Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Percy B. Shelley

„Welcher große Dichter der Neuzeit wäre in Deutschland so wenig gekannt wie Shelley? Wird seine Weltflüchtigkeit, sein exzentrischer Idealismus auch stets ein Hinderungsgrund sein, daß Shelley irgendwo oder irgendwann populär werde, so ist der Umstand doch betrübend, daß er, Englands größter Lyriker, der ideale Dichterphilosoph, der freigeistigste und kühnste aller Engländer, selbst den hochgebildeten deutschen Leserklassen fast ein Fremder ist. Die Hauptschuld an diesem auffallenden Mangel an Interesse für den großen Dichter trägt jedoch der Umstand, daß unsere Literaturforscher denselben dem Publikum zu wenig vermittelt haben. Shelley ist von diesen in hohem Grade vernachlässigt worden. Es existiert in Deutschland keine einzige größere Arbeit über ihn. Die wenigen Kenner und Verehrer Shelley’s werden jedoch einräumen, daß wir ihm eine Würdigung schuldig sind, und in Denjenigen, die ihn noch nicht kennen, wird eine solche vielleicht den Wunsch erwecken, ihn kennen zu lernen.

In England selbst ist Shelley’s Stellung eine ganz andere. England ist zur Einsicht gekommen, was es an ihm besessen und was es an ihm verbrochen hat, ja, es wird von dem freisinnigeren Publikum vielleicht kein anderer Dichter des Landes derartig gefeiert wie Shelley.“

Helene von Druskowitz schrieb das in ihrem Buch „Percy Bysshe Shelley“ aus dem Jahr 1884. Sehr viel hat sich seitdem nicht geändert. Nichtsdestotrotz ist Percy Bysshe Shelley, der vor 225 Jahren geboren wurde und nach seinem Tod große Auswirkungen auf die europäische Gedankenwelt hatte, aktueller denn je.

Aus „Wikipedia“: „Jeremy Corbyn rezitierte am 27. Juni 2017 in seiner Ansprache beim Glastonbury Festival aus Shelleys Gedicht Mask Of Anarchy:

 

“Rise like Lions after slumber

In unvanquishable number -

Shake your chains to earth like dew

Which in sleep had fallen on you -

Ye are many - they are few.”

 

„Erhebt euch wie Löwen nach dem Schlummer

In unüberwindlicher Zahl -

Schüttelt eure Ketten ab wie Tau,

Der im Schlaf auf euch gefallen ist –

Ihr seid viele – sie sind wenige.“

 

und ermutigte die anwesenden jungen Leute, ihre gemeinsame Macht zu erkennen, durch die sie die Welt verändern könnten."

https://de.wikipedia.org/wiki/Percy_Bysshe_Shelley

 

Percy Shelley und der Wurm

 

Leser des Wurms mit einem sehr guten Gedächtnis werden sich an zwei Beiträge des Wurms erinnern, in denen Percy Shelley eine Rolle spielte.

So zitierte der Wurm Friedrich Engels: „Daß übrigens die Arbeiter auch für "solide Bildung", wenn sie unvermischt mit der interessierten Weisheit der Bourgeoisie vorgetragen wird, Sinn haben, beweisen die häufigen Vorlesungen über naturwissenschaftliche, ästhetische und nationalökonomische Themata, die an allen proletarischen Instituten, besonders den sozialistischen, häufig gehalten und sehr gut besucht werden. Ich habe manchmal Arbeiter, deren Samtröcke nicht mehr zusammenhalten wollten, mit mehr Kenntnis über geologische, astronomische und andre Gegenstände sprechen hören, als mancher gebildete Bourgeois in Deutschland davon besitzt. Und wie sehr es dem englischen Proletariat gelungen ist, sich eine selbständige Bildung zu erwerben, zeigt sich besonders darin, daß die epochemachenden Erzeugnisse der neueren philosophischen, politischen und poetischen Literatur fast nur von den Arbeitern gelesen werden. Der Bourgeois, der Knecht des sozialen Zustandes und der mit ihm verbundenen Vorurteile ist, fürchtet, segnet und kreuzigt sich vor allem, was wirklich einen Fortschritt begründet; der Proletarier hat offne Augen dafür und studiert es mit Genuß und Erfolg. In dieser Beziehung haben besonders die Sozialisten Unendliches zur Bildung des Proletariats getan, sie haben die französischen Materialisten, Helvetius, Holbach, Diderot usw., übersetzt und nebst den besten englischen Sachen in billigen Ausgaben verbreitet. Strauß' "Leben Jesu" und Proudhons "Eigentum" zirkulieren ebenfalls nur unter Proletariern. Shelley, der geniale prophetische Shelley und Byron mit seiner sinnlichen Glut und seiner bittern Satire der bestehenden Gesellschaft haben ihre meisten Leser unter den Arbeitern; die Bourgeois besitzen nur kastrierte Ausgaben, "family editions", die nach der heuchlerischen Moral von heute zurechtgestutzt sind. Die beiden größten praktischen Philosophen der letzten Zeit, Bentham und Godwin, sind, namentlich letzterer, ebenfalls fast ausschließliches Eigentum des Proletariats; wenn auch Bentham unter der radikalen Bourgeoisie eine Schule besitzt, so ist es doch nur dem Proletariat und den Sozialisten gelungen, aus ihm einen Fortschritt zu entwickeln. Das Proletariat hat sich auf diesen Grundlagen eine eigene Literatur gebildet, die meist aus Journalen und Broschüren besteht und an Gehalt der ganzen Bourgeoisie-Literatur bei weitem voraus ist.“

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/272-ziemlich-beste-freunde.html

Im Beitrag, in dem es um Mary Shelley und ihren „Frankenstein“ ging, spielte er eine größere Rolle:

 

„Der Geliebte: Percy Bysshe Shelley

 

„Seine Schriften blieben politisch nicht unwirksam, sie hatten etwa Einfluss auf die Chartisten. Eleanor Marx, die jüngste Tochter von Karl Marx, stellte die Bedeutung Shelleys für die Arbeiterbewegung mit den Worten heraus: "Ich habe meinen Vater und Engels wieder und wieder darüber sprechen hören, und ich habe dasselbe von den vielen Chartisten gehört, die ich glücklicherweise als Kind kennenlernen durfte.""

https://de.wikipedia.org/wiki/Percy_Bysshe_Shelley

„Vorwort des Uebersetzers

Ich habe dieser Verdeutschung einer Auswahl von Shelley's Gedichten ein paar kurze Bemerkungen vorauszusenden, welche sich auf das Verhältniß meiner Arbeit zu den vorhandenen Uebersetzungen beziehen …

Einige Notizen über Shelley's Leben und Schriften dürften dem Leser willkommen sein. Percy Bysshe Shelley war der älteste Sohn des Baronets Sir Timothy Shelley, und am 4. August 1792 auf dem Landsitz seines Vaters, Fieldplace bei Warnham in der Grafschaft Sussex, geboren. Schon in frühester Jugend brachte ihn die ideale Richtung seines Geistes und seine unerschrockene Wahrheitsliebe in herben Konflikt mit seiner Umgebung. Der starre Pennalismus auf der Schule von Eton, die Roheiten seiner Mitschüler und die Grausamkeit seiner Lehrer entflammten ihn zu edlem Zorn und Widerspruch; vor Allem erregte die fromme Heuchelei, welche stets die Worte »Gott« und »Christenthum« im Munde führte, während ihre Beweise Schläge und Drohungen waren, seinen vollsten Abscheu, und er brach kühn entschlossen mit einem Glauben, der in seinen Bekennern nur die Frucht des Hasses und tyrannischer Härte zu reifen schien. Schon im zweiten Jahre seines Aufenthaltes in Oxford verfaßte Shelley eine Schrift: »Ueber die Nothwendigkeit des Atheismus«, und überreichte dieselbe den Häuptern der Kirche und der Universität. Er wurde vor den Professoren-Konvent beschieden, und als er sich weigerte, den geforderten Widerruf zu leisten, traf ihn das Schicksal, wegen Atheismus von der Universität ausgestoßen zu werden. Er trug sein Loos mit der Würde eines Märtyrers, und als sein Vater ihn mit kalter Verachtung empfing, verließ er für immer das elterliche Haus und bezog zunächst ein kleines Stübchen in London, wo er in tiefer Einsamkeit sich seinen poetischen und philosophischen Studien hingab.

Die Intoleranz, der er bis jetzt überall begegnet war, der Gegensatz zwischen Reich und Arm, welcher sich ihm täglich in der Weltstadt aufdrängte, die Tyrannei, welche ihr blutiges Scepter über fast alle Länder der Erde schwang, erweckten in dem jungen Träumer heiß und heißer die Sehnsucht nach einem tausendjährigen Reiche des Friedens und der Liebe, und in diesem Sinne dichtete er in seinem achtzehnten Lebensjahre die »Königin Mab«, welche er damals (1810) nur in wenigen Exemplaren als Manuskript für Freunde drucken ließ. Erst zehn Jahre später wurde das Gedicht, gegen Wunsch und Willen des Verfassers, von einem Londoner Verleger eigenmächtig wieder abgedruckt, und fand seitdem die weiteste Verbreitung.

In demselben Jahr entführte Shelley die fünfzehnjährige Miß Harriet Westbrook und ließ sich von dem bekannten Schmiede zu Gretna Green mit ihr trauen. Die übereilt geschlossene Ehe war eine höchst unglückliche, und wurde nach drei Jahren wieder gelöst, nachdem die junge Frau zwei Kindern das Leben geschenkt hatte. Im Frühjahr 1813 wurde Shelley, dessen Konstitution zeitlebens eine ungemein zarte und schwächliche war, von einer gefährlichen Krankheit befallen; es zeigten sich entschiedene Symptome der Lungenschwindsucht, und die schmerzhaftesten Brustkrämpfe quälten ihn. Plötzlich trat eine auffallende Besserung ein, die Lungenkrankheit verschwand gänzlich, aber es blieb eine nervöse Reizbarkeit zurück, die sich mit den Jahren steigerte und durch mannigfache körperliche wie geistige Leiden genährt ward.

Sobald der Friede von 1814 das Reisen auf dem Kontinent gestattete, machte Shelley zur Kräftigung seiner angegriffenen Gesundheit einen Ausflug durch Frankreich nach der Schweiz, und kehrte rheinabwärts über Belgien nach England zurück. Da er jetzt mündig geworden war, gestalteten sich seine bisher ziemlich gedrückten äußeren Verhältnisse um vieles günstiger. Er trat das ihm zugefallene Lehnsgut gegen eine Rente von 1000 Pfund Sterling wieder an seinen Vater ab, und miethete ein Haus auf Bishopsgate Heath am Rande des Waldes von Windsor. Von dort aus durchstreifte er im Laufe des Jahres 1815 die Küste von Devonshire, besuchte die Quellen der Themse, und schrieb nach der Rückkehr von diesen Ausflügen den » Alastor«, während er oft tagelang unter den riesigen Eichbäumen des Parkes von Windsor lag. Der Schatten des Todes, der ihm in den letzten Jahren so oftmals als ein Erlöser von aller irdischen Qual erschienen war, wirft ein geheimnißvoll erhabenes Dunkel über diese tiefsinnige Elegie, welche in den glühendsten Farben die Reize der Natur und die Qualen einer leidenschaftlich kämpfenden Dichterseele, eines vergeblich die Liebe suchenden Herzens besingt.

Bald nachher lernte er auf einer zweiten Reise nach der Schweiz Miß Mary Woolstonecraft Godwin, die Tochter des Verfassers von »Caleb Williams«, kennen, und vermählte sich mit dieser edlen, hochherzigen und feingebildeten Dame, welche ihm seitdem in allen Freuden und Leiden des Lebens eine treue Gefährtin blieb. Er verlebte den Sommer des Jahres 1816 großentheils am Genfer See, und verkehrte dort besonders mit Lord Byron, auf dessen poetische Entwickelung er zu jener Zeit einen bedeutenden Einfluß übte.

Traurige Ereignisse erwarteten ihn bei seiner Rückkehr nach England. Er erfuhr in Bath, daß seine erste Gattin in einem Anfalle von Schwermuth ihrem Leben durch Selbstmord ein Ende gemacht habe. Tief erschüttert, wünschte er jetzt, seine Kinder aus erster Ehe zu sich zu nehmen, aber das Kanzleigericht, unter Vorsitz des Lordkanzlers Eldon, that Einspruch dagegen, weil Shelley in seiner »Königin Mab« Unchristlichkeit und Immoralität gelehrt habe. Im folgenden Jahre (1817) vollendete Shelley ein großes Gedicht in zehn Gesängen: » Die Empörung des Islam«, das er, wie seine damaligen Briefe beweisen, für sein bedeutendstes Werk hielt. Die Kritik ist mit Recht anderer Ansicht; das Gedicht spiegelt in vielen Beziehungen Shelley's Wesen und Denken treuer als manche andere seiner Schöpfungen ab, allein dem reinen Kunstgeschmack wird eine derartige, metaphysisch-allegorische Tendenzpoesie niemals sonderlich zusagen.

Shelley's Gesundheitszustand hatte sich während seines Aufenthaltes in der Heimat so bedenklich verschlimmert, daß seine Uebersiedelung nach einem wärmeren Klima dringend geboten erschien. Er verließ England am 17. Mai 1818 auf Nimmerwiederkehr, und nahm seinen Wohnsitz fortan in Italien. Von Venedig, wo er Byron besuchte, ging er nach Rom und Neapel, und dann wieder nach Rom. Er schrieb in dieser Zeit das Drama: »Der entfesselte Prometheus«, eine symbolische Verherrlichung des Befreiungskampfes der Menschheit, und das Trauerspiel: »Die Cenci«, welches von Byron in gerechter Werthschätzung das bedeutendste Drama der englischen Literatur seit Shakespeare genannt worden ist. Shelley hatte dasselbe in stetem Hinblick auf die Bühne verfaßt und mit Bestimmtheit gehofft, die Rolle der Beatrice durch Miß O'Neill, die gefeierte Tragödin des Coventgarden-Theaters, dargestellt zu sehen; allein der Stoff erregte begreiflicherweise im prüden England zu viel Anstoß, und auch in Deutschland hat bis auf den heutigen Tag keine Bühnendirektion sich das Verdienst erworben, dies Meisterwerk dramatischer Kunst zur Aufführung zu bringen, obschon der Versuch sicher der Mühe verlohnte.

In den Jahren 1818 und 1819 verlor Shelley seine beiden Kinder aus zweiter Ehe durch den Tod, und litt außerdem viel durch Krankheit, sowie durch das rohe Benehmen seiner ihm in Italien begegnenden Landsleute, die ihn als »Atheisten« höhnten und mißhandelten. Die politischen Schicksale seines Vaterlandes, das unter dem ehernen Druck des Ministeriums Castlereagh seufzte, die blutige Schlächterei von Manchester und der Prozeß der Königin Karoline erregten sein lebhaftes Interesse, wie zahlreiche Gedichte aus jener Zeit bezeugen; auch die italienischen Revolutionen sowie den Befreiungskampf Griechenlands verherrlichte er 1821 durch schwungvolle Hymnen und durch das lyrische Drama »Hellas«, dessen Schlußchor zu den erhabensten Weissagungen der Poesie gehört …

Fassen wir in kurzen Worten unser Urtheil über diesen, in Deutschland bis jetzt kaum nach Verdienst gekannten Dichter zusammen, so möchten wir vor Allem behaupten, daß ein reinerer und edlerer Vertreter der humanistischen Weltanschauung schwerlich jemals gelebt hat. Shelley, der verschrieene Atheist, wandelte als ein Hohepriester der aufopferndsten Menschenliebe und des seligsten Friedens durch die Welt, – ein Märtyrer seiner Ueberzeugung, der auch in den trübsten Tagen niemals den Glauben an die ursprüngliche Güte der Menschennatur und den endlichen Sieg des Guten und Schönen verlor. Wenn eine allzu idealistische Auffassung der letzten und höchsten Menschheitsziele ihn häufig in abstrakte Regionen verlockte, die mehr der Philosophie als der reinen Poesie angehören, so läßt sich doch nicht leugnen, daß Shelley als Dichter der ernsten Betrachtung an intensiver Wärme des Gefühls und hohem Adel der Sprache die meisten seiner Vorgänger und Nachfolger auf diesem Gebiete weit überragt.“

http://gutenberg.spiegel.de/buch/konigin-mab-alastor-oder-der-geist-der-einsamkeit-8334/2

„Die Werke des englischen Romantikers sind auf deutsch nicht vollständig und auswahlweise nur in oft unzureichenden Übersetzungen zu haben. Aber übersetze einer Poesie! Wer Shelley lesen will, muß Englisch können. Liest er ihn im Original, faszinieren ihn seine feurigen, voluptuösen Verse vielleicht geradeso wie einst deren Schöpfer Galvanisation und freie Liebe ... Shelleys Stoffe und Symbole entstammten der klassizistisch verklärten Antike, sie brachten nichts Neues. Aber seine Musikalität, seine kühnen syntaktischen Bögen und seine energischen semantischen Farben lohnen die Lektüre. Shelley war ein Lyriker mit einer kraftvollen Stimme, ruhigem Melos und rastlosem politischen Sendungsbewußtsein. Es hörte ihm bloß keiner zu. Als er mit knapp dreißig Jahren starb, hinterließ er ein reiches Werk: Dramen, Essays, Versepen und – in der Hauptsache – Lyrik, das damals so gut wie unbekannt geblieben war.

Nur in den kleinen Zirkeln seiner Frauen, Freunde und Dichterkollegen hatte man Shelley zur Kenntnis genommen, bewundert und ermutigt. Die lesende Öffentlichkeit Englands und Europas ignorierte ihn. Zwar erschienen seine Poeme im Druck, aber die kleinen Auflagen verschwanden rasch wieder vom Markt; die Rezensionen waren großenteils hämisch-abqualifizierend und der unglückliche Verleger von Shelleys Werken nie sicher vor der Polizei. Der Dichter nämlich hatte die Welt für schlecht eingerichtet befunden und mit der grundlegenden Wandlung, die er anstrebte, bei sich selbst begonnen. Mit dem Effekt, daß sich die geschmähte Welt mit ihm überwarf und ihr britischer Teil den verlorenen Sohn ausstieß …

Es gibt eine bravouröse Shelley-Biographie aus der Feder des Londoner Literaturprofessors Richard Holmes, der (unter anderem) eine Coleridge- und eine Kipling-Biographie verfaßt hat. Das vom damals 29jährigen Holmes im Jahre 1974 der Öffentlichkeit vorgelegte Buch „Shelley. The pursuit“ umfaßt gut 800 Seiten, und fast keine davon ist zuviel. Es liest sich wie das Protokoll eines Zeitreisenden, der heute dabei war. Leider liegt keine deutsche Version vor. Dabei fände sie wohl Leser auch außerhalb der kleinen Population eingefleischter Lyrik-Freunde und studierter Anglisten. Denn die Vita des Dichters und Rebellen Shelley weist so viele stupende Parallelen auf mit der Lebensgeschichte so mancher antiautoritärer Protestler der Jahre 1968 ff., daß man bei der Lektüre auf die Idee eines epochenübergreifenden Musters revolutionärer Biographie geradezu gestoßen wird.

An der Wurzel von Shelleys Ausbruch aus der ihm vorgezeichneten Lebensbahn liegt der Konflikt mit dem Vater, einem wohlhabenden Landedelmann. Shelley findet nicht, wie Jugend letztlich meist, zum Kompromiß mit dem Establishment. Er bleibt unversöhnlich. Er kann es dem Vater, allen Vätern, nicht vergeben, daß sie die Not der englischen Manufakturarbeiter und der irischen Tagelöhner, daß sie die Polizeieinsätze gegen erste Streiks, das Blutbad von Manchester, dem der brutale Frühkapitalismus seinen Namen verdankt, hinnehmen wie von Gott gewollt. Ausgangspunkt all seiner Attacken bleibt die Frömmelei, ja weiter: die Religion. Was ist die anderes als eine organisierte Illusion und Drohgebärde, gut allein dazu, das Gewissen der Ausbeuter zu beschwichtigen und die Ansprüche der Armen auf die nächste Welt zu lenken? Immer wieder wird Shelley gegen die religiös verklärte Heuchelei aufstehen, und diese Standhaftigkeit – „Atheismus“ ist damals sogar in England noch ein Delikt – wird ihn letztlich zum Exil zwingen. „... weiß ich, daß Tugend mehr entgegensteht / Als Macht und List: Legaler Mord und Brauch, als faulste Frucht der blut’ge Glaube auch ...“

Shelleys Familie war begütert und stolz. Der Sohn soll das Anwesen erben, verwirft aber statt dessen das Erbrecht. Der hochintelligente Student, den es in die Politik zieht, benutzt seine Gaben nicht, um Karriere zu machen, sondern um alles und jedes, von der Kindererziehung bis zur kirchlichen Hierarchie, mit wütender Kritik zu geißeln. Vor seinen eigenen Lebensumständen macht er schon gar nicht halt. Alltag, Liebe, Eigentum – nichts davon ist so geregelt, daß der Mensch Mensch sein könnte. „Geschichte ist von ihrer Schmach beschämt, Kunst hüllt den Spiegel ein und scheut den Tag ...“ Die Universitäten sind nach Shelleys Überzeugung Anstalten zur geistigen Knebelung und seelischen Verstümmelung junger Männer. Der Neunzehnjährige verfaßt eine Streitschrift mit dem Titel: „Die Notwendigkeit des Atheismus“, in der er nicht mehr verlangt, als daß der „Standpunkt“ des Atheismus als einer unter mehreren zu Wort kommen dürfe, Toleranz also für den Unglauben. Die Antwort Oxfords ist die sofortige Relegation des Ketzers. Vater Shelley enterbt seinen Erstgeborenen.

Percy Bysshe rebelliert nie allein. Er hat immer Freunde und Weggefährten um sich, mit denen er nicht nur Kampfschriften und Flugblätter verfaßt und verteilt, sondern hinfort auch zusammenwohnen und durch Europa reisen wird. Die Idee einer Community Gleichgesinnter, die gemeinsam leben, arbeiten, rebellieren und ihre Kinder großziehen, läßt ihn sein Leben lang nicht los. In wechselnden Besetzungen probt er die Verwirklichung dieser Idee. Prominentester zeitweiliger Partisan in Shelleys italienischer Kommune war der Dichter-Kollege und -Rivale Lord Byron …

Zu Shelleys bewunderten Vorbildern gehört der Philosoph William Godwin, in dessen Schriften der junge Dichter all das wiederfindet, was ihn bewegt. Godwins erste Frau, die Feministin Mary Wollstonecraft, war zur Zeit der Begegnung Godwin-Shelley nicht mehr am Leben. Aber ihre Tochter, auch Mary geheißen, damals sechzehn Jahre alt und, wie die Überlieferung will, genauso schön und gescheit wie ihre Mutter, kehrt gerade aus Schottland, wo sie erzogen wurde, ins Vaterhaus zurück. Es dauert nur ein paar Wochen, und Shelley weiß noch besser, warum er die Ehe haßt. Zum zweiten Mal brennt er – inzwischen 23 Jahre alt – mit einer Sechzehnjährigen und deren Schwester auf den Kontinent durch. Diesen Coup verzeihen ihm nicht mal seine besten Freunde, zu schweigen von den Westbrooks und der armen Harriet. Für Shelley sind es das Leben und die Liebe selbst, die solche Schritte fordern. Er macht gar Harriet den Vorschlag, sich ihm und seiner neuen Liebe zuzugesellen – warum sollen uns überlebte Konventionen daran hindern, alle miteinander glücklich zu werden? …

Shelley heiratet ein zweites Mal – um Mary und die gemeinsamen Kinder vor der sozialen Ächtung zu bewahren. Aber es nützt nicht viel. Die Polizei überwacht die Familie, die Londoner Society geht auf Distanz. Der Revolutionär hat sich selbst aus der britischen Gesellschaft ausgeschlossen.

In Italien wird er mit Frau, Schwägerin, Kindern und Freunden die zweite Kommune gründen. Er wird in Florenz, Pisa und Venedig leben, seine Bewunderinnen mit elektrischen Experimenten erschrecken, Marys „Frankenstein“ redigieren, immer neue Sprachen lernen und sich zu einem exzellenten Übersetzer ausbilden, revolutionäre Gewalt befürworten und Gedichte schreiben – auch unpolitische, die von Natur und Liebe, vom Westwind und von einer gewissen Jane handeln. „Alle Süße wäre leer, küßtest du mich nicht.“

Kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag ertrinkt Shelley mit zwei Freunden auf einer Bootsfahrt im Golf von Livorno.

Laut Richard Holmes ist das unselige Monster, das Dr. Frankenstein erschafft und per Galvanisierung belebt und das daraufhin seines Lebens nicht froh und seiner Mitwelt zum Schrecken wird, niemand anders als Shelley selbst. Zwar war der Dichter keineswegs so furchtbar anzuschauen wie Boris Karloff in der Monster-Maske, er soll zart und hübsch gewesen sein – aber seine Brust barg dieselbe Unfähigkeit zu einer sauberen Sozialisation wie die des Monsters. Dabei wollte er, wie Frankensteins Unhold, nur Mensch sein. Man ließ ihn nicht.

Ganz wie einst die 68er haben auch Percy B. und Mary Shelley der Gesellschaft, die anfangs entsetzt fragte: Warum wollt ihr nicht mit mir leben?, die Antwort zugemutet: weil wir Menschen sein wollen. Der Revolutionär, der die Welt, sein Land und die Liebe befreien will, erntet nichts als Unglück. Aber er hinterläßt Eindruck: Gedichte, Ideale, Visionen, die fortwirken. Was es heißen könnte, „Mensch zu sein“, wird nach Shelley in neuer Tonlage gefragt. Als Mary starb, die ihren Mann um drei Jahrzehnte überlebte, war Shelley anerkannt und hoch berühmt. Heute ist er eine Institution, die Kinder lernen seine hochverräterischen Verse in der Schule. Die Flaschenpost, die ein Dichter ins Meer der Geschichte wirft, kommt immer irgendwo an. Die Beleidigungen, die der Revolutionär seiner Zeit antut, werden nicht vergessen. Einige stellen sich später als wohlbegründet heraus.“

http://www.zeit.de/1992/32/das-unselige-monster

 

Auswirkungen dieser drei Personen

 

Dies waren die drei Personen, deren geistiger Einfluss unmittelbar auf Mary Shelley wirkte. Sie wird zwar nicht vorpreschen, aber deren Gedanken aufnehmen und mit der Praxis des Lebens zu verbinden suchen.

Und solchen Unfug (zumindest nach der Meinung und den Erfahrungen der Bewohner des Erdreichs) nach dem Motto „der Mensch ist von Natur aus gut, mensch muss ihn nur lassen“ nach ihren Erfahrungen mit den Menschen bleiben lassen.

Sie selbst ist alles andere als revolutionär drauf, aber solche Schlussfolgerungen wie „Aufgabe der Revolutionäre ist es also, kontinuierlich daran zu arbeiten, der Vernunft und Wahrheit größtmögliche Verbreitung zu verschaffen“ wird sie als Blödsinn abtun. In einer späteren Zeit hätten solche Meinungen für einen guten Sketch getaugt, etwa zu den Revoluzzern aus „Das Leben des Brian“: „Wie vertreiben wir die Römer? – Wir appellieren an ihre Vernunft!“

Aus dem Schicksal dieser drei Personen und ihrem eigenen weiss sie zur Genüge, dass Menschen aus der Gesellschaft ausgestoßen und von ihren Mitmenschen verachtet werden, wenn sie eine andere Meinung als die gängige haben oder anders leben wollen, als die Gesellschaft es ihnen vorschreibt. Obwohl diese überhaupt nichts Böses getan haben.

Dieses Ausstoßen aus der Gesellschaft und der Ärger der Opfer über dieses Verhalten ist eines der beiden Hauptthemen des „Frankenstein“ …

 

Mary und Percy Shelley

 

„Am 11. November 1812 hatte sie die Gelegenheit, einen begeisterten Leser von Godwins Political Justice kennenzulernen, der dem Autor, den er bereits für tot und begraben gehalten hatte, seine Aufwartung machte: Percy Bysshe Shelley und seine Frau Harriet Westbrook besuchten den Verlag in der Skinner Street.“

„Percy B. Shelley hatte schon seine Jugendliebe Harriet Grove mit Zitaten aus dem theoretischen Werk William Godwins so weit verunsichert, daß sie ihre Beziehung löste und einen gänzlich unintellektuellen Landbesitzer aus der Nachbarschaft heiratete.“

„Was er brauchte, war jemand, der den Alltag von ihm fernhielt, und nicht jemand, der ihn stündlich daran erinnerte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er die Person finden würde, die diesem Wunsch gerecht werden konnte.“

„Shelley hatte also bereits innerlich mit Harriet abgeschlossen, und das Idealbild einer neuen Liebschaft funkelte beständig in seiner lebhaften Phantasie, als er am 18. Juni 1814 Mary Godwin zum (vermutlich) zweiten Mal im Hause ihres Vaters traf … ‚Damals, wie tief empfand ich da meine Unterlegenheit, wie bereitwillig bekannte ich, daß sie mich an Originalität, natürlicher Würde und geistiger Brillanz weit übertraf, ehe sie ihre Talente mit mir zu teilen bereit war. Sehr bald spürte ich ein glühendes Verlangen, diesen unermeßlichen Schatz zu besitzen.“

„Mary Godwin war zunächst über ihren neuen Verehrer nicht sonderlich glücklich. Sie fühlte sich natürlich geschmeichelt, hatte aber auch Schuldgefühle. Sollte sie ihren persönlichen Wünschen folgen und alles verraten, was ihr Vater ihr an moralischer Pflicht und Vernunft beigebracht hatte? War ihre Liebe nicht egoistisch und zerstörerisch für ihre Familie, für sie selbst und für andere? … Nachdem er sich wieder erholt hatte, versuchte er erneut, Mary zu überreden, mit ihm zu fliehen. Sie hatte ihm ihre Liebe gestanden, doch scheint sie sehr viel deutlicher als Shelley gesehen zu haben, welches Leid ihr ‚Verrat‘ ihrem Vater verursachen würde. Lange zögerte sie, doch gab sie schließlich nach, als Shelley ihr von der angeblichen Untreue seiner Frau und von einem 'Major Ryan‘ erzählte, den er auch für ihre erneute Schwangerschaft verantwortlich machte. Sie beschlossen, in die Schweiz zu fliehen, nach Uri, dem idyllischen Schauplatz von Godwins Roman Fleetwood. Claire, die Mary und Shelley stets bei ihren Spaziergängen begleitet hatte, wußte von dem abenteuerlichen Plan und bedrängte die beiden, sie mitzunehmen.“

„Um die eigene gesellschaftliche Position zu festigen und somit eine positive Grundlage für die Beantragung des Sorgerechts an seinen beiden Kindern zu schaffen, ließen sich Mary und Shelley so schnell wie möglich trauen (Ende 1816). Die Hochzeit fand in London statt und führte auch zur offiziellen Aussöhnung mit Godwin, der die Familienehre wiederhergestellt sah. Godwin schrieb in einem triumphierenden Ton über die Heirat seiner Tochter, verschwieg allerdings, daß er mit Selbstmord gedroht hatte, sollten die beiden ihre Beziehung nicht baldigst legalisieren. Ein wahrhaft merkwürdiges Verhalten für jemanden, der einst die Institution der Ehe als menschenunwürdig verdammt hatte.“

Zwischen 1814 und 1819 gebar Mary vier Kinder, von denen drei früh im Alter von zwei Wochen bis 3 ½ Jahren starben. Was bei ihr natürlich zu Depressionen führte. Lediglich der Letztgeborene Percy erreichte das Erwachsenen-Alter.

Im Juni 1822 erleidet sie eine Fehlgeburt, die für sie lebensgefährlich war und im folgenden Monat ertrinkt Percy Shelley bei einem Segel-Ausflug …

„Mary Shelleys Weltbild ist demnach weitaus schwärzer, ihre Visionen sind düsterer und ihr Menschenbild ist hoffnungsloser als alles, was in vergleichbaren Darstellungen ihres Mannes Percy B. Shelley und ihres Vaters William Godwin zum Ausdruck kommt. Vielleicht waren die Schicksalsschläge des vergangenen Jahres für den grimmigen Ton des Romans verantwortlich. Die Verzweiflung, die Verbitterung und die Einsamkeit in den Worten des Monsters wirken menschlicher als alles, was sein Schöpfer Frankenstein von sich gibt. Die Autorin war in der Lage, den Ursprung solcher Gefühle zu verstehen, und sie konnte sie durchaus nachempfinden, wenn sie etwa an das traurige Schicksal ihrer Halbschwester Fanny dachte, die ihre menschlichen Qualitäten nie unter Beweis stellen durfte. Mary Shelley wußte nur zu gut, daß der Versuch, übermenschliche Ideale zu verwirklichen, in der Zerstörung einfachen Glücks, alltäglicher menschlicher und familiärer Beziehungen münden kann.“

„Als Motiv bleibt die vergebliche Suche nach dem oder der Geliebten, die an einem einsamen Grab endet, in Mary Shelleys späteren Werken erhalten. Früher hatte sie Shelley indirekt vorgeworfen, er würde ihr Leid zu Literatur machen, während sie mit der Wirklichkeit leben mußte. Nun setzte sie dieses Spiel auf ihre eigene Art fort: Durch ihre Worte wurde das eigentlich banale Ende Percy Bysshe Shelleys zum großen Finale einer klassischen Tragödie. Ihr persönlicher Verlust wurde zum Verlust der ganzen Welt. Ihre künftige Rolle als Hohepriesterin des Shelley-Kultes scheint bereits vorgegeben. Dies heißt nicht, daß ihre Angst um Shelley und ihr Schmerz, als sie endlich von der Entdeckung seiner Leiche erfuhr, gespielt war. Es zeigt jedoch, auf welche Weise sie ihre Schicksalsschläge verarbeitete: durch Stilisierung, Dramatisierung, Legendenbildung – durch Literatur“ …

 

Auf den Spuren von Mary Shelley in Rom

 

„Auch wenn die englische Schriftstellerin nur einige Monate ihres Lebens, das ob der vielen Schicksalsschläge selbst wie ein Horrorroman anmutet, in Rom verbracht hat, gibt es einige bitter-süße Orte, an denen man ihr noch nach über 200 Jahren nahe kommen kann. Und dem Rom, der Grand Tour, einem verheißungsvollen Ort für europäische Künstler und der Antike verfallene Adlige, die durch die frei zugänglichen Überbleibsel der antiken Römer streiften und malten, dichteten und sich bildeten.“

Nicole Testa-Kerpen hat auf ihrer Rom-Seite einen kleinen, aber feinen und liebevollen Beitrag zu Mary Shelley. Wer mal in Rom ist, kann sich dort auf die Spuren von Mary Shelley und der englischen Romantiker begeben. Und wird unter anderem feststellen: Prinz Charles war auch schon im Keats-Shelley-House.

http://www.unterwegs-in-rom.eu/ciao-bella/eine-frau-die-der-welt-das-f%C3%BCrchten-lehrt-mary-shelley/

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/231-das-monster-im-menschen.html

 

Percy Shelley als Dichter

 

Helene von Druskowitz: „Shelley würde es einem Beurtheiler wenig gedankt haben, der seine Dichtungen nur nach ihrem künstlerischen Werthe geschätzt hätte. Nach den letzten Worten seiner „Defence of Poetry“ sind die Dichter die „ungekannten Gesetzgeber der Welt“. In seinen Augen galten deshalb nur jene dichterischen Schöpfungen für voll, welche einen größeren Gedankengehalt besitzen, durch den sie reformirend auf das Bewußtsein der Menschen einzuwirken vermögen. Er betrachtete seine eigene Poesie im Wesentlichen nur als Mittel, seine Mitmenschen in dieser Weise zu beeinflussen. Seine Anschauung von der Kunst war also der Gegensatz von jener akademischen, welche dieselbe als Selbstzweck betrachtet und ihr Wesen ausschließlich in die Form legt, während sie den Inhalt für gleichgiltig erklärt.

Shelley war als Dichter kein Talent, er war ein Genie …

Durch seinen großen Gedanken- und Gefühlsreichthum wurde Shelley auf die Lyrik gewiesen, das Wort im weitesten Sinne genommen. Seine größten Leistungen liegen auf diesem Gebiete. Er war der größte Lyriker Englands und einer der größten aller Zeiten. Seine Seele strömte wundervolle Musik aus, und zwar die reinste, zaubervollste, ätherischste, die je einem Dichterherzen entrauscht ist; seine Seele war wie eine Aeolsharfe, der jeder Impuls herrliche Melodien entlockte. Lied, Elegie, Hymne, Dithyrambus und Rhapsodie finden wir in seiner Lyrik und jede dieser Arten durch unsterbliche Gedichte vertreten. Wenn er den sanfteren Wellenschlag der Gefühle mit einem Schmelze ganz eigener Art ausdrückt, und wenn dann sein Geist wie eine rein-leuchtende Flamme gegen Himmel zu steigen scheint, so hat hingegen der Ausdruck seiner Leidenschaft oft eine dunkle, fieberhafte Gluth, einen verzehrenden, einen dämonischen Charakter. Doch sind seine Empfindungen oft mehr innig und feurig, seine Gedanken oft mehr schön und hoch als tief. Der Schritt seiner lyrischen Muse ist meist graziös. Sie ist flüchtig wie die Libelle, aber sie kann auch Majestät entfalten. Als Rhythmiker nimmt Shelley vielleicht die erste Stelle in der englischen Literatur ein …

Wollen wir die Gebiete bezeichnen, in welchen sich Shelley am wohlsten fühlte, so waren dies Mythus und Natur. Er war nächst William Blake der größte Mythopoet Englands. Während Blake’s Mythopoesie einen orientalischen Zug hat, nähert sich diejenige Shelley’s der griechischen. In Bezug auf Naturempfindung steht Shelley unter allen Dichtern einzig da. Während Wordsworth’s Naturgefühl einen moralischen und pietistischen Beigeschmack hatte, betete Shelley die Natur wie eine Geliebte an. Er konnte sich mit Aktäon vergleichen, den der Anblick der nackten Natur zerrissen hat. Man kann bei anderen Dichtern leidenschaftlichere und wohl auch tiefsinnigere Apostrophen an die Natur finden, keiner aber liebte sie mit einer so innigen, so umfassenden Liebe, keiner durchdrang sie derart mit Geist und Seele.“

Im Nachlass von Giuseppe Tomasi di Lampedusa fand sich eine Sammlung biographischer Studien zur englischen Literatur, die er in den 1950ern geschrieben hatte. Hier ein Auszug:

„Gleich nach The Revolt of Islam entsteht der Prometheus Unbound. In Rom verfaßt, wurde er, wie uns Shelley selbst erzählt, fast gänzlich zwischen den Ginsterbüschen geschrieben, die damals die Caracalla-Thermen überwucherten, heute aber verschwunden sind, weil die italienische Unsitte es wollte, daß auch diese feierlichen Ruinen zur Bühne für Melodramen wurden.

Shelley beginnt sein Drama an dem Punkt, an dem Aischylos es abgebrochen hat, oder besser gesagt, Shelley hat versucht, uns den verlorengegangenen Befreiten Prometheus des Aischylos wiederzugeben. Aber während Aischylos sich vorstellte, daß Prometheus zu guter Letzt, nachdem er mit Zeus zu einem Kompromiß gelangt ist, von seinen Fesseln befreit wird, versöhnt sich Prometheus bei Shelley keineswegs mit dem Tyrannen; befreit wird er schließlich durch das Universum und die kosmischen Kräfte, die stärker sind als Gott. Doch nach dieser Befreiung läßt uns der Dichter noch Jahrtausende Mühsal und Leid für den Menschen erahnen. Als Gegner des Erlösungsglaubens lehnt er sich auf gegen einen leichten und nicht erkämpften Sieg des Menschen und erblickt keine bessere Zukunft, solange sich Prometheus nicht jene gottlosen kosmischen Kräfte, die einst ihn selbst befreiten, dienstbar gemacht hat.

Es gibt keine höhere moderne Dichtung als den Prometheus. Der erste Akt ist der großartigste, und in ihm können wir sehen, daß Shelley Byrons Einfluß, wenngleich er ihn sich zunutze macht, unendlich zu verfeinern und zu überwinden vermag. Man weiß in der Tat nicht, wohin man sich zuerst wenden und was man mehr bewundern soll: die außerordentliche Ruhe, mit der Shelley seinen himmlischen Gegenstand handhabt, wobei er sich zwischen den Göttern, der Erde und Prometheus mit der gelassenen Vertrautheit des Erzengels bewegt, der es gewöhnt ist, sich mit den Ewigen zu unterhalten; oder das strahlend Sublime der Naturbeschreibungen, die zu den vortrefflichsten dieses hervorragenden Landschaftsschilderers gehören; oder aber die Wucht der Chöre und die Menge der stets bedeutungsvollen und gedankenreichen Bilder, die auf jeder Seite auf uns einstürmt. Der zweite und dritte Akt zeigen uns Shelley in einer nicht weniger hochgemuten, aber insgesamt vielleicht ruhigeren Gestimmtheit, die durch geschickte Zügelung einige der höchsten lyrischen Aufschwünge der englischen Dichtung bändigt. Der vierte Akt enthält einige von Shelleys allerbesten Versen, aber insgesamt ist er nicht so gut gelungen wie die drei ersten; aber dennoch übertrifft er immer noch mühelos neun Zehntel dessen, was andere geschrieben haben.

Einige Bilder haben die „unbegreifliche“ Schönheit, die Fähigkeit - wie wir sie manchmal auch bei Shakespeare finden -, uns unabhängig vom Verstand ins Herz zu treffen. Wenn zum Beispiel der Mond zu Demogorgon sagt: “I hear, I am a leaf shaken by thee”, drückt er damit nichts Rationales aus, sondern weit mehr, er berührt etwas Unauslöschliches in uns, das diese wenigen Worte für immer unserem Gedächtnis einprägt. Wie soll ich es erklären? Auch die Chöre der Feerie am Anfang und alles, was Pantea sagt, sind nicht mehr Dichtung, sondern fast körperliche Berührungen unserer Seele. Es ist unsinnig, häßliche Worte auf Worte aus Diamanten zu verschwenden. Ich habe den Prometheus gerade noch einmal gelesen, und die Bewunderung, die ich - viel stärker noch als vor acht oder neun Jahren - empfunden habe, verschlägt mir die Sprache.“

Susanne Schmid schreibt in ihrem Buch „Byron – Shelley – Keats – Ein biographisches Lesebuch“ aus dem Jahre 1999: „Die Cenci waren Shelleys erster literarischer Erfolg, auch wenn sich die Auflagehöhen im Vergleich mit Byron bescheiden ausnahmen. Es war sein einziges Werk, das vor seinem Tod eine zweite Auflage erlebte. Shelley hatte das Drama für die Bühne geschrieben, ohne aber zu bedenken, daß es wegen des Stoffes als ungeeignet empfunden werden könnte. Die erste Aufführung des 1819 geschriebenen Stücks fand 1886 (!) privat statt. Erst 1922 konnte es in England öffentlich aufgeführt werden - zu skandalös war den Viktorianern die Darstellung von Inzest auf der Bühne.

Wenn Beatrice Cenci an der Ermordung ihres Vaters mitwirkt, tötet sie damit auch einen übermenschlichen Vatergott, dessen grausamer Machtmißbrauch sie zu zerstören droht. Die romantische Faszination mit dem Vatermord war bei Shelley besonders ausgeprägt, der im Gegensatz zu Byron und Keats noch im Erwachsenenalter von seinem eigenen Vater abhängig war und ein extrem schlechtes Verhältnis zu ihm hatte. Graf Cenci repräsentiert die negative Version des starken, gottgleichen, faustischen Übermenschen, der Shelley zunehmend faszinierte. Ehe er die Cenci verfaßte, hatte er drei Akte eines weiteren Dramas geschrieben, das er erst nach den Cenci fertigstellte: Prometheus Unbound (Der entfesselte Prometheus). Shelley, schon immer an antiken Mythen interessiert, griff hier auf eine Figur zurück, die um 1800 eine politische Ikone war und für Revolution und den Kampf gegen Unterdrückung stand. Der entfesselte Prometheus symbolisierte die künftige Freiheit der Menschen. Im ersten Akt beschrieb Shelley Prometheus' Leiden, um dann im dritten und vierten Akt die Befreiung zu zelebrieren. Wieder ist eine Vaterfigur, der Vatergott Jupiter, der Unterdrücker, der aber diesmal den Kampf verliert …

Prometheus ist auf verschiedenen Ebenen lesbar: Das Ringen des Ichs auf der psychologischen Ebene führt zu einer persönlichen Erneuerung, während gleichzeitig der politische Kampf in eine neue, visionäre Gesellschaft mündet. Für Shelley waren nicht nur Institutionen von Übel, sondern auch das individuelle Bewußtsein, das durch Unterdrückung in Hoffnungslosigkeit versinken konnte - so wie Prometheus selbst im ersten Akt. Im dritten Akt beschreiben Geister, wie sich nach dem Sturz Jupiters, des Gegenspielers Prometheus' und göttlichen Gesetzgebers, die Natur und die Menschen ändern. Die Harmonie wird durch Musik und Schönheit ausgedrückt, durch plötzliche Klarheit der Vision. Statt staatlicher Ordnung und Furcht regiert die Liebe.“

 

Weiterleben des Dichters

 

Susanne Schmid: „Keats' Tod im Alter von nur 25 Jahren gab Anlaß für eine Reihe von Spekulationen und Stilisierungen. Zumindest teilweise wurde Keats' Ruhm durch Shelleys Elegie Adonais begründet, worin den bösartigen Kritikern die Schuld an Keats' frühem Tod zugewiesen wurde. Adonais basierte auf dem griechischen Mythos von Adonis, dem schönen Jüngling, in den sich Aphrodite verliebte und der auf der Jagd von einem Eber getötet wurde. Shelleys zweite Vorlage war die Totenklage des antiken Dichters Moschus für Bion. Bion wiederum war der Verfasser einer Elegie auf den Tod von Adonis, die Shelley übersetzt hatte.

In der Einleitung des Gedichts beschrieh Shelley den „fragilen“ und „schönen“ jungen Mann und beschuldigte den Rezensenten des Mordes: „Elender! Du, einer der gemeinsten, hast mutwillig eines der nobelsten Geschöpfe aus Gottes Werkstatt verunstaltet. Es soll keine Entschuldigung sein, daß du, Mörder der du bist, nur mit Dolchen gesprochen, sie aber nicht benutzt hast“. Die Elegie selbst ist zum einen Klagelied, zum anderen Präsentation von Shelleys ästhetischem und ethischem Programm. Shelley propagierte darin einen Kult der empfindsamen Subjektivität und rief zum Widerstand gegen die Welt des Materialismus auf. In Adonais trauert die gesamte Schöpfung um den toten Dichter, und der Poet wird zur moralischen Instanz erhoben. Shelley ließ einige Dichter auftreten, die dem toten Keats ihren letzten Tribut erwiesen: Byron, als „Pilger der Ewigkeit“ apostrophiert, den Iren Thomas Moore und schließlich sich selbst …

Shelley, der „pardlike spirit“, der „Geist gleich Panthern“, stilisierte sich hier zum Poeten schlechthin. Der Speer mit dem Efeukranz symbolisiert in der Antike den Dichter. Mit „wunder Stirn“ steuert er auf ein ähnliches Geschick zu wie der tote Adonais. In der Tat existierten viele Parallelen zwischen Keats und Shelley, vor allem was die Behandlung anging, die die beiden von seiten der Rezensenten erfuhren. Man darf aber nicht vergessen, daß Keats auch positive Kritiken erhielt. Shelley war sich dessen bewußt, wie auch der wahren Todesursache von Keats, nutzte aber die Angriffe von „Blackwood’s Magazine“, um letztlich auf seine eigene Rolle als Dichter in der Auseinandersetzung mit einer feindlichen Umwelt aufmerksam zu machen. Shelley baute Keats hier zum Archetypen des wie Christus verfolgten Leidenden auf, dem es zum Verhängnis wurde, daß er die Wahrheit sprach, und initiierte so einen der großen romantischen Mythen, die das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch Widerhall fand. Wie Christus ist der Dichter nicht tot, sondern in eine höhere Daseinsform übergegangen, jenseits von menschlichem Neid und Haß: „Der Tod ist tot“, nicht aber Adonais. Er lebt weiter in der Inspiration, an der er andere Dichter teilhaben läßt. Der von Shelley um den Tod von Keats gewobene Mythos beeinflußte auch die frühe Shelley-Rezeption. Vielfach wurde er als vom Leben Zerbrochener dargestellt, und manche Biographen unterstellten ihm sogar einen (bewußten oder unbewußten) Freitod.“

 

Der Mensch

 

Susanne Schmid: „Einer der ersten, der von Shelleys Tod erfuhr, war Byron, der gerade vor dem Hintergrund der vorhergehenden Unstimmigkeiten zutiefst erschüttert war. An seinen Verleger Murray schrieb er am 3. August:

Ich nehme an, Sie haben gehört, daß Mr. Shelley und Captain Williams am 22. Juli bei der Fahrt von Livorno nach Spezia in ihrem offenen Boot verschollen sind. Vielleicht können Sie sich vorstellen, in welchem Zustand ihre Familien sind. Ich habe noch nie eine solche Szene gesehen und möchte es auch nie wieder müssen. Sie haben sich alle in Shelley brutal getäuscht, der ausnahmslos der beste und am wenigsten egoistische Mensch war, den ich je gekannt habe. Ich habe nie jemanden getroffen, der im Vergleich zu ihm nicht ein Tier war.“

Helene von Druskowitz: „Byron stellte Shelley’s Genius sehr hoch, noch höher aber dessen Persönlichkeit. Er, der so Wenige mit seinen Sarkasmmen verschonte, erlaubte sich keine Scherze über Shelley, sprach oft in Ausdrücken der Bewunderung über ihn und sagte nach dessen Tode das schöne Wort: ‚Er war der idealste und am wenigsten sinnlich geartete Mensch, den ich je gesehen, voll Zartheit, selbstloser als alle anderen, er besaß einen Grad von Genie vereinigt mit einer Bescheidenheit, die ebenso selten als bewundernswerth ist. Er hatte aus sich ein schönes Ideal von Allem, was fein, groß und edel ist, gebildet und handelte getreu nach diesem Ideale‘.“

„Mrs. Mary Shelley sagt die tiefgefühlten Worte: ‚Mit schwacher Gesundheit und einem gebrechlichen Körper, von den reinsten Sitten, voll von hingebender Großmuth und Güte für Alle, glühend vor Eifer, Kenntnisse zu erringen, entschlossen Recht zu thun, um den Preis jedes persönlichen Opfers, brennend vor Verlangen nach Liebe und Sympathie, wurde er wie ein Verworfener behandelt, wie ein Verbrecher ausgestoßen.‘ So theuer büßte er seine exaltierte Wahrheitsliebe, doch diese zugleich gab ihm die Kraft, sich über sein persönliches Mißgeschick zu erheben …

Sein Schmerz über den Verlust seiner Kinder kannte keine Grenzen, und er überwand ihn niemals …

Aber unter der Wucht solcher Schicksalsschläge erstarkte die Flugkraft seines Geistes, und er suchte vor ihnen Rettung in dem Reiche idealer Visionen. Die Gesellschaft konnte ihm Wunde auf Wunde schlagen, aber nicht die Flamme seiner Menschenliebe ersticken; sein Herz konnte bluten, aber sein Dichtergeist blieb frei, und seine Phantasie wob sonnige Gebilde über dem Abgrund seines Schmerzes …

Eine größere Selbstentäußerung, eine innigere Hingebung an Andere, eine energischere Bethätigung des Mitgefühls ist nie dagewesen. Diese nach außen drängende Liebesfülle hätte sein Wesen zerstören müssen, hätte nicht ein ebenso glühender persönlicher Freiheitstrieb in ihm gelebt, der das Gleichgewicht wieder herstellte. Nehmen wir zu diesem Liebes- und Freiheitsdrang – sofern der letztere aus einer reinen Quelle kam – seine Einfachheit und Anspruchslosigkeit, seine Toleranz, seine Kindlichkeit und Unschuld hinzu, so bekommen wir das Bild einer Persönlichkeit, die ihres Gleichen sucht, wie sie schöner kaum gedacht werden kann. Doch war Shelley nicht fehlerlos, sein Leben nicht frei von Irrungen. Diese aber wurzelten fast insgesammt in seinem Widerstandsgeiste, insofern derselbe nicht aus einer reinen Quelle kam. Er verfiel oft in blinde Oppositionssucht, er gab den Antrieben seines eigenen Herzens zu leicht nach; er, der Toleranz predigte, verfiel selbst häufig in Intoleranz und bekundete oft einen Mangel an natürlicher Pietät. Andere Fehler als diese werden wir indeß kaum in seinem Wesen entdecken können. Diese Irrthümer aber mußte er schwer büßen. Sein Leben ist eine Tragödie, und wenn er fehlte, trug er immer mit heroischem Muthe die Folgen …

Bevor Shelley das Bild seines Idealstaates aufstellte, mußte er das Bild eines Idealmenschen haben. Shelley’s Idealmensch war er selbst. Die künftige Menschheit, von der er träumte, war eine Gesellschaft von Shelley’s. Selten fand ein Reformator, ein Denker so viel trefflichen Stoff in sich selbst, um ein Ideal daraus zu bilden; kaum hat ein Denker und Reformator seine Lehren und Principien im Leben mit solcher Consequenz durchgeführt wie Shelley. Freilich ging er sowohl auf der positiven als auf der negativen Seite seiner Anschauungen viel zu weit. Bei der ungestümen und schrankenlosen Freiheits- und Menschenliebe, die ihn verblendete, verdammte er so manche Einrichtungen, welchen der Philosoph, der Ausnahmsmensch, wohl entrathen kann, die aber für die Menge eine nothwendige Fessel, ein unentbehrlicher Halt sind, und die kaum je werden beseitigt werden können, soll die Lage der Gesellschaft nicht noch mehr verschlimmert werden.“

 

Helfer in der Not

 

Helene von Druskowitz: „Mr. Madocks hatte sich um die arme Bevölkerung der Gegend dadurch verdient gemacht, daß er ein großes Stück Küstenland durch Dämme gegen die Verheerungen des Meeres zu schützen gesucht hatte. Aber eben in jener Zeit riß die Hochfluth die Dämme ein. Shelley, der sich an jedem Orte der Armen annahm, und sie in ihren Hütten besuchte, zeigte nun all seine Großmuth und Opferfähigkeit. Er veranstaltete eine Sammlung, an deren Spitze er sich selbst mit einer Summe von 500 Pfund stellte (woher er sie nahm, ist nicht zu erklären), veranlaßte die Gutsbesitzer der Gegend daran theilzunehmen und reiste mit Harriet nach London, um den Herzog von Norfolk für seine Zwecke zu gewinnen …

Zu Beginn des Jahres 1813 machte ein Gewaltakt Aufsehen, der ganz geeignet war, Shelley aus Rand und Band zu bringen. Die Brüder John und Leigh Hunt, die Herausgeber des „Examiner“, hatten ein Libell veröffentlicht, in welchem der Prinz-Regent hart angegriffen wurde. Unerhört aber war es, daß sie deshalb zu zweijähriger Gefängnisstrafe und einer Geldbuße von 1000 Pfund verurtheilt wurden. Shelley war nach seinem eigenen Ausdruck ‚boiling with indignation‘, als er von dieser Ungerechtigkeit hörte und veranlaßte seinen Freund Hoockham sofort eine Subscription einzuleiten und seinen Namen mit 20 Pfund auf die Liste zu setzen. Die Hunts lehnten jedoch diese wie jede Collecte ab und zahlten aus ihren eigenen Taschen. Später schrieb Shelley an Leigh Hunt in’s Gefängnis und machte ihm nach den eigenen Worten des letzteren ein „fürstliches Anerbieten“, das jedoch gleichfalls abgelehnt wurde …

Shelley entfaltete in Marlow eine wahrhaft großartige Wohlthätigkeit. Die arme Bevölkerung der Gegend, die zum größten Theil aus Spitzenklöpplern bestand, wurde eben damals von Seuchen heimgesucht. Shelley, der sich in London medizinische Kenntnisse erworben, ging in die Hütten der Armen, saß an ihren Betten und zog sich dadurch eine heftige Augenentzündung zu, die ihn vom Schreiben und Lesen abhielt und sich später wiederholte. Er machte eine große Zahl Hülfsbedürftiger zu seinen Pensionären, war aber, wie Leigh Hunt bemerkt, obwohl großmüthig, nicht schwach und erkundigte sich persönlich nach den Verhältnissen derer, die um eine Unterstützung baten. Seine Barmherzigkeit ging so weit, daß er einmal unterwegs einer armen Frau seine Schuhe schenkte und barfuß bei seinem Feunde Madocks anlangte; ein anderes Mal fand er, als er nach Hampstead ging – es war ein kalter Winterabend – eine Frau ohnmächtig auf der Straße liegen; er eilte von Haus zu Haus, um ein Nachtlager für die Unglückliche zu begehren, wurde aber überall schnöde abgewiesen, bis er sie endlich im Hause Leigh Hunt’s unterbrachte. Dieselbe Güte und Großmuth zeigte er seinen Freunden, die ihrerseits keinen Anstand nahmen, den weitesten Gebrauch von derselben zu machen. Obwohl sein Einkommen, wie wir sahen, nicht eben ein glänzendes war, gab er Peacock während sechs Jahren eine Pension von 100 Pfund, befreite Hunt, wie wir hervorhoben, von 1400 Pfund Schulden und Godwin von Schulden, die sich auf 6000 Pfund beliefen. Bei all seiner Opferfähigkeit für Einzelne ließ er das allgemeine Wohl niemals aus den Augen.“

 

Politische Ansichten und Handlungen

 

Gegen jede Form der Tyrannei

 

Helene von Druskowitz: „Außer der Neigung, eine unpersönliche Weltseele an Stelle des persönlichen, theologischen Gottes zu setzen, tritt überall ein ausbündiger Haß gegen Bigotterie und Aberglauben gegen Unduldsamkeit und Selbstsucht hervor, der sich bei Shelley bald zum Haß gegen alles Bestehende, zur principiellen Verwerfung aller gesellschaftlichen Einrichtungen erweitern sollte. Er hatte einen größeren Ueberblick über die damalige sociale und politische Lage seines Vaterlandes gewonnen, und diese war trostlos genug. Er sah, daß die höchste Gewalt in den Händen der starrsten reactionären Toryregierung lag; daß die Furcht vor den Ausschreitungen der französischen Revolution diese Regierung dazu führte, sich an die alten Institutionen leidenschaftlich anzuklammern, jede freiheitliche Regung für Jacobinismus zu halten und im Keime zu ersticken. Er sah, daß, wer ein freies Wort gegen den König oder den Prinzregenten wagte, sich der Gefahr aussetzte, in Staatsprocessen belangt und zu langer Kerkerhaft verurtheilt zu werden, daß Regierung und Parlament eine wahre Henkerslust beseelte, daß religiöse Heuchelei und Intoleranz zahllose Opfer forderten.

Durch das Bewußtsein derartiger Verhältnisse wurde Shelley’s natürliche Neigung zu lieben und sich hinzugeben zu einer leidenschaftlichen Liebe für die Unterdrückten, sein angestammter instinctiver Widerwille gegen Zwang und Unterdrückung zu einem bewußten und zum Princip des Lebens erhobenen Haß gegen jede Form der Tyrannei; man darf sagen, daß ihn der erste Einblick in die Verhältnisse jener finsteren Zeit in die Reihen jener Geister erhob, welche die großen, fruchtbaren Freiheitsbewegungen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts vorbereiteten, und deren kühnster Führer er zu werden berufen war. Hogg, der Shelley wie wenige kannte, bemerkt: ‚In keinem Individuum war der sittliche Sinn vielleicht mehr entwickelt als in Shelley, in keinem Wesen war die Empfindung für Recht und Unrecht schärfer‘. Und an einer anderen Stelle sagt er: ‚Ich konnte nicht mehr als zwei Principien in ihm entdecken; das erste war eine starke unüberwindliche Liebe zur Freiheit im abstracten Sinne, das zweite war eine ebenso leidenschaftliche Liebe zur Toleranz aller Meinungen, besonders aber der religiösen Meinungen, zur vollkommenen, ganzen, allumfassenden, unbegrenzten Toleranz, und als Folge und ein Corollarium des zweiten Princips fühlte er eine große Abscheu vor jeder Art der Verfolgung, sei sie öffentlich oder privat‘. Das war aber nicht Alles. Sowie ihn seine Menschenliebe bald zu überidealen Anschauungen über die menschliche Natur führte, indem er dieselbe für ursprünglich gut, höchst vervollkommnungsfähig und den menschlichen Willen für frei hielt, so führte ihn sein persönliches Freiheitsbedürfniß, das keine Schranke duldete, sowie sein Abscheu vor den socialen und politischen Verhältnissen seiner Zeit sehr früh zu einer extremen Verurtheilung aller gesellschaftlichen Gemeinschaft. Hielt er den Menschen für gut, so die Gesellschaft für schlecht. Laster und Elend waren ihm die nothwendigen Folgen der Einschränkung der individuellen Freiheit; gut und glücklich waren die Menschen, bevor es Gewalt und Unterdrückung, Norm und Gesetz gab, gut und glücklich sollen sie werden, wenn einst alle gesellschaftlichen Fesseln sich lösen, das Reich der absoluten Freiheit sich erneuert.

Es ist leicht einzusehen, daß Shelley’s, durch Rousseau und die französische Revolution angeregter Radicalismus über das Ziel hinausschoß, daß auch eine weniger in Vorurtheilen verknöcherte und erstarrte Gesellschaft, als die englische, über diesen hätte erschrecken müssen. Der freisinnige Beurtheiler wird an der Kühnheit seiner Opposition aber immer mehr zu schätzen, als zu tadeln finden. Er wird das Ueberschüssige daran aus Zeitverhältnissen zu begreifen suchen, er wird einsehen, daß in Epochen der äußersten Unterdrückung und Verderbniß einzelne ausgezeichnete und ungestüme Geister von der Sehnsucht nach einem Umsturz alles Bestehenden ergriffen werden müssen, jenes herrliche Freiheitsgefühl, jene mächtige Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe, jene tiefe Sympathie für die Unterdrückten, welche die Hauptquellen des Shelley’schen Radicalismus sind, aber als ein seltenes Phänomen bewundern. Ein durchaus subjectiver Geist, verwandelte Shelley seine Empfindungen in Principien und reformatorische Bestrebungen. Es wäre ihm nicht möglich gewesen, sich auf die eigene Vervollkommnung zu beschränken, sich selbst zu befreien, ohne den Versuch zu machen, auch die Anderen aus den Banden schädlicher und unwürdiger Anschauungen und Verhältnisse zu erlösen. Es war alles social bei ihm, und er besaß einen ausgeprägten politischen Sinn.

Sobald sein Verständniß für die öffentlichen Angelegenheiten geweckt ist, sehen wir ihn all sein Denken und Sinnen darauf richten, das allgemeine Wohl zu fördern, die Tyrannei in jeder Form zu bekämpfen und das, was er für wahr hält, zu einem Gemeingute zu machen.“

 

Agitation in Irland

 

Helene von Druskowitz: „Nichts kann des jungen Shelley festes Vertrauen in die sittliche Kraft des Menschen und in seinen eigenen reformatorischen Beruf besser veranschaulichen, als sein Kreuzzug nach Irland. Neunzehn Jahre alt, ohne Namen, ohne Stellung, ohne Beziehungen kommt er dahin, ein Apostel des Humanismus, und mit ihm zieht ein mädchenhaftes Weib, ‚die Theilhaberin an seinen Gefühlen und Gedanken‘ …

Mit der Shelley eigenen Windesschnelligkeit wurde nun an’s Werk geschritten. Bevor eine Woche verstrichen, war die Adresse an das irische Volk gedruckt und dann wurde mit aller Energie an die Vertheilung der Abdrücke gegangen. Das Pamphlet war für den Verkauf bestimmt, Shelley griff jedoch noch zu andern Mitteln, es unter die Leute zu bringen …

In der Nachschrift zu jenem Briefe an Miß Hitchener sagt sie (Harriet): ‚Ich bin sicher, Sie würden lachen, wenn Sie uns die Flugblätter ausgeben sehen würden. Wir werfen sie aus dem Fenster und geben sie Leuten, denen wir auf der Straße begegnen. Ich selbst möchte mich zu Tode lachen, wenn es geschehen ist, und Percy sieht so ernsthaft darein. Gestern steckte er eins in die Mantelkapuze einer Frau‘ … In der Ankündigung der Adresse heißt es, daß es die Absicht des Verfassers sei, ‚in dem Geiste der irländischen Armen das Bewußtsein ihrer wirklichen Lage zu erwecken, indem die Uebelstände dieser Lage summarisch dargelegt und vernünftige Heilmittel angerathen werden. Die katholische Emancipation, und die Aufhebung der Unions-Akte (die letztere das wirksamste Mittel, welches England jemals gegen das gesunkene Irland in Anwendung gebracht hat), sowie die Beschwerden, welche Einigkeit und Entschlossenheit entfernen können, werden in der folgenden Adresse behandelt, und Genossenschaften, die mit ruhiger Festigkeit gebildet werden, ernstlich als Mittel empfohlen, um jene Einigkeit und Festigkeit hervorzubringen, welche endlich erfolgreich sein müssen.‘ Es herrscht kein aufreizender Demagogenton in dieser Flugschrift. Es lebte in Shelley allerdings etwas von dem Geiste der französischen Revolution, ja seine Absicht war keine andere, als diese weiterzuführen, aber in verklärter Form weiterzuführen. Er war ein Feind des plötzlichen äußern Umsturzes, er hatte eine fast quäkerhafte Scheu vor Gewaltmaßregeln und er warnt in seinem Pamphlet ausdrücklich vor den Ausschreitungen der französischen Revolution. Was er wollte, das war, hier im konkreten Falle, die Irländer innerlich zu revolutionieren, sie innerlich durch sittliche Erstarkung und geistige Vervollkommnung zu befreien, um sie dadurch für die äußere, die politische Freiheit vorzubereiten. Er empfiehlt den Irländern Tugend, Weisheit, Toleranz und Einigkeit als diejenigen Zauberkräfte, deren Besitz die Erreichung der vollen und dauernden politischen Freiheit zur nothwendigen Folge haben müsse. Die letztere aber ist ihm das Ziel aller Entwickelung, ohne sie kann er sich das Bestehen menschlicher Würde nicht denken.

Der Stil der Flugschrift wurde, wie Shelley an Godwin schrieb, ‚mit Absicht vulgarisirt, damit er auch dem Volk verständlich sei‘. Hier eine kurze Probe. ‚Frage nicht, ob einer ein Ketzer ist, ob einer ein Quäker, ein Jude oder ein Heide ist, sondern ob er ein tugendhafter Mensch ist, ob er Freiheit und Wahrheit liebt, ob er das Glück und den Frieden der menschlichen Gesellschaft wünscht. Wenn ein Mensch ein auch noch so guter Gläubiger ist und diese Dinge nicht liebt, ist er ein herzloser Heuchler, ein Schurke und ein Bube‘. ‚Seid ruhig, mild, frei, geduldig, vergeßt nicht, daß ihr die Reform nicht besser fördern könnt, als wenn ihr eure Muße mit Nachdenken und der Ausbildung eures Geistes hinbringt, denkt, sprecht, erörtert, der einzige Gegenstand euerer Gedanken sei Glück und Freiheit. Seid frei und glücklich, zuerst aber seid weise und gut!‘ Shelley hat die unblutige Revolution, den passiven Widerstand später in dem Epos „Laon und Cythna“ verherrlicht, in der „Maske der Anarchie“ den englischen Patrioten empfohlen. Er selbst war der Laon Irlands, die Irländer aber waren aus gröberem Stoff gebildet, als die Bewohner der goldenen Stadt, welche die Predigt des poetischen Laon bekehrt und die durch Liebe zu einem freien Volke werden. Wie trefflich die Mahnungen auch an sich waren, die Shelley an das irländische Volk richtete, so irrte er doch, wenn er hoffte, durch dieselben auf dies Volk einwirken zu können, dessen geistiges Niveau nach seinem eigenen Ausdruck ‚kaum höher als das einer Auster‘ war. Shelley war zu ideal gesinnt, um die menschliche Natur zu erkennen; sein Vertrauen in die angeborene ethische Kraft des Menschen war so groß, daß er kein Volk für so niedrig erachtete, um dem wahrheitverkündenden Worte unzugänglich zu sein. Sein Glaube an die Ueberzeugungskraft des Wortes war aber nur eine Folge dieser idealen Anschauungen.

Bei allem Hyperidealismus, bei all seiner Unfähigkeit, sich in das Bewußtsein niedrigerer Naturen zu versetzen, verleugnete er jedoch niemals seinen ausgezeichneten Scharfsinn. Während die Abdrücke der Adresse noch in den Straßen Dublins verbreitet wurden, druckte er ein zweites Pamphlet, dessen vollständiger Titel lautet: „Vorschläge für eine Verbindung solcher Menschenfreunde, die überzeugt von der Unzulänglichkeit des moralischen und politischen Zustandes Irlands Vortheile zu schaffen, die nichts desto weniger erreichbar, Willens sind, sich zu vereinigen, um dessen Wiedergeburt zu bewirken“. In dieser Flugschrift forderte er die irischen Patrioten auf, eine große Genossenschaft zu bilden, um die Mittel zu besprechen, durch welche die Rechte des Landes auf friedlichem Wege geschützt werden könnten. ‚Wenn eine Anzahl von Personen‘, sagt er hier, ‚sich zu einer Genossenschaft zusammenthut, um mit dem Geiste, nicht mit dem Körper Widerstand zu leisten, dann wird das Volk den richtigen Weg zur That gehen‘. Und wirklich ist die Emancipation der irischen Katholiken auf dem Wege der Association vorwärts geschritten. Godwin, der Shelley’s friedliche Agitationen von allem Anfange in hohem Grade gemißbilligt, befürchtete die schlimmsten Folgen von den „Vorschlägen“, hatte er in „Political Justice“ die Associationen doch ‚als einen schlecht gewählten und schlecht-gearteten Modus, das politische Glück des Menschen zu begründen‘, bezeichnet. Seine Befürchtungen waren so groß, daß er sich in einem Briefe an Shelley zu den Worten hinreißen ließ: ‚Shelley, Sie bereiten ein Blutbad! Wenn sich Ihre Genossenschaft sehr entwickelt, werden fürchterliche Folgen eintreten und Hunderte werden Ihren Irrthum durch Elend und Untergang büßen‘. Vergebens versuchte ihn Shelley zu beruhigen, indem er ihm vorstellte, daß er ja an keine Gesellschaft denke, die mit „plötzlicher Gewalt“ zu Werke ginge und die Folge sollte lehren, daß der Jünger schärfer sah als der Meister.

Am 28. Februar fand ein katholisches Meeting im Fishamble Street Theater statt, bei dem Shelley nicht nur erschien, sondern in der Gegenwart O’Conell’s und anderer Berühmtheiten eine Stunde lang sprach. Er wurde von der Versammlung freundlich aufgenommen; zwar wurde zu Beginn seiner Rede, als er von der Gleichberechtigung der Protestanten und der Katholiken sprach, ein wenig gezischt, bald aber zündeten seine Worte, so daß er von minutenlangem Applaus unterbrochen wurde. Ohne Zweifel gehörte ein Theil dieses Erfolges seiner Jugend, seiner Schönheit, der Unparteilichkeit, mit der er die Stellung seines Vaterlandes zu Irland kritisirte – und diese Kritik bildete den Hauptinhalt seiner Rede -, um aber das Publicum hinzureißen, dazu gehörte machtvolle Beredtsamkeit. Shelley war also nicht nur ein Meister der Konversation, er war auch zum öffentlichen Redner geschaffen und es ist wohl denkbar, daß er, im Falle er sich für die parlamentarische Laufbahn entschieden hätte, einer der ersten englischen Redner geworden wäre …

Er wurde in Dublin zwar als ein Wunder angestaunt, während sein feuriger Zuruf keinen Widerhall weckte und sich kein Zeichen von jener sittlichen Erstarkung zeigte, von der er so siegesgewiß geträumt. Obwohl wir nicht annehmen dürfen, daß er in optimistischer Verblendung wähnte, seine Schriften würden sofort einen Umschwung im ganzen Land bewirken, gab er sich doch der Hoffnung hin, die Besseren zu beeinflussen und diese zur Bildung der von ihm proponirten Genossenschaft schreiten zu sehen. Allein auch dies war nicht der Fall. Diese Enttäuschung, sowie Godwin‘s unausgesetztes Drängen, die Sache aufzugeben, bestimmten ihn, Irland nach zweimonatlichem Aufenthalte wieder zu verlassen. Er sagt in einem Briefe, den er kurz vor seiner Abreise von dort schrieb, daß er ‚alles gethan habe, was er thun konnte‘. Wäre Shelley ein durchaus consequenter Idealist gewesen, so könnte man sich in der That nur schwer vorstellen, welchen Umstand er als die Ursache des Scheiterns seiner Propaganda betrachtet habe. Allein auch er hatte Augenblicke, wo er muthlos wurde, wo sein Vertrauen in den guten Kern der menschlichen Natur ihn verließ. So bemerkt er in einem Brief an Hogg vom 9. August 1811, daß die Masse ‚hoffnungslos corrupt sei‘, daß das Böse nicht ausgemerzt werden könne (the evil is not to be obviated), daß alle Versuche wohlmeinender Reformer fehlgeschlagen haben u. s. w. Solche Aeußerungen drücken indes bei Shelley nicht mehr als eine vorübergehende Stimmung aus. Ebenso mochte er nach dem Mißlingen seiner friedlichen Agitationen in Dublin die große Masse einen Augenblick „hoffnungslos corrupt“ genannt haben. Im Grunde seines Herzens wohnte aber ein jubelnder Optimismus und dieser war das Ständige in seiner Weltbetrachtung. Bemerkenswerth ist der Umstand, daß Shelley hauptsächlich in jüngeren Jahren seine optimistische Anschauungsweise öfters verließ, während er in reiferem Alter consequenter an ihr festhielt, wenn auch nicht immer und nicht in jeder Beziehung.

Ohne daß er gegen seine Ideen oder gegen seine Kraft mißtrauisch geworden, war er doch sehr entmuthigt und die Stimmung, in der er Irland am 7. April verließ, war sehr verschieden von der, in welcher er das Land betreten. Vor seinem Abschiede von Dublin ließ er noch eine dritte Flugschrift, „Die Erklärung der Rechte“, drucken. Rosetti hat auf Aehnlichkeiten zwischen dieser Flugschrift und zwei Dokumenten der französischen Revolution aufmerksam gemacht, ‚von denen das eine von der constitutirenden Versammlung im August 1789 angenommen, das andere von Robespierre im April 1793 vorgeschlagen wurde‘.“

 

Flaschenpost nach Irland

 

Giuseppe Tomasi di Lampedusa: „Die Zeit in Lynmouth war mehr denn je Shelleys politische Phase. Dort schrieb er seine Declaration af Rights, ein Kompendium des absoluten Anarchismus und des radikalsten Atheismus. Dieser Schrift wollte er größtmögliche Verbreitung verschaffen und setzte sogar Ballons ein und Flaschen, die er in Flüsse und ins Meer warf, um das Buch zu verbreiten, wodurch er Nachforschungen der Behörden und größte Verblüffung bei den guten Bauern auslöste, die jene aufrührerischen, unverständlichen Blätter auf ihre Höfe herabregnen sahen.“

Helene von Druskowitz: „Er wandte sich von hier nach Lynmouth (an der Küste von Somersetshire), wo er zu Beginn des Juli mit seinen Damen anlangte.

Hier wurde die politische Propaganda durch die Verbreitung seines dritten Pamphletes, der „Erklärung der Rechte“, fortgesetzt. Er stopfte in seiner phantastischen, kindlichen Weise Abdrücke dieser Schrift in Flaschen und übergab diese dem Meere, hoffend, daß die Wogen sie nach Irland tragen würden, und veranlaßte seinen Diener, Daniel Hill, der ihm aus Irland gefolgt war, andere unter den Pächtern der Gegend zu vertheilen. Der Diener wurde am 19. August in Barnstaple verhaftet und wegen Verbreitung aufrührerischer Flugschriften zu sechsmonatlicher Kerkerstrafe verurtheilt. Wir hören nicht, daß Shelley für ihn Schritte gethan habe, doch sind wir vollkommen berechtigt, dies als gewiß anzunehmen. Dagegen haben wir an dieser Stelle eine jener mutigen Thaten zu verzeichnen, welche Shelley’s herrliches Gerechtigkeits- und Toleranzgefühl in das helle Licht stellen. Ein Buchdrucker, Namens D. J. Eaton, hatte den dritten Theil von Pine’s „Age of Reason“ veröffentlicht und wurde deshalb von Lord Ellenborough zur Kerkerstrafe verurtheilt. Entrüstet über diesen Akt der Intoleranz richtete Shelley ein Sendschreiben an den Lord und ließ es in Barnstaple drucken. Dieser Brief ist ein Meisterstück argumentativer Polemik gegen die Unterdrückung der Gedankenfreiheit und zugleich ein stilistisches Meisterstück, so daß Godwin, der bis dann keine Gelegenheit gehabt, mit seinem Jünger übereinzustimmen, ihm nun volle Anerkennung zollen konnte.“

 

Todesstrafe

 

Helene von Druskowitz: „Der Essay „Ueber die Todesstrafe“ ist nur ein neuer Beweis dafür, daß Shelley’s Gedanken sich unausgesetzt mit dem Wohle der Menschen und der Verbesserung der menschlichen Gesellschaft beschäftigten. Er bringt hier Gründe gegen die Todesstrafe vor, die für seine Zeit neu sein mochten, und tritt den herkömmlichen Anschauungen mit der ihm eigenen polemischen Schärfe entgegen. Mrs. Shelley bemerkt: ‚Das Fragment seines Essays über die Todesstrafe hat den Werth, den die Stimme eines Philosophen und Dichters besitzen muß, welcher zu Gunsten der Menschlichkeit und der Cultur sich äußert. Er bringt all die Argumente vor, welche nur ein phantasiereicher Mann, der die Gefühle seiner Mitmenschen lebhaft mitzuempfinden vermag, zu denken im Stande ist und vermittelt dieselben dem ruhigen Denker mit der Logik der Wahrheit‘. Das Fragment bekommt in unseren Augen um so höhere Bedeutung, bedenken wir, daß unter Georg III. jährlich im Durchschnitt 2000 Diebe gehenkt wurden.“

 

Feminismus

 

Helene von Druskowitz: „“Laon and Cythna; or the Revolution oft he Golden City: A Vision oft the Nineteenth Century“ lautete der ursprüngliche Titel der Dichtung, welche nun gewöhnlich „The Revolt of Islam“ genannt wird. Die Bezeichnung „eine Vision des neunzehnten Jahrhunderts“ war insofern angemessen, als hier, um mit Miß Mathilde Blind zu sprechen, „ein neuer weiblicher Typus“ zum ersten Male in die Poesie eingeführt wird, die Frau nämlich, welche zum Bewußtsein der gesellschaftlichen Mißstellung ihres Geschlechtes gelangt und, indem sie für die Rechte desselben muthig in die Schranken tritt, eine Wiedergeburt der gesammten Menschheit herbeiführt. Es war die pietätsvolle Erinnerung an jene kühne Kämpferin, Mary Wollstonecraft, deren ideale Züge Shelley in seinem eigenen geliebten Weibe wiederfand, welche ihn zur Schöpfung einer Gestalt wie Cythna begeisterte.“

 

Mut gegenüber Allen und Allem

 

Helene von Druskowitz: „Der Muth, mit dem er gegen die Despotie der Regierungen, gegen die Intoleranz, gegen all die politischen und socialen Gebrechen, die zu jener Zeit entweder England allein oder dem ganzen Europa anhafteten, auftrat, und deren theilweise Beseitigung den Freiheitsbewegungen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts gelungen ist, wird ihn stets zum Gegenstand unserer begeisterten Verehrung machen. Er hat dem modernen Freiheitsgefühl den idealsten und schwungvollsten Ausdruck gegeben und ist dadurch eine der hinreißendsten Gestalten der modernen Welt geworden.“

 

Maske der Anarchie

 

Helene von Druskowitz: „An diese Gruppe von Gedichten reihten sich politische Fehdegedichte, die mit Ausnahme von „Dickfuß dem Tyrannen“, insgesammt auf der Villa Balsovano entstanden sind und unter denen das hervorragendste die „Maske der Anarchie“.

Der Anlaß zu diesem Gedichte war die Nachricht von den Massacrirungen, die an der armen ausständischen Bevölkerung von Manchester verübt wurden. Es wird durch eine Vision eröffnet, in der wir die Phantasie des Dichters von einer neuen Seite kennen lernen, als Fähigkeit, characteristische Zerrbilder zu schaffen. In einem processionalen Zuge sieht er Verkörperungen alles Bösen vorüberziehen, voran Mord, Trug und Heuchelei, in der Gestalt von Castlereagh, Eldon und Sidmouth, den von ihm hehaßten Vertretern der Reaction …

Zuletzt kommt die Anarchie …

Die nächsten Strophen schildern, wie Anarchie, gefolgt von ihren Söldnerheeren, von Meer zu Meere zieht, und Alle sie als „Gesetz und Herrscher“ preisen. Den Wendepunkt des Gedichtes bildet die Stelle, wo die Hoffnung als Wahnsinnige erscheint, zuerst fliehend vor dem Zuge, dann sich vor ihm niederwerfend. Doch da ersteht sofort ihr Retter, der Genius der Freiheit in Erz gekleidet und beflügelt; die Anarchie und ihre Söldnersinken in den Staub und die Hoffnung, nunmehr eine stolze, stattliche Jungfrau, schreitet über ihre Leichen dahin. Wir sehen hier Shelley’s glühendsten Wunsch in eine neue, schöne Vision gekleidet. In der langen Rede, welche die Freiheit an die Versammelten hält, sticht jene Stelle am meisten hevor, wo sie passiven Widerstand predigt. Dieser Passus erinnert an die Mahnungen in den irischen Flugschriften und an „Laon und Cythna“.“

Susanne Schmid: „Im Sommer 1819, während seines Aufenthalts in Florenz, erfuhr Shelley von den Ereignissen von „Peterloo“. Außerhalb von Manchester hatten sich 60.000 Arbeiter zu einer politischen Kundgebung getroffen und waren - obwohl sie nicht bewaffnet waren - von berittenen Soldaten brutal auseinandergetrieben worden: elf Tote und über vierhundert Verletzte, so die offiziellen Zahlen. Innerhalb weniger Tage schrieb Shelley einen Großteil des Gedichts The Mask of Anarchy, in dem er die verantwortlichen Politiker namentlich attackierte. Hatte sich Queen Mab noch recht krude mit abstrakten Begriffen wie Religion oder Unterdrückung auseinandergesetzt, so war Shelleys Feder mittlerweile sehr viel spitzer geworden. Der' von ihm beschriebene Maskenzug, der von der Verkörperung der Anarchie, der Mißherrschaft, angeführt wird, übt Kritik, wie sie ätzender kaum sein könnte. Bertolt Brecht befaßte sich mehrfach mit diesem Text, übersetzte ihn teilweise und schuf eine Nachdichtung …

Der „betrügerische“ Eldon war Shelley noch gut in Erinnerung, denn der verlorene Prozeß um das Sorgerecht für die Kinder hatte unter ihm stattgefunden. The Mask of Anarchy sollte Bestandteil eines populären Gedichtbands oder Liederbuchs werden und agitatorischen Einfluß nehmen. „Song to the Men of England“ und andere ähnliche Texte sollten vermutlich ebenfalls abgedruckt werden. Aber The Mask of Anarchy erschien erst 1832, zehn Jahre nach Shelleys Tod, und andere Gedichte noch später. Kein Drucker wollte zunächst das Risiko eingehen, wegen Shelleys als skandalös bekannten Schriften, die sich noch nicht einmal besonders gut verkauften, ins Gefängnis zu gehen. Weder Leigh Hunt noch Charles Ollier, Shelleys Verleger, waren dazu bereit …

Auch Brecht interessierte sich für den politischen Shelley. Einer seiner bevorzugten Texte scheint The Mask of Anarchy gewesen zu sein, das er nicht nur teilweise übersetzte, sondern auch als Vorlage für das Gedicht Freiheit und Democracy nahm. Brechts Nachdichtung ist dem Original viel näher als jede anthologisierte Übersetzung, weil sie sich, wie Shelleys Text, auf die unmittelbare politische Situation bezieht - hier die Verleugnung des Nationalsozialismus nach dem Krieg.“

Anbei der Link zu „Der Maskenzug der Anarchie“ im Original und der deutschen Übersetzung

http://signaturen-magazin.de/shelley--der-maskenzug-der-anarchie.html

Und hier das, was Bertolt Brecht daraus gemacht hat:

„Frühling wurd's in deutschem Land.

Über Asch und Trümmerwand

Flog ein erstes Birkengrün

Probweis, delikat und kühn.

 

Als von Süden, aus den Tälern

Herbewegte sich von Wählern

pomphaft ein zerlumpter Zug

Der zwei alte Tafeln trug.

 

Mürbe war das Holz von Stichen

Und die Inschrift sehr verblichen

Und es war so etwas wie

FREIHEIT und DEMOCRACY.

 

Von den Kirchen kam Geläute.

Kriegerwitwen, Fliegerbräute

Waise, Zittrer, Hinkebein -

Offnen Mauls stand's am Rain.

 

Und der Blinde frug den Tauben

Was vorbeizog in den Stauben

Hinter einem Aufruf wie

FREIHEIT und DEMOCRACY.

 

Vornweg schritt ein Sattelkopf

Und er sang aus vollem Kropf:

"Allons, enfants, god save the king

Und den Dollar, kling, kling, kling."

 

Dann in Kutten Schritten zwei

Trugen 'ne Monstranz vorbei.

Wurd die Kutte hochgerafft

Sah hervor ein Stiefelschaft.

 

Doch dem Kreuz dort auf dem Laken

Fehlen heute ein paar Haken

Da man mit den Zeiten lebt

Sind die Haken überklebt.

 

Drunter schritt dafür ein Pater

Abgesandt vom Heiligen Vater

Welcher tief beunruhigt

Wie man weiß, nach Osten blickt.

 

Dicht darauf die Nichtvergesser

Die für ihre langen Messer

Stampfend in geschloßnen Reihn

Laut nach einer Freinacht schrein.

 

Ihre Gönner dann, die schnellen

Grauen Herrn von den Kartellen:

Für die Rüstungsindustrie

FREIHEIT und DEMOCRACY!

 

Einem impotenten Hahne

Gleichend, stolzt ein Pangermane

Pochend auf das freie Wort.

Es heißt Mord.

 

Gleichen Tritts marschiern die Lehrer

Machtverehrer, Hirnverheerer

Für das Recht, die deutsche Jugend

Zu erziehn zur Schlächtertugend.

 

Folgen die Herrn Mediziner

Menschverächter, Nazidiener

Fordernd, daß man ihnen buche

Kommunisten für Versuche.

 

Drei Gelehrte, ernst und hager

Planer der Vernichtungslager

Fordern auch für die Chemie

FREIHEIT und DEMOCRACY.

 

Folgen, denn es braucht der Staat sie

Alle die entnazten Nazi

Die als Filzlaus in den Ritzen

Aller hohen Ämter sitzen.

 

Dort die Stürmerredakteure

Sind besorgt, daß man sie höre

Und jetzt nicht etwa vergesse

Auf die Freiheit unsrer Presse.

 

Einige unsrer besten Bürger

Einst geschätzt als Judenwürger

Jetzt geknebelt, seht ihr schreiten

Für das Recht der Minderheiten.

 

Früherer Parlamentarier

In den Hitlerzeiten Arier

Bietet sich als Anwalt an:

Schafft dem Tüchtigen freie Bahn!

 

Und das schwarze Marketier

Sagt, befraget: Ich marschier

Auf Gedeih (und auf Verberb)

Für den freien Wettbewerb.

 

Und der Richter dort: zur Hetz

Schwenkt er frech ein alt Gesetz.

Mit ihm von der Hitlerei

Spricht es sich und alle frei.

 

Künstler, Musiker, Dichterfürsten

Schrei'nd nach Lorbeer und nach Würsten

All die Guten, die geschwind

Nun es nicht gewesen sind.

 

Peitschen klatschen auf das Pflaster:

Die SS macht es für Zaster

Aber Freiheit braucht auch sie

FREIHEIT und DEMOCRACY.

 

Und die Hitlerfrauenschaft

Kommt, die Röcke hochgerafft

Fischend mit gebräunter Wade

Nach des Erbfeinds Schokolade.

 

Spitzel, Kraft-durch-Freude-Weiber

Winterhelfer, Zeitungsschreiber

Steuer-Spenden-Zins-Eintreiber

Deutsches-Erbland-Einverleiber

 

Blut und Dreck in Wahlverwandtschaft

Zog das durch die deutsche Landschaft

Rülpste, kotzte, stank und schrie:

FREIHEIT und DEMOCRACY!

 

Und kam, berstend vor Gestank

Endlich an die Isarbank

Zu der Hauptstadt der Bewegung

Stadt der deutschen Grabsteinlegung.

 

Informiert von den Gazetten

Hungernd zwischen den Skeletten

Seiner Häuser stand herum

Das verstörte Bürgertum.

 

Und als der mephitische Zug

Durch den Schutt die Tafeln trug

Treten aus dem brauen Haus

Schweigend sechs Gestalten aus

 

Und es kommt der Zug zum Halten.

Neigen sich die sechs Gestalten

Und gesellen sich dem Zug

Der die alten Tafeln trug.

 

Und sie fahrn in sechs Karossen

Alle sechs Parteigenossen

Durch den Schutt, und alles schrie:

FREIHEIT und DEMOCRACY!

 

Knochenhand am Peitschenknauf

Fährt die Unterdrückung auf.

In 'nem Panzerkarr'n fährt sie

Dem Geschenk der Industrie.

 

Groß begrüßt, in rostigem Tank

Fährt der Aussatz. Er scheint krank.

Schämig zupft er sich im Winde

Hoch zum Kinn die braune Binde.

 

Hinter ihm fährt der Betrug

Schwenkend einen großen Krug

Freibier. Müßt nur, draus zu saufen

Eure Kinder ihm verkaufen.

 

Alt wie das Gebirge, doch

Unternehmend immer noch

Fährt die Dummheit mit im Zug

Läßt kein Auge vom Betrug.

 

Hängend überm Wagenbord

Mit dem Arm, fährt vor der Mord.

Wohlig räckelt sich das Vieh

Singt: Sweet dreams of liberty.

 

Zittrig noch gestrigen Schock

Fährt der Raub dann auf im Rock

Eines Junkers Feldmarschall

Auf dem Schoß einen Erdball.

 

Aber alle die sechs Großen

Eingeseßnen, Gnadelosen

Alle nun verlangen sie

FREIHEIT und DEMOCRACY.

 

Holpernd hinter den sechs Plagen

Fährt ein riesen Totenwagen

Drinnen liegt, man sieht's nicht recht:

's ist ein unbekannt Geschlecht.

 

Und ein Wind aus den Ruinen

Singt die Totenmesse ihnen

Die dereinst gesessen hatten

Hier in Häusern. Große Ratten

 

Schlüpfen aus gestürzten Gassen

Folgend diesem Zug in Massen

Hoch die Freiheit, piepsen sie

FREIHEIT und DEMOCRACY!“

 

http://www.alfa1.de/az-ged.html

 

Pazifismus

 

Ein Teilaspekt des Textes von Georg Borchardt weiter unten:

„Nicht minder scharf bekämpfte Shelley den staatlich befohlenen Massenmord: „Krieg, aus welchen Motiven auch immer er geführt sein mag, löscht die Empfindung der Besonnenheit und der Gerechtigkeit im Geiste aus ... Er gleicht, wie Vernünftigdenkende bemerkt haben, dem religiösen Glauben.“ Und wohl als erster in der Geschichte des Pazifismus hat Shelley auch die Ächtung des Kriegers gefordert: „Der Mensch hat kein Recht, seinen Mitmenschen zu töten, und er ist nicht entschuldigt, wenn er es in Uniform tut. Damit fügt er lediglich dem Verbrechen des Mordes die Schande der Knechtschaft hinzu.“ „Von dem Augenblick, da ein Mann Soldat ist, wird er zum Sklaven ... Man lehrt ihn die Verachtung menschlichen Lebens und Leidens ... Er steht tiefer als der Mörder; Berufssoldat ist über alle Begriffe verabscheuungswürdig und verächtlich.““

 

Atheismus

 

Karlheinz Deschner (siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/92-aufklaerung-ist-aergernis.html ) hat das hervorragende Buch „Das Christentum im Urteil seiner Gegner“ herausgegeben.

„In 37 Porträts berühmter Christengegner findet der Benutzer jeweils eine knappe, konzentrierte Einführung in Leben und Werk des das Christentum betrachtenden und wertenden Autors, sodann im Hauptteil eine Sammlung genau belegter, durch Zwischenüberschriften gegliederter Werkauszüge.“

Hier die sehr schöne Einführung in Leben und Werk von Percy Shelley, geschrieben von Georg Borchardt:

„Hundert Jahre nach dem Erscheinen der zweiten Auflage von Shelleys Trauerspiel Die Cenci übersetzte der Dichter Alfred Wolfenstein das Stück neu ins Deutsche, ein Stück, das Byron als das bedeutendste Drama der englischen Literatur seit Shakespeare bezeichnet hat. Ein Rezensent dieser Übertragung, Karl Arns, resümierte damals, 1921, die Wirkungsgeschichte der Werke Shelleys in Deutschland: „Von 1814-1834 war Shelley in Deutschland unbekannt oder mißachtet; von 1834-1848 kam er als politischer Prophet zu Ehren; von 1850-1880 galt er als naiver, unpraktischer Träumer; 1880 beginnt eine Shelley-Renaissance, die in der Gegenwart neue Impulse erhalten hat.“ Zu diesen belebenden Impulsen zählt, daß der anarchistische Sozialist B. Traven (unter dem Pseudonym Ret Marut, wie Rolf Recknagel nachgewiesen hat) Shelleys Deklaration der Menschenrechte in der revolutionären Zeitschrift Der Ziegelbrenner in deutscher Sprache druckte, zählt auch die Tatsache, daß Brecht, nach seinen eigenen Worten, Shelleys Ballade Der Maskenzug der Anarchie als Vorbild für sein Gedicht Freiheit und Democracy benutzte und sich mit dem Wort „mein Bruder Shelley“ zu dem älteren Dichter bekannte. Mißachtet wurde Shelley zum Beispiel von Goethe, der 1824 gesprächsweise äußerte, „überhaupt scheint Byron viel zu gut gegen ihn gewesen“. Was immer den Verfasser der Prometheus-Hymne zum Tadel an dem von ihm sonst bewunderten Lord Byron bewogen haben mag - sollte gerade Byron geirrt haben, als er Shelley attestierte: „Er denkt gigantisch ... Wenn Gedanken Licht wären und unser Planet dadurch sichtbar und wenn Raum Zeit wäre, so würden uns kommende Zeitalter durch einen kleinen Lichtstrahl, den solche Geister auswerfen, herannahen sehen.“? Es ist, als wirkte die unzulängliche Goethesche Bemerkung über Shelley bis heute fort, oder sollte Georg Brandes recht behalten mit seiner Behauptung, Shelley werde „jederzeit darauf beschränkt bleiben, für 'the happy few‘ geschrieben zu haben“? Tatsächlich sind seine großen revolutionären Dichtungen in Deutschland kaum bekannt und in übersetzten Anthologien nur spärlich vertreten, und seine Prosa, so scheint es, wird einfach ignoriert. Daß Shelley als „Autor hervorragender politischer Schriften“ und als „bedeutender Briefschreiber“ in Auswahlbänden deutscher Sprache fehle, beklagte zu Recht anläßlich seines 175. Geburtstages eine sehr auflagenstarke deutsche Tageszeitung. Sollte dies Manko eines von den zahlreichen Symptomen der heutigen deutschen Zustände, sollte auch diese fast permanente Mißachtung lebenswichtiger Literatur ein Ausdruck eines geistigen und damit eines politischen Übelstandes sein? Entspringt nicht auch die Ignoranz, die den größten Teil von Shelleys Werken trifft, einer restaurativen und konservativen Geheimkonvention, einer Parole, welche besagt, daß eben das, was große Literatur großartig macht: ihr genial formulierter Wille zur vernünftigen Weltänderung - daß genau dies nicht wörtlich, nicht ernst zu nehmen, sondern daß ausschließlich das Ästhetische an dieser Literatur relevant sei? Im Vorwort zum Entfesselten Prometheus sagt Shelley: „Ich gebe zu, das zu besitzen, was ein schottischer Philosoph charakterisiert als ‚eine Leidenschaft, die Welt zu bessern‘: er hingegen unterläßt es zu erklären, welche Leidenschaft ihn anstachelte, sein Buch zu schreiben und zu publizieren. Ich meinerseits möchte lieber mit Platon und Lord Bacon verdammt sein, als mit Paley und Malthus in den Himmel kommen.“

Shelley definierte sich selbst mit einer griechisch verfaßten Inschrift in einer Hütte in den Schweizer Alpen: „Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Percy B. Shelley.“

Kein christlicher Demokrat also, und damit ist einer in diesem Lande auch heute noch erledigt, und wenn er ein Genie sein sollte. Erledigter als erledigt wäre aber, wer es wagte, das geheiligte Tabu Demokratie zum Gegenstand kritischer Erwägungen zu machen. Das tat Shelley, als er schrieb: „Ich will nicht den gesunden Menschenverstand dadurch beleidigen, daß ich auf der Lehre von der natürlichen Gleichheit der Menschen bestehe.“ Im selben Jahre, 1813, schrieb er an seinen Freund Hogg: „Vielleicht wirst Du sagen, daß mein Republikanismus stolz ist; er ist gewiß weit entfernt von der Bierkneipen-Demokratie und weiß, mit welchem Lächeln er die servilen Beifallskundgebungen des wankelmütigen Pöbels anzuhören hat.“ In Shelleys politischer Philosophie spielt die Kritik an den Methoden der Französischen Revolution eine entscheidende Rolle. Aus einem Brief an Godwin von 1812 geht hervor, daß Shelley einen Essay zu schreiben begonnen hatte, dessen Titel lauten sollte: Eine Untersuchung über die Ursachen des Mißerfolgs der Französischen Revolution, zum Wohle der Menschheit. Er verwarf den jakobinischen Rigorismus der Mittel zugunsten einer evolutionären Durchsetzung politischer Forderungen „... mit der berechtigten Überzeugung, daß Geduld und Vernunft und Ausdauer die Voraussetzungen für einen ruhigen, doch unaufhaltsamen Fortschritt sind“. „Die Morde während der Periode der Französischen Revolution und der Despotismus, der seither errichtet wurde, beweisen, daß die Lehren der Menschenliebe und der Freiheit nur oberflächlich verstanden wurden.“ Ein Fragment gebliebener Essay, den Shelley wahrscheinlich 1815 schrieb, beginnt mit dem Satz: „Das erste Gesetz, welches ein Reformer angesichts eines nahe bevorstehenden, großen politischen Umschwungs vorzuschlagen und zu begründen hätte, ist die Abschaffung der Todesstrafe.“ Nicht minder scharf bekämpfte Shelley den staatlich befohlenen Massenmord: „Krieg, aus welchen Motiven auch immer er geführt sein mag, löscht die Empfindung der Besonnenheit und der Gerechtigkeit im Geiste aus ... Er gleicht, wie Vernünftigdenkende bemerkt haben, dem religiösen Glauben.“ Und wohl als erster in der Geschichte des Pazifismus hat Shelley auch die Ächtung des Kriegers gefordert: „Der Mensch hat kein Recht, seinen Mitmenschen zu töten, und er ist nicht entschuldigt, wenn er es in Uniform tut. Damit fügt er lediglich dem Verbrechen des Mordes die Schande der Knechtschaft hinzu.“ „Von dem Augenblick, da ein Mann Soldat ist, wird er zum Sklaven ... Man lehrt ihn die Verachtung menschlichen Lebens und Leidens ... Er steht tiefer als der Mörder; Berufssoldat ist über alle Begriffe verabscheuungswürdig und verächtlich.“ In seinem bedeutendsten Essay, Die Reform in philosophischer Sicht, begründet Shelley das Recht auf Widerstand gegen den Mißbrauch staatlicher-Gewalt; er empfiehlt dabei eine Methode, von der man später annahm, daß sie eine Erfindung der afro-amerikanischen Bürgerrechtskämpfer gewesen sei; mit erstaunlicher Einsicht in das Wesen der Massenpsychologie beschreibt und fordert er die passive Gruppendemonstration. Doch ist der gewaltsame Aufstand unter folgenden Bedingungen nicht ausgeschlossen: „Der wahre Charakter einer Mißregierung ist Elend, zuerst Unzufriedenheit und dann, falls man sie mißachtet, Aufstand als der legitime Ausdruck dieses Elends. Die Allgemeinheit sollte Glück fordern; die arbeitenden Klassen sind gezwungen, es mit Gewalt zu erobern, wenn sie für ihre Arbeit keine Nahrung bekommen können. Gesetze, Versammlungen, Gerichtshöfe und delegierte Vollmachten ... sind die Mittel und die Formen, Substanz und Ziel jeder politischen Institution jedoch ist das Allgemeine Glück.“

Warum er sich als Atheist bezeichne, diese Frage hat Shelley 1822 so beantwortet: „Ich gebrauchte das Wort, um meinen Abscheu vor dem Aberglauben auszudrücken; ich nahm es auf, wie ein Ritter in alten Tagen einen Handschuh aufnahm, um dem Unrecht zu trotzen.“ Mit dieser Kampfansage ergriff Shelley die Partei derjenigen Philosophen, welche in dem bis heute nicht abgeschlossenen großen Revisionsprozeß immer wieder Anklage erhoben haben gegen die mächtigste Komplizin der Gewaltherrschaft: gegen die Religion. 1811 äußerte Shelley in einem Brief: „... meine Ablehnung der geoffenbarten Religion entstammt meiner vollendeten Überzeugung von ihrer Unzulänglichkeit für das Glück der Menschen - auf diese Quelle kann ich Mord, Krieg, Intoleranz zurückführen -, meine Ablehnung der natürlichen erwächst aus der Vernunft. Ich war einst ein enthusiastischer Deist, aber niemals Christ.“ Im selben Jahre, als neunzehnjähriger Student, verfaßte Shelley den Essay Die Notwendigkeit des Atheismus; er wurde dafür mit der Relegation von der Universität Oxford bestraft. Dieser Essay bildet eine Art formallogischen Auftakt zur Philosophie seiner späteren Schriften, vor allem seiner revolutionären Dichtungen Königin Mab, Laon und Cythna, Rosalind und Helena und seiner Dramen Der entfesselte Prometheus und Die Cenci -Werke, mit denen ihr Autor nicht zuletzt eine fortgesetzte und gewaltige Anklage gegen das Christentum, erhob.  Der Kampf gegen das Prinzip „Gott“ ist eine Teiloperation der permanenten Kampagne, die Shelley den „Menschheitskrieg“ nannte.

Im Vorwort zu seinem letzten Drama, Hellas -.Georg Brandes bezeichnete es als „eine Weissagung der Befreiung Griechenlands“, als das „moderne Seitenstück zu Aeschylos' Persern“ -, schreibt Shelley: „Dies ist das Zeitalter des Krieges der Unterdrückten gegen die Unterdrücker, und jene Rädelsführer der privilegierten Mörder- und Gaunerbanden, Landesherren genannt, sehen sich untereinander nach Hilfe um gegen den gemeinsamen Feind und stellen die Feindseligkeiten gegeneinander nur ein angesichts einer mächtigeren Furcht. Alle Despoten dieser Erde sind im Grunde Mitglieder dieser Heiligen Allianz.“ Der Kampf gegen die Hypothese „Gott“, gegen den „gnädigen und rachevollen Gott“, welcher, „ein Urbild menschlicher Tyrannenherrschaft“, als metaphysische Projektion der Monarchie erfunden wurde - dieser kämpferische Atheismus ist die Voraussetzung für die Unschädlichmachung jenes Hauptinstruments jahrhundertelanger Gewaltherrschaft, dessen Name Christentum lautet. Über den Gott der Christenheit schrieb Shelley 1811 an Elisabeth Hitchener: „Mein Wunsch, Sie von seiner Nicht-Existenz zu überzeugen, ist zweifach: erstens um der Wahrheit willen, zweitens, weil ich darin die gründlichste Methode zur Ausrottung des Christentums sehe.“ Indes differenziert Shelley seinen Atheismus vom erkenntnistheoretisch erforderlichen Agnostizismus: „Die Hypothese eines das Weltall durchdringenden und gleich ihm ewigen Geistes bleibt unangetastet“. Ähnlich scharf unterscheidet Shelley zwischen den nach seiner Überzeugung bejahenswerten Lehren Jesu Christi und dem zur Staatsreligion verkommenen Christentum: „Ein Bündnis von Kirche und Staat - konträr den Grundsätzen und der Praxis Jesu, konträr jener Gleichheit, welche er in vergeblichem Bemühen die Menschheit lehrte - ist von allen Institutionen, die wegen ihrer verrosteten Urtümlichkeit verehrungswürdig genannt werden, am wenigsten qualifiziert, freimütigen und kühlen Erwägungen standzuhalten, weil es am wenigsten zum Glück der Menschheit führt.“ Urheber und Prototyp dieser verhängnisvollen Allianz ist Kaiser Konstantin I., „dieses Ungeheuer Konstantin“, „das christliche Reptil“, wie Shelley ihn genannt hat. Wer das Christentum anzufechten versuche, müsse „es sich gefallen lassen, daß die öffentliche Meinung Mörder und Verräter ihm vorzieht“, konstatierte Shelley im Jahre 1813. Gleichwohl beruhte es nicht auf seinem radikalen Atheismus allein und auch nicht nur auf seinem konsequenten Republikanismus, daß Shelley als vielleicht fortschrittlichster Schriftsteller seiner Epoche zugleich ihr verhaßtester und erfolglosester war.

Shelley repräsentierte mit grandioser Leuchtkraft einen unerhört neuen Typus, einen, der es wagt, die gesamte Zivilisation der Restaurationszeit zur Veränderung ihrer Grundlagen herauszufordern - einen sehr unzeitgemäß vorauseilenden philosophischen Künstlertypus, der mit Hilfe unverwirklichter Ideen großer Vorläufer den Beginn einer besseren, weniger unglücklichen Menschheitsepoche herbeiführen will. „Die jetzt bestehende Gesellschaftsordnung muß von den Fundamenten her mitsamt allen Maximen und Erscheinungsformen ihres Überbaus umgestürzt werden; solange das nicht geschieht, werden wir im Umgang mit allen außer wenigen erlesenen Geistern nichts als Enttäuschung finden. Diese Krankheitskur scheint nicht von der leichtesten Sorte zu sein. Aber die wenigen Starken und Großmütigen sind nichtsdestoweniger gehalten, sie mit aller Kraft anzustreben.“ Diese Zumutung hat ihm die Christenheit und Europa anscheinend bis heute nur widerstrebend verziehen. Nicht das angeblich Unverständliche und Esoterische seines Lyrismus, sondern Shelleys utopischer Realismus, die wohlverstandene universale Tendenz seiner Schriften provozierte den wütenden Haß der zeitgenössischen englischen Presse. Daher konnte es „unmöglich ein pestilenzialischeres Gemisch von Gotteslästerung, Empörungsgeist und Sinnlichkeit“ geben, als den Entfesselten Prometheus, deshalb sind Die Cenci „das abscheulichste Produkt der Zeit und scheinen das Erzeugnis eines Teufels zu sein“. Das Gedicht Königin Mab von 1813, diese strahlende Vision eines atheistischen Menschheitsparadieses, trägt den Untertitel: „Ein philosophisches Gedicht; mit Anmerkungen“. Auf-dem Titelblatt steht unter Voltaires „Ecrasez l'infämel“ als zweites Motto ein Zitat aus Lukrez‘ De rerum natura, worin es heißt: „denn ich... suche aus dem verstrickten Netz der Religionen die Seele loszuwinden“; das dritte Motto ist das Wort des. Archimedes: „Gib mir einen festen Punkt, und ich werde die Welt aus den Angeln heben.“ Diese ins Philosophisch-Revolutionäre abgewandelte Devise, die als alleiniges Motto 1818.auf dem Titelblatt von Laon und Cythna wiedererscheint, beweist Shelleys Überzeugtheit von der Bedeutung der Philosophie als Ausgangspunkt aller Kultur. Und merkwürdig genug, dieser neben Byron größte englische Dichter seiner Epoche hat gesagt: „Ich betrachte die Dichtkunst als den moralischen und politischen Wissenschaften sehr untergeordnet, und wenn es mir besser ginge, würde ich mich sicherlich um letztere bemühen.“ In der Tat plante Shelley, ein großangelegtes Werk zu schreiben, „eine systematische Geschichte dessen“, was ihm „die genuinen Elemente der menschlichen Gesellschaft“ zu sein schienen. In einer imaginären Rede an eine zukünftige Regentin spricht er zu ihr: „Die Kunst, die dir anvertraute Macht zum Wohle derer auszuüben, die sie anvertrauen, ... ist die edelste, größte und universalste aller Künste.““

 

Hass auf Percy Shelley

 

Giuseppe Tomasi di Lampedusa: „Sie werden im Laufe dieser Lektüre unweigerlich bemerkt haben, daß ich nicht frei von Sympathie für die Engländer bin. Doch bin ich auch nicht blind für viele ihrer Charakterfehler. Einer davon ist das self-contentment, eine Selbstzufriedenheit, die zwar aus mehr als einem Grund durchaus gerechtfertigt ist, in anderer Hinsicht aber keineswegs.

Zum Beispiel liest man oft, wie englische Autoren die stets liberale Haltung ihres Landes gegenüber den eigenen Schriftstellern rühmen im Gegensatz zu den Verfolgungen Intellektueller in anderen Ländern, insbesondere von seiten des zaristischen Rußlands.

Es hagelt nur so von boshaften Bemerkungen über die politische Verfolgung Puschkins, Lermontows und Dostojewskis; man kolportiert die unbegründetsten Klatschgeschichten über die sogenannten „falschen Duelle“, bei denen die ersten beiden Dichter ums Leben kamen, und wiederholt ständig die - leider wahren - Geschichten um die Todesstrafe und das Zuchthausleben des großen Romanciers.

Doch diese englischen Intellektuellen tun so, als hätten sie vergessen, daß England wenige Jahrzehnte früher das Glück hatte, drei Dichter absolut ersten Ranges zu besitzen und daß alle drei im Exil sterben mußten, verfolgt von einem Gekläff englischen Hasses von seiten jener Engländer, denen Byrons und Shelleys politische Ideen nicht gefielen und die, schlimmer noch, Keats' ästhetische Ideen mißbilligten. Die Erinnerung an sie, und vor allem an Shelley, war noch bis vor vierzig Jahren mit gewissen moralischen Vorbehalten belastet, die eher lächerlich als gefährlich waren.

Ich erinnere mich, daß in meiner Kindheit in dem ersten kleinen Traktat über englische Literatur Shelleys Name nur in einer kleingedruckten Anmerkung unter den zweitrangigen Schriftstellern auftauchte.

Immerhin muß man sagen, daß diese Verfolgungen nicht von Regierungsseite kamen, sondern aus der Gesellschaft, das heißt aus breiten Schichten der englischen Gesellschaft, die dümmlich, aber ehrlich empört war; was den politischen Aspekt der Sache ein wenig glimpflicher erscheinen läßt.“

Helene von Druskowitz: „Er scheint zu jener Zeit ausschließlich Vegetabilien genossen zu haben, und während er ein so anspruchsloses und so thätiges Leben führte, waren die schändlichsten Gerüchte über ihn im Umlauf. Von der aufrichtigsten Menschenliebe beseelt, von dem Wunsche durchglüht, das Wohl der Gesellschaft zu fördern, aber in seinen Handlungen nicht weniger frei und unabhängig, als in seinen Gedanken, wurde er früh ein Gegenstand des Hasses für die englische Bigotterie und Heuchelei, welche sich an ihm weit grausamer und empörender rächte, als an Lord Byron …

Shelley exponirte sich in seiner Arglosigkeit zu sehr, es war ihm nicht möglich, sich in das Bewußtsein seiner boshaften, feindseligen Mitmenschen zu versetzen oder verschmähte es, auf dieselben zu achten. Während er sonst über die Ausfälle der Zeitungen zu lachen pflegte, war er, als er von den schmachvollen Angriffen jenes Artikels hörte, doch heftig erzürnt. Er schreibt seinem Verleger am 11. Juni 1821: ‚Ich höre, daß die Verleumdungen gegen mich alle Grenzen übersteigen: bis jetzt habe ich gelacht, doch wehe den Wichten, wenn ich einmal aus dem Gleichgewichte komme‘. Schließlich verschmähte er es jedoch immer wieder, seine Verleumder zu züchtigen, was er aber darin hätte leisten können, wenn er es nicht verschmäht hätte, sagen der fürchterliche Ausfall wider( den Recensenten in „Adonais“, die Invectiven gegen Lord Eldon und seine politischen Gedichte. Wie schmerzlich mußte er es empfinden, daß er, der die Sympathie seiner Mitmenschen zu gewinnen gesucht, ihren Haß auf sich geladen hatte. Von den Engländern, denen er in Italien begegnete, wurde er geflohen oder roh behandelt. Er schreibt einmal von Rom an Peacock: ‚Ich werde von Allen, die von mir wissen oder gehört haben, ich glaube mit Ausnahme von fünf Individuen, als ein seltener Ausbund an Laster und Befleckung betrachtet, dessen Anblick schon verunreinigt‘, und als er eines Tages auf dem Postbureau in Pisa nach einem Briefe fragte und seinen Namen nannte, rief ein englischer Offizier, der in portugiesischen Diensten stand: ‚Wie, ist das der verfluchte Atheist Shelley?‘ und streckte ihn mit einem Faustschlage zu Boden; dann aber machte er sich eiligst davon, so daß es Shelley’s Nachforschungen nicht gelang, ihm auf die Spur zu kommen …

Edward John Trelawney 1822 : „‚Ich schwieg vor Staunen; war es möglich, daß dieser sanftblickende, bartlose Jüngling wirklich das Ungeheuer war, das mit aller Welt im Kriege lebte? Verstoßen von den Kirchenvätern, seiner bürgerlichen Rechte durch den Machtspruch eines schrecklichen Lordkanzlers beraubt, von jedem Mitglied seiner Familie geflohen und von den nebenbuhlerischen Größen unserer Literatur als der Gründer der satanischen Schule denuncirt? Ich konnte es nicht glauben, man mußte mir einen Possen spielen‘.“

Schließlich bezeichnet der Hofdichter Robert Southey in seinem Vorwort zu seiner Ode „The Vision of Judgement" Percy Shelley und Lord Byron (die beiden werden nicht namentlich genannt, es ist aber jedem klar, dass sie gemeint sind) äußerst unflätig als Begründer der „Satanischen Schule“:

What, then, should be said of those for whom the thoughtlessness and inebriety of wanton youth can no longer be pleaded, but who have written in sober manhood, and with deliberate purpose? . . . Men of diseased hearts and depraved imaginations, who, forming a system of opinions to suit their own unhappy course of conduct, have rebelled against the holiest ordinances of human society, and hating that revealed religion which, with all their efforts and bravadoes, they are unable entirely to disbelieve, labour to make others as miserable as themselves, by infecting them with a moral virus that eats into the soul! The school which they have set up may properly be called the Satanic school; for, though their productions breathe the spirit of Belial in their lascivious parts, and the spirit of Moloch in those loathsome images of atrocities and horrors which they delight to represent, they are more especially characterized by a Satanic pride and audacious impiety, which still betrays the wretched feeling of hopelessness wherewith it is allied.

http://www.lordbyron.org/monograph.php?doc=RoSouth.1821.Vision&select=front

 

Nachwirkungen

 

Helene von Druskowitz: „Shelley war seinen Zeitgenossen zu weit voraus, als daß er auf dieselben hätte einwirken können. Erst für die Nachwelt ist er wirksam, ist er ein Reformator geworden, insofern nämlich, als er immer Menschen zur inneren Befreiung verhelfen und sie zum Bewußtsein ihrer höchsten Menschenziele geleiten wird. Sein Lebenswerk war nicht umsonst gethan, für die Nachwelt ist sein Idealismus zur praktischen Macht geworden. Aber noch hat derselbe eine andere Beziehung zur modernen Welt. Shelley fühlte die Liebe als tiefstes Weltgesetz; von einem Geiste der Liebe dachte er sich die Welt durchpulst, der endliche Sieg der Liebe war seine höchste Hoffnung. In einem beschränkten Sinne ist Shelley, wie wir einräumen müssen, immerhin Prophet gewesen, erwägen wir, daß das Mitleid heute in der That eine größere Rolle spielt als ehedem, daß die Menschen mehr für einander sorgen und an einander denken, daß sich unsere Zeit humaner Einrichtungen und Stiftungen rühmen kann, die früheren Epochen vollständig fremd waren. Wer aber will sagen, ob dieser schöne Zug mit den Generationen wachsen und sich verallgemeinern wird, ob diejenigen, welche von der Religion nicht mehr befriedigt und für die Philosophie doch nicht geschaffen sind, dereinst in dem Shelley’schen Geiste der Liebe Ersatz für die Religion finden werden? …

Unter den großen englischen Dichtern zu Beginn dieses Jahrhunderts ist Shelley derjenige, der durch seinen hinreißenden Idealismus am meisten Bedeutung für sein Vaterland bekommen hat. Denn an jener Eigenschaft, die er selbst in fast überschwänglicher Weise besaß, ist seine Nation arm und ein Geist wie er thut ihr Noth. Er ist eine merkwürdige Erscheinung unter den Engländern und er war nahe daran, sich von allen Schranken des englischen Nationalgeistes zu befreien. Vergleichen wir ihn mit den anderen zeitgenössischen englischen Dichtern, so sehen wir, daß er sie alle außer durch seine ideale Kraft durch die Größe seines lyrischen und dramatischen Genies, durch die Vielseitigkeit seiner dichterischen Anlagen, durch die Weite des Blickes übertroffen hat. Am meisten Verwandtschaft zeigt Byron mit ihm, trotz der tiefgehendsten Verschiedenheit, die in Bezug auf Temperament, Empfindungsweise, Charakter und Weltanschauung, zwischen ihnen herrschte. Beide waren sie vornehmlich Lyriker, beide waren machtvolle revolutionäre Geister, beide lebten mit der englischen Gesellschaft in Fehde und forderten Fürsten und Potentaten vor den Richterstuhl der Gerechtigkeit. Indeß war Shelley bei Weitem der kühnere, er geht in seiner Opposition viel weiter als Byron und seine Freiheitsliebe war größer und reiner …

Während Lord Byron unter den großen Dichtern des Auslandes Nachfolger gefunden hat, wogegen in seinem Vaterlande kein Dichter von Bedeutung seine Richtung fortgesetzt hat, ist die gesammte moderne Literatur Englands von dem Geiste Shelley’s durchdrungen. Fast alle bedeutenderen Dichter der Gegenwart ergeben sich socialistischen Träumen, fast alle sind Sänger der Hoffnung, fast alle predigen ein Evangelium der Liebe. Auf den heterogensten Gebieten der Poesie zeigt sich derselbe humane Shelley’sche Zug. Am intensivsten offenbart sich dies Betonen der Sympathie bei Robert Browning, der auch die metaphysische Richtung mit Shelley gemein hat. Shelley geistesverwandt ist auch Browning’s Gattin, die geniale Elisabeth Barrett, und zwar durch die Schönheit ihrer Phantasie, durch die Subtilität ihrer Gedanken und die Neigung, moderne Ideen in antike Mythen zu kleiden. Kein anderer zeigt aber eine vielseitigere innere Verwandtschaft mit Shelley, als der neue Stern der englischen Poesie: Charles Algernon Swinburne. Sein exaltierter Freiheitsenthusiasmus, sein Atheismus, sein Drang, der Märthyrer seiner Ueberzeugungen zu sein, seine hervorragende lyrische Begabung, mit der ein starkes dramatisches Talent Hand in Hand geht, seine wundervolle Beherrschung von Sprache und Rhythmus, all‘ das macht ihn zum Nachfolger des von ihm hochverehrten Meisters.

So ist Shelley, der, so lange er lebte, von seinen Landsleuten verfolgt wurde, zum gefeierten Liebling der Hochgebildeten, zum Abgott der modernen Dichter seiner Nation geworden. Sein Geist, den man haßte und fürchtete, beherrscht die gesammte Entwickelung der neuen englischen Poesie und die Liebe, die er, so lange sein Herz schlug, vergebens ersehnt, wird ihm nun in vollem Maße zu Theil. Aber um so herber erscheint uns das Lebensschicksal, das ihm beschieden war, je größer seine Bedeutung ist, je größer die Verehrung und Liebe sind, die ihm in besserer Erkenntniß erst die Nachwelt darbringt.“

Susanne Schmid: „Wie wichtig Shelley für die frühen Sozialisten war, zeigt sich an einem Artikel von Edward Aveling und Eleanor Marx-Aveling (der Tochter von Karl Marx), der 1888 in der Neuen Zeit erschien:

… Shelley's Persönlichkeit. Er war ein Kind der französischen Revolution. Die „furchtbar blickenden Weiber“, die sich um Cythna drängten, als sie die große Stadt durchschritt („Laon und Cythna“) entstammten den Straßen von Paris, und er kannte besser denn einer seiner Zeitgenossen die wirkliche Kraft und Schönheit dieser unbändigen Mutter seiner Gedankenwelt. - Mit seinem außerordentlichen poetischen und historischen Verständnis erkannte er die wirkliche Bedeutung der revolutionären Kämpfe. Ein anderer Sänger dieser Zeit, Byron, war auch ein Kind der Revolution. Aber dieser stand auf den Schultern Voltaires und des Rousseau der „Neuen Heloise“, Shelley dagegen auf denen Baboeufs und des Rousseau des „Gesellschaftsvertrags“. Shelley sah in der französischen Revolution eine Etappe in der Richtung zur Erneuerung der Gesellschaft. Marx, der die Dichter ebenso gut kannte und verstand, wie die Philosophen und Ökonomen, pflegte zu sagen: „Der wahre Unterschied zwischen Byron und Shelley liegt darin: Diejenigen, die sie verstehen und lieben, halten es für ein Glück, daß Byron in seinem sechsunddreißigsten Jahr starb, denn er wäre ein reaktionärer Bourgeois geworden, hätte er länger gelebt; sie bedauern es dagegen, daß Shelley mit neunundzwanzig starb, denn er war durch und durch ein Revolutionär und hätte stets zur Vorhut des Sozialismus gehört.“

… Shelley's Verständnis für den Klassenkampf. Mehr als alles Andere berechtigt uns Shelley's besonderes Verständnis des Gegensatzes zwischen den besitzenden und den produzierenden Klassen und der Konsequenzen desselben, ihn einen Sozialisten zu nennen. Wenn die radikalen Bourgeois vergnügt seinen schneidigen Angriffen auf die höheren Schichten der besitzenden Klassen, namentlich die Aristokratie, zusehen, so vergessen sie, daß er die Klasse, der sie angehören, auch nicht ungeschoren läßt. Seine Abneigung gegen die Bourgeoisie ist so wichtig und so bezeichnend für ihn, daß wir zu ihrer Kennzeichnung eine größere Anzahl von Stellen zitieren. müssen. Er schreibt von Edinburgh in seinen Flitterwochen: „Hätte er (Onkel Pilfold) uns nicht unterstützt, wir wären noch an den Schmutz und das Geschäftsleben (Commerce) Edinburghs gefesselt. Wie elend auch die Aristokratie ist, der Handel - die protzenhafte Unwissenheit und Unbildung - ist noch verächtlicher.“

Aus Keswick schreibt er einige Monate später über den Seendistrikt: „Die Gegend ist lieblich, aber die Bevölkerung abscheulich. Die Fabrikanten haben sich in dieses Tal eingeschlichen, es besudelt und die Lieblichkeit der Natur durch den menschlichen Schmutz entstellt.“

… Shelley's Verständnis für die Bedeutung moderner Schlagworte. Sein Scharfsinn bewies sich nicht bloß in seiner Teilung der Gesellschaft in zwei Gruppen, sondern auch in seinem Verständnis für die wirkliche Bedeutung von Worten, die für die Mehrzahl von uns gedankenlos gebrauchte Phrasen sind.

Die Denunzierung der „Anarchie“ war zu Shelley's Zeiten ein beliebtes Mittel der reaktionären Regierungen und ihrer Helfershelfer, alle freiheitlichen Regungen zu verdächtigen. Shelley dagegen erklärte, die Anarchie, vor der man sich so sehr fürchte, sei mitten unter uns. In seiner „Larve der Anarchie“ zeigte er die Anarchie in der bestehenden Gesellschaft.

Auf der anderen Seite ließ er sich durch das selbstzufriedene Phrasengeklingel von der „britischen Freiheit“ nicht täuschen: „Die weiße Küste Albions ist nicht mehr frei … Die Fehlgeburt, die ihm (England) krampfhafte Wehen verursacht, ist die zu Tod getroffene Freiheit.“ Zeilen, geschrieben unter dem Ministerium Castlereagh. Und er sah die bezeichnende Tatsache, daß diejenigen, die von englischer Freiheit und dergleichen singen und sagen, sich dessen wohl bewußt sind, daß sie Unsinn schwätzen. Die Hohlheit des Schwindels, den Zeitungsschreiber, Parlamentsredner und ähnliche Leute mit dem Wort Freiheit treiben, war ihm völlig klar.

Zentral ist, daß hier nicht so sehr - wie in früheren Darstellungen - Shelleys Wirkungslosigkeit und Einsamkeit betont wurden, sondern seine Einbindung in das Ideengut seiner Zeit und seine Vorreiterrolle. Er kommt hier seinem eigenen Dichterideal, das er in der Verteidigung der Poesie beschrieben hatte, sehr nahe, wird zur „trumpet of a prophecy“ …

Shelleys Begriff der „Anarchie“, gleichbedeutend mit Mißherrschaft, wird hier erweitert. Die Mächtigen verweisen nicht nur zynisch auf ihre Statussymbole, sondern verwenden auch noch die leeren Schlagworte „Freiheit“ und „Democracy“, deren Aushöhlung sie repräsentieren. Da die Lektüre der englischen Romantiker im ganzen Empire auf dem Lehrplan stand, kannte beispielsweise auch Gandhi Shelleys Gedichte. Bei einem Treffen mit britischen Missionaren zitierte er aus The Mask of Anarchy, um die Bedeutung der Gewaltlosigkeit zu erklären, die Shelley für ihn verkörperte. Und in einem Artikel in Gandhis Zeitschrift Young India zitierte 1921 ein Student die letzte Strophe von Prometheus Unbound, um das Argument zu untermauern, daß Leiden zu innerer Reinigung und Gewaltlosigkeit führe.

Der lyrische Shelley wurde - wie auch Byron - vor allem dem Mittelschichtspublikum in den von Engels erwähnten „kastrierten“ Ausgaben nahegebracht. Bände mit Titel wie Beauties of Shelley verzichteten häufig auf die radikalen Gedichte. Beliebt waren die Naturgedichte, so wie zum Beispiel „Ode to the West Wind“, eines der am häufigsten anthologisierten Gedichte, die ohne politischen Bezug gelesen wurden. Viele der kurzen lyrischen Stücke wurden vertont. Goldschnittanthologien, oft speziell für ein weibliches Lesepublikum zusammengestellt, präsentierten Shelley als Natur- und Liebesdichter. In deutschen Übersetzungen taucht er neben Volksliedern auf. Dieser zahme Shelley fand rasch Eingang in die Wohnzimmer der Bourgeoisie. Davon zeugt auch die Tatsache, daß er relativ schnell begann, in den Konversationslexika aufzutauchen - mit Kurzbiographien, die in der Regel den durch Mary Shelley vorbereiteten Stilisierungen entsprachen. Matthew Arnold prägte den Beinamen dieses neuen Shelley: “a beautiful and ineffectual angel”, „ein schöner und wirkungsloser Engel“. Ihren besonderen Ausdruck fand diese Wirkungslosigkeit in einer Statue, die das Oxford University College, an dem Shelley nur so kurz studiert hatte, aufstellte. Der marmorne Shelley, ein nackter junger Mann in liegender Pose, befindet sich hinter einem Gitter. Er ist wunderschön anzusehen, ein Objekt, aber kein agierendes Subjekt. Shelley im Käfig - ein symbolträchtiger Ausdruck der Stilisierungen, die er als lyrischer Dichter fand.“

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Percy B. Shelley

 

Oft genug wird auch von wohlwollenden Menschen behauptet, wie schlecht es Percy Shelley ging und wie einsam er war.

Mit Verlaub: dies ist völlig daneben. Von seinem körperlichen Zustand abgesehen, ging es ihm geistig weitaus besser als mehr als 99% aller Menschen: er hatte die ideale, ihm ebenbürtige Partnerin, er hatte immer und überall Menschen, mit denen er sich auf hohem Niveau austauschen konnte, er wurde von vielen seiner Mitmenschen ob seiner Schönheit und Redekunst bewundert und von seiner nächsten Umgebung als Genie anerkannt. Und er hatte Ergebnisse seiner schöpferischen Tätigkeit vorzuweisen, mit denen er sehr zufrieden sein konnte. Und er hatte die vollkommene geistige Freiheit, das zu tun, was er für richtig hielt und das zu lassen, was er nicht mochte. Nichts und niemand konnte ihn dahin verbiegen, etwas zu tun, was er nicht wollte.

Wie viele Menschen können all dies von sich behaupten?

Welchen Einfluss hatte Percy Shelley auf die Weltgeschichte? Auf jeden Fall war und ist er eine Stütze für die Humanisten dieser Welt. Zu wissen, dass es einen großen Menschen wie Percy Shelley gegeben hat, ist beruhigend und inspirierend. Karl Marx und Friedrich Engels hätten auch ohne ihn ihren Sozialismus entwickelt, Mahatma Gandhi auch ohne ihn seine Gewaltlosigkeit – aber Percy Shelley hat ihnen dabei quasi „geholfen“.

Percy Shelley hat auf jeden Fall einen großen Beitrag dazu geleistet, dass in der angelsächsischen Literatur und Gesellschaft (mit Ausnahme der USA) Menschen mit sozialistischem oder atheistischem Gedankengut voll und ganz akzeptiert werden. Eric Hobsbawm, Bertrand Russell und Richard Dawkins mögen für diese geistige Freiheit als Beispiele dienen.

Leider hatte Percy Shelley diesen Einfluss nicht auf Deutschland, wo die Verdruckstheit zum National-Charakter gehört.

Aus einem früheren Beitrag des Wurms: „Ein typisches Beispiel dafür, ja nichts zu sagen und ja nicht anzuecken, bietet das beliebte Volkslied „Die Gedanken sind frei“. Hier ist der Text:

„1. Die Gedanken sind frei,

wer kann sie erraten,

sie fliehen vorbei

wie nächtliche Schatten.

Kein Mensch kann sie wissen,

kein Jäger erschießen,

es bleibet dabei:

die Gedanken sind frei.

 

2. Ich denke, was ich will,

 und was mich beglücket,

doch alles in der Still,

 und wie es sich schicket …“"

 http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/149-teile-und-herrsche.html

Wer sich in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum dennoch aus der Deckung traut, muss damit rechnen, medial hingerichtet zu werden.

Als Beispiel mag Leopold von Sacher-Masoch dienen:

„Eingesetzt hat er sich vor allem für folgende Punkte:

- Er war großer Freund der Juden

- Gleichberechtigung der Slawen innerhalb des Habsburger Reiches (Deutsche und Ungarn waren in der Verwaltung bevorzugt)

- Demokratie

- Vereinigte Staaten von Europa, Deutschland als Vermittler zwischen West und Ost, zwischen Nord und Süd

- über die allgemeine Wehrpflicht hin zu Pazifismus

- wissenschaftliches Denken

- Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern

- Bildung für alle

- Verteilung des Eigentums durch den Staat, also durch entsprechende Steuern und Abschaffung der Erbschaften – jeder soll davon leben, was er selbst erarbeitet hat

- jeder soll arbeiten: damit ist nicht unbedingt körperliche Arbeit gemeint; gerichtet ist das gegen Müßiggang, weil man aus Erbschaften schon genügend Geld hat bzw. bei Frauen aus höheren Schichten, für die Arbeit nicht vorgesehen ist, die nur zum Vergnügen des Mannes bzw. zum Dasein als Mutter vorgesehen sind

- letztendlich war er ein Freund vom Klartext: wenn man etwas verstehen oder ändern will, muss man es klar benennen ("Ueber den Werth der Kritik" ist da ein sehr schönes Beispiel dafür) …

 

Sacher-Masoch lebte von 1836 bis 1895 und hatte folgende lautstarke Gegner:

- Antisemiten

- Deutsch-Nationale (Sacher-Masoch war Philosemit, Halb-Slawe und frankophil)

- Machos, die nicht wollten, dass Frauen in ihre Welt eindringen (wie der mächtige „Bund der Antifeministen“)

- Konservative („alles soll so bleiben, wie es ist“)

- Religiöse

- Kapitalisten

- „Schickliche“ („es mag ja bestimmte menschliche Verhaltensweisen geben, aber darüber soll man nicht schreiben“)

 

Viel Feind, viel Ehr' - immerhin ist er in seinem Vorwort zu "Das Eigentum" stolz darauf, "mit Richard Wagner und Bismarck zu dem bestgehassten und bestverleumdeten deutschen Trifolium zu zählen".

Zuschlechterletzt kommt auch noch der Psychiater und Gerichtsmediziner Richard Freiherr von Krafft-Ebing, klassifiziert sexuelle Gewohnheiten und erfindet im Jahr 1886 den Begriff „Masochismus“ (durch Erleiden von Schmerz wollüstiges Erregtwerden). Zur Empörung von Sacher-Masoch. Und das zu Recht. Auch wenn der Begriff griffig ist und man leicht nachvollziehen kann, worum es geht: Sacher-Masoch lebte noch und das war eindeutiger Rufmord.

Und er war ab jetzt als „Perverser“ abgestempelt, für den sich bis zu seinem Tod 1895 nur noch wenige interessiert haben.

Für seinen Biographen Carl Felix von Schlichtegroll war er der nach Goethe bedeutendste deutsche Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Ob er in einer hypothetischen Rangliste jetzt auf Rang 2 oder „nur“ auf Rang 5 stehen sollte – er war auf jeden Fall ein großer Schriftsteller und ein großer Mensch.

1901 schreibt von Schlichtegroll: „Die Schlussworte von Goethes ‚Geschichte Gottfriedens von Berlichingen‘ können auch auf Sacher-Masoch in Anwendung gebracht werden:

Edler, edler Mann! Wehe dem Jahrhundert, das

Dich von sich stieß!

Wehe der Nachkommenschaft, die dich verkennt.“

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/46-venus-im-pelz.html

Aus neuerer Zeit mögen etwa die Beispiele von Franz Buggle (siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/54-schuss-nach-hinten.html ) und Daniele Ganser (siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/267-mediale-hinrichtung.html ) dienen.

Wer über sich „Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist“ sagt und vor allem danach lebt, wird Probleme mit den Menschen bekommen. Und kann froh sein, wenn diese ihm nicht das Haus anzünden. Wer sich selbst unter die Knute begibt, wird es einem anderen Menschen nicht verzeihen, wenn dieser sich Freiheiten, welcher Art auch immer, herausnimmt. So traurig das auch sein mag – das war schon immer so und wird immer so sein.

Großes Lob für Percy Shelley, der große Ideale hatte, diese klar artikulierte und zur Gänze nach ihnen lebte.

Während die mit weitem Abstand meisten Menschen ein Leben in Stumpfsinnigkeit und Angepasstheit vorziehen und sich mit jedweden Unverschämtheiten arrangieren, zog es Percy Shelley vor, seine persönliche Freiheit und Integrität zu bewahren und sich für das Wohl der gesamten Menschheit einzusetzen.

Mensch möge sich entscheiden, welchen der beiden Wege er gehen will. Wenn er den angepassten Weg gehen will, möge er zumindest die in Freiheit leben Wollenden in Ruhe lassen.

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm

 

Wer mehr über Percy Shelley lesen, hören oder sehen möchte: der Wurm hat ein paar weiter führende Links aufgeführt:

https://www.poetryfoundation.org/poets/percy-bysshe-shelley

https://librivox.org/shelley-selected-poems-and-prose-by-percy-bysshe-shelley/

https://www.shmoop.com/percy-bysshe-shelley/

http://www.bbc.co.uk/arts/romantics/poems4.shtml

Bodleian Libraries exhibitions: Shelley's Ghost - an introduction from the curator

https://www.youtube.com/watch?v=mYSjJcEh5CE

http://shelleysghost.bodleian.ox.ac.uk/percy-shelley-index

 

 

Dada

 

von Rupert Regenwurm

 

Der Auerhahn

 

Der Auerhahn

In seinem Wahn

Fuhr in Limburg an der Lahn

Mit einem hohlen Zahn

Auf einem lecken Kahn

Heute fährt er lieber mit der Bahn.

 

 

 

Gruß von der Wolke: In der Klosterkirche Celic-Deu in der Dobrudscha grüßt die dadaistische Dreifaltigkeit.