Über Deutschland

Vor 250 Jahren wurde Madame de Stael geboren, eine Frau, die zu ihrer Zeit im größten Teil Europas bedeutenden Einfluss auf Politik, Gesellschaft und Literatur hatte.

Über ihr Hauptwerk „Über Deutschland“ (das in Frankreich bekannter ist als in Deutschland), übt sie diesen Einfluss auch heute noch aus.

 

Madame de Stael

 

Der Bayerische Rundfunk hat ihre Lebens-Geschichte recht gut zusammen gefasst:

http://www.br.de/radio/bayern2/wissen/radiowissen/germaine-de-stael-napoleon-100.html

Aus „Wikipedia“: „Baronin Anne Louise Germaine de Staël-Holstein bzw. Madame de Staël (* 22. April 1766 in Paris; † 14. Juli 1817 ebenda) war eine französische Schriftstellerin. Sie gilt zugleich als Vorläuferin der Literatursoziologie und der vergleichenden Literaturwissenschaft. Ihr meistgelesenes Werk war Über Deutschland. Es hatte Einfluss auf das Deutschlandbild vieler Franzosen im 19. Jahrhundert.

Madame de Staël, wie sie in der französischen Geschichte und insbesondere der Literaturgeschichte heißt, wuchs in Paris als Tochter des Genfer Bürgers (und Sohn eines dorthin berufenen deutschen Juraprofessors) Jacques Necker auf. Dieser hatte mit einem Genfer Kompagnon in Paris eine Bank aufgebaut und wurde später französischer Finanzminister (1777–1781) bzw. Finanzminister und Regierungschef (1788–1790). Im Salon ihrer Mutter, der Philanthropin Suzanne Curchod (Madame Necker), die ebenfalls aus der Schweiz stammte, lernte sie zahlreiche Autoren der Aufklärung kennen und entwickelte ihre vielfältigen Talente. Als Zehnjährige war sie erstmals länger in England. Schon früh versuchte sie sich literarisch; so verfasste sie mit zwölf Jahren eine Komödie. Fünfzehnjährig befasste sie sich eingehend mit Montesquieus Werk De l'esprit des lois/Vom Geist der Gesetze, das für ihre politische Orientierung bestimmend bleiben sollte. Über ihren Vater, der spätestens ab 1768 auf der Pariser politischen Bühne aktiv war, hatte sie früh Kontakt mit der Politik.

1786 heiratete sie den 17 Jahre älteren schwedischen Botschafter in Paris Baron Erik Magnus Stael von Holstein, der schon acht Jahre vorher, noch als Botschaftsattaché, um ihre Hand angehalten hatte. Sie wurde von ihm am Königshof eingeführt und profitierte auch anderweitig von ihrem Status als Botschaftergattin. Im Verlauf der 14-jährigen Ehe mit ihm – man trennte sich offiziell im Jahr 1800, kurze Zeit vor seinem Tod 1802 – bekam Madame de Staël vier Kinder, deren erstes, Gustavine (geb. 1787), zweijährig starb und deren letztes, Albertine (geb. 1797), außerehelich gezeugt war. Denn eine treue Gattin war sie nicht. Bereits ab 1788 hatte sie einen ersten längerzeitigen Geliebten, den Grafen de Narbonne. Darüber hinaus lebte sie oft fern von ihrem Mann auf längeren Reisen oder in der Verbannung …

1789 sympathisierte Madame de Staël, wie so viele liberale Adelige und Großbürger, zunächst mit der Revolution. Ihr Salon war ein Treffpunkt der gemäßigten Revolutionäre, und große Teile der ersten Verfassung von 1790 wurden unter ihren Augen ausgearbeitet. Auch in der Folgezeit versuchte sie den Gang der Dinge mitzubestimmen, und zwar direkt über eine jedoch nicht sehr umfängliche publizistische Tätigkeit und indirekt über die Einflussnahme auf einflussreiche Männer, wie Narbonne, der 1790/91 kurze Zeit Kriegsminister war. Im Jahr 1790 bekam sie ihr zweites Kind, Auguste.

Als die Revolution sich 1792 zunehmend radikalisierte und die Gemäßigten ins politische Abseits und bald als Dissidenten auch in Todesgefahr gerieten, versuchte Madame de Staël im Juli, die königliche Familie zur Flucht aus Paris zu bewegen, was die Königin jedoch ablehnte. Sie selbst floh im September auf ihr Schlösschen in Coppet bei Genf, wo sie wenig später ihr drittes Kind, Albert, bekam. Coppet, das ihr Vater 1784 gekauft hatte, diente ihr von nun an immer wieder als Zufluchtsort für kürzere oder längere Aufenthalte. Hierbei beherbergte sie häufig auch andere Flüchtlinge und empfing Besuche von bedeutenden Zeitgenossen, z. B. Chateaubriand oder Lord Byron …

Nach zwei unsteten, in Paris, Coppet und auf Reisen verbrachten Jahren, publizierte sie im April 1800 die bedeutende Abhandlung De la littérature considérée dans ses rapports avec les institutions sociales (= Von der Betrachtung der Literatur im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Institutionen). Hierin formuliert sie als eine der Ersten die Theorie, dass literarische Werke durch das konkrete Umfeld, in dem sie entstehen, geprägt sind, worunter sie sinnfälligerweise vor allem die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse verstand, allerdings auch die klimatischen und geographischen sowie sonstige äußere Bedingungen. In diesem Sinne rief sie die quasi zwischen Nord und Süd platzierten französischen Literaten auf, sich nicht mehr nur an der heidnischen mediterranen Kultur der Antike zu inspirieren, sondern auch an der christlich-germanisch geprägten Kultur des mittelalterlichen Mittel- und Nordeuropas. Hiermit wies sie der beginnenden Romantik den Weg. Sie selbst begann, in Konsequenz ihrer Einsichten, Deutsch zu lernen und sich mit der deutschen Kultur zu befassen.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Anne_Louise_Germaine_de_Sta%C3%ABl

Wer sich in der Nähe vom Genfersee aufhält, sollte ihren Wohnsitz in Coppet besuchen: die zu besichtigenden Räumlichkeiten sind wie zu ihrer Zeit eingerichtet. Letztendlich ist Coppet ein bedeutender Ort europäischer Geistes-Geschichte.

 

 

 

Über Deutschland

 

„Wikipedia“: „De l’Allemagne wurde 1810 fertiggestellt, jedoch sofort nach dem Druck von der napoleonischen Zensur verboten, samt Manuskript konfisziert und eingestampft. Denn es zeigte den Franzosen ein stark idealisiertes Deutschland als Kontrast und teilweise auch als Vorbild für ihr militaristisches und zentralistisches, von Napoleon diktatorisch regiertes und mundtot gemachtes eigenes Land jener Jahre. Das Bild eines regionalistisch vielfältigen, musik-, philosophie- und literaturbegeisterten, gefühls- und phantasiebetonten, mittelalterlich-pittoresken, allerdings auch etwas rückständigen und harmlosen Deutschlands, das Madame de Staël so entwarf, sollte nach 1815 jahrzehntelang die Sicht der französischen Eliten prägen. Die Bezeichnung Deutschlands als „Land der Dichter und Denker“ geht auf De l’Allemagne zurück.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Anne_Louise_Germaine_de_Sta%C3%ABl

Frankreich soll von Deutschland lernen

„Sabine Appel schreibt in ihrer wunderbar ironischen, lesenswerten Biografie über das Buch:

„Die französische Zivilisation war die zivilisierteste in Europa, daran ließ sie selbst jetzt keinen Zweifel, unübertroffen in der Form, im Geschmack, in Eleganz, Weltläufigkeit, Lebensart, Diplomatie; das Wort „Esprit“ subsumierte das alles. Doch die Zeit verlangte nach Rückbesinnungen, die über diese etablierten Formen hinausgingen und für die diese Formen sogar ein Hindernis darstellten, weil man eben nicht tief genug in die Fragestellungen eindrang und aus Leichtigkeit von keiner positiven Setzung mehr ausging. Die Deutschen mit ihrer Schwerfälligkeit und ihrer Unkundigkeit in weltlichen Dingen hatten den Tiefsinn, den ein Denken erfordert, das bis zu den Ursätzen vorstoßen will.“

De Staël, so Appel, sei auf der Suche nach neuen Impulsen aus anderen Ländern gewesen, denn die Franzosen hatten ihre kulturelle und intellektuelle Führungsrolle in Europa eingebüßt. Ihrem Freund und Landsmann Charles de Villers, der in Lübeck lebte, schrieb die Staël: „Ich studiere das Deutsche sehr sorgsam, und ich habe die sichere Empfindung, dass ich nur dort neuen Gedanken und neuen Gefühlen begegnen werde.“ Im Prinzip ging es Madame aber weniger um Deutschland als vielmehr um Frankreich: Sie wollte der Grande Nation einen Spiegel vorhalten, Impulse für eine Weiterentwicklung geben.

Das Buch löste in Frankreich nahezu eine Deutschland-Manie aus: Plötzlich wollte jeder auf die andere Rhein-Seite! Der Schriftsteller Victor Hugo beispielsweise machte drei lange Reisen nach Deutschland und veröffentlichte danach sein Buch „Le Rhin“ (Der Rhein).“

http://de.theeuropean.eu/julia-korbik--4/7979-madame-de-staels-deutschlandbild

Ein Kind ihrer Zeit und ein Kind ihrer Schicht

Manches in ihren Gedanken mag zeitlos sein, einiges aus ihrer Zeit heraus kommen und vor allem kommt einiges aus ihrer Schicht heraus. Der französischen Königin Marie Antoinette wurde während der Revolutions-Zeit der Satz in den Mund gelegt „Dann sollen sie doch Kuchen essen“ auf die Vorhaltung, dass ihre Untertanen kein Brot zu essen hätten. – Marie Antoinette hatte diesen Satz nie gesagt. Was ihm allerdings Sprengkraft gab, war, dass dies unerheblich war – es war ihr zuzutrauen, dass sie so etwas gesagt hätte haben können.

Von Madame de Stael hätte er auch stammen können. Zumindest, wenn mensch folgende Sätze gelesen hat:

„Arbeitsleute aller Classen, Steinhauer sogar, ruhen sich aus, mit einem Buche in der Hand.“

„Die deutschen Frauen besitzen einen eigenthümlichen Reitz; sie haben eine rührende Stimme, blondes Haar, eine blendende Haut … Sie suchen durch die Empfindsamkeit zu gefallen, durch die Einbildungskraft zu interessiren; die Sprache der Dichtkunst und der schönen Künste ist ihnen geläufig … Man kann es nicht in Abrede seyn; der Heiligkeit der Ehe geschieht, in den protestantischen Ländern, durch die Leichtigkeit, womit sie getrennt werden kann, großer Abbruch. Die Frau nimmt sich einen andern Gatten, wie der Dichter eine Nebenscene in seinem Drama abändert.“

Madame de Stael sieht nur, was sie sehen will und sie verallgemeinert sehr stark. Die arbeitende Bevölkerung (so sie denn überhaupt lesen konnte) dürfte die „Sprache der Dichtkunst“ relativ wenig interessiert haben. Es ist so, als wenn heute eine Multi-Millionärin mit ihrem Dienst-Personal nach Deutschland käme und schriebe, wie wunderbar es den einfachen Leuten doch gehen würde.

Die Schwächen

Neben Idealisierungen und Verallgemeinerungen ist sie nicht immer auf der Höhe der Zeit: der Musik ist nur ein kurzes Kapitel gewidmet, in dem die Namen Bach oder Beethoven noch nicht mal vorkommen; Mozart wird nur kurz erwähnt. Moderne Architektur, Bildhauerei, Malerei werden bei ihr so gut wie gar nicht erwähnt.

Genau so wenig wie die Politik.

Die Stärken

„In Frankreich studiert man die Menschen, in Deutschland die Bücher.“

Dies ist einer der Kernsätze des Buches. Madame de Stael beschreibt die Deutschen als Schrate, denen es um die Tiefen des Denkens und um Prinzipielles geht. Die alleine in ihrem Studier-Zimmer über Tiefgründiges nachdenken und darüber lesen, aber zu keiner ordentlichen Konversation fähig sind.

Sie und ihre Bediensteten werden von der deutschen Ruhe und „Langsamkeit“ beinahe in den Wahnsinn getrieben. Sie vergleicht deutsches Verhalten gegenüber dem französischen oder mit anderen südlichen Ländern, vor allem Italien. Etwa hier (nach einem Aufenthalt im Wiener Prater):

„Alle Abende kehren die Männer bei Tausenden in die Stadt zurück, ihre Frauen am Arm, ihre Kinder bei der Hand führend; keine Unordnung, kein Streit erhebt sich in dem Gewirre; kaum hört man sie sprechen, so still und stumm ist ihr Vergnügen … Man denke sich einen Augenblick eine eben so große Anzahl Pariser an einem Orte versammelt; wie würde die Luft mit Witzfunken, mit Scherzen aller Art, mit Zank und Lärmen angefüllt seyn? Hat je der Franzose ein Vergnügen gehabt, in welches sich nicht die Eigenliebe auf diese oder jene Art eingedrängt hätte?“

Mittlerweile sind 200 Jahre vergangen und sehr vieles hat sich getan und verändert.

Aber es stimmt immer noch einiges. Vor allem ist es interessant, den Blick von außen zu erhalten. Manches von ihr mag übertrieben sein, nicht stimmen oder von der Zeit überholt sein – manches aber auch nicht. Und manches mag für mensch so selbstverständlich sein, dass er sich darüber erst gar nicht den Kopf zerbricht und erst durch den Blick von außen dessen gewahr wird. Dazu gehört die Musikalität in Deutschland.

Richtig gut ist Madame de Stael in den Beschreibungen der deutschen Literatur und Philosophie. Auch, wenn mensch eine andere Meinung als sie haben sollte, und trotz aller Schwächen: „Über Deutschland“ ist ein einzigartiges und überragendes Werk, das sich mit der Geisteswelt Deutschlands um 1800 befasst, also der „goldenen Ära“. Madame de Stael hat so gut wie alle Geistesgrößen der damaligen Zeit gekannt – und das merkt mensch.

Mehr über „Über Deutschland“ gibt es hier zu lesen:

http://www.zeit.de/2010/23/Madamede-Stael

http://blog.litteratur.ch/WordPress/?p=5685

http://www.tabularasamagazin.de/artikel/artikel_3484/

Und hier das Original:

https://www.hs-augsburg.de/~harsch/gallica/Chronologie/19siecle/DeStael/sta_a000.html

Und hier Auszüge aus dem Buch in der Übersetzung von Friedrich Buchholz aus dem Jahr 1815. Dankenswerterweise von der „BIBLIOTHECA AUGUSTANA“ in vollständiger Länge ins Netz gestellt:

 

Allgemeine Bemerkungen

 

Ich habe es daher für nicht unvortheilhaft gehalten, dasjenige Land Europa's, wo Studium und Nachdenken so weit gediehen sind, daß man es als das Vaterland des Denkens ansehen kann, allgemein bekannter zu machen.

 

Deutschland und die Sitten der Deutschen

 

Sitten und Character der Deutschen

Da es keine Hauptstadt giebt, die der Sammelplatz der guten Gesellschaft von ganz Deutschland ist, so kann der gesellige Geist seine Gewalt nur wenig geltend machen, so fehlt es dem herrschenden Geschmack an Einfluß, und den Waffen des Spotts am Stachel. Der große Theil der Schriftsteller arbeitet in der Einsamkeit, oder in dem engen Kreise kleiner Umgebungen, über die sie die Herrschaft führen. Sie geben sich, jeder besonders, allem hin, was eine ungezügelte Einbildungskraft ihnen eingiebt; und wenn sich in Deutschland eine Spur der Modegewalt blicken läßt, so besteht sie bloß darin, daß sich jeder etwas damit weiß, sich von allen andern zu unterscheiden …

Die Deutschen sind im Allgemeinen aufrichtig und treu; fast immer ist ihr Wort ihnen heilig, und der Betrug ihnen fremd. Sollte sich je die Falschheit in Deutschland einschleichen, so könnte es nur geschehen, um sich den Ausländern nachzubilden; um zu zeigen, daß sie eben so gewandt seyn können als jene; vor allem, um sich nicht von ihnen hinter's Licht führen zu lassen; bald aber würde der gesunde Verstand und das gute Herz die Deutschen auf die Ueberzeugung zurückbringen, daß man nur durch seine eigene Natur stark sey, und daß die Gewohnheit des Rechtlichen uns ganz und gar unfähig zur Arglist mache, selbst dann, wenn wir sie gebrauchen möchten …

Der deutschen Nation hingegen darf man es zum Ruhme nachsagen, daß es ihr beinahe an der Fähigkeit fehlt, die geschmeidig-dreist es versteht, jede Wahrheit jedem Vortheil zu Gunsten zu beugen, und die heiligen Verbindlichkeiten der kalten Berechnung aufzuopfern. Ihre Mängel sowohl, als ihre Eigenschaften, unterwerfen diese Nation der ehrenvollen Notwendigkeit, gerecht zu seyn …

Man hat viel Mühe, wenn man so eben aus Frankreich kam, sich an die Langsamkeit, an den Ruhestand des deutschen Volks zu gewöhnen; es hat nie Eile, findet allenthalben Hindernisse. Das Wort unmöglich hört man hundertmal in Deutschland aussprechen, gegen einmal in Frankreich. Muß gehandelt werden, so weiß der Deutsche nicht, was es heißt, den Hindernissen entgegen streben; und seine Achtung vor der Gewalt rührt mehr davon, daß sie in seinen Augen dem Schicksale gleicht, als von irgend einem eigennützigen Grunde her.

Der gemeine Mann hat in Deutschland eine ziemlich rauhe Aussenseite, zumal wenn man seiner gewöhnlichen Art zu seyn in den Weg tritt; dies hat zur natürlichen Folge, daß er länger als der Adel jene heilige Antipathie gegen die Sitten, Gebräuche und Sprachen des Auslandes beibehalten möchte, welche in allen Ländern das Nationalband schließt. Bietet man ihm Geld an, so bringt dies in seiner Handlungsweise keine Veränderung hervor; die Furcht führt ihn nicht von seinem Wege ab; er hat, mit einem Worte, jene Beharrlichkeit in allen Dingen, welche ein herrlicher Vorschritt zur Moralität ist; denn der Mensch, den die Furcht, und noch mehr die Hoffnung, in beständiger Bewegung erhält, geht leicht von einer Meinung zur andern über, wenn es sein Vortheil befiehlt …

Die Bewohner der Städte und Dörfer, Soldaten und Landleute, verstehen fast alle Musik. Es ist mir sehr oft begegnet, in kleine vom Tabaksdampf durchräucherte Hütten zu treten, und nicht allein die Hausfrau, sondern auch ihren Mann, auf dem Klavier phantasiren zu hören, wie man in Italien improvisirt. Allenthalben ist die Einrichtung getroffen, daß an Markttagen auf dem Altan des Rathhauses mitten auf dem Platze Spielleute mit blasenden Instrumenten sich versammeln; so daß die Bauern der benachbarten Dörfer ihren freudigen Antheil an der ersten aller Künste nehmen können. Sonntags singen Chorschüler auf den Straßen geistliche Lieder …

Man sollte den Deutschen ebenfalls für ihren guten Willen Dank wissen, anstatt sie zu belächeln, wenn sie uns durch ihre ehrerbietige Verneigungen und ihre förmliche Höflichkeit zu ehren gedenken. Sie hätten ja so leicht durch Gleichgültigkeit und Kälte jene Artigkeit und Grazie ersetzen können, die zu erreichen wir Ausländer sie für unfähig halten …

Es giebt kein Land, wo die Gelehrten oder junge Studierende auf hohen Schulen es weiter in den alten Sprachen und in der Kenntniß des Alterthums gebracht hätten; und von einer andern Seite kein Land, wo altväterische Sitten und Gebräuche einheimischer wären, als in Deutschland …

Die Abscheidung der Classen, in Deutschland weit schärfer gezeichnet, als sie es in Frankreich war, mußte den Soldatengeist im Bürger ersticken. Diese Abscheidung hat, an sich, nichts Beleidigendes; denn, ich wiederhole es, die Gutmüthigkeit scheint überall in Deutschland, selbst in dem Aristokratenstolz, durch, und die Verschiedenheit der Stände beschränkt sich auf einigen Vorrang bei Hofe, auf einige geschlossene Zirkel, welche zu wenig Vergnügen gewähren, um in denen, die sie entbehren müssen, Neid zu erregen; denn nichts ist empfindlich, in welcher Hinsicht es sey, wo die Gesellschaft und durch sie die Waffe des Lächerlichen, nur wenig Gewalt hat. Die Menschen können dem Gemüth nur durch Falschheit oder Spott wehe thun; und in einem Lande voller Ernst und Wahrheit giebt es immer Gerechtigkeit und Glück. Aber die Scheidewand, die in Deutschland den Adel von dem Bürgerstand trennte, hatte zur nothwendigen Folge, daß die Nation im Ganzen minder kriegerisch ward …

Die Art von Unparteilichkeit, die ich den Luxus der Gerechtigkeit nennen möchte, und die den Deutschen characterisirt, macht ihn weit fähiger, sich für abstracte Ideen, als für das Interesse des Lebens zu entflammen. Ein deutscher General, der eine Schlacht verliert, ist sicherer, Nachsicht zu erhalten, als einer, der sie gewinnt, glänzendes Lob einzuernten; überhaupt ist, bei einem solchen Volke, zwischen glücklichen und unglücklichen Erfolgen der Unterschied nicht groß genug, um den Ehrgeiz lebhaft anzuspornen …

Das politische und gesellschaftliche Gut der Völker, eine gleiche Regierung, ein gleicher Gottesdienst, gleiche Gesetze, gleiches Interesse, eine classische Literatur, eine vorherrschende Meinung; nichts von allem diesem findet sich bei den Deutschen. Dadurch wird freilich jeder einzelne Staat unabhängiger, jede Wissenschaft besser angebaut; aber die Nation im Ganzen zerfällt in solche Unterabtheilungen, daß man nicht weiß, welchem Theile des Reichs man den Namen Nation beilegen soll.

Die Freiheitsliebe ist bei den Deutschen nicht entwickelt; sie haben weder durch Genuß, noch durch Entbehrung, den Werth kennen gelernt, den man in diesem höchsten Gute finden kann …

Die Unabhängigkeit selbst, die man beinahe in jeder Hinsicht in Deutschland genoß, machte die Deutschen gleichgültig gegen die Freiheit: die Unabhängigkeit ist ein Gut, die Freiheit eine Bürgschaft; und eben weil niemand in Deutschland weder in seinen Rechten, noch in seinen Genüssen gekränkt wurde, fühlte man nicht das Bedürfniß einer Ordnung der Dinge, durch die dieses Gut behauptet würde …

Die alten Urkunden, die alten Privilegien der Städte, jene große Familiengeschichte, die das Glück und den Ruhm der kleinen Staaten ausmacht, war den Deutschen über alles theuer; sie vernachlässigten darüber die große Nationalmacht, die es vor allen Dingen wichtig war, mitten unter den europäischen Colossen zu begründen.

Dem Deutschen fehlt es, mit wenigen Ausnahmen, an Fähigkeit zu allem, wozu Gewandtheit und Geschicklichkeit erfordert wird. Alles beunruhigt ihn, macht ihn verlegen; er bedarf eben so sehr der Methode im Handeln, als der Unabhängigkeit im Denken. Der Franzose hingegen betrachtet die Handlungen mit der Freiheit der Kunst, und die Ideen mit der Knechtschaft der Gewohnheit. Die Deutschen, die sich dem Joche der Regeln in der Literatur nicht unterwerfen können, möchten, daß im Leben ihnen alles vorgezeichnet würde. Sie verstehen sich nicht darauf, mit den Menschen zu verhandeln, und je weniger man ihnen Gelegenheit giebt, sich bei sich selbst Raths zu erholen, desto mehr ist man ihnen willkommen …

Der Vorzug, den der Soldatenstand hat, und die Verschiedenheit der Stände überhaupt haben sie in allen Verhältnissen des geselligen Lebens an die genaueste Unterwürfigkeit gewöhnt; der Gehorsam ist bei ihnen nicht Knechtschaft, er ist Regelmäßigkeit; sie sind in Erfüllung der an sie ergehenden Befehle eben so pünktlich, als ob jeder Befehl eine Pflicht wäre.

Die aufgeklärten Köpfe in Deutschland streiten lebhaft mit einander um die Herrschaft im Gebiet der Speculation; hier leiden sie keinen Widerspruch; überlassen übrigens gern den Mächtigen der Erden alles Reelle im Leben …

Der Geist der Deutschen scheint mit ihrem Charakter in keiner Verbindung zu stehen; jener leidet keine Schranken, dieser unterwirft sich jedem Joche; jener ist unternehmend, dieser blöde; die Aufklärung des ersten giebt selten dem zweiten Kraft: und dieses erklärt sich gar leicht.

Die Frauen

Die deutschen Frauen besitzen einen eigenthümlichen Reitz; sie haben eine rührende Stimme, blondes Haar, eine blendende Haut; sie sind bescheiden, wie die Engländerinnen, nur nicht so blöde; man sieht es ihnen an, daß sie seltener auf Männer gestoßen sind, die ihnen überlegen waren, und daß sie überdieß von den strengen Urtheilen des Publikums weniger zu befürchten haben. Sie suchen durch die Empfindsamkeit zu gefallen, durch die Einbildungskraft zu interessiren; die Sprache der Dichtkunst und der schönen Künste ist ihnen geläufig; sie kokettiren mit der Schwärmerei, wie man in Frankreich mit Witz und Scherz Koketterie treibt. Der hohe Grad der Rechtlichkeit, der dem Charakter der Deutschen zum Grunde liegt, macht die Liebe für die Frauen und ihre Ruhe weit weniger gefährlich; vielleicht geben sie sich diesem Gefühl um so zutraulicher hin, da die Liebe in Deutschland die Farbe des Romans trägt, und Verachtung und Untreue hier seltener als irgendwo sind.

In Deutschland ist die Liebe eine Religion, aber eine poetische Religion, welche zu leicht duldet, was sich durch Empfindsamkeit des Herzens entschuldigen läßt. Man kann es nicht in Abrede seyn; der Heiligkeit der Ehe geschieht, in den protestantischen Ländern, durch die Leichtigkeit, womit sie getrennt werden kann, großer Abbruch. Die Frau nimmt sich einen andern Gatten, wie der Dichter eine Nebenscene in seinem Drama abändert. Die Gutmüthigkeit beider Geschlechter macht, daß die Scheidungen leicht und ohne Bitterkeit vor sich gehen; und da es unter den Deutschen mehr Einbildungskraft als wahre Leidenschaft giebt, so ereignen sich bei ihnen die seltsamsten Begebenheiten mit einer seltenen Kaltblütigkeit. Dadurch abe[r] verlieren Sitten und Charakter ihre Festigkeit; der Geist der Paradoxie erschüttert die heiligsten Einsetzungen, und zuletzt giebt es über nichts mehr feststehende Regeln.

Vom Einfluß des Rittergeistes auf Liebe und Ehre

Die Liebe ist eine weit ernstere Leidenschaft in Deutschland als in Frankreich. Die Poesie, die schönen Künste, die Philosophie selbst und die Religion, haben aus dieser Empfindung eine Art von irdischem Gottesdienst gemacht, der einen edeln Reiz über das Leben verbreitet. Es hat in Deutschland nicht, wie in Frankreich, sittenlose Schriften gegeben, die von allen Volksklassen gelesen wurden, und die in der feineren Welt das Gefühl der Liebe, im Volke den Sinn für die Moralität zerstörten. Gleichwohl besitzen die Deutschen mehr Einbildungskraft als wahre Empfindsamkeit; ihre Rechtlichkeit allein bürgt für ihre Beständigkeit im Lieben. Die Franzosen haben im Allgemeinen Achtung für positive Pflichten; die Deutschen halten sich mehr durch ihre Herzensneigungen als durch ihre Pflichten gebunden. Was wir oben von der Leichtigkeit der Ehetrennungen gesagt haben, dienet zum Beweis; den Deutschen ist die Liebe heiliger als die Ehe. Ehrenvoll ist unstreitig für sie das Zartgefühl, welches sie Versprechungen treu erfüllen heißt, wozu das Gesetz sie nicht unverbrüchlich verpflichtet; gleichwohl sind für die bürgerliche Ordnung Gesetze wichtiger, die die Unauflöslichkeit der Ehen verbürgen.

Noch waltet und herrscht, wenn ich es so nennen darf, im leidenden Sinn, der Rittergeist unter den Deutschen. Sie sind unfähig zu betrügen; ihre Biederkeit findet sich in allen engeren Verhältnissen wieder; aber jene Kraft, welche von den Männern so große Opfer, von den Weibern so große Tugenden erheischte und erhielt, und das ganze Leben, so zu sagen, zu Einem heiligen Werke bildete, in welchem immer nur Ein Gedanke vorwaltete; jene Ritterkraft und Energie der alten Zeiten hat in Deutschland nur eine verwischte Spur zurückgelassen. Alles Große, was hinfort in diesem Lande vollbracht wird, kann nur eine Folge des liberalen Antriebes seyn, der in Europa auf die Ritterzeiten gefolgt ist.

Das südliche Deutschland

Kein Land bedarf so sehr der literarischen Beschäftigung als Deutschland; da die Geselligkeit in diesem Lande wenig Reiz darbietet, da es den Bewohnern größtentheils an der Grazie, an der Lebhaftigkeit fehlt, womit die Natur das wärmere Clima begabt, so folgt daraus, daß der Deutsche nur dann liebenswürdig ist, wenn er ein höherer Mensch ist, und daß er Genie haben muß, um geistreich zu seyn.

Franken, Schwaben, und, vor der Errichtung der berühmten Akademie zu München, auch Baiern, galten für schwerfällige einförmige Länder, wo es keine Künste gab, die Musik ausgenommen; wenig Literatur; eine rauhe Betonung, der die Aussprache der lateinischen Töchtersprachen ungemein schwer wurde; keine Gesellschaft; große Zusammenkünfte, die mehr einer Feierlichkeit als einem geselligen Vergnügen glichen; eine kriechende Höflichkeit gegen eine ungeglättete Aristokratie; Herzensgüte, Biedersinn in allen Classen, aber eine lächelnde Steifheit, die mit aller Zwanglosigkeit alle Würde verscheucht. Es dürfen uns also nicht die Urtheile, nicht die Spöttereien Wunder nehmen, die man sich über die deutsche Langeweile erlaubt hat. In einem Lande, wo die Gesellschaft so gar nichts, und die Natur so wenig ist, können nur die Sitze der Literatur, die gelehrten Städte, anziehend seyn.

Oestreich

Oestreich ist ein so ruhiges Land, ein Land, wo der Wohlstand allen Classen von Einwohnern so sicher, so leicht gemacht wird, daß man sich nicht viel mit den intellectuellen Genüssen zu schaffen macht. Der Oestreicher thut mehr für die Pflicht als für den Ruhm; die Belohnungen der öffentlichen Meinung sind so unscheinbar, ihre Strafen so sanft, daß, ohne den Sporn des innern Bewußtseyns, es in diesem Lande in jeder Hinsicht keinen Grund geben würde, lebhaft zu handeln …

In Oestreich und im übrigen Deutschland werden alle Prozesse schriftlich geführt. Die Advocaten halten keine Reden. Die Predigten werden besucht, weil man an den Andachtsübungen hängt, allein die geistlichen Redner ziehen das Volk nicht durch ihre Beredsamkeit an. Die Schauspiele, besonders die Trauerspiele, werden wenig besucht. Die Staatsverwaltung ist eben so weise als gerecht; aber alles geschieht mit so viel Methode, daß es wirklich schwer wird, zu entscheiden, ob etwas darin Menschenwerk ist. Die Geschäfte folgen auf einander nach der Nummer; es wird um nichts von der Welt von dieser Ordnung abgewichen. Unveränderliche Regeln entscheiden überall, alles wird im tiefsten Stillschweigen betrieben; dieses Stillschweigen ist aber keineswegs die Folge der Furcht, denn was hätte man in einem Lande zu fürchten, wo die Tugenden des Monarchen und die Grundsätze der Billigkeit alles leiten? Gleichwohl benimmt diese tiefe Geistes- und Seelenruhe der Rede ihr ganzes Interesse. Weder das Verbrechen, noch das Genie, weder die Intoleranz, noch der Enthusiasmus, weder die Leidenschaften, noch der Heldenmuth, stören die Existenz, oder erheben sie. Das östreichische Cabinet hat im letzten Jahrhundert für sehr verschlagen gegolten; dieses stimmt überhaupt wenig mit dem deutschen Character überein; oft aber hält man für eine tiefe Politik, was die bloße Alternative zwischen Ehrgeiz und Schwachheit ist …

In einem Lande, wo alles sich nur langsam bewegt; in einem Lande, wo alles die Gemüther in eine tiefe Ruhe einwiegt, ist das geringste Hinderniß hinreichend, um nichts zu thun, nichts zu schreiben, ja, wenn man will, um nichts zu denken.

Wien

Im Prater fällt die Wohlhabenheit und der Wohlstand der Wiener vorzüglich auf. Die Stadt steht in dem Ruf, mehr Lebensmittel zu verbrauchen, als jede andere Stadt von gleicher Bevölkerung, und dieser etwas physische Vorzug dürfte ihr nicht streitig gemacht werden. Man sieht ganze Familien von Bürgern und Handwerkern gegen fünf Uhr Abends nach dem Prater ziehen, um im Grünen so reichlich zu vespern, als wäre es ein vollständiges Mittagsessen; das viele Geld, was dort verzehrt wird, beweiset, wie arbeitsam der Wiener, und wie sanft die Regierung ist. Alle Abende kehren die Männer bei Tausenden in die Stadt zurück, ihre Frauen am Arm, ihre Kinder bei der Hand führend; keine Unordnung, kein Streit erhebt sich in dem Gewirre; kaum hört man sie sprechen, so still und stumm ist ihr Vergnügen. Ihr Stillschweigen hat nichts weniger als eine gemächliche Traurigkeit zum Grunde; es ist weit eher eine Folge des physischen Wohlbehagens, das im südlichen Deutschland über Empfindungen, wie im nördlichen über Ideen, brüten läßt. Das Pflanzenleben im südlichen Deutschland hat einige Berührungspunkte mit dem innern Leben im nördlichen; in beiden liegt Ruhe, Trägheit und Nachdenken.

Man denke sich einen Augenblick eine eben so große Anzahl Pariser an einem Orte versammelt; wie würde die Luft mit Witzfunken, mit Scherzen aller Art, mit Zank und Lärmen angefüllt seyn? Hat je der Franzose ein Vergnügen gehabt, in welches sich nicht die Eigenliebe auf diese oder jene Art eingedrängt hätte? …

Es giebt in Oestreich wenig Verbrecher, die den Tod verdienen; alles trägt in diesem Lande das Gepräge einer väterlichen, weisen und religiösen Regierung.

Geselliger Umgang in Wien

Gleichwohl ist in den Gesellschaften Wiens, die Absonderung der Großen und der Gelehrten ein Haupt-Uebelstand. Die Großen stoßen keinesweges die Gelehrten von sich; da es aber in Wien der letztern überhaupt nur wenige giebt, da in Wien nur wenig gelesen wird, so lebt jeder in dem Kreise, zu welchem er gehört. Diese Kreise sind in einem Lande, wo allgemeine Ideen und öffentliches Interesse so wenig Eingang finden, schärfer begränzt, als in andern Ländern; und die Absonderung der Classen hat zur Folge, daß es den Gelehrten an Umgangssitte, den Großen bisweilen an Kenntnissen fehlt …

Der gesellschaftliche Umgang dient nicht in Oestreich, wie in Frankreich, zur Entwickelung oder Belebung des Geistes; er läßt bloß Geräusch und Lärm im Kopfe zurück. Auch halten sich die geistreichsten Köpfe der Monarchie größtentheils von solchen Gesellschaften fern; diese werden fast ausschließlich von Frauenzimmern besucht, und man muß wirklich über den Geist erstaunen, den sie bei einer so geistlosen Lebensweise entwickeln. Die Fremden wissen den Reiz ihrer Unterhaltung zu schätzen; was man aber am seltensten in den großen Conversationssälen der Hauptstadt von Deutschland antrifft, sind – Deutsche.

Nachahmung des französischen Geistes

Der deutsche Geist verträgt sich weit weniger, als jeder andere, mit jener berechneten Kleingeistigkeit; er ist kaum auf der Oberfläche sichtbar, er muß tief eindringen, um zu begreifen; er hascht nichts im Fluge. Vergebens würden die Deutschen, (und o wie schade!) es versuchen wollen, ihren natürlichen Eigenschaften und Gefühlen zu entsagen; an der Gründlichkeit würden sie verlieren, und in der leichten Form nicht gewinnen; sie würden aufhören, Deutsche von Werth und Verdienst zu seyn, ohne sich in liebenswürdige Franzosen umzuschaffen …

Es hängt bloß von den Deutschen ab, sich eine Gesellschaft zu verschaffen, die eben so viel Unterricht gewähren würde, als sie selbst dem Nationalgeschmack und dem Nationalcharacter angemessen wäre. Wien ist die Hauptstadt von Deutschland, die Stadt, wo sich alles, was zum Vergnügen des Lebens gehört, zusammen findet. Wien hätte längst dem deutschen Geist die ersprießlichsten Dienste leisten können, wenn sich die Fremden nicht in den beinahe ausschließlichen Besitz der guten Gesellschaft gesetzt hätten. Aber was geschah? der größte Theil der östreichischen Nation, der sich der französischen Sprache und den französischen Sitten nicht anfügen konnte, zog sich aus der großen Lebenswelt zurück; und so kam es, daß sich dieser Theil der Nation nicht durch den weiblichen Umgang abschliff, zugleich blöde und roh blieb, alles verschmähte, was man gemeinhin durch Grazie versteht, und gleichwohl insgeheim diesen Mangel empfindlich fühlte; so kam es, daß unter dem Vorwand eines militärischen Berufs, ein großer Theil der Nation seine Geistesbildung vernachläßigte, und dabei diesem Berufe selbst nur mit Trägheit nachhing, weil er nie etwas hörte, was ihm den Werth und den Reiz des Ruhms anschaulich gemacht hätte. Man hielt sich für einen ächten Deutschen, sobald man sich von Gesellschaften ausschloß, wo der Ausländer das erste Wort führte, ohne darauf bedacht zu seyn, die Lücke durch andere Gesellschaften auszufüllen, worin Geist und Seele die nothwendige Bildung hätten erhalten können.

Von der hochfahrenden Albernheit und der gutmüthigen Mittelmäßigkeit

Ein Franzose hat selbst dann noch was zu sagen, wenn er keine Ideen hat; ein Deutscher hat davon noch immer mehr, als er auszudrücken versteht. Mit einem Franzosen belustigt man sich auch dann noch, wenn er arm an Geist ist; er erzählt alles was er gethan, alles was er gesehen hat, wie gut er von sich selbst denkt, wie Andere ihn gelobt haben, welche große Herren er kennt, welches Glück er noch erwartet. Der Deutsche hingegen hat nichts zu sagen, wenn er nichts denkt, und verwickelt sich leicht in Formen, die, seinen Wünschen nach, zwar artig seyn sollen, aber sowohl Anderen als ihm selbst beschwerlich fallen. In Frankreich ist die Albernheit belebt, aber hochfahrend; sobald man nur die mindeste Aufmerksamkeit von ihr fordert, prahlt sie mit dem Mangel an Fassungsvermögen, und glaubt dem, was sie nicht versteht, durch das Geständniß zu schaden, daß es dunkel sey; und da man in diesem Lande nicht meint, daß der glückliche Erfolg Alles entscheide, so wähnen selbst die Albernen, als Zuschauer, einen Einfluß auf den inneren Werth der Dinge zu haben, wenn sie ihnen ihren Beifall versagen, und sich dadurch ein wichtiges Ansehn geben. In Deutschland hingegen sind die mittelmäßigen Menschen voll guten Willens; es kostet sie keine Schamröthe, sich nicht zu dem Gedanken eines berühmten Schriftstellers erheben zu können, und weit entfernt, sich als Richter zu betrachten, wollen sie nur Schüler werden.

In Frankreich giebt es über alle Gegenstände so viel fertige Phrasen, daß, mit Hülfe derselben, ein Alberner eine Zeit lang ganz gut spricht, und, augenblicklich wenigstens, wie ein Mann von Verstand aussieht: in Deutschland wird ein Unwissender nicht leicht wagen, seine Meinung mit Vertrauen abzugeben; denn da keine Meinung für unbestreitbar gilt, so kann man auch keine vorbringen, ohne im Vertheidigungsstande zu seyn; weshalb die Mittelmäßigen größtentheils schweigsam sind, und den gesellschaftlichen Verkehr nur mit ihrer liebenswürdigen Gutmüthigkeit unterstützen. Nur ausgezeichnete Menschen verstehen in Deutschland zu schwatzen, während in Frankreich jeder sich damit befaßt. In Frankreich sind die vorzüglichen Geister nachsichtig, in Deutschland sind sie strenge; dafür aber sind die Albernen unter den Franzosen verläumderisch und eifersüchtig, und die Deutschen, wie begränzt sie auch seyn mögen, zeigen sich noch immer beifällig und verwundert. Die in Deutschland umlaufenden Ideen sind neu und oft neckisch; und daher kommt es, daß diejenigen, die sie wiederholen, eine Zeit lang eine Art von angemaßter Tiefe zu haben scheinen. In Frankreich täuscht man über seinen Werth nur durch Manieren. Diese sind angenehm, aber einförmig, und das unveränderliche Richtmaaß des guten Tones nimmt ihnen vollends alle Mannigfaltigkeit, die sie haben könnten.

Von dem Geist der Unterhaltung

Diesem Talente aber ist nichts so fremd, wie der Character und die Geistesart der Deutschen. Sie wollen in allen Stücken ein ernstes Ergebniß. Bacon hat bemerkt: die Unterhaltung sey nicht ein Weg, der nach Hause führe, wohl aber ein Pfad, auf welchem man sich auf gut Glück ergeht. Allen Dingen geben die Deutschen die nöthige Zeit; aber in Sachen der Unterhaltung ist das Nöthige die Belustigung; denn, wenn man diese Gränze überschreitet, so verfällt man in die Erörterung, in einen ernsten Gedankentausch, der mehr eine Beschäftigung, als eine angenehme Kunst ist. Eingestehen muß man auch, daß der Geschmack und die Berauschung des Gesellschaftsgeistes unfähig machen zu ernsten Anstrengungen und eigentlichen Studien; so daß die Eigenschaften der Deutschen vielleicht in mehreren Beziehungen mit dem Mangel dieses Geistes zusammenhängen.

Die alten Artigkeitsformeln, noch immer beinahe in ganz Deutschland im Gange, widerstreben der Leichtigkeit und Vertraulichkeit der Unterhaltung. Der magerste Titel (wiewohl dieser sich nicht immer am schnellsten aussprechen läßt) wird zwanzigmal während desselben Mahles gegeben und wiederholt; von allen Gerichten, von allen Weinen muß mit einer Sorgfalt, mit einem Nöthigen angeboten werden, welche den Fremden tödtlich ermüden. Treuherzigkeit ist in allen diesen Gebräuchen; aber sie selbst würden keinen Augenblick in einem Lande stattfinden können, wo man, ohne die Empfindlichkeit zu beleidigen, einen Scherz wagen dürfte. Und doch, wie soll es Anmuth, wie Zauberreiz in der Gesellschaft geben, wenn man sich nicht jene sanfte Spötterei gestattet, welche den Geist aufregt und selbst dem Wohlwollen einen schärferen Ausdruck leihet? …

Der Tact, welchen der Umgang erfordert, das von ihm herbeigeführte Bedürfniß, sich der Fassungskraft der verschiedenen Geister anzuschmiegen, die große Arbeit des Gedankens in seinen Beziehungen auf Menschen, dies alles würde den Deutschen in mehr als einer Hinsicht sehr nützlich seyn; es würde ihnen Maas und Feinheit und Gewandtheit geben. Aber in diesem Talent zu schwatzen liegt immer eine gewisse Geschicklichkeit, welche sich nicht mit einer unbiegsamen Moral verträgt; denn wenn man alles, was mit der Kunst, die Menschen glimpflich zu behandeln, in Verbindung steht, vernachläßigen dürfte, so würde der Character nur um so viel mehr Größe und Energie haben …

In Deutschland ist Jeder in seinem Range, auf seinem Platze, wie auf einem Posten, und es bedarf am wenigsten geschickter Wendungen, Parenthesen und Halbwörter, um die Vorzüge auszudrücken, die man durch Geburt oder durch Titel vor seinem Nachbar hat. In Deutschland wird die gute Gesellschaft durch den Hof gebildet; in Frankreich waren es alle diejenigen, die sich mit ihm auf den Fluß der Gleichheit setzen konnten; und Alle durften dies hoffen, und Alle durften auch fürchten, nie dahin zu gelangen. Hieraus entstand, daß Jeder die Manieren dieser Gesellschaft haben wollte. In Deutschland verschafft ein Diplom den Zutritt; in Frankreich verbannte ein Mangel an Geschmack vom Hofe, und man beeiferte sich weit mehr, den Weltleuten ähnlich zu werden, als sich in der Welt selbst durch persönliche Tapferkeit auszuzeichnen …

Wie viel Schaden würde dieser Nachahmungsgeist den Deutschen zufügen! Ihre Ueberlegenheit besteht in der Unabhängigkeit des Geistes, in der Liebe zur Zurückgezogenheit, in einer eigenthümlichen Originalität. Die Franzosen sind nur in Masse allmächtig, und selbst ihre Männer von Genie nehmen ihren Stützpunkt immer in den hergebrachten Meinungen, wenn sie sich über dieselben hinausschwingen wollen. Die Ungeduld des französischen Charakters, die im Umgange so anziehend ist, würde den Deutschen den Hauptreiz ihrer natürlichen Einbildungskraft, dieses ruhige Grübeln, diesen tiefen Blick, rauben, der, um alles zu entdecken, nur der Zeit und der Beharrlichkeit bedarf …

Das Talent zu erzählen, einer von den größten Zaubern der Unterhaltung, ist in Deutschland höchst selten; die Zuhörer sind da allzu gefällig – sie langweilen sich nicht schnell genug –; und indem sich die Erzähler auf die Langmuth der Zuhörer verlassen, machen sie es sich ein wenig zu bequem. In Frankreich ist der Erzähler ein Usurpator, der sich von eifersüchtigen Nebenbuhlern umgeben sieht, und sich durch den Erfolg emporhalten will; in Deutschland ist er ein rechtmäßiger Eigenthümer, der seine anerkannten Rechte ruhig genießen kann.

Den Deutschen gelingt die poetische Erzählung besser, als die epigrammatische. Wenn man zu der Einbildungskraft spricht, können Einzelnheiten gefallen; sie machen ja das Gemälde wahrer. Kommt es aber darauf an, einen witzigen Einfall vorzutragen, so kann man die Einleitungen nicht genug vermeiden …

Die Treuherzigkeit der Deutschen ist vielleicht ein Hinderniß mehr für die Kunst zu erzählen. Die Deutschen besitzen nehmlich weit mehr die Lustigkeit des Gemüths, als die des Geistes. Sie sind fröhlich, wie sie ehrlich sind – um eines guten Gewissens willen – und lachen über das, was sie erzählen, weit eher, als sie daran gedacht haben, Andere lachen zu machen …

Die Deutschen würden nicht übel daran thun, in wesentlichen Beziehungen einige von den Vorzügen des gesellschaftlichen Geistes in Frankreich zu benutzen: sie sollten von den Franzosen lernen, sich in Kleinigkeiten minder reizbar zu zeigen, um ihre ganze Kraft für größere Gegenstände aufzusparen; sie sollten Starrsinn von Thatkraft, Rauheit von Festigkeit unterscheiden lernen; und da sie einmal so geneigt sind, ihr Leben an etwas zu setzen, so sollten sie es nicht im Einzelnen durch eine Art kleinlicher Persönlichkeit wiederfinden, die sich die wahre Selbstheit nicht erlauben würde; kurz, sie sollten in der Kunst der Unterhaltung selbst die Gewohnheit annehmen, in ihren Büchern jene Klarheit, die sie allgemeiner verständlich macht, jenes Talent der Abkürzung, das man mehr bei Völkern, die sich belustigen, als bei solchen, die sich ernsthaft beschäftigen, antrifft, und jene Achtung für gewisse Schicklichkeiten, welche nicht zur Aufopferung des Natürlichen, wohl aber zur Schonung der Einbildungskraft führt, zu verbreiten. Ihre Schreibart würden sie durch einige von den Beobachtungen, welche das Talent zu sprechen hervorruft, vervollkommnen; aber sie würden nicht wohl daran thun, wenn sie dies Talent in gleichem Maaße mit den Franzosen besitzen wollten.

Eine große Stadt, welche zum Sammelpunkt diente, würde Deutschland nützlich seyn, um Studien-Mittel zu vereinigen, die Hülfsmittel der Kunst zu vermehren, und Nacheiferung zu erregen; aber wenn diese Hauptstadt bei den Deutschen den Geschmack an den Freuden des Umgangs in seiner ganzen Eleganz entwickelte, so würden sie ihre gewissenhafte Treuherzigkeit, die einsame Arbeit und die verwegene Unabhängigkeit einbüßen, welche sie in der literarischen und philosophischen Bahn auszeichnet; kurz, sie würden ihre zur Gewohnheit gewordene Sammlung gegen ein neues Aeußeres vertauschen, dem es doch immer an Anmuth und Gewandtheit gebrechen würde.

Von der deutschen Sprache in ihren Beziehungen mit dem Geiste der Unterhaltung

Das Deutsche schmiegt sich der Bestimmtheit und der Schnelligkeit der Unterhaltung weit weniger an. Selbst vermöge der grammatikalischen Zusammensetzung wird der Sinn einer Phrase gewöhnlich erst am Schlusse derselben gefaßt. Das Vergnügen zu unterbrechen, welches die Erörterung in Frankreich so sehr belebt, und das, was man zu sagen hat, in der möglich kürzesten Zeit vorzutragen nöthigt: – dies Vergnügen kann also in Deutschland gar nicht Statt finden; denn da die Anfänge der Phrasen ohne das Ende nichts bedeuten, so muß man Jedem den Spielraum lassen, den er für nöthig achtet. Dies leistet viel für die Ergründung der Dinge, dies ist auch höflicher; aber es ist weniger anreizend.

Die deutsche Artigkeit ist herzlicher, aber minder abgestuft, als die französische; man hat in Frankreich mehr Achtung für den Rang und überhaupt mehr Behutsamkeit; man schmeichelt mehr, als man schont; und da man die Kunst besitzt, alles anzudeuten, so nähert man sich weit lieber selbst den zartesten Dingen. Das Deutsche ist eine herrliche Sprache für Poesie, höchst reichhaltig für metaphysische Untersuchungen, aber sehr positiv in der Unterhaltung. Die französische Sprache hingegen ist nur reich an Wendungen, welche die feinsten Beziehungen der Gesellschaft ausdrücken; sie ist arm und umgränzt in allem, was die Einbildungskraft und die Philosophie angeht. Die Deutschen fürchten mehr, ein unangenehmes Gefühl zu erzeugen, als sie zu gefallen wünschen. Daher kommt es, daß sie die Artigkeit, so viel es immer in ihrer Macht stand, Regeln unterworfen haben; und ihre Sprache, die in ihren Büchern so kühn ist, wird in der Unterhaltung durch alle die Formeln gezwängt, womit sie überladen ist …

Selten vernimmt man unter Deutschen sogenannte Bons-Mots; die Gedanken selbst, nicht den Glanz, der ihnen gegeben wird, muß man bewundern. Die Deutschen finden in dem glänzenden Ausdruck eine Art von Marktschreierei, und halten sich an dem abgezogenen Ausdruck, weil er gewissenhafter ist und dem Wesen des Wahren sich mehr nähert: aber die Unterhaltung muß keine Mühe kosten, weder für das Verstehen, noch für das Sprechen …

Der Zorn hat sich im Deutschen sehr oft ausgedrückt; aber nie hat man daraus eine Waffe der Verspottung gemacht, und die Wörter, deren man sich bedient, haben noch ihre volle Wahrheit, ihre volle Kraft. Dies ist ein Vortheil mehr; dafür aber kann man im Französischen tausend feine Bemerkungen ausdrücken und tausend Kunstwendungen machen, deren die deutsche Sprache bis jetzt unfähig ist.

Vom nördlichen Deutschland

Meine französischen Bedienten wurden ungeduldig über die deutsche Langsamkeit, und wunderten sich darüber, daß man nicht die einzige Sprache verstand, die sie für die Sprache aller civilisirten Länder hielten. In unserer Fähre war ein altes deutsches Mütterchen, das auf einem Karren saß, von welchem sie nicht einmal bei der Ueberfahrt über den Fluß absteigen wollte. – „Sie sind sehr ruhig,“ sagte ich zu ihr. – Freilich, antwortete sie; wozu auch so viel Lärm machen? – Diese einfachen Worte fielen mir auf. In Wahrheit, wozu Lärm machen? Aber wenn auch ganze Generationen schweigend durch das Leben wanderten, so würden Unglück und Tod sie nicht minder beobachten und sie zu erhaschen verstehen …

Die öden Fluren, die von Rauch geschwärzten Häuser, die gothischen Kirchen, scheinen für Hexen- und Gespenstergeschichten gemacht zu seyn. Deutschlands Handelsstädte sind groß und gut gebaut: aber sie geben keine Idee von dem, was den Ruhm und das Interesse des Landes ausmacht, von dem literarischen und philosophischen Geist. Die kaufmännischen Interessen reichen hin, um den Verstand der Franzosen zu entwickeln, und man kann in Frankreich in einer aus lauter Handelsleuten zusammengesetzten Stadt einige gesellschaftliche Unterhaltung antreffen; aber die Deutschen, mit ihrer hohen Empfänglichkeit für abstracte Studien, behandeln die Geschäfte, wenn sie sich damit befassen, so methodisch, so schwerkräftig, daß sie sich zu keiner allgemeinen Idee darüber erheben. Sie bringen in den Handel die Rechtlichkeit, welche sie auszeichnet; aber sie geben sich demselben auch dermaßen hin, daß sie im Umgange nur noch einen munteren Zeitvertreib suchen, und von einer Zeit zur andern grobe Späße vorbringen, um sich selbst zu belustigen …

Die Deutschen haben sehr viel Universalität in Literatur und Philosophie; aber durchaus nicht in Geschäften. Diese behandeln sie immer stückweise, so daß sie sich nur mechanisch damit befassen …

In Frankreich studirt man die Menschen, in Deutschland die Bücher. Die gewöhnlichsten Fähigkeiten reichen aus, um Theilnahme zu finden, wenn man über Menschen spricht; man braucht beinahe Genie, um Seele und Bewegung in den Büchern zu entdecken. Deutschland kann nur diejenigen fesseln, die sich mit alten Thatsachen und abstracten Ideen beschäftigen. Für Frankreich gehört das Gegenwärtige und Wirkliche; und bis eine neue Ordnung der Dinge eintritt, scheint es nicht darauf verzichten zu wollen …

Im Norden Deutschlands giebt es keine repräsentative Verfassung, keine große Hauptstadt; und die Strenge des Clima, die Mittelmäßigkeit der Glücksgüter, der Ernst des Charakters würden das Daseyn höchst beschwerlich machen, wenn die Macht des Gedankens sich nicht hinausgeschwungen hätte über diese langweiligen und begränzten Umstände. Die Deutschen haben sich eine lebendige und unabhängige Gelehrten-Republik geschaffen, und das Interesse der Begebenheiten durch das der Ideen ersetzt. Sie brauchen keinen Mittelpunkt, weil sie alle demselben Ziele zustreben, und ihre Einbildungskraft vervielfältigt die Schönheiten, welche Natur und Kunst ihnen darbieten können.

Die Bürger dieser idealen Republik, größtentheils frei von allen öffentlichen und besonderen Verrichtungen, arbeiten im Verborgenen, wie Bergleute, und, wie diese, unter verschachteten Schätzen hingestellt, bringen sie die intellectuellen Reichthümer des menschlichen Geschlechts an den Tag.

Sachsen

Aus der Zahl der Bücher, die in Leipzig verkauft werden, kann man leicht auf die Zahl ihrer Leser schließen: Arbeitsleute aller Classen, Steinhauer sogar, ruhen sich aus, mit einem Buche in der Hand. In Frankreich kann man sich schwerlich eine Vorstellung davon machen, bis zu welchem Grade die Einsichten in Deutschland verbreitet sind. Ich habe Gasthalter und Thorschreiber kennen gelernt, welche die französische Literatur kannten. In Dörfern sogar findet man Leute, die im Griechischen und Lateinischen unterrichten könnten. Keine noch so kleine Stadt, die nicht eine beträchtliche Bibliothek hätte; und allenthalben kann man einige Männer nennen, die wegen ihrer Talente und Kenntnisse empfohlen zu werden verdienen. Wollte man Frankreich und Deutschland in dieser Hinsicht mit einander vergleichen, so würde man zuletzt glauben müssen, beide Länder seyen durch jahrhundertlange Entfernung von einander geschieden. Indem Paris das Ausgesuchteste des Reichs in seinem Schooße vereinigt, nimmt es dem Uebrigen das Interesse.

Picard und Kotzebue haben zwei artige Stücke geschrieben, welche die Kleinstädter betittelt sind. Picard stellt die Bewohner der Provinz als Leute dar, welche Paris unablässig nachahmen; Kotzebue die Bürger einer kleinen Stadt, bezaubert von ihrem Wohnort, den sie für unvergleichlich halten und stolz auf ihn. Der Unterschied des Lächerlichen führt immer auf den Unterschied in den Sitten. In Deutschland ist jeder Wohnort für den, der sich darin aufhält, ein Reich; seine Einbildungskraft, seine Studien und seine Treuherzigkeit vergrößern ihn in seinen Augen; jeder weiß ihn sich so vortheilhaft wie möglich zu machen …

Da die ausgezeichnetsten Männer Deutschlands nicht in einer und derselben Stadt versammelt sind, so sehen sie sich beinahe gar nicht, und stehen nur durch ihre Schriften mit einander in Verbindung; jeder tummelt sich in der eigenen Bahn, und entdeckt in der großen Region des Alterthums, der Metaphysik und Wissenschaft unaufhörlich neue Gegenden. Was man in Deutschland Studiren nennt, ist etwas Bewundernswerthes. Fünfzehn Stunden von Einsamkeit und Arbeit täglich scheinen eine ganz natürliche Art der Existenz, selbst ganze Jahre hindurch. Die Langeweile des Umgangs macht die Zurückgezogenheit liebenswerth.

In Sachsen gab es eine unbegränzte Preßfreiheit, aber sie war ohne alle Gefahr für die Regierung, weil der Geist der Schriftsteller nie zur Untersuchung politischer Instruktionen hinleitete; die Einsamkeit bringt es mit sich, daß man sich der Speculation oder der Poesie hingiebt; man muß in dem Flammenquell menschlicher Leidenschaften leben, um ein Bedürfniß zu fühlen, sich ihrer zu bedienen oder sie zu leiten. Die deutschen Schriftsteller beschäftigen sich nur mit Theorieen, mit Gelehrsamkeit, mit literarischen und philosophischen Untersuchungen, und davon war für die Mächtigen dieser Welt nichts zu fürchten. Außerdem, obgleich die sächsische Regierung nicht von Rechtswegen frei, nehmlich repräsentativ, war, so war sie es doch durch die That, vermöge der Gewohnheiten des Landes und der Mäßigung der Fürsten.

Die Ehrlichkeit der Einwohner ist so groß, daß, als zu Leipzig ein Eigenthümer an einen von ihm am äußersten Ende des Spazierganges gepflanzten Apfelbaum einen Zettel geklebt hatte, worin er bat, daß man ihm doch die Früchte nicht rauben möchte, man ihm zehn Jahre hindurch keinen einzigen Apfel stahl. Mit dem Gefühl der innigsten Hochachtung habe ich diesen Apfelbaum gesehen. Und wäre es der Baum der Hesperiden gewesen, so würde man sein Gold eben so wenig berührt haben, als seine Blüthen …

Die literarischen Städte Sachsens sind die, wo man das meiste Wohlwollen, die meiste Einfachheit antrift. Anderwärts hat man allenthalben die Wissenschaften als eine Zugabe des Luxus betrachtet; in Deutschland scheinen sie ihn auszuschließen. Die Neigungen, welche sie einflößen, geben eine Art von Aufrichtigkeit und Furchtsamkeit, die das häusliche Leben anziehend macht, nicht daß die Autor-Eitelkeit nicht ihren bestimmten Character bei den Deutschen haben sollte, aber sie heftet sich nicht an gesellschaftlichen Beifall. Der kleinste Schriftsteller will etwas mit der Nachwelt zu schaffen haben; aber indem er sich nach seiner Bequemlichkeit, in den Raum gränzenloser Betrachtungen verliert, wird er minder von Menschen geklemmt, und ist daher weniger gegen sie aufgebracht. Indeß sind die Gelehrten und die Geschäftsmänner in Sachsen zu sehr von einander geschieden, als daß sich ein Gemeingeist offenbaren könnte. Die Folge davon ist, daß die Einen über alles, was Geschäft heißt, in einer allzu großen Unwissenheit leben, um irgend einen Einfluß auf das Land zu haben, und daß die Andern sich einen gewissen Macchiavellismus zur Ehre rechnen, der hochherzigen Ideen ungefähr eben so zulächelt, wie Kindern, und ihnen zu verstehen giebt, daß sie nicht von dieser Welt sind.

Preussen

Friedrich hatte die Gerichtshöfe in seinen Staaten dergestalt unabhängig von sich gemacht, daß unter seiner und seiner Nachfolger Regierung, nicht selten Aussprüche von ihnen ergangen sind, die, in Processen, wo es auf politisches Interesse ankam, dem Unterthan Recht, dem Fürsten Unrecht gaben. In der That, würde es beinahe in Deutschland eine Unmöglichkeit seyn, die Gerichtshöfe zu ungerechten Urtheilen zu vermögen; denn, so geneigt die Deutschen auch sind, in ihren Systemen und Theorien die Politik der Willkühr preis zu geben, so wenig vermag man, sobald es auf Rechtspflege oder Staatsverwaltung ankommt, in ihren Köpfen andern Grundsätzen als denen der strengsten Gerechtigkeit Eingang zu verschaffen. Ihr methodischer Geist allein, ohne daß es der bekannten Rechtlichkeit ihres Herzens bedarf, verlangt allenthalben die Billigkeit, weil Billigkeit und Gleichmäßigkeit den Weg zur Ordnung bahnt.

Berlin

Dem Schauspiel, das Berlin gewährte, kam in Deutschland kein andres gleich. Berlin, im Mittelpunkt des nördlichen Deutschlands, kann sich als den Brennpunkt der Aufklärung und des Lichts betrachten. Wissenschaften und Künste sind im Flor, und bei den Mittagstafeln, wozu bloß Männer geladen werden, bei Ministern, Gesandten etc. findet die Abstufung des Ranges, die dem Verkehr in Deutschland so nachtheilig ist, nicht statt; Männer von Talent aus allen Classen treffen hier zusammen. Dieses glückliche Gemisch erstreckt sich aber noch nicht bis auf die Frauen; es giebt mehrere unter ihnen, deren Reize und Seeleneigenschaften alles an sich ziehen, was sich, in Berlin auszeichnet; aber hier sowohl, als im übrigen Deutschland, ist die Gesellschaft des weiblichen Geschlechts mit der männlichen noch nicht innig genug verwebt. Der größte Reiz des Lebens besteht in Frankreich, in der Kunst, die Vorzüge vollkommen in einander zu fügen, die aus der Verbindung des männlichen und weiblichen Geistes für den gesellschaftlichen Verkehr entspringen können. In Berlin schränkt sich die Unterhaltung der Männer fast bloß auf Männer ein; der Kriegsstand theilt ihnen eine Art von Rauheit mit, die es ihnen zum Bedürfniß macht, sich dem Zwang einer Gesellschaft mit Frauen nicht zu unterwerfen …

Die Gesellschaft in Berlin bestand nur aus wenig Männern; und gerade die kleine Anzahl derselben dient dazu, sie zu verwöhnen, denn sie benimmt ihnen den Antrieb, das Bedürfniß, die Unruhe zu gefallen. Die Militärs, die einen Urlaub von einigen Monaten erhielten, und diese in der Hauptstadt zubrachten, waren mehrentheils auf Bälle bedacht, oder am Spieltisch beschäftigt. Die Vermischung beider Sprachen war der Unterhaltung nachtheilig, und die großen Assembleen hatten nicht mehr Interesse in Berlin als in Wien; ja, in allem, was Bezug auf das Aeußere der Hofsitte hat, muß man Wien den Vorzug vor Berlin einräumen. Dagegen machte in den letzten Jahren die Preßfreiheit, der Verein geistreicher Männer, die Kenntniß der deutschen Sprache und Literatur, die sich allgemein verbreitet hatte, Berlin zur wahren Hauptstadt des neuern, des aufgeklärten Deutschlands. Die französischen Religions-Flüchtlinge schwächten zum Theil die vollkommen deutsche Richtung, deren Berlin fähig ist; in ihnen fand sich noch eine abergläubische Ehrfurcht vor dem Jahrhundert Ludwigs XIV.; ihre Begriffe von Literatur, anstatt aus dem fernen Lande Zuwachs zu erhalten, aus welchem ihre Väter sie mitgebracht hatten, schrumpften ein und trockneten aus. Dessen ungeachtet würde Berlin eine bedeutende Herrschaft über den öffentlichen Geist in Deutschland gewonnen haben, wenn, ich wiederhole es, man nicht gegen die Verachtung, die Friedrich der deutschen Nation bewiesen, Empfindlichkeit im Herzen bewahret hätte!

Philosophische Schriftsteller haben sich häufig Vorurtheile gegen Preussen erlaubt; sie nannten Preussen eine geräumige Caserne, und unter diesem Gesichtspunkte konnte es unmöglich Werth für sie haben; was in Preussen wahrhaft interessirt, ist die Aufklärung, das Gefühl des Rechts, der Geist der Unabhängigkeit, die man in einer Menge Menschen von allen Classen antrifft; noch waren aber diese schönen Eigenschaften nicht eng mit einander verbunden. Der neu zusammengesetzte Staat beruhete weder auf der Zeit, noch auf dem Volke.

Die in Deutschland allgemein eingeführten erniedrigenden körperlichen Strafen im Militär, erstickten den Keim der Ehre im Herzen des Kriegers; alles, was im Kriegsstand zu Gewohnheit geworden, ist dem preußischen Kriegsgeiste eher nachtheilig als gedeihlich gewesen; diese Gewohnheiten beruhten auf alten Grundsätzen, die das Heer von der Nation trennten, da es in unsern Zeiten keine wahrhafte Kraft, als im Nationalcharacter, giebt.

Die deutschen Universitäten

Das ganze nördliche Deutschland ist mit den gelehrtesten Universitäten Europa's übersäet. In keinem Lande, selbst in England nicht, giebt es so viel Mittel zum Unterricht, und zur Vervollkommnung seiner Geistesfähigkeiten. Woran liegt es denn, daß es der Nation an Vollkraft fehlt, und daß sie im Allgemeinen für schwerfällig und beschränkt gilt, ohngeachtet sich in ihr eine kleine Anzahl von Männern befindet, die vielleicht die geistreichsten in ganz Europa sind? Nicht der Erziehung, sondern der Natur der Regierungen ist dieser seltsame Contrast zuzuschreiben. Die intellectuelle Erziehung ist in Deutschland vortrefflich; aber sie wird in der Theorie vollendet …

In Deutschland reicht der philosophische Geist viel weiter, als in irgend einem andern Lande; nichts hält ihn auf, und selbst die Abwesenheit einer politischen Laufbahn, wie nachtheilig sie auch der Masse ist, giebt den Denkern um so mehr Freiheit. Aber eine unermeßliche Kluft trennt die Geister der ersten und der zweiten Ordnung, weil für Menschen, die sich nicht zur Höhe der umfassendsten Conceptionen erheben, weder ein Interesse, noch ein Gegenstand der Thätigkeit vorhanden ist. Wer sich in Deutschland nicht mit dem Universum befaßt, hat nichts zu thun …

Die Menge der Studirenden, die sich zu Göttingen, Halle, Jena, u. s. w. vereinigten, bildeten beinahe einen freien Körper im Staate; die Reichen und Armen unter ihnen unterschieden sich von einander nur durch ihr persönliches Verdienst, und die Fremden, welche aus allen Winkeln der Welt herbeiströmten, unterwarfen sich mit Freuden einer Gleichheit, welche nur durch die natürliche Ueberlegenheit gestört werden konnte.

Es gab in Deutschland unter den Studirenden Unabhängigkeits-Sinn und selbst militärischen Geist; und wenn sie sich, nach dem Austritt aus dem Universitäts-Leben, den öffentlichen Angelegenheiten hätten widmen können, so würde ihre Erziehung der Energie des Charakters sehr vortheilhaft gewesen seyn. Aber sie traten zurück in die eintönigen und häuslichen Gewohnheiten, welche in Deutschland vorherrschen, und verloren allmählig den Schwung und die Entschlossenheit, die das Universitäts-Leben ihnen eingeflößt hatte, und nichts blieb übrig, als eine ausgebreitete Gelehrsamkeit.

Auf jeder deutschen Universität concurrirten mehrere Professoren für jeden Zweig des Unterrichts. Auf diese Weise waren die Lehrer selbst von Wetteifer entzündet, und suchten einer dem andern den Rang durch Anziehung einer größeren Zahl von Zuhörern abzulaufen. Die, welche sich für die eine oder die andere Laufbahn besonders bestimmten, es sey die Medizin, das Recht, oder was es sonst wollte, fühlten den natürlichen Beruf, sich über andere Gegenstände zu unterrichten; und daher rührt die Universalität der Kenntnisse, die man beinahe in allen gebildeten Männern Deutschlands antrifft. Wie die Geistlichkeit, so hatten auch die Universitäten ihre eigenthümliche Ausstattung; sie hatten sogar ihre eigene Gerichtsbarkeit, und es ist eine schöne Idee unserer Väter, daß sie die Erziehungs-Anstalten ganz unabhängig gemacht haben. Das reifere Alter mag sich den Umständen unterwerfen; aber beim Eintritt in das Leben soll der Jüngling seine Ideen aus einer ungetrübten Quelle schöpfen.

Das Sprachstudium, welches die Grundlage des Unterrichts in Deutschland ausmacht, ist in der Jugend der Entwicklung aller Fähigkeiten bei weitem günstiger, als das Studium der mathematischen und physischen Wissenschaften …

Die dem Geiste der Deutschen so natürliche Unpartheilichkeit bestimmt ihn zum Studium ausländischer Literaturen, und unter den Personen, die sich über die gemeine Classe erheben, findet man in Deutschland nur wenige, denen nicht mehrere Sprachen geläufig wären. Beim Austritt aus den Schulen weiß man gemeiniglich schon Latein, Griechisch sogar. „Die Erziehung der deutschen Universitäten, sagt ein französischer Schriftsteller, beginnt da, wo die Erziehung mehrerer Nationen von Europa aufhört.“ Nicht bloß sind die Professoren Männer von erstaunlicher Gelehrsamkeit, sondern, was sie vorzüglich auszeichnet, ist ein sehr gewissenhafter Unterricht. In Deutschland betreibt man alles gewissenhaft; und wahrlich, so muß es seyn.

Von den besonderen Erziehungs- und Wohlthätigkeits-Anstalten

In eben diesem Sinn haben sich aufgeklärte Menschenfreunde in Hamburg der wichtigen Aufsicht über die Bettelei unterzogen. In ihren Armen-Anstalten haben sie weder Despotismus, noch ökonomischen Spekulationsgeist eingeführt; sie haben es dahin zu bringen verstanden, daß Unglückliche und Dürftige von selbst eben so sehr nach der Arbeit Verlangen tragen, die man von ihnen fordert, als nach den Wohlthaten, die man ihnen zu ertheilen bereit ist. Da in ihren Augen die Armen nicht Mittel, sondern Zweck sind, so haben sie den Armen die Arbeit nicht zur Pflicht, sondern zum Wunsche gemacht. Aus den abgelegten Jahresrechnungen dieser Armenanstalten ersieht man, daß ihre Stifter mehr zur Absicht hatten, die Armen besser, als sie nützlicher zu machen; dieser hohe philosophische Gesichtspunkt bezeichnet vorzüglich den Weisheits- und Freiheitssinn jener alten ehrwürdigen hanseatischen Stadt …

Aber in den mehresten Ländern wird die ansehnliche Masse der Privatalmosen nicht mit Weisheit verwaltet, und der Baron von Voght und seine trefflichen Mitbürger haben der Menschheit den wesentlichsten Dienst dadurch geleistet, daß sie uns bewiesen, daß ohne neue Geld-Opfer, ohne Dazwischenkunft des Staats, die Privatwohlthätigkeit hinreiche, das Elend zu stillen. Was durch Einzelne geschieht, paßt vorzüglich für Deutschland, weil dort alles, theilweise betrachtet, immer besser ist, als das Ganze.

Die Armenanstalten müssen in Hamburg den besten Fortgang haben, da sie von der Moralität seiner Einwohner so kraftvoll unterstützt werden. Diese Moralität geht so weit, daß jeder lange Zeit hindurch seine Abgaben in eine Art von öffentlichem Schatzkasten entrichtete, ohne daß jemand darüber gesetzt war, das Dargebrachte zu untersuchen; diese Abgaben sollten mit dem Vermögen eines jeden im bestimmten Verhältnisse seyn, und nach erfolgter Zusammenrechnung, fand sichs immer, daß dieses Verhältnis treu beobachtet worden war. Sollte man nicht glauben, es sey vom goldnen Zeitalter die Rede, wenn man anders in jenem Alter von Privatvermögen und öffentlichen Abgaben etwas wußte? Es ist bewundernswürdig, wie leicht Treue und Glauben alles macht, sowohl im öffentlichen Unterricht, als in der öffentlichen Verwaltung. Man sollte ihr wahrlich alle Ehre einräumen, die man der Geschicklichkeit zukommen läßt, denn, alles wohl berechnet und überlegt, versteht sich Treue und Glauben besser, selbst auf Weltgeschäfte, als die sogenannte Feinheit.

 

Literatur und Kunst

 

Warum lassen die Franzosen der deutschen Literatur nicht Gerechtigkeit widerfahren?

Außerdem besteht die deutsche Literatur in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit eigentlich nur seit vierzig bis fünfzig Jahren, und die Franzosen sind seit den letzten zwanzig so sehr durch politische Ereignisse eingenommen worden, daß sie alles Studium der Literatur bei Seite gesetzt haben …

In Deutschland giebt es über nichts feste Geschmacks-Regeln, alles ist da unabhängig, alles individuell. Man urtheilt über ein Werk immer nur nach dem Eindrucke, den es macht, niemals nach Regeln, weil es keine allgemein geltende giebt; jedem Autor steht es frei, sich eine neue Sphäre zu bilden. In Frankreich wollen die meisten Leser nie auf Kosten ihres literarischen Gewissens gerührt, nicht einmal unterhalten seyn, dort hat der Scrupel sein Reich. Ein deutscher Autor bildet sein Publikum, in Frankreich gebeut das Publikum den Autoren. Da in Frankreich die Zahl der Menschen von Geist (esprit) viel größer ist, als in Deutschland, so imponirt dort auch das Publikum weit mehr, während deutsche Schriftsteller, unendlich hoch über ihren Richtern stehend, sie beherrschen, statt von ihnen Gesetze zu empfangen. Daher entsteht es, daß diese Schriftsteller selten durch die Critik vervollkommnet werden; keine Ungeduld von Lesern oder Zuschauern nöthigt sie, schleppende Stellen aus ihren Werken zu streichen, und selten nur halten sie zur rechten Zeit inne, indem ein Autor fast nie seiner eigenen Gebilde überdrüssig wird, und folglich nur durch Andere erfahren kann, daß der Augenblick da sey, wo sie nicht mehr interessiren. Franzosen denken und leben nur in Andern, wenigstens in Beziehung der Eigenliebe, und man merkt es den meisten ihrer Werke an, daß ihr Hauptzweck nicht der Gegenstand ist, den sie abhandeln, sondern der Effect, den sie hervorbringen. Der französische Schriftsteller sieht sich immer in der Gesellschaft, selbst wenn er schreibt, und verliert nie die Critiken, die Spötteleien, den Modegeschmack, kurz die literarische Autorität, aus den Augen, unter welcher er in der oder jener Epoche lebt …

In Frankreich liest man selten ein Buch aus anderm Grunde, als um darüber zu sprechen; in Deutschland, wo man fast einsam lebt, will man, daß das Werk Gesellschaft leiste: aber in welche[n] gesellige[n] Verkehr der Seele kann man wohl mit einem Buche treten, welches selbst nur der Wiederhall der Gesellschaft ist? …

Die Deutschen sehen dagegen ein, daß Klarheit immer nur ein relatives Verdienst, und ein Buch bloß klar genannt werden kann, in Beziehung seines Inhalts und seiner Leser …

Die Deutschen, gerade auf die entgegengesetzte Weise fehlend, gefallen sich in Dunkelheiten: oft hüllen sie, was klar am Tage lag, in Nacht, bloß um den geraden Weg zu meiden; sie haben einen solchen Widerwillen gegen gewöhnliche Gedanken, daß, wenn sie sich genöthigt sehn, sie niederzuschreiben, sie sie mit einer abstracten Metaphysik umgeben, die sie neu scheinen läßt, bis man sie erkennt. Die deutschen Schriftsteller geniren sich nicht mit ihren Lesern; da ihre Werke wie Orakelsprüche aufgenommen und ausgelegt werden, so können sie sie in so viel Wolken hüllen, als ihnen gefällt; die Geduld, dieses Gewölk zu zerstreuen, fehlt niemals, aber am Ende muß sich dahinter doch eine Gottheit zeigen, denn, was die Deutschen am wenigsten dulden, ist getäuschte Erwartung: ihre Anstrengung und Ausdauer machen ihnen große Resultate zum Bedürfniß. Sind in einem deutschen Werke nicht starke und neue Gedanken, so wird es bald der Verachtung preis gegeben, und wenn das Talent auch alles verzeihlich macht, so haben in Deutschland die verschiedenartigen Künste, durch die man Talent zu ersetzen sucht, keinen Werth.

Wie man in England über deutsche Literatur urtheilt

Es ist wahr, daß die Engländer die Würde nicht vom Nützlichen trennen, und immer, wenn es darauf ankommt, bereit sind, das Nützliche dem Ehrenvollen aufzuopfern; aber sie geben sich nicht gern den Unterhaltungen mit der Luft hin, wie sie Hamlet nennt, von denen die Deutschen große Freunde sind. Die Richtung der Philosophie der Engländer geht auf Resultate zum Wohl der Menschheit; die Deutschen beschäftigen sich mit der Wahrheit um ihrer selbst willen, ohne an den Vortheil zu denken, den die Menschen daraus ziehen können. Da die Natur ihrer Regierungen ihnen keine große und schöne Veranlassungen darbietet, Ruhm zu erwerben und dem Vaterlande zu dienen, so halten sie sich in jeglicher Art an die Contemplation, und suchen im Himmel die Bahn, die ihr eingeschränktes Loos auf Erden ihnen versagt. Sie gefallen sich im Ideale, weil nichts in ihrer Gegenwart liegt, was ihre Einbildungskraft anspricht. Die Engländer rühmen sich mit Recht alles dessen, was sie besitzen, alles dessen was sie sind, sie schenken ihre Bewunderung und ihre Liebe nur ihren Gesetzen, ihren Sitten und ihrem Cultus. Diese edeln Empfindungen geben der Seele mehr Kraft und Energie: aber der Gedanke fliegt vielleicht noch höher, wenn er keine Schranken, nicht einmal einen bestimmten Zweck hat, und in der unaufhörlichen Beziehung zum Ungeheuern und Unendlichen kein Interesse ihn zu weltlichen Gegenständen zurückzieht …

Die heutigen deutschen Literatoren sind (was sonderbar erscheint) viel größere Gegner der Einmischung philosophischer Reflexionen in die Poesie, als die Engländer. Die vorzüglichsten englischen Dichter, Shakespeare, Milton, Dryden in seinen Oden u. s. w. überlassen sich freilich nicht dem Geist des Raisonnements, aber Pope und mehrere andere sind als didaktische Dichter und Moralisten zu betrachten. Die Deutschen haben sich wieder jung gemacht, die Engländer sind reif geworden. Die Deutschen bekennen sich zu einer Lehre, deren Tendenz es ist, den Enthusiasmus in den Künsten, wie in der Philosophie, wieder zu beleben, und man muß sie loben, wenn sie sie halten; denn das Jahrhundert ruht auch auf sie, und es giebt keines, in dem man geneigter gewesen wäre, das zu verachten, was nichts als schön ist, keines, in welchem man häufiger die Frage: wozu nützt es? die gewöhnlichste von allen, wiederholen hört.

Von den Haupt-Epochen der deutschen Literatur

Deutschland war getheilt; es fand in Oestreich keine Liebe für die Wissenschaften, und in Friedrich dem Zweiten, der allein ganz Preußen war, kein Interesse für die deutschen Schriftsteller; die Wissenschaften waren in Deutschland also nie in einem Mittelpunkt vereinigt, und fanden keine Stütze im Staate. Vielleicht verdankt die Literatur dieser Isolirtheit, wie jener Unabhängigkeit, ihre größere Eigenthümlichkeit und Energie …

Doch mußte daraus, daß deutsche Gelehrte von ihren Regierungen keine Aufmunterung erhielten, die Folge entstehen, daß sie seit geraumer Zeit im verschiedenartigsten Sinne individuelle Versuche machten, und spät nur erst zu der wahrhaft merkwürdigen Epoche ihrer Literatur gelangt sind.

Goethe

Göthe könnte für den Repräsentanten der ganzen deutschen Literatur gelten; nicht, als ob sie nicht in mancher Beziehung Schriftsteller zählte, die noch über ihm stehen, sondern weil er in sich allein alles vereinigt, was den Geist der Deutschen von Andern unterscheidet, und weil keiner so ausgezeichnet ist durch eine Gattung der Einbildungskraft, von welcher weder die Italiener, noch die Engländer, noch die Franzosen, sich einen Theil aneignen dürfen.

Von der Poesie

Die Deutschen, welche, was sehr selten ist, Einbildungskraft mit beschaulicher Sammlung des Gemüths vereinigen, sind der lyrischen Poesie fähiger, als die meisten anderen Nationen. Die Neueren können eine gewisse Tiefe der Ideen nicht entbehren, an welche sie eine spiritualistische Religion gewöhnt hat, und doch, wenn diese Tiefe nicht mit Bildern bekleidet wäre, wäre sie nicht Poesie; die Natur muß sich daher in den Augen des Menschen vergrößern, damit er sich ihrer als des Emblems seiner Gedanken bediene.

Von den deutschen Gedichten

Die deutsche Sprache bewegt sich überall nicht mit der Leichtigkeit des Italienischen, und die Scherze, die jener Sprache, die ein wenig mit Consonanten überladen ist, ziemen, sind eher solche, die mit der Kunst, scharf zu characterisiren, als mit der, leicht anzudeuten, zusammenhängen …

was aber Klopstock große Ehre macht, sind seine Bemühungen, den Patriotismus der Deutschen zu beleben …

Die Deutschen legen zu wenig Gewicht auf den Gegenstand eines Gedichts, und glauben, daß alles in der Art der Behandlung liege …

Was es in Deutschland Schönes gab, das war das alte Ritterthum, seine Kraft, seine Treue, seine Gutmüthigkeit, und die Rauhigkeit des Nordens im Bunde mit erhabener Empfindsamkeit. Was ferner schön darin war, war das auf die scandinavische Mythologie gepfropfte Christenthum; diese wilde Ehre, die der Glauben reinigte und heiligte; diese Ehrfurcht vor den Frauen, die noch durch den allen Schwachen bewilligten Schutz an Rührung gewann; dieser Enthusiasmus des Todes; dieses kriegerische Paradies, in welchem die menschlichste Religion ihren Platz genommen. Dies sind die Elemente eines deutschen Epos, dieser muß der Genius sich bemeistern, und wie Medea durch ein neues Blut alte Erinnerungen wecken.

Von der deutschen Poesie

Die kleinen zerstreuten deutschen Gedichte sind, wie mir scheint, merkwürdiger als die größern Werke der Dichtkunst: denn man findet, daß jenen besonders der Stempel der Originalität aufgedrückt ist; auch gehören die berühmtesten Verfasser derselben, Göthe, Schiller, Bürger u. s. w. zur modernen Schule, und diese allein hat einen wahrhaften Nationalcharacter. Göthe besitzt mehr Einbildungskraft, Schiller mehr Gefühl, und Bürger von ihnen allen die meiste Popularität.

Bei der nachstehenden Prüfung einiger Gedichte dieser drei Männer, wird man sich einen besseren Begriff davon machen können, was sie von einander unterscheidet. Schiller hat zwar Aehnlichkeit mit dem französischen Geschmacke, allein man findet in seinen zerstreuten Gedichten doch nichts, was den zerstreuten Gedichten von Voltaire gleiche; diese Eleganz der Conversation und der Manieren selbst, in die Poesie verpflanzt, gehörte bloß Frankreich an, und in Ansehung der Grazie war Voltaire der erste französische Schriftsteller …

Man findet in dem französischen Dichter den Ausdruck einer liebenswürdigen Sehnsucht, deren Gegenstand die Freuden der Liebe und die Genüsse des Lebens sind; der deutsche Dichter beweint den Verlust der Begeisterung und der unschuldsvollen Reinheit der Ideen des ersten Lebensalters, und schmeichelt sich, seine sinkenden Tage noch durch Poesie und Denken zu verschönern …

Ich würde nicht fertig werden, wenn ich aller Gedichte von Schillern erwähnen wollte, welche neue Gedanken und neue Schönheiten enthalten. Er hat auf die Abreise der Griechen nach der Einnahme von Troja eine Hymne gemacht, welche man einem damaligen Dichter zuschreiben könnte, so treu ist der Character der Zeit darin beobachtet. Ich werde in Hinsicht der dramatischen Kunst das bewundernswürdige Talent der Deutschen untersuchen, sich in Jahrhunderte, Länder und Charactere zu versetzen, welche von den ihrigen ganz verschieden sind: eine herrliche Fähigkeit, ohne welche die Personen, die man auf die Bühne bringt, Marionetten gleichen, welche durch einen Faden bewegt werden, und die nur durch eine Stimme, nämlich die des Verfassers, sprechen. Schiller verdient vorzüglich als dramatischer Dichter Bewunderung; Göthe behauptet einzig den obersten Rang in der Kunst, Elegieen, Romanzen, Stanzen u. s. w. zu verfertigen …

Der deutsche Dichter versteht die Natur, nicht bloß als Dichter, sondern als ein Bruder, man mögte sagen, daß die Familienverhältnisse in seinem Herzen für die Luft, das Wasser, die Blumen und Bäume, kurz für alle Urschönheiten der Schöpfung sprechen …

Mehrere einzelne Gedichte Göthe's sind voll Heiterkeit; selten aber nur findet man darin die Gattung des Scherzes, an welche wir gewöhnt sind: es sind komische Bilder, nicht Lächerlichkeiten, die seine Einbildungskraft anregen; so weiß er mit einem besonderen Instinkt die Originalität der Thiere, die immer neu und immer die nämliche ist, darzustellen …

Noch müssen wir einer unerschöpflichen Quelle poetischer Wirkung in Deutschland gedenken, des Graulichen. Zauberer und Gespenster gefallen dem Volke, wie den aufgeklärten Menschen. Das ist noch ein Ueberrest der nordischen Mythologie; es ist eine Stimmung, welche erweckt wird durch die langen Nächte des nördlichen Himmels: überdies behält der Volks-Aberglaube, obgleich das Christenthum alle grundlose Schrecknisse bestreitet, immer Ähnlichkeit mit der herrschenden Religion.

Vom Geschmack

Die Franzosen beurtheilen die schönen Künste wie Verhältnisse des Anstandes, und die Deutschen die Verhältnisse des Anstandes wie schöne Künste. In den Beziehungen zur Gesellschaft muß man sich vertheidigen, in den Beziehungen zur Poesie muß man sich hingeben.

Dramatische Kunst

Den Franzosen macht alles leicht Langeweile, daher suchen sie in allem das langgesponnene zu vermeiden. Wenn der Deutsche das Schauspiel besucht, so geschieht es mehrentheils auf Kosten der Stunden, die er beim Spieltische würde durchgähnt haben, wo die Einförmigkeit der immer wiederkehrenden Glücksfälle bald ermüdet. Er ist froh, sich in seine Loge still hinsetzen zu können, und läßt dem Verfasser des Stücks gern alle Zeit, die dieser braucht, die Ereignisse vorzubereiten, und die Charactere zu entwickeln: die französische Ungeduld würde solche Langsamkeit nicht gestatten …

Besäßen die Deutschen in der dramatischen Kunst ein gewisses Geschick, sie würden es auch in allem übrigen haben; aber in keiner Gattung sind sie eines, selbst unschuldigen, Kunstgriffes fähig; ihr Verstand macht sich in gerader Linie Bahn; das absolut Schöne gehört in ihr Reich; aber die relativen Schönheiten, diejenigen, welche in der Kenntniß der Verhältnisse, in der Schnelligkeit der Mittel liegen, sind nicht immer im Bereich ihrer Geistesfähigkeit.

Es muß auffallen, daß unter diesen beiden Nationen es eben die Französische ist, welche im Ton der Tragödie den gehaltensten Ernst zur Hauptbedingung macht. Dieses erklärt sich aber grade durch die Lustigkeit der Franzosen; sie ist ihnen so natürlich, daß sie alles sorgfältig vermeiden, was im Trauerspiel dahin führen möchte: nicht so der unwandelbar ernste Deutsche; dieser beurtheilt ein Schauspiel immer nur im Ganzen, und wartet das Ende ab, um es zu loben oder zu tadeln …

In einer mit Grund allgemein bewunderten Vorrede zu seinem Trauerspiel Wallenstein, bemerkt Herr Benj. Constant, daß die Deutschen in ihren Stücken die Charactere, die Franzosen hingegen die Leidenschaften schildern. Um Charactere zu zeichnen, muß man nothwendig von dem majestätischen Tone abweichen, der in der französischen Tragödie allein gehört werden darf; denn es ist, unmöglich, die Fehler und Eigenschaften eines Mannes anders aufzustellen, als wenn man ihn selbst in verschiedenen Verhältnissen auftreten läßt; das Gemeine in der Natur fließt oft mit dem Erhabenen zusammen, hebt bisweilen sogar die Wirkung des Erhabenen heraus; und überdies erfordert die Entwickelung eines Characters einen etwas längeren Zeitraum; in vierundzwanzig Stunden läßt sich eigentlich nichts als eine Catastrophe erwarten.

Lessings Schauspiele

Vor Lessings Zeiten hatten die Deutschen keine Schaubühne; sie begnügten sich mit Uebersetzungen oder mit Nachahmungen fremder Stücke …

Seit Lessing ist Deutschland mit Dramen überschwemmt worden; jetzt fängt man an, ihrer müde zu werden.

Die Räuber und Don Carlos, von Schiller

… gleichwohl haben Romane und Schauspiele in Deutschland weit mehr zu bedeuten, als in jedem andern Lande. Alles wird hier ernsthaft betrieben, und ein Buch oder ein Stück haben Einfluß auf ein ganzes Leben. Was man als Werk der Kunst bewundert, will man sogleich als Handlung in das Leben einführen. Werther hat mehr Selbstmorde veranlaßt, als das schönste Weib; und Dichtkunst, Philosophie, Ideal, vermögen oft mehr über deutsche Gemüther, als Natur und Leidenschaften …

In Deutschland giebt man den historischen Trauerspielen den Vorzug, wenn sich die Kunst, wie ein rückwärts gekehrter Prophet 1), darin offenbaret.

1) So nennt Friedrich Schlegel einen Historiker von durchdringendem Geiste.

Wallenstein und Maria Stuart

In Frankreich muß ein Trauerspiel ganz Liebe oder ganz Politik seyn; man will nichts von gemischtem Inhalte wissen, und vor allem seit einiger Zeit, zumal wenn von Staatsinteresse die Rede ist, begreift man nicht, wie im Gemüth für einen andern Gedanken Raum übrig seyn könnte …

Allein die Franzosen verstopfen sich selbst eine unendliche Quelle von Wirkungen und Rührungen, indem sie die tragischen Charactere, wie die Musiknoten und die Farben des Prisma, auf wenige hervorstechende immer wiederholte Züge beschränken; bei ihnen muß jede ihrer Personen sich nach einem der vornehmsten bekannten Vorbilder modeln. Bei uns, sollte man sagen, ist die Logik die Grundlage aller Künste, und jene wellenartige Natur, von welcher Monta[i]gne spricht, ist aus unsern Tragödien verbannt; sie gestattet nur ganz gute oder ganz arge Gefühle, und doch ist im menschlichen Gemüth nichts von beiden ungemischt.

In Frankreich wird über eine tragische Person wie über einen Staatsminister für und wider gesprochen; man beschwert sich über das, was er thut oder nicht, als hielte man ein Zeitungsblatt in der Hand, das ihm sein Urtheil spricht. Die Absprünge und Widersprüche der Leidenschaften sind auf der französischen Bühne erlaubt, nur nicht die Folgewidrigkeit der Charactere. Da jedermann mehr oder weniger den Gang der Leidenschaften kennt, so ist man auf ihre Irrungen vorbereitet, man begreift so zu sagen ihre Widersprüche im Voraus; dagegen hat der Character immer etwas überraschendes, und läßt sich in keine Regeln einschließen. Bald nähert er sich seinem Ziele; bald entfernt er sich wieder davon. Hat man einmal von jemand in Frankreich gesagt: «Er weiß nicht was er will!» so hört alles Interesse für ihn auf; da es doch gerade der Mensch ist, «der nicht weiß was er will,» in welchem sich die Natur mit einer wahrhaft tragischen Kraft und Unabhängigkeit zeigt.

Die Jungfrau von Orleans. Die Braut von Messina

Bis dahin ist diese romantische Tragödie, so nennt sie Schiller, voller Schönheiten des ersten Rangs; man stößt wohl hin und wieder auf langgedehnte Stellen (kein teutscher Schriftsteller ist dieses Vorwurfs frei); aber man sieht so merkwürdige Begebenheiten an sich vorüberziehen, daß die Einbildungskraft sich ihnen anschließt, daß man aufhört, das Stück als ein Kunstwerk zu betrachten, und das hier aufgestellte bewundernswürdige Gemählde als einen frühern Abglanz der heiligen Begeisterung der Heldenzeit anstaunt.

Götz von Berlichingen und Egmont

Göthe war der Nachahmung französischer Theaterstücke auf deutschen Schaubühnen überdrüßig, und er hatte Recht; ein Franzose selbst würde sie so gut satt haben wie er …

Von jeher ist der militärische Geist in Deutschland roher als irgendwo gewesen; nur in Deutschland kann man sich wahrhaft und in der Natur jene Männer von Eisen denken, deren Abbildungen und Gestalten man noch in den Zeughäusern der alten Reichsstädte findet …

In Frankreich würden wir diese Vermischung der Volkssprache mit der tragischen Würde nicht dulden; aber eben dieses überzarte Gefühl giebt unsern Tragödien der [z]weiten Gattung so viel Eintönigkeit und Schlaffheit. Der Gelegenheit zu Prunkreden und der heroischen Lagen sind nothwendiger Weise nur wenige; überdieß dringt die Rührung selten bis ins innerste Gemüth, wenn durch einfache aber wahre Details, die den geringsten Umständen Leben gewähren, die Einbildungskraft nicht vorher rege gemacht und gefesselt worden ist …

Die Deutschen sind überhaupt verlegen, wann und wie sie schließen sollen; man könnte das chinesische Sprichwort auf sie anwenden: «Wenn man zehn Schritte zu machen hat, so sind neun die Hälfte des Weges.» Die erforderliche Geisteskraft, es sey, was es wolle zu Ende zu bringen, erfordert eine gewisse Gewandtheit, ein gewisses Augenmaaß, die sich nur selten mit der schwankenden und unbestimmten Einbildungskraft vertragen, deren Spuren die deutschen Werke allgemein tragen …

Das deutsche Publikum in Weimar ist sein Zuschauer, und dieses Publikum ist zufrieden, wenn es ihm nur entgegensehen, ihn errathen kann; es ist eben so gedul[d]ig, eben so einsichtsvoll als der griechische Chor; anstatt es, wie gewöhnlich die Souveraine zu machen, sie mögen Fürst oder Volk seyn, – anstatt zu verlangen, daß man es belustige, trägt es selbst zu seinem Vergnügen dadurch bei, daß es erklärt und zergliedert, was ihm nicht gleich auffiel: ein solches Publikum ist in seinen Urtheilen selbst Künstler.

Iphigenia in Tauris. Torquato Tasso

Die kranke Empfindlichkeit, der gereizte Argwohn der Schriftsteller und Dichter hat sich in Rousseau, im Tasso gezeigt, und zeigt sich noch häufiger in der deutschen Gelehrtenrepublik. Die französischen Autoren sind weniger empfänglich. Wer viel mit sich selbst und in der Einsamkeit lebt, verträgt die äußere Weltluft nicht gut. Die Gesellschaft hat, wie die Luft, manches rauhe für den, der ihrer nicht von Jugend auf gewohnt ist; Ironie und der Spott der Welt sind für den talentvollen Mann verderblicher als für jeden andern; der Geistvolle allein weiß sich derselben zu erwehren …

Die Person des Tasso ist ebenfalls die Person eines deutschen Dichters. Jene Unmöglichkeit, die ihm Göthe beigelegt hat, sich in den gewöhnlichsten Umständen des gemeinen Lebens aus dem Handel zu ziehen, ist ein Charakterzug der Schriftsteller des Norden[s], und ihrer ein- und zurückgezogenen Lebensweise. Den südlichen Dichtern klebt diese Unbeholfenheit gewöhnlich nicht an; sie haben mehr außer dem Hause, und so zu sagen, auf öffentlichen Plätzen gelebt; sie sind mit den Sachen und noch mehr mit den Menschen vertrauter …

Es scheint mir aus seiner italienischen Natur, aus seinem Leben, aus seinen Briefen, aus den Gedichten selbst, die er während seiner Verhaftung schrieb, einleuchtend, daß die Heftigkeit seiner Leidenschaften, nicht der Tiefe seiner Gedanken, seine[r] Schwermuth zuzuschreiben sey. In seinem Charakter lag nicht, wie in dem der deutschen Dichter, jenes gewohnte Gemisch von Nachdenken und Thätigkeit, von Nachforschung und Enthusiasmus, wodurch die Existenz so stark angegriffen wird …

Durch einen seltsamen Umsprung im Geschmack, hatten die Deutschen es unsern dramatischen Dichtern anfangs zum Verbrechen gemacht, daß sie alle ihre Helden französirten; sie haben, und das mit Recht, die historische Wahrheit zum Hauptbedürfniß gemacht, wodurch den Farben Leben, und der Poesie Seele gegeben werden kann; und jetzt, ihrer eigenen Erfolge satt, sind sie plötzlich mit abstracten Stücken aufgetreten, wenn man sie so nennen darf, worin die Verhältnisse der Menschen zu den Menschen allgemein angedeutet sind, ohne Zeit, Ort und Person für etwas gelten zu lassen. So nennt zum Beispiel Göthe, in einem seiner Stücke, der natürlichen Tochter, seine Personen: der Herzog, der Vater, die Tochter etc. ohne weitere Bezeichnung; der Zeitraum, wo die Handlung vorgeht, der Ort, die handelnden Personen, sind ihm weiter nichts als ein prosaischer Hausstand, mit dem sich die Poesie nicht befassen darf.

Faust

In Göthes Faust verändert sich der Rhythmus beständig nach der Lage, und die daraus entstehende glänzende Mannigfaltigkeit ist bewundernswürdig. Die deutsche Sprache ist der Zusammensetzungen weit mächtiger als die französische. Göthe scheint sie insgesamt benutzt zu haben, um mit Tönen, wie mit Bildern, die seltene Ueberspannung von Ironie und Schwärmerei, von Traurigkeit und guter Laune auszudrücken, die ihm in diesem Werke zur Seite standen. Es hieße in der That zu viel Naivheit verrathen, wenn man voraussetzen wollte, ein Mann wie Göthe, wisse und fühle nicht die Fehler wider den guten Geschmack, die man seinem Stücke vorwerfen kann; aber es verlohnt sich der Mühe, die Beweggründe aufzufinden, die ihn vermocht haben, diese Fehler, ich will nicht sagen, stehen zu lassen, sondern vorsätzlich hinein zu arbeiten …

Der Glaube an böse Geister findet sich in vielen Dichtungen der Deutschen; die Natur des Nordens stimmt ganz zu dieser ängstlichen Gemüthsart. Es ist in Deutschland bei weitem nicht so lächerlich, wie es in Frankreich seyn würde, sich des Teufels in Dichtungen zu bedienen.

Die Weihe der Kraft. Attila. Die Sö[h]ne des Thales. Das Kreuz an der Ostsee. Der vier und zwanzigste Februar, von Werner

Diese witzige Antwort ließe sich sehr gut auf den größten Theil der allegorischen Figuren anwenden, die man so gern auf die teutsche Bühne bringt.

Das Lustspiel

Selten stellen die Deutschen, in ihren Lustspielen, Nationallächerlichkeiten auf; da sie nicht einmal Andere beobachten, so beobachten sie sich noch weniger selbst in ihren äußern Verhältnissen; es hieße dies, in ihren Augen, fast gegen die Rechtlichkeit, die sie einander schuldig sind, verstoßen. Ueberdies macht die Empfindlichkeit, doch ein Hauptunterscheidungszug ihrer Natur, es ihnen überaus schwer, die Waffen des Spottes mit leichter Hand zu führen; oft verstehen sie den Spott nicht, und wenn sie ihn auch verstehen, so verstehen sie keinen Scherz, werden böse, und bedienen sich nicht derselben Waffen gegen den Angriff; der Spott ist für sie ein Feuergewehr; sie laden zu stark, und fürchten sich, daß es in ihren Händen zerplatze …

Die Deutschen ziehen, in ihrem Komischen, das Kräftige dem Nüancirten vor; in den Trauerspielen suchen sie Wahrheit, in den Lustspielen Caricatur. Mit jeder Zartheit des Herzens sind sie bekannt, nur die Feinheit des gesellschaftlichen Geistes und Witzes ist ihnen nicht lustig genug; die Mühe, ihn aufzusuchen, benimmt ihnen einen Theil des Genusses …

Bei den Deutschen, ob sie schon bemüht sind, alte sowohl als neue Erfindungen bei sich einheimisch zu machen, ist im Grunde nichts wahrhaft national, als die Volksposse, und die Gattung von Stücken, wo das Wunderbare dem Lustigen zum Grunde liegt …

Die neue ästhetische Schule in Deutschland hat über das Lustspiel, wie über alles, ihr eigenes System; sie läßt sich an dem Interesse nicht genügen, das die Sittenschilderung giebt; sie verlangt Einbildungskraft in der Anlage des Stücks, in der Erfindung der Personen; das Wunderbare, die Allegorie, die Geschichte, nichts darf unbenutzt bleiben, wenn es darauf ankommt, die komischen Situationen zu vermannichfaltigen …

Den Deutschen fällt es überaus schwer, sich in ihren Geisteswerken nicht schwankenden Träumereien hinzugeben; gleichwohl ist dieser Gemüthsrichtung nichts so fremd, als das Lustspiel und überhaupt das Theater. Unter allen Gefühlen ist die Träumerei das einsamste; kaum läßt sich, was wir träumend dachten, dem innigsten Freunde mittheilen; wie sollte es möglich seyn, die versammelte Menge Theil daran nehmen zu lassen?

Von der Declamation

Dieselben Verschiedenheiten, die zwischen der deutschen Tragödie und der französischen obwalten, finden auch in ihrem dramatischen Vortrage statt. Die Deutschen halten sich aus allen Kräften an die Natur. Sie sind nur in ihrem Streben nach Einfachheit gesucht, und dieses kann auch wohl in den schönen Künsten zu einer Künstelei ausarten. Die deutschen Schauspieler greifen tief in das Herz des Zuschauers, oder sie lassen ihn ganz kalt. Sie bauen dann mit Zuversicht auf seine Geduld. Die Engländer haben mehr Majestät als sie im Vortrag der Verse, und sind doch von der gehaltenen Pracht entfernt, die bei den Franzosen die Tragödie von dem Künstler erfordert. Unsere Art verträgt das Mittelmäßige nicht, und man kommt in der Darstellung der französischen Tragödie nur durch die Vollendung der Kunst zur Natur zurück. In Deutschland sind die Schauspieler vom zweiten Range ohne Wärme und Bewegung, sie verfehlen oft die tragische Wirkung, aber sie werden fast nie lächerlich. Es geht in Deutschland auf der Bühne wie in der Gesellschaft zu; da sind Leute, die bisweilen langweilig werden, aber es hat dabei sein Bewenden. Auf der französischen Bühne aber werden uns die, die uns nicht rühren, völlig unerträglich. Durch solchen mißtönigen Wortschwall wird uns die Tragödie dergestalt zum Eckel, daß die pöbelmäßigste Parodie dieser erkünstelten Abgeschmacktheit vorgezogen werden muß …

In Weimar, wie überall in Teutschland, spielen dieselben Schauspieler tragische und komische Rollen. Man meint, daß diese Vielseitigkeit sie hindere, in einer Art das Außerordentliche zu leisten, aber die ersten Genien der Bühne, Garrik und Talma haben beides vereinigt …

Die französischen Schauspieler trachten in der Regel nach dem Beifall und verdienen ihn fast für jeden Vers. Die deutschen Schauspieler wollen ihn nur am Schlusse des Stückes, und erhalten ihn gewöhnlich erst dann …

In Deutschland wird nur am Schlusse eines Aktes Beifall geklatscht, und sehr selten unterbricht man einen Schauspieler, um ihm die Bewunderung die er einflößt, zu bezeugen. Die Deutschen halten es für eine Art Barbarei, durch laute tumultuarische Aeußerungen die Rührung zu stören, die in der Stille zu hegen ihnen lieb ist.

Von den Romanen

Die Teutschen sind, wie die Engländer, sehr fruchtbar an Romanen, welche das häusliche Leben mahlen; aber die Sittengemählde sind in den englischen Romanen zierlicher, und mannigfaltiger in den teutschen. Trotz der Unabhängigkeit der Charaktere giebt es in England eine allgemeine Art des Seyns, welche von der guten Gesellschaft gegeben wird. Hiervon findet sich in Teutschland keine Spur …

Die philosophischen Romane haben seit einiger Zeit bei den Deutschen allen übrigen den Rang abgelaufen. Sie haben indeß keine Aehnlichkeit mit den französischen in dieser Gattung. Das heißt: sie sind nicht, wie in Voltaire, eine allgemeine Idee, die man durch ein Factum in Form eines Apologs ausspricht, sondern ein ganz unpartheiisches Gemälde des menschlichen Lebens; ein Gemälde, in welchem kein leidenschaftliches Interesse vorherrscht. Verschiedene Situationen folgen sich in allen Rangordnungen, in allen Ständen und in allen Umständen, und der Schriftsteller ist da, um sie zu erzählen. So hat Göthe seinen Wilhelm Meister gedacht; ein Werk, das in Deutschland sehr geschätzt wird, sonst aber wenig bekannt ist.

Wilhelm Meister ist voll von scharfsinnigen und geistreichen Erörterungen; man könnte daraus ein philosophisches Werk vom ersten Range machen, wenn sich nicht eine Roman-Intrigue einmischte, deren Anziehungskraft nicht aufwiegt, was darüber verloren geht. Man findet darin sehr feine und sehr umständliche Schilderungen von einer gewissen Classe der Gesellschaft, die in Deutschland weit zahlreicher ist, als in allen andern Ländern; eine Classe, in welcher sich Künstler, Schauspieler und Abentheurer mit Bürgern, die ein unabhängiges Leben lieben, und mit großen Herren, welche die Künste zu beschützen glauben, vermischen …

Dieses wandelnde und zugleich träumerische Leben kann nur in Deutschland ganz empfunden werden. Wir beschreiben immer in unsern Romanen die Sitten und geselligen Verhältnisse; aber in dieser Phantasie, die über die Erde, die sie durchstreift, erhaben schwebt, und nicht in das wirkliche Interesse der Welt eingeht, liegt ein großes Geheimniß des Glückes …

Die französische Literatur hat mehrere komische Romane aufzuweisen, unter welchen Gil Blas einer der ausgezeichnetsten ist. – Ich glaube nicht, daß die Deutschen ihm ein Werk entgegen zu setzen hätten, wo mit gleichem Witze und gleicher Laune über die Dinge des Lebens gescherzt werde. Sie haben kaum eine wirkliche Welt, wie könnten sie schon mit derselben ihr Spiel treiben? …

Man könnte aus Jean Pauls Schriften eine sehr merkwürdige Sammlung von Gedanken ausziehen. Wenn man ihn aber liest, fällt seine wunderliche Gewohnheit auf, aus allerlei alten, vergessenen und wissenschaftlichen Büchern, Bilder und Anspielungen zu entlehnen; was er auf die Weise zusammenstellt, ist gewöhnlich sehr sinnreich, wo aber, um in einen Scherz einzugehen, Aufmerksamkeit und Nachdenken erfordert wird, da möchten nicht leicht andere als die Deutschen geneigt seyn, auf dem Weg des Studiums zum Lachen zu gelangen, und sich mit gleicher Anstrengung belustigen als belehren zu lassen …

Der Scherz entspringt bei den Franzosen aus dem Geiste der Unterhaltung, bei den Italienern aus der Phantasie, bei den Engländern aus der Eigenthümlichkeit des Characters. Der Scherz der Deutschen ist philosophisch, sie scherzen mehr mit den Dingen und mit den Büchern als mit ihren Mitmenschen, sie hegen zusammengehäuft in ihrem Geiste eine Welt von Kenntnissen, welche eine unabhängige und launische Einbildungskraft auf tausendfältige Weise unter sich verbindet, bald eigenthümlich, bald verworren, doch zeigt sich Stärke des Geistes und der Seele überall in diesen Spielen …

Man würde kein Ende finden, wenn man die geistreichen und rührenden Romane ohne Zahl, welche die deutsche Literatur besitzt, einzeln recensiren wollte.

Von den deutschen Geschichtschreibern und von Johannes von Müller insbesondere

Deutschland hat einen Ueberfluß an gelehrten Historikern, wie Mascow, Schöpflin, Schlözer, Gatterer, Schmidt u. s. w. Sie haben unermeßliche Nachforschungen angestellt und nur Werke geliefert, worin sich für den, der zu studiren versteht, alles befindet. Aber dergleichen Schriftsteller sind nur zum Nachschlagen, und ihre Arbeiten würden vor allen die schätzbarsten und großmüthigsten seyn, wenn sie nie einen anderen Zweck gehabt hätten, als Männern von Genie, welche die Geschichte schreiben wollen, Mühe zu ersparen.

Schiller steht an der Spitze der philosophischen Geschichtschreiber, d. h. derjenigen, welche die Facta wie Raisonnements zur Unterstützung ihrer Meinungen betrachten …

Die Deutschen, wie ich zu sagen schon öfter Gelegenheit gefunden habe, die Deutschen haben zuerst gefühlt, welchen Vortheil die Einbildungskraft von der Gelehrsamkeit ziehen kann; die einzelnen Umstände geben allein der Geschichte Farbe und Leben; auf der Oberfläche der Erkenntnisse findet man nur einen Vorwand für Raisonnement und Witz.

Herder

Selbst an Männer von dem größten Talent macht man in Deutschland die Forderung, daß sie eine ausgebreitete Gelehrsamkeit besitzen sollen, und Kritiker haben dieselbe bei Herdern wenigstens in sofern vermißt, als sie ihm die Gründlichkeit abgesprochen haben …

Die Biegsamkeit der deutschen Sprache verträgt sich vielleicht allein mit einer Uebersetzung dieser Naivetäten aus den Sprachen aller Länder, ohne welche man keinen Eindruck von den Volkspoesieen erhält …

Die Deutschen zergliedern in ihrer Literatur selbst die zarten Abstufungen, die sich dem Worte versagen, und man könnte ihnen den Vorwurf machen, daß sie es in allen Dingen darauf anlegen, das Unaussprechliche begreiflich zu machen.

Von den literärischen Reichthümern Deutschlands und von seinen berühmtesten Kunstrichtern, Aug. Wilh. und Friedrich Schlegel

Die Abhandlungen über die schönen Künste, die Werke über Gelehrsamkeit und Philosophie gehören zwar nicht unmittelbar der Literatur an, müssen aber gleichwohl zu ihren Reichthümern gerechnet werden. Es giebt in Deutschland Schätze von Ideen und Kenntnissen, welche die übrigen Nationen Europa's in sehr langer Zeit nicht erschöpfen werden.

Auch das poetische Genie, wenn der Himmel uns dasselbe zurückgiebt, könnte einen glücklichen Antrieb von der Liebe für die Natur, für die Künste und die Philosophie erhalten, welche in allen Gegenden Deutschlands gährt. Zum wenigsten aber wage ich die Behauptung, daß Jeder von uns, der sich einer ernsten Arbeit, sie bestehe worin sie wolle, widmen will, in Hinsicht der Geschichte, der Philosophie und des Alterthums die Bekanntschaft der deutschen Schriftsteller, die sich damit beschäftigt haben, nicht entbehren kann …

Als ich das Studium des Deutschen begann, kam es mir vor, als ob ich in eine ganz neue Sphäre träte, worin sich das auffallendste Licht über Alles verbreitete, was ich bis dahin auf eine verworrene Weise empfunden hatte. Seit einiger Zeit lieset man in Frankreich nur Denkwürdigkeiten oder Romane, und wahrlich nicht aus bloßem Flattersinn ist man ernsthafterer Lectüre minder fähig. Der Grund liegt vielmehr darin, daß die Begebenheiten der Revolution die Franzosen gewöhnt haben, nur auf die Kenntniß der Thatsachen und der Personen einen Werth zu legen. In den deutschen Büchern über die abstraktesten Gegenstände findet man die Art von Interesse, welche nach guten Romanen lüstern macht, d. h. nach dem, was sie uns über unser eigenes Herz sagen. Der unterscheidende Charakter der deutschen Literatur besteht darin, daß alles auf das innere Daseyn bezogen wird; und da dies das Geheimniß der Geheimnisse ist, so knüpft sich daran eine gränzenlose Neugierde.

Ehe ich zur Philosophie übergehe, welche in allen Ländern, wo die Literatur frei und mächtig ist, einen Theil derselben ausmacht, werde ich noch einige Worte über das sagen, was man als die Gesetzgebung dieses Reichs betrachten kann; ich meine die Kritik. Kein Zweig der deutschen Literatur ist weiter ausgebildet worden; und wie man in gewissen Städten mehr Aerzte als Kranke antrifft, so giebt es auch in Deutschland bisweilen mehr Kritiker als Autoren …

Die Deutschen möchten über alle Gegenstände zu vollständigen und von den Umständen durchaus unabhängigen Theorien gelangen: da dies aber unmöglich ist, so muß man nicht auf Thatsachen Verzicht leisten, aus bloßer Furcht, daß sie die Ideen in allzu enge Gränzen einschließen. Die Beispiele allein ätzen, in der Theorie wie in der Praxis, die Vorschriften der Erinnerung ein …

In Hinsicht der Reichthümer des menschlichen Geistes sind die Deutschen die wahren Eigenthümer; die, welche sich an ihren natürlichen Einsichten halten, sind in Vergleichung mit ihnen nur Vorfechter …

In Deutschland versteht man nicht, ein Buch zu machen. Selten bringt man die Ordnung und Methode an, welche die Ideen in dem Kopfe des Lesers klassificiren. Ueber dergleichen Mängel ermüden die Franzosen, nicht weil sie ungeduldig sind, sondern weil ihnen ein richtiger Geist beiwohnt. In den deutschen Poesieen sind die Erdichtungen nicht in den festen und abgemessenen Umrissen entworfen, welche ihre Wirkung sichern, und das Unbestimmte der Einbildungskraft entspricht der Dunkelheit des Gedankens. Wenn endlich die bisarren und gemeinen Späße sogenannter komischer Werke geschmacklos sind: so rührt dies nicht von einer Stärke des Natürlichen her, wohl aber daher, daß eine erzwungene Energie vollkommen eben so lächerlich ist, als eine erzwungene Anmuth. Ich mache mich lebhaft, sagte ein Deutscher, indem er zum Fenster hinaussprang. Wenn man sich zu etwas macht, so ist man nichts. Man muß zu dem guten französischen Geschmack zurückkehren, um das Gegenmittel gegen die kräftige Uebertreibung einiger Deutschen zu finden, so wie man sich von der dogmatischen Frivolität einiger Franzosen nur durch den Tiefsinn der Deutschen retten kann.

Von den schönen Künsten in Deutschland

Im Allgemeinen haben die Deutschen mehr Empfänglichkeit für die Kunst, als sie Geschicklichkeit besitzen, diese Kunst auszuüben. Kaum haben sie einen Eindruck erhalten, so ziehen sie daraus eine Menge Ideen. Sie sprechen viel von Geheimniß, aber nur um es zu offenbaren, und man kann keine Art von Eigenthümlichkeit in Deutschland aufweisen, ohne daß Jeder erklären will, wie man dazu gekommen ist. Dies ist ein wesentlicher Nachtheil; vorzüglich für die Künste, wo alles Sensation ist. Sie werden zergliedert, ehe man sie gefühlt hat, und wenn man hinterher auch sagt, daß die Zergliederung überflüssig sey: so hat man doch die Frucht von dem Baum des Erkenntnisses genossen, und die Unschuld des Talents ist dahin …

Vor der Reformation hatten die Deutschen eine Schule der Mahlerei, welche die italienische Schule nicht verschmähete. Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Holbein, haben in ihrer Manier zu mahlen, Aehnlichkeit mit den Vorgängern Raphaels, Perugino, Andreas Mantegna u. s. w. Holbein nähert sich dem Leonardo da Vinci. Im Ganzen ist indeß in der deutschen Schule mehr Härte, als in der italienischen, wenn gleich nicht weniger Ausdruck und Andacht in den Physiognomien. Die Mahler des fünfzehnten Jahrhunderts besaßen wenig Kenntniß von den Mitteln der Kunst; dafür bricht aus ihren Werken eine rührende Treuherzigkeit und Bescheidenheit hervor. Man entdeckt keine Ansprüche auf ehrgeizige Wirkungen; man fühlt nur jene innige Bewegung, für welche alle Menschen von Talent eine Sprache suchen, um nicht auszuscheiden, ohne ihren Zeitgenossen ihr Gemüth mitgetheilt zu haben …

Ich habe, als ich von Deutschland redete, bereits die Bemerkung gemacht, daß es daselbst wenig merkwürdige moderne Gebäude gebe. Im Norden von Deutschland erblickt man im Ganzen nur gothische Denkmäler, und die Natur und die Poesie unterstützen die Stimmungen des Gemüths, welche[n] aus diesen Denkmälern hervorgehen …

Wenn man sich in Deutschland mit den Künsten beschäftigt, so möchte man immer lieber von den Schriftstellern, als von den Künstlern reden. In jeder Beziehung sind die Deutschen stärker in der Theorie, als in der Praxis, und der Norden ist den Künsten, welche das Auge treffen, so wenig günstig, daß man sagen möchte, es sey ihm nur der Geist des Nachdenkens gegeben worden, um dem Süden zum Zuschauer zu dienen.

Man findet in Deutschland eine Menge Bildergallerien und Sammlungen von Zeichnungen, welche die Liebe für die Künste in allen Classen der Gesellschaft voraussetzen. Bei großen Herrn und bei Gelehrten vom ersten Range trifft man Copien von den Meisterstücken des Alterthums …

Mehrere andere Künstler bemühen sich, wie Schick, dem neuen System, das in der literarischen Poesie eingeführt, oder vielmehr erneuert ist, zu folgen; aber die Künste bedürfen der Reichthümer, und große Glücksgüter sind in den verschiedenen Städten Deutschlands zerstreut. Außerdem besteht in Deutschland der wirkliche Fortschritt, den man gemacht hat, darin, daß man die alten Meister ihrem Geiste nach fühlt und copirt. Das ursprüngliche Genie hat sich daselbst noch nicht stark ausgesprochen.

Die Bildhauerei ist in Deutschland mit keinem sonderlichen Erfolg geübt worden, theils weil es an Marmor fehlt, welcher die Meisterwerke unsterblich macht, theils, weil die Deutschen weder den Tact noch die Anmuth der Stellungen und Gesten haben, welche die Gymnastik oder der Tanz allein erleichtern können …

Die Deutschen zeichnen sich in der Instrumentalmusik aus. Die Kenntnisse, die sie erfordert, und die Geduld, deren es zu ihrer Ausführung bedarf, sind ihnen ganz natürlich; sie besitzen auch Komponisten von sehr mannigfaltiger und sehr fruchtbarer Einbildungskraft. Nur eine Einwendung möchte ich gegen ihr Genie als Musiker machen: sie bringen zu viel Geist in ihre Werke, sie denken zu viel über das, was sie machen. In den schönen Künsten steht der Instinkt über dem Gedanken. Die deutschen Componisten folgen dem Sinn der Worte allzu genau; freilich ein großes Verdienst für die, welche die Worte höher achten, als die Musik, wobei sich auch nicht leugnen läßt, daß der Mangel an Uebereinstimmung zwischen dem Sinn der einen und dem Ausdruck der anderen sehr unangenehm seyn werde …

Die Musik der Deutschen ist mannigfaltiger, als die der Italiener; und gerade hierin steht jene vielleicht hinter dieser zurück. Der Geist ist zur Abwechselung verdammt; sein eigener Jammer ist die Ursache davon. Aber die Künste, wie die Gefühle, haben eine bewundernswürdige Eintönigkeit, die nämlich, aus welcher man einen ewigen Augenblick machen möchte.

Die Kirchenmusik ist in Deutschland minder schön, als in Italien, weil die Instrumente darin immer vorherrschen. Wenn man zu Rom das Miserere, von lauter Menschen Stimmen gesungen gehört hat, so erscheint alle Instrumentalmusik, selbst die der Dresdner Capelle, als irdisch. Die Violinen und Trompeten machen einen Bestandtheil des Dresdener Orchesters während des Gottesdienstes aus, und die Musik ist daselbst mehr kriegerisch als religiös. Der Contrast der lebhaften Eindrücke, welche sie bewirkt, mit der kirchlichen Andacht, ist nicht angenehm. Man muß das Leben nicht in der Nähe von Gräbern beseelen. Die Kriegsmusik treibt zur Aufopferung des Daseyns, aber nicht zur Lossagung von demselben.

 

Die Philosophie und die Moral

 

Von der Philosophie

Unter den verschiedenen Zweigen der Philosophie ist die Metaphysik derjenige, welcher die Deutschen besonders beschäftigt hat. Die Gegenstände, welche sie umfaßt, können in drei Classen getheilt werden. Die erste bezieht sich auf das Geheimniß der Schöpfung, d. h. auf das Unendliche in allen Dingen; die zweite auf die Bildung der Ideen im menschlichen Geiste; die dritte auf die Uebung unserer Fähigkeiten, ohne zur Quelle derselben aufzusteigen.

Das erste dieser Studien, ich meine dasjenige, wodurch man das Geheimniß des Universums kennen lernen möchte, ist bei den Griechen eben so betrieben worden, wie es gegenwärtig von den Deutschen betrieben wird …

Denn eine Menge moralischer und religiöser Fragen hängt von der Art und Weise ab, auf welche man den Ursprung und die Bildung unserer Ideen betrachtet; und gerade die Verschiedenheit der Systeme in dieser Hinsicht trennt die deutschen Philosophen von den französischen. Leicht begreift sich, daß, wenn die Verschiedenheit in der Quelle liegt, sie sich auch in allem offenbaren müsse, was davon abgeleitet wird. Es ist demnach unmöglich, Deutschland kennen zu lernen, ohne den Gang der Philosophie zu zeichnen, der von den Zeiten Leibnitzens bis auf die unsrigen nicht aufgehört hat, eine bedeutende Herrschaft über die Republik der Wissenschaften auszuüben …

Man hat sich gewöhnt, sie als die Zerstörerin alles Herzensglaubens zu betrachten. Wäre sie dies wirklich, so würde sie auch die Feindin der Menschen seyn. Aber so verhält es sich weder mit der Lehre Platons, noch mit der der Deutschen. Sie betrachten das Gefühl als eine Thatsache, als eine ursprüngliche Thatsache des Gemüths, und geben der philosophirenden Vernunft keine andere Bestimmung, als die Bedeutung dieser Thatsache zu erforschen.

Von der englischen Philosophie

Die Tendenz zum Spiritualismus ist bei den Völkern des Nordens immer sehr offenbar gewesen, und selbst vor der Einführung des Christenthums zeigte sich diese Neigung bey aller Heftigkeit kriegerischer Leidenschaften. Die Griechen glaubten an äußerliche Wunder; die germanischen Nationen glaubten an die Wunder des Gemüths. Alle ihre Poesieen sind voll von Vorgefühlen, Ahnungen, Prophezeihungen des Herzens, und während die Griechen sich durch die Freude mit der Natur vereinigten, erhoben sich die Bewohner des Nordens zum Schöpfer durch religiöse Gefühle. In den mittäglichen Erdstrichen vergöttlichte das Heidenthum physische Erscheinungen; im Norden war man geneigt an die Zauberei zu glauben, weil sie dem Menschen eine gränzenlose Macht über die materielle Welt zuschreibt. Das Gemüth und die Natur, der Wille und die Nothwendigkeit, theilen sich in die Domäne des Daseyns, und je nachdem wir die Kraft außer uns setzen, oder in uns selbst annehmen, sind wir Söhne des Himmels oder Sklaven der Erde.

Allgemeine Bemerkungen über die deutsche Philosophie

Die spekulative Philosophie hat unter den Nationen germanischen Ursprungs immer viele Anhänger gefunden; die Erfahrungs-Philosophie eben so viele unter den Nationen lateinischen Ursprungs …

Roms Einfluß erstreckte sich nicht auf die mitternächtlichen Völker. Diese sind fast ganz durch das Christenthum civilisirt worden, und ihre alte Religion, welche die Grundsätze des Ritterwesens in sich schloß, hatte auch nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit dem Heidenthum der mittäglichen Länder. Es lag darin ein Geist heroischer hochherziger Hingebung, und ein Enthusiasmus für die Weiber, welcher aus der Liebe eine edle Verehrung machte; und indem die Strenge des Klima's den Menschen verhinderte, sich in die Hochgenüsse der Natur zu versenken, genoß er nur um so mehr die Freuden des Geistes …

Wie es auch um diese Vermuthungen stehen möge: so ist so viel gewiß, daß die Spiritualität der Seele und alle daraus abfließenden Gedanken bei den nordischen Nationen leicht einheimisch geworden sind, und daß unter diesen Nationen die Deutschen sich mehr als jedes andere Volk zur spekulativen Philosophie geneigt gezeigt haben. Leibnitz ist ihr Bacon und Descartes. In diesem herrlichen Manne findet man alle Eigenschaften vereinigt, denen sich die deutschen Philosophen im Allgemeinen zu nähern rühmen: unermeßliche Gelehrsamkeit, vollkommene Treuherzigkeit und ein unter strengen Formen verborgener Enthusiasmus. Gründlich hatte er die Theologie, die Rechtgelehrsamkeit, die Geschichte, die Sprachen, die Mathematik, die Physik, die Chemie studirt; denn er war überzeugt, daß die Allgemeinheit der Kenntnisse nothwendig sey, um in irgend einem Fache hervorzuragen. Kurz, alles an ihm beurkundete diejenigen Tugenden, welche mit den erhabensten Gedanken in Verbindung stehen, und zugleich Bewunderung und Achtung verdienen …

Mit bewundernswürdiger Dialektik hat Leibnitz das Lockische System bekämpft, welches alle unsere Ideen unseren Sensationen zuschreibt. Man hatte das bekannte Axiom aufgestellt, „daß in dem Verstande nichts sey, was nicht vorher in den Sinnen da gewesen;“ und Leibnitz fügte die erhabene Einschränkung hinzu: wofern es nicht der Verstand selbst ist. Aus diesem Prinzip ist die ganze neue Philosophie abgeflossen, welche auf die Geister in Deutschland einen so beträchtlichen Einfluß hat. Diese Philosophie ist auch Erfahrungs-Philosophie; denn sie geht darauf aus, zu erkennen, was in uns vorgeht; sie bringt nur die Beobachtung des innersten Gefühls an die Stelle der Beobachtung äußerlicher Sensationen.

Locke's Lehre hatte in Deutschland Anhänger, welche, wie Bonnet und mehrere andere Philosophen in England, darauf ausgingen, diese Lehre mit den religiösen Gefühlen zu vereinbaren, zu welchen sich Locke selbst standhaft bekannt hat. Leibnitzens Genie sah alle Folgerungen dieser Metaphysik vorher; und was seinen Ruhm für immer begründet, ist, daß er in Deutschland die Philosophie der moralischen Freiheit gegen die des sensuellen Fatalismus aufrecht zu halten verstand. Während das übrige Europa jene Principe annahm, welche die Seele als ein rein passives Wesen darstellen, war Leibnitz der aufgeklärte Vertheidiger der idealistischen Philosophie, wie sein Genie sie aufgefaßt hatte. Nicht die mindeste Aehnlichkeit hatte sie weder mit Berkeley's System, noch mit den Träumereien der griechischen Skeptiker über das Nicht-Daseyn der Materie; allein sie vertheidigte das moralische Seyn in seiner Unabhängigkeit und in seinen Rechten.

Kant

Kant schrieb Anfangs über die physischen Wissenschaften, und zeigte in dieser Art von Studien einen solchen Scharfsinn, daß er das Daseyn des Planeten Uranus zuerst vorhersah. Herschel selbst hat nach der Entdeckung anerkannt, daß Kant diesen Planeten zuerst angekündigt hat. Seine Abhandlung über den menschlichen Verstand, betitelt: Kritik der reinen Vernunft, erschien vor ungefähr dreißig Jahren, und dies Werk blieb eine Zeitlang unbekannt; als man aber endlich den Schatz von Ideen entdeckte, der darin enthalten war, machte es in Deutschland eine solche Sensation, daß alles, was seitdem im Fache der Literatur und der Philosophie zum Vorschein gekommen ist, von dem Antriebe herrührt, welchen jenes Werk gegeben hat …

In der deutschen Philosophie nennt man subjective Ideen diejenigen, welche aus der Natur unserer Intelligenz und der Vermögen derselben entstehen; objective hingegen alle diejenigen, welche durch äußere Gegenstände angeregt sind …

Gewiß schmeichle ich mir nicht, auf wenigen Seiten Rechenschaft abgelegt zu haben von einem System, welches, seit zwanzig Jahren, alle denkenden Köpfe Deutschlands beschäftigt hat; aber ich glaube darüber genug gesagt zu haben, um den allgemeinen Geist der Kantischen Philosophie anzudeuten, und um in den folgenden Capiteln den Einfluß zu erklären, den sie auf die Literatur, die Wissenschaften und die Moral ausübt …

Der polemische Geist von Kants Werken, d. h. der, in welchem er die materialistische Philosophie angreift, würde an und für sich ein Meisterstück seyn. Diese Philosophie hatte in den Geistern so tiefe Wurzeln geschlagen, und es war aus ihr so viel Irreligion und Egoismus hervorgegangen, daß man alle Ursache hatte, diejenigen als Wohlthäter ihres Landes zu betrachten, die sie auch nur bestritten, und die Gedanken eines Platon, Descartes und Leibnitz von neuem belebten: aber die Philosophie der neuen deutschen Schule enthält eine Menge ganz eigenthümlicher Ideen; sie ist auf unermeßliche Erkenntnisse gegründet, die sich mit jedem Tage vermehrt haben, und auf eine Methode des Raisonnements, die auf eine ausgezeichnete Weise abstrakt und logisch ist. Denn obgleich Kant die Anwendung dieser Raisonnements aus Wahrheiten, welche außerhalb des Kreises der Erfahrung liegen, tadelt: so zeigt er doch in seinen Schriften eine Stärke des Kopfs im Fache der Metaphysik, die ihn in diesem Betracht den ersten Denkern gleichsetzet …

In Frankreich würde sich niemand die Mühe gegeben haben, so von Schwierigkeiten strotzende Werke zu studiren, wie Kants Werke sind; aber er hatte es mit geduldigen und ausharrenden Lesern zu thun.

Von den berühmtesten Philosophen Deutschlands vor und nach Kant

Der philosophische Geist kann, seiner Natur nach, nicht füglich in irgend einem Lande allgemein verbreitet seyn. Indeß giebt es in Deutschland eine solche Hinneigung zum Grübeln, daß die deutsche Nation vorzugsweise als eine metaphysische Nation betrachtet werden kann. Sie hat einen solchen Ueberfluß an Menschen, welche im Stande sind, abstrakte Fragen zu fassen, daß das Publikum selbst Theil nimmt an den Argumenten, die in Erörterungen dieser Art angewendet werden …

Wie nachsichtig die Deutschen auch seyn mögen, wenn blos von dem möglichen Mangel an Form in Hinsicht eines Werks die Rede ist: so sind sie doch unerbittlich in Rücksicht des reellen Werths desselben, und wenn sie bemerken, daß im Verstande, im Gemüthe, oder in dem Wissen eines Schriftstellers etwas oberflächlich ist, so nehmen sie sogar den französischen Spott an, um das Leichtfertige lächerlich zu machen …

Drei vorzügliche Köpfe waren Kants Vorläufer auf der philosophischen Bahn: Lessing, Hemsterhuis und Jacobi. Keiner von ihnen wurde Stifter einer Schule, weil keiner von ihnen ein System gründete; aber sie waren es, welche den Angriff auf den Materialismus begonnen …

Nur unter den germanischen Nationen findet man die Erscheinung von Schriftstellern, welche die abstrakteste Metaphysik der Vertheidigung der exaltirtesten Systeme widmen , und eine lebhafte Einbildungskraft unter einer strengen Logik verbergen …

Kants Lehre hat in Deutschland viele andere Gegner gefunden; aber man hat sie nicht angegriffen, ohne sie zu kennen, oder so, daß man ihr, statt aller Antwort, die Meinungen Locke's und Condillac's entgegengestellt hätte. Leibnitz hatte noch allzu viel Uebergewicht in den Geistern seiner Landsleute, als daß sie nicht für jede, der seinigen ähnliche, Meinung hätten Achtung haben sollen. Zehn Jahre hindurch haben eine Menge Schriftsteller nicht aufgehört, die Werke Kants zu commentiren. Aber gegenwärtig haben die deutschen Philosophen, obgleich in Ansehung der freien Tätigkeit des Gedankens mit Kant einverstanden, jeder ein besonderes System in dieser Hinsicht angenommen. Nun, wer hat denn nicht versucht, das Räthsel seines Innern nach seinen Kräften zu lösen? Folgt denn daraus, daß der Mensch eine unzählbare Menge von verschiedenen Erklärungen seines Wesens gegeben hat, daß diese philosophische Forschung unnütz sey? Gewiß nicht. Gerade diese Verschiedenheit ist ein Beweis von dem Interesse, welches eine solche Forschung einflößen muß …

Was wahrhaft bewundernswerth in der deutschen Philosophie ist, besteht in der Erforschung, die sie uns an uns selbst vollziehen läßt. Sie steigt auf bis zum Ursprung des Willens, bis zur unbekannten Quelle des Stromes unseres Lebens; und hier, die innersten Geheimnisse des Schmerzes und des Glaubens ergründend, klärt sie uns auf und kräftigt uns …

Die Orientalen sind zu allen Zeiten Idealisten gewesen, und Asien hat nicht die mindeste Ähnlichkeit mit dem mittäglichen Europa. Ein Uebermaaß von Wärme treibt im Morgenlande zur Beschaulichkeit, wie ein Uebermaaß von Kälte im Norden. Die religiösen Systeme der Hindus sind sehr melancholisch und sehr geistvoll, während die Völker des mittäglichen Europa immer einen entschiedenen Hang nach materiellem Heidenthum gehabt haben. Gelehrte Engländer, die in Indien gereiset sind, haben tiefe Untersuchungen über Asien angestellt; und die Deutschen, welche nicht, wie die Herren der Meere, Gelegenheit hatten, sich an Ort und Stelle zu unterrichten, sind, mit Hülfe sorgfältiger Studien, zu höchst anziehenden Entdeckungen über die Religion, die Literatur und die Sprachen der asiatischen Völker gelangt. Sie sind geneigt, nach vielen Anzeigen, zu glauben, daß ehemals übernatürliche Einsichten die Völker dieser Gegenden aufgeklärt haben, und daß davon unvertilgbare Spuren übrig geblieben sind. Die Philosophie der Hindus kann nur von den deutschen Idealisten begriffen werden; die Ähnlichkeit der Meinungen erleichtert das Auffassen …

Gewohnt, tief und einsam zu grübeln, dringen die Deutschen so tief in die Wahrheit ein, daß man, wie es mir scheint, ein Unwissender oder ein Thor seyn muß, um eine von ihren Schriften zu verschmähen, ehe man sich lange damit unterhalten hat. Ehemals gab es viele Irrthümer und Wahnbegriffe, welche mit dem Mangel an Kenntnissen in Verbindung standen; allein wenn mit der Aufklärung unserer Zeit und mit unermeßlichen individuellen Arbeiten Meinungen ausgesprochen werden, welche über den Kreis gemeiner Erfahrungen hinausgehen: so muß man sich, um des menschlichen Geschlechtes willen, darüber freuen. Denn sein gegenwärtiger Schatz ist sehr arm, wenigstens wenn man nach dem Gebrauch urtheilt, den es davon macht.

Bei Durchlesung dieser Rechenschaft; die ich von den Haupt-Ideen einiger deutschen Philosophen gegeben habe, werden ihre Anhänger mit Recht bemerken, daß ich sehr wichtige Untersuchungen höchst oberflächlich angedeutet habe. Auf der anderen Seite aber werden Weltmenschen sich selbst die Frage aufwerfen: wozu dies alles diene? Allein, wozu dienen der Apoll von Belvedere, die Gemählde Raphaels, und Racine's Trauerspiele? Wozu dient überhaupt das Schöne, wenn nicht das Gemüth dabei gewinnt? Eben so verhält es sich mit der Philosophie. Sie ist die Schönheit des Denkens, sie beurkundet die Würde des Menschen, der sich mit dem Ewigen und Unfühlbaren beschäftigen kann, wiewohl alles Rohe seiner Natur ihn davon entfernt.

Ich könnte noch manche andere Namen anführen, welche in der Bahn der Philosophie mit Recht geschätzt sind; allein ich glaube, daß dieser Abriß, wie unvollkommen er auch seyn möge, ausreicht, als Einleitung zu einer Untersuchung über den Einfluß, welchen die übersinnliche Philosophie der Deutschen auf die Entwickelung des Geistes und auf den Character und die Moralität der Nation gehabt hat, die diese Philosophie hat entstehen sehen. Denn dies ist der Hauptzweck meines Werks.

Einfluß der neuen deutschen Philosophie auf die Entwickelung des Geistes

In den Angelegenheiten dieser Welt ist Subtilität des Geistes ein großer Fehler; aber wahrlich, die Deutschen haben sich einem solchen Verdacht nie ausgesetzt. Die philosophische Subtilität, vermöge welcher wir die zartesten Fäden unserer Gedanken auseinanderwirren, ist gerade das, was das Genie am meisten fördert; denn ein Grübeln, aus welchem vielleicht die erhabensten Erfindungen und die erstaunlichsten Entdeckungen hervorgehen können, geht unbeachtet in uns vorüber, wofern es uns nicht zur Gewohnheit geworden ist, die Folge und Verknüpfung der scheinbar entferntesten Ideen mit Scharfblick zu prüfen.

In Deutschland beschränken sich vorzügliche Köpfe selten auf Eine Bahn. Goethe macht Entdeckungen in den Wissenschaften, Schelling ist ein vortrefflicher Kenner der Literaturen, Friedrich Schlegel ein Dichter voll Originalität. Man kann vielleicht nicht viele verschiedene Talente in sich vereinigen; aber der Verstandesblick muß Alles umfassen.

Die neueste deutsche Philosophie ist der Erweiterung des Geistesumfangs nothwendig günstiger, als jede andere; denn indem sie alles auf den Brennpunkt des Gemüths bezieht, und die Welt selbst als von Gesetzen regiert betrachtet, deren Typus in uns ist: so kann und darf sie nicht das Vorurtheil gestatten, welches jeden Menschen ausschließender Weise zu dem und dem Zweige der Studien bestimmt. Die idealistischen Philosophen glauben, daß eine Kunst, eine Wissenschaft, irgendein besonderer Theil, nicht gefaßt werden kann ohne allgemeine Kenntnisse, und daß von dem geringsten Phänomen bis zum größten nichts gründlich untersucht, oder poetisch dargestellt werde, ohne jene Höhe des Geistes, die das Ganze überschaut, indem sie das Einzelne beschreibt …

Könnte es eine Theorie geben, welche ein Mann von Geist zu werden bahnte: so würde es die Theorie des Verstandes seyn, wie die Deutschen sie aufgefaßt haben; wenigstens begünstigt keine die sinnreiche Annäherungen zwischen den äußeren Gegenständen und den Fähigkeiten des Geistes in einem höheren Grade: denn dies sind Radien desselben Mittelpunkts …

Diese Philosophie giebt für alle Arten von Studien einen besonderen Anreiz. Die Entdeckungen, die man in sich selbst macht, sind immer interessant; allein, wenn es wahr ist, daß sie uns selbst über die Geheimnisse der nach unserem Bilde geschaffenen Welt Aufschlüsse geben müssen: welche Neugier flößen sie dann nicht ein! Die Unterhaltung mit deutschen Philosophen, wie die, welche ich genannt habe, erinnert an Platon's Gespräche; und wenn man einen von diesen Männern über irgend einen Gegenstand befragt: so verbreitet er darüber so viel Licht, daß man zum ersten Male zu denken glaubt, wenn denken, wie Spinoza sagt, so viel ist, als sich durch den Verstand mit der Natur identifiziren und mit ihr Eines werden.

In Deutschland läuft seit einigen Jahren eine solche Masse von neuen Ideen über literärische und philosophische Gegenstände um, daß ein Fremder leicht Denjenigen für einen Mann von Genie halten könnte, der diese Ideen nur wiederholt. Es ist mir nicht selten begegnet, daß ich Männer, die im Uebrigen von ganz gemeinem Schlage waren, für außerordentliche Geister gehalten habe, blos weil sie sich mit den idealistischen Systemen, der Morgenröthe eines neuen Lebens, vertraut gemacht hatten.

Die Fehler, welche man den Deutschen in der Unterhaltung gewöhnlich zum Vorwurfe macht – Langsamkeit und Pedanterie – sind den Zöglingen der neuen Schule am wenigsten eigen. Personen vom ersten Range haben sich in Deutschland meistentheils nach den guten französischen Manieren gebildet; aber gegenwärtig stellt sich unter den Philosophen, die zugleich Schriftsteller sind, eine Erziehung fest, die, obgleich in einer ganz anderen Art, von gutem Geschmack ist. Man betrachtet darin die wahre Eleganz als unzertrennlich von der poetischen Einbildungskraft und dem Reiz der schönen Künste, und die Artigkeit als gegründet auf die Kenntniß und Würdigung der Talente und des Verdienstes.

Läugnen läßt sich indeß nicht, daß die neuen philosophischen und literarischen Systeme in ihren Anhängern sehr viel Verachtung gegen Diejenigen eingeflößt haben, welche sie nicht fassen. Die französische Spötterei will immer durch das Lächerliche demüthigen; ihre Tactik ist, der Idee auszuweichen, um die Person anzugreifen, und das Wesen zu übersehen, um über die Form zu spötteln. Die Deutschen aus der neuen Schule betrachten die Unwissenheit und Leichtfertigkeit als Krankheiten einer verlängerten Kindheit; sie haben sich nicht darauf beschränkt, die Fremden anzugreifen, sie greifen sich auch unter einander mit Bitterkeit an, und wenn man sie vernimmt: so möchte man sagen, daß in Sachen der Abstraktion und der Gründlichkeit ein Grad mehr das Recht gebe, denjenigen, der nicht dahin gelangen will oder kann, als gemein und beschränkt zu behandeln.

Als Hindernisse die Geister aufreizten, mischte sich die Uebertreibung in diese, sonst so heilsame, philosophische Umwälzung. Mit der Fackel des Genies drangen die Deutschen in das Heiligthum des Gemüths. Als es aber darauf ankam, anderen Köpfen ihre Ideen einzuimpfen, verstanden sie sich schlecht auf die Mittel. Sie fiengen an, hochmüthig zu werden, nicht weil ihnen die Wahrheit fremd war, sondern weil es ihnen an der Kunst fehlte, sie vorzutragen. Abschätzigkeit, wenn sie nicht das Laster trift, kündigt immer einen begränzten Geist an; denn mit noch mehr Geist würde man sich selbst gemeinen Seelen verständlich gemacht haben, wenigstens hätte man es mit Treuherzigkeit versucht.

Das Talent, sich methodisch und deutlich auszudrücken, ist in Deutschland sehr selten; die spekulativen Studien geben es nicht. Man muß sich gewissermaßen aus seinen eigenen Gedanken herausversetzen, um über die Form zu urtheilen, die man ihnen zu geben hat. Die Philosophie lehrt den Menschen, nicht die Menschen kennen. Die Gewohnheit des Umgangs giebt uns allein Aufschlüsse über das Verhältniß unseres Geistes zu dem Geiste Anderer. Erst macht die Aufrichtigkeit, dann der Stolz ernste und treuherzige Philosophen zum Unwillen gegen Die geneigt, welche nicht eben so denken und empfinden, wie sie. Gewissenhaft erforschen die Deutschen das Wahre; aber es steckt in ihnen ein glühender Sectengeist für die Lehre, zu welcher sie sich einmal bekennen. Denn in dem Herzen des Menschen verwandelt sich alles in Leidenschaft.

Indeß, trotz den Verschiedenheiten in den Meinungen, welche in Deutschland mehrere, einander entgegengesetzte Schulen bilden, zwecken doch alle darauf ab, die Thätigkeit der Seele zu entwickeln. Auch giebt es kein Land, wo Jeder sich selbst höher ausbringt, wenigstens in Beziehung auf intellectuelle Arbeiten.

Einfluß der neuen deutschen Philosophie auf die Literatur und die Künste

Im Style stehen gewisse Eigenschaften mit der Wahrheit des Gefühls selbst in Verbindung; andere hängen von der grammatikalischen Verbesserung ab. Es würde Mühe kosten, den Deutschen begreiflich zu machen, daß das Erste, was bei einem Werke in Untersuchung kommt, die Schreibart ist, und daß die Ausführung den Sieg über den Gedanken davon tragen muß. Die Experimental-Philosophie schätzt ein Werk vorzüglich nach der sinnreichen und glänzenden Form, in welcher es dargeboten wird; die idealistische Philosophie hingegen, immer angezogen von dem Brennpunkt des Gemüths, bewundert nur die Schriftsteller, welche sich demselben wieder nähern.

Gestehen muß man auch, daß die Gewohnheit, in den verborgensten Mysterien unseres Wesens zu wühlen, eine besondere Vorliebe für das Tiefere, und bisweilen auch für das Dunkelere, in dem Gedanken einflößt. Deshalb mischen die Deutschen allzu oft die Metaphysik in die Poesie.

Die neue Philosophie flößt das Bedürfniß ein, sich zu Gedanken und Gefühlen zu erheben, welche keine Gränzen haben. Dieser Antrieb kann dem Genie günstig seyn; aber er ist auch nur ihm günstig, und öfters giebt er dem Genielosen höchst lächerliche Ansprüche. In Frankreich findet die Mittelmäßigkeit alles zu stark, zu exaltirt; in Deutschland erscheint nichts als auf der Höhe der neuen Lehre befindlich. In Frankreich spottet die Mittelmäßigkeit über den Enthusiasmus; in Deutschland verschmäht sie eine gewisse Art von Vernunft. Ein Schriftsteller kann sich nicht genug anstrengen, um deutschen Lesern die Ueberzeugung zuzuführen, daß er nicht oberflächlich sey, und daß er sich vor allen Dingen mit dem Unsterblichen und Ewigen beschäftige. Aber da die Fähigkeiten des Geistes nicht immer so ungemessenen Forderungen entsprechen: so geschieht es nicht selten, daß gigantische Anstrengungen nur zu gemeinen Resultaten führen. Nichts desto weniger ist diese allgemeine Anlage dem Ausflug des Geistes günstig, und es ist in literärischen Dingen leichter, Gränzen zu setzen, als Nacheiferung zu wecken.

Der Geschmack, welchen die Deutschen für die naive Gattung haben – ein Geschmack, von welchem bereits die Rede gewesen ist – scheint mit ihrer Neigung für die Metaphysik in Widerspruch zu stehen, da diese aus dem Bedürfniß, sich selbst zu kennen und zu zergliedern, hervorgeht. Indeß muß man auch diesen Geschmack für das Naive auf den Einfluß eines Systemes beziehen; denn Philosophie steckt hinter Allem, was deutsch ist, selbst hinter der Einbildungskraft. Einer von den ersten Charakteren des Naiven ist, das, was man fühlt oder denkt, auszudrücken, ohne an ein Resultat zu denken, oder auf ein Ziel loszusteuern. Und gerade hierin trift es zusammen mit der Theorie der Deutschen über die Literatur …

Die Deutschen betrachten nicht, wie es in der Regel geschieht, die Nachahmung der Natur als den Hauptgegenstand der Kunst; nur die ideale Schönheit erscheint ihnen als das Princip aller Meisterwerke, und ihre poetische Theorie ist in dieser Hinsicht im vollkommensten Einverständnisse mit ihrer Philosophie …

Die literärische Theorie der Deutschen unterscheidet sich von allen anderen dadurch, daß sie die Schriftsteller nicht tyrannischen Gebräuchen und Beschränkungen unterwirft. Es ist eine durchaus schöpferische Theorie, eine Philosophie der schönen Künste, welche, weit entfernt von allem Zwange, wie Prometheus, das himmlische Feuer zu entwenden sucht, um den Dichtern ein Geschenk damit zu machen …

Die deutschen Leser, welche gewohnt sind, Kant, Fichte u. s. w. zu lesen, betrachten einen geringeren Grad von Dunkelheit als die Klarheit selbst, und die Schriftsteller geben den Kunstwerken nicht immer die auffallende Lichthelle, welche ihnen nothwendig ist …

Die Nachahmung der Alten hat bei den Deutschen eine ganz andere Richtung genommen, als in dem übrigen Europa. Der gewissenhafte Character, von welchem sie sich niemals trennen, hat sie dahin geführt, den modernen Genius nicht mit dem antiken zu vermengen; sie behandeln in einiger Hinsicht die Fictionen als Wahrheit, denn sie finden das Mittel, den Gewissenszweifel einzumischen; sie wenden auch dieselbe Anlage auf die genaue und tiefe Kenntniß der Denkmäler an, welche uns von längst vergangenen Zeiten übrig geblieben sind. In Deutschland vereinigt das Studium des Alterthums, wie das der Wissenschaften und der Philosophie, die getheilten Zweige des menschlichen Geistes …

In einer von Herrn Ch. de Villers letzten Schriften, welche ich bereits mit der hohen Achtung, die sie verdient, erwähnt habe, kann man sehen, welche unermeßliche Arbeiten jährlich in Deutschland über die klassischen Autoren bekannt gemacht werden. Die Deutschen glauben sich in allen Dingen zur Rolle der Zuschauer berufen, und man möchte von ihnen sagen, sie gehören ihrem Jahrhundert nicht an, so sehr drehen sich ihre Betrachtungen und ihr Interesse um eine andere Welt-Epoche.

Möglich, daß die bessere Zeit für die Poesie die der Unwissenheit war, und daß die Jugend des menschlichen Geschlechts für immer dahin ist. Indeß fühlt man in den Schriften der Deutschen eine neue Jugend, die, welche hervorgeht aus der edlen Wahl, welche man treffen kann, wenn man Alles kennen gelernt hat.

Einfluß der neuen Philosophie auf die Wissenschaften

Vielleicht hätte Bacon in unseren Tagen die Nachtheile einer reinen Erfahrungs-Philosophie gefühlt. Sie hat den Gedanken in Sensation, die Moral in persönliches Interesse und die Natur in Mechanismus verkehrt; denn sie zweckte darauf ab, alles herabzusetzen. Die Deutschen haben ihren Einfluß in den physischen Wissenschaften, wie in den Wissenschaften einer höheren Ordnung bekämpft; und indem sie die Natur der Beobachtung unterworfen haben, betrachten sie ihre Phänomene im Allgemeinen auf eine umfassendere und geistreichere Manier; und die Herrschaft einer Meinung über die Einbildungskraft giebt immer ein günstiges Vorurtheil für dieselbe; denn bei einer erhabenen Auffassung des Universums kündigt Alles an, daß das Schöne auch das Wahre sey.

Die neue Philosophie hat ihren Einfluß auf die physischen Wissenschaften in Deutschland schon auf mannigfaltige Weise ausgeübt. Derselbe Geist der Universalität, den ich in den Literatoren und Philosophen bemerkt habe, findet sich in den Vertretern der Wissenschaften wieder. Als genauer Beobachter erzählt Humboldt die Reisen, deren Gefahren er als ein tapferer Ritter getrotzt hat, und seine Schriften ziehen die Dichter eben so sehr an, als die Physiker. Schelling, Bader, Schubert u.s.w. haben Werke herausgegeben, in welchen die Wissenschaften in einen Gesichtspunkt gestellt sind, der das Nachdenken und die Einbildungskraft in Anspruch nimmt; und ehe an die neueren Metaphysiker zu denken war, hatten Keppler und Haller gezeigt, daß sie die Natur zu beobachten und zu errathen verstanden.

Die anziehende Kraft der Gesellschaft ist in Frankreich so stark, daß sie Keinem erlaubt, auf die Arbeit viel Zeit zu verwenden. Es ist also sehr natürlich, daß man kein Vertrauen in Diejenigen setzet, welche mehrere Arten von Studien vereinigen wollen. Aber in einem Lande, wo das ganze Leben eines Menschen der Betrachtung gewidmet werden kann, hat man Grund, zur Vervielfältigung der Kenntnisse aufzumuntern. Man ergiebt sich alsdann derjenigen, die man allen übrigen vorzieht; allein, es ist vielleicht unmöglich, eine Wissenschaft gründlich inne zu haben, ohne sich mit allen beschäftigt zu haben …

Bei dem allen verbreiten die Gelehrten Deutschlands, welche zugleich Philosophen sind, ein ungemeines Interesse über die Betrachtung der Phänomene dieser Welt; sie erforschen die Natur nicht auf gut Glück, nach dem zufälligen Laufe der Erfahrungen, aber sie sagen in der bloßen Kraft des Gedankens vorher, was die Beobachtung bestätigen muß.

Zwei große allgemeine Ansichten dienen ihnen im Studium der Wissenschaften zu Führern. Die eine ist, daß das Universum nach dem Modell der menschlichen Seele gemacht ist; die andere, daß die Analogie eines jeden Theils des Universums mit dem Ganzen von einer solchen Beschaffenheit ist, daß dieselbe Idee sich von dem Ganzen beständig in jedem Theile, und so von jedem Theile in dem Ganzen abspiegelt …

Man kann die Gelehrten dieses Fachs in Deutschland in zwei Classen theilen, nemlich in die, welche sich ganz der Beobachtung widmen, und in die, welche Anspruch machen auf die Ehre, die Geheimnisse der Natur errathen zu haben. Unter den ersteren muß man vor allen Werner anführen, welcher in der Mineralogie die Kenntniß von der Bildung des Erdballs und von den Epochen ihrer Geschichte gefunden hat; Herschel und Schröter, welche unaufhörlich neue Entdeckungen im Gebiet des Himmels machen; berechnende Astronomen, wie Zach und Bode; große Chemiker, wie Klaproth und Buchholz. Zur Classe der philosophischen Physiker muß man Schelling, Ritter, Bader, Steffens u.s.w. rechnen. Die vorzüglichsten Geister dieser beiden Klassen nähern sich und verstehen sich; denn die philosophischen Physiker können die Erfahrung nicht verschmähen, und tiefe Beobachter versagen sich nie den möglichen Resultaten hoher Betrachtungen.

Schon hat man die Anziehungs- und Antriebskraft zum Gegenstand neuer Forschungen gemacht, und die Anwendung derselben auf die chemischen Verwandtschaften ist sehr glücklich ausgefallen. Das Licht, als ein Mittelstoff zwischen Materie und Geist betrachtet, hat Veranlassung gegeben zu sehr philosophischen Ansichten. Mit Achtung spricht man von Goethe's Arbeit über die Farben. Kurz, von allen Seiten ist in Deutschland die Nacheiferung von dem Wunsch und der Hoffnung gespornt, die Erfahrungs-Philosophie mit der spekulativen zu vereinigen, und dadurch die Wissenschaft des Menschen und der Natur zu vergrößern …

Die Lehre des Schottländers Brown, in Deutschland weit tiefer erforscht, als sonst wo, ist auf dasselbe System von Thätigkeit und Central-Einheit gegründet, welches in seinen Folgerungen so ungemein fruchtbar ist. Brown glaubte, der Zustand des Leidens, oder der Zustand der Gesundheit stehe in keiner Verbindung mit partiellen Uebeln, wohl aber mit der Intensität des Lebens-Princips, welches sich schwäche oder hebe, je nach den verschiedenen Wechseln des Daseyns …

Die ganze Bewegung in den Geistern kündigt irgend eine Revolution, selbst in der Art, die Wissenschaften anzuschauen, an. Die Resultate davon vorherzusehen, ist unmöglich; was man aber mit Wahrheit behaupten kann, ist, daß, wenn die Deutschen sich von der Einbildungskraft leiten lassen, sie keine Arbeit, keine Untersuchung, kein Studium sparen, und im höchsten Grade zwei Eigenschaften vereinigen, die sich auszuschließen scheinen, nemlich die Geduld und den Enthusiasmus …

Die deutschen Gelehrten schreiben den physischen Kräften eine gewisse individuelle Originalität zu; und auf der anderen Seite scheinen sie in ihrer Art und Weise, einige Phänomene des thierischen Magnetismus darzustellen, einzuräumen, daß der Wille des Menschen ohne äußeren Act einen sehr starken Einfluß auf die Materie, besonders aber auf die Metalle ausübt …

Die Deutschen streben nach der wahren Vervollkommnung des Geistes, wenn sie die Eingebungen der Natur durch die Erleuchtungen des Gedankens wieder aufzuwecken suchen …

Diese Manier, die physische Welt zu betrachten, ist Poesie, wird man sagen; allein, auf eine zuverlässige Weise lernt man sie nur durch die Erfahrung kennen, und alles, was sich nicht mit Beweis verträgt, kann eine Belustigung des Geistes seyn, führt aber nie zu sicheren Fortschritten. Unstreitig haben die Franzosen Recht, wenn sie den Deutschen Achtung für die Erfahrung empfehlen; aber sie haben Unrecht, wenn sie die Ahnungen des Nachdenkens lächerlich machen, die einst durch die Kenntniß der Thatsachen bestätigt werden können …

In Deutschland hat die Theorie der Wissenschaften, Wissenschaftslehre genannt, den Geistern denselben Schwung gegeben, welchen die Metaphysik im Studium des Gemüths veranlaßt hatte. In den physischen Phänomenen nimmt das Leben denselben Rang ein, welchen der Wille in der moralischen Ordnung behauptet. Wenn die Beziehungen beider Systeme ihnen das Verbannungsurtheil von gewissen Personen zuziehen: so giebt es Andere, welche in diesen Beziehungen die doppelte Garantie derselben Wahrheit erblicken …

Das neue System allgemeiner Physik, welches in Deutschland der Experimental-Physik zum Führer dient, kann nur nach seinen Resultaten beurtheilt werden. Man muß also abwarten, ob es den menschlichen Geist zu neuen und bestätigten Entdeckungen führen werde. Was man nicht läugnen kann, sind die Beziehungen, welche dies System zwischen den verschiedenen Studien-Zweigen feststellt …

Die deutsche Philosophie führt die physischen Wissenschaften in die allgemeine Sphäre der Ideen zurück, wo die kleinsten Beobachtungen wie die größten Resultate an dem Interesse des Ganzen hängen.

Von dem Einfluß der neuen Philosophie auf den Charakter der Deutschen

Es könnte scheinen, als ob ein philosophisches System, welches dem menschlichen Willen, so weit er frei und unabhängig ist, eine allmächtige Wirksamkeit zuschreibt, den Charakter kräftigen und von äußeren Umständen unabhängig machen müßte. Allein, man hat Ursache zu glauben, daß politische und religiöse Institutionen allein den öffentlichen Geist zu bilden vermögen, und daß keine abstrakte Theorie ausreicht, um einer Nation Thatkraft zu geben. Denn man muß gestehen, daß die Deutschen unserer Zeit durchaus nicht das haben, was man Charakter nennt. Sie sind tugendhaft und rechtschaffen, als Privatleute, als Familien-Väter, als Staatsbeamte; aber ihre Fügsamkeit in die Macht verursacht ein schmerzliches Gefühl, besonders wenn man sie liebt, und sie für die aufgeklärtesten spekulativen Vertheidiger der menschlichen Würde hält.

Der Scharfsinn des philosophischen Geistes hat sie blos gelehrt, unter allen Umständen die Ursachen und Folgen dessen, was sich ereignet hat, zu erkennen; und sobald sie eine Theorie zur Erklärung einer Thatsache aufgefunden haben, meinen sie, daß solche gerechtfertigt sey. Kriegerischer Geist und Vaterlandsliebe haben verschiedene Nationen auf die höchste Stufe der Energie geführt; gegenwärtig existiren diese beiden Quellen der Selbstausopferung kaum noch für die Deutschen, in Masse genommen. Von dem militärischen Geiste kennen sie kaum noch mehr, als eine pedantische Tactik, die sie berechtigt, nach allen Regeln geschlagen zu werden, und von der Freiheit nicht mehr, als jene Unterabtheilung in kleine Länder, die, indem sie die Bürger zum Gefühl der Nationalschwäche gewöhnt, sie nur allzu schnell dahin bringt, daß sie sich auch als Individuen schwach fühlen*. Die Achtung für die Formen trägt sehr viel zur Aufrechthaltung der Gesetze bei: aber diese Achtung, wie man sie in Deutschland antrifft, macht einen so pünktlichen und abgemessenen Gang zur Gewohnheit, daß man sich selbst in dem Augenblick, wo das Ziel erreicht wird, keine neue Bahn zur Umfassung desselben zu eröffnen versteht.

* Ich bitte zu berücksichtigen, daß dieses Kapitel, wie der Rest des Buches zur Zeit der vollständigen Knebelung Deutschlands geschrieben wurde. – Inzwischen haben aber die germanischen Nationen, aufgerüttelt durch die Unterdrückung, ihren Regierungen die zuvor fehlende Kraft gegeben, um der Stärke der französischen Armeen Widerstand zu leisten, und am heldenhaften Verhalten der Fürsten und der Völker hat man sehen können, was die öffentliche Meinung über das Schicksal der Welt vermag.

Philosophische Spekulationen schicken sich nur für eine kleine Anzahl von Denkern, und weit davon entfernt, daß sie eine Nation unter sich verbinden sollten, bringen sie allzu viel Zwischenraum zwischen den Unwissenden und den Aufgeklärten. In Deutschland sind allzu viel neue, und allzu wenig allgemeine Ideen im Umlauf, Ideen nemlich, in welchen man die Menschen und die Dinge anschaut. Allgemeine Ideen sind nothwendig zur Führung des Lebens; denn die Geschäfte erfordern mehr den Geist der Ausübung, als den der Erfindung. Was in den verschiedenen Ansichten der Deutschen Buntscheckiges ist, zweckt bloß auf Vereinzelung der verschiedenen Völkerschaften ab: denn die Gedanken und Interessen, welche die Menschen unter sich vereinigen, müssen von einfacher Natur und schlagender Wahrheit seyn.

Die Verachtung der Gefahr, der Leiden und des Todes, ist nicht allgemein genug in allen Klassen der deutschen Nation. Unstreitig hat das Leben einen höheren Werth für Menschen, welche der Gefühle und Ideen fähig sind, als für solche, die weder Spuren noch Erinnerungen zurücklassen; doch gerade wie sich der poetische Enthusiasmus durch den höheren Grad der Einsicht erneuern kann, sollte auch eine vernünftige Standhaftigkeit den Instinkt der Unwissenheit ersetzen. Einer auf Religion gestützten Philosophie würde es zukommen, bei allen Gelegenheiten einen unerschütterlichen Muth einzuflößen.

Wenn aber die Philosophie sich in dieser Hinsicht in Deutschland nicht allmächtig gezeigt hat: so muß man deshalb von ihr nicht abschätzig urtheilen. Sie klärt jeden Menschen insbesondere auf, und giebt ihm dadurch Haltung, aber die Regierung allein vermag jene moralische Electricität anzuregen, welche Allen ein und dasselbe Gefühl giebt. Sieht man, daß es den Deutschen an Thatkraft fehlt: so wird man ungehaltener gegen sie, als gegen die Italiener, deren politische Lage seit vielen Jahrhunderten auf Schwächung des Charakters hingewirkt hat. Durch ihre Anmuth und ihre Einbildungskraft bewahren die Italiener ihr ganzes Leben hindurch die verlängerten Rechte der Kindheit; aber die rohen Gesichtsbildungen und Manieren der Germanen scheinen eine feste Seele anzukündigen, und man fühlt sich unangenehm überrascht, wenn man sie nicht antrifft. Dazu kommt noch, daß die Charakterschwäche, wenn sie eingestanden wird, Verzeihung findet, und in dieser Hinsicht ist den Italienern eine merkwürdige Offenheit eigen, während die Deutschen, indem sie eine so übelstehende Schwäche nicht einzugestehen wagen, kräftige Schmeichler und rüstige Untergebene sind. Hart accentuiren sie ihre Worte, um die Geschmeidigkeit ihrer Gesinnungen zu verbergen; philosophischer Gründe bedienen sie sich, um zu erklären, was am wenigsten philosophisch ist; ich meine den Respect für die Macht, und die Rührung der Furcht, welche jenen Respect in Bewunderung verwandelt.

Solchen Contrasten muß man die deutsche unangenehme Außenseite zuschreiben, die man in den Lustspielen aller Länder nachzumachen Vergnügen findet. Es ist erlaubt, plump und ungelenk zu seyn, wenn man ernst und fest bleibt: aber wenn man diese natürliche Starrheit mit dem falschen Lächeln der Knechtlichkeit bekleidet, dann setzt man sich einer verdienten Verlachung aus; das Einzige, was übrig bleibt. Es kommt dazu, daß in dem Charakter der Deutschen eine gewisse Unbeholfenheit ist, die selbst Solchen schadet, welche geneigt seyn möchten, ihrem Interesse alles aufzuopfern; und man wird um so unwilliger, weil sie die Ehre der Tugend einbüßen, ohne zu den Vortheilen der Gewandtheit zu gelangen.

Wie sehr man aber auch anerkennen mag, daß die deutsche Philosophie unzureichend ist, eine Nation zu bilden: so muß man doch bekennen, daß die, welche zur neuen Schule gehören, weit näher daran sind, als die Uebrigen, Stärke des Charakters zu erwerben. Sie träumen sie, sie verlangen darnach, sie empfangen sie; aber sie fehlt ihnen nicht selten. In Deutschland giebt es sehr wenige, welche über Politik zu schreiben verständen. Die meisten von denen, welche sich damit befassen, sind allzu systematisch und sehr oft unverständlich. Wenn es auf übersinnliche Metaphysik ankommt, wenn man sich in die Dunkelheiten der Natur zu stürzen versucht, dann sind Ansichten, wie unbestimmt sie auch seyn mögen, nicht zu verschmähen; alle Vorgefühle können zu Führern dienen; alle Annäherungen an die Wahrheit haben ihren Werth. Nicht so verhält es sich mit den Angelegenheiten dieser Welt; man kann sie kennen, und eben deswegen muß man sie mit Klarheit darzustellen verstehen.

Von der wissenschaftlichen Moral

Auch in Deutschland haben Philosophen es darauf angelegt, der Moral die Vorzüge einer Wissenschaft zu verschaffen, welche in ihren Principen wie in ihren Folgerungen streng bewiesen wäre, und sobald die erste Grundlage angenommen ist, keinen Einwand, keine Ausnahme gestattete …

Einige deutsche Philosophen begriffen die Unmöglichkeit, alle Affectionen, welche unser Wesen ausmachen, in Gesetze zu kleiden, und aus allen Bewegungen des Herzens, so zu sagen, eine Wissenschaft zu machen. Diese begnügten sich mit der Behauptung, die Moral bestehe in der Harmonie mit sich selbst …

Ich werde hier nicht Rechenschaft ablegen von allen Systemen wissenschaftlicher Moral, welche in Deutschland erschienen sind; unter ihnen sind einige so fein gesponnen, daß, wiewol sie über unsere eigene Natur handeln, man doch nicht weiß, worauf man sich stützen soll, um sie zu fassen. Die französischen Philosophen haben die Moral ungemein dürftig gemacht, indem sie alles auf den persönlichen Eigennutz bezogen haben. Einige deutsche Metaphysiker sind zu demselben Resultat gelangt, indem sie gleichwol ihre ganze Lehre auf Aufopferungen stützten. Weder die Systeme der Materialisten, noch die abstrakten Systeme vermögen einen vollständigen Begriff von der Tugend zu geben.

Jakobi

Es ist schwer, in irgend einem Lande auf einen Gelehrten von ausgezeichneterem Wesen zu stoßen, als Jakobi's Wesen ist; denn mit allen Vorzügen der Gestalt und des Glücks hat er sich, von Jugend an, seit 42 Jahren dem Nachdenken gewidmet. Gewöhnlich ist die Philosophie ein Trost oder ein Asyl; aber wer sie wählt, wenn alle Umstände ihm große Erfolge in der Welt verheißen, verdient nur um so größere Achtung. Von seinem Charakter zur Anerkennung der Macht des Gefühls hingezogen, hat sich Jacobi mit abstrakten Ideen beschäftigt, besonders um ihre Unzulänglichkeit darzuthun. Seine Schriften über die Metaphysik werden in Deutschland sehr geschätzt; indeß ist sein Ruf als großer Moralist am meisten verbreitet …

Kants Lehre kann in der That als allzu trocken betrachtet werden, weil er der Religion nicht Einfluß genug verstattet; allein man muß nicht darüber erstaunen, daß er zu einer Zeit, wo sich, besonders in Deutschland, eine affectirte Empfindsamkeit, Empfindelei genannt, verbreitet hatte, welche die Schnellkraft der Geister und der Charaktere schwächte – daß er, sag' ich, in einer solchen Zeit nicht geneigt war, das Gefühl zur Grundlage seiner Moral zu machen. Ein Genius, wie der des Königsberger Philosophen, mußte sich zum Zwecke machen, die Gemüther von neuem zu härten.

Die deutschen Moralisten der neuen Schule, die in ihren Gesinnungen so rein sind, können, welchem abstrakten System sie auch angehören mögen, in drei Klassen getheilt werden. Nemlich in die, welche, wie Kant und Fichte, dem Pflichtgesetze eine wissenschaftliche Theorie und eine unbeugsame Anwendung haben geben wollen; ferner in die (an deren Spitze Jacobi gestellt werden muß) welche das religiöse Gefühl und das natürliche Gewissen zu Führern nehmen; endlich in die, welche die Offenbarung zur Basis des Glaubens machen, Gefühl und Pflicht zu vereinigen streben, und beide durch eine philosophische Deutung zusammenzuhalten suchen. Diese drei Klassen von Moralisten sind gleich entschiedene Gegner der auf den Eigennutz gegründeten Moral, welche in Deutschland beinahe gar keine Anhänger mehr hat. Das Böse kann man in diesem Lande thun; aber wenigstens muß man die Theorie des Guten unangetastet lassen.

Ueber den Woldemar

Der Roman: Woldemar ist das Werk desselben Philosophen Jacobi, von welchem ich in dem vorhergehenden Capitel geredet habe. Dies Werk enthält philosophische Erörterungen, in welchen die Moral-Systeme französischer Schriftsteller lebhaft angegriffen werden, und Jacobi's eigene Lehre ist darin mit bewundernswürdiger Beredsamkeit entwickelt. In dieser Beziehung ist der Woldemar ein sehr schönes Buch: aber als Roman betrachtet, liebe ich weder den Gang, noch den Zweck desselben …

Auf dieselbe Weise endigt ein ziemlich gepriesenes Stück von Goethe, Stella betitelt, damit, daß zwei Frauen, welche mit demselben Manne in heiligen Verbindungen stehen, den Entschluß fassen, beide in gutem Einverständnisse bei ihm zu leben. Dergleichen Erfindungen erhalten in Deutschland nur deshalb Beifall, weil in diesem Lande oft mehr Einbildungskraft, als Empfindsamkeit angetroffen wird. Im mittäglichen Europa wissen die Gemüther nichts von diesem Heroismus des Gefühls; die Leidenschaft ist hier ergeben, aber eifersüchtig; und die vorgebliche Zartheit, welche die Liebe der Freundschaft aufopfert, ohne daß die Pflicht es gebietet, erscheint nur als eine manierirte Kälte.

Von der romanhaften Stimmung in den Zuneigungen des Herzens

Die englischen Philosophen haben, wie bemerkt worden ist, die Tugend auf das Gefühl, oder vielmehr auf den moralischen Sinn gegründet. Aber dieses System hat nichts zu schaffen mit der sentimentalen Moralität, von welcher hier die Rede ist; eine Moralität, deren Benennung und Idee nur in Deutschland angetroffen wird, und nichts philosophisches in sich schließt. Sie macht nur die Empfindsamkeit zur Pflicht, und führt zur Misachtung Derer, die sie nicht haben …

In Deutschland nun, wo man alle Eindrücke auf Vorschriften zurückbringen will, hat man als unmoralisch betrachtet, was nicht empfindsam und sogar romanhaft war. Werther hatte die exaltirten Gefühle so sehr in Gang gebracht, daß beinahe Niemand gewagt hätte, sich trocken und kalt zu zeigen, selbst wenn dies sein natürlicher Charakter gewesen wäre. Daher der erzwungene Enthusiasmus für den Mond, die Wälder, die Fluren und die Einsamkeit; daher die Nerven-Uebel, die erkünstelten Töne der Stimme, die Blicke, die gesehen seyn wollen, und mit einem Wort, die ganze Rüstkammer von Empfindsamkeit, welche starke und aufrichtige Gemüther verschmähen.

Dieselben Personen, welche in Deutschland für empfindsam gelten wollten, würden sich anderwärts leichtsinnig und hochfahrend gezeigt haben.

Die ungemeine Empfindlichkeit des Charakters der Deutschen ist eine von den großen Ursachen der Wichtigkeit, welche sie auf die unbedeutendsten Abstufungen des Gefühls legen; und diese Empfindlichkeit steht oft mit der Wahrheit der Affectionen in genauer Verbindung …

Indeß muß man sich in Acht nehmen vor den so subtilen und so abgestuften Gefühls-Vorschriften, welche so viele deutsche Schriftsteller vervielfältigt haben, und wovon ihre Romane voll sind. Ihrer Rechtlichkeit, ihrer Aufrichtigkeit in allen reellen Verhältnissen des Lebens gewiß, fühlen sie sich versucht, die Affectation des Schönen als eine Verehrung für das Gute zu betrachten, und sich in dieser Art bisweilen Uebertreibungen zu erlauben, welche alles verderben.

Von der Liebe in der Ehe

In Deutschland giebt es in der Ehe beinahe gar keine Ungleichheit zwischen den beiden Geschlechtern. Dies rührt daher, daß die Weiber die heiligsten Bande eben so oft zerreissen, wie die Männer. Die Leichtigkeit der Ehescheidung hat in die Familien-Verhältnisse eine Art von Anarchie gebracht, welche nichts in seiner Wahrheit und in seiner Stärke bestehen läßt. Um etwas Heiliges auf Erden zu bewahren, ist es doch wohl besser, daß es in der Ehe eine Sklavin, als zwei starke Geister gebe.

Von den Moralisten der alten Schule in Deutschland

Ehe die neue Schule in Deutschland zwei Neigungen geweckt hatte, welche sich auszuschließen scheinen, ich meine die Metaphysik und die Poesie, die wissenschaftliche Methode und den Enthusiasmus, gab es daselbst Schriftsteller, welche einen ehrenvollen Platz neben den englischen Moralisten verdienten. Mendelssohn, Garve, Sulzer Engel, u. s. w. haben über die Gefühle und die Pflichten mit Empfindsamkeit, Religion und Herzenseinheit geschrieben. In ihren Werken findet man nicht die scharfsinnige Kenntniß der Welt, welche französische Autoren, wie Larochefoucault, la Bruyere u. s. w. charakterisirt. Die deutschen Moralisten malen die Welt mit einer gewissen Unwissenheit, die Anfangs anzieht, zuletzt aber eintönig wird …

Die deutschen Moralisten der alten Schule sind größtentheils religiös und empfindsam; ihre Theorie der Tugend ist uneigennützig; sie gestatten nicht jene Lehre von der Nützlichkeit, die, wie in China, dahin führen würde, daß man die Kinder in den Fluß würfe, wenn die Bevölkerung allzu zahlreich würde. Ihre Werke sind voll von philosophischen Ideen und melancholischen und zärtlichen Gefühlen. Dies reichte aber nicht aus, um die selbstische mit hochfahrender Ironie bewaffnete Moral zu bekämpfen. Dies war nicht genug, um Sophismen zu widerlegen, deren man sich gegen die wahrsten und besten Principe bedient hatte. Die sanfte, bisweilen sogar furchtsame Empfindsamkeit der alten deutschen Moralisten war nicht vermögend, die gewandte Dialektik und die geschniegelte Spötterei, die, wie alle bösen Gefühle, nur die Stärke ehren, mit Erfolg zu Boden zu werfen. Gestähltere Waffen sind erforderlich, nur die zu besiegen, welche das Laster geschmiedet hat; und deshalb haben die Philosophen der neuen Schule mit Recht geglaubt, daß es einer strengeren, einer vollkräftigeren, einer in ihren Argumenten geschlosseneren Lehre bedürfe, um über die Verderbtheit des Jahrhunderts zu triumphiren …

Aus bloßer Furcht, daß man ihre Rechtlichkeit lächerlich mache, wollen die Deutschen bisweilen, wenn gleich gegen ihre bessere Ueberzeugung, es mit der Immoralität versuchen, um sich ein glänzendes und freies Ansehen zu geben. Die neuen Philosophen haben ihren Styl und ihre Anschauungen zu einer großen Höhe erhoben, um der Eigenliebe ihrer Adepten auf eine geschickte Weise zu schmeicheln; und man muß sie wegen dieses unschuldigen Kunstgriffs loben; denn um die Stärkeren zu werden, müssen die Deutschen etwas verwerflich finden. Es ist allzu viel Treuherzigkeit, sowohl in ihrem Charakter, als in ihrem Geiste; es sind vielleicht die einzigen Menschen, denen man rathen könnte, stolz zu seyn, um besser zu werden. Läugnen läßt sich nicht, daß die Zöglinge der neuen Schule diesen Rath ein wenig zu sehr befolgt haben: allein sie sind deshalb nicht weniger die aufgeklärtesten und muthigsten Schriftsteller ihres Landes, bis auf einige Ausnahmen.

Von der Unwissenheit und von der Leichtfertigkeit des Geistes in ihren Verhältnissen zur Moral

Und dann bleibt noch etwas sehr Schönes und Moralisches übrig, was Unwissenheit und Leichtfertigkeit nie genießen können; dies ist der Verein aller denkenden Menschen von dem einen Ende Europa's bis zum andern. Bisweilen stehen sie in keiner persönlichen Beziehung mit einander; oft sind sie durch große Zwischenräume von einander getrennt: aber begegnen sie sich, so reicht ein einziges Wort hin, sich zu erkennen. Nicht die oder jene Religion, nicht die eine oder die andere Meinung, nicht die gleiche Art der Studien vereinigt sie; wohl aber der Anbau der Wahrheit. Bald dringen sie, gleich Bergleuten, in die Tiefe der Erde, um im Schooße der ewigen Nacht die Mysterien der verhüllten Welt zu ergründen; bald erheben sie sich zum Gipfel des Chimborasso, um auf dem erhabensten Punkte des Erdballs neue Erscheinungen zu entdecken; bald studieren sie die Sprache des Orients, um darin die Urgeschichte des Menschen zu finden; bald wandern sie nach Jerusalem, um aus heiligen Ruinen einen Funken zu schlagen, der Religion und Poesie belebt. Kurz, das wahre Volk Gottes sind diese Männer, welche nicht an dem menschlichen Geschlechte verzweifeln und ihm die Herrschaft des Gedankens bewahren wollen.

Die Deutschen verdienen in dieser Hinsicht eine besondere Erkenntlichkeit. Unwissenheit und Fahrläßigkeit in Hinsicht dessen, was mit der Literatur und den schönen Künsten in Verbindung steht, ist bei ihnen eine Schande, und ihr Beispiel beweiset, daß auch in unseren Tagen, der Anbau des Geistes in den unabhängigen Klassen Gefühle und Grundsätze bewahrt.

 

Die Religion und der Enthusiasmus

 

Allgemeine Betrachtungen über die Religion in Deutschland

Alle Nationen germanischen Ursprungs sind von Natur religiös; und der mit diesem Gefühl verbundene Eifer hat in ihrem Schooße mehrere Kriege verursacht. Gleichwohl ist man, besonders in Deutschland, weit mehr zur Begeisterung als zum Fanatismus geneigt. In einem Lande, wo von allen Thätigkeiten, die des Gedankens die erste ist, muß sich der Sectengeist in verschiedenen Gestalten offenbaren. In der Regel aber bleiben die theologischen Erörterungen von den menschlichen Leidenschaften geschieden, und die mannichfaltigen Meinungen in Sachen der Religion treten nicht hervor aus jener idealischen Welt, wo ein tiefer Friede herrscht …

Viele meinen, die Religion der Deutschen sey allzu unbestimmt, und es würde besser seyn, sich unter der Fahne eines positiveren und strengeren Cultus zu vereinigen …

Die meisten deutschen Schriftsteller beziehen alle religiöse Ideen auf das Gefühl des Unendlichen. Die Frage ist: ob das Unendliche sich fassen lasse? Aber faßt man es nicht wenigstens auf eine negative Weise, wenn man in der Mathematik der Dauer und Ausdehnung keine Schranken anweisen kann? Dieses Unendliche besteht in der Abwesenheit der Gränzen; aber das Gefühl des Unendlichen, so wie die Einbildungskraft und das Herz es verarbeiten, ist positiv und schöpferisch …

Der Ausdruck: das ist göttlich ist in Gang gekommen, um die Schönheiten der Natur und Kunst zu rühmen; und dieser Ausdruck ist bei den Deutschen Glaubensformel. Sie sind tolerant – nicht aus Gleichgültigkeit, sondern weil ihre Empfindungsweise und ihre Religion Universalität in sich schließt.

Von dem Protestantismus

Nur bei den Deutschen sollte eine durch Ideen bewirkte Revolution Statt finden; denn der hervorspringende Zug dieser sinnigen Nation ist die Stärke der innern Ueberzeugung. Wenn eine Meinung sich einmal der deutschen Köpfe bemächtigt hat, so machen ihre Geduld und Beharrlichkeit der Willenskraft im Menschen ungemeine Ehre.

Lieset man die Geschichte des Todes von Johann Huß und Hieronymus von Prag, diesen Vorläufern der Reformation, so sieht man ein auffallendes Beispiel von dem, was die Urheber des Protestantismus in Deutschland charakterisirt, ich meine die Vereinigung eines lebendigen Glaubens mit dem Geiste der Forschung. Ihre Vernunft hat weder ihrem Glauben, noch der Glaube ihrer Vernunft Abbruch gethan, und ihre sittlichen Fähigkeiten haben immer beisammen gewirkt …

Von allen großen Männern, welche Deutschland hervorgebracht hat, ist Luther gerade der, dessen Charakter am meisten deutsch war: seine Festigkeit hatte etwas Rohes; seine Ueberzeugung reichte bis zum Eigensinn; sein Geistesmuth war in ihm das Princip des Muths zum Handeln; die Leidenschaftlichkeit seines Gemüths zog ihn nicht ab von abstracten Studien, und ob er gleich gewisse Misbräuche und gewisse Dogmen als Vorurtheile angriff, so war es doch nicht sowohl eine philosophische Ungläubigkeit, als ein ihm eigenthümlicher Fanatismus, was ihn begeisterte …

Die gelehrte Auslegung befriedigt eben so wenig, wie die dogmatische Autorität. Die Einbildungskraft und Empfindsamkeit der Deutschen fanden also ihre Rechnung nicht bei einer Art von prosaischer Religion, welche dem Christenthum eine Achtung der Vernunft bewilligte. Herder war der Erste, welcher den Glauben durch die Poesie wieder ins Leben rief; als genauer Kenner der orientalischen Sprachen hatte er für die Bibel dieselbe Art von Verehrung, die ein geheiligter Homer einflößen würde. Die natürliche Neigung der Geister bringt in Deutschland mit sich, daß man die Poesie als eine Art von Propheten-Gabe betrachtet; es war also keine Entweihung, mit dem religiösen Glauben die Begeisterung zu verbinden, welche er einhaucht …

Lavater war früher da, als einige von den Männern, die ich genannt habe. Gleichwohl hat die Lehre, für deren vorzüglichsten Urheber er gehalten werden kann, erst seit sehr wenigen Jahren in Deutschland großen Beifall gefunden …

Die religiösen Schriftsteller des gegenwärtigen Deutschlands theilen sich in zwei scharf getrennte Classen, nemlich in die Vertheidiger der Reformation und die Anhänger des Katholizismus. Ich werde die Schriftsteller dieser verschiedenen Meinungen besonders untersuchen; aber was vor allen Dingen gesagt werden muß, ist, daß, wenn das nördliche Deutschland von allen Ländern dasjenige ist, wo die theologischen Fragen am meisten erörtert worden sind, es zugleich das Land ist, wo religiöse Gesinnungen die meiste Ausbreitung haben. Der National-Charakter trägt den Stempel derselben und das Genie der Künste und der Literatur schöpft in ihr seine Begeisterung. Unter Leuten aus dem Volke hat im nördlichen Deutschland die Religion einen idealen und sanften Charakter, der in einem Lande, dessen Sitten man sich als sehr roh denkt, nur um so mehr überrascht.

Als ich einmal von Dresden nach Leipzig reisete, verweilte ich am Abend zu Meissen, einer kleinen Stadt auf einer Höhe über der Elbe gelegen, deren Kirche Grabmäler enthält, welche glänzenden Zurückerinnerungen geweiht sind. Ich gieng auf der Esplanade spatzieren, und überließ mich der Träumerei, welche die untergehende Sonne, die Aussicht auf eine ferne Landschaft und das Geräusch im Grunde des Thales so leicht in unser Gemüth bringen. Da vernahm ich die Stimmen einiger gemeinen Leute und fürchtete gemeine Worte zu hören, wie man sie anderwärts auf den Straßen singt. Wie groß war mein Erstaunen, als ich am Schlusse jeder Strophe die Worte verstand: „Sie haben sich geliebt und sind in der Hoffnung gestorben, sich eines Tages wiederzufinden!“ Wohl dem Lande, wo solche Gefühle, Volksgefühle sind und der Luft, die man einathmet, ich weiß nicht, welche religiöse Brüderlichkeit sie mittheilen, die aus Liebe zum Himmel und aus Mitgefühl für den Menschen zusammengesetzt ist.

Vom Katholizismus

In Deutschland ist die katholische Religion viel duldsamer, als in jedem anderen Lande. Nachdem der westphälische Frieden die Rechte der verschiedenen Religionen festgestellt hat, fürchten sie nicht länger ihre wechselseitigen Eingriffe, und außerdem hat die Vermischung der Gottesverehrungen in sehr vielen Städten die Gelegenheit herbeigeführt, sich zu sehen und sich zu beurtheilen. Bei religiösen, wie bei politischen Meinungen macht man sich aus seinen Gegnern ein Fantom, welches in der Regel durch ihre Gegenwart verschwindet. Die Sympathie zeigt uns in dem, den wir für unseren Gegner hielten, unseren Nächsten.

Da der Protestantismus der Aufklärung weit günstiger ist, als der Katholizismus, so haben sich die Katholiken in Deutschland in eine Art von Vertheidigungsstand geworfen, welcher den Fortschritten der Ideen nicht wenig schadet. In Ländern, wo die katholische Religion vorherrschend war, wie in Frankreich und Italien, hat man sie mit der Literatur und den schönen Künsten zu vereinbaren gewußt; aber in Deutschland, wo die Protestanten durch ihre Universitäten und durch ihre natürliche Tendenz sich alles dessen bemächtigt haben, was mit den literärischen und philosophischen Studien in Verbindung steht, haben die Katholiken sich für genöthigt erachtet, ihnen eine Art von Zurückhaltung entgegenzustellen, welche beinahe jedes Mittel, sich auf der Bahn der Einbildungskraft und des Gedankens auszuzeichnen, unwirksam macht. Von allen schönen Künsten ist die Musik die einzige, welche im südlichen Deutschland auf einen höheren Grad von Vollkommenheit gebracht ist, als im Norden; es sey denn, daß man eine gewisse bequeme Lebensweise, deren Genüsse sich mit der Ruhe des Geistes sehr wohl vertragen, zu den schönen Künsten rechnen will.

Unter den Katholiken in Deutschland findet man eine aufrichtige, ruhige und mitleidsvolle Frömmigkeit; aber was man nicht findet, sind berühmte Kanzelredner und nahmhafte religiöse Schriftsteller. Nichts belebt die Bewegung des Gemüths. Man nimmt die Religion als etwas Gemachtes, woran der Enthusiasmus keinen Theil hat; ja, man möchte sagen, daß in dieser so sehr befestigten Gottesverehrung das andere Leben eine so positive Wahrheit sey, daß der Gedanke sich nicht mehr an ihr reibt.

Die Revolution, welche in den philosophischen Geistern Deutschlands seit ungefähr dreißig Jahren zu Stande gebracht ist, hat sie alle zu religiösen Gefühlen zurückgeführt. Sie hatten sich alle ein wenig entfernt, als der nothwendige Antrieb zur Fortpflanzung der Duldsamkeit über sein Ziel hinausgegangen war; aber indem man den Idealismus für die Metaphysik, die Begeisterung für die Poesie, die Anschauung für die Wissenschaften zurückrief, hat man die Herrschaft der Religion erneuert; und die Reform der Reformation, oder vielmehr die philosophische Richtung zur Freiheit, die sie gegeben hat – diese hat einmal für allemal, wenigstens in der Theorie, den Materialismus und alle seine verderbliche Anwendungen verbannt. Mitten in dieser intellectuellen Revolution, die an edlen Ergebnissen so fruchtbar gewesen ist, sind einige Männer, wie es bei Schwankungen des Gedankens immer zu geschehen pflegt, zu weit gegangen.

Man möchte sagen, der menschliche Geist stürze sich immer von dem Einen Aeußersten in das andere, gerade als ob die Meinungen, die er so eben aufgegeben hat, sich in Gewissensbisse verwandelten, um ihn zu verfolgen. Die Reformation, sagen einige Schriftsteller der neuen Schule, ist die Ursache mehrerer Religionskriege geworden; sie hat das nördliche Deutschland von dem südlichen geschieden, sie hat den Deutschen die verderbliche Gewohnheit eingeimpft, sich unter einander zu bekämpfen, und diese Zwistigkeiten haben ihnen das Recht genommen, sich Eine Nation zu nennen. Endlich hat auch die Reformation, indem sie den Geist der Forschung in Gang brachte, die Einbildungskraft ausgetrocknet und den Zweifel an die Stelle des Glaubens gebracht. Man muß also, wiederholen diese Männer, zur Einheit der Kirche zurückgehen, indem man sich wieder zum Katholizismus wendet. –

Zunächst, wenn Karl der Fünfte den Lutheranismus angenommen hätte, so würde es eben wohl Einheit in Deutschland gegeben haben, und das ganze Land würde, wie der nördliche Theil, der Zufluchtsort der strengen und der schönen Wissenschaften seyn. Vielleicht hätte diese Uebereinstimnmng freier Institutionen, mit einer wirklichen Kraft verbunden, Daseyn gegeben; und vielleicht hätte man diese traurige Trennung des Charakters und der Aufklärung vermieden, die den Norden der Träumerei überliefert und den Süden in seiner Unwissenheit unterstützt hat. Aber ohne sich in Muthmaßungen über das, was geschehen seyn würde, zu verlieren – wobei nie etwas herauskommt: – so kann man doch nicht läugnen, daß die Epoche der Reformation diejenige sey, wo die Wissenschaften und die Philosophie sich in Deutschland eingeführt haben. Das Land behauptet nicht den ersten Rang weder in Ansehung des Krieges, noch der Künste, noch der politischen Freiheit; aber stolz kann und darf es seyn auf seine Aufklärung und sein Einfluß auf das denkende Europa schreibt sich vom Protestantismus her. Dergleichen Revolutionen werden durch Raisonnements weder hervorgebracht noch aufgehoben; sie gehören dem historischen Gange des menschlichen Geistes an, und diejenigen, welche ihre Urheber zu seyn scheinen, sind immer nur ihre Werkzeuge …

Die deutschen Katholiken haben sich bis jetzt sehr gleichgültig bewiesen gegen alles, was in dieser Hinsicht im Norden vorging. Die literärischen Meinungen scheinen die Ursache der geringen Zahl von Religionsveränderungen zu seyn, welche Statt gefunden haben, und weder die alte noch die neue Kirche hat sich damit beschäftigt …

Man hat behauptet, es sey eine Art von Leichtsinn in den deutschen Schriftstellern, den günstigen Einfluß der christlichen Religion auf die Künste, die Einbildungskraft und die Poesie darzustellen; und derselbe Vorwurf ist dem schönen Werke des Herrn von Chateaubriant über den Genius des Christenthums gemacht worden.

Von der religiösen Anlage, die man Mysticismus nennt

Von allen Nationen ist die deutsche am meisten zum Mysticismus geneigt. Schon vor Luther hatten mehrere Autoren, unter welchen man Tauler anführen muß, in diesem Sinne über Religion geschrieben. Seit Luthers Zeiten haben die Mährischen Brüder diese Anlage, mehr, als irgend eine andere Secte, gezeigt. Gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts hat Lavater mit großer Kraft das vernunftmäßige Christenthum, welches berlinische Theologen vertheidigten, bekämpft, und seine Art, die Religion zu empfinden, hat sehr viel Aehnlichkeit mit der des Fenelon. Mehrere lyrische Dichter von Klopstock an bis auf unsere Zeiten, haben in ihren Schriften einen Anstrich von Mystizismus. Die protestantische Religion, welche im nördlichen Deutschland herrscht, reicht nicht aus für die Einbildungskraft der Deutschen; und da der Katholizismus ein Feind philosophischer Untersuchungen ist, so müssen sich die eben so religiösen als sinnigen Deutschen nach einer Manier, die Religion zu fühlen, hinneigen, welche auf alle Gottesverehrungen anwendbar ist. Dazu kommt, daß der Idealismus in der Philosophie sehr viel Aehnlichkeit hat mit dem Mystizismus in der Religion: jener setzt die Realität aller Dinge dieser Welt in den Gedanken, dieser die Realität aller Dinge des Himmels in das Gefühl …

Die dogmatische Religion ist ein Gebot; die mystische Religion stützt sich auf die innere Erfahrung unseres Herzens; das Predigen muß nothwendigen Aufschluß geben über die Richtung, welcher die Diener des Evangeliums in dieser Hinsicht folgen, und es wäre vielleicht zu wünschen, daß in ihren Kanzelvorträgen der Einfluß der Gefühle, welche alle Herzen zu durchdringen beginnen, deutlicher wahrgenommen würde. In Deutschland, wo jede Gattung zahlreich ist, haben sich Zollikofer, Jerusalem und mehrere Andere durch ihre Kanzelberedsamkeit wohlverdienten Ruf erworben, und man kann über alle Gegenstände eine Menge Predigten lesen, welche vortreffliche Sachen enthalten.

Von den religiösen Philosophen, die man Theosophen nennt

Als ich Rechenschaft abgelegt habe über die neuere Philosophie der Deutschen, habe ich den Versuch gemacht, eine Abmarkungslinie zu ziehen zwischen der, welche es darauf anlegt, die Geheimnisse des Universums zu durchdringen, und der, welche sich auf die Erforschung der Natur unserer Seele begränzt. Denselben Unterschied bemerkt man zwischen den religiösen Schriftstellern. Einige, von welchen ich in den vorhergehenden Capiteln geredet habe, sind bei dem Einfluß der Religion auf unser Herz stehen geblieben; andere, wie Jacob Böhme in Deutschland, Saint Martin in Frankreich, und noch viele Andere, haben in der Offenbarung des Christenthums geheimnißvolle Worte zu finden geglaubt, welche zur Enthüllung der Gesetze der Schöpfung dienen könnten …

Gleichwol kann es anziehend seyn, die Hauptrichtung der theosophischen Systeme anzugeben, d. h. der religiösen Philosophen, welche seit der Einführung des Christenthums, vorzüglich aber seit dem Wiederaufleben der Wissenschaften in Deutschland immer existirt haben.

Von dem Sectengeist in Deutschland

Die philosophischen und religiösen Secten, welche, unter verschiedenen Benennungen, in Deutschland existirt haben, hatten beinahe gar keine Beziehungen auf politische Angelegenheiten; und jene Art des Talents, welche erfordert wird, um die Menschen zu kraftvollen Entschließungen zu führen, hat sich in diesem Lande sehr selten gezeigt. Man kann über die Kantische Philosophie, über theologische Fragen, über Idealismus oder Empirismus streiten, ohne [daß] daraus noch etwas mehr hervorgeht, als Bücher.

Sectengeist und Partheigeist unterscheiden sich in mancher Hinsicht. Der Partheigeist stellt die Meinungen von der grellsten Seite dar, um sie dem großen Haufen faßlich zu machen; und der Sectengeist, vorzüglich in Deutschland, strebt immer nur nach dem Abstraktesten. In dem Partheigeist muß man den Augenpunkt der Menge auffassen, um sich in denselben zu stellen; die Deutschen aber denken nur auf Theorie, und sollte sie sich in die Wolken verlieren, so folgen sie ihr dahin. Der Partheigeist regt in den Menschen gewisse gemeine Leidenschaften an, die sie in Masse vereinigen; die Deutschen machen, wer weiß, wie viele Unterabtheilungen, um zu erklären, zu unterscheiden, zu commentiren. Sie besitzen eine philosophische Aufrichtigkeit, welche wunderbar zur Erforschung der Wahrheit paßt, keinesweges aber zu der Kunst, sie ins Werk zu richten. Der Sectengeist will nur überzeugen; der Partheigeist will Massen bilden, Der Sectengeist streitet über Ideen; der Partheigeist will Gewalt über Menschen. In dem Partheigeist ist Zucht, in dem Sectengeist Anarchie. Die Obrigkeit, von welcher Beschaffenheit sie auch seyn möge, hat von dem Sectengeiste nichts zu befürchten, und indem man dem Gedanken die höchste Freiheit gestattet, macht man ihn am unschädlichsten; aber der Partheigeist ist nicht so leicht zu befriedigen und beschränkt sich nicht auf jene intellectuelle Eroberungen, wo jedes Individuum sich ein Reich schaffen kann, ohne irgend einen Eigenthümer abzusetzen.

In Frankreich ist man weit empfänglicher für den Partheigeist, als für den Sectengeist; man versteht sich zu gut auf den reellen Lebensgenuß, um das, was man wünscht, nicht Handlung, das, was man denkt, nicht in That zu verwandeln. Aber vielleicht ist man in Frankreich dem Sectengeiste allzu fremd. Man hängt nicht genug an abstracten Ideen, um sie mit Wärme zu vertheidigen. Außerdem will man durch keine Art von Meinung gebunden seyn, um allen Umständen desto freier entgegen treten zu können. Es giebt mehr Ehrlichkeit in dem Sectengeiste, als in dem Partheigeiste; und deshalb müssen die Deutschen mehr für den ersteren, als für den letzteren passen.

Man muß in Deutschland drei Arten von religiösen und philosophischen Secten unterscheiden; erstlich die verschiedenen christlichen Gemeinden, welche besonders um die Zeit der Reformation, wo alle Geister sich um theologische Fragen dreheten, existirt haben; zweitens die Gesellschaften; und endlich die Adepten einiger besonderen Systeme, deren Vorsteher ein Mensch ist. In die erste Classe muß man die Wiedertäufer und mährischen Brüder setzen; in die zweite die Freimaurer, die älteste der geheimen Gesellschaften; und in die dritte die verschiedenen Gattungen von Illuminaten …

Die Freimaurerey ist in Schottland und Deutschland eine weit ernstere Institution, als in Frankreich. Sie hat in allen Ländern existirt; es scheint indeß, daß diese Gesellschaft ursprünglich aus Deutschland gekommen, dann von den Angelsachsen nach England verpflanzt und bei Carls des Ersten Tode von den Anhängern der Restauration erneuert worden ist, die sich bei der St. Paulskirche versammelten, um Carl den Zweiten auf den Thron zurückzurufen …

Eine solche Secte findet in allen Ländern Adepten, die sich ganz von selbst in alle Geheimnisse einweihen; in Deutschland ist diese Secte die einzige gewesen, die auf eine politische Combination gegründet worden ist; denn alle übrigen sind aus irgend einem Enthusiasmus hervorgegangen, und haben die Erforschung der Wahrheit zum einzigen Zwecke gehabt.

Von der Betrachtung der Natur

Als ich von dem Einfluß der neuen Philosophie auf die Wissenschaften sprach, habe ich bereits einige von den, für das Studium der Natur in Deutschland angenommenen, Principien erwähnt. Da aber Religion und Enthusiasmus einen so großen Antheil an der Betrachtung des Universums haben, so will ich im Allgemeinen die politischen und religiösen Ansichten anzeigen, die man in dieser Hinsicht in den Werken der Deutschen sammeln kann …

Unter den deutschen Schriftstellern, welche sich mit der Betrachtung der Natur beschäftigt haben in religiösen Beziehungen, verdienen zwei eine besondere Aufmerksamkeit; Novalis, als Dichter, und Schubert, als Physiker. Novalis, ein Mann von vornehmer Geburt, war von Jugend auf in alle die Studien eingeweiht, welche die neue Schule in Deutschland entwickelt hat; aber seine fromme Seele hat seinen Poesieen einen großen Charakter von Einfachheit gegeben.

Von dem Enthusiasmus

So viel fehlt daran, daß man das Uebermaaß des Enthusiasmus zu fürchten habe, daß er vielleicht im Allgemeinen zur Contemplation hinreicht, welche der Thatkraft schadet. Die Deutschen geben den Beweis davon. Keine Nation ist fähiger zu fühlen und zu denken; aber wenn der Augenblick eintritt, wo gehandelt werden muß, so schadet der Umfang der Begriffe der Entschiedenheit des Charakters. Enthusiasmus und Charakter unterscheiden sich sehr. Wählen muß man sein Ziel aus Enthusiasmus; darauf losgehen aber aus Charakter. Der Gedanke ist nichts ohne Enthusiasmus; nichts die Handlung ohne Charakter. Für die literärischen Nationen ist der Enthusiasmus alles; der Charakter aber für die handelnden. Freie Nationen bedürfen des einen und des anderen.

Von dem Einfluß des Enthusiasmus auf die Aufklärung

Dies Capitel ist in einiger Hinsicht das Hauptcapitel meines ganzen Werks; denn da der Enthusiamus die unterscheidende Eigenschaft der deutschen Nation ist, so kann man aus dem Einfluß, welchen er auf die Aufklärung ausübt, über die Fortschritte des menschlichen Geistes in Deutschland urtheilen. Der Enthusiasmus leiht dem Unsichtbaren Leben, und dem, was nicht unmittelbar auf unser Wohlseyn in dieser Welt abzweckt, Interesse. Es giebt also kein Gefühl, welches zur Auffindung abstracter Wahrheiten mehr geeignet wäre. Auch werden diese in Deutschland mit bemerkenswerther Liebe und Rechtlichkeit angebaut …

Bei sich selbst haben die Deutschen nicht zu ringen mit den Feinden des Enthusiasmus; und dies ist ein Hinderniß weniger für ausgezeichnete Männer. Der Geist wird schärfer im Kampfe; aber das Talent bedarf des Vertrauens.

 

 

Dada

 

von Rupert Regenwurm

 

Der Wetter

 

Kräht der Mistkäfer auf dem Mist

Dann ist er ein Dadaist

Dem Wetter ist das grad egal

Weil er wieder mal verloren hat

Und deshalb traurig ist.

 

 

 

 

An einigen rumänisch-orthodoxen Kirchen sind die Strafen der Hölle bildlich aufgeführt – ein Fest für Dadaisten, die ihren dadaistischen Vorstellungen freien Lauf lassen konnten. Auch völlig unorthodoxen Strafen. Mit der hier abgebildeten Strafe hatte wurm nun wirklich nicht gerechnet – da wäre wurm gerne Teufel!

Wer das Bild im Original sehen möchte: Es ist im Eingangsbereich der Klosterkirche von Horezu in der Walachei angebracht.

Siehe Reisebericht „Teuflisches Rumänien“: http://www.edwin-grub-media.de/reiseberichte/europa/rumaenien/teuflisches-rumaenien.html