Kipphardt

Im März vor 100 Jahren wurde Heinar Kipphardt geboren, vor 40 Jahren ist er gestorben. Mit seinem Theaterstück „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ schuf er ein Stück Weltliteratur. Nicht nur damit ist er heute immer noch aktuell.

 

Die Bedeutung von Heinar Kipphardt

 

Nachruf im „Spiegel“: „Der Typus von Schriftsteller, den Kipphardt verkörperte, ja den er, mit Peter Weiss zusammen, geradezu geschaffen hatte, schien in den letzten Jahren nicht mehr gefragt: Man schrieb die Tendenzwende, übte die neue Innerlichkeit, und der Elfenbeinturm wurde zur bevorzugten Wohnlage für Schriftsteller, die sich auch wieder Dichter nannten.

Kipphardt dagegen, von Haus aus Arzt und als Nervenarzt an der Ost-Berliner Charité tätig, wollte auch schreibend Diagnostiker der Zeitkrankheiten bleiben, wollte in seinen Arbeiten die Leiden der Gegenwart unverhüllt und unbestechlich wie in Röntgenaufnahmen festhalten.

Man nannte das Dokumentarliteratur, und Kipphardt hat mit der Dramatisierung des Verhörs von J. R. Oppenheimer (1964) vor einem US-Untersuchungsausschuß eines der erfolgreichsten Stücke dieser Richtung geschrieben, neben Hochhuths »Stellvertreter«, neben der »Ermittlung« von Weiss.

Die Intentionen waren klar. Kipphardt, der als Dramaturg des Ost-Berliner Deutschen Theaters die durchschlagende, die »dokumentarische« Sachlichkeit des Mediziners Georg Büchner für sich entdeckte, wollte den möglichst sachlichen, leidenschaftlichen Kampf gegen jegliche totalitäre Gefahr. Er war vor allem Antifaschist. Schreiben hieß für ihn, sich einer Sache unterordnen.

Und er war Marxist. Mit seinem Erfolgsstück »Der Hund des Generals« (1962) schrieb er gegen nichts weniger an als gegen den Optimismus Bertolt Brechts. Der hatte mit Hilfe des Schweyk behauptet, List und Witz, Pfiffigkeit und Scheingehorsam vermöchten etwas gegen den Totalitarismus. Kipphardt dagegen führte grimmig vor, daß die Haltung des einzelnen im Massenkrieg eine Quantité negligeable sei, nötig, aber überflüssig. Als Marxist hatte Kipphardt eine Art trotzigen Humor.

Als er 1964 »Joel Brand« schrieb, das Stück des geplanten makabren Geschäfts Lastwagen gegen Juden im Hitler-abhängigen Ungarn, eine »Episode« im Wirken Eichmanns, wurde dies an den Münchner Kammerspielen uraufgeführte Stück eines der »Dokumente«, auf die sich die Apo und die Studentenrevolte später bezogen: die geschäftliche Seite der nationalsozialistischen Ideologie war ein Thema der Stunde.

Dabei hatte der sich scheinbar als Individuum völlig zurücknehmende Dokumentarist so ganz anders begonnen. Mit dem deftigen Lustspiel »Shakespeare dringend gesucht« konnte er 1953 in einer Tauwetterperiode der DDR reüssieren.

Daß er sich den immer schmaler werdenden Windungen der DDR-Kulturpolitik nicht würde anpassen können, war klar. Doch auch als Dramaturg der Münchner Kammerspiele (1970/71) eckte er erheblich an, als er im Programmheft zu Biermanns »Drachen«-Bearbeitung, einer Parabel auf Diktaturen und stalinistische Gesellschaftsverkrümmungen, unter anderem den Oberbürgermeister Vogel in die Bilder-Galerie potentieller »Drachen« aufnehmen wollte. Er mußte gehen.

Hat Kipphardt die Phantasie der Realität bis zur Selbstaufgabe geopfert?

Oder war der Kipphardt, der wie ein britischer Colonel aussehen konnte und sich gern als schlichter Handwerker gab, jemand, der aus einer Not (nämlich der angeborenen Nüchternheit) eine Tugend machte?

In den letzten Jahren hat sich Kipphardt mit der Phantasie des Wahnsinns, mit der Kreativität der Schizophrenie beschäftigt. Der »März«-Roman (1976), das »März«-Stück sind Ausdruck dafür. Wie in seiner (mißglückten) Komödie von den gewalttätigen Angestellten-Träumen ("Die Nacht, in der der Chef geschlachtet wurde") war da die Phantasie das Produkt gesellschaftlicher Nötigungen.

Doch Kipphardts gelebte Bescheidenheit trügt insofern, da er unter den deutschen Dramatikern derjenige war, der sein Handwerk am raffiniertesten auszuüben verstand: Kipphardt hätte ein großer Schwankautor werden können, eine Art linker Feydeau. Und ein Bestseller-Autor ist er ja auch geworden. Dennoch: Das Stück, das im Januar in München, nunmehr postum, uraufgeführt wird, heißt »Bruder Eichmann«.

Kipphardt starb letzten Donnerstag 60jährig bei München an einem Herzversagen.“

https://www.spiegel.de/politik/heinar-kipphardt-a-ca91ade7-0002-0001-0000-000014355630

 

In der Sache J. Robert Oppenheimer

 

Aus „Wikipedia“: „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ ist ein Schauspiel von Heinar Kipphardt, das sich kritisch mit den Untersuchungen gegen amerikanische Wissenschaftler in der McCarthy-Ära auseinandersetzt. Die Uraufführung als Fernsehinszenierung fand 1964 statt.

Das Schauspiel baut auf zwei verschiedenen Hintergründen auf. Zum einen werden die amerikanischen Bemühungen zum Bau der Atombombe im Zweiten Weltkrieg, das sogenannte Manhattan-Projekt, geschildert, die seit 1942 von einer Gruppe von Physikern unter der Leitung der historischen Person J. Robert Oppenheimer in Berkeley aufgenommen wurden. Anhand der in diesem Projekt gemachten Erfahrungen sowie aufgrund der Loyalitätsfrage bei Oppenheimers Weigerung, am Bau der Wasserstoffbombe 1951 mitzuwirken, setzte die Atomenergiekommission der USA einen Untersuchungsausschuss ein, dessen Aufgabe es war, die Loyalität der Wissenschaftler zu überprüfen.

Oppenheimer, ein gebürtiger Amerikaner deutscher Herkunft, wurde 1954 drei Wochen lang heftigsten Verhören ausgesetzt, da ihm Sympathien zum Kommunismus und Landesverrat vorgeworfen wurden. 1954 wurde ein Verfahren gegen Oppenheimer eingeleitet. Es endete damit, dass Oppenheimer die erforderliche Sicherheitsgarantie für die weitere Arbeit an Regierungsprojekten entzogen wurde. Erst 1963 rehabilitierte Präsident John F. Kennedy den Wissenschaftler …

Das Stück wird allgemein zur Gruppe des Dokumentarischen Theaters gezählt, welches vor allem für politisch orientierte Theaterstücke in den 60er Jahren verwendet wurde. Im Gegensatz zum klassischen Drama beziehen sich die Stücke auf historische Dokumente und Fakten, wodurch ein dokumentarischer Effekt erzielt werden soll. Eine wesentliche Quelle des Texts bildet nach Angaben des Verfassers das etwa 3.000 Maschinenseiten umfassende FBI-Protokoll der Vernehmungen Oppenheimers.

In Kipphardts Stück werden, im Gegensatz zu den richtigen Verhören, 6 anstelle von 40 tatsächlichen Zeugen vernommen. Die Aussagen dieser sollen die wirklich gemachten Aussagen alle möglichst wirklichkeitsgetreu enthalten, um das Drama nicht zu weitgehend zu gestalten. So nahm er sich die Freiheit, die Verhöre in einer literarischen Form umzusetzen. Er baute daher Miniszenen und Monologe in das Drama ein, die in der wirklichen Verhandlung nicht stattfanden. Er versuchte jedoch trotzdem die historischen Geschehnisse möglichst sinngenau wiederzugeben. Dabei verfuhr er nach dem Prinzip, „so wenig wie möglich und so viel wie notwendig“ an den Originalprotokollen zu verändern. Er begründete diese Arbeitsweise mit Hegels Ästhetik.

Kipphardts Stück entspricht der groben Struktur eines Gerichtsverfahrens. Es beginnt mit dem Verhören von Zeugen und des Angeklagten durch die Anwälte beider Seiten, später folgen die Plädoyers und wird schließlich durch die Urteilsverkündung sowie das Schlusswort des Angeklagten abgeschlossen …

Den Kern des Schauspiels bildet der Konflikt zwischen dem in besonderer gesellschaftlicher Verantwortung stehenden Wissenschaftler und einem Staat, der seinen Bürgern (zumal im Kontext des frühen Kalten Kriegs und den Verfolgungen der McCarthy-Ära) unbedingte politische Loyalität abverlangt.

Die Situation für die Wissenschaftler ist schwierig: Während ihre Ergebnisse früher ausschließlich für die gesamte Menschheit bestimmt waren, unterliegt ihre gesamte Arbeit nun ihrem jeweiligen Staat, der über die Veröffentlichung oder die ausschließlich geheime, militärische Nutzung der Erkenntnisse entscheidet. So sind die Wissenschaftler willenlose Diener des Staates. Viele Physiker erkennen allerdings, wie auch Oppenheimer, viel zu spät, dass sie längst zu unmündigen Werkzeugen für die konkurrierenden Staaten geworden sind. Sie unterliegen dem Staat und ihre Forschungen, die eigentlich zum Wohle der Menschheit gedacht waren, werden nun in Form von Waffen gegen die Menschheit gerichtet.

Genau diese Tatsache nennt Oppenheimer den eigentlichen Verrat im gesamten Verfahren, keinesfalls der Verrat durch Spionage an einem Staat, dem man unterliegt, sondern ausschließlich den vorausgehenden Verrat an der Wissenschaft. So sagt Oppenheimer, er habe den Vereinigten Staaten, entgegen der Anklage, sogar zu viel Loyalität zugesichert und durch die völlige Unterwerfung vor dem Militär die Ideale der Wissenschaft verraten.

Kipphardt stellt damit einen ähnlichen Konflikt dar, wie er auch in Brechts Leben des Galilei und Dürrenmatts Die Physiker thematisiert wird …

Nachdem Kipphardts Stück am 23. Januar 1964 als Fernseh-Dokumentarspiel vom Hessischen Rundfunk im Abendprogramm der ARD gezeigt worden war (Regie: Gerhard Klingenberg), erarbeitete Kipphardt im selben Jahr eine Theaterfassung, die am 11. Oktober 1964 an der Freien Volksbühne in Berlin (Regie: Erwin Piscator) und an den Münchner Kammerspielen (Regie: Paul Verhoeven) uraufgeführt wurde. Kipphardt wurde für das Schauspiel mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Der Erfolg reichte weit über die deutschen Grenzen hinweg.“

https://de.wikipedia.org/wiki/In_der_Sache_J._Robert_Oppenheimer

 

https://www.youtube.com/watch?v=gpzPt1Y7dhU

 

Zitate aus dem Stück

 

J. Robert Oppenheimer mit seinen Anwälten Lloyd K. Garrison und Herbert S. Marks:

„GARRISON: Wenn es um Tatsachen ginge, wenn es um Argumente ginge. Es geht um Sie als ein politisches Exempel.

OPPENHEIMER: Warum dann nicht McCarthy, sondern dieses Hearing?

MARKS: Du bist der Bock, der übersprungen werden muß, die Unterwerfung der Wissenschaft unter die Militärs zu erzwingen, die Einschüchterung der Leute, die einen Ochsen einen Ochsen nennen, trotz McCarthy.

GARRISON: Wenn der Chef von Los Alamos, wenn Oppie ein Verräter, ein verkappter Kommunist ist, dann kann man niemandem trauen, dann muß hier endlich jeder überwacht und durchleuchtet werden.

OPPENHEIMER: Wir dürfen uns die Gewichte nicht aufpacken lassen. Es geht um mich, ob mir die Sicherheitsgarantie erteilt werden kann, nichts sonst.

GARRISON: Wenn es nur um Sie ginge, dann hätte es für die Atomenergiekommission den sehr einfachen Wege gegeben, ihren Vertrag nicht zu erneuern, der in drei Monaten abläuft …“

 

J. Robert Oppenheimer mit dem Anwalt der Atomenergiekommission, Roger Robb:

„ROBB: Wir sprechen von der Arbeit an geheimen Kriegsprojekten und von den möglicherweise unbequemen Maßnahmen, die wir treffen müssen, unsere Freiheit zu schützen, Doktor.

OPPENHEIMER: Ich weiß. Es gibt Leute, die bereit sind, die Freiheit zu schützen, bis nichts mehr von ihr übrig ist.“

 

Bruder Eichmann

 

Michael Billenkamp: „Vor genau sechzig Jahren, am 15. Dezember 1961, sprach das Jerusalemer Bezirksgericht das Urteil im Prozess gegen Adolf Eichmann, den ehemaligen Leiter des nationalsozialistischen «Referats für Judenangelegenheiten» und damit einem der Hauptverantwortlichen des organisierten Genozids. Das Gericht sah es nach der Vernehmung von rund hundert Zeug*innen und einer Prozessdauer von vier Monaten als erwiesen an, dass Eichmann an der Ermordung von etwa sechs Millionen Juden beteiligt war. Eichmanns Verteidigungsstrategie, dass er lediglich ein unbedeutender Befehlsempfänger und damit ein «kleines Rädchen» im Getriebe des NS-Vernichtungsapparats gewesen sei, war damit gescheitert. Das Urteil lautete: Tod durch den Strang. Bis zum heutigen Tag ist die Hinrichtung Adolf Eichmanns am 1. Juni 1962 in Ramla bei Tel Aviv das einzige auf israelischen Boden vollstreckte Todesurteil.

Der Prozess gegen Adolf Eichmann hatte in vielerlei Hinsicht Signalwirkung. International, weil über das Gerichtsverfahren weltweit berichtet wurde und damit sechzehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs das Grauen in den Vernichtungslagern nachhaltig in das Bewusstsein einer großen Öffentlichkeit gelangte. National, weil für den damals noch jungen Staat Israel der Prozess auch nach innen eine enorme Bedeutung hatte. Erstmals konnten Überlebende der Shoa vor einer breiten Weltöffentlichkeit über ihr unvorstellbares Leid und das Grauen in den Lagern sprechen, ohne dass sie mit dem damals – selbst von ihren Landsleuten – häufig formulierten Vorwurf konfrontiert wurden, sie hätten nur auf Kosten anderer überlebt.

In Folge des Eichmann-Prozesses wurde schließlich auch die deutsche Schuldfrage und deren juristische Aufarbeitung in der Bundesrepublik neu diskutiert. Und das in einer Zeit, in der der Wille nach Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit gering und die Forderung nach einem endgültigen Schlussstrich groß waren. Die ersten Frankfurter Auschwitzprozesse (1963‒1965) und der Majdanek-Prozess in Düsseldorf (1975‒1981) resultierten ebenso daraus wie die Tatsache, dass die bis dato ausgesparte NS-Zeit endlich zum Gegenstand des deutschen Schulunterrichts wurde.

Auch das Theater begann sich nun mit dem Thema intensiver auseinanderzusetzen. Rolf Hochhuths «Der Stellvertreter» (1963) machte den Anfang, es folgte Peter Weiss' «Die Ermittlung» (1965) und schließlich Heinar Kipphardts «Bruder Eichmann» (1983). Die Dramen sind zwar formal sehr unterschiedlich, jedoch eint sie, dass sie mit vorhandenem historischen Material umgingen: Damit war die neue Gattung des dokumentarischen Theaters geboren.

Kipphardt nutzte für seinen «Bruder Eichmann» die Protokolle der Verhöre des israelischen Geheimdienstes, die dieser im Vorfeld des Prozesses mit Eichmann über Monate hinweg führte. Eichmanns spätere Verteidigungsstrategie vor Gericht kommt in den Protokollen bereits deutlich zum Vorschein: Immer wieder wies er jede Form von persönlicher Verantwortung und damit Schuld kategorisch von sich und inszenierte sich als reinen Befehlsempfänger ohne jeden eigenen Handlungsspielraum. Hannah Arendt sprach in ihrem berühmten Prozessbericht «Eichmann in Jerusalem» (1963) von der «Banalität des Bösen».

Heinar Kipphardt nannte es die «Eichmann-Haltung». «Das Stück beschreibt, wie ein ziemlich durchschnittlicher junger Mann aus Solingen, aufgewachsen in Linz, Vertreter bei Vacuum-Oil, auf sehr ge­wöhnliche Weise zu der monströsen Figur Adolf Eichmann wird, die admi­nistrative Instanz im Genozid an den europäischen Juden, ein «Rädchen im Getriebe», wie er sich nennt, ein Funktionär des «Krieges gegen die Juden», durch Befehl und Eid gewissensgeschützt. Das Stück zeigt auch, wie in der Eichmann-Haltung die Soldatenhaltung und die funktionale Haltung des durchschnittlichen Bürgers überhaupt steckt, die Haltung, Gewissen sei an den Gesetzgeber oder an den Befehlsgeber delegiert. Genauer gesehen zeigt sich, dass die Eichmann-Haltung die gewöhnliche Haltung unserer heutigen Welt geworden ist, im Alltagsbereich wie im politischen Leben wie in der Wissenschaft, von den makabren Planspielen moderner Kriege, die von vornherein in Genozid-Größen denken, nicht zu reden. Deshalb heißt das Stück «Bruder Eichmann», so Kipphardt in einem Interview.

Die Uraufführung seines Stückes am 21. Januar 1983 am Residenztheater erlebte Kipphardt nicht mehr. Er starb nur wenige Wochen zuvor, am 18. November 1982. Damit konnte sich Kipphardt auch nicht mehr zu der heftigen Kontroverse verhalten, die nach der Premiere um «Bruder Eichmann» entbrannte. Kipphardt wurde von der Kritik sogar Geschichtsfälschung und Verharmlosung des Holocaust vorgeworfen. Hauptstreitpunkt waren die dem Stück eingeschriebenen Analogieszenen, in denen Kipphardt versuchte, die sogenannte Eichmann-Haltung auch in der Gegenwart der 1980er-Jahre aufzuzeigen.“

https://www.residenztheater.de/kipphardts-bruder-eichmann

 

Der „Spiegel“ im Februar 1983: „Kaum waren die Nachrufe verklungen, stand eine fatale Hinterlassenschaft frei zur Besichtigung.« So faßt die Fachzeitschrift »Theater heute« die Verlegenheit zusammen, in die Heinar Kipphardt den Kulturbetrieb mit seinem späten Stück »Bruder Eichmann« gestürzt hat.

Als Heinar Kipphardt im November starb, stand in manchen Nachrufen, daß er sein letztes großes Werk, an dem er sich über lange Jahre, von Zweifeln gequält, abgemüht hatte, noch vollenden konnte. Er habe zu seinem zentralen Thema, dem deutschen Faschismus und seinem zähen Nachleben in »Bruder Eichmann« noch einmal zurückgefunden.

Doch zwei Monate später, nach der Uraufführung am Münchner Residenztheater, ging die Kritik voller Berührungsangst auf Distanz, denn es erwies sich, daß Heinar Kipphardt seinen Stücktitel »Bruder Eichmann« ernst gemeint hatte: Er wollte Eichmann nicht als einmaliges Ungeheuer abgrenzen, ausschließen, sondern im Einzelfall etwas Allgemeines, nicht Erledigtes erkennbar machen.

Die Kritik entdeckte also plötzlich, daß durch die Aufführung Eichmann auch sympathische Züge gewann: »Eichmann macht dabei keine schlechte Figur«, schrieb die »Frankfurter Rundschau«, vermag »sogar einige Sympathien für sich zu erwecken«. Und die »SZ« bemerkte Eichmanns »gefährliche Attraktion": Man beginne Eichmann sogar »zu mögen« - »wegen seiner hartnäckigen Weigerung zu bereuen«.

Schwerer wog und folgenreicher war, daß die Kritik sich gegen jenen Teil des Eichmann-Stückes stark machte, an dem sich auch die Münchner Uraufführung eher verlegen vorbeigedrückt hat: Um das »Prinzip Eichmann«, die Allgemeinverbindlichkeit der Mentalität des blinden Gehorsams zu zeigen, hat Kipphardt dem Stück kontrapunktisch fünf Gruppen von Mini-Szenen eingefügt, in denen er etwas von dieser Eichmann-Mentalität wiederzufinden glaubte:

Von Auschwitz und der deutschen Industrie handeln diese Szenen, von Kameradschaftstreffen der SS und neuem Rassismus in Deutschland, von sadistischem Umgang mit Terroristen, von den von Kipphardt in Anführungszeichen gesetzten Selbstmorden in Stammheim, von Hiroschima, Vietnam, von Atomwaffen und neuen Gen-Technologien, schließlich von den Massakern in Beirut und von Ariel Scharon, dem ehemaligen israelischen Verteidigungsminister.

Diese »Analogie-Szenen« (wie Kipphardt sie nannte), die eine Provokation sind und sein wollen, weil ihre »Analogie« anfechtbar ist, machen kaum zwanzig Prozent des Stücks aus. Die Kritik hat Kipphardt vorgehalten, daß keine dieser Szenen im Machtbereich des Sozialismus spielt, daß also weder der Archipel Gulag noch Afghanistan vorkommen: »politische Einäugigkeit« S.188 ("FAZ"). Oder, wie »Theater heute« fragt: »Warum fehlt der Kambodschanische Genozid unter Pol Pot?«

Daß bei der Münchner Uraufführung nur fünf dieser Szenen gespielt wurden, hat Kipphardts Sachwalter, die Witwe Pia Kipphardt und den Theaterverlag Ute Nyssen & Jürgen Bansemer, verärgert. Obwohl der Stücktext so lang ist, daß man mindestens 40 Prozent streichen muß, um nicht über drei Stunden zu spielen, beharren sie darauf, daß zwei Drittel der Analogie-Szenen (nach freier Wahl) gespielt werden, um Komposition und politische Absicht des Stücks zu wahren.

Dazu erklärt Pia Kipphardt, »daß Kipphardt niemals gewollt hat oder geduldet hätte, daß die Analogie-Szenen und insbesondere diejenigen, die auf unsere Gegenwart verweisen, vollständig eliminiert oder auch nur einschneidend gekürzt werden. Gerade auf diesen Bezug zur Gegenwart kam es dem Autor an«.

Von den großen deutschen Bühnen war das Kölner Schauspielhaus die erste, der die Aufführung gesperrt wurde, weil es auf die Analogie-Szenen verzichten wollte. Auch Hamburgs Schauspielhaus hat inzwischen entschieden: lieber gar keinen Eichmann als diesen. Und die Frankfurter Aufführung droht ebenfalls an dieser Auflage zu scheitern.

Die nächsten Premieren mit zwei Dritteln der »Analogie-Szenen« werden in Darmstadt, Wuppertal und Salzburg stattfinden. Es ist unwahrscheinlich, daß Israels inzwischen zurückgetretener Verteidigungsminister Scharon dabei auftreten wird.

Mitten in diesem deutschen Theaterstreit hat sich nun noch ein anderer Betroffener zu Wort gemeldet: Avner Less, der israelische Geheimdienstmann, dessen protokollierte Gespräche mit Eichmann Kipphardts Hauptquelle sind. Less hat erst aus der Zeitung erfahren, daß er in München auf der Bühne zu sehen ist, und hat nun, nach Lektüre des Textes, nicht nur Kipphardts Eichmann-Porträt allzu simpel gefunden, sondern vor allem die Darstellung seiner eigenen Person mißbilligt: Er will nicht wahrhaben (was sich aus Kipphardts Version vielleicht herauslesen läßt), daß er - im Lauf von 275 Stunden Verhör, die er mit Eichmann verbracht hat - diesem »menschlich« nähergekommen sei.

Solchem Einspruch der Wirklichkeit kann das Theater leicht entkommen: Auf der Bühne in München wie bei allen künftigen Aufführungen trägt nun Eichmanns Gesprächspartner nicht mehr den Namen Avner Less.

Schwierigkeiten mit Kipphardts brüderlichem »Bruder Eichmann« gibt es im Augenblick nur in einer Region nicht - in der DDR, in die Kipphardt aus politischer Überzeugung 1949 übersiedelte und die er 1959 aus politischer Überzeugung verließ: Noch in diesem Jahr wird Kipphardts Stück in Leipzig, Dresden und Schwerin gespielt, und fest steht auch schon, mit welchen zwei großen deutschen Stücken im Frühling 1984 das traditionsreiche Ost-Berliner Deutsche Theater nach langer Renovation wiedereröffnet wird: mit Goethes »Faust« und Kipphardts »Bruder Eichmann«.“

https://www.spiegel.de/kultur/sympathien-fuer-bruder-eichmann-a-b5bcb48b-0002-0001-0000-000014023870

 

Zu Adolf Eichmann siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/770-totalitaet-des-moralischen-zusammenbruchs

 

Zum Schluss

 

Nach einer Lesereise durch Pakistan, Afghanistan und einige Staaten im Nahen Osten im Jahr 1968: „Asiatische Geduld, asiatische Weisheit, ich hab sie nie bewundert, aber ich finde sie zum Speien, seit ich sie in Funktion gesehen, als Purgantia der Empörung nämlich. Ich war auf stinkende Armut gefaßt natürlich, aber auch auf Empörung. Es gibt Grade von Armut, die nicht Empörung, sondern Religion, Geduld und Weisheit produzieren. Das ist obszön. Ich sah Städte, die nässende Schwären waren, und ihre Bewohner, schien mir, fühlten sich nicht krank.“

Sowohl Heinar Kipphardt als auch seine Stücke sind nicht nur ein Stück Zeitgeschichte – sie sind aktueller denn je.

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm

 

 

Das Böse verlachen

- Satire, Realsatire, ernst Gemeintes -

 

19. November – Wochenkommentar von Ferdinand Wegscheider

„Wir sind im Krieg!“ - Im neuen Wochenkommentar geht es diesmal um die loyalen Kriegstreiber in den Systemmedien, um die vorbildhaften Klimaschützer in Sharm el Sheikh und um nicht verhandelbare Menschenrechte.

https://www.servustv.com/aktuelles/v/aamicy2nqi0m6kr83lel/

 

Verfassungsschutz-Chef Haldenwang lobt „Fridays for Future“ und „Letzte Generation“

https://www.youtube.com/watch?v=DoOD9y3Q1_8

 

400.000 Euro für Habeck-Fotograf

https://www.youtube.com/watch?v=FuWDSubOny8

 

Die Reaktion

https://www.youtube.com/watch?v=1Imf3kLm7tk

 

Söders Ausgangsbeschränkungen

https://www.youtube.com/watch?v=uZDA0QEw3Yo

 

Kretschmer und die "Ungerechtigkeiten"

https://www.youtube.com/watch?v=Q-HOoyWAHUs

 

Simone Solga: Die KataRstrophe | Folge 59

https://www.youtube.com/watch?v=t_XoP9jBtug

 

#'Tschuldigung

https://www.youtube.com/watch?v=9bwiao4WALQ

 

10 STRATEGIEN DER MANIPULATION NACH NOAM CHOMSKI-ANHAND KONKRETER VIDEOBEISPIELE

https://www.bitchute.com/video/L8WepHW54n3K/

 

Liegen geblieben / Steimles Aktuelle Kamera / Ausgabe 83

https://www.youtube.com/watch?v=qXcyXcrPQas

 

Übrigens… Energiesparen

https://www.youtube.com/watch?v=yTjcFtNIbrU

 

HallMack  Leibfotograf gesucht

https://www.frei3.de/post/704f6b79-5dfb-4be3-af7c-fd56491e67bc

 

HallMack  DFB OneLove Binden-Skandal

https://www.frei3.de/post/13841670-6922-45b5-a973-7576d8eba383

 

HallMack  Deutschland ist im Arsch

https://www.frei3.de/post/345d4d72-926e-4084-8cdd-21b40d761c0a