Die Sensiblen

Und wenn sie nicht gestorben sind, so quälen sie sich selbst und ihre Mitmenschen bis heute.

Zur Zeit läuft in den Kinos der Film „Die Geträumten“ über den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, der vor einigen Jahren unter dem Titel „Herzzeit“ erschienen ist.

Bei beiden handelt es sich um die 2. Kategorie der Sensiblen.

„Sensibilität“ kann mensch auf zwei Arten definieren:

1) sich selbst in Situationen und andere Menschen hineinzudenken – das Gegenteil von egoistischen, ausschließlich auf sich selbst fixierten Menschen

2) an sich selbst und der Welt verzweifelnd, überempfindlich und ausschließlich auf sich selbst fixiert zu sein

 

Ingeborg Bachmann

 

Ingeborg Bachmann ist 2x kurz in den Beiträgen des Wurms vorgekommen. Hier sind die entsprechenden Stellen:

„Wer glaubt, Herta Müllers Werke hätten nur ein Thema, liegt weitest gehend richtig: es geht um sie selbst und was die Welt ihr alles antut. Außer in „Atemschaukel“ – da geht es um Oskar Pastior und was ihm die Welt alles angetan hat.

Darin und vom Stil her erinnert sie stark an Ingeborg Bachmann.“

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/153-was-gesagt-werden-muss.html

„Über eine schöpferische Pause von Ingeborg Bachmann: „Ihm (dem Roman ‚Malina‘) war eine lange, eine zehnjährige Publikationspause vorangegangen. Solche, in der Regel lautlos-dramatischen Pausen werden von der literarischen Öffentlichkeit genau registriert – von manchen unruhig, von vielen sensationslüstern, von allen neugierig. Denn die meisten Schriftsteller sind in einer Krise oder haben gerade eine Krise überwunden oder befürchten eine Krise. Daher genießen sie die Krise eines Kollegen beinahe wollüstig.““

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/37-tod-eines-kritikers.html

Voriges Zitat stammt aus „Mein Leben“ von Marcel Reich-Ranicki. Über Ingeborg Bachmann schreibt er weiter:

„Ich habe Ingeborg Bachmann zum ersten Mal 1959 gesehen, auf der Tagung in Schloß Elmau. Sie war längst berühmt, sie hatte 1953, damals 27 Jahre alt, den Preis der „Gruppe 47“ erhalten. War man sich schon bewußt, daß man es mit der vielleicht bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerin unseres Jahrhunderts zu tun hatte? …

Ingeborg Bachmann las ganz leise, streckenweise hat sie ihren Text nur geflüstert, scheu und schüchtern. Sie war offensichtlich gehemmt, sehr hilflos und ein wenig verwirrt. Fiel es ihr schwer, lauter zu sprechen, oder wollte sie mit dem Flüstern die höchste Aufmerksamkeit der Anwesenden und die absolute Stille erzwingen? War sie etwa – was nicht wenige vermuteten, ganz besonders Frauen – eine Komödiantin? Das scheint mir ein zu hartes Wort. Sie war eine trotz ihrer Erfolge sehr unsichere und in mancher Hinsicht gefährdete, eine unglückliche Person, die in der Verstellung Schutz suchte …

Die nächste Lesung von Ingeborg Bachmann bei der „Gruppe 47“ war im Oktober 1961 im Jagdschloß Göhrde in der Lüneburger Heide. Obwohl sie sich wieder einmal in einer Krise befand, die ihr die Arbeit beinahe ganz unmöglich machte, war sie auf dem besten Wege, die Primadonna assoluta der deutschen Gegenwartsdichtung zu werden.“

„Ich las den Roman als poetischen Krankheitsbericht, als das Psychogramm eines schweren Leidens. Ich las „Malina“ als ein Buch über Ingeborg Bachmann. Die Ich-Erzählerin dieses Romans erkennt: ‚Ich bin … unfähig einen vernünftigen Gebrauch von der Welt zu machen.‘ Sie spricht in einem Brief von der ‚Ungeheuerlichkeit meines Unglücks‘. Diese Bekenntnisse der Romanfigur bezog ich also auf die Autorin selber. Und ich sah damals, im März 1971, in meinem einsamen Stockholmer Hotelzimmer Ingeborg Bachmann auf dem Bildschirm. Sie war sichtlich bemüht, den Fragen des höflichen Interviewers nicht auszuweichen. Von der „Krankheit der Männer“ sprach sie. Und sie sagte: „Denn die Männer sind unheilbar krank … Alle.“ Ich las in dem Roman „Malina“: ‚Es kommt über mich, ich verliere den Verstand, ich bin ohne Trost, ich werde wahnsinnig.‘

Ich war erschüttert. Ich spürte, ich ahnte es: ihr, Ingeborg Bachmann, steht Schreckliches bevor, vielleicht ein furchtbares Ende, vielleicht sehr bald.“

In „Deutsche Literatur in West und Ost“ beschreibt Marcel Reich-Ranicki Ingeborg Bachmann und ihr Werk und geht mehrfach auf ihre Welt-Verzweiflung ein. Unter anderem hier: „Aber was wollen eigentlich diese Rebellen, die sich mit dem Dasein nicht abfinden können und vor allem mit sich selber nicht fertig werden?“

Und zitiert den Kritiker Helmut Heißenbüttel. Dieser hielt die Verse der Ingeborg Bachmann für „die ganz unverwechselbare Aussage eines Menschen, der erleidend, verzweifelt, anklagend und ohne Hoffnung in diese unsere Zeit und Welt verschlagen ist und versucht, im Wort, im Bild, im Gedicht sich Klarheit darüber zu verschaffen, was mit ihm geschehen ist.“

 

Paul Celan

 

Aus “Wikipedia”: Paul Celan (* 23. November 1920 in Czernowitz, damals Rumänien, heute Ukraine; † vermutlich 20. April 1970 in Paris) war ein deutschsprachiger Lyriker. Er hieß ursprünglich Paul Antschel, später rumänisiert Ancel, woraus das Anagramm Celan entstand …

Als jedoch 1941 rumänische und deutsche Truppen Czernowitz besetzten, wurden die Juden in das örtliche Ghetto gezwungen, von wo Celans Eltern im Juni 1942 zunächst zum Steinbruch in Cariera de Piatră und dann in das Zwangsarbeiterlager Michailowka unweit von Hajssyn deportiert wurden. Dort starb sein Vater wenige Monate später an Typhus, seine Mutter wurde von einem SS-Mann erschlagen. Die Deportation und der Tod seiner Eltern hinterließen tiefe Spuren in Paul Celan. Er litt für den Rest seines Lebens unter dem Gefühl, seine Eltern im Stich gelassen zu haben. In seinen Gedichten sind zahlreiche Verweise auf dieses Trauma der Überlebensschuld zu finden …

1960 verstärkten sich die schweren, unbegründeten Plagiatsvorwürfe von Claire Goll, der Witwe des jüdischen Dichters Yvan Goll, dem Celan freundschaftlich verbunden gewesen war und für den er Gedichte übersetzt hatte. Diese Plagiatsanschuldigungen (auch bekannt als „Goll-Affäre“) verfolgten Celan bis an sein Lebensende.

Celan wurde mehrmals in psychiatrische Kliniken eingewiesen, einmal – vom 28. November 1965 bis 11. Juni 1966 – weil er in einem Wahnzustand seine Ehefrau mit einem Messer töten wollte. Im November 1967 entschieden er und seine Frau, getrennt voneinander zu wohnen. Sie blieben aber in Verbindung …

Die Umstände und das Datum von Celans Tod sind nicht geklärt. Vermutlich beging er am 20. April 1970 Suizid, indem er sich am Pont Mirabeau in die Seine stürzte …

Im Überblick des Celan-Handbuches zur internationalen Celan-Rezeption wird Celan ähnlich wie Goethe, Hölderlin oder Kafka als einer der „wohl am intensivsten wahrgenommenen Dichter deutschsprachiger Weltliteratur“ bezeichnet. Nach Wolfgang Emmerich steht er zusammen mit wenigen Autoren wie Primo Levi, Nelly Sachs oder Imre Kertész „seit nunmehr 50 Jahren international herausragend für die Möglichkeit von Dichtung im »Angesicht der Shoah«“. Das gelte sowohl für seine Lyrik als auch für seine Poetik. Seine „weltliterarisch fast einzigartige Wirkung“ bestehe darin, dass er in einer „durch die Greuel des Massenmordes ,hindurchgegangenen‘ Sprache schreibe“, ohne „je der Illusion anzuhängen, »über« Auschwitz und die Millionen von Opfern mit den Mitteln des Abbildrealismus schreiben zu können“.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Celan

Nun hatte auch Paul Celan offensichtlich einen in der Waffel. Aber er hatte eine Ausrede. Ob selbst betroffen oder nicht – wer Krieg und Shoah erlebt hat, dem kann es schon mal zum Verzweifeln sein.

Dazu kommt, dass er vom Rande des deutschen Sprachraums kommt. Und den Platzhirschen des deutschen Literatur-Betriebs war dieser Rand fremd und hatte sie nicht interessiert. Paul Celan führte seine Ablehnung auf Antisemitismus zurück; der Wurm glaubt eher an Diskriminierung nach dem Motto „da ist einer, der ist anders als wir“.

Aus „Wikipedia“: „Einer der ersten öffentlichen Auftritte des damals noch weitgehend unbekannten Paul Celan fand im Mai 1952 auf der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf statt …

Walter Jens erinnerte sich 1976 im Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold an Celans Lesung: „Als Celan zum ersten Mal auftrat, da sagte man: ‚Das kann doch kaum jemand hören!‘, er las sehr pathetisch. Wir haben darüber gelacht, ‚Der liest ja wie Goebbels!‘, sagte einer. […] Die Todesfuge war ja ein Reinfall in der Gruppe! Das war eine völlig andere Welt, da kamen die Neorealisten nicht mit.“ Hans Weigel fügte hinzu, „daß nachher einige Kollegen höhnisch vor sich her skandierten: ‚Schwarze Milch der Frühe …‘“ und dass Hans Werner Richter der Ansicht gewesen sei, Celan habe „in einem Singsang vorgelesen wie in einer Synagoge“. Celan selbst kommentierte in einem Brief an seine Frau Gisèle: „Jene also, die die Poesie nicht mögen – sie waren in der Mehrzahl – lehnten sich auf.“

Rückblickend gab Toni Richter in ihrer Dokumentation eine Einschätzung der Vorgänge: „Das traurigste Ereignis war die Lesung von Paul Celan, ein Mißverständnis, das an der Art seines Vortrages lag. Ich denke, keiner der Heimkehrer aus dem Kriege in der Gruppe kannte den Namen und das Schicksal von Paul Celan, noch hatten sie von der Tradition der jüdisch-rumänischen Gedicht-Rezitation im rhythmisch hohen Ton gehört. Da war auch die Stilfrage ‚Littérature pure‘ oder ‚engagée‘ müßig. Celan fragte in den Raum, ob denn Rimbaud hier unbekannt sei, auch dieser löste Verse in musikalische Schwingungen auf.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Celan

Anbei zwei Bilder von Paul Celans Geburtshaus in Czernowitz:

 

 

 

 

Herzzeit

 

Nun kommen diese beiden zusammen. Ein realistisch denkender Mensch hält es weder mit der Einen noch mit dem Anderen lange aus. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich auszudenken, wie die Geschichte der beiden verläuft:

„Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, zwei der bedeutendsten deutschsprachigen Dichter, ist das bewegende Zeugnis zweier Menschen, die sich liebten und gegenseitig verletzten, die einander brauchten und doch nicht miteinander leben konnten. Fast zwanzig Jahre lang kämpfen sie in ihren Briefen um die Liebe und Freundschaft des anderen, wiederholt herrscht Schweigen, immer wird der Briefwechsel wiederaufgenommen – bis es 1961 endgültig zum Bruch kommt.“

http://www.suhrkamp.de/buecher/herzzeit-ingeborg_bachmann_46115.html

Peter Hamm: „Lange war diese Liebe ein großes Geheimnis. Dann wurde sie zum kleinen Gerücht. Jetzt ist sie öffentlich zu besichtigen im Spiegel der Briefe, die sich Ingeborg Bachmann und Paul Celan zwischen 1948 und 1967 geschrieben haben, Briefe, die in ihrem tragischen Glanz so einzigartig wie verstörend sind. Jetzt werden die vielfältigen Spuren, die diese Liebe im Werk beider Dichter hinterlassen hat, nicht länger akademisch bewispert und dadurch verwischt, sondern es darf die Sprache der Liebe selbst sprechen, und was sie uns verrät, ist weit mehr Schreckliches als Schönes. Mögen Liebe und Scheitern ohnehin Synonyme sein, im Falle dieser beiden Dichter wurde die Liebe über alles Scheitern hinaus zum Liebesmartyrium, bei dem sich die Geschichte als weitaus stärker erwies als die Liebesgeschichte. Wer wie Paul Celan in den Abgrund der Geschichte geblickt hatte und den Todeslagern, in denen seine Eltern ermordet wurden, nur knapp entgangen war, den trennte auch noch von dem ihm Liebsten dieser Abgrund, zumal wenn die Geliebte, wie Ingeborg Bachmann, die Tochter eines Nazis der ersten Stunde war.

Ingeborg Bachmann hat in einer der Albtraum-Sequenzen ihres Romans Malina, in der sie in der Figur des Fremden mit dem schwarzen Mantel Paul Celan heraufbeschwört, ihr eigenes Liebesschicksal in Verbindung gebracht mit Celans jüdischem Schicksal, wobei sie die Deportation und den Sprung in die Seine, mit dem dieser seinem Leben ein Ende machte, miteinander verknüpfte: »Mein Leben ist zu Ende, denn er ist auf dem Transport im Fluß ertrunken, er war mein Leben. Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben.« Ist das nur Literatur, oder war das so? In Wahrheit wird Ingeborg Bachmann, wie die meisten Sterblichen, wohl sich selbst am meisten geliebt und von Männern vor allem Selbstbestätigung erwartet haben. Von Paul Celan fühlte sie sich wohl, bei aller Hingerissenheit seinerseits, viel zu wenig bestätigt in dem, was ihr Lebensmittelpunkt war, nämlich ihr Schreiben. Während sie in ihren Briefen auf fast jedes seiner Gedichte liebevoll einging, äußerte er sich nur sehr sporadisch zu den ihrigen. In ihrem 1961 geschriebenen (allerdings nie abgeschickten) Abrechnungs- und Abschiedsbrief an Paul Celan fragt sie ihn unumwunden: »Wer bin ich für Dich, wer nach soviel Jahren?«, um sich dann nicht nur gegen seine Dichter-Monomanie, sondern auch gegen seinen Status als ewiges Opfer aufzulehnen: »Du willst das Opfer sein, aber es liegt an Dir, es nicht zu sein … Du willst der sein, der dran zuschanden wird.« Das Zuschandengehen blieb, wir wissen es, auch ihr nicht erspart. Auch sie wurde, was Celan immer schon war, ein Opfer – und sei es auch nur ein Opfer der vielen falschen Männer, die sie sich erwählte.“

http://www.zeit.de/2008/35/L-Bachmann-Celan

Julia Encke: „Was die Briefe dann aber so dramatisch macht, sind nicht die sich gegenseitig anvertrauten Liebesgeheimnisse. Der Briefwechsel ist kein Enthüllungsbuch. Er ist das historische Dokument eines verzweifelten Ringens nach "Worten unter den Trümmern", nach einer, "trotz aller Verluste, unverlorenen Sprache", wie Bachmann und Celan das in ihrer Dichtung nannten … Es sind zwei hypersensible Menschen, die hier Briefe schreiben; zwei einander zugewandte Seelen in ständiger Abwehrbereitschaft und mit einem enorm hohen Wahrheitsanspruch. Wie in Wellenbewegungen kommen sie dabei manchmal zueinander …

Monate liegen zwischen den Briefen. Die Wiener Wochen sind der Bezugspunkt, ein gemeinsames Leben scheint aber nicht möglich. Warum, erfährt man nicht. "Alles ist wie immer, ich habe Arbeit und Erfolg, Männer sind irgendwie um mich aber es bedeutet wenig", schreibt sie ihm und will es immer wieder mit ihm versuchen. Er meldet sich lange nicht, weist sie in Karrierefragen zurecht und kommt auf das zurück, was zwischen ihnen liegt: "Vielleicht ist es so, dass wir einander gerade da ausweichen, wo wir einander so gerne begegnen möchten, vielleicht liegt die Schuld an uns beiden. Nur sage ich mir manchmal, dass mein Schweigen vielleicht verständlicher ist als das Deine, weil das Dunkel, das es mir auferlegt, älter ist."

Ingeborg Bachmann hat Celan die Opferhaltung, die in diesen Worten anklingt und die zu den zentralen Themen dieses Briefwechsels gehört, später vorgeworfen - in einem nicht abgesandten Brief. Er wolle das Opfer sein, aber es liege an ihm, es nicht zu sein. Er wolle schuld sein an sich, und sie könne ihn nicht daran hindern. Dabei versucht sie es, will ihn auf die Seite des Lebens ziehen, den Unrettbaren retten. Die Ereignisse machen die Situation aber nur schlimmer …

Ist also alles vergeblich? Im Oktober 1957 begegnen sie sich bei einer Tagung in Köln wieder, jetzt ist plötzlich Paul Celan entflammt: War es zuvor sie, die an ihm zerrte, die nicht locker ließ, überhäuft nun er sie mit liebevollen Briefen: "Dass wir unsere Herzen damals zu Tode hetzen mussten, mit soviel Geringfügigem, Ingeborg! Wem haben wir gehorcht, sag, wem?" Die Liebesbeziehung beginnt von Neuem, sie treffen sich heimlich, Celan ist in Paris inzwischen mit Gisèle Celan-Lestrange verheiratet, mit der er einen Sohn hat. Celans Frau weiß von der Beziehung, was die Ehe belastet, und weil sie wissen will, wer diese Frau ist, mit der ihr Mann sich trifft, liest sie - was kann sie anderes tun - ihre Gedichte. Im Anhang des Buchs findet man erstmals auch die Briefe, die die Ehefrau an die Geliebte schrieb und die Ausdruck bewunderungswürdiger Größe sind: "Meine liebe Ingeborg", schrieb Gisèle, "heute abend las ich zum erstenmal in Ihren Gedichten. Sie haben mich erschüttert. Ich habe viel durch sie verstanden, und ich schäme mich der Reaktionen, die ich hatte, als Paul zu Ihnen zurückging." Wenige Monate später lernte Bachmann Max Frisch kennen, zog zu ihm nach Zürich und machte den heimlichen Treffen mit Celan ein Ende."

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/worte-unter-truemmern-1685269.html

Hier eine Leseprobe der Briefe von Juni 1948 bis Oktober 1950:

http://www.ingeborg-bachmann-forum.de/pdf/herzzeit.pdf

 

Die Geträumten

 

 

„Um Liebe und Hass, um richtige und falsche Worte, geht es in dem Film „Die Geträumten“. Im Zentrum stehen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, die sich im Nachkriegswien kennengelernt haben. Deren Briefwechsel bildet die Textgrundlage.

Die dramatische, rauschhafte, aber auch unendlich traurige Liebesgeschichte zwischen Bachmann und Celan beginnt 1948, als sie 22 und er 27 Jahre alt ist, und sie endet mit dem Suizid Celans 1971 in Paris. Für Ingeborg Bachmann ist es die große Liebe ihres Lebens, und doch hört sie nie auf, in ihm den Fremden zu sehen und ein bisschen wohl auch zu fürchten: einen Juden aus Czernowitz, dessen Eltern im Holocaust umgekommen sind, während sie selbst nichts dergleichen erlebt hat. Sie liebt ihn und stößt an Grenzen, an ihre eigenen und an seine. Es geht nicht immer nett zu in diesen packenden Briefen. In einem Moment des Zweifels fragt sie: „Sind wir nur die Geträumten?“

Zwei junge Schauspieler, Anja Plaschg und Laurence Rupp, treffen sich in einem Tonstudio, um daraus zu lesen. Die dramatisch schwankenden Gefühle der Briefe – zwischen Rausch und Verlustangst, Entzücken und Erschrecken, Nähe und Fremdheit – gehen auf die Schauspieler über. Aber sie amüsieren sich auch, streiten, rauchen, reden über Tattoos und Musik. Ob die Liebe damals oder die Liebe heute, ob Inszenierung oder Dokumentation: Wo die Ebenen verschwimmen, schlägt das Herz des Films.“

http://grandfilm.de/die-getraeumten/

Ruth Beckermann: „Alles ist immer auch das Gegenteil. Die Medien erzählen uns gerne, dass wir in einer Zeit der Vergletscherung der Gefühle, der Vereinsamung im Internet-Supermarkt der Liebespartner leben. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis nach Auseinandersetzung mit authentischen Erlebnissen und Gefühlen. Die klassischen großen Liebesgeschichten haben nichts an Aktualität eingebüßt.

Ingeborg Bachmann und Paul Celan gehören in die Reihe großer, moderner Liebender. Ihre Liebe ist einerseits einzigartig, sie steht aber auch paradigmatisch für die Möglichkeit und Unmöglichkeit einer Begegnung nach der Katastrophe des Krieges und der Vernichtung.

Die wohl wichtigsten deutschsprachigen Dichter der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ringen um jene Fragen, die ich mir selbst immer wieder gestellt habe: Was bedeutet Liebe in unserer modernen bzw. post-modernen Zeit? Wie viele Generationen weit reicht die Zerstörung von Empathie und Vertrauen durch die NS-Ideologie in deren Kernländern Deutschland und Österreich? Sind Leben und Kunst vereinbar?“

http://grandfilm.de/wp-content/uploads/2016/04/DIE-GETRÄUMTEN_epk.pdf

Björn Hayer: „Der sensible Spielfilm von Ruth Beckermann ergründet die traurige Liebe zwischen der 1926 in Klagenfurt geborenen Autorin Ingeborg Bachmann und ihrem Dichterkollegen Paul Celan.

«Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben!» – wie tief und unergründlich muss wohl eine Liebe gewesen sein, die an Selbstaufgabe grenzt? Einst schrieb die 1926 in Klagenfurt geborene Autorin Ingeborg Bachmann an den Dichterkollegen und Holocaustüberlebenden Paul Celan: «Für mich bist Du Wüste und Meer und alles, was Geheimnis ist.» Er wiederum beschwor in einem Brief die «Herzzeit» herauf. Was die beiden zeit ihres Lebens verband, war mehr als inspirativer Austausch unter Freunden. Es war vielleicht eine der anmutigsten und zugleich tragischsten «liaisons d'amoureux» überhaupt, dokumentiert in einer reichhaltigen Korrespondenz. Die Seelenverwandten trennte die räumliche Distanz, das bürgerliche Dasein, Celans Ehe. Bestehen konnte das Verhältnis, ja die nie zu erfüllende Sehnsucht, fast ausschliesslich im poetischen Schreiben.

Dass diese Liebe ganz Geist war und kaum eine körperliche Dimension annehmen konnte, liess den jüdischen Schriftsteller auf die Zuschreibung «Die Geträumten» kommen, welche die Regisseurin Ruth Beckermann auch als Titel für ihren sensiblen Spielfilm über das traurige Paar wählte. Er klingt nach einer anderen Welt, nach der Utopie einer unrealisierbaren Vereinigung. Den Schauspielern Anja Plaschg und Laurence Rupp, die den Briefaustausch zwischen Celan und Bachmann in einem Tonstudio aufnehmen, bleibt ebenso nur die Vorstellung. Wenn sie die Liebesbriefe einander gegenüberstehend ins Mikrofon lesen, tauchen sie wie auch der Zuschauer in das «Märchen» ein, wie Bachmann einmal die Beziehung zu ihrem Intimus im fernen Paris beschrieb. Es ist eben eine Geschichte. Man kann sie nicht wiederholen oder kopieren. Es bleibt nur das Eindenken. Obgleich das Kino grundsätzlich auf das Sichtbare setzen muss, besteht sein Reiz in diesem Film gerade in den fehlenden Bildern, im Verborgenen. Denn nur die Stimme der beiden Akteure erschliesst einen imaginären Möglichkeitsraum. Hinzu kommt: Der Minimalismus, bezogen auf den Plot und die Requisite, sorgt dafür, dass wir uns ganz auf die Hauptfiguren konzentrieren. Beckermanns Detailaufnahmen der Gesichter, die mal enthusiastisch, schwelgend oder dann wieder am Rand der Depression die Stimmungen der Briefe in sich aufnehmen, entfalten eine ungemeine Sogkraft.

Eine Achterbahn der Gefühle und zwei Wege in die Verzweiflung – davon berichten die Zeugnisse. Wir werden der Angst zweier Poeten vor der Aussenwelt gewahr und erfahren von Bachmanns Nervenzusammenbrüchen. Am schwersten liegt aber über dieser fragilen Dyade die Last der Geschichte. Die Erfahrungen des Nationalsozialismus lassen den Tod zu einer allgegenwärtigen Konstante in den Texten der Lyriker werden. Obwohl auch Bachmann in dem Gedicht «Dunkles zu sagen» zugibt, «auf den Saiten des Lebens den Tod» zu spielen, hofft sie mit ihrem Schreiben dennoch Celan am Leben zu halten: Ich «möchte (. . .) deine Hand von den Nelken freimachen». Ein vergeblicher Versuch, der den Selbstmord des jüdischen Autors 1970 in der Seine nicht wird verhindern können.

Beckermanns Film setzt hingegen immer wieder auf kleine Lichtmomente. In den Pausen rauchen die Schauspieler miteinander vor der Tür, flirten ein wenig, tauschen sich über die Briefe aus oder setzen sich bisweilen ans Piano. Man spürt, dass eine Spannung in der Luft liegt, die nicht aufgelöst wird. Zum Glück. Denn ein kitschiger Kuss hätte das ganze Arrangement zu einer Farce verkommen lassen. Die Akteure tragen etwas, was zu gross ist, um es mit banalen Bildern wiederzugeben. Stattdessen wirken die Worte für sich. Sie gewinnen an Vitalität, weil sie gesprochen und noch einmal neu beseelt werden. Wie Musik hört sich das an. Wie eine Tonspur, die wir festhalten möchten, bevor sie sich in den Weiten des Raums verflüchtigt.“

http://www.nzz.ch/feuilleton/kino/die-getraeumten-gemeinsam-verloren-ld.125974

 

Die Sensiblen

 

Solche Menschen machen sich selbst das Leben schwer. Wenn sie einmal nichts zum Jammern und zum Verzweifeln haben, suchen sie es. Ohne eigenes Elend könnten sie nicht sein.

Das ist traurig genug. Da diese Sorte aber nicht einfach so vor sich hin leiden kann, sondern ihre Mitmenschen in ihr eigenes Elend mit reinziehen muss, ist es dann schon wieder ärgerlich.

Mensch braucht nicht zu glauben, dass diese ach so Sensiblen sich auch nur im Entferntesten um die Sorgen und Nöte ihrer Mitmenschen kümmern würden.

Immer nur geht es um ich, ich, ich. Meistens hören sie ihren Mitmenschen noch nicht mal zu. Und wenn sie sich doch die Zeit nehmen, dann interessiert es sie nicht. Gerne werden halbwegs realistische Menschen von den Sensiblen als "unsensibel" beschimpft, weil sie nicht genauso jammern und leiden.

Ausreden für das eigene Elend gibt es zur Genüge. Zum Teil sind die sogar nachvollziehbar. Was für die Bewohner des Erdreichs nicht nachvollziehbar ist, sind die Ausreden bezüglich eigener Wahl, vor allem Partner. „An die falschen Männer“ bzw. „an die falschen Frauen“ ist kein überzeugendes Argument. Am Anfang mag das noch wg. Unerfahrenheit passieren – danach nicht mehr.

Ein Beispiel: der Wurm hat es noch nicht gesehen, dass ein absolut widerlicher, bösartiger, gewalttätiger Mann wg. dieser Eigenschaften keine Frau gehabt hätte. Im Gegenteil: vor „Bewerberinnen“ kann sich so ein Mann kaum retten. Innerhalb der Beziehung ist dann das Gejammer da wg. Widerlichkeit, Bösartigkeit, Gewalttätigkeit. Was ja vorher schon bekannt war. Nach der Trennung kehren viele dieser Frauen entweder zu exakt dem selben Mann zurück oder suchen sich den gleichen Typ. Nur um wieder zu jammern, wie schlecht sie es doch erwischt hätten.

Warum nehmen sie sich keinen anderen? Sie hätten ja die Wahl. – Ja, das sei nicht spannend genug.

Dann sollten sie es aber bleiben lassen, deswegen rumzujammern. Vor allem sollten sie es bleiben lassen, ihre Mitmenschen in ihr eigenes Elend mitreinzuziehen.

Probleme hat jeder – es ist die Frage, wie mensch damit umgeht. Sich in seinen Problemen zu suhlen, ist keine gute Idee.

Es ist schrecklich, was etwa einem Paul Celan alles zugestoßen ist – aber er war nicht der Einzige, dem es so ging. Andere mit einem ähnlichen Schicksal waren etwa daran beteiligt, den Staat Israel mit aufbauen zu helfen oder wurden auf anderen Feldern zu wertvollen Teilen der Gesellschaft.

Wer sich selbst in einer ähnlichen Lage sieht und da raus kommen will: Menschen können nur einen einzigen Gedanken haben. Um aus dem Jammertal rauszukommen, reicht es, sich mit etwas so intensiv zu beschäftigen, dass mensch gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen kann.

Einen Menschen in seinem Wahn zu bestärken, ist auch keine gute Idee. Wenn ein ansonsten halbwegs intakter Mensch plötzlich Probleme hat (was ja immer wieder vorkommen kann), sollte dieser nicht über einen längeren Zeitraum gehätschelt und getätschelt werden, sonst kommt der noch auf die Idee, dass das gut für ihn sei und daraufhin noch mehr verelendet.

Für kurze Zeit emotionale Nähe, ja – aber dann unmissverständlich klar machen: „Du hast Probleme, die ich verstehen kann. Ich gebe Dir noch so und so viel Zeit, um dies alles zu verarbeiten. Danach erwarte ich, dass mensch mit Dir wieder etwas anfangen kann.“

Damit erweist mensch einen größeren Gefallen als mit unendlichem Verständnis und Mit-Leiden.

 

Literarische Bearbeitung

 

Leopold von Sacher-Masoch (siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/46-venus-im-pelz.html ) führt in „Venus im Pelz“ literarisch vor, wie dem leidenden Helden der Geschichte geholfen wurde:

„… aber mein Vater, der alt und krank war, verlangte nach mir.

So kehrte ich still in die Heimat zurück und half ihm zwei Jahre seine Sorgen tragen und die Wirtschaft führen und lernte, was ich bisher nicht gekannt, und mich jetzt gleich einem Trunk frischen Wassers labte, arbeiten und Pflichten erfüllen.“

http://www.zeno.org/Literatur/M/Sacher-Masoch,+Leopold+von/Erz%C3%A4hlungen/Venus+im+Pelz

Etwas drastischer ist Jonathan Swift in „Gullivers Reisen“. „Gullivers Reisen“ wurde wg. seiner Bekanntheit und Beliebtheit zum Kinderbuch „degradiert“. Tatsächlich ist es eine bitterböse Satire auf die politischen Zustände der Zeit und den Menschen an sich, mit dem Jonathan Swift hart, aber gerecht umgeht. Als wär’s ein Stück vom Wurm.

In der folgenden Passage befindet sich Gulliver auf der Insel der Houyhnhnms, die vernunftbegabte Pferde sind. „Mein Herr“ ist ein Houyhnhnm. Auf der Insel befinden sich auch wilde Yahoos, vor denen sich alle, auch Gulliver, ekeln. Yahoos sind zumindest vom Äußeren her den Menschen sehr ähnlich. Letztendlich sind die Yahoo das, was unter der dünnen Schicht der menschlichen „Zivilisation“ liegt (wobei Jonathan Swift an dieser Zivilisation aber auch einiges zu kritisieren hat).

„Mein Herr erwähnte noch eine andere Eigenschaft, die seine Diener bei mehreren Yahoos entdeckt hatten und die ihm völlig unerklärlich war. Er sagte, zuweilen komme einen Yahoo die Laune an, sich in einen Winkel zurückzuziehen, sich niederzulegen, zu heulen, zu seufzen und alle, die ihm näher kämen, zurückzustoßen, obwohl er jung und fett sei und es ihm weder an Futter noch an Wasser fehle. Auch die Diener hätten keine Ahnung, was ihn möglicherweise anfechten könnte. Das einzige Gegenmittel, das sie gefunden hätten, bestehe darin, ihn schwere Arbeit verrichten zu lassen, wonach er unfehlbar wieder zu sich komme.

Aus Voreingenommenheit für meine eigene Art schwieg ich dazu, doch konnte ich hier deutlich die wahren Keime der Hypochondrie erkennen, die nur die Faulen, die Schwelger und die Reichen befällt; und wenn man diese Leute zwänge, sich derselben Kur zu unterziehen, so würde ich für die Heilung garantieren.“

 

 

Dada

 

Von Rupert Regenwurm

 

Der Hammer

 

Der Linzer isst eine Torte

Der Szegediner isst ein Gulasch

Der Gaisburger isst einen Eintopf

Der Kasseler isst ein Rippchen

Der Schweizer isst einen Wurstsalat

Der Tiroler isst Knödel

Der Hawaiianer isst ein Toast

Der Frankfurter und der Wiener essen zusammen mit dem Lyoner und dem Krakauer eine Wurst

Der Königsberger isst Klopse

Der Salzburger isst Nockerln

Der Tilsiter isst Käse

Der Schwarzwälder isst Schinken

Der Zigeuner isst zusammen mit dem Jäger ein Schnitzel

Der Berliner isst einen Hamburger

Der Hamburger isst einen Berliner

Der Pariser isst keinen Londoner

Der Essener isst alles

Der Hammer ist behämmert.

 

 

 

 

Ein Beispiel dafür, welche Absurditäten Dadaisten den Normal-Sterblichen aufschwatzen können (und die das auch noch glauben):

„Osimo ist eine Gemeinde in den italienischen Marken, in der Provinz Ancona, mit 29.408 Einwohnern. 1663 starb der heilige Josef von Copertino in Osimo.

Er ist ein Heiliger der katholischen Kirche. Der Volksheilige (dessen frühere Popularität der heutigen eines Padre Pio vergleichbar ist) ist eine der ungewöhnlichsten Gestalten der katholischen Mystik.

Wegen seiner angeblichen Levitationen in über 100 Fällen wird er auch der „Fliegende Frater“ genannt.

 

 

 

Sein berühmtestes Wunder war eine Levitation, bei der er 60 Meter in die Höhe geflogen sein soll, um ein 10 Meter großes, schweres Kreuz zu empfangen, das er dann „wie einen Strohhalm“ auf der Erde aufgesetzt haben soll. Viele Zeugen bestätigten unter Eid die Levitationen Josephs; darunter bekannte Persönlichkeiten wie Prinzessin Maria von Savoyen und König Johann II. Kasimir von Polen.

 

 

 

Josef wurde 1753 selig und 1767 heilig gesprochen. Sein Gedenktag ist der 18. September.

Er ist der Schutzpatron der Flieger (und auch der NATO-Piloten). In manchen Ländern gilt er auch als Schutzpatron vor Prüfungen (wegen seiner Lernschwierigkeiten).

Nach Josef von Copertino wurde die Stadt Cupertino im Silicon Valley in Kalifornien benannt.“

http://www.drevermann.de/cms/der-heilige-josef-von-copertino.html