Stalin

Vor 70 Jahren starb Josef Stalin, einer der größten Verbrecher der Menschheits-Geschichte.

Der Wurm konzentriert sich auf die übelsten Verbrechen in seinem eigenen Land und fragt sich, wie das alles möglich war.

 

Oleg Chlewnjuk: „Die Nomenklatura der ZK-Posten wuchs unablässig, was dem Bedürfnis des Zentrums nach immer stärkerer Kontrolle entsprach. Im September 1952, ein halbes Jahr vor Stalins Tod, bestand sie aus etwa 53.000 Amtsinhabern. Sie waren die Crème de la Crème der sowjetischen Gesellschaft: die hohen Partei- und Staatsbeamten, die höchsten Militärführer und die Chefs der „Künstlerverbände“ wie etwa des Schriftstellerverbands. Eine Stufe darunter waren die Leiter der wichtigen regionalen Organe angesiedelt: die Nomenklatura der Amtsinhaber im Obkoms (Oblastkomitees) und Kraikoms (Regionskomitees) und in den Zentralkomitees der verschiedenen Republiken, aus denen die Sowjetunion bestand. Auch diese Liste wurde ständig länger und umfasste am 1. Juli 1952 350.000 Amtsinhaber.

Diese Hunderttausende von Funktionären waren das Rückgrat des Apparats und der Stützpfeiler der Diktatur, obschon Stalin mit der großen Mehrheit von ihnen nie direkten Kontakt hatte. Der Apparat des Einparteienstaats führte in gewisser Weise ein Eigenleben und war relativ frei von Interventionen der Parteiführung. Die Funktionäre versuchten in ihrem Kampf um Überleben und Aufstieg die strengen Vorschriften zu umgehen, die auf Zentralisierung abzielten. Das gelang ihnen, solange auf dem Papier alles vorschriftsgemäß abzulaufen schien. Machtmissbrauch war an der Tagesordnung. Mehrere Historiker überschätzen allerdings die Bedeutung dieser Prozesse und vertreten die Ansicht, die stalinistische Diktatur sei instabil gewesen. Viele versuchen, die schlimmsten Merkmale des Stalinismus, insbesondere die Massenrepression, als spontane Bewegung von unten zu erklären.

Jedoch findet sich in den Quellen kein Beleg für die These von einem „schwachen Diktator“. Wir kennen keine einzige folgenschwere Entscheidung, die nicht Stalin selbst getroffen hätte. Auch wissen wir von keinem noch so kurzen Zeitraum, in dem er nicht diktatorisch geherrscht hätte. Er entwickelte äußerst wirksame Methoden, um die Gesellschaft und den Apparat zu manipulieren und unter Druck zu setzen. Sie festigten Stalins Macht und seinen Einfluss auf alle Schlüsselentscheidungen. Die fortgesetzte Repression und die ständigen Säuberungen unter den Staatsbediensteten hielten alle in einem Zustand angespannter Mobilisierung. Das Ausmaß der dabei angewandten Gewalt lässt sich relativ genau in Zahlen fassen: Laut amtlichen Unterlagen wurden zwischen 1930 und 1952 etwa 800.000 Menschen erschossen. Die Zahl der Opfer des Regimes liegt jedoch viel höher, da Stalins Sicherheitsapparat häufig tödliche Foltermethoden anwandte und die Bedingungen in den Arbeitslagern oft so schlimm waren, dass diese de facto zu Todeslagern wurden. Zwischen 1930 und 1952 wurden etwa 20 Millionen Menschen zur Haft in Lagern, Strafkolonien oder Gefängnissen verurteilt. Im selben Zeitraum kamen mindestens 6 Millionen Menschen in die „administrative Verbannung“, also die zwangsweise Umsiedlung in ein abgelegenes Gebiet der UdSSR, darunter insbesondere „Kulaken“ und Mitglieder „repressierter Völker“. Im Durchschnitt wurden während Stalins Herrschaft jedes Jahr mehr als eine Million Menschen inhaftiert oder in nahezu unbewohnbare Gebiete der Sowjetunion deportiert.

Natürlich waren unter ihnen viele gewöhnliche Verbrecher. Doch die außerordentliche Strenge der Gesetze und die Kriminalisierung aller Bereiche des sozioökonomischen und politischen Lebens hatten zur Folge, dass man oft auch ganz normale Bürger, die sich kleiner Delikte schuldig machten oder in einer der vielen politischen Kampagnen zum Angriffsziel wurden, zu Kriminellen erklärte. Außerdem wurden zusätzlich zu den 26 Millionen Menschen, die erschossen, inhaftiert oder in die Verbannung geschickt wurden, Dutzende Millionen zur Arbeit an schwierigen und gefährlichen Projekten gezwungen, sie wurden festgenommen und längere Zeit ohne Anklage in Haft gehalten, oder sie verloren ihren Arbeitsplatz und wurden aus ihren Häusern vertrieben weil sie mit „Volksfeinden“ verwandt waren. Insgesamt unterwarf Stalins Diktatur mindestens 60 Millionen Menschen irgendeiner Form „harter“ oder „weicher“ Repression und Diskriminierung.

Diese Zahl schließt noch nicht die Opfer der Hungersnöte ein: Allein in den Jahren 1932 und 1933 verhungerten in der Sowjetunion 5 bis 7 Millionen Menschen. Dafür verantwortlich waren größtenteils politische Entscheidungen. Um den Widerstand der Bauern gegen die Kollektivierung zu brechen, nutzte das stalinistische Regime den Hunger als Strafe für die Landbevölkerung. Sämtliche Möglichkeiten, die Hungersnot zu bekämpfen, wie zum Beispiel der Kauf von Getreide im Ausland wurden abgelehnt. Sogar in Dörfern, in denen das Elend besonders groß war, wurden noch die letzten Nahrungsmittelvorräte beschlagnahmt.

Diese Horror-Bilanz lässt den Schluss zu, dass ein erheblicher Teil der Sowjetbürger während der Stalinzeit in irgendeiner Form Opfer von Repressionen oder Diskriminierung wurde. Eine absolute Mehrheit wurde von einer privilegierten Minderheit brutal unterdrückt, wobei freilich auch viele Mitglieder der Minderheit vom Terror erfasst wurden.

Um seine Ziele zu erreichen, musste der Apparat des Regimes nicht mit der Präzision eines Uhrwerks funktionieren. Die Unfähigkeit, in dem riesigen Land eine perfekte Zentralisierung zu bewerkstelligen, wurde durch regelmäßige Kampagnen kompensiert. Sie verliefen fast alle nach einem ähnlichen Muster und waren unverzichtbarer Bestandteil der politischen Praxis des Stalinismus. Zunächst wurden bestimmte Ziele und Aufgaben festgelegt, und zwar vom Zentrum, also gewöhnlich von Stalin selbst. Danach wurde der Apparat mobilisiert, um die gesetzten Aufgaben mit extremen Methoden und unter absoluter Missachtung jeder Legalität zu erledigen. In der Folge nahmen die Kampagnen einen krisenhaften Verlauf an, an dessen Höhepunkt ein Rückzug erforderlich wurde. Dieser wurde in Form einer Gegenkampagne durchgeführt, bei der ein Teil der Funktionäre liquidiert wurde, die die ursprüngliche Kampagne durchgeführt hatten, während man zugleich die Ergebnisse der ursprünglichen Kampagne konsolidierte und die Lage wieder stabilisierte. Durch diese Pendelschwinge wurden gewaltige materielle Ressourcen und zahllose Menschenleben vernichtet. Im Kontext des stalinistischen Systems jedoch waren sie eine effektive Methode, um ein riesiges Land für ein zentrales Ziel zu mobilisieren.

Stalin mußte keine rigide Kontrolle über sämtliche Partei- und Regierungsorgane ausüben, um seine Diktatur aufrechtzuerhalten. Es reichte aus, die wichtigsten Hebel der Macht fest im Griff zu haben, vor allem die Kontrolle über die Geheimpolizei. Stalin begriff früher als andere Sowjetführer, dass der Staatssicherheitsapparat bei innerparteilichen Kämpfen ein wertvolles Instrument sein konnte. Das war ein zentraler Schlüssel zu seinem Erfolg. Nachdem er die Kontrolle über die Strafverfolgungsorgane der Sowjetunion erlangt hatte, gab er sie nie wieder ab, sondern nutzte den Staatssicherheitsapparat bis zu seinem Todestag als wichtiges Machtinstrument.“

 

Zuerst zitiert der Wurm aus dem Buch „Verratene Revolution“ von Leo Trotzki, welches auch online gelesen werden kann: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1936/verrev/index.htm

 

Sozialismus: Theorie und Praxis

 

„Der Marxismus geht aus von der Entwicklung der Technik als der Haupttriebfeder des Fortschritts und baut das kommunistische Programm auf der Dynamik der Produktivkräfte auf. Angenommen, eine kosmische Katastrophe würde über kurz oder lang unseren Planeten zerstören, so müsste man auf die kommunistische Perspektive, wie auf vieles andere verzichten. Von dieser vor der Hand noch problematischen Gefahr abgesehen, ist nicht der geringste wissenschaftliche Grund vorhanden, im voraus unseren technischen, produktiven und kulturellen Möglichkeiten irgendwelche Grenzen zu stecken. Der Marxismus ist zutiefst vom Optimismus des Fortschritts durchdrungen und – beiläufig gesagt – schon dadurch allein unversöhnlicher Gegner der Religion.

Die materielle Voraussetzung des Kommunismus muss eine so hohe Entwicklung der ökonomischen Macht des Menschen sein, dass die produktive Arbeit aufhört, Last und Mühsal zu bedeuten, und der Antreiberei nicht mehr bedarf; und die Verteilung der ständig im Überfluss vorhandenen Lebensgüter – wie heutzutage in wohlhabenden Familien oder in einer „anständigen“ Pension – keiner anderen Kontrolle bedarf als der der Erziehung, der Gewohnheit, der öffentlichen Meinung. Es gehört schon, offen gesagt, eine tüchtige Dosis Stumpfsinn dazu, diese letzten Endes bescheidene Perspektive für „utopisch“ zu halten.

Der Kapitalismus hat die Bedingungen und Kräfte für die soziale Umwälzung vorbereitet: Technik, Wissenschaft, Proletariat. Die kommunistische Ordnung kann jedoch die bürgerliche Gesellschaft nicht unmittelbar ablösen: dazu reicht das materielle und kulturelle Erbe der Vergangenheit noch keineswegs. In der ersten Zeit kann der Arbeiterstaat noch nicht einem jeden gestatten, „nach seinen Fähigkeiten“ zu arbeiten, d.h. soviel er kann und mag, noch einem jeden „nach seinen Bedürfnissen“, unabhängig von der geleisteten Arbeit, entlohnen. Im Interesse einer Steigerung der Produktivkräfte ist es erforderlich, zu den gewohnten Normen des Arbeitslohns zu greifen, d.h. zur Verteilung der Lebensgüter nach Menge und Beschaffenheit der individuellen Arbeit.

Marx nannte diese Anfangsetappe der neuen Gesellschaft die „erste Phase der kommunistischen Gesellschaft“, zum Unterschied vom höheren, wo mit den letzten Gespenstern der Not die materielle Ungleichheit verschwinden wird. Im gleichen Sinne werden oft Sozialismus und Kommunismus als das untere und obere Stadium der neuen Gesellschaft einander gegenübergestellt. „Wir sind natürlich noch nicht im vollendeten Kommunismus“, lautet die offizielle Sowjetdoktrin von heute, „dafür ist aber bei uns bereits der Sozialismus verwirklicht, d.h. das untere Stadium des Kommunismus“. Zum Beweis werden dann angeführt die Herrschaft der Staatstrusts in der Industrie, der Kolchosen in der Landwirtschaft, der Staats- und Genossenschaftsunternehmen im Handel. Auf den ersten Blick also scheinbar völliges Übereinstimmen mit Marxens apriorischem – und darum hypothetischem – Schema. Aber gerade vom Standpunkt des Marxismus erschöpft sich die Frage keineswegs mit den Eigentumsformen, unabhängig von der erreichten Arbeitsproduktivität. Unter dem unteren Stadium des Kommunismus verstand Marx jedenfalls eine Gesellschaft, die von Anfang an ihrer wirtschaftlichen Entwicklung gemäß über dem fortgeschrittenen Kapitalismus steht. Theoretisch ist diese Fragestellung einwandfrei, denn im Weltmaßstab gesehen bedeutet der Kommunismus sogar in seinem ersten Anfangsstadium eine höhere Entwicklungsstufe im Vergleich zur bürgerlichen Gesellschaft. Übrigens erwartete Marx, die sozialistische Revolution werde von den Franzosen begonnen, von den Deutschen fortgesetzt und von den Engländern abgeschlossen werden: was die Russen betrifft, so blieben sie weit zurück in der Nachhut. Doch in der Wirklichkeit kam es umgekehrt. Wer heute Marxens universalhistorische Konzeption mechanisch auf den Sonderfall UdSSR in ihrer gegenwärtigen Entwicklungsstufe anzuwenden versuchte, wird sich alsbald in unentwirrbare Widersprüche verstricken.“

 

„Sozialismus, wenn er überhaupt diesen Namen verdient, bedeutet: menschliche Beziehungen ohne Gewinnsucht, Freundschaft ohne Neid und Intrigen, Liebe ohne niedrige Berechnung. Die offizielle Doktrin erklärt diese Idealnormen um so nachdrücklicher für bereits verwirklicht, je lauter die Wirklichkeit gegen diese Behauptungen protestiert. „Auf der Grundlage der tatsächlichen Gleichheit von Mann und Frau“, sagt zum Beispiel das neue Komsomolprogramm, das im April 1936 angenommen wurde, „bildet sich die neue Familie, um deren Blühen der Sowjetstaat bemüht ist“. Ein offizieller Kommentar ergänzt das Programm „Unsere Jugend kennt bei der Wahl des Lebensgefährten – Mann oder Frau – nur ein Motiv, einen Trieb: die Liebe. Die bürgerliche Interessen- oder Geldheirat existiert für unsere heranwachsende Generation nicht“ (Prawda, 4. April 1936). Soweit von einfachen Arbeitern und Arbeiterinnen die Rede ist, ist dies mehr oder weniger wahr. Aber die „Interessenheirat“ ist auch bei den Arbeitern der kapitalistischen Länder verhältnismäßig wenig im Brauch. Ganz anders steht die Sache bei den mittleren und höheren Schichten. Die neuen sozialen Gruppierungen unterwerfen sich automatisch das Gebiet der persönlichen Beziehungen. Die Laster, die von Macht und Geld um die sexuellen Beziehungen geschaffen werden, blühen in den Kreisen der Sowjetbürokratie so üppig, als hätte sie sich in dieser Hinsicht zum Ziel gesetzt, die Bourgeoisie des Westens zu überholen.

Ganz im Widerspruch zu der soeben zitierten Behauptung der Prawda ist die „Interessenheirat“, wie die Sowjetpresse selber in Stunden zufälliger oder erzwungener Offenheit es zugibt, heute im vollen Umfange wiedererstanden. Befähigung, Verdienst, Stellung, Zahl der Tressen an der Militäruniform erlangen immer größere Bedeutung, denn damit verbunden sind Fragen wie Schuhe, Pelz, Wohnung, Badezimmer und höchster aller Träume – das Auto. Einzig und allein der Kampf ums Zimmer vereint und trennt täglich in Moskau keine geringe Anzahl Paare. Zu außerordentlicher Bedeutung gelangte die Verwandtenfrage: es ist nützlich, einen Militärkommandeur oder einflussreichen Kommunisten zum Schwiegervater oder die Schwester eines hohen Beamten zur Schwiegermutter zu haben. Soll man sich darüber wundern? Könnte dem anders sein?“

 

Ökonomisches Abenteurertum

 

„Die Geschichte des Sowjetgeldsystems ist nicht bloß die Geschichte der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Erfolge und Misserfolge, sondern auch eine Geschichte der Zickzacks des bürokratischen Denkens …

Auf dem Höhepunkt seines ökonomischen Abenteurertums versprach Stalin, die NEP, d.h. die Marktverhältnisse, „zum Teufel“ zu jagen. Die ganze Presse schrieb genau wie 1918 über die endgültige Ersetzung des Kaufs und Verkaufs durch die „unmittelbare sozialistische Verteilung“, als deren äußeres Zeichen die Lebensmittelkarte bezeichnet wurde. Zu gleicher Zeit wurde die Inflation als eine dem Sowjetsystem überhaupt fremde Erscheinung kategorisch geleugnet.“

 

„Die strengsten Vorschriften betreffs wirtschaftlicher Berechnung, Qualität, Gestehungskosten und Leistung hingen in der Luft. Das hinderte die Führer nicht im geringsten, alle wirtschaftlichen Misserfolge aus böswilliger Nichtbefolgung der sechs stalinschen Rezepte zu erklären. Die vorsichtigste Anspielung auf die Inflation galt als Staatsverbrechen. Mit derselben Aufrichtigkeit beschuldigten die Machthaber zuweilen die Schullehrer wegen Nichtbeachtung der Hygienevorschriften, ihnen dabei gleichzeitig verbietend, auf das Fehlen von Seife hinzuweisen.“

 

„Der Geschichtsschreiber der Sowjetunion wird um den Schluss nicht umhin kommen, dass die Politik der herrschenden Bürokratie in den großen Fragen eine Reihe von sich widersprechenden Zickzacks darstellte. Versuche, diese mit „wechselnden Umständen“ zu erklären oder zu rechtfertigen, sind offensichtlich haltlos. Führen heißt wenigstens in gewissem Grade voraussehen. Stalins Fraktion hat nicht im mindesten die unvermeidlichen Resultate der Entwicklung vorhergesehen, die ihr jedes Mal über den Kopf wuchsen. Sie reagierte darauf mit administrativen Reflexen. Die Theorie ihrer jeweiligen Wendung schuf sie nachträglich, ohne sich viel darum zu kümmern, was sie am Tage zuvor lehrte.“

 

„Zeit ist durchaus kein zweitrangiger Faktor, wo es sich um einen geschichtlichen Prozess handelt: Gegenwart und Zukunft verwechseln, ist in der Politik weitaus gefährlicher als in der Grammatik.“

 

Landwirtschaft

 

„In der Landwirtschaft verursachte die Inflation nicht weniger Schaden. In der Periode, wo die Bauernpolitik noch auf den Farmer orientiert war, wurde angenommen, dass die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft auf der Grundlage der NEP sich im Verlauf von Jahrzehnten vermittels des Genossenschaftswesens vollziehen werde. Das Genossenschaftswesen sollte nacheinander die Einkaufs-, Absatz- und Kreditfunktionen erfassen und schließlich auch die Produktion selbst vergesellschaften. Das Ganze nannte sich „Lenins Genossenschaftsplan“. Die wirkliche Entwicklung ging, wie wir wissen, einen ganz anderen, eher entgegengesetzten Weg, den der gewaltsamen Entkulakisierung und der totalen Kollektivierung. Von allmählicher Vergesellschaftung der einzelnen Wirtschaftsfunktionen in dem Masse, wie die materiellen und kulturellen Bedingungen dafür reif würden, war keine Rede mehr. Die Kollektivierung erfolgte in einer Weise, als handle es sich um die sofortige Verwirklichung des kommunistischen Regimes in der Landwirtschaft.

Die unmittelbare Folge war nicht nur die Vertilgung von mehr als der Hälfte des lebendigen Inventars, sondern, was noch wichtiger ist, eine völlige Gleichgültigkeit der Kolchosbauern gegenüber dem vergesellschafteten Eigentum und den Resultaten der eigenen Arbeit. Die Regierung trat einen ungeordneten Rückzug an. Die Bauern erhielten wieder Hühner, Schweine, Schafe und Kühe in persönlichen Besitz. Das beim Haus liegende Land wurde ihnen zurückerstattet. Der Film der Kollektivierung rollte umgekehrt ab.“

 

„Die Regierung versuchte, die Sache so darzustellen, als sei der Kornstreik hervorgerufen durch die nackte Feindseligkeit des Kulaken (woher kommt nur mit einem Mal der Kulak?) gegen den sozialistischen Staat, d.h. durch politische Motive allgemeiner Art. Aber zu solchem „Idealismus“ ist der Kulak wenig geneigt. Wenn er sein Getreide versteckte, so weil es unvorteilhaft war, es zu verkaufen. Aus demselben Grunde gelang es ihm, breite Kreise des Dorfes unter seinen Einfluss zu bringen. Bloße Repressalien gegen die Kulakensabotage waren daher sichtlich unzulänglich: notwendig war eine Änderung der Politik. Jedoch durch Schwanken ging noch viel Zeit verloren.“

 

„Um die Stadt zu ernähren, galt es schleunigst beim Kulaken das tägliche Brot zu holen. Das konnte nur mit Gewalt geschehen. Die Expropriation der Kornvorräte, und zwar nicht nur beim Kulaken, sondern auch beim Mittelbauern, hieß in der offiziellen Sprache „außerordentliche Maßnahmen“. Das sollte bedeuten, dass morgen alles ins alte Geleise zurückkehren werde. Doch das Dorf traute den guten Worten nicht, und hatte recht darin. Die Zwangsbeschlagnahme des Korns nahm den wohlhabenden Bauern die Lust zur Erweiterung der Aussaat. Der Landarbeiter und der arme Bauer waren ohne Arbeit. Die Landwirtschaft stak wiederum in der Sackgasse, und mit ihr der Staat.“

 

„Vom Radikalismus der eigenen Wendung selbst überrumpelt, vermochte oder verstand es die Regierung nicht einmal, die elementarste politische Vorbereitung auf den neuen Kurs zustande zu bringen. Nicht nur die Bauernmassen, sondern auch die lokalen Behörden wussten nicht, was man von ihnen eigentlich wollte. Die Bauernschaft war bis zur Weißglut erhitzt durch Gerüchte. Vieh und Habe sollen dem Fiskus anheimfallen. Dies Gerücht war gar nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt. Tatsächlich erfüllte sich genau die Karikatur, die man sich seinerzeit von der linken Opposition gemacht hatte: die Bürokratie „plünderte das Dorf“. Die Kollektivierung stellte sich dem Bauern vor allem als eine Expropriation all seiner Habe dar. Man vergesellschaftete Pferde, Kühe, Schafe, Schweine, ja selbst Küken, „man entkulakisierte“ – wie ein Augenzeuge ins Ausland schrieb – „alles bis zu den Filzstiefeln, die man den kleinen Kindern von den Füßen zog“. Ergebnis: die Bauern verkauften ihr Vieh in Massen zu Schleuderpreisen oder schlachteten es ab, um Fleisch und Häute daraus zu machen.

Im Januar 1930 entwarf Andrejew, Mitglied des Zentralkomitees. auf dem Moskauer Kongress folgendes Bild von der Kollektivierung: einerseits wird die sich mächtig über das ganze Land ausbreitende Kolchosbewegung „jetzt auf ihrem Wege alle und jede Schranken niederreißen“, andererseits nimmt der räuberische Ausverkauf des eigenen Inventars, des Viehs und sogar des Saatkorns durch die Bauern vor dem Eintritt in die Kolchosen „geradezu bedrohliche Ausmaße an“ ... Wie widersprechend diese beiden nebeneinander aufgestellten Verallgemeinerungen auch sind, kennzeichnen sie doch von den zwei verschiedenen Seiten her richtig den epidemischen Charakter der Kollektivierung als einer Verzweiflungsmaßnahme. „Die vollständige Kollektivierung“, schrieb der zitierte kritische Beobachter, „schleuderte die Volkswirtschaft in einen Zustand lange nicht mehr da gewesener Zerrüttung: es war, als habe ein dreijähriger Krieg gewütet.“

Fünfundzwanzig Millionen isolierter Bauernegoismen, gestern noch die einzigen Triebkräfte der Landwirtschaft – schwach zwar wie der Klepper des Muschiks, aber doch Triebkräfte –‚ versuchte die Bürokratie mit einem Federstrich durch das Kommando von zweihunderttausend Kolchosverwaltungen zu ersetzen, ohne technische Mittel, ohne agronomische Kenntnisse und ohne Stütze in der Landbevölkerung selbst. Die verheerenden Folgen dieses Abenteurertums blieben nicht aus und erstreckten sich über mehrere Jahre. Der Gesamtertrag der Getreidekulturen, der 1930 835 Millionen Zentner ausmachte, sank in den folgenden zwei Jahren auf unter 700 Millionen. Der Unterschied sieht an sich nicht katastrophal aus, bedeutete aber den Ausfall eben der Getreidemenge, welche die Städte brauchten, wenigstens bis zur Gewöhnung an die Hungernorm. Noch schlimmer war es mit den technischen Kulturen bestellt. Vor der Kollektivierung hatte die Zuckergewinnung fast 109 Millionen Pud erreicht, um dann nach zwei Jahren im Hochbetrieb der restlosen Kollektivierung wegen Mangel an Rüben auf 48 Millionen Pud zu fallen, d.h. auf weniger als die Hälfte. Doch am verwüstendsten tobte der Orkan im ländlichen Tierreich. Die Zahl der Pferde sank um 55%: von 34,6 Millionen im Jahre 1929 auf 15,6 Millionen im Jahre 1934; das Hornvieh von 30,7 Millionen auf 19,5 d.h. um 40%; die Zahl der Schweine um 55%, die der Schafe um 66%. Wie viel Menschen vor Hunger, Kälte, Seuchen und Repressalien umkamen, ist leider nicht mit derselben Genauigkeit festgestellt worden wie der Viehverlust, aber auch sie zählen nach Millionen. Die Schuld für diese Opfer trifft nicht die Kollektivierung, sondern die blinden Hasard- und Gewaltmethoden der Durchführung. Die Bürokratie hatte nichts vorausgesehen. Selbst das Kolchosenstatut, welches das persönliche Interesse des Bauern mit dem kollektiven zu verknüpfen suchte, wurde erst veröffentlicht, als das unglückliche Dorf von der grausamen Verwüstung bereits heimgesucht war.

Der forcierte Charakter des neuen Kurses war aus der Notwendigkeit entstanden, sich vor den Folgen der Politik von 1923-1928 zu retten. Dennoch hätte die Kollektivierung in vernünftigerem Tempo und planmäßigeren Formen geschehen können und sollen. Herrin der Macht und der Industrie, hätte die Bürokratie den Kollektivierungsprozess regulieren können, auch ohne das Land an den Rand der Katastrophe zu bringen.“

 

Wer nicht gehorcht, soll nicht essen

 

„Seit zwölf Jahren verkündete die Regierung der Welt Dutzende von Malen die endgültige Ausrottung der Opposition. Aber während der „Säuberung“, die in den letzten Monaten des Jahres 1935 und der ersten Hälfte des Jahres 1936 stattfand, wurden erneut Hunderttausende von Parteimitgliedern ausgeschlossen. darunter einige zehntausend „Trotzkisten“. Die aktivsten wurden auf der Stelle verhaftet und in Gefängnisse und Konzentrationslager geworfen. Was die anderen betrifft, hat Stalin durch die Prawda den Lokalbehörden offen vorgeschrieben, ihnen keine Arbeit zu geben. In einen Lande. wo der Staat der einzige Arbeitgeber Ist, bedeutet diese Maßnahme den langsamen Hungertod. Der alte Grundsatz: „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ ist durch einen neuen ersetzt: „wer nicht gehorcht, soll nicht essen.“ Wie viel Bolschewiki seit 1923, dem Beginn der bonapartistischen Ära, ausgeschlossen, verhaftet, verbannt, ausgerottet wurden, das werden wir erst erfahren, wenn wir die Archive der politischen Polizei Stalins durchstöbern werden. Wie viel sich illegal gehalten haben, das wird sich zeigen, wenn der Zusammenbruch der Bürokratie beginnen wird.

Was können 20-30.000 Oppositionelle bedeuten bei einer Partei von zwei Millionen? Die nackte Gegenüberstellung der Zahlen sagt in dieser Frage gar nichts. Ein Dutzend Revolutionäre in einem Regiment genügt, um es in einer heißen politischen Atmosphäre auf die Seite des Volkes zu ziehen. Nicht von ungefähr fürchten die Stäbe auf den Tod die kleinen illegalen Zirkel, ja selbst Einzelgänger.“

 

Bürokratie

 

Anfänge und Warnungen

 

„Die gesellschaftliche Nachfrage nach einer Bürokratie entsteht immer dann, wenn scharfe Gegensätze vorhanden sind, die es zu „lindern“, „beizulegen“, zu „schlichten“ gilt (immer im Interesse der Privilegierten und Besitzenden und immer zum Vorteil der Bürokratie selber). Alle bürgerlichen Revolutionen, wie demokratisch sie auch waren, bewirkten eine Verstärkung und Vervollkommnung des bürokratischen Apparats.

„Beamtentum und stehendes Heer“, schreibt Lenin, „das sind die ‚Schmarotzer‘ am Leib der bürgerlichen Gesellschaft; Schmarotzer, die aus den inneren Widersprüchen, die diese Gesellschaft zerklüften, entstanden sind, aber eben Parasiten, die die Lebensporen ‚verstopfen‘.“

Seit 1917, d. h. von dem Augenblick an, als die Machteroberung sich der Partei als praktisches Problem stellte, war Lenin ununterbrochen mit Gedanken über die Liquidierung der „Parasiten“ beschäftigt. Nach dem Sturz der Ausbeuterklassen – so wiederholt und erläutert er in jedem Kapitel von Staat und Revolution – wird das Proletariat die alte bürokratische Maschine zerbrechen und seinen eigenen Apparat aus Arbeitern und Angestellten bilden, wobei

„gegen deren Verwandlung in Bürokraten man sofort die von Marx und Engels eingehend untersuchten Maßnahmen treffen wird: 1. nicht nur Wählbarkeit, sondern auch jederzeitige Absetzbarkeit; 2. eine den Arbeiterlohn nicht übersteigende Bezahlung; 3. sofortiger Übergang dazu, dass alle die Funktionen der Kontrolle und Aufsicht verrichten, dass alle eine Zeitlang „Bürokraten“ werden, so dass daher niemand zum Bürokraten werden kann“. Man soll nicht meinen, dass es sich bei Lenin um eine Jahrzehnte erfordernde Aufgabe gehandelt hätte, nein, dies ist der erste Schritt, mit dem man „bei der Durchführung der proletarischen Revolution beginnen kann und muss.““

 

„Scheiterte der anfängliche Versuch, einen vom Bürokratismus gereinigten Staat zu schaffen, vor allem an der Ungewohntheit der Massen zur Selbstverwaltung, am Mangel an dem Sozialismus ergebenen qualifizierten Parteiarbeitern, so tauchten schon sehr bald hinter diesen unmittelbaren Schwierigkeiten andere, tiefere auf. Die Reduzierung des Staates auf die Funktionen eines „Revisors und Kontrolleurs“, bei ständiger Verminderung der Zwangsfunktion, wie sie das Programm fordert, setzt das Vorhandensein wenigstens einem verhältnismäßigen allgemeinen Wohlstand voraus. Gerade diese notwendige Voraussetzung fehlte. Die Hilfe aus dem Westen kam nicht. Die Macht der demokratischen Sowjets erwies sich als lästig, ja unerträglich, als es galt, die für Verteidigung, Industrie, Technik und Wissenschaft nötigsten privilegierten Gruppen zu versorgen. Auf Grund dieser durchaus nicht „sozialistischen“ Operation: zehnen wegnehmen, um einem zu geben, kam es zur Absonderung und Vermehrung einer mächtigen Kaste von Spezialisten der Futterkrippe.

Wie und warum jedoch führten die ungeheuren Wirtschaftserfolge der letzten Zeit nicht zur Linderung, sondern vielmehr Verschärfung der Ungleichheit und damit zu weiterem Anwachsen des Bürokratismus, der heute aus einer „Perversion“ zum Verwaltungssystem geworden ist? Bevor wir auf diese Frage zu antworten versuchen, müssen wir hören, was die autoritativen Führer der Sowjetbürokratie von ihrem eigenen Regime halten …

Sozialismus ist planmäßige Produktionsordnung zwecks bestmöglicher Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse, sonst verdient er diesen Namen nicht. Wenn die Kühe vergesellschaftet sind, ihrer aber zu wenig oder ihre Euter zu schlaff sind, dann entstehen wegen der fehlenden Milch Konflikte: zwischen Stadt und Land, zwischen Kolchosen und Einzelbauern, zwischen den verschiedenen Schichten des Proletariats, zwischen allen Werktätigen und der Bürokratie. Ja, gerade die Vergesellschaftung der Kühe führte die Bauern dazu, sie massenweise abzuschlachten. Die aus der Not entstandenen sozialen Konflikte können ihrerseits zur Wiederauferstehung „der ganzen alten Scheiße“ führen. Das war der Sinn unserer Antwort.“

 

Stalin wird gesucht und gefunden

 

„Vielmehr umgekehrt: gerade weil das in vieler Beziehung noch rückständige russische Proletariat in wenigen Monaten den in der Geschichte unerhörten Sprung von einer halbfeudalen Monarchie zur sozialistischen Diktatur vollbrachte, musste die Reaktion in seinen eigenen Reihen unvermeidlich zu ihrem Recht kommen. Sie wuchs in einer Reihe aufeinanderfolgender Kriege. Äußere Bedingungen und Ereignisse nährten sie um die Wette. Intervention folgte auf Intervention. Vom Westen her kam keine direkte Hilfe. Statt des erhofften Wohlergehens trat bitterste Not auf lange Zeit im Lande die Herrschaft an. Außerdem waren die hervorragendsten Vertreter der Arbeiterklasse entweder im Bürgerkrieg umgekommen, oder sie hatten sich um einige Grade über die Massen erhoben und von ihnen losgelöst. So folgte auf eine beispiellose Anspannung der Kräfte, Hoffnungen und Illusionen eine lange Periode der Müdigkeit, Niedergeschlagenheit und direkter Enttäuschung über die Resultate des Umsturzes. Das Verebben des „plebejischen Stolzes“ machte einer Flut des Kleinmuts und des Strebertums Platz. Auf dieser Welle schwang sich eine neue kommandierende Schicht empor.

Eine nicht geringe Rolle bei der Herausbildung der Bürokratie spielte die Demobilmachung der fünfmillionenköpfigen Roten Armee: die siegreichen Kommandeure besetzten die leitenden Posten in den lokalen Sowjets, in der Wirtschaft, im Schulwesen und führten überall mit Nachdruck das Regime ein, dem die Siege des Bürgerkriegs zu verdanken waren. So wurden die Massen allenthalben allmählich von der faktischen Beteiligung an der Leitung des Landes ausgeschaltet.

Die innere Reaktion im Proletariat erzeugte eine außerordentliche Flut von Hoffnungen und Selbstvertrauen in den kleinbürgerlichen Schichten von Stadt und Land, die durch die NEP zu neuem Leben erwacht waren und immer dreister den Kopf hoben. Die junge Bürokratie, ursprünglich als Agentur des Proletariats entstanden, begann sich nun als Schiedsrichter zwischen den Klassen zu fühlen. Ihre Selbständigkeit nahm von Monat zu Monat zu.“

 

„Es wäre naiv zu meinen, dass der den Massen unbekannte Stalin plötzlich, mit einem fertigen strategischen Plan versehen, aus den Kulissen hervorgetreten sei. Nein, bevor er seinen Weg aufspürte, spürte die Bürokratie ihn selbst auf. Stalin bot ihr alle nötigen Garantien: Prestige eines alten Bolschewiken, starken Charakter, engen Horizont und unzerreißbare Bande mit dem Apparat, der einzigen Quelle seines eigenen Einflusses. Der Erfolg, der ihm zuteil wurde, kam für ihn selbst anfangs ganz unerwartet. Das war der freundliche Widerhall der neuen herrschenden Schicht, die sich von den alten Grundsätzen und von der Massenkontrolle zu befreien trachtete und für ihre internen Angelegenheiten einen verlässlichen Schiedsrichter brauchte. Im Hinblick auf die Massen und die Revolutionsereignisse eine zweitrangige Figur, offenbarte sich Stalin als unumstrittener Führer der thermidorianischen Bürokratie, als Erster in ihrer Mitte.

Bald kamen bei der herrschenden Schicht die eigenen Ideen, Gefühle und, was noch wichtiger ist, ihre Interessen zum Vorschein. Die überwiegende Mehrheit der alten Generation der heutigen Bürokratie stand während der Oktoberrevolution auf der anderen Seite der Barrikade (man nehme zum Beispiel nur die Sowjetgesandten: Trojanowski, Maiski, Potemkin, Suriz, Tschintschuk usw.), oder hielt sich bestenfalls abseits vom Kampf. Diejenigen Führer von heute, die sich in den Oktobertagen im Lager der Bolschewiki befanden, spielten in ihrer Mehrzahl keine irgendwie bedeutende Rolle. Was die jungen Bürokraten betrifft, so sind sie von den alten ausgewählt und erzogen, nicht selten sind es ihre eigenen Sprösslinge. Diese Leute hätten die Oktoberrevolution nicht vollbringen können. Aber sie erwiesen sich als am besten geeignet, sie auszubeuten …

Die Bürokratie hat nicht nur die linke Opposition besiegt. Sie besiegte die bolschewistische Partei. Sie siegte über das Programm Lenins, der die Hauptgefahr in der Umwandlung der Staatsorgane „aus Dienern der Gesellschaft in Herren der Gesellschaft“ erblickte. Sie siegte über all diese Feinde – die Opposition, die Partei und Lenin – nicht mit Ideen und Argumenten. sondern durch ihr eigenes soziales Schwergewicht. Das bleierne Hinterteil der Bürokratie wog schwerer als der Kopf der Revolution. Das ist des Rätsels Lösung in der Frage des Sowjetthermidors.“

 

„Hätte der neue Staat keine anderen Interessen als die der Gesellschaft, so würde das Absterben der Zwangsfunktionen allmählich und schmerzlos erfolgen. Aber der Staat ist nicht körperlos. Die spezifischen Funktionen schufen spezifische Organe. Die Bürokratie als Ganzes genommen ist nicht so sehr um die Funktion besorgt als um den Tribut, den diese Funktion ihr einträgt. Die befehligende Kaste ist bemüht, die Zwangsorgane zu befestigen und zu verewigen. Um ihre Macht und ihre Einkünfte zu sichern, schont sie nichts und niemanden.

Je mehr der Gang der Entwicklung sich gegen sie richtet, um so schonungsloser springt sie mit den fortgeschrittensten Elementen des Volkes um. Wie die katholische Kirche stellte sie das Dogma der Unfehlbarkeit in ihrer Niedergangsperiode auf, aber dafür hob sie es gleich auf eine Höhe, wie sie sich der römische Papst nicht träumen lassen darf.

Die immer aufdringlichere Vergottung Stalins bildet, so karikiert sie ist, einen unerlässlichen Bestandteil des Regimes. Die Bürokratie braucht einen unantastbaren obersten Schiedsrichter, einen Ersten Konsul, wenn nicht einen Kaiser, und sie erhebt auf ihren Schultern den, der ihren Herrschaftsansprüchen am meisten entspricht. Die „Charakterstärke“ des Führers, die die literarischen Dilettanten des Westens so begeistert, resultiert in Wirklichkeit aus dem kollektiven Druck einer Kaste, die zu allem bereit ist, nur um sich selbst zu behaupten. Jedes ihrer Mitglieder auf seinem Posten meint: „Der Staat bin ich!“ In Stalin finden sie ohne Mühe sich selbst. Doch auch Stalin entdeckt in jedem von ihnen ein Partikel seines Geistes. Stalin ist die personifizierte Bürokratie, und das macht seine politische Persönlichkeit aus.“

 

Niedergang der Partei

 

„Das Regime der bolschewistischen Partei, besonders vor dem Machtantritt, war somit das direkte Gegenteil von dem Regime der heutigen Kominternsektionen mit ihren von oben ernannten „Führern“, die auf Kommando Kehrt machen, mit ihrem unkontrollierten Apparat, hochnäsig gegenüber der Basis und kriecherisch vor dem Kreml. Aber auch noch in den ersten Jahren nach der Machteroberung, als die Partei bereits vom administrativen Rost befallen war, hätte jeder Bolschewik, Stalin nicht ausgenommen, denjenigen einen bösartigen Verleumder geziehen, der ihm das Bild, das die Partei in zehn bis fünfzehn Jahren bieten sollte, an die Wand gemalt hätte!“

 

„Gleichzeitig mit der Theorie vom Sozialismus in einem Lande wurde für die Bürokratie die Theorie in Umlauf gesetzt, dass im Bolschewismus das Zentralkomitee alles, und die Partei nichts sei. Die zweite Theorie wurde jedenfalls mit mehr Erfolg verwirklicht als die erste. Sich Lenins Tod zunutze machend, rief die regierende Gruppe zum „Lenin-Aufgebot“. Die Tore der Partei, sonst so sorgfältig gehütet, wurden jetzt sperrangelweit geöffnet: Arbeiter, Angestellte, Beamte strömten in Massen herein. Die politische Absicht war, die revolutionäre Vorhut aufzulösen in menschliches Rohmaterial ohne Erfahrung, ohne Selbständigkeit, aber von altersher gewohnt, sich der Obrigkeit zu unterwerfen. Das Vorhaben gelang. Indem das „Lenin-Aufgebot“ die Bürokratie von der Kontrolle durch die proletarische Vorhut befreite, versetzte es Lenins Partei den Todesstoß. Der Apparat hatte sich die notwendige Unabhängigkeit erkämpft. Der demokratische Zentralismus machte bürokratischem Zentralismus Platz. Der Parteiapparat selbst wird nunmehr von oben bis unten radikal umgekrempelt. Als Haupttugend des Bolschewiken gilt der Gehorsam. Unter der Fahne des Kampfes gegen die Opposition findet eine Ersetzung der Revolutionäre durch Beamte statt. Die Geschichte der bolschewistischen Partei wird zur Geschichte ihrer raschen Entartung.“

 

„Die Mitglieder des heutigen Politbüros nahmen in der Geschichte der bolschewistischen Partei zweitrangige Stellen ein. Wenn in den ersten Jahren der Revolution jemand ihren künftigen Aufstieg vorhergesagt hätte, sie selbst würden sich darüber als erste gewundert haben, und in dieser Verwunderung hätte keine falsche Bescheidenheit gelegen. Um so unerbittlicher waltet heute die Regel, dass das Politbüro immer recht hat, und jedenfalls niemand gegen das Politbüro recht haben kann. Aber auch das Politbüro selber kann nicht recht haben gegen Stalin, der sich nicht irren und folglich nicht gegen sich selbst recht haben kann …

Von der Parteidemokratie blieben nur die Erinnerungen im Gedächtnis der älteren Generation. Mit ihr versank die Demokratie der Sowjets, Gewerkschaften, Genossenschaften, Kultur- und Sportorganisationen in die Vergangenheit. Über alles und alle herrscht uneingeschränkt die Hierarchie der Parteisekretäre. Das Regime wurde „totalitär“ schon mehrere Jahre, bevor dies Wort aus Deutschland überkam. „Mit Hilfe demoralisierender Methoden, die denkende Kommunisten in Maschinen verwandeln, Willen, Charakter, menschliche Würde ertöten“, schrieb Rakowski 1928 „konnte die Spitze sich in eine unabsetzbare und unantastbare Oligarchie verwandeln und sich selbst an die Stelle der Klasse und der Partei setzen“. Seitdem diese entrüsteten Zeilen geschrieben wurden, ist die Entartung noch unsäglich weiter fortgeschritten. Die GPU wurde der ausschlaggebende Faktor im inneren Leben der Partei. Wenn Molotow im März 1936 sich vor einem französischen Journalisten rühmen konnte, dass die herrschende Partei keine Fraktionskämpfe mehr kennt, so nur dank der Tatsache, dass die Meinungsverschiedenheiten heutzutage durch automatisches Eingreifen der politischen Polizei entschieden werden. Die alte bolschewistische Partei ist tot, und keine Kraft wird sie wieder zum Leben erwecken.“

 

„Parallel zur politischen Entartung der Partei verlief eine moralische Verfaulung des unkontrollierten Apparats. Das Wort „Sowbur“ – Sowjetbourgeois – als Bezeichnung für den privilegierten Würdenträger ging schon sehr früh in den Wortschatz der Arbeiter ein. Seit dem Übergang zur NEP gewannen die bürgerlichen Tendenzen stark an Boden. Auf dem 11. Parteikongress im März 1922 warnte Lenin vor der Gefahr der Entartung der regierenden Schicht. Es geschah nicht selten in der Geschichte, sagte er, dass der Sieger die Kultur des Besiegten übernahm, wenn dieser auf einem höheren Niveau stand. Die Kultur der russischen Bourgeoisie und Bürokratie war freilich armselig. Aber ach, die neue herrschende Schicht steht selbst dieser Kultur oft nach. „...4.700 verantwortliche Kommunisten“ lenken in Moskau die Staatsmaschine. „...wer leitet da und wer wird geleitet? Ich bezweifle sehr, ob man sagen könnte, die Kommunisten ... leiten...“ Auf den weiteren Kongressen konnte Lenin schon nicht mehr auftreten. Doch all sein Denken in den letzten Monaten seines aktiven Lebens war darauf gerichtet, die Arbeiter gegen die Bedrückung, Willkür und Verfaulung der Bürokratie zu warnen und zu wappnen. Dabei war es ihm nur gegeben, die ersten Krankheitserscheinungen zu beobachten.

Ch. Rakowski, ehemaliger Vorsitzender des Rats der Volkskommissare in der Ukraine, später Sowjetgesandter in London und Paris, sandte 1928, als er sich bereits in Verbannung befand, den Freunden eine kleine Untersuchung über die Sowjetbürokratie, die wir weiter oben einige Male zitiert haben, weil sie jetzt noch das beste bleibt, was zu dieser Frage geschrieben wurde.

„In Lenins und unser aller Vorstellungen“, schreibt Rakowski, „bestand die Aufgabe der Parteiführung gerade darin, die Partei sowohl wie die Arbeiterklasse vor der zersetzenden Wirkung der Privilegien, der Vorteile und Vergünstigungen zu bewahren, die die Macht durch ihre Berührung mit den Resten des alten Adels und des Bürgertums, durch den zersetzenden Einfluss der NEP und die Verführungen durch bourgeoise Sitten und ihre Ideologie mit sich bringt ... Man muss offen, laut und deutlich sagen, dass der Parteiapparat diese seine Aufgabe nicht erfüllt hat, dass er sich für diese seine zweifache Schutz- und Erzieherrolle völlig unfähig gezeigt hat, dass er durchgefallen, Bankrott ist.“ …

Die Machteroberung verändert nicht nur das Verhältnis des Proletariats zu den anderen Klassen, sondern auch seine eigene innere Struktur. Die Machtausübung wird Spezialität einer bestimmten sozialen Gruppierung, die mit um so größerer Ungeduld ihre eigene „soziale Frage“ zu lösen bestrebt ist, je höher ihre Meinung von ihrer Mission ist.

„Im proletarischen Staat, in dem wo kapitalistische Akkumulation den Mitgliedern der herrschenden Partei untersagt ist, erscheint die genannte Differenzierung zunächst eine funktionale, verwandelt sich aber dann in eine soziale. Ich sage nicht: klassenmäßige, sondern soziale Differenzierung“. Rakowski erklärt: „...die soziale Lage eines Kommunisten, der über ein Automobil, eine schöne Wohnung verfügt, geregelten Urlaub hat, und das Parteimaximum erhält, sich von der Lage dessen unterscheidet, der ebenso Kommunist ist, aber in den Kohlengruben arbeitet, wo er monatlich 50-60 Rubel verdient“.“

 

Krake

 

„Grundlage des bürokratischen Kommandos ist die Armut der Gesellschaft an Verbrauchsgegenständen mit dem daraus entstehenden Kampf aller gegen alle. Wenn genug Waren im Laden sind, können die Käufer kommen, wann sie wollen. Wenn die Waren knapp sind, müssen die Käufer Schlange stehen. Wenn die Schlange sehr lang wird, muss ein Polizist für Ordnung sorgen. Das ist der Ausgangspunkt für die Macht der Sowjetbürokratie. Sie „weiß“, wem sie zu geben, und wer zu warten hat.

Die Erhöhung des materiellen und kulturellen Niveaus müsste auf den ersten Blick die Notwendigkeit von Privilegien verringern, das Anwendungsgebiet des „bürgerlichen Rechts“ verengen und damit seiner Schützerin, der Bürokratie, den Boden entziehen. In Wirklichkeit geschah das Umgekehrte: das Wachstum der Produktivkräfte verursachte bisher eine extreme Entwicklung aller Formen der Ungleichheit, Privilegien und Vorteile, und damit auch des Bürokratismus. Und auch das nicht zufällig.

In seiner ersten Periode war das Sowjetregime zweifellos viel gleichmacherischer und viel weniger bürokratisch als heute. Doch das war das Gleichmachertum der allgemeinen Not. Die Mittel des Landes waren so dürftig, dass für die Absonderung irgendwie breiterer privilegierter Schichten aus der Masse keine Möglichkeit vorhanden war. Gleichzeitig damit ertötete der „gleichmacherische“ Charakter des Arbeitslohns die persönliche Interessiertheit und wurde so zu einer Bremse für die Entwicklung der Produktivkräfte. Die Sowjetwirtschaft musste aus ihrer Armut herauskommen und eine etwas höhere Stufe erklimmen, damit der Fettansatz, – die Privilegien – möglich wurde. Der heutige Stand der Produktion ist noch sehr weit davon entfernt, alle mit allem Notwendigen versehen zu können. Aber er reicht schon aus, um einer Minderheit erhebliche Privilegien zu gewähren und die Ungleichheit in eine Knute zur Anpeitschung der Mehrheit zu verwandeln. Das ist der erste Grund, warum das Wachsen der Produktion bisher nicht die sozialistischen, sondern bürgerlichen Züge des Staates stärkte.

Es ist dies aber nicht der einzige Grund. Neben dem ökonomischen Faktor, der im gegenwärtigen Stadium kapitalistische Arbeitsentgeltsmethoden vorschreibt, wirkt parallel ein politischer Faktor in Gestalt der Bürokratie selbst. Ihrem eigentlichen Wesen nach ist sie Stifterin und Erhalterin der Ungleichheit. Sie entsteht von Anfang an als bürgerliches Organ des Arbeiterstaats. Während sie die Vorteile der Minderheit einführt und beschützt, schöpft sie selbstredend den Rahm für sich selber ab. Wer Güter verteilt, ist noch nie zu kurz gekommen. So erwächst aus dem sozialen Bedürfnis ein Organ, das die gesellschaftlich notwendige Funktion weit überragt, zu einem selbständigen Faktor und damit zur Quelle großer Gefahren für den gesamten Organismus der Gesellschaft wird.

Der soziale Sinn des Sowjetthermidor beginnt uns jetzt klar zu werden. Armut und kulturelle Rückständigkeit der Massen verkörperten sich noch einmal in der Schreckensgestalt des Gebieters mit großem Knüttel in der Hand. Die abgesetzte und geschmähte Bürokratie wurde aus dem Diener der Gesellschaft wieder ihr Herr. Auf diesem Wege hat sie eine solche soziale und moralische Entfremdung von den Volksmassen erreicht, dass sie bereits keine Kontrolle weder ihrer Taten noch ihrer Einkünfte mehr dulden kann.“

 

Anzahl

 

„Diese ganze Schicht, die nicht unmittelbar produktive Arbeit leistet, sondern leitet, anordnet, befiehlt, Gnaden austeilt und straft – die Lehrer und Gelehrten lassen wir beiseite – ist auf fünf bis sechs Millionen Personen zu schätzen. Diese Summenangabe erhebt, ebenso wie die sie zusammensetzenden Ziffern, keinesfalls auf Genauigkeit Anspruch; sie taugt aber immerhin als eine erste Annäherung. Sie gestattet, sich davon zu überzeugen, dass die „Generallinie“ der Führung keineswegs körperloser Geist ist.

In ihren verschiedenen Stockwerken ist die kommandierende Schicht, in der Richtung von unten nach oben, mit Kommunisten im Maße von 20 bis zu 90% durchsetzt. In der Gesamtmasse der Bürokratie bilden die Kommunisten und Komsomolzen ein Massiv von 1½ bis 2 Millionen; augenblicklich angesichts der unaufhörlichen Reinigungen eher weniger als mehr. Das ist das Knochengerüst der Staatsgewalt. Dieselben kommunistischen Verwalter bilden das Knochengerüst der Partei und des Komsomol. Die ehemalige kommunistische Partei ist heute nicht die Vorhut des Proletariats, sondern die politische Organisation der Bürokratie. Die rückständige Masse der Partei- und Komsomolmitglieder dient nur zur Aussonderung des „Aktivs“, d.h. der Reserve für die Selbstergänzung der Bürokratie. Denselben Zielen dient auch das parteilose „Aktiv“.

Hypothetisch kann man annehmen, dass die Arbeiter- und Kolchosaristokratie – Stachanowisten, parteilose Aktivisten, Vertrauenspersonen, Verwandte und Gevattern – der Zahl, die wir für die Bürokratie annahmen, – fünf bis sechs Millionen – ungefähr die Wage hält. Mit den Familien ergeben die beiden einander durchdringenden Schichten an die 20 bis 25 Millionen. Wir schätzen hier die Zahl der Familienmitglieder darum so niedrig ein, weil nicht selten Mann wie Frau, zuweilen auch der Sohn oder die Tochter zum Apparat gehören. Außerdem haben es die Frauen aus der herrschenden Schicht viel leichter, ihre Familie klein zu halten, als die Arbeiterinnen und insbesondere die Bäuerinnen. Die heutige Kampagne gegen die Abtreibungen geht von der Bürokratie aus, berührt sie selbst aber nicht. 12%, vielleicht 15% der Bevölkerung, das ist die wahre soziale Basis der selbstherrschenden Spitze.

Wenn ein eigenes Zimmer, ausreichende Nahrung. saubere Kleidung noch immer nur einer kleinen Minderheit zugänglich sind, trachten die Millionen Bürokraten, die großen wie die kleinen, danach, sich der Macht vor allen Dingen zur Sicherung des eigenen Wohlergehens zu bedienen. Daher der kolossale Egoismus dieser Schicht, ihr starker innerer Zusammenhalt, ihre Furcht vor der Unzufriedenheit der Massen, ihre zähe Wut bei der Erstickung jeglicher Kritik, schließlich ihre heuchlerisch-religiöse Verehrung des „Führers“, der die Macht und die Privilegien der neuen Herren verkörpert und schützt.“

 

Auswirkungen auf Jugend und Kultur: keine selbständigen Charaktere, Konformismus

 

„Wie steht es in Wirklichkeit? 43% der Bevölkerung der UdSSR sind nach der Oktoberumwälzung geboren. Nimmt man eine Altersgrenze von 23 Jahren, so ergibt sich, dass über 50% der Sowjetbürger sie nicht erreichen. Die größere Hälfte der Landesbevölkerung kennt folglich aus persönlicher Erinnerung kein anderes Regime als das der Sowjets. Aber diese neuen Generationen formen sich eben nicht in „freien gesellschaftlichen Bedingungen“, wie Engels es sich vorstellte, sondern unter dem unerträglichen und ständig wachsenden Druck der herrschenden Schicht, derselben, die der offiziellen Fiktion gemäß die große Umwälzung vollbrachte. In der Fabrik, im Kolchos, in der Kaserne, in der Universität, in der Schule, selbst im Kindergarten wenn nicht gar in den Krippen gilt als Haupttugend des Menschen Führertreue und unbedingter Gehorsam. Viele der pädagogischen Aphorismen und Vorschriften der letzten Zeit könnten von Goebbels geschrieben sein, wenn dieser sie nicht selbst in hohem Maße bei Stalins Mitarbeitern abgeschrieben hätte.

Die Schule und das gesellige Leben der Schüler sind ganz und gar von Formalismus und Heuchelei durchdrungen. Die Kinder haben gelernt, unzählige sterbenslangweilige Versammlungen zu veranstalten mit dem unvermeidlichen Ehrenpräsidium, mit Lobpreisungen der teuren Führer und den vorher auswendig gelernten, rechtgläubigen Debatten, bei denen man ganz wie die Erwachsenen eines sagt und etwas anderes dabei denkt. Die unschuldigsten Schülerzirkel, die versuchen, in der Wüste des Amtsgeistes sich eine Oase zu schaffen, werden wütend unterdrückt. Durch ihre Agentur träufelt die GPU in die sogenannte „sozialistische“ Schule das entsetzliche Gift der Petzerei und Verräterei ein. Die nachdenklichsten Pädagogen und KinderschriftsteIler können zuweilen trotz erzwungenem Optimismus angesichts dieses, das Schulmilieu ertötenden Geistes des Zwangs, der Falschheit und der Langeweile ihr Entsetzen nicht verbergen.

Da die jungen Generationen in ihrer Vergangenheit keine Klassenkampf- und Revolutionserfahrungen aufzuweisen haben, könnten sie zu selbständiger Teilnahme am Gesellschaftsleben des Landes nur inmitten einer Sowjetdemokratie, nur bei bewusster Verarbeitung der Erfahrung der Vergangenheit und der Lehren der Gegenwart heranreifen. Selbständige Charaktere und selbständiges Denken können sich ohne Kritik nicht entfalten. Indes ist der Sowjetjugend rundweg die elementarste Möglichkeit versagt, Gedanken auszutauschen, sich zu irren, eigene und fremde Fehler zu prüfen und zu verbessern. Alle Fragen einschließlich die sie selbst betreffenden, werden ohne sie entschieden. Sie hat nur auszuführen und lobzusingen. Auf jedes Wort der Kritik antwortet die Bürokratie mit Halsumdrehen. Alles irgendwie Hervorragende und Unbotmäßige unter der Jugend wird systematisch ausgemerzt, unterdrückt oder physisch vernichtet. Daraus erklärt sich auch die Tatsache, dass die Millionen und Abermillionen Jungkommunisten nicht eine einzige größere Gestalt hervorbrachten.“

 

„Im Verlauf des Kampfes gegen die Parteiopposition wurden die literarischen Schulen eine nach der anderen unterdrückt. Es blieb übrigens nicht bei der Literatur allein. Auf allen Gebieten der Ideologie griff eine um so entschiedenere Verheerung um sich, als sie größtenteils unbewusst war. Die heutige herrschende Schicht hält sich für berufen, nicht nur politisch das geistige Schaffen zu kontrollieren, sondern ihm auch seinen Entwicklungsweg vorzuschreiben. Das Kommando, gegen das es keine Berufung gibt, erstreckt sich in gleichem Masse über Konzentrationslager, Ackerbau und Musik. Das Zentralorgan der Partei druckt anonyme, richtunggebende Artikel in der Art militärischer Befehle, über Architektur, Literatur, dramatische Kunst. Ballette, ganz zu schweigen von Philosophie, Naturwissenschaft und Geschichte.

Die Bürokratie fürchtet abergläubisch alles, was ihr nicht unmittelbar dient, oder was sie nicht versteht. Wenn sie eine Verbindung zwischen Naturwissenschaft und Produktion fordert, hat sie – in großen Zügen – recht; wenn sie aber verordnet, dass die Forscher sich nur unmittelbare praktische Ziele setzen sollen, droht sie die kostbarsten Quellen des Schaffens zu verstopfen, und damit auch die praktischen Entdeckungen zu verhindern, die meistens auf unvorgesehenen Wegen gemacht werden. Bittere Erfahrung hat die Naturwissenschaftler, Mathematiker, Philologen, Kriegstheoretiker gelehrt, breite Verallgemeinerungen zu meiden, aus Furcht, dass irgendein „roter Professor“, meistens ein ungebildeter Streber, den Neuerer mit einem an den Haaren herbeigezogenen Lenin- oder sogar Stalinzitat schrecklich zurechtweisen könne. In solchen Fällen seinen Gedanken und seine wissenschaftliche Würde verteidigen, heißt sich todsicher Repressionen zuziehen.

Aber noch viel schlimmer ist es um die Gesellschaftswissenschaften bestellt. Die Ökonomen, Historiker, sogar Statistiker, gar nicht zu reden von Journalisten, sind vornehmlich darum besorgt, ja nicht, und sei es auch nur Indirekt, in Gegensatz zum jeweiligen Haken des offiziellen Zickzackkurses zu geraten. Über die Sowjetwirtschaft, Innen- und Außenpolitik kann man nicht anders schreiben, als indem man sich den Rücken und die Flanken mit Banalitäten aus den Reden des „Führers“ deckt und sich von vornherein zur Aufgabe macht nachzuweisen, dass alles just so läuft, wie es laufen soll, und gar noch besser. Mag der hundertprozentige Konformismus auch von irdischen Ungemach befreien, dafür zieht er die schwerste aller Strafen nach sich: Unfruchtbarkeit.

Obgleich formell der Marxismus in der UdSSR Staatsdoktrin ist, erschien in den letzten zwölf Jahren nicht eine einzige marxistische Untersuchung, weder in der Ökonomie, noch der Soziologie, der Geschichte oder Philosophie, welche Aufmerksamkeit oder Übersetzung in fremde Sprachen verdiente. Die marxistische Produktion geht über scholastisches Flickwerk nicht hinaus, worin in einem fort ein und dieselben vorher gebilligten Gedanken wiedergekäut und alte Zitate aufgewärmt werden, je nach den konjunkturellen Bedürfnissen des Apparats. In Millionen Exemplaren werden durch die Staatskanäle Bücher und Broschüren vertrieben, die niemand braucht, und die mit Hilfe von Kleister, Schmeichelei und anderen Klebstoffen hergestellt werden. Die Marxisten, die etwas Wertvolles und Selbständiges zu sagen hätten, sitzen hinter Schloss und Riegel oder sind gezwungen zu schweigen. Und das, obwohl die Evolution der Gesellschaftsformen auf Schritt und Tritt grandiose wissenschaftliche Probleme aufwirft!

Geschmäht und mit Füßen getreten ist auch die Lauterkeit, ohne die theoretische Arbeit unmöglich ist. Selbst die Anmerkungen zu Lenins Werken werden in jeder neuen Auflage vom Gesichtspunkt der persönlichen Interessen des herrschenden Stabs radikal umgearbeitet, zum Ruhm der „Führer“, zur Herabsetzung der Gegner und Verwischung der Spuren. Das gleiche gilt von den Partei- und Revolutionsgeschichtsbüchern. Tatsachen werden entstellt, Dokumente unterschlagen oder auch fabriziert, Reputationen geschaffen oder vernichtet. Die einfache Gegenüberstellung der aufeinanderfolgenden Varianten ein und desselben Buches in den letzten zwölf Jahren erlaubt, untrüglich den Prozess der Entartung von Denken und Gewissen der herrschenden Schicht zu verfolgen.

Nicht weniger unheilbringend handelt das „totalitäre“ Regime an der schönen Literatur. Der Kampf der Richtungen und Schulen ist ersetzt durch die Deutung des Willens der Führer. Für alle Gruppierungen besteht eine gemeinsame Zwangsorganisation, eine Art Konzentrationslager für das gestaltete Wort. Zu Klassikern werden mittelmäßige, aber rechtmeinende Erzähler erhoben wie Serafimowitsch oder Gladkow. Begabten Schriftstellern, die sich nicht genügend Gewalt anzutun verstehen, heftet sich eine Meute von Lehrmeistern auf die Fersen, bewaffnet mit Skrupellosigkeit und einem Dutzend Zitate. Hervorragende Künstler enden entweder mit Selbstmord, suchen ihren Stoff in zurückliegenden Zeiten, oder schweigen still. Ehrliche und talentvolle Bücher erscheinen gleichsam aus Versehen, irgendwoher aus dem Verborgenen hervorschlüpfend, und stellen eine Art künstlerischer Schmuggelware dar.

Das Leben der Sowjetkunst ist ein eigener Martyrolog. Nach einem richtunggebenden Artikel der Prawda gegen den „Formalismus“ setzt eine Epidemie demütiger Beichten von Schriftstellern, Malern, Regisseuren und selbst Opernsängerinnen ein. Alle sagen sie sich von den eigenen vergangenen Sünden los, hüten sich jedoch – auf alle Fälle – vor einer genaueren Umschreibung des Formalismus, um nicht in Verlegenheit zu geraten. Zuletzt ist die Macht gezwungen, durch einen neuen Befehl dem überschäumenden Reuestrom Einhalt zu gebieten. Innerhalb weniger Wochen werden literarische Urteile revidiert, Schulbücher umgearbeitet, Straßen umbenannt, Denkmäler errichtet auf Grund einer lobenden Bemerkung Stalins über den Dichter Majakowski. Der Eindruck einer neuen Oper auf hohe Zuschauer verwandelt sich unverzüglich in eine musikalische Direktive für die Komponisten. Der Komsomolsekretär sagt auf einer Schriftstellertagung: „Die Weisungen des Genossen Stalin sind uns allen Gesetz“, und alles applaudiert, wenn auch wahrscheinlich einige vor Scham erröten. Wie um die Literatur vollends zu verspotten, wird Stalin, der keinen richtigen russischen Satz bilden kann, zum Klassiker des Stils erkoren. Es ist etwas tief Tragisches in diesem Byzantinismus und dieser Polizeiherrschaft, trotz der unfreiwilligen Komik einzelner seiner Erscheinungen!

Die offizielle Formel lautet: die Kultur soll sozialistisch sein im Inhalt, national in der Form. Jedoch über den Inhalt der sozialistischen Kultur kann man nur mehr oder weniger liebliche Hypothesen aufstellen. Sie auf eine unzureichende Wirtschaftsbasis zu verpflanzen, ist niemandem gegeben. Die Kunst ist in viel geringerem Grade als die Wissenschaft imstande, die Zukunft vorwegzunehmen. Jedenfalls vermögen Rezepte wie: „den Bau der Zukunft darstellen“, „dem Sozialismus den Weg weisen“, „den Menschen umgestalten“, der schöpferischen Einbildung nicht viel mehr zu sagen als eine Preisliste für Feilen oder ein Eisenbahnfahrplan.

Die nationale Form der Kunst wird gleichgesetzt mit ihrer Allgemeinverständlichkeit. „Was das Volk nicht braucht“, schreibt die Prawda den Künstlern vor, „kann auch keine ästhetische Bedeutung besitzen“. Diese alte Formel der Narodniki, welche die Aufgabe der künstlerischen Erziehung der Massen leugnet, ist um so reaktionärer geworden, als das Recht zu entscheiden, welche Kunst das Volk braucht und welche nicht, der Bürokratie überlassen bleibt: sie druckt die Bücher nach eigener Auslese und verkauft sie zwangsweise, ohne dem Leser irgendwelche Wahl zu lassen. Letzten Endes läuft die Sache für sie darauf hinaus, dass die Kunst sich ihrer Interessen annimmt und ihnen solche Formen verleiht, dass die Bürokratie den Volksmassen so reizend wie möglich erscheine.

Vergebens! Keine Literatur wird dieser Aufgabe gerecht werden. Die Führer müssen selber zugeben, dass „weder der erste noch der zweite Fünfjahresplan bislang eine neue literarische Welle gebracht, welche die erste, aus dem Oktober geborene Welle überträfe“. Das ist sehr gelinde gesagt. In Wirklichkeit wird die Epoche des Thermidor trotz einzelner Ausnahmen in die Geschichte des Kunstschaffens vorzugsweise eingehen als eine „Epoche“ von Stümpern, Laureaten und Leisetretern!“

 

Demokratie und Revolution gegen Bürokratie

 

„Im Gefolge der Qualitätsfrage erstehen kompliziertere und grandiosere Aufgaben, die man zusammenfassen kann unter dem Begriff: selbständiges, technisches und kulturelles Schaffen. Ein Philosoph des Altertums sagte, Streit sei der Vater aller Dinge. Wo sich die Ideen nicht frei messen können, dort ist auch kein Schaffen neuer Werte. Es ist wahr, revolutionäre Diktatur bedeutet ihrem Wesen nach starke Freiheitsbeschneidung. Aber gerade deshalb waren die Zeiten der Revolutionen dem kulturellen Schaffen nie unmittelbar förderlich: sie brachen ihm nur Bahn. Die Diktatur des Proletariats gewährt dem menschlichen Genie um so größeren Raum, je mehr sie aufhört, Diktatur zu sein. Die sozialistische Kultur wird nur in dem Masse aufblühen, wie der Staat abstirbt. In diesem einfachen unbeugsamen Gesetz liegt das Todesurteil für das heutige politische Regime in der UdSSR. Die Sowjetdemokratie ist keine Forderung der abstrakten Politik, noch weniger der Moral. Leben und Tod hängt von dieser Frage ab.“

 

„Alles deutet darauf hin, dass es im weiteren Verlauf der Entwicklung unvermeidlich zum Zusammenstoß der kulturell gewachsenen Kräfte des Volkes mit der bürokratischen Oligarchie kommen muss. Einen friedlichen Ausweg aus der Krise gibt es nicht. Kein Teufel hat jemals freiwillig seine Krallen beschnitten. Die Sowjetbürokratie wird ihre Positionen nicht kampflos aufgeben. Die Entwicklung führt eindeutig auf den Weg der Revolution.“

 

„Es handelt sich nicht darum, eine herrschende Clique durch eine andere zu ersetzen, sondern darum, die Methoden zu ändern, nach denen Wirtschaft und Kultur geleitet werden. Das bürokratische Selbstherrschertum muss der Sowjetdemokratie Platz machen. Wiederherstellung des Rechts auf Kritik und einer wirklichen Wahlfreiheit ist notwendige Vorbedingung für die weitere Entwicklung des Landes. Das setzt voraus, dass den Sowjetparteien, angefangen mit der Partei der Bolschewiki, die Freiheit wiedergegeben wird und die Gewerkschaften wiederauferstehen. Auf die Wirtschaft übertragen bedeutet die Demokratie gründliche Revision der Pläne im Interesse der Werktätigen. Freie Diskussion der Wirtschaftsprobleme wird die Unkosten der bürokratischen Fehler und Zickzacks senken. Die teuren Spielzeuge – Sowjetpaläste, neue Theater, protzige Untergrundbahnen – werden zurücktreten zugunsten von Arbeiterwohnungen. Die „bürgerlichen Verteilungsnormen“ werden auf das unbedingt Notwendige zurückgeführt werden, um in dem Maße, wie der gesellschaftliche Reichtum wächst, sozialistischer Gleichheit Platz zu machen. Die Titel werden sofort abgeschafft, der Ordensplunder wird in den Schmelztiegel wandern. Die Jugend wird frei atmen, kritisieren, sich irren und reifen dürfen. Schließlich wird die Außenpolitik zu den Traditionen des revolutionären Internationalismus zurückkehren.“

 

 

Die folgenden Zitate stammen aus dem Buch „Stalin – Eine Biographie“ von Oleg Chlewnjuk aus dem Jahr 2015. Hier ist allerdings Vorsicht geboten. Es mag zwar stimmen, was er schreibt, aber es fehlt doch einiges. Gerade die internationalen Zusammenhänge werden kaum oder gar nicht erwähnt.

 

Allgemeine Verrohung

 

„Die durch den Bürgerkrieg zu beklagenden Todesopfer waren weit größer als die russischen Verluste im Ersten Weltkrieg und während der Februarrevolution. Von den 16 Millionen Menschen, die laut demografischen Schätzungen von 1914 bis 1922 im Russischen Reich und in Sowjetrussland an Verletzungen, Hunger oder Krankheit starben, kamen mindestens die Hälfte in den 3 Jahren des Bürgerkriegs ums Leben. Außerdem flohen etwa 2 Millionen ins Ausland. Die entsetzliche Hungersnot der Jahre 1921/1922, die vor allem durch den Bürgerkrieg ausgelöst wurde, kostete weiteren 5 Millionen Menschen das Leben. Demgegenüber verlor Russland im Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1917 „nur“ etwas mehr als 2 Millionen Menschen. Diese entsetzliche Statistik unterschied Russland von den anderen Ländern, die durch den Weltkrieg verheert wurden. Krieg, Hunger und Epidemien herrschten hier doppelt so lang und forderten einen viel höheren Tribut.

Doch selbst diese schrecklichen Zahlen geben kein vollständiges Bild vom Grauen des Bürgerkriegs ab. Das allgegenwärtige Elend, die Abstumpfung gegenüber menschlichem Leid und die Zerstörung jedes Gefühls für Recht und Unrecht lassen sich statistisch nicht erfassen. Brutale Morde und massenhafter Terror wurden alltäglich. Von der allgemeinen Verrohung wurden unweigerlich auch die Bolschewiki erfasst. Der Bürgerkrieg formte den neuen Staat und bestimmte seine Entwicklung …

Im Bürgerkrieg gewöhnten sich die Bolschewiki an Blutvergießen und unbarmherziges Vorgehen. Gräueltaten verloren ihren Schrecken.“

 

Einsamkeit, Härte, Unfehlbarkeit

 

„Die ausgedehnten Mahlzeiten boten Gelegenheit, diverse Staatsangelegenheiten zu diskutieren und zu entscheiden. Stalin nutzte sie außerdem, um seine Mitarbeiter genau zu beobachten und Informationen über sie zu sammeln. Nicht zuletzt dienten sie Stalin der Unterhaltung und linderten sein Gefühl der Einsamkeit. Oder wie Chrustschow es formulierte: „Er fühlte sich schrecklich allein und wusste nicht, was er mit sich anfangen sollte.““

 

„Welche Lehren zog er aus seinem ersten Kampf um die Macht? Den größten Eindruck auf ihn machte offenbar Lenins Entschlossenheit, das hartnäckige und unerbittliche Festhalten an seinem Aktionsplan. Jahre später, als er seine „Revolution von oben“ durchführte und damit eine von vielen Krisen in der Geschichte des leidgeprüften Russland auslöste, demonstrierte er auf radikale Weise sein eigenes Talent für entschlossenes Handeln. Er übernahm Lenins verbissenen und rücksichtslosen Modus Operandi und strebte nach der Macht, ohne sich darum zu kümmern, welche Auswirkungen seine Taten auf andere hatten. Dieses Prinzip erlaubte es ihm, mit maximaler Skrupellosigkeit und ohne Hemmungen vorzugehen. Wie Lenin vor ihm setzte er auf eine Strategie des vorauseilenden Radikalismus, als er in den späten 20er Jahren seine eigene Revolution durchführte.

„… Zweitens präsentierte er sich den hohen Parteifunktionären als die treibende Kraft hinter dem Sieg über die Opposition - als „harter“ Führer, der zu „harten“ Maßnahmen in der Lage war.“

 

„Stalin liebte die Geschichte und bediente sich in seinen Artikeln, Reden und Gesprächen ständig historischer Beispiele und Analogien … Bekanntlich hatte er eine besondere Schwäche für die russischen Zaren Iwan den Schrecklichen und Peter den Großen. Beide hatten Russland konsolidiert und vergrößert, hatten seine militärische Macht ausgebaut und waren gnadenlos gegen innere Feinde vorgegangen. Für Stalin war die Geschichte ein Instrument zur Legitimation seiner politischen Maßnahmen.“

 

„Stalin glaubte offensichtlich, er müsse für unfehlbar gehalten werden, wenn er an der Macht bleiben wollte. Er erkannte gelegentlich, dass Fehler gemacht wurden, aber sie durften nie seine eigenen sein. Für falsche Entscheidungen und Maßnahmen wurden Funktionäre oder „die Regierung“, am häufigsten jedoch feindliche Verschwörungen verantwortlich gemacht. Dass er selbst an irgendeiner Notsituation Schuld tragen könnte, war von vornherein ausgeschlossen. Dagegen war er gerne bereit, sich für Erfolge feiern zu lassen. Aufgrund seiner grenzenlosen Macht glaubte er mit der Zeit, dass er über bemerkenswerte Voraussicht verfügte. Im Gegensatz jedoch zu Hitler, der einer höheren Berufung zu folgen meinte, hatte Stalins Glaube an die eigene Unfehlbarkeit wahrscheinlich mehr mit seinem misstrauischen Charakter und seinen Ängsten zu tun. Er fühlte sich zu jederzeit von Feinden und Verrätern umgeben und war sicher, dass er sich nur auf einen Menschen wirklich verlassen konnte: sich selbst.“

 

Im Zirkel der Macht

 

Anhänger der Einheit

 

„Die Oppositionsmitglieder waren als Spalter angeprangert worden, die ihre persönlichen politischen Ambitionen über das kollektive Interesse der Partei gestellt hatten. Jeder Sowjetführer, der nach 1927 offen die neu gefundene Einheit der Partei bedrohte, machte sich äußerst unbeliebt. Wie aber konnte Stalin angesichts dieser Situation um die Vorherrschaft kämpfen? Es gab nur eine Lösung: Er musste im Verborgenen einen Bruch provozieren, sich danach zum angegriffenen Anhänger der Einheit stilisieren und seine Feinde als Spalter darstellen. Und genau das tat er.“

 

Alte und junge Garde

 

„Vor diesem Hintergrund die alte Garde durch junge, absolut loyale Anhänger zu ersetzen, war ein wichtiger Schritt, mit dem er seine Position festigen wollte …

Die Eroberten, die ruhigen und gedemütigten früheren Mitglieder der Opposition, waren tatsächlich ein Grund zur Sorge. Diese Altbolschewiki wurden zwar streng von der Geheimpolizei überwacht, waren aber immer noch angesehene Parteimitglieder. Viele besetzten Ämter in der Regierung und sogar im Parteiapparat oder Führungspositionen in wichtigen Wirtschaftsunternehmen. Die meisten der alten Garde erinnerten sich noch daran, welche Rolle sie in den glorreichen Tagen der Revolution gespielt hatten. Doch durch den Mord an Kirow und die gefälschten Anklagen, die Anhänger von Sinowjew und Kamenew die Beteiligung an einer terroristischen Verschwörung in die Schuhe schoben, änderte sich alles. Die ehemaligen Oppositionsmitglieder verwandelten sich über Nacht von Genossen, die einst politische Torheiten begangen hatten, in „Feinde“ und „Terroristen“.

Doch sie waren nicht die Einzigen, die diesen plötzlichen Wandel zu spüren bekamen. In der alten Garde hatte beinahe jeder irgendeine Verbindung zur Opposition gehabt. Ein beträchtlicher Teil der sowjetischen Generäle hatte unter Trotzki gedient, der die Rote Armee aufgebaut und viele Jahre geführt hatte. Auch zahlreiche aufstrebende Funktionäre hatten sich in jungen Jahren „geirrt“. Viele hatten in den 20er Jahren zu irgendeinem Zeitpunkt die Opposition unterstützt, weil sie entweder nicht wussten, woher der Wind wehte, oder schlicht ihrer politischen Überzeugung folgten. Andere hatten im Untergrund, während der Revolution oder im Bürgerkrieg Freundschaften mit späteren Mitgliedern der Opposition geschlossen. Wieder andere hatten in jüngerer Zeit mit reumütigen Oppositionsmitgliedern zusammengearbeitet. Kurz: Als Stalin seinen Schlag gegen die früheren Oppositionellen führte, nutzte er die Gelegenheit, um den Parteikader umfassend neu zu besetzen. Er entledigte sich politischer Gegner, die vielleicht im Verborgenen gelauert hatten und säuberte den gesamten Apparat einschließlich des Politbüros.

Zwischen 1935 und Anfang 1937 wurde die Verhaftung und Anklage früherer Mitglieder der Opposition mit Umbesetzungen in den höchsten Rängen der Macht kombiniert.“

 

„Stalin stand zu jeder Zeit im Zentrum des gewaltigen Apparats, mit dem er die Funktionäre manipulierte. Er initiierte und überwachte Repressionsmaßnahmen, organisierte alle wesentlichen Versetzungen und verteilte Mitarbeiter und Ämter ständig neu, damit niemand begann, sich in einer bestimmten Position wohlzufühlen. Wie jeder Diktator wollte auch Stalin, dass seine Untergebenen ihn fürchteten und verehrten und dass sie ihm mit instinktiver Hingabe begegneten. Molotow, ein unerschütterlicher Anhänger des Diktators, bezeichnete Kaganowitsch einmal als „zweihundertprozentigen“ Stalinisten. Solche Leute versuchte sich Stalin heranzuziehen.

Ein wichtiges Mittel zur „Stalinisierung“ der Sowjetregierung und ihrer höchsten Führung waren die massenhaften Säuberungen der 30er Jahre. Innerhalb weniger Monate wurde die alte Garde der Partei vernichtet und durch neue Gesichter ersetzt. Diese waren nicht mit zu viel Wissen über die Vergangenheit belastet und hatten kaum Ideen, wie man das Land anders regieren konnte. „Neues Humankapital“ ersetzte die Funktionäre, die sich ihre Posten während der Revolution verdient hatten. Im Jahr 1940, als der Terror abgeebbt war, waren 57 Prozent der Parteisekretäre in den Regionen Russlands und in den Zentralkomitees der Sowjetrepubliken jünger als 35 Jahre. Viele Volkskommissare, Generale, Direktoren wichtiger Unternehmen und Führer kultureller Verbände waren zwischen 30 und 40.

Stalin stattete diese Neulinge mit enormer Macht aus und erlaubte ihnen, wie Diktatoren über ihre eigenen kleinen Reiche zu herrschen. Das Schicksal von Millionen Menschen lag in ihren Händen, und die Verteilung erheblicher Ressourcen und die Arbeit gigantischer Unternehmen waren von ihnen abhängig. Sie bildeten eine eigene Kaste mit eigenen Gesetzen in einer privilegierten Welt. Es fehlte ihnen an nichts, sie litten keinen Hunger und waren nicht betroffen von dem katastrophalen Wohnungsmangel oder der Rückständigkeit des Gesundheitssystems. Sie wohnten gut bewacht in geräumigen Wohnungen und Datschen. Ihre Autos überholten die überfüllten öffentlichen Busse und Straßenbahnen. Wer immer ihre Einkäufe tätigte, musste nicht stundenlang vor leeren Läden Schlange stehen. Ihre Gehälter und steuerfreien Zusatzeinnahmen (sogenannte „Umschläge“) überschritten das magere Einkommen gewöhnlicher Bürger um das Zehnfache. Die Autorenhonorare sowjetischer Schriftsteller, die zur Nomenklatura gehörten, konnten Hunderttausende Rubel betragen, was sich in einigen Fällen auf Jahreseinkommen von bis zu einer Million summierte, viele tausendmal mehr als die Summe, die ein sowjetischer Bauer im Jahr verdiente. Berauscht von dem Gefühl, einem allmächtigen Regierungsapparat anzugehören, und geblendet von ihrer eigenen Wichtigkeit, waren die Parteifunktionäre völlig frei von Mitgefühl, Selbstreflexion oder irgendeinem Verständnis für andere.

Stalin wachte über den Eintritt in die Welt der Nomenklatura, nur mit seiner Gunst und Unterstützung gelangte man hinein. Wer das Glück hatte, zu überleben, empfand gegenüber dem Diktator ein Gefühl tiefer Dankbarkeit, das durch das schreckliche Schicksal des eigenen Vorgängers und die fortgesetzte Repression nur noch verstärkt wurde. Stalin war doppelt so alt wie viele Mitglieder der neuen Generation von Funktionären. Viele wussten nur wenig über die revolutionäre Periode der Partei oder über deren Leitfiguren, die inzwischen größtenteils zu Feinden abgestempelt waren. Für sie war Stalin die höchste Autorität, ein siegreicher Oberbefehlshaber und ein Theoretiker, der den Begründern des Marxismus ebenbürtig war.“

 

Toleranz bei „moralischen Fehlern“

 

„Es ist noch nicht erforscht, wie Stalin auf diese Missetaten reagierte. Dass nach der Währungsreform keine größeren Personalveränderungen erfolgten, deutet darauf hin, dass er dieser massiven Korruption relativ gleichgültig gegenüberstand. Das war nichts Neues. Stalin gab sich immer wieder tolerant, wenn es um die moralischen Fehler seiner Untergebenen ging. Politische Loyalität und administrative Kompetenz waren ihm viel wichtiger.“

 

Kampf gegen Landwirtschaft und Hungersnot

 

„Die Gründe für die Krise Ende 1927 waren der Führung des Landes vollkommen klar. Aufgrund einer falschen Preispolitik und unverhältnismäßiger Investitionen in die Industrie hatten die Bauern kaum noch Anreize, Getreide an den Staat zu verkaufen, und das gesamte volkswirtschaftliche Gleichgewicht war gestört. In früheren Jahren hatte die Führung zur Überwindung ähnlicher Krisen erfolgreiche Rezepte entwickelt. Ein solches Rezept wurde nun wieder gebraucht. Zunächst suchte das Politbüro als geschlossenes Kollektiv nach Lösungen. Es zog zwar auch den Einsatz wirtschaftlicher Anreize in Erwägung, entschied sich dann jedoch, durch „administrative Methoden“ den Druck auf die Bauern zu erhöhen. Das hieß, eine Kampagne zur gewaltsamen Enteignung von Getreide zu führen, bei der Besuche der Sowjetführer in den Getreide produzierenden Regionen ein Schlüsselelement waren. Sie mussten die lokalen Parteifunktionäre zu größeren Anstrengungen animieren.“

 

„Aufgrund seines Temperaments als Politiker und Organisator neigte er zu gewaltsamen Maßnahmen. Außerdem hatte er nicht die geringste Erfahrung im Umgang mit einer Volkswirtschaft und glaubte vermutlich ernsthaft, dass sie in jede politisch erforderliche Form gepresst werden könnte. Die extremen Maßnahmen, die er anordnete, dienten offensichtlichen politischen und nicht ökonomischen Zwecken: Indem er auf den radikalen Kurs setzte, zerstörte er absichtlich das System der kollektiven Führung. Der dadurch ausgelöste Kampf im Politbüro erlaubte es ihm, eine neue Mehrheitsfraktion zu bilden, die er bequem kontrollieren konnte.

im Kern übernahm er Lenins revolutionäre Strategie, linksextreme Exzesse zu befördern, die „Gemäßigten“ zu schwächen und die Radikalen durch eine extremistische Politik zu mobilisieren.“

 

„Stalin brach 1928 mit einem ähnlichen Zweck nach Sibirien auf: Er wollte die ferne, riesige Region zum Versuchsgelände für neue Umbrüche machen …

Er setzte die sibirischen Funktionäre weiterhin unter Druck und beharrte darauf, dass eine repressive Strategie Erfolg haben werde …

Durch Druck und Überredungskunst bekam er, was er wollte …

Hinter diesen Zahlen verbergen sich eine enorme Brutalität, mit der in den sibirischen Dörfern vorgegangen wurde. Banden von Regierungsvertretern, die dazu ermächtigt waren, mit eiserner Faust Getreide einzutreiben, fegten über das Land. Sie verschmähten es, auch nur ein Lippenbekenntnis zur Legalität abzugeben und folgten einem Prinzip, das einer von ihnen wie folgt formulierte: „Was ist denn das für ein Bürokratismus? Unsere Losung stammt von Genossen Stalin: drücken, schlagen, auspressen.“ Das Land wurde von Durchsuchungen und Verhaftungen erschüttert. Die beschlagnahmten Getreidemengen waren so groß, dass viele Bauernfamilien ruiniert wurden. Unter Stalins Einfluss wurden die Bauern in Sibirien schonungsloser behandelt als in anderen Getreide produzierenden Regionen, aber vermutlich war der Unterschied nicht sehr groß. Moskau übte erheblichen Druck aus und wurde darin von hochrangigen Emissären unterstützt, sodass die Landbevölkerung allerorts der Gewalt und Gesetzlosigkeit ausgesetzt war. Dennoch hatte das rücksichtslose Vorgehen in Sibirien eine besondere Bedeutung: Da der Befehl, Krieg gegen die Kulaken zu führen, direkt vom Generalsekretär gekommen war, wurde er als Universalermächtigung angesehen …

Stalin ignorierte die offizielle Linie, dass die Regierung Fehler gemacht habe (ein Standpunkt, der in vielen Direktiven des Politbüros vertreten wurde), und konzentrierte sich stattdessen darauf, die Taten feindlicher Kulaken und antisowjetischer Kräfte aufzudecken. Damit bahnte er den Weg für die breite Anwendung repressiver Methoden. Auf seine Anregung hin war die Beschlagnahmung von Getreide nicht länger eine außerordentliche Maßnahme, sondern Teil einer permanenten Anstrengung, dem Strafgesetz Geltung zu verschaffen. Bauern wurden als „Spekulanten“ vor Gericht gestellt, weil sie sich geweigert hatten, Getreide zu verkaufen, das sie selbst gepflanzt, gehegt und geerntet hatten. Dies sprach jeder Gerechtigkeit Hohn, verschaffte jedoch den vormals nur in Einzelfällen durchgeführten Eintreibungen eine rechtliche Grundlage und führte dazu, dass sie fortan permanent und routinemäßig durchgeführt werden konnten …

Aufgrund seiner erfolgreichen Reise konnte er gegenüber seinen Genossen als entschlossener Führer auftreten, der dringliche Probleme mit revolutionären Methoden gelöst hatte. Das Ergebnis warf ein schlechtes Licht auf gemäßigte Ansätze und ließ ein radikales Vorgehen effektiver erscheinen.“

 

„Die ländlichen Gebiete wurden behandelt, als seien sie Kolonien, die es auszubeuten galt, und nicht die tragende Säule des Landes. In der Sowjetführung zweifelte niemand daran, dass in einem überwiegend agrarischen Land die Bauern die Rechnung für die Industrialisierung bezahlen müssten, die Frage war nur, wie hoch sie sein und wie sie beglichen werden sollte. Als Marxisten mochten die Bolschewiki die Bauern nicht und betrachten sie als eine aussterbende Klasse, aber während der NÖP war sich die Regierung immerhin der ökonomischen Bedeutung der Landwirtschaft bewusst gewesen. Sie hatte versucht, vernünftige Beziehungen zu den Bauern aufrechtzuerhalten, selbst wenn sie dafür zuweilen ein Auge zudrücken musste, wenn es um politische unangenehme Entwicklungen wie die verstärkte Nutzung privater Grundstücke ging. In den späten 20er Jahren jedoch gab die Regierung diese „Nachsicht“ auf …

Der Kampf gegen die Kulaken und die Enteignung bäuerlichen Besitzes wurden auf ihre logische Spitze getrieben: Der Boden wurde beschlagnahmt und die Bauern wurden gezwungen, als Lohnarbeiter in staatlich geführten Agrarbetrieben, den sogenannten Kollektivfarmen oder Kolchosen zu schuften. Stalin annullierte den zunächst von der Partei gefassten Beschluss, diese Methode der „Kollektivierung“ schrittweise zu vollziehen und verkündete im November 1929, dass sie unverzüglich allgemein durchzuführen sei. Im Dezember folgte sein Aufruf, die Kulaken als Klasse zu vernichten.

De facto löste der siegreiche Woschd (= Stalin) dadurch auf dem Land eine neue und tödliche Welle der Revolution aus - mit voller Absicht. Indem er die Vernichtung der Kulaken zur dringenden Notwendigkeit erklärte, gab er seinen Anhängern vor Ort freie Hand. Die Bauern wurden vom Kollektivierungsterror überrumpelt, bevor das neue Kolchosprojekt überhaupt ernsthaft diskutiert und in konkrete Anweisungen gefasst war. Die Partei wurde, typisch für Stalins Manöver, vor vollendete Tatsachen gestellt … Die Stärke und Entschlossenheit, mit der Stalin auftrat, packte zahlreiche Parteikarrieristen und Radikale, die seinem Ruf begeistert folgten. Moskau wurde von Berichten über Kollektivierungserfolge überschwemmt …

Als er damit fertig war, hatte die Kollektivierung den Charakter eines militärischen Feldzugs gegen die traditionelle Lebensweise der Bauern angenommen. Zunächst verkürzte er die Frist für die Durchführung der Kollektivierung drastisch: In einigen der wichtigsten Agrarregionen musste sie bis zum Herbst 1930 abgeschlossen sein, und der Ton der Direktiven machte den lokalen Funktionären mehr als deutlich, dass sie keine Zeit zu verlieren hatten. Außerdem bereitete er jedweden Überlegungen, Kulaken in den Kolchosen zu beschäftigen, ein Ende. Jede Aufnahme wurde kategorisch verboten. Die Kulaken und ihre Familien sollten in abgelegene Gebiete der UdSSR verbannt, verhaftet, in Lager gesteckt oder erschossen werden. Schließlich lehnte Stalin es auch ab, den Bauern einen Teil ihres Landes zu überlassen. Sämtliche diesbezügliche Vorschläge wurden aus den Entwürfen für die Kollektivierungsvorschriften gestrichen. Als Idealform und Endziel der Maßnahmen wurde die „Kommune“ proklamiert, ein landwirtschaftliches und soziales Utopia, erdacht von sozialistischen Fanatikern. In der sowjetischen Version dieses Ideals kam das Eigentum der Bauern in den Besitz der Kommune, bis zum letzten Huhn und zum letzten persönlichen Gegenstand.

Diese wahnsinnigen und unvermeidlich blutigen Pläne entsprachen voll und ganz Stalins Ideen und Absichten …

Um Stalins Vision eines gewaltigen Kolchossystems zu verwirklichen, mobilisierte und bevollmächtigte die Parteiführung sowohl die Parteimitglieder auf dem Land als auch Zehntausende von Aktivisten aus den Städten. Moskau forderte, die Bauern so schnell wie möglich und egal mit welchen Mitteln in die Kolchosen zu treiben, und verbreitete diese Losung in der Parteipresse, was die Konkurrenz zwischen den Regionen anheizte …

Die Zwangskollektivierung und die ineffektive Industrialisierung waren für das Land ein Schlag, von dem es sich nie mehr richtig erholen sollte. In den Jahren 1930 bis 1932 wurden Hunderttausende von „Saboteuren“ und „Kulaken“ erschossen oder in Lager gesperrt und mehr als 2 Millionen Kulaken und ihre Angehörigen verbannt. Das Schicksal vieler Vertriebener war nicht minder schwer als das der zum Tod Verurteilten. Kulakenfamilien wurden in unbewohnbaren Baracken untergebracht und manchmal sogar einfach auf freiem Feld abgeladen. Schreckliche Lebensbedingungen, härteste Arbeit und chronische Unterernährung forderten insbesondere bei den Kindern sehr viele Todesopfer.

Die Lage der Bauern, die weder erschossen noch verbannt wurden, war kaum besser. Das sowjetische Dorf wurde durch die Kollektivierung verwüstet, und die landwirtschaftliche Produktion ging enorm zurück. Insbesondere der Viehsektor wurde hart getroffen: Zwischen 1928 und 1933 reduzierte sich die Zahl der Pferde von 32 auf 17 Millionen, die der Rinder von 60 auf 33 und die der Schweine von 22 auf 10. Trotz der sinkenden Produktivität entnahm der Staat einen immer größeren Anteil der Erträge aus den ländlichen Gebieten. Dennoch waren die Kolchosen während der gesamten Sowjetzeit nicht in der Lage, die Bevölkerung ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die meisten Sowjetbürger erhielten unter Stalin nur magere Rationen, es gab viele Hungersnöte. Eine der schlimmsten ereignete sich in den Jahren 1931 bis 1933, sie war das vorhersehbare Ergebnis von Stalins Großem Sprung.“

 

„Das größte Problem mit Stalins Fünfjahresplan war jedoch, dass er die Industrialisierung in einer Weise vorantrieb, die ebenso ineffizient wie katastrophal war. Riesige Summen und gewaltige Ressourcen wurden in Bauwerke gesteckt, die nie fertiggestellt wurden; in Maschinen, die im Ausland für sowjetische Goldreserven gekauft und für die nie eine Verwendung gefunden wurde; in teure Umbauten, eine logische Folge übertriebener Hast; und in Güter, die so schlecht produziert waren, dass man sie nicht nutzen konnte. Bis heute gibt es über das ganze Ausmaß dieser Verluste keine zuverlässigen Schätzungen - anders als zu den Folgen eines anderen tragischen Resultats des Großen Sprungs: der Großen Hungersnot.

Sie erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 1932, ging 1933 zu Ende und forderte 5 bis 7 Millionen Todesopfer. Millionen weitere Menschen erlitten gesundheitliche Langzeitschäden. In einer Zeit des Friedens und trotz relativ günstiger Witterungsbedingungen wurden landwirtschaftlich produktive Regionen erheblich verwüstet. Obwohl die Hungersnot ein komplexes Phänomen ist, hat die Nachwelt jedes Recht, sie als „Stalins Hungersnot“ zu bezeichnen. Seine Politik des Großen Sprungs war ihre Hauptursache, und seine Entscheidungen in jenen Jahren verschlimmerte die Tragödie noch, statt sie zu lindern …

Die Bauern wussten bereits bei der Aussaat, dass ihnen der Staat alles nehmen würde, was sie anbauten, und sie bestenfalls eine halb verhungerte Existenz fristen könnten. Je mehr Jahre ins Land gingen, desto drastischer sank die Produktion. Hinzu kam, dass die Feldfrüchte 1932 nicht gut gediehen und schlecht geerntet wurden …

Dass eine Krise drohte, schon lange bevor die Lebensmittelknappheit ihre kritische Phase erreichte, war für jedermann sichtbar, auch für Stalin selbst. Es hätte naheliegende Maßnahmen gegeben, die die Katastrophe vielleicht nicht ganz verhindert, aber immerhin entschärft hätten. Als ersten Schritt hätte man feste Quoten für die Getreidelieferungen an den Staat einführen müssen, also ein Steuersystem statt einem System der Beschlagnahmen. Damit hätten die Bauern einen Anreiz gehabt, mehr zu produzieren. Stalin jedoch verwarf diesen Ansatz. Er wollte so viel wie möglich aus der Landbevölkerung herauspressen, ohne sich irgendwelchen Beschränkungen zu unterwerfen. Eine andere Möglichkeit zur Bekämpfung der Hungersnot hätte in einer Reduktion der Getreideexporte bestanden - oder gar in Getreideimporten, die im Frühjahr 1932 bereits in begrenztem Umfang durchgeführt wurden, also prinzipiell möglich waren. Stalin jedoch lehnte auch diese Wege aus der Krise ab. Jedes Zugeständnis, das darauf schließen ließ, dass der große Sprung ein Fehler gewesen war, entsprach nicht seinem Wesen und stellte für seine Diktatur eine Bedrohung dar. Um den Druck von den Bauern zu nehmen, hätte man das industrielle Wachstum verlangsamen müssen. Stalin stimmte dieser Maßnahme 1933 widerstrebend zu, aber sein Zögern kostete Millionen Menschen das Leben …

Dokumente, die erst in jüngerer Zeit entdeckt wurden, vermitteln ein entsetzliches Bild. Den verhungernden Bauern wurden sämtliche Lebensmittel weggenommen, nicht nur das Getreide, sondern auch Gemüse, Fleisch und Milchprodukte. Gruppen von Plünderern, die sich aus lokalen Funktionären und städtischen Aktivisten zusammensetzten, spürten versteckte Vorräte auf, sogenannte jamy (Löcher im Boden), wo die Bauern gemäß einer uralten Tradition Getreidevorräte aufbewahrten. Bauern wurden brutal gefoltert, damit sie die Yami und andere Lebensmittelverstecke preisgaben. Sie wurden geschlagen, bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ohne Kleidung ins Freie getrieben, verhaftet oder nach Sibirien verbannt. Versuche verhungernder Bauern, in besser versorgte Regionen zu fliehen, wurden brutal unterbunden: Die Flüchtlinge wurden entweder gezwungen, in ihre Dörfer zurückzukehren - wo sie verdammt waren, einen langsamen, qualvollen Tod zu sterben -, oder in Haft genommen. 1933 befanden sich etwa 2,5 Millionen Menschen in Arbeitslagern, in Gefängnissen oder in der Verbannung. Vielen von ihnen erging es am Ende besser als all denen, die „in Freiheit“ verhungerten.

Auf dem Höhepunkt der Hungersnot, zum Jahreswechsel 1932/1933, war ein Gebiet mit einer Bevölkerung von mehr als 70 Millionen Menschen betroffen: die Ukraine, der Nordkaukasus, Kasachstan und einige russische Provinzen. Das bedeutet nicht, dass der Rest der insgesamt 160 Millionen Sowjetbürger gut versorgt gewesen wäre. Auch in anderen Regionen waren viele Bewohner dem Hungertod nahe, und das ganze Land wurde von Epidemien heimgesucht, insbesondere von Typhus. Millionen erkrankten schwer, litten unter Langzeitschäden oder starben noch Jahre später an den Folgen des Hungers. Keine Statistik kann die psychischen und moralischen Auswirkungen der Hungersnot erfassen. Geheime Berichte (swodki) der OGPU und der Partei waren insbesondere in den ersten Monaten des Jahres 1933 voller Meldungen über den weit verbreiteten Kannibalismus. Mütter ermordeten ihre Kinder, und Aktivisten, die sich wie Wahnsinnige aufführten, folterten die Bevölkerung …

Indem Stalin die Getreidebeschaffung zu einem Krieg erklärte, gab er sich und seinen Befehlsempfängern freie Hand, rücksichtslos vorzugehen. Der Auseinandersetzung lag der stalinistische Mythos zugrunde, dass die „Lebensmittelschwierigkeiten“ durch Sabotageakte von „Feinden“ und „Kulaken“ verursacht seien. Jede Vermutung, dass es eine Verbindung zwischen der Krise und der Politik des Staates geben könnte, wurde kategorisch zurückgewiesen. Stalin machte die „Feinde“ und die Bauern selbst für alle Probleme bei der Lebensmittelversorgung verantwortlich und behauptete zugleich, das Ausmaß der Hungersnot sei maßlos übertrieben.“

 

Terror

 

„Die Repression erfasste den gesamten Partei- und Staatsapparat und insbesondere dessen „Machtstrukturen“: den NKWD und die Armee, Organisationen, die in Stalins Augen die größte potentielle Bedrohung seiner Diktatur darstellten. Sobald Jeschow den NKWD übernommen hatte, liquidierte er seinen Vorgänger Jagoda und viele von dessen Mitarbeitern. Im Juni 1937 wurden zahlreiche hohe Offiziere einschließlich des stellvertretenden Volkskommissars für Verteidigung, Michail Tuchatschewski, gefoltert und als angebliche „Mitglieder einer antisowjetischen trotzkistischen Militärorganisation“ zum Tode verurteilt. Kurz darauf wurde die gesamte Armee von einer Verhaftungswelle heimgesucht. Wissenschaftliche Untersuchungen in kürzlich zugänglich gewordenen Archiven konnten einen jahrzehntelangen Streit mit folgendem Ergebnis klären: Die Affäre Tuchatschewski und die gesamte Kampagne gegen das Militär beruhten auf Beweismitteln, die der NKWD unter der direkten Aufsicht Stalins fälschte. Die Anklagen gegen die Militärführer entbehren jeder Grundlage.

Zu Beginn richtete sich die Repression vor allem gegen wichtige Mitglieder der Regierung, der Partei, der Staatssicherheitsdienste und des Militärs und hatte kaum Auswirkungen auf den Normalbürger. Wäre der Terror auf die Nomenklatura des Einparteienstaates beschränkt geblieben, wäre vielleicht die von manchen vertretene Annahme richtig, dass Stalins wichtigstes Ziel darin bestand, die alte Garde der Partei zu liquidieren und durch eine neue ihm treu ergebene Generation von Funktionären zu ersetzen. Es besteht kein Zweifel, dass er dies tatsächlich beabsichtigte. Doch ab der zweiten Hälfte des Jahres 1937 wurde auch die sowjetische Bevölkerung von Repressionsmaßnahmen erfasst: der „Große Terror“ begann, der viel mehr Opfer fordern sollte als die allein gegen die Parteifunktionäre gerichtete Kampagne. Nachdem ein großer Teil der Nomenklatura erschossen worden war, brachte Stalin den Terror zu seinem logischen Schluss: Sobald er seine Macht an der Spitze gefestigt hatte, machte er sich daran, das ganze Land von einer vermeintlichen „fünften Kolonne“ zu säubern. Dass ein großer Krieg drohte, verschärfte seine Paranoia zusätzlich. Hunderttausende unschuldiger Menschen zahlten den Preis.“

 

„Nach der Öffnung der Archive wurde bekannt, dass der Große Terror aus einer Serie von Operationen bestand, die vom Politbüro genehmigt wurden und sich gegen verschiedene Gruppen richteten. Die umfangreichste richtete sich gegen „antisowjetische Elemente“ und basierte auf dem NKWD-Befehl Nr. 00447, der am 30. Juli 1937 vom Politbüro abgesegnet wurde. Sie war zunächst von August bis Dezember 1937 geplant, und alle Regionen und Republiken erhielten jeweils konkrete Zielvorgaben, was die Zahl der Hinrichtungen und Internierungen in dieser Zeit betraf. Diese Quoten für die Zerstörung von Menschenleben hatten einen ganz ähnlichen Charakter wie die für die Produktion von Getreide oder Metall. Im ersten Stadium sollten etwa 200.000 Menschen in Lagern interniert und mehr als 70.000 erschossen werden. Doch Befehl Nummer 00447 sah eine flexible Handhabung vor: Regionale Funktionäre hatten das Recht, in Moskau eine Erhöhung der Maßgabe zu beantragen, und allen Beteiligten war klar, dass dieses Recht vielmehr eine Pflicht darstellte. Als die Lokalbehörden die ursprünglichen Vorgaben zügig erfüllt hatten, schickten sie neue, „höhere Selbstverpflichtungen“ nach Moskau, die fast immer genehmigt wurden. Mit Moskauer Unterstützung wurde der Plan zur Vernichtung von „Feinden“ um ein Vielfaches übertroffen …

Die Liste der Zielpersonen lässt vermuten, dass der Zweck der Operation darin bestand, jeden zu liquidieren oder wenigstens zu inhaftieren, den die stalinistische Führung als aktiven oder potenziellen Feind betrachtete. Noch deutlicher wurde diese Absicht durch die sogenannten „Nationalitätenoperationen", die parallel zu der Operation gegen antisowjetische Elemente durchgeführt wurden. Sie wurden ebenfalls in Moskau geplant und durch vom Politbüro genehmigte NKWD-Befehle angeordnet. Ihre Folgen waren katastrophal für die ethnischen Polen, Deutschen, Rumänen, Litauer, Esten, Finnen, Griechen, Afghanen, Iraner, Chinesen, Bulgaren und Mazedonier, die in der UdSSR lebten. Die Sowjetführung glaubte, dass all diese Gruppen besonders anfällig seien für die Rekrutierung durch feindlich gesonnene ausländische Mächte. Gesondert vorgegangen wurde gegen die sowjetischen Mitarbeiter der Chinesischen Osteisenbahn, die aus Harbin in die Sowjetunion zurückkehrten, nachdem die Eisenbahn 1935 an Japan verkauft worden war.

Beide Kampagnen, der Kampf gegen „antisowjetische Elemente“ und die Nationalitätenoperationen waren für den Großen Terror verantwortlich. Er war eine ausgesprochen zentral gesteuerte Anstrengung, die im Sommer 1937 begann und im November 1938 endete. Nach neuesten Erkenntnissen wurden dabei 1,6 Millionen Menschen verhaftet und von diesen 700.000 erschossen. Eine bisher noch unbekannte Zahl kam in den Folterkammern des NKWD um. Keines der anderen Verbrechen, die Stalin an der sowjetischen Bevölkerung verübte, nahm ähnliche Ausmaße an oder verlief annähernd so brutal, und nur wenige andere Ereignisse der Menschheitsgeschichte sind mit ihm vergleichbar.“

 

„Auch während der Hungersnot in den Jahren 1946 und 1947 bewies Stalin seine Vorliebe für altbewährte Methoden, indem er wie schon 1932 drakonische Gesetze gegen die Entwendung von Staatseigentum durchsetzte. Zwei Dekrete vom 4. Juni 1947 sahen für Diebstahl 5 bis 25 Jahre Lagerhaft vor. Zwischen 1947 und 1952 wurden wegen dieses Delikts mehr als 2 Millionen Menschen verurteilt. Ein Großteil von ihnen waren einfache Leute, die in ihrer erheblichen materiellen Not geringfügige Rechtsverstöße begingen. Eltern, die für ihre hungernden Kinder einen Laib Brot stahlen, wurden zu vielen Jahren Lagerhaft verurteilt.

Die Massenrepression beschränkt sich allerdings nicht auf die Verfolgung von Diebstahl. Nach wie vor gab es auch Verhaftungen wegen politischer Verbrechen, und auch Verstöße gegen die Disziplin am Arbeitsplatz wurden hart bestraft. Etwa 7 Millionen solcher Urteile, im Durchschnitt eine Million pro Jahr, wurden zwischen 1946 und 1952 verhängt. In Stalins letzten Lebensjahren wurde der Gulag zu einem wuchernden Netzwerk von zentraler Bedeutung. Am 1. Februar 1953 waren mehr als 2,5 Millionen Menschen in Lagern, Strafkolonien und Gefängnissen interniert, und „Sondersiedlungen“ in abgelegenen Regionen beherbergten weitere 2,8 Millionen Menschen. Etwa 3 Prozent der Bevölkerung waren entweder interniert oder innerhalb der Sowjetunion verbannt.

Die Massenrepression konzentrierte sich nun auf die neu annektierten Gebiete, wo heftige Guerillakriege tobten. Stalin bekam regelmäßig Berichte über die Befriedung rebellischer Regionen. In den Jahren 1944 bis 1952 wurde in Estland, Lettland und Litauen etwa eine halbe Million Menschen getötet, inhaftiert oder verbannt und noch einmal so viele in den westlichen Gebieten der Ukraine. Für die kleinen Republiken und Provinzen, die insgesamt nur ein paar Millionen Einwohner hatten, waren das schrecklich hohe Zahlen. Das stalinistische System hatte sich weder verändert, noch war es weniger repressiv geworden.“

 

Krieg

 

„Ein Grund für die frühen Siege der Wehrmacht über die sowjetischen Verteidiger war das niedrige Kompetenzniveau auf allen Ebenen der sowjetischen Befehlskette gewesen. Da Stalin, manchmal mit gutem Grund, kein Vertrauen in seine Generäle hatte, führte er den Krieg mit den ihm vertrautesten Techniken: mit brutalen Polizeimaßnahmen, die Angst und Schrecken verbreiteten. Seine Kommandeure wurden gezwungen, unter den wachsamen Augen von Politkommissaren und „Sonderabteilungen“ des NKWD zu arbeiten. Desorganisation und Panik wurden durch Hinrichtungen vor versammelter Mannschaft, Straf- und Sperrbataillone bekämpft. Seine Parallelarmee von Disziplinareinheiten intervenierte sowohl an der Front als auch im Hinterland bei allen Krisen. Als die Verteidigungslinien zusammenbrachen und der Feind immer weiter vorstieß, verlor Stalin das Vertrauen in seine Kommandeure ganz, und er entwickelte eine ganze Palette von Strategien, die seinen Kommandeuren die Flexibilität raubten und häufig zu noch höheren Verlusten der Roten Armee führten …

Die Katastrophen der Jahre 1941 und 1942 bewiesen eindeutig, dass gedankenlose und hastige Manöver, entstanden unter dem Druck der Politkommissare, nicht der Weg zum Erfolg waren. Fundamentale Veränderungen waren erforderlich, doch zu welchem Zeitpunkt konnte Stalin sie auf den Weg bringen? Offensichtlich nicht, solange die Rote Armee verzweifelt versuchte, den deutschen Vormarsch aufzuhalten. Eine Gelegenheit für Veränderungen hatte vielleicht Anfang 1942 bestanden, nach den ersten Siegen der Roten Armee. Doch Stalins Ungeduld und sein Versprechen eines schnellen Sieges hatten nur zu weiteren Niederlagen geführt. Die relative Flaute im Herbst 1942 war für andere Zwecke genutzt worden, wie die sorgfältigen Vorbereitungen zur Einkesselung der Deutschen in Stalingrad beweisen. Erst am Vorabend des Sieges von Stalingrad leitete Stalin endlich grundlegende Veränderungen ein.“

 

„Dass Stalin seinen Generalen Fehler und mangelnde Entschlossenheit vorwarf, war im gesamten Jahr 1942 das Leitmotiv seiner Weisungen. Die Generale selbst waren anderer Ansicht. Marschall Konstantin Rokossowski zum Beispiel schrieb in seinen Memoiren, die Niederlagen im Sommer 1942 seien dadurch verursacht worden, dass das Hauptquartier die Fehler der ersten Stadien des Krieges wiederholt habe. Die Befehle der obersten Führung „waren der Situation nicht angemessen“ und „spielten nur dem Feind in die Hände“. Anstatt die Truppen schrittweise auf bereits vorbereitete Verteidigungslinien zurückzuziehen - im Sommer 1942 war das der Don -, verlangte das Hauptquartier immer wieder Gegenangriffe. Die Soldaten mussten hastig auf die Deutschen losstürmen, „ohne die Zeit, sich zu konzentrieren, und ohne Vorbereitung. Und sie gingen desorganisiert gegen einen Feind in die Schlacht, der unter diesen Umständen einen riesigen numerischen und qualitativen Vorteil besaß … Das alles geschah so, dass es mit der Militärwissenschaft nichts zu tun hatte, die wir auf Hochschulen und Akademien, bei Planspielen und Manövern gelernt hatten, und dass es sämtlichen Erfahrungen widersprach, die wir in den beiden Kriegen zuvor gemacht hatten“.

Stalin wies jede eigene Schuld an den Niederlagen weit von sich und führte sie wie bisher auf Feigheit und Verrat oder wenigstens Inkompetenz seiner Untergebenen zurück.“

 

„Laut der offiziellen Statistik wurden zwischen dem Ausbruch des Krieges und dem 10. Oktober 1941 insgesamt 10.201 Mitglieder der Roten Armee erschossen, davon 3.321 in Anwesenheit ihrer Einheiten. Doch selbst diese Zahlen bieten nur ein ungenügendes Bild von der Repression an der Front und in den frontnahen Gebieten.

Um zu gewährleisten, dass die Soldaten wirklich so hart kämpfen, wie sie konnten, sorgte Stalin dafür, dass es nicht mehr nur eine Schande, sondern ein Verbrechen war, in Gefangenschaft zu geraten. Die entsprechenden Vorschriften waren in dem berüchtigten Befehl Nr. 270 enthalten, den das Hauptquartier des Obersten Befehlshabers am 16. August 1941 erließ. Nach dem Stil zu urteilen, war der Befehl größtenteils, wenn nicht sogar gänzlich, von Stalin geschrieben. Er verlangte, in Gefangenschaft geratene Soldaten „mit allen Mitteln“ zu töten, „entweder durch Bodentruppen oder aus der Luft“. Die Familien von Kommandeuren die sich „bösartigen Deserteuren“ anschlossen, waren zu verhaften. Die Familien gemeiner Soldaten, die sich gefangen nehmen ließen, verloren ihre staatliche Versorgung. Der Befehl wurde in allen Einheiten der Armee laut verlesen. In Gefangenschaft zu geraten galt als Hochverrat, und so wurden ehemals Kriegsgefangene in der sowjetischen Gesellschaft noch viele Jahre nach Ende des Krieges diskriminiert.“

 

Verbannung von Nationalitäten

 

„Als der Krieg sich dem Ende näherte, begann ein neues Prinzip die stalinistische Repression zu prägen, das der kollektiven Verantwortung für die Kollaboration mit den Besatzern. Es fand in der geschlossenen Verbannung mehrerer ethnischer Volksgruppen der Sowjetunion seinen Ausdruck. Ende 1943 und in der ersten Hälfte des Jahres 1944 wurden folgende Volksgruppen zwangsweise umgesiedelt: die Kalmücken, bestimmte ethnische Gruppen aus dem Nordkaukasus (Tschetschenen, Inguschen, Karatschaier, Balkaren) und die Krimtataren sowie alle Bulgaren, Griechen und Armenier, die auf der Krim lebten. Stalins Entscheidung, diese Gruppen in die Verbannung zu schicken, war zum Teil motiviert durch tatsächliche Beweise für Kollaboration mit dem Feind und durch passiven Widerstand gegen die Mobilisierungsanstrengungen der Regierung, insbesondere gegen die Rekrutierung durch die Armee. Für Stalin jedoch hatten die Prinzipien der kollektiven Verantwortung und der kollektiven Bestrafung noch einen tieferen Sinn. Schon vor dem Krieg war es der Regierung schwer gefallen, viele der genannten Ethnien in die neue Sowjetgesellschaft zu integrieren. Im Krieg bestätigte sich nur, dass diese Aufgabe nie zum Abschluss gebracht worden war. Sie in abgelegene Gebiete der UdSSR zu deportieren, war Stalins Ansicht nach eine Möglichkeit, das Problem ein für alle Mal zu lösen. Doch es musste richtig gemacht werden. Ganze Völker mit gemeinsamen Vorfahren und einem gemeinsamen Erbe mussten umgesiedelt werden. Wenn jemand zurückblieb und den heimischen Herd am Brennen hielt, würden viele versuchen, aus der Verbannung zu fliehen und nach Hause zurückzukehren. Bei den Krimtataren war Stalin wegen ihrer Nähe zur Türkei, die er als potenziell feindliche Macht betrachtete, besonders besorgt. Als die ethnischen Deportationen Mitte 1944 fortgesetzt wurden, waren auch die Grenzregionen Georgiens betroffen. Sie wurden von Türken, Kurden und einigen weiteren ethnischen Minderheiten gesäubert, die die sowjetische Staatsmacht als guten Nährboden für türkische Einflussnahme und Spionage betrachtete. Die Deportationen waren im Prinzip eine Fortsetzung der präventiven ethnischen Säuberung, die Stalin schon vor dem Krieg extensiv praktiziert hatte. Doch ihr umfassender Charakter und die Entschlossenheit, mit der sie durchgeführt wurden, waren durch den Krieg motiviert.“

 

Auch Deutsche wurden deportiert. Aus „Wikipedia": „Unmittelbar nach dem deutschen Angriff begann die Zwangsumsiedlung fast aller in der Sowjetunion lebenden Deutschen. Sie wurden entsprechend dem Erlass des Obersten Sowjets vom 28. August 1941 innerhalb weniger Wochen aus den europäischen Teilen der Sowjetunion nach Osten – vorwiegend Sibirien, Kasachstan und an den Ural deportiert. Die Sowjetunion wollte mit der Umsiedlung eine weitreichende Kollaboration der Russlanddeutschen mit Nazi-Deutschland verhindern …

Bis Weihnachten 1941 registrierten die sowjetischen Sicherheitsapparate 894.600 deportierte Deutsche, bis Juni 1942 1.209.430. Damit wurden gemessen an den Zahlen der Volkszählung von 1939 etwa 82 Prozent der deutschstämmigen Sowjetbürger deportiert.

Familien wurden auseinandergerissen, die Menschen wurden mit Viehwaggons transportiert und irgendwo in den Steppen Kasachstans „abgekippt“, wo sie sich Erdhütten gruben und mit Entsetzen dem bevorstehenden Winter entgegensahen. Wieder andere wurden Kolchosen zugewiesen und mussten dort nach Überlebensmöglichkeiten suchen, die man den „Faschisten“ eigentlich gar nicht zubilligte. Gleichzeitig wurden ihre staatsbürgerlichen Rechte aberkannt und ihr Eigentum bis auf ein geringes Handgepäck eingezogen. Die meisten von ihnen waren im Alter zwischen 14 und 60 Jahren und mussten in Arbeitslagern unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten. Mehrere Hunderttausend – die nicht ermittelte Zahl schwankt um 700.000 – starben in dieser Zeit vor allem an schlechten Arbeits-, Lebens- oder medizinischen Bedingungen.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Russlanddeutschen

 

Danach

 

Nach Stalins Tod ging es in der Sowjetunion ziviler zu und Stalins Verbrechen wurden benannt.

Die Bürokratie blieb allerdings so bestehen, wie sie war und trieb ihr Unwesen bis zum Schluss.

 

Farm der Tiere

 

George Orwell hat in „Farm der Tiere“ den Stalinismus perfekt beschrieben.

Aus „Wikipedia“: „Farm der Tiere (Originaltitel: Animal Farm) ist eine Fabel von George Orwell, erschienen im Jahr 1945. Inhalt ist die Erhebung der Tiere einer englischen Farm gegen die Herrschaft ihres menschlichen Besitzers, der sie vernachlässigt und ausbeutet. Nach anfänglichen Erfolgen und beginnendem Wohlstand übernehmen die Schweine immer mehr die Führung und errichten schließlich eine Gewaltherrschaft, die schlimmer ist als diejenige, welche die Tiere abschütteln wollten.

Der Roman gilt als Parabel auf die Geschichte der Sowjetunion, bei der auf die vom Volk getragene Februarrevolution letztlich die diktatorische Herrschaft Stalins folgte.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Farm_der_Tiere

 

Vergleich mit Octavian

 

Von Anbeginn seiner Existenz war es das ausdrückliche Ziel vieler in- und ausländischer Gegner, den Sozialismus in der Sowjetunion zu zerstören. Darf mensch sich dagegen wehren?

 

Aus einem früheren Beitrag des Wurms: „Letztendlich gibt es nämlich eine einzige Voraussetzung für die „Pax Romana“ und das „Goldene Zeitalter“: die Ausschaltung der Gegner.

Zum zweiten Triumvirat (Octavian (Augustus) - Marcus Antonius – Lepidus) im Jahre 43 vor unserer Zeitrechnung schreibt Durant: „Um ihre Truppen auszuzahlen, ihre Truhen wieder zu füllen und Caesar zu rächen, ließen die drei Männer nun die blutigste Schreckensherrschaft auf Rom los, die es je gekannt hatte. Sie ächteten 300 Senatoren und 2000 Angehörige des Ritterstandes und setzten 25000 Drachmen für jeden Freien und 10000 für jeden Sklaven aus, der ihnen den Kopf eines Proskribierten brachte.“

Dass die drei Männer sich hinterher gegenseitig bekriegten, ist wieder eine andere Sache. Allerdings waren mit der „blutigsten Schreckensherrschaft“, die Rom „je gekannt hatte“, die potentiellen Gegner vernichtet und konnten hinterher keine Versuche unternehmen, gegen das Herrschaftssystem des Augustus vorzugehen.“

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/359-pax-romana

 

Octavians Vorgehen war „rational“: eine klar quantifizierbare gefährliche Gruppe, gegen die eine kurze Zeit vorgegangen wurde. Stalin war irrational: gegen alles und jeden, zum größten Teil gegen „Unschuldige“ und das die ganze Zeit. Von Octavians Wirtschafts-Politik profitierte das ganze Reich, von Stalins Wirtschafts-Politik nur eine kleine Elite, während Millionen unter ihr litten bis hin zum Tod.

Die Ausrede „Gefahr für das System“ rechtfertigt in keinster Weise Stalins Vorgehen.

 

Anti-Russismus

 

Nach Revolution und Bürgerkrieg stürmten schon viele vermögende und einflussreiche Exilanten ins Ausland und verbreiteten dort, wie böse die Sowjetunion sei.

Nach Stalins Eroberung mehrerer Länder im 2. Weltkrieg und dem entsprechenden Benehmen, hat die Welle von Hass auf alles Russische zugenommen.

Erst recht, nachdem sich einige Länder von der Sowjetunion und ihrer gemeinsamen Vergangenheit abspalteten. Da war jetzt nicht mehr die Sowjetunion das Übel, sondern „die“ Russen. Auch und gerade in der Ukraine.

 

Aus einem früheren Beitrag des Wurms: „Das seit Jahren von ukrainischen Radikalinskis vorgetragene Ansinnen, den „Holodomor“ als Völkermord an Ukrainern zu bewerten, wurde vom deutschen Bundestag immer wieder wg. erwiesenem Unfug zurückgewiesen.

Nun passt es in die politische Landschaft: böse Russen, gute Ukrainer. Selbst dann, wenn mensch der ukrainischen Propaganda folgen sollte, wäre es absurd: nicht der Staat „Russland“ wäre in die Verantwortung zu nehmen, sondern der Vielvölkerstaat Sowjetunion mit einem Georgier an der Spitze und Ukrainern in der Regierung.“

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/1295-holodomor

 

Unter Stalin und dem Stalinismus hatten alle Völker der Sowjetunion zu leiden, darunter auch Millionen von Russen.

 

Diskreditierung des Sozialismus

 

Stalin hat die Sozialistische Revolution verraten. Wer Sympathien für diese hatte, wurde durch die Kaste der neu entstandenen Bürokratie, das ökonomische Abenteurertum und vor allem die Verbrechen abgeschreckt.

 

Unterstützer im Ausland

 

Für Sozialismus zu sein ist das Eine. Für Stalinismus und Stalin selbst zu sein, das Andere. Gerade westliche Intellektuelle waren nach dem Krieg häufig auf Stalins Seite – was selbst durch die „gute Idee des Sozialismus“ nicht entschuldbar ist.

Wer es wissen wollte, wusste, welche Untaten Stalin begangen hatte. Aber viele wollten es nicht wissen und lieber der eigenen Propaganda glauben. Erst als die Wahrheit in den eigenen Reihen ausgesprochen wurde, wurde ihr geglaubt.

 

Aus einem früheren Beitrag des Wurms: „Eric Hobsbawm war ein Salon-Marxist, der mit dem real existierenden Sozialismus und der Sowjetunion nicht viel zu tun hatte. Seine Welt waren diejenigen Menschen, die sich für eine bessere Welt einsetzten, von denen er einige in seiner Autobiographie liebevoll beschreibt. Neben Großbritannien war er vor allem mit Intellektuellen in Frankreich, Italien und den USA zugange, später auch in Spanien und den lateinamerikanischen Ländern.

Aus seiner Autobiographie: „In der Geschichte der revolutionären Bewegung des vergangenen Jahrhunderts gab es zwei „zehn Tage, die die Welt erschütterten“: die Tage der Oktoberrevolution, die in dem Buch von John Reed mit dem gleichnamigen Titel beschrieben wurden, und der XX. Parteitag der KPdSU (14.-25. Februar 1956). Beide Ereignisse teilen diese Geschichte abrupt und unwiderruflich in ein „Davor“ und ein „Danach“. Ich kenne kein vergleichbares Ereignis in der Geschichte einer bedeutenden weltanschaulichen oder politischen Bewegung. Um es in wenigen einfachen Worten auszudrücken, die Oktoberrevolution schuf eine weltkommunistische Bewegung, der XX. Parteitag zerstörte sie …

Was die große Masse ihrer Mitglieder verstörte, war die Tatsache, daß die bis zur Brutalität schonungslose Anprangerung der Untaten Stalins nicht von der „bürgerlichen Presse“ kam, deren Geschichten, wenn sie überhaupt gelesen wurden, von vornherein als Verleumdungen und Lügen zurückgewiesen werden konnten, sondern von Moskau selbst. Es war für loyale Gläubige unmöglich, die Informationen nicht zur Kenntnis zu nehmen, aber ebenso unmöglich zu wissen, was Sie daraus machen sollten. Selbst diejenigen, die „(im Hinblick auf die enthüllten Tatsachen) schon Jahre vor Chruschtschows Rede einen starken Verdacht gehegt hatten, … der auf eine moralische Gewißheit hinauslief“, waren erschüttert über das schiere Ausmaß der Massenmorde Stalins an Kommunisten, das ihnen bislang weitgehend verborgen geblieben war. (Von den anderen Opfern hatte Chruschtschow noch gar nicht gesprochen.) Und kein denkender Kommunist kam darum herum, sich einige ernsthafte Fragen zu stellen.“

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/1287-hobsbawm

 

Trotz alledem

 

Aus einem früheren Beitrag des Wurms: „Was mensch auch immer gegen die neue Regierung sagen kann – zumindest waren die Absichten menschenfreundlich. Getreu nach dem Motto des größten Glücks der größten Zahl …

Also: Gleichberechtigung aller Menschen. Keine Bevorteilung Adeliger oder etwa Reicher, keine Benachteiligung von Frauen oder etwa Juden.

„Die Verbrechen des Stalinismus – einer antimarxistischen, nationalistischen bürokratischen Reaktion gegen Programm und Prinzipien des Bolschewismus – entwerten nicht die Oktoberrevolution und ihre echten Errungenschaften, einschließlich der Erfolge des Sowjetstaats in den 74 Jahren seines Bestehens. In der heutigen, neuen Periode einer globalen Krise des kapitalistischen Systems ist ein abermaliges Studium der Russischen Revolution und ihrer Lehren eine unabdingbare Voraussetzung dafür, einen Ausweg aus der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Sackgasse unserer Zeit zu finden.“

https://www.wsws.org/de/articles/2017/03/22/nort-m22.html

Kein Zweifel: Stalin war ein Verbrecher und der Stalinismus war ein kriminelles Regime.

Aber: wer nach Hitler und dem Nationalsozialismus nicht auf die Idee kommt, dass damit der Kapitalismus diskreditiert sei, braucht nicht damit anzufangen, Sozialismus mit Stalin gleichzusetzen …

David North: „Zehn Gründe, die Russische Revolution zu studieren

Grund 1: Die Russische Revolution war das wichtigste, folgenreichste und progressivste politische Ereignis des 20. Jahrhunderts. Ungeachtet des tragischen Schicksals der Sowjetunion, die durch die Verrätereien und Verbrechen der stalinistischen Bürokratie zerstört wurde, hatte kein anderes Ereignis des letzten Jahrhunderts ähnlich weitreichende Auswirkungen auf das Leben Hunderter Millionen Menschen in aller Welt.

Grund 2: Die Russische Revolution, die in der Eroberung der politischen Macht durch die Bolschewistische Partei im Oktober 1917 gipfelte, markierte ein neues Stadium der Weltgeschichte. Mit dem Sturz der bürgerlichen Provisorischen Regierung wurde der Beweis erbracht, dass eine Alternative zum Kapitalismus kein utopischer Traum ist, sondern eine reale Möglichkeit, die durch den bewussten politischen Kampf der Arbeiterklasse verwirklicht werden kann …

Grund 5: Die Machteroberung der Bolschewistischen Partei im Oktober 1917 und die erstmalige Errichtung eines Arbeiterstaats beflügelten das Klassenbewusstsein und das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse und der unterdrückten Massen auf der ganzen Welt. Die Russische Revolution war der Anfang vom Ende des alten Systems der Kolonialherrschaft, das der Imperialismus im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert geschaffen hatte. Sie radikalisierte die internationale Arbeiterklasse und setzte eine weltweite revolutionäre Bewegung der unterdrückten Massen in Gang. Die bedeutenden sozialen Errungenschaften der internationalen Arbeiterklasse – die Gründung von Industriegewerkschaften in den USA in den 1930er Jahren, die Niederlage Nazideutschlands im Zweiten Weltkrieg, die Sozialstaatspolitik in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und die schrittweise Entkolonialisierung – waren Ergebnisse der Russischen Revolution

Als Erstes beschlossen die Bolschewiki ein Dekret über den Frieden, das alle kriegsführenden Parteien aufforderte, Verhandlungen über ein Ende des Kriegs ohne Annexionen und Kontributionen aufzunehmen. Zweitens verabschiedete die neue Sowjetregierung ein Dekret über Grund und Boden, in dem es heißt: „Das Recht auf Privateigentum an Grund und Boden wird für immer aufgehoben, der Boden darf weder verkauft noch gekauft, verpachtet, verpfändet oder auf irgendeine andere Weise veräußert werden.“

So begann die größte soziale Revolution der Weltgeschichte. Es hatte andere Revolutionen gegeben: die englische Revolution von 1640-1649, die amerikanische Revolution von 1776-1783, die französische Revolution von 1789-1794 und die zweite amerikanische Revolution von 1861-1865. Dass keine von ihnen die Ideale verwirklichte, die sie verkündet hatte, oder auch nur in die Nähe kam, sie zu verwirklichen, tut ihrer Bedeutung als Meilensteine der historischen Entwicklung der Menschheit keinen Abbruch. Nichts ist derart abstoßend wie das Bemühen der Vertreter der Postmoderne, die Opfer zu diskreditieren, die vergangene Generationen im Bemühen um eine bessere Welt gebracht haben. Marxistische Sozialisten haben nicht die geringste Sympathie für diese Art von kleinbürgerlichem Zynismus. Während wir die historischen Schranken der Bemühungen von Revolutionären früherer Epochen verstehen, zollen wir ihnen Respekt.

Welthistorisch betrachtet verkörpert die Russische Revolution die höchste und bisher unübertroffene Anstrengung der Menschheit, die Ursachen von Ungerechtigkeit und menschlichem Elend zu identifizieren und zu beenden.“

https://www.wsws.org/de/articles/2017/03/22/nort-m22.html

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/552-erschuetterung-der-welt

 

Anleitung: wie mensch zum Diktator und Verbrecher wird

 

1. Mensch setze sich an die Spitze einer Bewegung, die erklärt, die Menschheit zu „retten“ oder zu „erlösen“ – die das nicht wollen, sind „böse“ und „Feinde“; die Bewegung hat immer Recht, die „Feinde" haben immer Unrecht

2. Mensch erkläre, selbst die Bewegung zu einen und sehr friedlich zu sein – die Gegner wollen „spalten“ und „Gewalt“ anwenden

3. Mensch verschaffe der Bewegung Privilegien gegenüber dem Rest der Bevölkerung

4. Schaffe neue Ämter und statte sie mit Deinen Leuten aus

5. Je untertäniger sich Menschen einem gegenüber erweisen, umso mehr Privilegien und Macht erhalten diese

6. Junge Menschen glauben alles; erziehe sie nach Deinem Willen – sie werden Deine Ziele mit Fanatismus verfolgen

7. Gib nie Fehler zu – schuld sind immer die „Feinde“: lasse diese dann für Deine Fehler „büßen“

8. Mache alle von Dir abhängig und wiege niemanden in Sicherheit: jeder kann jederzeit seines Amtes enthoben werden

9. Alle, die gegen „das Gute“ (also mensch selbst) sind, gehören vernichtet

10. Bringe Justiz, Geheimdienst, Polizei auf Deine Seite und verbreite Schrecken bei der gesamten Bevölkerung

11. Sorge dafür, dass die Medien Dich als den Größten darstellen

 

Entscheidend ist Punkt 1: Rettung bzw. Erlösung der Menschheit. Wer es schafft, diesen Punkt in den Köpfen seiner Anhänger einzupflanzen und sich an deren Spitze zu setzen, kann ausnahmslos alle Verbrechen begehen. Angefangen von einer kleinen religiösen Gruppe (siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/399-weltenende ) bis hin zu einem großen Staat.

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm

 

 

Das Böse verlachen

- Satire, Realsatire, ernst Gemeintes -

 

11. März – Wochenkommentar von Ferdinand Wegscheider

„Fragen, die Antworten suchen ...“ - Im neuen Wochenkommentar geht es diesmal um die Rede des Kanzlers zur Zukunft der Nation, um die Wahlen in Kärnten und um die Hintergründe des Sprengkommandos der Nordstream-Pipelines!

https://www.servustv.com/aktuelles/v/aatt7wt4ussttrphqigq/

 

ARD & ZDF: SO NAH

https://www.youtube.com/watch?v=UiurS2bk_H4

 

Lauterbach und die schweren Nebenwirkungen

https://www.youtube.com/watch?v=0Ee2-wPQrKE

 

Braun.Beige.Weiss

https://www.youtube.com/watch?v=sBDCA4DPdC8

 

LAUTERBACH WIRFT HEUTE BIG PHARMA EXORBITANTE GEWINNE VOR.UND GESTERN? UND WAS SAGT BILL DAZU?

https://www.bitchute.com/video/PcGuCkbFWuTi/

 

HEUTE VOR 3 JAHREN: "ACHTUNG FAKE NEWS" - IHR BUNDESMINISTERIUM FÜR GESUNDHEIT, 14.MÄRZ 2020

https://www.bitchute.com/video/jIjaM9yRhcSZ/

 

Uwe Steimle / Ostalgie - Frauentag / Steimles Aktuelle Kamera / Ausgabe 98

https://www.youtube.com/watch?v=A9C2z04iGD4

 

Der alte, weisse Mann

https://www.youtube.com/watch?v=Oz-LCkBpMQ0

 

HallMack  Aktuelle Kamera 9

https://www.frei3.de/post/ed4a3b75-785b-4eda-9445-e0e32d8ad07c

 

HallMack  Deutschland mental nicht vorbereitet

https://www.frei3.de/post/9003e2fc-053a-46c5-af8d-41ebfe6109da