der Bevölkerung eines befreundeten Landes können für die Stabilität - womit in der Regel die eigenen hegemonialen Interessen gemeint sind - gefährlich sein und müssen folglich in geeigneter Weise kontrolliert werden. Dies gilt besonders dann, wenn sie sich in kollektiv organisierter Weise manifestieren. In diesem Fall spricht man bei den nötigen Kontrolltechniken von Aufstandsbekämpfung. Handelt es sich hingegen um Empörungsreaktionen der Bevölkerung von nicht prowestlich eingestellten Staaten, in denen „wir“ einen Systemwechsel anstreben, so sind Aufstände natürlich nicht zu bekämpfen, sondern durch Techniken eines Empörungsmanagements anzufachen und auf geeignete Zielobjekte zu richten. In diesen Fällen sprechen wir von „Farbrevolutionen“, die es dann in geeigneter Weise zur „Förderung von Demokratie und Menschenrechten“ zu lenken gilt."
Apathisierung des Volkes
„Die Lüge gehört ganz selbstverständlich zum alltäglichen politischen Geschäft, bei Politikern wie in den Medien. Der damalige luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker, der von 2014-2019 Präsident der Europäischen Kommission war, stellte im April 2011 unumwunden klar: „Wenn es ernst wird, muss man lügen.“ Und natürlich ist es in der Politik immer ernst.
Einfacher jedoch können sich die Eliten um das Volkswohl kümmern, wenn sie gar nicht erst zu lügen brauchen, weil das Volk gar kein Interesse mehr an der Wahrheit hat. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Volk politisch apathisch und infantilisiert ist. Von den intellektuellen Gehilfen der Machteliten wurde rasch erkannt, dass Demokratie nur dann im gewünschten Sinne funktionieren kann, wenn es durch „Soft-Power“-Techniken gelingt, eine umfassende Entpolitisierung und politische Lethargie des Staatsvolkes zu erzeugen. Durch geeignete Techniken kann man also die von Etienne de La Boétie analysierte „freiwillige Knechtschaft“ des Menschen, in der die Unterdrückten die Unterdrückung paradoxerweise freiwillig akzeptieren, fördern, indem man sie durch Konsumismus, Infantilisierung und glückliche Unmündigkeit möglichst angenehm gestaltet - eine gesellschaftliche Entwicklung, die bereits Aldous Huxley in seinem dystopischen Roman Schöne neue Welt (1932) scharfsinnig vorausgeahnt hat. Huxley beschreibt die Möglichkeiten, wie durch geschicktes Ausnutzen der Schwachstellen des menschlichen Geistes „politische Machthaber und ihre Armee von Managern eine Bevölkerung beherrschen können, die gar nicht gezwungen zu werden braucht, weil sie ihre Knechtschaft lieben“. Demokratiemanagement durch Lethargieerzeugung.
Es bedarf natürlich einiger Anstrengungen der Volkserziehung durch die Eliten, bis das Volk bereit ist, die ideologische Unterteilung in „Elite“ und „Volk“ zu akzeptieren, und somit überzeugt ist, dass das Volkswohl bei den Eliten am besten aufgehoben sei. Eine Möglichkeit, dies zu bewerkstelligen, könnte sein, dem Volk die entsprechenden Überzeugungen mit klassischen Techniken der Propaganda regelrecht einzutrichtern. Sehr viel wirksamer und nachhaltiger ist es jedoch, grundlegender anzusetzen und insgesamt die Befähigung zu blockieren, überhaupt Überzeugungen auszubilden. George Orwell und Hannah Arendt haben, mit unterschiedlichen Mitteln, genau diesen Aspekt in ihrer Analyse totalitärer Herrschaftssysteme klar erkannt. Hannah Arendt betonte, dass es nie das Ziel einer totalitären Erziehung gewesen sei, bestimmte Überzeugungen einzuflößen, sondern dass es vielmehr darum gehe, die Befähigung zu zerstören, überhaupt irgendwelche Überzeugungen zu entwickeln“.
Ein wirksamer Weg, das Volk davon abzuhalten, überhaupt politische Überzeugungen auszubilden, besteht in der Erzeugung von politischer Lethargie. Daher überrascht es nicht, dass die Leitintellektuellen der Machteliten politische Lethargie als geradezu unverzichtbar für eine Demokratie preisen und über Techniken nachdenken, wie sie sich am besten erreichen lässt.
Nur zwei prominente Stimmen aus der reichen Literatur hierzu: Robert Michels (1876-1936), ein bedeutender deutscher Soziologe, schrieb 1911 in seinem Klassiker Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie: „Das unterscheidende und wertvollste Element der Demokratie ist die Bildung einer politischen Elite im Konkurrenzkampf um die Stimmen einer hauptsächlich passiven Wählerschaft.“
In ähnlicher Weise sah Leo Strauss (1899-1973) - einer der einflussreichsten politischen Philosophen der USA, scharfer Aufklärungsgegner, radikaler Verteidiger einer Elitenherrschaft und Hausphilosoph der Neokonservativen - die politische Lethargie des Volkes als eine notwendige Voraussetzung, ohne die Demokratie nicht funktionieren könne. „Was die Massen anbelangt, so ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein reibungsloses Funktionieren von Demokratie eine Wahl-Apathie, das heißt ein Mangel an Gemeinsinn. Zwar nicht das Salz der Erde, jedoch das Salz der modernen Demokratie sind diejenigen Bürger, die nichts außer den Sportseiten und dem Comicteil lesen.“
In heutigen Abhandlungen der politischen Leitintellektuellen der Machteliten wird dies freilich nicht mehr so offen ausgesprochen wie in den Klassikern der Elitendemokratie. Doch bedarf es solcher expliziten Äußerungen gar nicht, denn es liegt in der Natur der Sache, dass die Machteliten nichts mehr fürchten als den mündigen Bürger. Folglich bemühen sie sich nach Kräften, eine politische Mündigkeit der Bürger zu verhindern. Dazu bedienen sie sich eines breiten Spektrums von Strategien und Methoden einer kognitiven und affektiven Manipulation der Bürger.“
„Der US-amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman hat 1985 in seinem Klassiker Wir amüsieren uns zu Tode prägnant aufgezeigt, mit welchen Mitteln die Massenmedien dazu beitragen, grundsätzlich die Befähigung zur Ausbildung politischer Überzeugungen zu unterminieren. „Wir stehen hier vor der Tatsache, dass das Fernsehen die Bedeutung von ‚Informiertsein‘ verändert, indem es eine neue Spielart von Information hervorbringt, die man besser als Desinformation bezeichnen sollte ... Desinformation ist nicht dasselbe wie Falschinformation. Desinformation bedeutet irreführende Information - unangebrachte, irrelevante, bruchstückhafte oder oberflächliche Information -, Information, die vortäuscht, man wisse etwas, während sie einen in Wirklichkeit vom Wissen weglockt.“
Die gegenwärtigen Formen politischer Kommunikation sind also keineswegs neue Entwicklungen, sondern nur konsequente Steigerungen der politischen Funktionen von Massenmedien in kapitalistischen Demokratien. Bereits 1956 hatte Günther Anders in seinem kulturkritischen Werk Die Antiquiertheit des Menschen aufgezeigt, dass das Fernsehen seine Nutzer – „vereinzelte Masseneremiten“ - dazu verführt, ein medial vermitteltes Zerrbild für die Realität zu halten. Wenn sich das Geschehen der Welt nur noch als medial „arrangiertes Schauspiel abspielt", wird „ausdrückliche Ideologie überflüssig“: „Wo sich die Lüge wahrlügt, ist ausdrückliche Lüge überflüssig.“
In der Entwicklungsdynamik des Neoliberalismus hat die Methode einer Diskursvermüllung in den vergangenen Jahrzehnten einen besonders hohen Stellenwert erhalten. Philip Mirowski bemerkt hierzu: „Verwirrung wurde zu einer bewussten politischen Strategie, die sich stark von dem Top-Down-Modell der „Propaganda“ des frühen 20. Jahrhunderts unterscheidet ... Heute basiert die Desinformation auf der Schaffung eines Nebels von Verwirrung und Desillusion.
Sie beruht weniger auf einer direkten Medienmanipulation (dem Schreckgespenst der nostalgischen Linken) als auf einer Ernte des Gequatsches der allgemeinen Bevölkerung über die sozialen Medien, die anschließend über Plattformen wie Facebook, Twitter an die Massen zurückgespeist wird ... Der Informations-Markt wird als Verstärker genutzt, um das Vulgäre, das Geschwätz, das Kauderwelsch und den allgemeinen Lärm wieder in die Öffentlichkeit zu bringen, die ihn überhaupt erst in einem kybernetischen Rückkopplungskreislauf erzeugt, so weit, dass die Menschen keine Ahnung haben, was tatsächlich in ihrer eigenen Welt vor sich geht.“ Die sogenannten sozialen Medien haben Wege eröffnet, die verbliebenen Reste argumentationsbasierter Kommunikation aus den Köpfen zu spülen und ein Rauschen zu erzeugen, das Machtverhältnisse einer rationalen Verstehbarkeit entzieht und somit unsichtbar macht. Sie begünstigen eine Form der Kommunikation, bei der sich kaum noch ein Austausch von zumindest Argumentähnlichem beobachten lässt und die sich auf durch keine Verstandesakte gefilterten Äußerungen des je eigenen „gesunden Menschenverstandes“ beschränkt. Politische Kommunikation wird damit in noch stärkerem Maße Teil der für kapitalistische Demokratien unverzichtbaren Zerstreuungs- und Unterhaltungsindustrie.
Neil Postman hatte bereits darauf hingewiesen, wie grundsätzlich sich moderne Pannen des Demokratiemanagements von klassischen eines „Top-Down-Modell der ‚Propaganda‘ des frühen 20. Jahrhunderts“ (Philip Mirowski) unterscheiden: „Orwell fürchtete diejenigen, die Bücher verbieten. Huxley fürchtete, dass es eines Tages keinen Grund mehr geben könnte, Bücher zu verbieten, weil keiner mehr da ist, der Bücher lesen will.
Orwell fürchtete jene, die uns Informationen vorenthalten. Huxley fürchtete jene, die uns mit Informationen so sehr überhäufen, dass wir uns vor ihnen nur in Passivität und Selbstbespiegelung retten können. Orwell befürchtete, dass die Wahrheit vor uns verheimlicht werden könnte. Huxley fürchtete, dass die Wahrheit in einem Meer von Belanglosigkeiten untergehen könnte.“
Postman beschließt seine Analysen mit Worten, die heute als Gegenwartsdiagnose gültiger denn je sind: „Die Menschen in Schöne neue Welt leiden nicht daran, dass sie lachen, statt nachzudenken, sondern daran, dass sie nicht wissen, worüber sie lachen und warum sie aufgehört haben, nachzudenken.““
In die Kategorie der angesprochenen Werke von George Orwell und Aldous Huxley gehört auch Ray Bradburys „Fahrenheit 451“. Für diejenigen, die diese Werke nicht kennen: Michael Sommer hat dankenswerterweise „Kurzverfilmungen“ dieser Bücher gemacht:
https://www.youtube.com/watch?v=ibjmxKsGdto&list=PL13hpitRzSLOag_ZwFgdZH8NDu2smgxPS&index=3&t=0s
https://www.youtube.com/watch?v=SanejsIrgSc&list=PL13hpitRzSLOag_ZwFgdZH8NDu2smgxPS&index=4&t=0s
https://www.youtube.com/watch?v=clwbcFI5Zvo&list=PL13hpitRzSLOag_ZwFgdZH8NDu2smgxPS&index=5&t=0s
Machtausübung
Recht des Stärkeren
„Die psychische Machtausübung zielt darauf ab, sozusagen den Kopf in Ketten zu legen, durch Produktion geeigneter Ideologien und durch Manipulation des Denkens und Fühlens. Die physische Machtausübung folgt einer recht einfachen Logik: „Tue der Starke, was er könne, und erleide der Schwache, was er müsse.“ Dieses berühmte Zitat stammt aus dem Werk Der Peloponnesische Krieg des griechischen Historikers Thukydides, in dem er die Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Athen und Sparta beschreibt. Athen stand damals auf der Höhe seiner Macht und auch auf der Höhe seiner kulturellen Entwicklung. Innenpolitisch hatte Athen eine Form der partizipatorischen Demokratie erfunden und verwirklicht. Außenpolitisch betrieb es eine aggressive Hegemonialpolitik gegenüber den umgebenden Stadtstaaten und zwang sie in eine Organisationsform, die eine ähnliche Rolle spielte wie die NATO für die USA. Athen duldete - vergleichbar mit der Truman-Doktrin - keine neutralen Staaten in seiner Umgebung und stellte die benachbarten Stadtstaaten vor die Wahl: Unterwerfung oder Vernichtung. Melos, eine kleine Insel in der Ägäis, die seit 700 Jahren neutral war, bestand jedoch darauf, auch im Konflikt zwischen Athen und Sparta neutral zu bleiben. Die Melier konnten gute Gründe anführen, dass ihre Neutralität für Athen nicht von Nachteil sein würde. Sie hofften, diese Gründe auch den Athenern einsichtig machen zu können. Athen jedoch erklärte jede Form von Argumenten für belanglos und antwortete, dass Recht nur zwischen gleich starken Parteien gelten könne; ansonsten tue der Starke, was er könne, und erleide der Schwache, was er müsse. Danach belagerte Athen den Hauptort der Insel so lange, bis der Stadt die Vorräte ausgingen und sie sich unterwerfen musste; anschließend wurden alle männlichen Einwohner getötet und alle Frauen und Kinder versklavt. Der sogenannte Melierdialog legt beispielhaft die Grundmuster von Realpolitik offen: dass nämlich für Hegemonialmächte nur das Recht des Stärkeren gelten könne und somit moralische und rechtliche Fragen irrelevant seien.
Die grundlegenden Fragen finden sich also bereits in der Antike und sie sind bis heute geblieben. Das gilt auch für die beiden Kategorien von Machttechniken, nämlich psychische Machtausübung und physische Machtausübung. Sie wurden in der Kulturentwicklung von Gesellschaften mehr und mehr verfeinert und werden heute gelegentlich als „Soft Power“ und „Hard Power“ bezeichnet. Zur „Hard Power“ lassen sich neben militärischer auch ökonomische Macht oder soziale und ökonomische Verelendung zählen, auch wenn die Grenzen zur „Soft Power“ fließend sind.“
Soft Power
„Die Anwendung von „Hard Power“ hat aus Sicht der Herrschenden einen gewissen Nachteil, weil wir aufgrund unserer natürlichen moralischen Sensitivitäten dazu neigen, darauf mit Empörung und Auflehnung zu reagieren. Dies wiederum ist für die Herrschenden mit Kosten verbunden. Der einflussreiche amerikanische Politikwissenschaftler und Propagandatheoretiker Harold D. Lasswell hat dies 1930 in der Encyclopedia of the Social Sciences auf den Punkt gebracht: Meinungsmanagement ist „kostengünstiger als Gewalt, Bestechung oder irgendeine andere Kontrolltechnik“.
Daher wurde seit den historischen Anfängen versucht, Machttechniken zu entwickeln, mit denen sich unsere moralischen Sensitivitäten gleichsam unterlaufen lassen, die also weniger Widerstand im Volk aktivieren. Diese Machttechniken werden heute oft als „Soft Power“ bezeichnet; sie umfassen das gesamte Spektrum von Techniken, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Vermittlungsinstanzen für diese Formen der Machtausübung sind - unterstützt durch Stiftungen, Think-Tanks, Elitennetzwerke und Lobbygruppen - insbesondere private und öffentliche Medien, Schulen und der gesamte Erziehungs- und Ausbildungssektor sowie die Kulturindustrie. Die Wirkungen von „Soft-Power“-Techniken sind für die Bevölkerung weitgehend unsichtbar; es ist also kaum mit Protesten gegen diese Formen der Indoktrination zu rechnen.
Machtökonomische Gründe sprechen dafür, vorwiegend „Soft Power“ einzusetzen und diese Techniken auf der Basis einer wissenschaftlichen Erforschung unserer kognitiven und affektiven Eigenschaften für Manipulationszwecke zu verfeinern und zu optimieren. Dies ist in den vergangenen hundert Jahren in sehr systematischer und folgenreicher Weise geschehen.
Nur zwei Beispiele will ich hier stellvertretend für die umfangreiche Literatur nennen, mit der sich die Elite untereinander über diese Entwicklungen informiert: das 2005 erschienene Buch Soft Power von Joseph S. Nye und das 2009 erschienene Buch Nudge von Cass Sunstein und Richard H. Thaler. Nye ist ein einflussreicher Politologe, Politiker und Mitglied zahlreicher Think-Tanks. Seine Botschaft lautet: Die Zukunft der Macht liegt in „Soft Power“. Das Buch von Thaler - Verhaltensökonom, der unter anderem US-Präsident Barack Obama beraten hat - und Sunstein - Rechtswissenschaftler, Verfassungsrechtler und ebenfalls Obama-Berater - gibt einen Überblick über den Forschungsstand zu den Tücken und Fallen menschlichen Entscheidungsverhaltens. Die Kognitionsforschung hat eine Fülle von Belegen erbracht, die zeigen, dass Menschen von Natur aus ihre Entscheidungen nicht auf rein rationaler Grundlage treffen. Thaler und Sunstein argumentierten nun, dass Menschen - und damit ist vor allem das Volk gemeint - nur durch eine Portion List und einen geeigneten Schubser („nudge“) dazu gebracht werden können, rationale Entscheidungen zu treffen und ihnen daher die Eliten - die als solche selbstverständlich frei von den natürlichen Rationalitätsbeschränkungen des Menschen sind - bei allen komplizierteren Entscheidungen einen Schubs in die richtige Richtung geben müssten.
Es geht also bei „Soft Power“ letztlich um eine psychologische Kriegsführung gegen die Bevölkerung, die für die Bürger möglichst unsichtbar sein soll, indem sie natürliche Schwachstellen des menschlichen Geistes ausnutzt. Aus der Perspektive des Volkes ist das Problem, dass die herrschenden Eliten auf das in Universitäten und Think-Tanks angesammelte Wissen über diese Schwachstellen zugreifen können und daher über sehr viel mehr Wissen über uns, über unsere natürlichen Bedürfnisse, unsere natürlichen Neigungen und unsere Schwachstellen für eine Manipulierbarkeit verfügen als wir selbst. Da uns diese Schwachstellen selbst nicht bewusst sind, haben wir kaum eine Möglichkeit, uns gegen diese Manipulationen zu wehren.
Psychologie und Sozialwissenschaften sind in den USA seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts zu einer großen gesellschaftlichen Blüte gelangt, weil sie wesentlich zu der Erforschung dieser Manipulationsschwachstellen beitrugen. Dadurch wurden sie „mehr und mehr zu einem Instrument der Kontrolle der Massen und damit zu einer weiteren Bedrohung der Demokratie.“ Der große Soziologe C. Wright Mills stellte schon in den 1950er-Jahren in seinem Klassiker The Power Elite fest: „Der öffentliche Diskurs, der zur Demokratie gehört, ist mittlerweile ersetzt worden durch eine skrupellose psychologische Kriegsführung.“
Die Techniken dieser psychologischen Kriegsführung gegen die Bevölkerung sind in den seither vergangenen fünfzig Jahren in einer für den Einzelnen kaum noch überschaubaren Weise weiterentwickelt und verfeinert worden. Dadurch verfügen die Eliten über ein profundes und umfassendes Wissen über die Eigenschaften unserer Psyche und unseres Geistes, die sich für Manipulationen eignen, während das Manipulationsobjekt, das Volk, nicht einmal eine auch nur halbwegs angemessene Vorstellung davon hat, welche Schwachstellen des menschlichen Geistes in welcher Weise von den Eliten für eine Manipulation von Meinungen und Gefühlen genutzt werden.“
Aufstandsbekämpfung
„Methoden der Aufstandsbekämpfung als militärische Einsätze unterhalb der Kriegsschwelle, bilden heute den bedeutendsten und umfassendsten Bereich von Interventionsmethoden und übertreffen die klassische Kriegsführung weit an Bedeutung. Sie umfassen die Methoden, die auch nach offizieller Definition von Terrorismus als Terrorismus anzusehen sind: unrechtmäßige Gewaltakte, um durch Angsterzeugung politische oder ideologische Ziele zu erreichen. Im Falle der Aufstandsbekämpfung nennt sich diese Form des Terrorismus jedoch Antiterrorismus. Antiterrorismus und Terrorismus unterscheiden sich also nur dadurch, ob entsprechende Gewaltakte von uns, der westlichen Wertegemeinschaft, oder von unseren Feinden begangen werden. Der Begriff Terrorismus ist ein zutiefst ideologisch getränkter Begriff. Dies gilt gleichermaßen für den Begriff Aufstandsbekämpfung. Auch hier ist es wichtig, seine stillschweigenden Prämissen aufzudecken: Das Wort „Aufständische“ impliziert stets die Perspektive der jeweiligen herrschenden Ordnung. Aufständische werden diejenigen genannt, die die Stabilität einer von uns gewünschten Ordnung bedrohen; als Freiheitskämpfer hingegen werden diejenigen bezeichnet, die die Stabilität einer von uns nicht gewünschten Ordnung bedrohen.
Die Methoden der Aufstandsbekämpfung umfassen ein breites Spektrum von Methoden, zu deren Verfeinerung auch der universitäre Bereich beizutragen sucht. Neben „information operations“, Methoden zur Kontrolle der öffentlichen Meinung, beinhalten sie ein großes Arsenal von Methoden der Repression, durch die sich die Bevölkerung kontrollieren und disziplinieren lässt.
Die blutigen Formen der Aufstandsbekämpfung werden von speziellen Einheiten übernommen, etwa von der CIA oder den zahlreichen Einheiten des Joint Special Operation Command. In der New York Times erschien am 7. Juni 2015 unter der Überschrift „A Secret History of Quiet Killings and Blurred Lines“ ein ausführlicher Bericht über diese Einheiten der Aufstandsbekämpfung, die als „global manhunting machine“ bezeichnet wurden. Bereits das Wenige, was über sie ans Licht gekommen ist, zeigt eine lange Bilanz von „killing fests“, von Schlachtfesten an Zivilisten. Diese Einheiten verfügen, laut Jeremy Scahill, dem Autor des Buches Blackwater. Der Aufstieg der mächtigsten Privatarmee der Welt, über einen Jahresetat von 8 Milliarden Dollar.
Der Artikel der New York Times hatte zwar einige kurzzeitige Empörungsreaktionen hervorgerufen, doch zugleich die Bürger in der Überzeugung bestärkt, dass in „unserer Demokratie“ letztlich alles ans Licht komme und somit kein Grund zu einer ernsthaften Beunruhigung bestehe. Zudem bettet der Bericht die Darstellung dieser Verbrechen wieder in den üblichen Kontext bedauerlicher Einzelfälle ein und verdeckt durch eine geschichtliche Fragmentierung die lange Tradition derartiger Einheiten.
Die blutigen Methoden der Aufstandsbekämpfung wurden vor allem im Vietnamkrieg erprobt, etwa durch die Tiger Force, eine amerikanische Spezialeinheit. Dennoch ist die Kontinuität dieser Methoden für das öffentliche Bewusstsein praktisch unsichtbar.
Beispielsweise wurden im Rahmen der Operation Phoenix der CIA in Vietnam zwischen 1965 und 1972 mehr als 40.000 Zivilisten - überwiegend Frauen und Kinder - ermordet. Darüber wurde auch in deutschen Leitmedien, etwa im Spiegel vom 16. April 2004, berichtet. Bernd Greiner schreibt in seinem Buch Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam: „Sieben Monate lang zog die Tiger Force eine Blutspur durch Qang Tin und das Song Ve-Tal. Sie erschossen ohne jeden Anlass Bauern im Feld und mordeten Menschen, die ihnen zufällig über den Weg liefen, folterten Gefangene und führten sie einzeln oder in Gruppen zur Exekution, fielen spätabends oder am frühen Morgen in Dörfer ein und streckten mit Maschinengewehren alle nieder, derer sie habhaft werden konnten - Bauern, die sich zum Essen versammelt hatten oder schliefen, Kinder, die im Freien spielten, Alte beim Spaziergang ... Sie stahlen und brandschatzten, prügelten ihre Opfer zu Tode oder vergewaltigten sie bis zur Bewusstlosigkeit, sie erschossen Bewohner, die kurz zuvor abgeworfene Flugblätter in Händen hielten und der Aufforderung zur Evakuierung nachkommen wollten, sie veranstalteten „Zielschießen“ auf Personen, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielten. Sie verschonten weder Verwundete noch Kranke, schossen aus der Distanz mit der M-16 wie aus nächster Nähe mit Handfeuerwaffen.“
Eine Bekämpfung von Menschen, die sich unseren Idealen nicht unterwerfen wollen, hat eben ihren Preis. Niemand von diesen Einheiten ist für diese Verbrechen juristisch zur Rechenschaft gezogen worden. Die geschichtliche Kontinuität der damaligen und der heutigen Formen der „Aufstandsbekämpfung“ bleibt bei Darstellungen in den Massenmedien, wie bei dem New York Times-Bericht, infolge der Fragmentierung und historischen Dekontextualisierung für die Öffentlichkeit unsichtbar.“
Aufstandsentfachung
„Eine gänzlich andere Strategie wird hingegen verfolgt, wenn sich Aufstände gegen eine der westlichen Wertegemeinschaft missliebige Regierung richten. Dann sprechen wir bei Aufständen, die versprechen, einen geeigneten Systemwechsel herbeizuführen, davon, dass diese den Freiheitswillen der Bevölkerung widerspiegeln und daher im Sinne einer „democracy promotion“ nach Kräften zu fördern sind.
Ein Systemwechsel auf einem Wege zu erreichen, der keiner militärischen Gewalt bedarf und zudem aus der Mitte des Volkes zu kommen scheint, hat für die USA gegenüber den in den vergangenen Jahrzehnten dutzendfach von der CIA durchgeführten oder initiierten Militärputschen und Staatsstreichen eine Reihe von Vorteilen. Verdeckt inszenierte Systemwechsel sind nicht nur kostengünstiger, sondern haben auch in der westlichen Öffentlichkeit und im internationalen Staatenverbund eine vielfach höhere Akzeptanz als Putsche. Ein Regime, das vordergründig auf gewaltfreiem Wege und als vorgeblicher Ausdruck des Volkswillens an die Macht gekommen ist, gilt damit bereits als demokratisch legitimiert.
Für die Unterstützung verdeckt inszenierter Systemwechsel gibt es finanzstarke Netzwerke privater und gemeinnützig genannter Organisationen, die sich der „Förderung“ von Demokratie und Menschenrechten in Ländern widmen, die sich dem westlichen Werteverständnis gegenüber nicht hinreichend aufgeschlossen zeigen. Eine der einflussreichsten dieser Organisationen ist das National Endowment for Democracy (NED) sowie durch das NED geförderte private NGOs wie Freedom House und das Open Society Institute von George Soros. Dankenswerterweise machte NEDs Expräsident Allen Weinstein im Jahr 1991 die Kontinuität in den Aktivitäten dieser Organisationen und den durch die CIA organisierten Putschen deutlich: „A lot of what we do today was done covertly 25 years ago by the CIA.“ Und in der Tat kann das NED auf eine lange Liste gewaltfrei etablierter autoritärer, doch US-freundlich gesinnter Regime, vor allem in Mittel- und Südamerika, verweisen. Gegenwärtig liegt sein Schwerpunkt auf einer entsprechenden „democracy promotion“ in Osteuropa.
Zudem werden all diese Aktivitäten zur Förderung hegemonialer Interessen durch global agierende und hochgradig spezialisierte Propagandafirmen begleitet, die sich selbst „PR-Agenturen“ nennen. Alle US-Interventionen der vergangenen Jahrzehnte sind durch derartige Firmen propagandistisch vorbereitet und begleitet worden. Diese Firmen sind trotz ihres großen Einflusses auf die Massenmedien für die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar, beispielsweise Hill & Knowlton Strategies, berühmt durch die Brutkastenlüge von 1990, wonach irakische Soldaten kuwaitische Säuglinge ermordet hätten sowie Burson-Marsteller oder Rendon Group. Sie haben global mit beträchtlichem Erfolg gezeigt, dass sie der Öffentlichkeit nicht nur Kriege verkaufen können, sondern auch die politisch gewünschte Realität.
Dieser politische Kontext einer Kontinuität über viele Jahrzehnte ist für die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar, da die Massenmedien diese Kontinuität so in Einzelfälle fragmentieren, dass jeder einzelne Fall so erscheint, als ginge es bei einer militärischen Intervention vor allem um die Förderung von Demokratie und Menschenrechten und als sei es bei Aufständen in Osteuropa oder in überwiegend islamischen Ländern einzig und allein das Volk, das sich hier Ausdruck verschafft, um genau den von uns erstrebten Systemwechsel zu erreichen.“
Die Ideologie eines „benevolenten Imperiums“
„Das erste Beispiel ist die Idee eines „benevolenten Imperiums“, das heißt dessen Handeln also von einem selbstlosen Wohlwollen getragen ist. Eine solche Idee erweist sich zwar bereits bei einem Blick in die Geschichte als eine Absurdität, doch kann man mit hinreichenden propagandistischen Anstrengungen auch Absurditäten als Selbstverständlichkeiten erscheinen lassen. Die Vorstellung von den USA als ein „benevolentes Imperium“ und von einer „wohlwollenden Hegemonie“ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa, vor allem in Deutschland, in gezielter und systematischer Weise fest im öffentlichen Bewusstsein verankert. Die Vermittlung dieser Ideologie wurde strategisch angelegt und betrieben. Dabei spielte der Council of Foreign Relations (CFR) eine zentrale Rolle. Der CFR ist weltweit der wohl einflussreichste private Think-Tank und hat in den USA seit jeher eine herausragende Funktion im Formulierungsprozess außenpolitischer Strategien.
Der CFR forderte 1949 ein „information-propaganda-cultural program“, durch das sich die „Völker im Ausland davon überzeugen lassen, dass unsere Motive gut sind.“ Ein Jahr später nahm in Europa - und besonders in Deutschland - der zu diesem Zweck gegründete Kongress für kulturelle Freiheit seine Aktivitäten zur entsprechenden Formung der öffentlichen Meinung auf.
Der von der CIA finanzierte und organisierte Kongress für kulturelle Freiheit (Congress for Cultural Freedom, CCF) bildete von 1950 bis in die 1970er-Jahre das Kernstück einer propagandistischen Kampagne, die dazu diente, die westeuropäische Öffentlichkeit an den „American Way of Life“ und die US-Weltsicht heranzuführen und von der grundlegenden „Benevolenz“ der USA zu überzeugen. Dazu bediente er sich eines breiten und weitverzweigten Netzwerkes von Journalisten, Intellektuellen, Wissenschaftlern, Politikern, Geheimdienstmitarbeitern und Wirtschaftsvertretern. Die britische Journalistin Frances Stonor Saunders (2001) schreibt in ihrem Standardwerk über den CCF: „Ob es ihnen gefiel oder nicht, ob es ihnen bewusst war oder nicht: Es gab nach dem Krieg in Europa nur wenige Schriftsteller, Dichter, Künstler, Historiker, Naturwissenschaftler oder Kritiker, deren Namen nicht auf irgendeine Weise mit diesem geheimen Projekt in Verbindung zu bringen sind. Ungehindert und unentdeckt konnte Amerikas Spionagenetzwerk im Westen über zwanzig Jahre lang eine höchst ausgefeilte, stark subventionierte kulturelle Schlacht führen - eine Schlacht für den Westen, und das im Namen der Meinungsfreiheit.“
Da nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Ideologie eines „Kampfes gegen den Kommunismus“ keine ausreichenden Möglichkeiten mehr bot, imperialistische Motive zu verschleiern, mussten diese imperialistischen Motive nun verstärkt durch eine propagandistische Betonung eines moralischen Idealismus der USA verbrämt werden. Zum einen erklärten sich die USA zu einem Imperium und zur einzigen globalen Supermacht, mit einer Macht, so Robert Kagan, der zu den bekanntesten Neokonservativen in den USA zählt, „weit größer als sie seit dem Römischen Reich je eine Nation besessen hat“. Und der Politikwissenschaftler Joseph Nye betonte: „Seit Rom hat sich keine Nation so aus den anderen herausgehoben.“ Zum anderen beanspruchten die USA, nicht lediglich ein Imperium zu sein; vielmehr seien sie, so der einflussreiche Publizist Charles Krauthammer, ein „einzigartig gutartiges Imperium; das ist kein bloße Selbst-Beglückwünschung, es ist eine Tatsache“. Bill Clinton nannte die USA die „world's greatest force for peace and freedom“ (28. April 1996). Barack Obama drückte seine exzeptionalistischen Überzeugungen mit den Worten aus: „this country is still the last best hope on earth“ (9. April 2007). Und Hillary Clinton nannte die USA „das großartigste Land, das je in der Geschichte geschaffen wurde“, „the greatest country that has ever been created on the face of the earth for all of history“ (25. Juli 2016). Dies sind keine Einzelstimmen, sondern sie bezeichnen die ideologischen Kernüberzeugungen US-amerikanischer Identität.“
NGOs und die säkularen Missionare der westlichen Wertegemeinschaft
„Zahlreiche NGOs, wie zum Beispiel die Open Society Foundations von George Soros, Chatham House oder die Foreign Policy Initiative, ein neokonservativer Think-Tank, die unter dem Mantel der Förderung von Demokratie und Menschenrechten wirtschaftliche und politische Interessen verschiedener Gruppierungen der Machteliten vertreten, sind äußerst finanzstark, haben immensen politischen Einfluss und sind niemandem außer ihren Geldgebern rechenschaftspflichtig. Ein prominentes Beispiel ist die Bill & Melinda Gates Foundation, die finanzstärkste Stiftung der Welt - in ihrer Selbstbeschreibung: „ungeduldige Optimisten, die daran arbeiten, Ungerechtigkeit zu verringern“. Jedoch lassen sich häufig hinter solch philanthropischer Rhetorik wirtschaftliche Partikularinteressen ausmachen sowie Abhängigkeiten von staatlichen und privatwirtschaftlichen Fördermitteln. Solche „fake NGO“ sind in besonderer Weise geeignet, in praktisch unsichtbarer Weise wirtschaftliche Macht in politische Macht zu transformieren. Dadurch können sie - ohne in ihrem politischen Einfluss öffentlich sichtbar und rechenschaftspflichtig zu sein – einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des Status quo der Machteliten leisten und eine Art globales ideologisches Sicherheitsnetz für die jeweiligen Machteliten bilden.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den Bemühungen der USA, einen geeigneten Systemwechsel herbeizuführen, ist Russland ein bevorzugtes Operationsfeld für US-geförderte NGOS. Mit dem „Russian Democracy Act of 2002“ intervenierten die USA ganz offiziell in innerrussische Angelegenheiten und förderten 65.000 NGOs in Russland. Bis dahin hatten sie bereits - vor allem über die Agency for International Development (USAID) - mehr als 20 Milliarden Dollar in eine Förderung der freien Marktwirtschaft in Russland gesteckt. Auch diese Interventionen waren natürlich von einem selbstlosen Wohlwollen getragen und dienten der Förderung von „Demokratie, Good Governance und Antikorruptionsprogrammen in der Russischen Föderation, um die demokratische Regierung und die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien in diesem Land zu fördern und zu stärken“. Wobei zu ergänzen ist, dass mit „Demokratie“ „amerikanische Demokratie“ gemeint ist, also eine Form der Demokratie, die durch regelmäßige Wahlen gekennzeichnet ist und in der ansonsten die wirtschaftlichen und politischen Interessen von US-Machteliten nicht beeinträchtigt werden. Wie stets reichen auch hier einfache Symmetriebetrachtungen aus, um den ideologischen Gehalt solcher Demokratierhetorik zu entlarven: Man stelle sich die Reaktion der USA vor, wenn Russland in einem vergleichbaren Umfang NGOs in den USA unterstützen würde, die sich der Förderung von „Demokratie, Good Governance und Antikorruptionsprogrammen in den USA“ widmen.
Die Vorstellung, die USA seien ein „benevolentes Imperium“, und Ausdruck dieser Benevolenz sei die weltweite Förderung der „amerikanischen Demokratie“ gehört zu den wohl erfolgreichsten Tiefenindoktrinationen der Geschichte. Sie wird praktisch stillschweigend und als eine Art Selbstverständlichkeit bei der Interpretation der außenpolitischen Aktivitäten der USA zugrunde gelegt und ist damit als Ideologie nicht einmal mehr erkennbar.“
Kampf gegen den Terror
„Der sogenannte „Kampf gegen den Terror“ ist ein konstitutiver Teil der Geschichte der USA und diente immer wieder dazu, das grundlegende Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Kapitalismus zu verdecken. Seit jeher richtet sich dieser „Kampf gegen den Terror“ innenpolitisch gegen jede Art fundamentaler Opposition und außenpolitisch gegen praktizierte Alternativen zum US-Kapitalismus. In der Zeit von 1918 bis 1921 fand er seinen Ausdruck in einer Hetzkampagne gegen US-Bürger und Einwanderer, denen eine kommunistische und sozialistische Einstellung unterstellt wurde. Nach einem Bombenanschlag auf die Wall Street 1920 wurde der „Kampf gegen den Terror“ zu einer antikommunistischen Hysterie und einer Angsterzeugung vor „Bolschewiken“ verschärft, eine Periode, die auch als „Rote Angst“ („red scare“) bezeichnet wird.
In den gegen politische Radikale, Anarchisten, Sozialisten und Kommunisten organisierten sogenannten Palmer-Razzien, der größten Massenverhaftungsaktion in der US-Geschichte, wurden über 10.000 Menschen inhaftiert. Diese Kampagnen und Verfolgungen wurden als Kampf gegen radikale Arbeiterbewegungen fortgeführt und gipfelten 1927 im Justizmord an Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti, zwei Mitgliedern der anarchistischen Arbeiterbewegung.
Die zweite Periode eines Kampfes gegen die „rote Gefahr“, auch als McCarthy-Ära bezeichnet, lag in der Zeit von 1947 bis 1957. Prominentes außenpolitisches Beispiel für den „Kampf gegen den Terror“ war der 1954 von der CIA unter der Bezeichnung PBSUCCESS herbeigeführte Staatsstreich gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas, durch den das Land in einen vier Jahrzehnte währenden Militär-Terror und Bürgerkrieg gestürzt wurde. Dies wurde von der US-Regierung als beispielloser Erfolg im „Kampf gegen den Terror“ angesehen und machte die CIA-Aktion zum Vorbild für weitere „regime change“-Aktivitäten in Lateinamerika und bis zum heutigen Tage in vielen Ländern weltweit.
Die systematische Erzeugung von Angst durch Deklarieren eines Kampfes gegen den Terror hatte sich also bereits in vielen Jahrzehnten als Machttechnik gut bewährt, als US-Präsident Ronald Reagan 1984 den „Kampf gegen den Terrorismus“ ausrief und mit dem Kampf für „Demokratie und Menschenrechte“ seinen höchst aggressiven außenpolitischen Kurs ideologisch zu rechtfertigen suchte, bei gleichzeitiger Einführung und Durchsetzung einer radikal neoliberalen Wirtschaftspolitik. Von dieser Politik eines „Kampfes gegen den Terrorismus“ haben sich viele Länder, insbesondere Mittelamerikas, bis heute nicht erholt. In Mittelamerika ist sie zweifellos eine der Ursachen gegenwärtiger Flüchtlingskrisen.
Zudem erweiterte Reagan das von der CIA durchgeführte Programm zur Finanzierung der Dschihad-Kämpfer in Afghanistan - eine Kontinuität der Förderung eines politisch radikalisierten Islam, die bis heute andauert und mit der die USA gerade jene islamistischen Terrororganisationen aktiv hervorgebracht und unterstützt haben, die zu bekämpfen sie vorgeben.
Um den Terror aus der Welt zu schaffen, haben die USA und ihre Helfershelfer Millionen Zivilisten umgebracht, zig Millionen Menschen in ihren eigenen Ländern zu Flüchtenden gemacht und mehr als ein halbes Dutzend arabische Staaten in Schutt und Asche gelegt. Diese Anstrengungen, das Böse aus der Welt zu schaffen, haben dazu geführt, dass die USA seit Langem in einer globalen Umfrage nach der anderen wohl zu Recht als der Staat angesehen werden, der die größte Bedrohung für den Weltfrieden darstellt. Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter bezeichnete - am 14. April 2019 - die USA als „die kriegerischste Nation der Weltgeschichte“ („the most warlike nation in the history of the world“); in ihrer 242-jährigen Geschichte hätten die USA nur in insgesamt 16 Jahren keinen Krieg geführt.
Im Rahmen ihres „Kampfes gegen den Terror“ haben die USA seit 2001 eine gigantische Umverteilung durchgeführt, bei der mehr als 5.000 Milliarden Dollar an Steuergeldern überwiegend in die Kriegs- und Sicherheitsindustrie geflossen sind. Sie haben das Völkerrecht außer Kraft gesetzt, Bürgerrechte massiv eingeschränkt, den Überwachungsstaat ausgebaut und Folter und massenhafte gezielte Tötungen von Zivilisten wieder zur normalen politischen Praxis gemacht - alles mit Duldung, Billigung oder gar dem Beifall weiter Teile der Medien. Diese „Erfolgsgeschichte“ sollte bereits deutlich machen, dass der „Kampf gegen den Terror“ in einer langen Kontinuität imperialer Interessen steht und dass es bei dem ausgerufenen Kampf gegen den Terror um alles Mögliche geht, nur nicht um einen Kampf gegen den Terror.
Der sich zu einer realpolitischen Denkrichtung zählende einflussreiche Politikwissenschaftler und Politikberater Zbigniew Brzezinski hat die tatsächliche Bedeutung des Begriffs „Kampf gegen den Terror“ in ideologischer Nüchternheit offengelegt: „Der Ausdruck selbst ist bedeutungslos. Er definiert weder einen geographischen Kontext noch unsere vermeintlichen Feinde. Der Terrorismus ist kein Feind, sondern eine Technik der Kriegsführung - politische Einschüchterung durch die Tötung unbewaffneter Nicht-Kombattanten ... die Unbestimmtheit des Satzes ist von ihren Urhebern beabsichtigt ... Die ständige Bezugnahme auf einen ‚Krieg gegen den Terror‘ hat ein zentrales Ziel erreicht: Sie förderte die Entstehung einer Kultur der Angst. Angst verdunkelt die Vernunft, verstärkt Emotionen und erleichtert es Politikern, die Öffentlichkeit für genau die Politik zu mobilisieren, die sie betreiben wollen.“ Brzezinski spricht von einer „nationalen Gehirnwäsche zum Thema Terror“.
Bei einem von oben verordnetem „Kampf gegen X“ geht es nie um das, was als zu bekämpfen deklariert wird. Es geht nicht darum, den Terror aus der Welt zu schaffen, Desinformation und fake news zu beseitigen, Populismus zu bekämpfen oder Rassismus zu bekämpfen. Denn all dies sind Übel, derer sich die Regierungen, die der Bevölkerung einen Kampf gegen X verordnen, in der täglichen politischen Routine ihrer Machtpolitik ausgiebig bedienen. Terror lässt sich am wirksamsten bekämpfen, wenn man selbst auf ihn verzichtet, Desinformation lässt sich am glaubwürdigsten bekämpfen, wenn man selbst darauf verzichtet. In einem Kampf gegen X geht es gar nicht um X; vielmehr wird die Verwerflichkeit und Destruktivität eigenen politischen Handelns auf den vermeintlichen oder tatsächlichen Feind projiziert, um politisch nutzbare Angst in der Bevölkerung zu erzeugen. All das, was hier als Kampf gegen eine Bedrohung verkauft wird, darf gar nicht erfolgreich sein, weil sein Erfolg für die ökonomischen und politischen Zentren der Macht gerade darin liegt, nicht erfolgreich zu sein und als Mittel der Angsterzeugung und Herrschaftssicherung erhalten zu bleiben.“
Begeisterte Kriegsunterstützer
„Um einen instruktiven historischen Fall, der zudem eng mit der Entstehungsgeschichte von Techniken systematischer Propaganda verbunden ist, handelt es sich bei dem 1917 gegründeten Committee on Public Information, nach dem Vorsitzenden auch Creel-Kommission genannt, in der auch Edward Bernays Mitglied war. Diese Kommission hatte den Auftrag, die Zustimmung der Bevölkerung für den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg ab 1917 zu gewinnen. Das amerikanische Volk war damals ausgesprochen kriegsunwillig, und Woodrow Wilson hatte die Präsidentschaftswahl 1916 mit einer „Friedensplattform“ und dem Versprechen sozialdemokratischer Arbeitsgesetze sowie strikter Neutralität zum europäischen Krieg gewonnen. Nachdem der uneingeschränkte U-Boot-Krieg des Deutschen Reiches von den USA zum Anlass genommen worden war, 1917 in den Krieg einzutreten („the war to end all wars“), sollte die Bevölkerung in möglichst kurzer Zeit für eine Kriegsunterstützung gewonnen werden. Das war für die damals erst in den Anfängen ihrer systematischen Entwicklung stehende mediale Propagandamaschinerie eine große Herausforderung. Ein zentraler Aspekt zur Lösung des Problems wurde durch den Politikwissenschaftler und Kommunikationstheoretiker Harold Lasswell so auf den Punkt gebracht: „Die psychologischen Widerstände gegen Krieg sind in modernen Nationen so groß, dass jeder Krieg als ein Verteidigungskrieg gegen einen bedrohlichen, mörderischen Aggressor erscheinen muss. Es darf keine Zweifel darüber geben, wen die Öffentlichkeit zu hassen hat.“
Die von der Creel-Kommission entworfene und orchestrierte Kampagne erwies sich durch Einsatz von flächendeckender Propaganda und Falschnachrichten zur Erzeugung von Hass, extremem Nationalismus und Patriotismus sowie durch massive Produktion von Falschnachrichten als ausgesprochen effektiv. Zugleich versicherte die Kommission, dass ihre Aktivitäten keineswegs Propaganda seien, sondern „simple, straightforward presentation of facts“.
Innerhalb kürzester Zeit ließ sich die zuvor kriegsunwillige Bevölkerung in begeisterte Kriegsunterstützer verwandeln und zeigte zudem eine große Bereitschaft, jede Art von Friedensaktivitäten zu diffamieren.“
https://www.youtube.com/watch?v=aK1eUnfcK4Q
Neoliberalismus
Real existierender Neoliberalismus
„Gesellschaft und Wirtschaft stehen im Kapitalismus in einem besonderen Spannungsverhältnis. In kapitalistisch organisierten Bereichen basieren Entscheidungen vorrangig auf Prinzipien einer Nutzen- und Gewinnmaximierung und folgen dem Prinzip des Eigennutzens. In Gesellschaften, in denen die Wirtschaft gesellschaftlich eingehegt ist, sind zentrale Bereiche, wie Ausbildung, Gesundheitswesen, Sozialversorgung, Alterssicherung, Umweltschutz etc., den kapitalistischen Marktkräften entzogen. Ihre Organisationsformen basieren auf vielfältigen Handlungsmotiven jenseits von Konkurrenz und materiellem Egoismus und unterliegen Kriterien, die sich nicht auf ökonomische reduzieren lassen. Da der Kapitalismus eine immanente Tendenz zu einer Ökonomisierung aller menschlichen Verhältnisse aufweist, durch die soziale und ökologische Lebensgrundlagen von einer Zerstörung bedroht werden, muss gesellschaftlich sichergestellt werden, dass die Marktkräfte kontinuierlich eingehegt werden und sich innerhalb der Gesellschaft nicht verselbständigen.
Eine derartige gesellschaftliche Einhegung gelang in der Nachkriegszeit eine Zeit lang und erwies sich sogar – durch eine unwiederholbare Konstellation günstiger Wirkfaktoren - als Motor des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Wohlstandssteigerung.
Anfang der 1970er-Jahre führten jedoch weltweit Wirtschaftskrisen und eine mit ihnen einhergehende Rezession und Massenarbeitslosigkeit dazu, dass sich das Kapital mit einem Verweis auf einen globalen Wettbewerb von nationalen Beschränkungen und Regelwerken zu befreien und seine Rentabilität durch Ausweitung der Marktkräfte auf alle Bereiche innerhalb der Gesellschaft und auf andere geografische Bereiche durch ein global mobil gemachtes Finanzkapital zu steigern suchte. Diese Transformationsprozesse, die seit mehr als vier Jahrzehnten die gesellschaftlichen Entwicklungen in westlichen Demokratien bestimmen und die historisch aus sehr unterschiedlichen Quellen hervorgegangen sind, werden - aus pragmatischen oder aus systematischen Gründen unter der Bezeichnung „Neoliberalismus“ zusammengefasst. Diese Bezeichnung entzieht sich jedoch einer klaren Bestimmung. Der Begriff „Neoliberalismus“ bezeichnet weder eine kohärente ökonomische Theorie noch ein klar bestimmbares System von politischen Praktiken. Für eine Beschreibung und für ein theoretisches Verständnis tatsächlicher neoliberaler Transformationsprozesse ist es sinnvoller, vom „real existierenden Neoliberalismus“ zu sprechen. Der real existierende Neoliberalismus ist ein äußerst wirkmächtiges Transformationsprojekt ökonomischer Eliten, das seit mehreren Jahrzehnten global das Beziehungsgeflecht von Wirtschaft, Gesellschaft und Individuum grundlegend neu gestaltet.
Das Konglomerat unterschiedlicher neoliberaler Positionen und Praktiken weist jedoch in einem Punkt eine hohe Kohärenz aus, nämlich in seinem kompromisslosen Bemühen, dem gesellschaftlichen Projekt der Aufklärung ein für alle Mal ein Ende zu bereiten und grundlegende Konzepte der Aufklärung, insbesondere Vernunft, Freiheit und Autonomie, als Mythen zu entlarven. Damit wäre auch emanzipatorischen Gesellschaftskonzeptionen ein für alle Mal das Fundament entzogen. Bereits in seinen historischen Anfängen in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts war das neoliberale Projekt, etwa bei Ludwig von Mises, Walter Lippmann oder Friedrich August von Hayek, explizit als eine Konterrevolution gegen emanzipatorische Errungenschaften der Aufklärung konzipiert worden. Das neoliberale Projekt lässt sich daher nicht verstehen, wenn man es lediglich als ein politisches Projekt betrachtet, durch das die Rentabilität des Kapitals gesteigert und die Macht der besitzenden Klasse wiederhergestellt werden soll. Es zielte vielmehr von Beginn an auf eine Uminterpretation und Umgestaltung aller gesellschaftlichen Verhältnisse. Daraus wird auch verständlich, dass sich das von ihm zugrunde gelegte Menschenbild radikal von dem Menschenbild der Aufklärung unterscheidet.
Auch wenn also der Neoliberalismus sehr viel mehr ist als nur eine ökonomische Konzeption, so basiert er gleichwohl auf einer der Ökonomie entnommenen Kerndoktrin des sogenannten freien Marktes. Diesem schreibt er die Eigenschaft zu, alle gesellschaftlich verfügbaren Informationen in rationaler und optimaler Weise integrieren zu können und dadurch angesichts der Komplexität der modernen Gesellschaft die einzig rationale und effiziente Form gesellschaftlicher Problemlösungen zu verkörpern. Wenn man also das Wirken des Marktes seiner Eigengesetzlichkeit überlasse, könne er gar nicht anders als optimal funktionieren und würde gleichsam alle menschlichen Bemühungen um eine rationale Erfassung gesellschaftlicher Phänomene ersetzen. Politische Entscheidungen müssten sich daher nach den Wirkkräften des Marktes richten und bestünden im Wesentlichen darin, Hindernisse für das freie Wirken des Marktes abzubauen. Da demokratische Strukturen und traditionelle Formen demokratischer Konsensfindung zu Marktbeschränkungen führen könnten und das Wirken der „Rationalität“ des „freien Marktes“ gefährdeten, seien sie als Marktstörungen zu betrachten. Seit ihren historischen Anfängen ist die neoliberale Ideologie also radikal antidemokratisch und befürwortet seit jeher autoritäre Herrschaftsstrukturen zur Durchsetzung und Aufrechterhaltung „freier Märkte“.
Es stellt ein charakteristisches Merkmal des Neoliberalismus dar, dass seine ideologische Rhetorik vor allem als Mittel zur Beeinflussung der Öffentlichkeit gedacht ist und sich seine Praktiken nicht mit seiner Ideologie in Einklang bringen lassen. Die neoliberale ideologische Fiktion „freier Märkte“ hat nur wenig mit den tatsächlichen Zielen und Praktiken des real existierenden Neoliberalismus zu tun. Vielmehr wird durch diese Praktiken auf komplexe Weise erst das konstituiert, was als „Markt“ bezeichnet wird. Dem neoliberalen Projekt ging es also tatsächlich gerade nicht darum, Märkte zu schaffen, die sich selbst regulieren, Grenzen zwischen Staaten abzuschaffen oder die Macht von Nationalstaaten zu reduzieren. Es ging und geht ihm vielmehr darum, Nationalstaaten - unter ideologischen Schlagwörtern wie Globalisierung, Flexibilisierung und Deregulierung - so umzubauen, dass dadurch geeignete institutionelle Rahmenbedingungen für einen globalen Konzern- und Finanzkapitalismus geschaffen werden und zugleich der globale Kapitalismus gegen jede Form demokratischer Bedrohungen geschützt wird. Folglich ist der real existierende Neoliberalismus auf einen geeignet umorganisierten starken Staat angewiesen, der die Rahmenbedingungen für die von ihm angestrebten Transformationsprozesse schafft und gegen demokratische Eingriffe absichert. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört:
a) die Schaffung eines rechtlichen Rahmens, durch den der „freie Markt“ demokratischer Kontrolle entzogen wird
b) die Sicherung der Eigentumsordnung und der Schutz vor demokratisch legitimierten Mechanismen, durch die die Vermögensverteilung zu Ungunsten der besitzenden Klasse verändert werden könnte
c) die Schaffung von Möglichkeiten zur Erzielung von leistungsfreien und nur gering besteuerten Einkommen
d) die Ausweitung von Möglichkeiten, mit denen sich die Kriminalität der besitzenden Klasse verrechtlichen lässt
e) die Bereitstellung öffentlicher Subventionen zur „Sicherung“ eines „freien Marktes“, die Bereitstellung von Mitteln zur globalen Sicherung hegemonialer Interessen etc.“
Liberaler Kopf auf autoritärem Körper
„Die von Neoliberalismus erstrebte „Freiheit des Marktes“ ist also nur durch eine permanente Intervention der Nationalstaaten zu garantieren.
Zugleich benötigt der Neoliberalismus einen starken Staat, um das durch seine Folgen entstehende gesellschaftliche Veränderungs- und Empörungspotential zu neutralisieren, also um Dissens zu kontrollieren, einzuhegen und notfalls auch gewaltsam zu bekämpfen und um die ökonomisch „Überflüssigen“ zu disziplinieren. Der Neoliberalismus produziert im Übermaß ökonomisch Überflüssige, also Menschen, die nicht mehr für kapitalistische Verwertungsprozesse von Nutzen sind, da ihm die Korrektur- und Anpassungsmechanismen des klassischen Kapitalismus in der globalen Konkurrenz um höchste Profitraten abhandengekommen sind. Diese wachsende Masse der Überflüssigen muss politisch neutralisiert, also diszipliniert werden, wozu nun alte Techniken intensiviert, verfeinert und angepasst werden müssen. Folglich zielt der Neoliberalismus auf die Schaffung eines gewährenden schwachen Staates für Reiche und Konzerne und zugleich auf die Schaffung eines starken disziplinierenden Staats für die Bevölkerung. Der französische Sozialanthropologe Loic Wacquant bezeichnet den neoliberalen Staat daher als „Centaurenstaat“, „ein liberaler Kopf auf einem autoritären Körper“. „Die ‚unsichtbare Hand‘ des Marktes für unsichere Arbeitsverhältnisse findet ihre institutionelle Entsprechung in der ‚eisernen Hand‘ des Staates, der bereitsteht, die Unruhen, die aus der zunehmenden Verbreitung sozialer Unsicherheit resultieren, unter Kontrolle zu halten.“
Einbettung der Gesellschaft in die Wirtschaft
„Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi hatte bereits 1944 in seinem Klassiker The Great Transformation auf die zerstörerische Wirkung einer „Transformation der natürlichen und menschlichen Substanz der Gesellschaft in Waren“ hingewiesen. Wenn nicht mehr die Wirtschaft in die Gesellschaft eingebettet, sondern die Gesellschaft als Ganzes „im ökonomischen System eingebettet“ sei und wenn man „den Marktmechanismus als ausschließlichen Lenker des Schicksals der Menschen und ihrer natürlichen Umwelt oder auch nur der Verwendung und des Umfangs der Kaufkraft zuließe, dann würde dies zur Zerstörung der Gesellschaft führen“. Mit dem neoliberalen Projekt einer Ökonomisierung und marktförmigen Gestaltung aller gesellschaftlichen Bereiche und aller sozialen Beziehungen haben die globalen Folgen der Zerstörung gesellschaftlicher und ökologischer Substanz mittlerweile ein zuvor nicht bekanntes Ausmaß erreicht.
Durch das Ziel einer Einbettung der gesamten Gesellschaft in die Wirtschaft radikalisiert der real existierende Neoliberalismus, der sich ökonomisch als eine Extremform des Kapitalismus auffassen lässt, eine dem Kapitalismus innewohnende Tendenz. Kennzeichen einer kapitalistischen Wirtschaftsweise ist die Verwandlung von Arbeitskraft und natürlichem Reichtum in Kapital, das mit dem Ziel der Profitmaximierung wieder reinvestiert und akkumuliert wird. Im neoliberalen Finanzmarktkapitalismus ist der wahnhafte Traum der Besitzenden, „dass Geld Geld zeugen kann, so wie Menschen Menschen zeugen“ in folgenschwerer Weise Realität geworden. Diesen „abscheulichen Traum“ (Hannah Arendt) konnte der Kapitalismus nur durch eine fortwährende Einverleibung zuvor nichtkapitalistisch organisierter Bereiche realisieren. Es gehört zur inneren Dynamik kapitalistischer Wirtschaften, dass sie expansiv und krisenhaft sind und die für ihre Stabilität notwendige Steigerung der Profitrate nur erreichen können, wenn sie sich über ihre bisherigen Bereiche ausdehnen, sei es ökologisch mit der Ausbeutung und dem Zur-Ware-Machen natürlicher Ressourcen, geopolitisch mit der Kolonialisierung anderer Produktions- und Lebensweisen oder durch Ausweitung innerhalb einer Gesellschaft auf Bereiche, die zuvor vor einer Kommerzialisierung geschützt waren.
Besonders einträglich für eine Ausweitung kapitalistischer Verwertungsprozesse sind Bereiche, in die ein vergleichsweise hoher Anteil öffentlicher Mittel fließt. In solchen Bereichen bieten sich durch geeignete Reorganisationen einzigartige Möglichkeiten einer Umverteilung von der öffentlichen in die private Hand. Neben dem militärischen Bereich und dem Bereich der öffentlichen Sicherheit trifft dies vor allem auch auf die gesellschaftlichen Bereiche der Gesundheit und der Bildung zu.“
Organisierte Kriminalität
„Diese Entwicklungen des Unsichtbarmachens der tatsächlichen Zentren politischer Macht haben im Neoliberalismus, als einer Extremform des Kapitalismus, einen weiteren Höhepunkt erreicht. Zum einen hat der Neoliberalismus eine Ideologie geschaffen, welche die bewussten Entscheidungen der Eliten als bloße Konsequenzen rationaler Naturgesetzlichkeiten eines (fiktiven) freien Marktes deklariert und sie damit jeder Verantwortlichkeit entzieht. Zum anderen wurden im Gefolge des Neoliberalismus neue und wirkmächtige Arten politischer Akteure geschaffen: Großkonzerne. Diese wurden im Zuge einer vorgeblich gleichsam naturgesetzlichen Entwicklung, der sogenannten Globalisierung, mit Rechten ausgestattet, die sie einer demokratischen Kontrolle und Rechenschaftspflicht vollkommen entziehen und sie zu den perfektesten totalitären Strukturen machen, die je in der Kulturentwicklung geschaffen wurden.
Dieser Prozess stellt im Effekt nichts anderes dar als eine systematische Verrechtlichung der organisierten Kriminalität der besitzenden Klasse. In seinem Rahmen wurden und werden systematisch Mechanismen geschaffen, durch die sich ökonomische Macht in politische Macht transformieren lässt - (und umgekehrt politische Macht wieder in ökonomische). Auf diese Weise ist es zu einer gigantischen Machtverschiebung von Regierungen hin zu Großkonzernen gekommen, so dass die tatsächlichen Zentren der Macht nun noch viel schwerer erkennbar sind als je zuvor.
Eine besonders folgenschwere Form einer Verrechtlichung organisierter Kriminalität der besitzenden Klasse ist das sich gegenüber demokratischen Rechtsstaaten verselbständigende System internationalen Handelsrechts und die Etablierung einer Paralleljustiz in Form von Schiedsgerichten. Diese Entwicklungen stellen eine Form der Refeudalisierung dar, bei der das Recht vom demokratischen Prozess entkoppelt und reprivatisiert wird, so dass sich ökonomisch starke Akteure vom demokratischen Recht befreien und ihre Interessen über ein von ihnen selbst ausgehandeltes transnationales Recht durchsetzen können. Ingeborg Maus stellt dazu fest: „Die extremste Form der Refeudalisierung, die mit diesem Prozess (der Entstehung eines transnationalen Handelsrechts) verbunden ist, besteht in der Zurücknahme der Ausdifferenzierung zwischen ökonomischer und politischer Macht, welche das Kennzeichen der Moderne war ... Im Schatten gegenwärtiger Globalisierung ist es großen ökonomischen Akteuren möglich, sich Rechtsanforderungen grundsätzlich zu entziehen ... dass große ökonomische Akteure zu Selbstversorgern hinsichtlich der sie betreffenden (und ausschließlich ihren Interessen folgenden) Rechts avancieren. Die mächtigsten globalen gesellschaftlichen Interessen werden so autark ... Die hier entstehenden Normen entspringen den Selbstgesprächen der Interessenten und haben sich dem Verallgemeinerungstest eines demokratisch kontrollierten Gesetzgebungsverfahrens nicht zu stellen. - Das Problem der Rechtfertigung der heute sich entwickelnden lex mereatoria besteht darum vor allem in deren privatvertraglicher Hervorbringung, die sich von jeder gesetzlichen Vorgabe befreit.
Bei dieser privatvertraglichen Hervorbringung eines ihren Interessen genehmen Rechts bedienen sich mächtige ökonomische Akteure häufig einer Strategie des „kreativen Vertrags-Shoppings“ („creative treaty shopping“); bei dieser Strategie suchen sie sich durch geeignete geschäftliche Transaktionen Staaten aus, in denen sie modellhaft einen Schutz gegen eigentums- und gewinnbeeinträchtigende demokratische Entscheidungen erreichen können, auf dessen Basis sie dann neue und weitergehende Investitionsschutzabkommen aushandeln.
Diese Entwicklungen eines durch und für Konzerne gemachten internationalen Rechtes wären durch politische Entscheidungen, selbst wenn es dazu auf einzelstaatlicher Ebene einen politischen Willen gäbe, höchstens noch in Teilen wieder rückgängig zu machen.“
Zentrum der Gegenaufklärung
„Beide, Neoliberalismus und Faschismus, verbindet der Hass auf „1789“, das heißt auf die sozialen und politischen Errungenschaften der Aufklärung. In diesem Jahr wurden durch die französische Nationalversammlung die Bürger- und Menschenrechte erklärt. Aus der Perspektive des Neoliberalismus und des Faschismus steht dieses Jahr für Sozialstaat und egalitäre Demokratie. Beide verbindet ein Sozialdarwinismus mit seiner Glorifizierung der Starken und seiner Verachtung der Schwachen. Beide sind elitär und teilen eine Verachtung des Volkes. Beide verlangen eine Anpassung und vollständige Unterordnung unter eine Fiktion, den freien Markt auf der einen Seite, das ethnisch homogene „Volk“ auf der anderen Seite ...
Worum handelte es sich bei den durch die Jahreszahl 1789 symbolisierten Positionen, die Neoliberalismus und Faschismus zu ihrem Hauptgegner gemacht haben?
Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die 1789 von der französischen Nationalversammlung beschlossen wurde, formuliert in ihren siebzehn Artikeln grundlegende Bestimmungen über natürliche und unveräußerliche Rechte von Menschen und über die Beziehung von Menschen und Staat. In der Präambel legen „die Vertreter des französischen Volkes, als Nationalversammlung konstituiert“ dar, dass sie „unter der Berücksichtigung, dass das Vergessen oder Verachten der Menschenrechte die alleinigen Ursachen des öffentlichen Unglücks und der Verderbtheit der Regierungen sind“, eine Erklärung über die natürlichen und unveräußerlichen Rechte der Menschen beschließen …
Ein universeller Humanismus schließt alle Ideen einer Vorrangstellung der eigenen biologischen, sozialen, kulturellen, religiösen oder nationalen Gruppe aus, insbesondere Rassismus, Nationalismus oder Exzeptionalismus.
In enger Beziehung damit steht ein weiteres Prinzip, nämlich das Recht auf politische Selbstbestimmung. Jeder Bürger soll einen angemessenen Anteil an allen Entscheidungen haben, die das eigene gesellschaftliche Leben betreffen. Alle Bürger haben somit ein Recht auf umfassende demokratische Mitwirkung an allen relevanten gesellschaftlichen Aspekten. Zentrale Bereiche einer Gesellschaft, insbesondere die Wirtschaft, dürfen nicht von einer demokratischen Legitimation und Kontrolle ausgeklammert werden. Alle Machtstrukturen haben ihre Existenzberechtigung nachzuweisen und sich der Öffentlichkeit gegenüber zu rechtfertigen, sonst sind sie illegitim und daher zu beseitigen.
Ein weiteres wichtiges Prinzip lässt sich als „moralischer Universalismus“ bezeichnen: Moralische Kriterien, nach denen wir die Handlungen anderer bewerten, müssen wir auch zur Bewertung unserer eigenen Handlungen heranziehen.
Gegen diese Prinzipien gab es von Anfang an gewaltige Widerstände in verschiedenen Strömungen der sogenannten Gegenaufklärung. Diese ist gerade durch ein Negieren jener Prinzipien gekennzeichnet, insbesondere durch Haltungen, die eine prinzipielle Vorrangstellung der eigenen biologischen, sozialen, kulturellen, religiösen oder nationalen Gruppe zum Ausdruck bringen. Neoliberalismus und Rechtspopulismus bilden, aus unterschiedlichen Perspektiven, heute wesentliche ideologische Zentren einer Gegenaufklärung.
Die Prinzipien und Ideen der radikalen Aufklärung reichen in ihrem Kern weit in die Ideengeschichte zurück. In der Zeit der Aufklärung wurden sie indes besonders prägnant formuliert. Seitdem wurden sie kontinuierlich verfeinert und in viele Richtungen weiterentwickelt. Sie stellen die wohl größten gesellschaftlichen Errungenschaften dar, die wir in dem jahrtausendelangen Kampf für eine menschenwürdigere Gesellschaft gewonnen haben. Heute, in der Zeit einer radikalen Gegenaufklärung, sind sie im öffentlichen Diskussionsraum praktisch vergessen worden, sie wurden ihrer Radikalität beraubt und sind zu bloßer Aufklärungs-Rhetorik politischer Sonntagsreden verkommen. Dadurch stehen sie uns als Leitideen, mit denen wir unsere Erfahrungen gedanklich organisieren und unsere Veränderungsenergie kollektiv bündeln und wirksam machen können, praktisch nicht mehr zur Verfügung. Wir sind nicht nur sozial fragmentiert, wir sind entpolitisiert, wir sind weitgehend in politische Apathie und Resignation getrieben, und wir sind vom Besten unserer sozialen Ideengeschichte entwurzelt worden. Warum? Damit wir politisch orientierungslos bleiben und vergessen, wofür es sich zu kämpfen lohnt.
Das sind keine Folgen zufälliger Entwicklungen, sondern Erfolge einer jahrzehntelangen systematischen Indoktrination durch die herrschenden Eliten. Mehr als fünfzig Jahre Elitendemokratie haben uns gezeigt, wohin dieser Weg führt. Es ist der Weg der Zerstörung. Der Zerstörung von Gemeinschaft, der Zerstörung der Idee von Gemeinschaft, der millionenfachen Zerstörung von Leben, der Zerstörung von kultureller und zivilisatorischer Substanz - vor allem in der Dritten Welt - und der Zerstörung unserer ökologischen Grundlagen. Die Nutznießer dieser Zerstörung sehen keinen Grund, ihren Weg zu ändern. Die dazu notwendige Veränderungsenergie kann nur von unten kommen - von uns. Das ist unsere Aufgabe und das ist unsere Verantwortung.“
Effizienter Markt
„Im Zentrum dieser Ideologie steht die geradezu metaphysische und zudem inkohärente Fiktion eines „freien Marktes“, der angesichts der Komplexität der modernen Gesellschaft die einzig rationale und effiziente Form gesellschaftlicher Problemlösungen verkörpere. Um das Wirken der „Rationalität“ des „freien Marktes“ nicht zu gefährden, könne und müsse man auf die traditionellen Formen demokratischer Konsensfindung verzichten. Dadurch, dass sich die radikal antidemokratische neoliberale Ideologie als reine Rationalität ausgab, gelang es ihr zunehmend, sich als Ideologie nahezu unsichtbar zu machen. Trotz ihrer ökonomischen Absurditäten ist die neoliberale Ideologie besonders dazu geeignet, autoritäre Strukturen zu etablieren und diese als „rationale Notwendigkeiten“ auszugeben.
Hayek war sich sehr bewusst, dass seine Ideen zur damaligen Zeit weder in der Politik noch in der Ökonomie Resonanz finden würden, und wählte daher gezielt den Umweg über den Aufbau von Netzwerken aus „second hand dealers in ideas“. Er suchte seine Ideologie durch eine elitenbasierte Strategie der Formung der öffentlichen Meinung durchzusetzen und zunächst Kulturträger, Journalisten und politische Experten über ein transatlantisches Netzwerk von Think-Tanks zu gewinnen. Durch diese Netzwerke sollten seine Auffassungen gleichsam schleichend die Medien und den öffentlichen Debattenraum infiltrieren, so dass sie schließlich als ganz selbstverständliche Vorstellungen des gesunden Menschenverstandes erscheinen. Historische Beispiele erfolgreicher Indoktrinationen hatten ihn gelehrt, dass die erfolgreichste Technik der Indoktrination darin liegt, „die alten Worte beizubehalten, aber ihren Sinn zu ändern“. Von Beginn an beruhte der Erfolg der neoliberalen Ideologie wesentlich darauf, vertrauten, positiv besetzten Wörtern - wie „Freiheit“, „freier Markt“, „Liberalisierung“, „Reformen“ oder „Bürokratieabbau“ - einen neuen Sinn zu geben, der ihrem ursprünglichen Gehalt nahezu entgegengesetzt ist. Da die neoliberale Ideologie an der Oberfläche intuitiv eine scheinbare Plausibilität aufweist und sich ihr Kernvokabular und ihre rhetorischen Argumentationsstrukturen leicht erlernen lassen, konnte sie sich, nachdem es ihr gelungen war, in einigen Machtstrukturen Fuß zu fassen, rasch in meinungsbildenden Schichten verbreiten.
Die neoliberale Ideologie des „effizienten Marktes“ wurde lange und sorgfältig ausgearbeitet, ohne zunächst in der Ökonomie und in relevanten politischen Kreisen besondere Anerkennung zu finden. Erst mit der wirtschaftlichen Krise der 1970er-Jahre gelang es ihr, auch politisch wirksam zu werden und Stück für Stück alle staatlichen Institutionen zu erobern.“
Ende der Ideologie
„Die Überwindung der neoliberalen Ideologie bereitet vor allem deswegen besondere Schwierigkeiten, weil sie es im Gegensatz zu anderen totalitären Ideologien geschafft hat, sich als Ideologie gleichsam unsichtbar zu machen, indem sie sich als bloße Widerspiegelung der Rationalität eines „effizienten freien Marktes“ maskiert. Auf diese Weise konnte sie sich zu einer Ideologie steigern, die gleichzeitig in der Lage war, vollends das „Ende der Ideologie“ auszurufen. Alle Ideologien hätten nun endgültig ausgedient, weil die ehernen „Naturgesetzlichkeiten“ des „freien Marktes“ bestimmten, was vernünftig ist - und was vernünftig ist, das muss natürlich auch wirklich werden. Es gäbe keine grundlegenden sozialen Antagonismen mehr und keinen Interessengegensatz von Unternehmer und Lohnabhängigem. Auch ein Lohnabhängiger sei letztlich ein Unternehmer seiner Selbst, eine „Ich-AG“, die sich flexibel für seine Fremdverwertbarkeit auf dem „Markt“ optimieren müsse. Damit sei auch die traditionelle politische Unterscheidung von „links“ und „rechts“ ein ideologisches Überbleibsel und somit historisch obsolet geworden. In Zukunft ginge es nur noch um Vernunft oder Unvernunft, um gute oder schlechte Wirtschaftspolitik, um unbequeme Wahrheiten oder populistische Verführung.
Durch die sich auf eine vorgeblich alternativlose neoliberale „Vernunft“ berufende Phantom-Mitte kam es zu einer Neubestimmung des historischen Konzeptes einer politischen „Mitte“. Dieses war zwar seit jeher programmatisch weitgehend inhaltsleer aber dennoch - oder gerade deswegen - überwiegend positiv besetzt. Mit der neoliberalen Neubestimmung des Begriffs der „Mitte“ wird diese aber nun zu einer extremistischen Position. Denn den sich mit diesem Begriff tarnenden politischen Gruppierungen ging und geht es darum, das gesamte Gemeinwesen den Finanzmärkten auszuliefern. Dazu müssen zunächst alle Formen demokratischer Strukturen auf möglichst unsichtbare Weise unterminiert und neutralisiert werden. Die sich in dem Ziel der Einbettung der gesamten Gesellschaft in die Wirtschaft ausdrückende extremistische Position einer radikal antidemokratischen Haltung durchzieht mittlerweile alle Ebenen des politischen Handelns und zeigt sich insbesondere in der weitgehenden Entmachtung des Parlaments durch die Exekutive. Gelegentlich wird eine solche Haltung explizit artikuliert, wie beispielsweise 2005 durch Angela Merkel in ihrer Rede zum 60-jährigen Bestehen der CDU: „Wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.“ Extremistisch ist die neoliberale Phantom-Mitte zudem in ihrer Verachtung für alle Ideen einer solidarischen Gemeinschaft. Fundamentalistisch ist sie in ihrem Ausschließlichkeitsanspruch, mit dem sie darauf besteht, ideologische Ziele kompromisslos und mit intoleranten und oft menschenverachtenden Mitteln durchzusetzen.
Trotz massivster Indoktrinationsbemühungen werden die katastrophalen Folgen der neoliberalen Zerstörung von Gemeinschaft und Umwelt für immer breitere Teile der Bevölkerung spürbar und erkennbar. Neben Gefühlen der Ohnmacht und der politischen Apathie erzeugen diese Folgen ein wachsendes Empörungspotential und Veränderungsbedürfnis. Dieses Veränderungsbedürfnis muss durch geeignete Strategien so neutralisiert oder auf andere Ziele gelenkt werden, dass auch Wahlen den neoliberalen Konsens der Parteien und damit die Stabilität der neoliberalen Machtverhältnisse nicht gefährden können. Dazu ist es erforderlich, den als „zulässig“ deklarierten öffentlichen Debattenraum in geeigneter Weise so zu begrenzen, dass Positionen, die an die Wurzeln der neoliberalen Ideologie gehen, als „unverantwortlich“, „irrational“, „extremistisch“ oder „populistisch“ erklärt werden.“
Auswüchse
„Bevor wir uns nach der Wahl zufrieden auf die eigene Schulter klopfen, weil wir glauben, mit der politischen Mitte für die bestmögliche Vertretung zur Sicherung unseres Gemeinwohls gestimmt zu haben, sollten wir einen etwas genaueren Blick auf die Realitäten werfen. Aber das ist leider nicht einfach. Denn Regierung, Regierungsparteien und Medien betreiben einen großen Aufwand, um unseren Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten zu trüben und zu verstellen.
Realität ist aber nun einmal, dass gerade diejenigen, die bislang den Kurs bestimmt haben, all die ökonomischen und gesellschaftlichen Probleme und Krisen ausgelöst haben, für die sie sich nun als Retter anbieten. Dazu gehören: die Zertrümmerung des Sozialstaates, die massive Ausweitung eines Niedriglohnsektors und die Prekarisierung von Lohnarbeit, die gewaltigen Steuerentlastungen für Reiche und Konzerne, die Preisgabe des Staates an die Finanzmärkte, der Verfall von Infrastruktur, das finanzielle Strangulieren öffentlicher Einrichtungen wie Krankenhäuser, Pflegeheime, Kindergärten oder Schulen, die Disziplinierung und Entmachtung des Parlaments durch die Exekutive, der Ausbau eines Überwachungs- und Sicherheitsstaates.
Die durch diese politischen Weichenstellungen hervorgerufenen gesellschaftlichen Probleme wurden nicht durch angebliche „Naturgesetzlichkeiten“ des „globalisierten freien Marktes“ hervorgerufen, wie es uns immer wieder gesagt wird, sondern bewusst und absichtlich durch die Interessen und den Konsens neoliberaler transatlantischer Machteliten, also in Deutschland durch konkrete Entscheidungen der regierenden Kartellparteien CDU, SPD, FDP und Grüne.
Diese traditionellen Parteien haben sich seit den 1970er-Jahren - also mit Beginn der neoliberalen Revolution - grundlegend gewandelt, weil ihre gesellschaftliche Verankerung in dem Maße schwand, wie sie sich neoliberale Ziele zu eigen machten. Sie haben sich daher zur Selbsterhaltung zunehmend in die staatlichen Machtapparate integriert. Je mehr die Bindung an die traditionelle Wählerschaft schwand, umso stärker haben sich die Parteispitzen untereinander verflochten. Das brachte für die großen Parteien den Vorteil, dass Wahlniederlagen an Bedeutung verlieren, da sie staatliche Ressourcen und Posten weitgehend unabhängig vom Wahlausgang untereinander verteilen können.
Mit der zunehmenden Lösung der Parteispitzen von der Parteibasis kommt der Basis nun vor allem die Funktion von Cheerleadern bei Wahlen zu. Dieser Parteienwandel ist empirisch gut studiert. Der renommierte Parteienforscher Peter Mair prägte für diesen neu entstandenen Typus politischer Großparteien den Begriff „Kartellpartei“, der die Sache auf den Punkt bringt.
Es gehört gerade zum Charakter von Kartellparteien, dass sie bei politischen Entscheidungen nicht mehr den Präferenzen der Bürger verpflichtet sind, sondern den Interessen relevanter Machtgruppierungen, also ökonomischen Interessen von Konzernen und Reichen sowie geopolitischen Interessen transatlantischer Eliten. Schon die Formulierung „Notwendigkeiten des Marktes“ ist ja nicht mehr als eine verklausulierte Formulierung für die Bedürfnisse der besitzenden Klasse. Das mag recht abstrakt klingen, lässt sich jedoch anhand des konkreten Abstimmungsverhaltens der Parteien im Parlament zu den genannten Beispielen ohne allzu große Mühen belegen. Gleiches gilt für politische Entscheidungen über die Osterweiterung der NATO, die Förderung von völkerrechtswidrigen Kriegen als Mittel der Politik - von Kosovo bis Libyen und Syrien-, Waffenexporte an Saudi-Arabien, die Militarisierung der EU etc. All diese Dinge sind gut dokumentiert. Die eigentlich drängende politische Frage ist also nicht, wer von den Kartellparteien der sogenannten „Mitte“ die Regierung bildet, sondern warum angesichts all der systematisch und absichtsvoll angerichteten Zerstörungen zivilisatorischer Substanz der weit überwiegende Teil der Wähler immer wieder gerade diejenigen Parteien wählt, die genau für diese Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte verantwortlich sind.
Die Gründe dafür sind vielschichtig: systematische Desinformation durch Regierung, Kartellparteien und Medien, systematische Erzeugung sozialer Ängste in der Bevölkerung und natürlich die Ideologie der „politischen Mitte“, die jedoch nicht mehr ist als das Banner und die Tarnkappe des neoliberalen Konsenses. Sie stellt als wesentlicher Teil der neoliberalen „Revolution von oben“ sowohl in ihrer Demokratieverachtung als auch in ihrer Verachtung aller Ideen einer solidarischen Gemeinschaft eine extremistische Position dar.
„Mitte“ ist ja eigentlich ein Begriff, der positiv besetzt ist und mit Gefühlen von Harmonie und Stabilität einhergeht. Was sich hier als „Mitte“ deklariert, hat mit historischen - ohnehin schon weitgehend inhaltsleeren - Konzepten einer politischen Mitte allerdings nichts mehr gemein. Das ist eine Phantom-Mitte, unter deren Mäntelchen sich die Täter als Retter ausgeben - bislang offensichtlich recht erfolgreich …
An den Regierungen Blair (1997-2007) und Schröder (1998-2005) lässt sich zeigen, wie unter dem Deckmantel einer politischen „Mitte“ eine neoliberale Agenda der Aushöhlung und Zerstörung demokratischer und sozialstaatlicher Substanz vorangetrieben wurde. Übrigens wäre dies nicht ohne massivste propagandistische Hilfe der Medien möglich gewesen. Der Journalist Heribert Prantl hat 2015 in der Süddeutschen Zeitung mit Blick auf die Agenda 2010 das eigentlich Offenkundige deutlich ausgesprochen: „Diese Agenda war auch Ergebnis einer publizistischen Großkampagne, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben hatte.“ Da nun diese Form des politischen Extremismus unter dem Banner der „Mitte“ geschah und geschieht und zudem als „Naturnotwendigkeit globalisierter Märkte“ und somit als „alternativlos“ deklariert wurde, kann es natürlich zum Konsens dieser neuen Phantom-Mitte keine grundsätzliche Opposition mehr geben. Denn schließlich geht es - nach neoliberalem Konsens - bei politischen Entscheidungen nur noch darum, möglichst „rationale“ und „effiziente“ Problemlösungen zur optimalen Anpassung an die „Zwänge“ globalisierter Märkte zu entwickeln und diese der Bevölkerung als „unbequeme Wahrheiten“ zu vermitteln.“
„Die ideologischen Grundlagen einer „Elitendemokratie“ treten mit der voranschreitenden „Elitenverwahrlosung“ deutlicher denn je zutage. Bereits John Detvey hatte die einer Elitendemokratie zugrunde liegende Vorstellung Lippmanns von „verantwortlichen Experten“, die unabhängig und neutral dem Gemeinwohl verpflichtet seien, als naive Fiktion enthüllt. Tatsächlich jedoch handelt es sich nicht lediglich um eine naive Fiktion, sondern vielmehr um eine vorsätzliche Verblendung im Dienste einer ideologischen Machtsicherung. Die Ideologie einer zur Herrschaft moralisch und intellektuell besonders befähigten „Elite“, die durch ihre politische Kompetenz und ihr moralisches Gefühl einer Verpflichtung und Verantwortlichkeit gegenüber dem Allgemeinwohl dazu berufen sei, unter dem Banner der Demokratie der „verwirrten Herde“ den richtigen Kurs zu weisen, lässt ihr eigentliches Anliegen immer deutlicher offen zutage treten. Die demokratische Maske ist längst gefallen. Die politischen und ökonomischen Eliten sehen ihre Macht im globalisierten Kapitalismus als so einbruchssicher gegenüber demokratischen Eingriffsversuchen abgedichtet, dass sie zunehmend überzeugt sind, auf eine Demokratierhetorik verzichten und ihr autoritäres Gesicht offen zeigen zu können. Sie lassen sich dabei auch von den gewaltigen destruktiven Folgen ihres politischen Handelns nicht irritieren, so dass die weitere Prognose eines von jeder demokratischen Kontrolle befreiten Kapitalismus für die Menschheit als Ganzes recht ungünstig ist: Nach der „Plünderung der öffentlichen Sphäre“ wechseln die plutokratischen Eliten zunehmend in den „Endspielmodus“: „abkassieren, alles versilbern, die Brücken hinter sich abfackeln und nichts zurücklassen als verbrannte Erde“.“
https://www.youtube.com/watch?v=Vk3_M9ylbQY
Erzeugung von Angst + Hass
Hohes gesellschaftliches Angstniveau
„Kollektive Ängste weisen, in ihrer Art und in ihrem Ausmaß, im Verlauf der Geschichte große Variationen auf, die oftmals geradezu als ein Charakteristikum bestimmter Epochen angesehen werden können. Damit stellt sich die Frage: Wie ließe sich unsere Zeit auf einer Dimension des kollektiven Angstniveaus einordnen? Eigentlich müssten wir heute die besten Voraussetzungen für ein historisch niedriges Angstniveau haben. Zwei der wirkmächtigsten Bedingungsfaktoren zur Verminderung gesellschaftlicher Ängste, nämlich ein großer alle Lebensbereiche prägender technischer Fortschritt und die Errichtung einer demokratischen Gesellschaftsordnung, stehen uns im Prinzip hierfür zur Verfügung. Demokratie zielt ja gerade darauf, eine größtmögliche Freiheit von gesellschaftlicher Angst zu garantieren, da „Angst die Freiheit der Entscheidung beeinträchtigt, ja sogar unmöglich machen kann“. Auch sind seit mehr als siebzig Jahren die Bevölkerungen westlicher Demokratien keinen eigenen Kriegserfahrungen mehr ausgesetzt. All dies sollte eigentlich eine ausgesprochen günstige Konstellation für unsere zivilisatorischen Bemühungen sein, Bedingungen zu schaffen, die ein Leben ermöglichen, das durch eine größtmögliche Freiheit von gesellschaftlicher Angst gekennzeichnet ist. Dennoch lässt sich nicht übersehen, dass Angst eine überraschend große Präsenz in dem Lebensgefühl unserer Epoche hat - wenn auch oftmals hinter einer kulturellen Fassade, die vor allem durch Konsumismus, Zerstreuung und eine alle Lebensbereiche durchdringende Unterhaltungsindustrie geprägt ist. Denn immer wieder wird, aus verschiedenen Perspektiven und mit sehr unterschiedlichen Ursachenzuschreibungen, unsere Gegenwart als eine „Kultur der Angst" charakterisiert. Der wachsende Einfluss von Angst lässt sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen aufzeigen: auf der Ebene von Individuen in der massiven Zunahme psychischer Störungen wie schwerer Depressionen und Angststörungen, auf soziologischer Ebene etwa in Indizes für soziale Abstiegsängste, für berufliche Versagensängste oder für Identitätsängste sowie auf politischer Ebene in einer drastischen Zunahme politischer Angstrhetorik. Die Historikerin Joanna Bourke bezeichnet Angst als „die tiefgreifendste Emotion der modernen Gesellschaft“. Wie kann es trotz vordergründig günstiger Rahmenbedingungen zu einem derart großen Ausmaß gesellschaftlicher Angst kommen?
Das Potential zur Angst ist tief in unserem psychischen Gerüst angelegt. Angst gehört zu den Grunderfahrungen menschlicher Existenz. Angst ist ein zugleich psychischer und leiblicher Affekt, eine Bedrohung oder gar eine Erschütterung des gesamten Selbst. In mannigfaltigen Erscheinungsformen - als Beunruhigung, Besorgnis, Furcht, affektive Verwirrung und Verunsicherung - kann sie durch alles ausgelöst werden, dem wir in unserer Verletzlichkeit ausgesetzt sind und das sich unserem Begreifen oder den Möglichkeiten unserer Kontrolle entzieht. Angst kann aber auch aus inneren Quellen gespeist sein: eine Angst vor Selbstwertverlust, eine aus Scham resultierende Angst, eine Angst vor einem Versagen, eine Angst vor den Konsequenzen der Verletzung sozialer Erwartungen und akzeptierter Normen, eine durch dunkle Vorahnungen eines Unheils entspringende Angst, eine durch unsere existentielle Ungeschütztheit erzeugte Angst oder eine durch ein Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit ausgelöste Angst. Angst speist sich auch aus Erfahrungen und Einsichten, dass unsere Möglichkeiten einer selbstbestimmten Lebensplanung eng begrenzt sind, dass wir gegen Wirkkräfte, die sich unserer Kontrolle entziehen, nicht angemessen für unser eigenes Leben Sorge tragen können oder dass wir die Bedingungen nicht sichern können, die wir für die Entfaltung unseres Selbst benötigen oder wünschen - also aus existentiellen Abhängigkeits- und Ohnmachtserfahrungen.
Die Erscheinungsformen von Angst sowie ihr Ausmaß und ihre Intensität können nahezu unbegrenzt variieren. Als existentielle Grunderfahrung des Menschen ist Angst etwas Universelles; zugleich hängen ihre Ausdrucks- und Erscheinungsformen, ihre Wirkungen im psychischen Gefüge und die möglichen Formen einer Angstbewältigung und Angstbesänftigung von den jeweils gegebenen kulturellen Besonderheiten und den gesellschaftlich verfügbaren Mitteln einer Angstreduktion ab. Gesellschaftliche Ängste lassen sich daher durch all diejenigen Variablen manipulieren, die angstauslösend wirken, und sie lassen sich dadurch steigern, dass gesellschaftliche Mittel, die einer Angstreduktion dienen, nicht mehr zur Verfügung gestellt werden.
Welche gesellschaftlichen Entwicklungen könnten nun für das gegenwärtige hohe gesellschaftliche Angstniveau verantwortlich sein? Ein stetes Wachsen des Angstniveaus lässt sich seit etwa Mitte der 70er-Jahre beobachten, also seit der Zeit, zu der der neoliberale Umbau der Gesellschaft begann. Im Verlauf dieser bis heute anhaltenden Entwicklungen wurden und werden immer mehr gesellschaftliche Verhältnisse - von politischen und sozialen Institutionen über soziale Beziehungen bis zur Ebene des Individuums selbst - Kriterien der Konkurrenz und der ökonomischen Verwertbarkeit unterworfen. Diese neoliberale Umgestaltung der Gesellschaft wirkt auf eine dreifache Weise angsterhöhend: zum einen durch ihre konkreten materiellen Folgen eines rasanten Wachsens sozialer Ungleichheit sowie einer wachsenden Zahl unsicherer und nicht mehr existenzsichernder Arbeitsverhältnisse. Zweitens durch die neoliberale Ideologie, die dem Individuum selbst die Schuld für ein Scheitern auf dem Arbeitsmarkt zuschreibt, da es sich sein berufliches Versagen durch fehlende Anstrengungen und eine mangelnde Anpassungsflexibilität an den „Markt" selbst zuzuschreiben habe. Drittens durch einen Abbau und eine Zerstörung von traditionellen sozialen Instanzen, die eine angstreduzierende Funktion haben, indem sie Orientierung und gesellschaftliche Sicherheit vermitteln.
Die neoliberalen Transformationsprozesse haben unmittelbar spürbare negative Folgen vor allem für diejenigen, die zum unteren Bereich der Einkommens- und Vermögensskala gehören; ihre längerfristigen Folgen betreffen uns alle, da diese Prozesse unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören. Da dies der Bevölkerung nicht verborgen bleibt, lässt sich das neoliberale Projekt auf demokratischem Wege nicht ohne eine massive Manipulation des Bewusstseins durchsetzen. Eine systematische Erzeugung gesellschaftlicher Ängste spielt dabei eine ganz besondere Rolle. Aus machttechnischer Sicht haben Ängste den Vorteil, dass sie leicht zu erzeugen sind und sehr viel tiefergehende psychische Auswirkungen auf unser Handeln und unser Nichthandeln haben als beispielsweise Meinungen. Durch eine systematische Erzeugung geeigneter Ängste lassen sich Denken und Handeln sehr viel wirksamer steuern als mit traditionellen Techniken eines Meinungsmanagements. Da Angst in der menschlichen Evolutionsgeschichte ein Wirkfaktor ist, dem bei der Regulierung sozialer Beziehungen und bei der Errichtung sozialer Ordnungen eine wichtige Rolle zukommt, lässt sich genau diese Funktion auch manipulativ zur Sicherung von Herrschaft nutzen.“
Angstfreiheit als Versprechen der Demokratie
„Bereits in der Antike wurde erkannt, dass diejenigen, die Macht ausüben wollen, nur die Möglichkeit haben, „Angst zu erzeugen oder Angst zu erleiden“.
Mit dem Bedürfnis nach Macht sind einige der dunkelsten Seiten des Menschen verbunden. Unermessliche Blutspuren der Geschichte legen Zeugnis davon ab, dass der menschliche Hunger nach Macht unersättlich ist. Zivilisatorischer Fortschritt bedeutet also vor allem, Wege zu finden, gesellschaftliche Schutzbalken gegen die Exzesse von Macht zu errichten und Macht so einzuhegen, dass nicht einfach der Stärkere über den Schwächeren herrschen kann. Gerade aus diesen Bemühungen um eine radikale zivilisatorische Einhegung von Macht erwuchs die Idee der Demokratie. Sie beruht auf dem Versuch, angemessene Konsequenzen aus den historischen Erfahrungen zu ziehen und auf der Basis eines egalitären Grundprinzips Herrschaft zu vergesellschaften.
Drei Versprechen gehen mit der Demokratie einher:
1. ein Versprechen auf politische Selbstbestimmung, die einem jeden einen angemessenen Anteil an allen politischen Entscheidungen garantiert, die das eigene gesellschaftliche Leben betreffen,
2. ein Versprechen, auf der Basis egalitärer Prozeduren innere gesellschaftliche Konflikte und Konflikte zwischen Staaten auf friedlichem Wege zu lösen, und
3. ein Versprechen, eine größtmögliche Freiheit von gesellschaftlicher Angst zu sichern und auf eine der wirkungsvollsten Machttechniken zu verzichten: der systematischen Erzeugung von Angst.
In welchem Ausmaß demokratische Rhetorik und gesellschaftliche Realität auseinanderklaffen, lässt sich nicht zuletzt daran ermessen, inwieweit die Machtausübenden darauf verzichten, gesellschaftliche Ängste - sei es über physische Gewalt, strukturelle Gewalt oder eine Manipulation der öffentlichen Meinung - systematisch zu schüren. Ein systematisches Erzeugen von gesellschaftlicher Angst entzieht der Demokratie die Grundlage, weil Angst eine angemessene gesellschaftliche Urteilsbildung blockiert und die Entschluss- und Handlungsbereitschaft lähmt. Freiheit von gesellschaftlicher Angst gehört unabdingbar zum Fundament von Demokratie.
Autoritäre oder totalitäre Herrschaftsformen bedienen sich, im Unterschied zu demokratischen, offen einer systematischen Angsterzeugung und Einschüchterung der Bevölkerung. Sie erreichen dies beispielsweise mit einer totalitären Überwachung des privat-gesellschaftlichen Lebens, mit einer öffentlich demonstrierten Anwendung von staatlicher Gewalt und Terror, mit einem wuchernden Gefängnis- und Strafsystem oder einer offen praktizierten Anwendung von Folter.“
Techniken der Mentalvergiftung
„Besonders wirksam sind Arten der Manipulation, die direkt auf den Kern unserer mentalen Kapazitäten zielen und dazu beitragen, in den Köpfen Chaos anzurichten, aus dem sich dann politischer Nutzen ziehen lässt. Diese Formen der Manipulation will ich hier, in Ermangelung eines geeigneteren Wortes, „Mentalvergiftung“ nennen. Eine Mentalvergiftung kann auf eher affektive oder auf eher kognitive Bereiche unseres Geistes zielen.
Am einfachsten lässt sich dies auf affektivem Wege bewerkstelligen. Durch die Erzeugung von geeigneten intensiven Affekten lässt sich das Denken lähmen und die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Zentren der Macht ablenken und auf jeweils gewünschte Ablenkziele und Ablenkthemen richten.
Besonders erfolgversprechend ist die systematische Erzeugung von Angst und Hass, die seit jeher zu den wirksamsten Instrumenten der Kontrolle der öffentlichen Meinung gehören. Lasswell stellte schon 1927 klar: „Es darf keine Zweifel darüber geben, auf wen sich der Hass der Öffentlichkeit zu richten hat.“ Durch die Erzeugung von Hass lässt sich Ängsten ein geeignetes Zielobjekt geben, auf das sich Affekte des Volkes richten können. Dadurch ist sichergestellt, dass sich Empörungsenergie und Veränderungsbedürfnisse nicht gegen die Zentren der Macht richten. Auch die strukturelle Erzeugung von Ängsten auf sozioökonomischem Wege - beispielsweise ein hohes Maß von beruflichem Stress, gesellschaftliche Versagensängste und Ängste vor sozialem Abstieg - lässt sich für dieses Ziel nutzen. Weitere Methoden, die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Zentren der Macht abzulenken, sind Zerstreuung durch eine mediale Überflutung mit Nichtigkeiten, Konsumismus, Ausbildung von „Falsch-Identitäten“ oder Infantilisierung. Dabei werden natürliche regressive Bedürfnisse des Menschen nach Passivität und Abgabe von Verantwortung missbraucht.
Es gibt eine sehr reichhaltige und seit Jahrzehnten systematisch ausgearbeitete Palette von Techniken affektiver Mentalvergiftungen, durch die die Interessen der Machteliten verschleiert und die Bürger von einer gesellschaftlichen Artikulation ihrer eigenen Interessen abgehalten werden sollen.
Eine Mentalvergiftung kann auch auf unsere kognitiven Kapazitäten zielen und unser Denken so vergiften, dass keine Form von rationaler Argumentation hilft, es - wie es in der Zeit der Aufklärung hieß - wieder heller in den Köpfen der Menschen werden zulassen. Am einfachsten lässt sich dies über geeignete Begriffe und über Bedeutungsverschiebungen von Begriffen bewerkstelligen. Hierzu gehören insbesondere die orwellschen „Falschwörter“, mit denen Politiker und Leitmedien versuchen, über die Sprache auch unser Denken zu bestimmen. Beispiele lassen sich im Überfluss finden, etwa „Freihandel“, „Lohnnebenkosten“, „Protestwähler“, „Rettungsschirm“, „Terrorismus“, „humanitäre Intervention“, „Kollateralschäden“ oder „Globalisierungskritiker“.
Die Wirksamkeit solcher Begriffe beruht darauf, dass wir von Natur aus zu einem gewissen Wortaberglauben neigen und somit zu der Überzeugung, dass Wörter auch Sachverhalte widerspiegeln. Wir tendieren dazu, vorgefundene Wörter zur Organisation unserer Gedanken naiv zu verwenden. Dabei übersehen wir, was diese Wörter an ideologischem Gehalt und an stillschweigenden Vorannahmen transportieren. Leider ist es ausgesprochen schwierig, unseren natürlichen Wortaberglauben zu überwinden und zu einer Haltung zu kommen, die - gerade im politischen Bereich - jedes Wort als ein Päckchen ideologischer Vorannahmen ansieht, das man zunächst sorgfältig aufschnüren muss. Eine solche Haltung, Wörter in ihrer Bedeutung und ihrem ideologischen Ballast kritisch zu hinterfragen, bedarf intensiver Schulung. Genau auf diesen Aspekt einer Ideologiekritik hatte die Aufklärung den Blick gerichtet und sehr wirksame Methoden der Identifikation verborgener Vorurteile und ideologischer Elemente entwickelt. Verständlicherweise haben die herrschenden Eliten kein Interesse daran, dass diese Methoden in den Sozialisationsinstanzen der Gesellschaft gelehrt und tradiert werden.
Eine weitere Klasse kognitiver Mentalvergiftung stellen Denunziationsbegriffe und Diffamierungsbegriffe dar. Unter solchen Begriffen erfreuen sich gegenwärtig Begriffe wie „Querfront“, „Verschwörungstheorie“, „Antiamerikanismus“, oder „Populismus“ besonderer Beliebtheit bei den Macht- und Funktionseliten. Diese Begriffe haben eine perfide Logik: Sie beruhen auf einer bestimmten Form einer gedanklichen Verklammerung unterschiedlicher Themenbereiche, durch die suggeriert wird, zwei gänzlich unabhängige Themenbereiche seien gleichsam ihrem Wesen nach miteinander verwoben. Auf diese Weise sollen speziell Themen, deren öffentliche Diskussion die Machteliten und die sie stützenden Elitengruppen als unerwünscht und abträglich für ihren Status ansehen, dadurch in Diskredit gebracht werden, dass sie mit Themen verklammert werden, die geächtet sind oder als anrüchig gelten - wie etwa rechtsextreme oder rassistische Auffassungen. Durch eine solche Verklammerung können sich die Macht- und Funktionseliten vor Kritik immunisieren, indem sie bestimmte Themenbereiche aus dem öffentlichen Diskussionsraum verbannen.“
Angsterzeugung durch systematische Erzeugung von Gefühlen der gesellschaftlichen Undurchschaubarkeit und Unbeeinfiussbarkeit
„… Den Kern der neoliberalen Ideologie bildet also eine Markttheologie, die eine „völlige Unwissenheit aller im Angesicht eines allwissenden Marktes“ postuliert und dem Menschen eine unaufhebbare grundsätzliche Unwissenheit über alle gesellschaftlichen Verhältnisse zuschreibt. Die eigene soziale Lebenswelt wird dabei in grundsätzlicher Weise als undurchschaubar, unvorhersehbar, unberechenbar und durch eigenes Handeln nicht mehr beeinflussbar erklärt. Ein Gefühl des Verlustes von Kontrolle über die eigene gesellschaftliche Situation ist die zwangsläufige Folge. Daraus resultierende gesellschaftliche Ängste können nicht mehr durch eigenes Handeln bewältigt werden oder in einem solidarischen Wir aufgefangen werden. Im Zuge neoliberaler Transformationsprozesse wurden nämlich gerade diejenigen gesellschaftlichen Instanzen systematisch geschwächt oder zerstört, die - auf Anerkennung und Solidarität beruhend - angstreduzierend wirken. Damit sind die Wege zu einer solidarischen Bewältigung der aus diesen Kontrollverlusten resultierenden Ängste verstellt.“
Angsterzeugung durch Prekarisierung
„Neoliberale Transformationsprozesse brachten eine stetig wachsende Welt von Lebensverhältnissen hervor, die durch eine geringe Sicherheit des Arbeitsplatzes gekennzeichnet sind. Derartige Arbeitsverhältnisse werden als prekär und die durch sie entstandenen Schichten als Prekariat bezeichnet. Neoliberale Transformationsprozesse zielen darauf, die historisch in langen sozialen Kämpfen errungene stabile Verknüpfung von Lohnarbeit mit starken sozialen Schutzmechanismen aufzulösen und die Grenzen zwischen sicheren und prekären Arbeitsverhältnissen und damit zwischen Armut und Erwerbsarbeit zunehmend fließend werden zu lassen. Berufliche und soziale Unsicherheit sind zu einem Massenphänomen geworden. Beispielsweise haben in Deutschland gegenwärtig, einer Statistik des Sozialministeriums zufolge, 3,38 Millionen Arbeitnehmer trotz Vollzeitjob einen Verdienst von weniger als 2.000 Euro brutto im Monat.
Prekär Erwerbstätige müssen ihren Lebensunterhalt in einem sich stetig verändernden unberechenbaren Bereich von befristeten Tätigkeiten, Minijobs, Leiharbeit und Ähnlichem erwerben und leben in der permanenten Bedrohung eines sozialen Abstiegs, da diese Arbeitsverhältnisse jederzeit widerrufen werden können. Eine auf die eigene gesellschaftliche Zukunft ausgerichtete Lebensplanung ist also innerhalb prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse nicht möglich. Die Lebensbedingungen des Prekariats sind wesentlich durch Mangel bestimmt: „Mangel an Ansehen, Mangel an Sicherheit, Mangel an gesicherten Gütern und stabilen Beziehungen.“
Da der Neoliberalismus im öffentlichen Bewusstsein gar nicht mehr als Ideologie erkennbar ist, erscheint auch die von ihm planmäßig erzeugte Armut - mehr als 13 Millionen Menschen müssen nach dem jüngsten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Deutschland zu den Armen gezählt werden - und die von ihm erzeugte Prekarität lediglich als eine bedauernswerte, aber unvermeidliche Nebenwirkung einer Anpassung an die „Gesetzmäßigkeiten des Marktes“. Der Markt erzwinge nun einmal „Flexibilisierung“. Armut - nach welchen Kriterien auch immer - ist also nicht nur eine natürliche Folge der mehr als vier Jahrzehnte andauernden Umverteilung von unten nach oben. Armut ist zugleich ein von den Nutznießern dieser Umverteilung geradezu erwünschter Effekt. Denn sie verhindert Partizipation, erzeugt Lethargie und diszipliniert gerade diejenigen gesellschaftlichen Gruppen, die eigentlich das größte Interesse an einer Änderung haben sollten. Armut und Armutsängste sind der beste Garant der gewünschten politischen Lethargie der Bevölkerung: Wenn ein Fünftel der Gesellschaft keine politische Stimme hat, keine Organisationsform, keine mediale Repräsentanz, keine Lobbyisten für eine Vertretung ihrer Interessen, in weiten Teilen hochgradig überwacht und diszipliniert ist, erhöht dies natürlich die Stabilität des Status herrschender Eliten. Prekarisierung kann folglich als eine neue Taktik der Herrschaftssicherung des Kapitals betrachtet werden. Denn die durch Prekarität bei den Betroffenen ausgelöste Furcht löst, so Pierre Bourdieu, auch bei den (noch) nicht Betroffenen Furcht aus, „eine Furcht, die im Rahmen von Prekarisierungsstrategien systematisch ausgenutzt wird ... Man wird den Verdacht nicht los, dass Prekarität gar nicht das Produkt einer mit der ebenfalls vielzitierten ‚Globalisierung‘ gleichgesetzten ökonomischen Fatalität ist, sondern vielmehr das Produkt eines politischen Willens ... Teil einer neuartigen Herrschaftsnorm, die auf die Errichtung einer zum allgemeinen Dauerzustand gewordenen Unsicherheit fußt und das Ziel hat, die Arbeitnehmenden zur Unterwerfung, zur Hinnahme ihrer Ausbeutung zu zwingen.“
Angsterzeugung durch die Ideologie des „unternehmerischen Selbst“
„Fragmentierung des neoliberalen Selbst setzt ein, sobald das Subjekt realisiert, dass es nicht nur Angestellter oder Student, sondern auch ein zu verkaufendes Produkt ist, ein wandelndes Werbeplakat, ein Manager seines Lebenslaufs, ein Biograf seiner Motive, ein Unternehmer der eigenen Möglichkeiten. Es muss ihm irgendwie gelingen, zugleich Subjekt, Objekt und Zuschauer zu sein. Es bleibt ihm verwehrt zu erfahren, wer es wirklich ist; stattdessen kauft es provisorisch die Person, die es bald werden muss. Es ist zugleich das Unternehmen, das Rohmaterial, das Produkt sowie der Kunde des eigenen Lebens. Es bildet ein Bündel von Vermögenswerten, die es zu investieren, zu pflegen, zu verwalten und zu vergrößern gilt, aber auch von Verbindlichkeiten, die reduziert, ausgelagert, überbrückt und gegen Schwankungen abgesichert werden müssen. Es ist der Star und das verzückte Publikum des eigenen Auftritts in einem. Das sind keine Rollen, in die man mühelos hineinschlüpft - sie erfordern permanente Festigung und Reglementierung.
Die Ideologie des unternehmerischen Selbst hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in alle gesellschaftlichen Konzeptualisierungen von Kindheit und Erziehung, von Familie und Beziehungen, von psychischen Störungen und Therapie und auch in unsere individuellen Konzeptualisierungen unserer Subjektivität und unserer eigenen Person eingewoben. Sie hat ihre tiefen Spuren im gesamten Bereich der Kultur hinterlassen. Dies zeigt sich etwa in der kulturell-medial verstärkten Überbewertung narzisstischer Bedürfnisse und in der Kultur extremer Individualisierung, Konkurrenz und sozialer Fragmentierung. Zugleich zielt diese Ideologie darauf, Individuen hervorzubringen, die in einer sozial atomisierten Gesellschaft nur noch als Konsumenten eine soziale Identität finden. Der Sozialhistoriker Steve Fraser zeigt in seiner großen historischen Studie The Age of Acquiescence detailliert auf, mit welchen Mitteln es eine kapitalistische Demokratie geschafft hat, die Bürger als atomisierte Konsumeinheiten voneinander zu isolieren und dazu zu bringen, für ihre soziale und ökonomische Lage sich selbst oder sich untereinander verantwortlich zu machen, so dass sie nicht einmal mehr eine Idee davon haben, was ein angemessenes menschliches Leben in einer solidarischen Gemeinschaft ausmacht. Die gegenwärtige durch die neoliberale Ideologie geprägte Kultur „fördert eine auf Identität und individuellen Lebensstil fokussierte Form von Gesellschaftspolitik ... Sie fördert die Infantilisierung und eine unersättliche Gier nach immer mehr und immer neuartigeren Formen von Falsch-Identitäten und unechten Formen einer Selbstentfaltung ... Das Konsumenten-Selbst, das wir heute für selbstverständlich halten, besteht nur aus einer leeren Hülse des Verlangens.“
Im pervertierten Freiheitsbegriff des Neoliberalismus bezieht sich die „Freiheit“ einer Person darauf, dass sie sich den Kräften des „freien Marktes“ zu unterwerfen hat, also von allen gesellschaftlichen und sozialen Banden „befreit“ und somit sozial und gesellschaftlich entwurzelt ist. Scheitert sie auf dem „Markt“, so darf sie dafür nicht gesellschaftliche Verhältnisse verantwortlich machen, sondern muss dies ihrem individuellen Versagen zuschreiben. Die Unsicherheit, ob man in einer konkreten Situation flexibel genug ist, die richtigen Anpassungsleistungen angesichts der Unvorhersehbarkeit des Marktes zu erbringen, führt zu dauerhafter Anspannung und zu einer Intensivierung der Anpassungsanstrengungen. Daher kann eine Person die Haltung eines unternehmerischen Selbst nur um den Preis psychischer Deformationen annehmen. Da die Ideologie des unternehmerischen Selbst auf einem empirisch hochgradig unangemessenen Menschenbild beruht, also der tatsächlichen Beschaffenheit unseres Geistes zuwiderläuft, überrascht es nicht, dass diese Entwicklungen mit zunehmenden narzisstischen und Borderline-Störungen, mit Burn-out, schweren Depressionen und Angststörungen einhergehen.
Die Ideologie des unternehmerischen Selbst ist mit ihren Folgen einer Individualisierung und Entsolidarisierung längst auch in emanzipatorischen Bewegungen wirksam geworden. Dort spiegelt sie sich beispielsweise in Parolen wider wie: „Wer die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern will, soll die Veränderungsenergie nicht auf Zentren der Macht richten, sondern mit der eigenen Veränderung beginnen.“ Diese frohe Botschaft zur Individualisierung des Glücks - die „Privatisierung der Utopie“ (Steve Fraser) - wird sicherlich von den Herrschenden gerne begrüßt. Entgegen einer solchen individualisierenden Konzeption ist Glück jedoch ein Zustand, der nicht allein von unserer individuellen Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung abhängt, sondern wesentlich auch von unseren sozialen Lebensverhältnissen, insbesondere einem Gefühl von Zugehörigkeit, und damit auch von unseren materiellen Lebensverhältnissen. Die vielfältigen Formen einer individualisierenden Psychologisierung von Glück und Selbstverwirklichung, wie sie gegenwärtig wieder hoch im Kurs stehen, tragen zur Stabilisierung der gegebenen Machtverhältnisse bei und führen zu einer weiteren Entleerung des politischen Raumes.“
Rohe Bürgerlichkeit
„Prekarisierung erzeugt bei den Betroffenen durch den Statusverlust und den Verlust einer Planungssicherheit Realangst. Diese Realangst ist jedoch durch die neoliberale Ideologiekomponente des unternehmerischen Selbst nicht mehr durch ein aktives Handeln zu bewältigen. Das Individuum schreibt sich sein Versagen selbst zu, wodurch die ausgelöste Realangst in Binnenangst transformiert wird. Da das unternehmerische Selbst auch bei größten individuellen Anstrengungen durch die unberechenbaren Veränderungen der Anforderungen des Marktes und durch seine Situiertheit in permanenter Konkurrenz niemals sicher sein kann, dass andere in ihrer Marktanpassung nicht „erfolgreicher“ sind, ist es mit einer andauernden Erfahrung von Überforderung und Ohnmacht konfrontiert. Dies wiederum löst in der betroffenen Person psychodynamische Prozesse aus, die sie stärker an den Status quo der ursprünglichen angstauslösenden Situation einer Prekarisierung binden und die ihr diese Situation, gewissermaßen in einer „Identifikation mit dem Aggressor“, als gerecht und berechtigt erscheinen lässt. Durch diese psycho-dynamischen Prozesse entsteht eine sich selbst erhaltende Traumatisierungsspirale der Verstärkung von lähmender Binnenangst.
Auf diese Weise wird bei den Opfern der Prekarisierung - und mittelbar in der Gesellschaft insgesamt - in einem sich selbst verstärkenden Prozess die Tendenz erhöht, den gesellschaftlichen Status quo zu akzeptieren und als erhaltenswert anzusehen.
Obwohl die Verlierer neoliberaler Transformationsprozesse und diejenigen, die auf diese Umgestaltung von Lebens- und Arbeitsbedingungen mit Abstiegsängsten und Ängsten vor dem Verlust ihres sozialen Status reagieren, nicht einfach Leidtragende von Naturgesetzlichkeiten globalisierter Märkte sind, sondern Opfer konkreter Entscheidungen der Machtausübenden, werden sie durch Psychotechniken, die auf eine Transformation von Angst in Binnenangst zielen, dazu gebracht, ihre Situation als selbst verschuldet anzusehen.
Die neoliberale Ideologie führt dazu, dass die Verlierer des Neoliberalismus Scham über ihre eigene Situation empfinden. Dies erzeugt bei ihnen innerpsychische Spannungen, die ihren äußeren Ausdruck darin finden, dass die Betroffenen eine verstärkte Neigung aufweisen, sich mit den Erfolgreichen und Mächtigen zu identifizieren und sich zugleich zu Lasten derjenigen, die sozial noch niedriger stehen, psychisch zu stabilisieren.
Während der Neoliberalismus die Opfer seiner Transformationsprozesse als für ihre Situation selbstverantwortlich erklärt, hat er es zugleich geschafft, für die politischen und ökonomischen Entscheidungsträger eine „Kultur der Verantwortungslosigkeit“ (C. Wright Mills) zu etablieren. Durch die ideologische Behauptung, dass diese Entscheidungsträger nur Sachzwängen und Naturgesetzlichkeiten des globalisierten freien Marktes Rechnung tragen würden, werden die Folgen dieser bewussten Entscheidungen - die Agenda 2010 ist ein prominentes Beispiel - dem menschlichen Verantwortungsbereich entzogen.
Der Neoliberalismus hat eine neue Kategorie menschlichen Tuns hervorgebracht, nämlich Taten ohne Täter. Damit hat er den Opfern dieser Taten die Möglichkeit genommen, diese Taten als menschliche Taten zu verstehen, sie Tätern zuzuweisen und aus diesen Taten angemessene Konsequenzen für ein gesellschaftliches Handeln zu ziehen.
Die systematische Erzeugung von sozial-ökonomischer Unsicherheit lässt in der Gesellschaft zwangsläufig große Empörungs- und Protestpotentiale entstehen und damit politische Veränderungsbedürfnisse. Der Neoliberalismus benötigt daher besonders wirkungsmächtige Methoden, diese Veränderungsbedürfnisse zu neutralisieren und auf Ablenkziele umzuleiten. Nun ist im Neoliberalismus die Organisation von Macht - und damit auch die tatsächlichen ökonomischen und politischen Zentren der Macht - für die Öffentlichkeit praktisch unsichtbar geworden. Zudem wurde in den verschiedenen Entwicklungsphasen des Neoliberalismus ein kaum noch überschaubares Arsenal an Möglichkeiten geschaffen, mit denen sich verhindern lässt, dass politische Veränderungsenergien auf demokratischem Wege nach oben zu den Machtausübenden wirksam werden können. In einer solchen Situation bieten sich solche Psychotechniken der Macht als besonders wirksam, durch die sich Veränderungsenergien nach unten zu den Machtunterworfenen selbst ableiten lassen. Durch die dem Neoliberalismus konstitutiv eingewobene meritokratische und sozialdarwinistische Grundhaltung lässt sich dies leicht bewerkstelligen. Denn die sozialdarwinistische Verachtung der Schwachen liegt am Ursprung der neoliberalen Ideologie; sie ist ihre Grundlage und ihr treibendes Moment. Wer ohne Arbeit ist, so befand schon 1884 der englische liberale Philosoph Herbert Spencer in seinem Werk The Man Versus the State, gehöre schlicht zu den „Taugenichtsen, die auf die eine oder andere Weise von den Tüchtigen leben“. (“They are simply good-for-nothings, who in one way or other live on the good-for-somethings.“) Denn es könne wohl kein Zweifel darüber bestehen, „dass in unserer Mitte ein immenses Maß an Elend existieren muss, das eine normale Folge von Fehlverhalten ist“. Es gebe nun einmal, so lautet durch die Jahrhunderte die anthropologische Weisheit der Herrschenden, kategorial unterschiedliche Arten von Menschen: bei Aristoteles Menschen, die von Natur aus zum Herrschen geboren seien, und Menschen, die von Natur aus zum Dienen geboren seien; beim gegenwärtigen französischen Staatspräsidenten Emmanuel Jean-Michel Frédéric Macron „Leute, die Erfolg haben, und jene, die nichts sind“ („gens qui réussissent et d‘autres qui ne sont rien“, 29. Juni 2017).
Der Neoliberalismus ist sehr erfolgreich in seinem Bemühen, die Opfer seiner Transformationsprozesse dazu zu bringen, sich ihre Situation „als normale Folge von Fehlverhalten“ selbst zuzuschreiben. Wenn sich erst die Verlierer einer neoliberalen Gesellschaftsordnung für ihre Situation selbst verantwortlich machen, bedarf es keiner großen propagandistischen Bemühungen mehr, sie für gesellschaftliche Gegenwartsprobleme insgesamt verantwortlich zu machen und politische Veränderungsenergien in einen Hass auf die Schwachen und Armen zu transformieren und auf diese Weise zu neutralisieren. Entsprechend gibt es eine wachsende Tendenz, Arbeits- und Obdachlose nach ökonomistischen Kriterien einer Verwertbarkeit zu beurteilen, sie als Versager und Überflüssige zu klassifizieren und somit zu entmenschlichen. „Dass die Armen nicht mehr als Klasse gelten, macht es leichter, sie als Einzelne zu hassen. Sie sind der Abfall des Marktes.“
Das zunehmende gesellschaftliche Sichtbarwerden von Prekarisierung und ihren Folgen beunruhigt auch die sozio-ökonomisch mittleren Schichten. Sie erleben eine wachsende materielle Unsicherheit über den Erhalt ihres sozialen Status und müssen die damit verbundenen Abstiegsängste psychisch bewältigen. Da die Ideologien der Meritokratie und des unternehmerischen Selbst den Weg zu einem solidarischen politischen Handeln blockieren, werden aus realen Abstiegsängsten diffuse Binnenängste. Die damit verbundenen Psychodynamiken, wie sie in der Traumatisierungsspirale beschrieben sind, lassen sich wiederum für Zwecke einer Machtstabilisierung nutzen. Gerade die Abstiegsängste erhöhen die Neigung der Betroffenen, den jeweiligen Status quo zu rechtfertigen und zu verteidigen. Durch die gewaltigen vom Neoliberalismus erzeugten gesellschaftlichen Spannungen hat diese ideologische Verteidigung des Status quo Formen angenommen, die der Soziologe und Konflikt- und Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer „rohe Bürgerlichkeit“ nennt. Das Entstehen und die Entwicklungen dieser Bewältigungsformen von Folgen der neoliberalen Transformation der Gesellschaft hat Heitmeyer seit Mitte der 1980er-Jahre detailliert erfasst und analysiert. Diese Art der Bewältigung in Form einer „rohen Bürgerlichkeit“ ist dadurch gekennzeichnet, dass sie „sich bei der Beurteilung sozialer Gruppen an den Maßstäben der kapitalistischen Nützlichkeit, Verwertbarkeit und Effizienz orientiert und somit Gleichwertigkeit von Menschen sowie ihre psychische wie physische Integrität antastbar macht und dabei zugleich einen Klassenkampf von oben inszeniert“. Dadurch hätten Teile des Bürgertums, so Heitmeyer, die Solidarität mit „denen da unten“ aufgekündigt und pflegten einen „eisigen Jargon der Verachtung“, mit dem Hartz-IV-Empfänger und Langzeitarbeitslose als „Nutzlose“ und „Ineffiziente“ diskriminiert werden. In höheren Einkommensgruppen habe sich verstärkt eine „Ideologie der Ungleichwertigkeit“ verfestigt.
„Rohe Bürgerlichkeit zeichnet sich - befeuert von politischen Entscheidungen - durch Tendenzen eines Rückzugs aus der Solidargemeinschaft aus.“ Heitmeyer sieht in der von ihm erfassten „rohen Bürgerlichkeit“ den „Nährboden für eine elitär motivierte Menschenfeindlichkeit“. Diese Menschenfeindlichkeit wohnt freilich, wie das dem Neoliberalismus zugrunde liegende Menschenbild bereits erkennen lässt, dem Neoliberalismus wesenhaft und konstitutiv inne.
Als Ursachen dieser Entwicklung einer „rohen Bürgerlichkeit“ macht Heitmeyer die „ökonomistische Durchdringung sozialer Verhältnisse“, eine „Demokratieentleerung“ und „fehlende politische und öffentliche Debatten über das Verhältnis von Kapitalismus und Demokratie“ aus. Damit identifiziert er präzise die tieferliegenden Wurzeln sozialer Verrohungen, die mit dem Siegeszug der neoliberalen Revolution von oben ein Kennzeichen der Gesellschaften in „kapitalistischer Demokratien“ geworden sind.“
https://www.youtube.com/watch?v=nEA-0NXhpfc
Intellektuelle und Journalisten als Bannwarte der Macht
„Naturgemäß wird der öffentliche Debattenraum gerade durch diejenigen konstituiert, die über Möglichkeiten verfügen, ihre Haltungen und Positionen für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen, also vorwiegend Funktionseliten, Journalisten und Intellektuelle mit privilegiertem Zugang zu Konzernmedien und öffentlich-rechtlichen Medien.
Die Grenzziehung zwischen den als „vernünftig“, also „zulässig“, und den als „unverantwortlich“ und „extremistisch“ deklarierten Positionen erfolgt wesentlich durch Medien (in denen sich die Interessen ökonomischer und politischer Machtgruppierungen widerspiegeln) und durch eine große Schar bereitwilliger Intellektueller. Um als Intellektueller seine Stimme in den öffentlichen Debattenraum einbringen zu können, muss man all die komplexen Filter passieren, die den Zugang zu Massenmedien und öffentlich-rechtlichen Medien regulieren. Das gelingt umso leichter, je weniger man in Gefahr ist, als außerhalb des als „vernünftig“ markierten Bereichs zu stehen.
In der Geschichte finden sich vielfältige Beispiele, die belegen, dass diejenigen, welche die gesellschaftlichen Sozialisationsinstanzen am längsten durchlaufen und somit die herrschende Ideologie tendenziell am tiefsten verinnerlicht haben, auch am ehesten dazu neigen, sich in den Dienst politischer und ökonomischer Machteliten stellen. Da sie auf ihrem langen Sozialisationsweg zugleich die strukturellen Mechanismen internalisiert haben, über die sich gesellschaftliche Anerkennung gewinnen lässt, bedarf dieser Prozess einer Ausrichtung an den Kraftfeldern der Macht zumeist keiner besonderen Steuerung mehr. In einigen Bereichen - im universitären Bereich insbesondere in Ökonomie und Politologie sowie im politischen Journalismus der Konzernmedien und auf den Leitungsebenen öffentlich-rechtlicher Medien - weisen diese Mechanismen eine nahezu perfekte Ausprägung auf, so dass sie von einer systematischen Steuerung von außen im Ergebnis nicht zu unterscheiden sind. Die in die Karrieremechanismen eingebauten Filter sorgen, vor allem in den genannten Bereichen, gleichsam automatisch dafür, dass die „Richtigen“ in die mit Anerkennung und gesellschaftlicher Wirksamkeit verbundenen sozialen Positionen gelangen. Folglich sind in jedem ideologischen System die Zentren der Macht gesellschaftlich weiträumig von intellektuellen System-Apologeten umgeben, die sich wie Eisenspäne in den Kraftfeldern der Macht ausrichten und damit zugleich ihren eigenen privilegierten Status sichern. Bei denjenigen Gruppierungen, die sich gerne zu kulturellen und geistigen Eliten erklären, war und ist seit jeher das Bedürfnis besonders ausgeprägt, die Anerkennung der jeweils Mächtigen zu erlangen und somit zumindest symbolisch an deren Macht zu partizipieren. Für ein Verständnis der Mechanismen, durch die sich eine Stabilität von Machtstrukturen sichern lässt, ist es daher erforderlich, auch die Art und Weise zu untersuchen, wie sich in spezifischen Machtstrukturen Intellektuelle in den Dienst der jeweils herrschenden Ideologie stellen.
Bertolt Brecht hat viele Jahre den Typus des affirmativen Intellektuellen, den er in einer Silbenumstellung von „Tellekt-Uell-In“, kurz Tui nannte, studiert und in seinem überwiegend Fragment gebliebenen Tui-Roman beschrieben. „Der Tui ist der Intellektuelle dieser Zeit der Märkte und Waren. Der Vermieter des Intellekts.“ Die Tuis sind die Träger und Vermarkter der Freiheitsillusion, sie sind die „Weißwäscher, Ausredner und Kopflanger“ der Mächtigen und „in großer Anzahl über das Land verbreitet und zwar als Beamte, Schriftsteller, Ärzte, Techniker und Gelehrte vieler Fächer“. Die Tuis werden in Tui-Schulen gezüchtet. Ihre Funktion ist es, die Wahrnehmung der Realität interessengeleitet zu verformen und das öffentliche Bewusstsein so umzuformen, dass es die Kraftfelder der Macht nicht stört.
Der Typ des Tui hat in der Gegenwart stark an Bedeutung gewonnen. Da der Bevölkerung die Diskrepanz zwischen Ideologie und Realität immer offenkundiger wird, bedarf es immer größerer Anstrengungen, diese Brüche zu verdecken. Dazu bieten sich - wie immer in der Geschichte - Scharen bereitwilliger Intellektueller und Journalisten an - eben Tuis.“
Lösungsansätze
„Wenn wir uns aus den Fesseln systematisch erzeugter gesellschaftlicher Angst befreien und emanzipatorische Fortschritte in Richtung einer menschenwürdigeren Gesellschaft ermöglichen wollen, so müssen wir, wie Noam Chomsky nicht müde wird uns zu ermahnen, entschlossen an die Wurzeln der Machtverhältnisse gehen, die einem solchen Ziel im Wege stehen: „Solange die Wirtschaft unter privater Kontrolle steht, ist es egal, welche Formen das System annimmt, weil sich mit der Form nichts erreichen lässt. Selbst wenn es politische Parteien gäbe, an denen sich die Bürger engagiert beteiligen und Programme ausarbeiten, von denen sie überzeugt sind, hätte das bestenfalls marginalen Einfluss auf die Politik, weil die Macht anderswo verortet ist.“
Nehmen wir einmal kontrafaktisch an, dass es uns auf der Basis aller Erfahrungen der Geschichte und des gesamten zur Verfügung stehenden Wissens gelungen wäre, eine realistische Konzeption einer menschenwürdigen Gesellschaft zu entwerfen. Insbesondere wollen wir kontrafaktisch annehmen, dass es uns für die Formulierung eines solchen Ziels gelungen wäre, alle verfügbaren Einsichten in die menschliche Natur und in die Beschaffenheit der Gesellschaft zu integrieren, einschließlich aller historischen Erfahrungen, die in langen sozialen Kämpfen gewonnen wurden, und aller Einsichten in gegenwärtige Organisationsformen der Zentren der Macht, und dass wir zudem konkrete praktikable Organisations- und Wirtschaftsformen einer menschenwürdigen Gesellschaft entwickelt hätten, einschließlich realistischer Transformationsprozesse, die uns von der jetzigen Situation zu einem gewünschten Zustand führen würden. All dieses Wissen als solches wäre vermutlich kaum geeignet, etwas an der heutigen Situation zu ändern, weil diejenigen, bei denen heute die Macht verortet ist und die nach einer solchen Transformation sehr viel schlechter gestellt wären, schlicht die Macht haben, die politische Akzeptanz der von uns angestrebten Änderungen zu verhindern, und über Repressionsmittel verfügen, alle entsprechenden Transformationsprozesse zu verhindern.
Die tatsächliche Macht ist heute in neuartigen globalen Organisationsformen verortet, die vollkommen einer gesellschaftlichen Kontrolle entzogen sind, die für die Bevölkerung weitgehend unsichtbar sind und die zudem durch einen gigantischen US-amerikanischen Militär- und Sicherheitsapparat geschützt werden. Daraus resultiert eine Asymmetrie der Machtverhältnisse zwischen den Zentren der Macht und denjenigen, die ihr unterworfen sind, die in ihrem globalen Maßstab und in ihrer gesellschaftlichen Durchdringungstiefe historisch einzigartig ist.
Der Neoliberalismus hat zu einem zivilisatorischen Regress einer Entzivilisierung von Macht geführt, als dessen Folge unsere Gesellschaft und unsere gesamten Lebensgrundlagen zerstört werden. Ein wirksames zivilisatorisches Gegenmittel kann nur von unten kommen und muss von unserer Entschlossenheit und unserer unbeirrbaren Überzeugung geleitet sein, dass es keine Form gesellschaftlicher Macht geben darf, die nicht demokratisch legitimiert ist. Ein solches Projekt hat zu seiner notwendigen Voraussetzung, zunächst die mit dem Neoliberalismus zum Extrem getriebene soziale Fragmentierung und Atomisierung zu überwinden und auf der Grundlage eines egalitären Humanismus - also einer Anerkennung aller Menschen als Freie und Gleiche ungeachtet ihrer faktischen Differenzen - Solidarität und Gemeinschaftssinn als Fundamente gesellschaftlichen Handelns zurückzugewinnen.“
„Soziale Bewegungen sind dort am erfolgreichsten, wo sie auf konkrete und operational bestimmbare Ziele fokussieren. Für solche Erfolge gab und gibt es weltweit unzählige Beispiele, aus denen wir Hoffnung für die Zukunft schöpfen können. Die lokale Stärke sozialer emanzipatorischer Bewegungen ist zugleich ihre Schwäche, was Änderungen grundlegender Machtverhältnisse betrifft. Um grundlegende Systemänderungen zu erreichen, müssen sie sich miteinander verbinden, ihre Energien bündeln und sich durch Einbettung in einen übergeordneten Rahmen Beständigkeit und Kontinuität geben. Eine solche Integration benötigt gemeinsame Ziele und gemeinsame historische Erfahrungen, wie sie eine übergreifende Rahmenerzählung verkörpert, die über lokale Anliegen hinausgeht und auf grundlegende Änderungsaspekte zielt. Dieser Rahmen hat also mehrere Funktionen. Er muss historisch gewonnene Erfahrungen und Einsichten bündeln und für Probleme der Gegenwart bereitstellen. Er darf nicht Oberflächenphänomenen verhaftet bleiben, sondern muss auf die Wurzeln gegenwärtiger Machtverhältnisse zielen. Er muss zudem erreichbare übergreifende Ziele formulieren, die so attraktiv sind, dass sie geeignet sind, in der Breite der Bevölkerung wieder utopische Energien freizusetzen, wie sie seit jeher Motor zivilisatorisch-emanzipativer Fortschritte waren.
Wir müssen also nicht nur im Kleinen wissen, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Die radikaldemokratischen Vorstellungen einer gesellschaftlichen Einhegung von Macht, wie sie in der Aufklärung gewonnen wurden, liefern für eine solche integrierende Rahmenerzählung einen vielversprechenden Ausgangspunkt. Sie sind durch historische Handlungsmodelle gestützt, intellektuell in der Tiefe fundiert und geeignet, positive affektive Energien freizusetzen. Unsere Aufgabe ist es, dieses großartige historische Erbe für unsere gegenwärtigen Belange zu nutzen und weiterzuführen. Eine solche, unterschiedliche emanzipatorische Belange integrierende Rahmenerzählung könnte dem Anliegen sozialer Kämpfe für eine menschenwürdigere Gesellschaft einen neuen Glanz verleihen. Gegenüber ihren inhaltlichen Zielen ist es dann zweitrangig, unter welchen sprachlichen Bezeichnungen sie firmiert, sei es „links“, „sozialistisch“, „rätedemokratisch“ oder „radikaldemokratisch“. Wobei wir uns allerdings unserer natürlichen Neigung zu einem Wortaberglauben bewusst sein müssen, das heißt unserer Überzeugung, dass jedem Wort auch ein Sachverhalt in der Welt entsprechen müsse und dass somit unterschiedliche Wörter auch reale Differenzen widerspiegeln. Insofern kann bereits die Möglichkeit, eine in der Sache kohärente integrierende gemeinsame Rahmenerzählung sprachlich mit unterschiedlichen Attributen zu belegen, den Keim einer Spaltung sozialer Bewegungen in sich tragen oder die sich durch unterschiedliche Perspektiven und Gewichtungen ohnehin ergebenden Spaltungsneigungen verstärken. Doch ohne eine gemeinsame emanzipatorische Rahmenerzählung, die auf die Wurzeln von Machtverhältnissen zielt, laufen alle sozialen Bewegungen Gefahr, ephemer und flüchtig zu bleiben.“
https://www.youtube.com/watch?v=1x8x9NokCZ0
Zuschlechterletzt
Aus einem früheren Beitrag des Wurms:
„„Der Politische Analphabet“ von Bertolt Brecht:
„Der schlimmste Analphabet ist der politische Analphabet. Er hört nicht, spricht nicht, und nimmt nicht an den politischen Ereignissen teil. Er weiß nicht, daß die Kosten des Lebens, der Preis der Bohnen, des Fisches, des Mehls, der Miete, des Schuhes und des Medikamentes von politischen Entscheidungen abhängen. Der politische Analphabet ist so dumm, daß er stolz ist und sich in die Brust wirft um zu sagen, daß er Politik haßt. Der Schwachsinnige weiß es nicht, daß aus seiner politischen Ignoranz die Prostitution, der verlassene Minderjährige, der Räuber und der schlimmste von allen Verbrechern – der politische Betrüger, korrupt, Lakai der nationalen und multinationalen Unternehmen resultieren.“
http://www.diedenker.org/inhalte/brecht-zum-politischen-analphabeten/
Aus “Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes“ von Jean-Jacques Rousseau:
„Je besser der Staat verfaßt ist, desto mehr überwiegen im Herzen der Bürger die öffentlichen Angelegenheiten die privaten. Es gibt sogar viel weniger private Angelegenheiten; denn indem die Gesamtheit des gemeinsamen Glücks einen bedeutenderen Anteil zu dem jedes Individuums beiträgt, muß dieses sein Glück weniger in der Sorge um sein eigenes Wohl suchen. In einem gut geführten Staat eilt jeder zu den Versammlungen; unter einer schlechten Regierung möchte niemand auch nur einen Schritt dorthin tun; weil nämlich keiner mehr Interesse daran hat, was dort geschieht, weil man voraussieht, daß der Gemeinwille dort nicht herrscht, und weil schließlich die Sorgen um das häusliche Wohl alles in Anspruch nehmen. Gute Gesetze lassen bessere entstehen, schlechte ziehen schlechtere nach sich. Sobald einer bei den Staatsangelegenheiten sagt: Was geht’s mich an?, muß man damit rechnen, daß der Staat verloren ist.“
http://www.gewaltenteilung.de/tag/gesellschaftsvertrag
…
Grundzüge einer dystopischen Gesellschaft
Mensch möge bei jedem der von „Wikipedia“ aufgeführten Punkte den Vergleich zur heutigen Gesellschaft ziehen und innerlich sagen „ja“ oder „nein“ oder auf einer Skala von 1 bis 10 eine Zahl nennen:
„Eine dystopische Gesellschaft weist für gewöhnlich mindestens einen der folgenden Züge aus dieser nicht erschöpfenden Liste auf:
- eine augenscheinlich utopische Gesellschaft, frei von Armut, Seuchen, Krankheit, Konflikten und sogar emotionaler Niedergeschlagenheit. Unter der Oberfläche offenbart sich jedoch genau das Gegenteil. Die zentralen Aspekte der Geschichte sind erstens das Problem an sich, zweitens die Art und Weise, wie dieses vertuscht wird, sowie drittens die Chronologie des Problems.
- Weitgehende Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge ohne funktionierende Aufsicht und Regulierung des Staates. Dies hat zur Folge, dass ärmere Schichten nicht mit Energie und Wasser versorgt werden.
- Privatisierung der öffentlichen Verwaltung, wie auch im Gegensatz dazu deren bloße, systembezogene Hypertrophierung, z.B. in Franz Kafkas Der Process
- Soziale Schichtung, wobei die Gliederung der Gesellschaft in soziale Klassen streng definiert ist und ebenso streng durchgesetzt wird. Es fehlt an sozialer Mobilität, z. B. im Roman Schöne neue Welt von Aldous Huxley die Unterteilung in Alphas, Betas, Gammas, Deltas und Epsilons (Kastenwesen).
- Eine reiche Oberschicht isoliert sich in nach außen abgeriegelten (und teilweise luxuriösen) Wohnkomplexen, während die restliche Bevölkerung unter einfachen Bedingungen hausen muss wie in Die Tribute von Panem von Suzanne Collins.
- Ein hohes Wohlstandsgefälle sichert der reichen Oberschicht Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln und Wasser, während sich der Rest der Bevölkerung mit künstlichen Nahrungsmitteln zufriedengeben muss.
- wenig bis gar keine Mitbestimmung der unteren Schichten an politischen Entscheidungen, die allein von der Obrigkeit getroffen werden.
- staatliche Propaganda und ein Bildungssystem, das die meisten Bürger in die Anbetung des Staates und seiner Regierung nötigt und ihnen die Überzeugung aufzwingt, das Leben unter dem Regime sei gut und gerecht.
- die Einführung einer Sprache, die Kritik am Staat oder die Organisierung eines Aufstands unmöglich macht, da zu diesem Zweck schlicht die Worte fehlen (siehe Neusprech).
- strikter Konformismus und die allgemein herrschende Annahme, dass Dissens und Individualität ein Übel seien.
- in der Regel gibt es eine Repräsentationsfigur des Staates, die von den Bürgern fanatisch angebetet wird, in Begleitung eines aufwendigen Personenkultes, wie z. B. für die Figur des Großen Bruders in dem Roman 1984 von George Orwell.
- Angst bzw. Abscheu vor der restlichen Welt außerhalb des eigenen Staates.
- die allgemein herrschende Ansicht, das traditionelle Leben (insbesondere die traditionellen organisierten Religionen) sei primitiv und unsinnig. Alternativ dazu die vollständige Dominierung der Gesellschaft durch eine Staatsreligion, z. B. den Engsoz (Englischer Sozialismus, engl. Ingsoc = English Socialism) in 1984, oder die „Technopriests“ in der Comic-Buchreihe Der Incal rund um den Privatdetektiv John Difool.
- das „historische Gedächtnis“ der bürokratischen Institutionen hebt das kollektive historische Gedächtnis der Menschen auf oder hat Vorrang vor diesem. Im Roman 1984 ist das Ministerium für Wahrheit mit der Anpassung des „autobiographischen“ gesellschaftlichen Gedächtnisses an die Bedürfnisse des Regimes betraut.
- ein Strafvollzugsgesetz, dem eine angemessene Strafprozessordnung fehlt bis hin zum privatisierten Strafvollzug.
- Mangel an lebensnotwendigen Gütern für weite Teile der Bevölkerung, einhergehend mit bevorzugter Versorgung privilegierter Schichten. Dies kann bis zu fast ewigem Leben für Privilegierte gehen (In Time – Deine Zeit läuft ab).
- permanente Überwachung durch die Regierung oder ihre Behörden.
- Abwesenheit oder aber vollständige Kooptation der gebildeten Mittelschicht (z. B. Lehrer, Journalisten, Wissenschaftler), die in der Lage wäre, das herrschende Regime zu kritisieren.
- militarisierte Polizeikräfte bis hin zur Privatisierung von Polizei und Militär.
- die Verbannung der natürlichen (biologischen) Umwelt aus dem Alltag.
- Konstruktion fiktionaler Ansichten über die Realität, die der breiten Masse aufgezwungen werden.
- Korruption, Unfähigkeit oder Usurpation der demokratischen Institutionen.
- vorgetäuschte Rivalität zwischen Gruppen, die tatsächlich ein Kartell bilden.
- die etablierten Kräfte bestehen darauf, dass sie die beste aller möglichen Welten verwirklichen und alle innerstaatlichen Probleme durch die Kräfte des (wenn nötig auch fiktiven) Feindes verursacht werden.
- ein übergreifender, langsamer Zerfall aller Systeme (politisch, ökonomisch, religiös, infrastrukturell …), der der Entfremdung des Einzelnen von der Natur, dem Staat, der Gesellschaft, der Familie sowie sich selbst geschuldet ist.
- Kritik, die trotz repressiver Maßnahmen des Regimes öffentlich wird, wird von der Medien- und Vergnügungskultur der Gesellschaft aufgesaugt, trivialisiert und damit ins Absurde verkehrt, so z. B. in Schöne Neue Welt, in dem die Geschichte des Protagonisten „Michel“ (in der englischen Ausgabe „John“, auch The savage ‚Der Wilde‘) von den staatlichen Medien zum reinen Zwecke der Unterhaltung bzw. Vergnügung für breite Bevölkerungsschichten aufbereitet wird.
- Ausrichtung von Gesellschaft und Wirtschaft auf Stabilität. Die Ökonomie in dystopischen Gesellschaften ist so strukturiert, dass die Regierung oder das ökonomische System selbst immun gegenüber Veränderungen oder Störungen ist.
- Industrien arbeiten mit maximaler Effizienz und Kapazität, der erwirtschaftete Überschuss wird dabei vom Staat absorbiert. In 1984 sind die lebensnotwendigen Güter rationiert, und der erwirtschaftete Überschuss wird vom immerwährenden „Krieg“ gegen Eurasien oder Ostasien aufgesaugt. In Schöne Neue Welt fließt der Überschuss in das extreme Konsumverhalten der Bevölkerung, zu dem die Bevölkerung gar von der Regierung konditioniert wird.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Dystopie
http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/198-dystopie.html
Das Thema des Wurms besteht ja darin, Denken und Handeln der Menschen zu erforschen, Widersprüchen, Irrationalitäten und deren Rechtfertigungen nachzugehen. Dem entsprechend hat der Wurm über einige der von Rainer Mausfeld angeschnittenen Bereiche Beiträge geschrieben. Unter anderem diese:
- Demokratische Alternativen: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/374-kurt-eisner.html
- Falschwörter („Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“): http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/176-personifizierter-drecksack.html
- Diffamierungs-Begriffe („Querfront“ und „Antisemitismus“): http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/184-querfront.html
http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/318-zeit-gegen-die-verleumder-vorzugehen.html
- Ränder des Denk- und Sagbaren verschieben sich: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/380-identitaere-bewegung.html
- Festlegen, was noch gesagt werden darf: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/54-schuss-nach-hinten.html
- Mitte-Extremismus: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/105-weltmeister.html
- Gefährder: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/328-drohende-gefahr.html
- Kampf gegen Terror (Linken-Hatz in den USA): http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/293-justiz-mord.html
- es gibt keinen guten Hegemon; eigenständiges Handeln ist nicht möglich: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/128-reich-der-finsternis.html
http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/215-letzter-versuch-eigenstaendigen-handelns.html
http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/177-man-spricht-deutsch.html
http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/149-teile-und-herrsche.html
- Humanitäre Intervention: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/379-die-moerder-sind-unter-uns.html
http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/253-illegale-kriege.html
- Brutkastenlüge: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/190-die-luege-aller-luegen.html
- Farb-Revolution: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/57-boxer-aufstand.html
- Übergang in autoritäre Staatsformen: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/356-im-jordan-getauft.html
- Auswirkungen Neoliberalismus: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/263-der-geheimdienst-die-stadt-und-die-not.html
http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/280-leiharbeit.html
http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/269-machtinstrument-der-finanzelite-iwf.html
- Organisierte Kriminalität: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/363-cum-und-ex.html
- Intellektuelle: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/39-leben-im-elfenbeinturm.html
- Wissenschaftler: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/276-mietbare-zwerge.html
- Psychologen: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/169-ultra.html
- Journalisten: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/98-geistige-abschottung-fuehrt-zu-verbloedung.html
- nützliche Idioten: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/189-ein-gutmensch-ist-ein-schlechter-mensch.html
Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm