Wir sind Kinderschänder

Gisa Bodenstein: „Mit Spannung war die Vorstellung eines weiteren Missbrauchsgutachtens erwartet worden, diesmal für das Erzbistum München und Freising. Die "Bilanz des Schreckens": 497 Opfer, 65 tatsächliche oder mutmaßliche Täter; in 42 Fällen wird gegen amtierende Würdenträger ermittelt. Bei der gestrigen Vorstellung fanden die Vertreter der beauftragten Kanzlei deutliche Worte.“

https://hpd.de/artikel/muenchner-missbrauchsgutachten-stellt-fehlverhalten-ratzinger-und-marx-fest-20051

 

Hamed Abdel-Samad: „Wann steht der Ex-Papst eigentlich vor Gericht?

Als Kardinal Joseph Ratzinger im Jahr 2005 zum Papst gewählt wurde, titelte die Bild-Zeitung "Wir sind Papst". Viele in Deutschland identifizierten sich mit Benedikt XVI. und fühlten sich stolz, als er zum Papst ernannt wurde. Wo sind all diese Menschen heute und wo ist ihr Stolz? Warum titelt Bild heute nicht "Wir sind Kinderschänder"?

Der höchste Würdenträger der Kirche wusste jahrelang von Vergewaltigungen und Missbrauchsfällen in seinem Bistum. Er schwieg nicht nur über Fälle vor und während seiner Amtszeit in München, sondern vertuschte das Geschehen und verhinderte eine Aufklärung. Wie nennt man das? Komplizenschaft? Mittäterschaft?“

https://hpd.de/artikel/wann-steht-ex-papst-eigentlich-gericht-20053

 

Das Gutachten ist für Außenstehende relativ uninteressant – aber die Tatsache, dass es veröffentlicht wurde, bedeutet einen Wendepunkt der Geschichte.

 

Das Gutachten

 

Gisa Bodenstein: „Über 1.600 Seiten umfasst das Gutachten "Sexueller Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker sowie hauptamtliche Bedienstete im Bereich der Erzdiözese München und Freising von 1945 bis 2019" der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, das gestern in München der Öffentlichkeit vorgestellt wurde und das online eingesehen werden kann. Dieselbe Rechtsanwaltskanzlei hatte bereits für das Erzbistum Köln ein Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen erstellt, das aber nicht veröffentlicht wurde.

Die Bilanz des "Hellfeldes" (neben dem noch die weit größere Dunkelziffer nicht feststellbarer Fälle existiert) umfasst mindestens 497 Opfer, überwiegend männlich, fast 60 Prozent von ihnen waren zum Tatzeitpunkt zwischen acht und 14 Jahre alt. Bei 211 von 363 Verdachtsfällen gilt der Tatvorwurf des sexuellen Missbrauchs als plausibel beziehungsweise erwiesen. Bei 235 von 261 Personen ergaben sich Hinweise auf "untersuchungsgegenständliche Verhaltensweisen", darunter 173 Priester, neun Diakone sowie fünf Pastoral- und Gemeindereferenten.

Die Untersuchung, die neben der Auswertung von Aktenbeständen auch Zeitzeugenbefragungen umfasste, konnte 65 tatsächliche oder mutmaßliche Missbrauchstäter ausmachen. Nur in gravierenden Einzelfällen war Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet worden, die den Strafverfolgungsbehörden dann oft schon bekannt waren. Teilweise wurden Kleriker sogar nach einschlägiger staatlicher Verurteilung wieder eingesetzt. Aktuell wird gegen 42 mutmaßliche Täter ermittelt, gegen die das Gutachten Vorwürfe erhebt. Strafrechtlich kämen hier die Tatbestände der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch, Beteiligung an Körperverletzungsdelikten und Strafvereitelung in Betracht.

Dazu merkte Martin Pusch von der beauftragten Kanzlei an, dass "sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche kein Phänomen der Vergangenheit" sei. In der Vorstellungswelt der kirchlichen Verantwortlichen seien die Geschädigten zumindest bis ins Jahr 2002 so gut wie überhaupt nicht wahrgenommen worden. "Wenn dies aber der Fall war, dann in der Regel nicht aufgrund des ihnen zugefügten Leids, sondern weil man sie als eine Bedrohung für die Erzdiözese und die Institution Kirche ansah."

Die Gutachter gehen davon aus, dass die früheren Erzbischöfe Kardinal Faulhaber von vier, Kardinal Wendel von acht Fällen und Kardinal Döpfner von 14 Fällen wussten. Auch die Generalvikare Buchwieser (8), Fuchs (13), Neuhäusler (1) und Defregger (7) waren über Missbrauchsfälle im Bilde. Vor allem in den 1960er und 70er Jahren wurden wiederholt einschlägig verurteilte Priester aus anderen Diözesen und benachbarten Ländern ohne geeignete Vorkehrungen in Dienst genommen. Dem früheren Erzbischof Kardinal Wetter ist in 21 Fällen Fehlverhalten vorzuwerfen, den Generalvikaren Gruber in 22 und Beer in vier. Der Offizial Wolf fiel zwölf Mal durch kritikwürdiges Handeln auf, für ihn standen nach Eindruck der Gutachter die Interessen der Beschuldigten über denen der Opfer. Er gab keine Stellungnahme für das Gutachten ab und stellte stattdessen die Rechtmäßigkeit der Untersuchung in Frage.

Kardinal Joseph Ratzinger, der emeritierte Papst Benedikt XVI., der sich in einer 82 Seiten umfassenden Stellungnahme, die dem Gutachten beigefügt ist, geäußert hat, sind in vier Fällen Vorwürfe des Fehlverhaltens zu machen. Zwei der Taten wurden während seiner Amtszeit begangen und staatlich sanktioniert. Die Täter blieben in der Seelsorge, kirchenrechtliche Maßnahmen gab es nicht. "Ein Interesse an den Geschädigten und ein insoweit möglicherweise bestehender Fürsorgebedarf war für uns nicht erkennbar", so Pusch. Ein von einem ausländischen Gericht wegen sexuellen Missbrauchs verurteilter Kleriker wurde nach München übernommen – wohl mit Wissen des früheren Papstes.

Ratzinger weist ein Fehlverhalten in allen Fällen mit Verweis auf fehlende Sachverhaltskenntnis und mangelnde kirchenstrafrechtliche Relevanz strikt zurück. "Dabei wird von ihm Unkenntnis selbst dann noch behauptet, wenn diese mit der Aktenlage nach unserem Dafürhalten nur schwer in Einklang zu bringen ist." Besonders skurril: Die Einschätzung seitens Ratzingers, Exhibitionismus und Masturbation sowie das Zeigen von Pornographie vor Kindern sei noch kein Missbrauch im eigentlichen Sinn, da es hierbei zu keinen sexuellen Handlungen an den Kindern gekommen sei. Zudem habe der betreffende Geistliche als "anonymer Privatmann" agiert und sei nicht als Priester erkennbar gewesen. Der frühere Papst habe mit seiner Stellungnahme "einen authentischen Einblick gegeben, wie die weltkirchlich prägende Haltung des vormals höchsten kirchlichen Verantwortungsträgers gegenüber Fällen sexuellen Missbrauchs und seiner persönlichen Verantwortlichkeit im Umgang mit diesen war und auch heute noch ist", bilanzierte der Jurist.

Dem amtierenden Erzbischof Kardinal Marx ist in zwei Missbrauchsverdachtsfällen fehlerhaftes Verhalten zur Last zu legen. Er habe sich nur in einem geringen Teil der Fälle unmittelbar mit ihnen befasst und nur vorgeschlagene Maßnahmen umgesetzt, die ausschließlich in seinem Zuständigkeitsbereich lagen. Die Verantwortung einer regelkonformen Behandlung von Missbrauchsfällen sehe Marx in erster Linie beim Generalvikar und dem Ordinariat.

Exemplarisch hat die Kanzlei den Fall des Priesters X herausgegriffen und akribisch in Form eines Ermittlungsberichts aufgearbeitet. Dieser ist als etwa 370-seitiger Sonderband dem eigentlichen Gutachten angehängt. Daraufhin habe Generalvikar Gruber seine Aussagen von 2010 relativiert, wonach er alleinverantwortlich für die Übernahme des besagten pädophilen Priesters gewesen sei. In einer Stellungnahme vom vergangenen Oktober habe Gruber mitgeteilt, er zweifle nicht daran, dass Kardinal Ratzinger die Umstände gekannt habe. Der Generalvikar sei zur Übernahme der alleinigen Verantwortung gedrängt worden. Die Gutachter konnten dem früheren Papst auch nachweisen, dass er in der Sitzung, welche die Übernahme des fraglichen Klerikers beschloss, anwesend gewesen sein muss, obwohl er in seiner ausführlichen Stellungnahme anderes behauptet hatte.

Dieser Fall sei einer der "klassischen Versetzungsfälle", die es auch in anderen Bistümern gebe. Dabei entstehe eine täterpsychologische Situation, wonach falsche Entscheidungen den Verantwortungsträger ungewollt zum Komplizen machten. "Denn jedes spätere Einschreiten führt dazu, dass sein Fehlverhalten öffentlich wird", führte Rechtsanwalt Ulrich Wastl aus.

Er schloss mit einem Appell: Mit jedem Jahr werde die Zahl derer, die noch zur Aufklärung beitragen könnten, weniger. Verantwortungsträger der Kirche sollten sich daher zwei Fragen stellen: "War ich nicht Bestandteil eines Systems, dessen Totalversagen zu dieser Entwicklung bis 2010 geführt hat? Und war es mir nicht möglich, zu opponieren?" Und: "Wäre es mir wirklich nicht möglich gewesen einzusehen, dass sexueller Missbrauch an Kindern zu derartig fatalen Folgen führt, dass wir die offensichtlich einheitlich festgelegte Linie so nicht weiterführen können?" Gutachterliche Betrachtungen würden in den Kernaussagen immer wieder zu den gleichen Ergebnissen führen, hatte zu Beginn bereits seine Kollegin Marion Westpfahl resümiert, "egal, wie viele Gutachten noch eingeholt werden". Es gehe nicht mehr darum, Grunderkenntnisse zu gewinnen, sondern darum, unerlässliche Konsequenzen zu ziehen.““

https://hpd.de/artikel/muenchner-missbrauchsgutachten-stellt-fehlverhalten-ratzinger-und-marx-fest-20051

 

Das Gutachten ist als pdf abrufbar:

Sexueller Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker sowie hauptamtliche Bedienstete im Bereich der Erzdiözese München und Freising von 1945 bis 2019

– Verantwortlichkeiten, systemische Ursachen, Konsequenzen und Empfehlungen –

https://westpfahl-spilker.de/wp-content/uploads/2022/01/WSW-Gutachten-Erzdioezese-Muenchen-und-Freising-vom-20.-Januar-2022.pdf

 

Seine Heiligkeit

 

Florian Pütz: „Der emeritierte Papst Benedikt XVI. steht nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens im Zentrum der öffentlichen Kritik. Joseph Ratzinger, wie Benedikt mit bürgerlichem Namen heißt, wird Fehlverhalten im Umgang mit sexuellem Missbrauch während seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising vorgeworfen. Zwischen 1977 und 1982 soll er auf vier Fälle nicht adäquat reagiert haben.

Nicht nur die Vorwürfe lösten scharfe Kritik am ehemaligen Oberhaupt der katholischen Kirche aus, sondern auch die Art und Weise, wie Benedikt XVI. damit umgeht. Zwar antwortete er auf 82 Seiten ausführlich auf die Fragen der Gutachter, was grundsätzlich zunächst positiv zu bewerten ist. Der Inhalt enttäuscht jedoch viele Betroffene. So argumentierte er zum Beispiel in einer Stellungnahme an die Gutachter, ein verurteilter Priester habe seine Straftaten als »Privatmann« begangen (Fall 37). In einem anderen, zentralen Fall räumte er nach der Veröffentlichung ein, zunächst falsche Angaben gemacht zu haben und berief sich auf ein Versehen »bei der redaktionellen Bearbeitung« seiner Stellungnahme.

Im Zeitraum von Benedikts Amtszeit gab es laut Missbrauchsgutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) Fälle von elf Klerikern, die für ihn relevant waren. Mit fünf Fällen steht Ratzinger demnach in Verbindung. »Davon betreffen zwei Fälle während der Amtszeit des Erzbischofs Kardinal Ratzinger verübte Taten und drei Fälle solche, die vor dessen Amtszeit und teilweise außerhalb des Gebiets der Erzdiözese verübt wurden«, heißt es in dem Bericht. In einem Fall sehen die Gutachter die Vorwürfe gegen den damaligen Erzbischof als nicht bestätigt an (Fall 22).

Die Vorwürfe und Reaktionen im Überblick:

 

Fall X – die Falschaussage

Der Vorwurf: Peter H., ein Geistlicher aus Nordrhein-Westfalen, soll vielfach Jungen missbraucht haben. Zur Amtszeit Ratzingers wurde H. in dessen Erzbistum versetzt, wo er wieder als Seelsorger arbeitete. Jahre später wurde H. rechtskräftig wegen Kindesmissbrauchs verurteilt. Er soll immer wieder Taten begangen haben. Über die Aufnahme des Priesters in München war in einer Sitzung im Januar 1980 entschieden worden, an der auch Ratzinger teilnahm.

Benedikts Reaktion: In einer Stellungnahme an die Gutachter hatte Benedikt XVI. zunächst bestritten, bei dieser Sitzung anwesend gewesen zu sein. Tatsächlich berichtete der SPIEGEL schon 2010, als der Fall des Priesters H. erstmals großes Aufsehen erregte, unter Berufung auf ein Sitzungsprotokoll von Benedikts Anwesenheit. Aufgrund des Protokolls zweifelten auch die Gutachter die Angaben Ratzingers an. Mittlerweile hat er eine Falschaussage eingestanden. Er habe doch an der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 teilgenommen. Der Fehler sei aber »nicht aus böser Absicht heraus geschehen«, sondern »Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme«. Dies tue ihm »sehr leid«, und er bitte, dies zu entschuldigen.

In der damaligen Sitzung sei jedoch nicht über einen »seelsorgerlichen Einsatz« des Priesters entschieden worden. Man habe aber der Bitte entsprochen, dem Mann »während seiner therapeutischen Behandlung in München Unterkunft zu ermöglichen«.

Das sagen die Kritiker: Der Sprecher der Opferinitiative »Eckiger Tisch«, Matthias Katsch, äußerte sich enttäuscht. »Entschuldigen müsste er sich eigentlich für den ganzen Vorgang, denn er ist mit dafür verantwortlich, dass dieser Priestertäter anschließend jahrzehntelang Kinder im Bistum gefährden konnte«, sagte Katsch der Nachrichtenagentur dpa. »Das ist ja der eigentliche Skandal.« Die katholische Reformbewegung »Wir sind Kirche« bezeichnete die Stellungnahme als »peinlich«. »Was immer noch fehlt, ist sein persönliches Schuldeingeständnis«, sagte Sprecher Christian Weisner.

 

Fall 37 – Verurteilter Priester arbeitete weiter im Schuldienst

Der Vorwurf: Ein Priester, der in der Erzdiözese München und Freising Religionslehrer war, wurde Anfang der 1970er-Jahre wegen »zweifacher versuchter Unzucht mit Kindern und (sexueller) Beleidigung« vom Landgericht verurteilt. Fünf Jahre später wurde gegen ihn wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und exhibitionistischer Handlungen eine Geldstrafe verhängt. Im folgenden Jahr wurde der Priester zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, in diesem Fall wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern und Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Ratzinger soll vom damaligen Generalvikar über die Geldstrafe gegen den Mann informiert worden sein. Der Kardinal soll einverstanden gewesen sein, dass der Priester auf seiner Stelle bleiben könne, weil kein Skandal zu befürchten sei. Die Gutachter schreiben, Ratzinger habe möglicherweise auch von der ersten und einer späteren Verurteilung gewusst. Dennoch sei der Mann weiter in der Seelsorge und im Schuldienst eingesetzt worden. Es seien keine adäquaten Maßnahmen ergriffen worden, um weitere Sexualdelikte zu verhindern. Ratzinger trage deswegen eine Mitverantwortung dafür, dass weitere Personen sexuellen Übergriffen ausgesetzt worden seien.

Benedikts Reaktion: In seiner Stellungnahme an die Gutachter schreibt Benedikt, er könne sich an den Priester erinnern, an das Gespräch mit dem Generalvikar aber nicht. Er gehe davon aus, dass ihm die Gründe für den Strafbefehl nicht mitgeteilt worden seien. Von der ersten Verurteilung des Priesters habe er nicht gewusst. Der Ende der 1970er-Jahre ergangene Strafbefehl, sei erst nach Ratzingers Amtszeit an das Erzbischöfliche Ordinariat übermittelt worden. Darüber sei er auch nicht mehr informiert worden. Da er also keine Kenntnis über die Vergehen des Priesters gehabt habe, habe er auch keine Veranlassung gesehen, Maßnahmen gegen ihn zu verhängen.

Benedikt argumentiert zudem, dass der Priester bei den Taten, die zu seiner ersten Verurteilung und zum Strafbefehl geführt hatten als »anonymer Privatmann« gehandelt habe, er sei nicht als Priester zu erkennen gewesen. Zudem sei er als Exhibitionist und nicht als Missbrauchstäter im eigentlichen Sinn aufgefallen, er habe seine Opfer nicht angefasst. In der Seelsorge und im Religionsunterricht habe der Mann sich nichts zuschulden kommen lassen. Er sei im Gegenteil sehr beliebt gewesen.

Das sagen die Kritiker: Die Gutachter sehen ihre Vorwürfe durch die Stellungnahme Benedikts XVI. nicht entkräftet, sie gehen weiter davon aus, dass der damalige Erzbischof von den Vergehen des Priesters wusste. Es sei nahezu ausgeschlossen, dass Ratzinger Informationen über derartige Straftaten vorenthalten worden sein sollen. Benedikts Argumentation vom »Privatmann« steht derweil in der öffentlichen Kritik. »Mich hat das erschüttert«, sagte der Theologe und langjährige Weggefährte Benedikts, Wolfgang Beinert, der »Augsburger Allgemeinen«: »Ich glaube, Ratzinger hat die Dimension dessen, was da geschehen ist, überhaupt noch nicht begriffen.«

 

Fall 40 – Verurteilung eines Priesters ignoriert

Der Vorwurf: Ein Priester einer Diözese im Ausland wurde Mitte der 1970er-Jahre wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, die Strafe wurde auf Bewährung ausgesetzt. Der Priester wurde zum Studium in die Erzdiözese München und Freising versetzt. Dafür sei auch mit Ratzinger gesprochen worden, der zudem ein Schreiben mit der Information über die Verurteilung erhalten habe. An verschiedenen Orten Bayerns wurde der Mann als Kaplan in der Seelsorge eingesetzt. Schulunterricht sollte er nicht geben. Anfang der 1980er-Jahre kam heraus, dass der Mann beim Nacktbaden erwischt wurde und er sich intensiv um private Kontakte zu Ministranten bemühte. Die Ordinariatssitzung beschloss daraufhin, dem Mann zu kündigen.

Die Gutachter argumentieren, Ratzinger habe den Priester ohne Berücksichtigung der Verurteilung übernommen, obwohl ihm die Hintergründe bewusst gewesen seien. Es seien keine Maßnahmen bekannt, die weitere Übergriffe verhindern hätten sollten. Der Priester habe im Gegenteil weiter Kontakt mit Kindern und Jugendlichen gehabt. Bei Beschwerden sei der Priester innerhalb der Münchner Diözese öfter versetzt worden.

Benedikts Reaktion: Der emeritierte Papst kann sich angeblich weder an den Priester noch an Gespräche über dessen Übernahme erinnern. Er habe auch nicht von den Missbrauchsvorwürfen und der Verurteilung gewusst. Es habe zwar Konflikte zwischen dem Priester und Pfarrern gegeben, es seien aber keine Fälle bekannt geworden, die auf sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen hingedeutet hätten. Vom Nacktbade-Vorfall und dem Kontakt zu den Ministranten habe er erst erfahren, als der Abschied des Priesters bereits festgestanden habe. Außerdem schrieb Benedikt, dass »nach damals herrschender Meinung in der Psychiatrie, die Pädophilie als therapier- und heilbar galt.«

Das sagen die Kritiker: Die Gutachter des Missbrauchsberichts halten an ihren Vorwürfen fest. Die Aktenlage zeige, dass Ratzinger selbst mit dem verurteilten Priester sprach. Zudem halten sie es nicht für glaubhaft, dass Ratzinger das Schreiben mit der Information über die Verurteilung des Priesters vorenthalten worden sein könnte. Weiter heißt es: »Dass Unkenntnis selbst dann noch behauptet wird, wenn dies, wie insbesondere im Fall 40, mit den im Rahmen der Akteneinsicht zur Verfügung gestellten Unterlagen aus Sicht der Gutachter nur schwerlich in Einklang zu bringen ist, ist für die Gutachter gleichermaßen erstaunlich und aufschlussreich.«

Die Aktivistinnen der katholischen Reformbewegung Maria 2.0 forderten Benedikt XVI. wegen seines Umgangs mit Missbrauchsfällen auf, seinen päpstlichen Namen abzulegen. In einem Statement der Bewegung heißt es, er habe den sexuellen Missbrauch Minderjähriger »auf geradezu dreiste Weise verharmlost«.

 

Fall 42 – Priester machte anzügliche Fotos von Kindern

Der Vorwurf: Ein Priester machte Anfang der 1980er-Jahre anzügliche Fotos von Kindern. Das Erzbischöfliche Ordinariat entschied daraufhin, Ratzinger zu empfehlen, den Amtsverzicht des Priesters anzunehmen. Außerdem sollen Ratzinger die Presseberichte zum Fall weitergeleitet worden sein. Dem Beschuldigten wurde später die seelsorgerische Betreuung eines Altenheims und eines Krankenhauses übertragen. Ein halbes Jahr nach Bekanntwerden des Vorfalls wurde gegen den Priester eine Geldstrafe verhängt »wegen dreier Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Kindern«, darunter auch ein »Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen«. Gegen den Priester konnten keine disziplinarischen Maßnahmen seitens der Kirche festgestellt werden.

Laut den Gutachtern legt ein zeitlich nicht näher bestimmter Aktenvermerk nahe, dass Ratzinger erst nach der Versetzung des Priesters von Vorfällen erfahren haben soll. Das halten die Gutachter jedoch für unrealistisch. Sie werfen Ratzinger vor, keine Maßnahmen ergriffen zu haben, um weitere Übergriffe zu verhindern. Den Opfern sei mit Gleichgültigkeit begegnet worden.

Benedikts Reaktion: Der emeritierte Papst schreibt, er habe den Priester aus dem Studium gekannt. An den Sitzungen, in denen über den Priester gesprochen worden sei, habe er nicht teilgenommen. Und er habe nicht gewusst, warum der Priester seinen Amtsverzicht beantragt habe. Darum hätten sich der Generalvikar und der Personalreferent gekümmert. Er könne sich nicht daran erinnern, dass ihm der Pressebericht zum Fall weitergeleitet worden sei.

Benedikt argumentiert, dass selbst bei Kenntnis des Presseberichts keine kirchenstrafrechtliche Relevanz erkennbar gewesen wäre – weil nicht von Handlungen berichtet worden sei, die auf »Erregung der Geschlechtslust schließen ließen, insbesondere keine Berührungen von Geschlechtsorganen«.

Fazit der Gutachter: Die Stellungnahme Benedikts überzeugt sie nicht. So sei eine Kopie eines Zeitungsartikels, in dem berichtet wird, dass der Priester ein zwölf Jahre altes Mädchen im Intimbereich berührt habe, in den Amtsakten des ehemaligen Erzbischofs Kardinal Ratzinger gefunden worden. Dass Ratzinger nicht von dem Strafbefehl gegen den Priester gewusst haben will, sei lebensfremd.

 

Fall 22 – Verurteilter Priester zum Pfarrer ernannt (entkräftet)

Der Vorwurf: Ein Priester war in den 1960er-Jahren wegen »schwerer Unzucht zwischen Männern« zu einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Opfer waren zwischen 15 und 16 Jahren alt. Nach seiner verkürzten Haftzeit wurde der Mann im Ausland mit seelsorgerischen Aufgaben betraut, drängte aber wieder in die Erzdiözese München und Freising, Anfang der 1970er-Jahre gelang ihm die Rückkehr. Hier wurde ihm durch Ratzinger Mitte oder Ende der 1970er-Jahre der Titel »Pfarrer« verliehen. Einige Zeit später wurde der Mann in den Ruhestand versetzt, im Namen des Erzbischofs wurde ihm ein aufrichtiger Dank für seine Arbeit als Priester und Seelsorger ausgesprochen. Später war der Mann selten noch als Priester tätig.

Die Gutachter sahen Hinweise darauf, dass Ratzinger von der Verurteilung des Priesters gewusst hatte. Dennoch habe er ihm mit der Verleihung des Titels »Pfarrer« Wertschätzung entgegengebracht. Außerdem seien erneute Kontakte mit Kindern und Jugendlichen nicht angemessen verhindert worden.

Benedikts Reaktion: Der emeritierte Papst weist die Vorwürfe in seiner Stellungnahme an die Gutachter vehement zurück. Er könne sich nicht an den Priester erinnern. Er sei sich sicher, ihm nie begegnet zu sein. Entsprechend habe er auch nicht von der Verurteilung des Mannes gewusst. Für die Diözesanleitung sei keine von dem Priester ausgehende Gefahr für Kinder und Jugendliche erkennbar gewesen, deswegen habe es auch keine Tätigkeitsbeschränkungen gegeben. Die Verleihung des Titels »Pfarrer« sei ein Routinevorgang in Unkenntnis der Verurteilung gewesen. Den Dank habe er nicht ausrichten lassen.

Fazit der Gutachter: Aufgrund von Indizien waren die Gutachter davon ausgegangen, dass Ratzinger von der Verurteilung des Priesters gewusst hatte. Der emeritierte Papst sei den Vorwürfen aber so dezidiert begegnet, dass es keine Grundlage gebe, an den Vorwürfen festzuhalten. In dem Fall sehen die Gutachter Benedikt XVI. als entlastet an.“

https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/benedikt-xvi-was-dem-emeritierten-papst-im-muenchner-missbrauchsgutachten-vorgeworfen-wird-a-c5daa5a2-de70-4f30-ad7e-3fbced2feeab

 

Helmut Ortner: „Über ein Vierteljahrhundert hat er die katholische Kirche entscheidend geprägt: Joseph Ratzinger, alias Papst Benedikt XVI. Doch welche Rolle spielte er bei ihrem Versagen in der Missbrauchskrise? Was wusste er? Was hätte er tun können? Was tat er? Was tat er nicht, und vor allem, warum?

Doris Reisinger und Christoph Röhl suchen nach Antworten. In ihrem Buch "Nur die Wahrheit rettet. Der Missbrauch in der katholischen Kirche und das System Ratzinger", ziehen die Autoren eine vernichtende Bilanz. Sie zeichnen ein Bild dieses Mannes, das ganz anders ausfällt als die Klischees vom schüchternen Gelehrten, vom stillen Helden, vom "Panzerkardinal" oder vom "Mozart der Theologie". Vor diesem Hintergrund wirkt nicht nur das Scheitern seines Pontifikats unvermeidlich, sondern womöglich sogar das Scheitern seiner Kirche.

Nicht um die Opfer sei es ihm gegangen, sondern vor allem um den Schutz der Kirche, so die Autoren. Reisinger, eine frühere Ordensfrau, die heute als Theologin arbeitet und einem ehemaligen Mitbruder vorwirft, sie in ihrer Zeit als Nonne vergewaltigt zu haben und ihr Co-Autor Christoph Röhl, ein preisgekrönter deutsch-britischer Filmregisseur, werfen Benedikt zudem vor, neue geistliche Bewegungen, in denen es zahlreiche Fälle von sexuellem oder geistlichem Missbrauch gab, lange unkritisch gefördert zu haben.

Das Buch ist gewissermaßen die Fortsetzung ihrer Zusammenarbeit zu Röhls viel beachtetem Dokumentar-Film über Ratzinger mit dem Titel "Verteidiger des Glaubens", der 2019 für Diskussionen sorgte. Die zentrale These des Films: Ratzinger war maßgeblich verantwortlich für ein System, das Opfern kein Gehör schenkte und den Ruf der heiligen Kirche über alles stellte. Reisinger und Röhl stellen ein Kapitel an den Anfang ihres Buches, das überschrieben ist mit "Ratzingers Geschichte als die eines Helden". Darin nehmen sie die Perspektive seiner Anhänger ein und schreiben beispielsweise: "Selbst Gegner bescheinigen dem Kardinal und späteren Papst, dass er den Ernst der Lage und das Leid der Opfer früher als andere gesehen und verstanden hätte. Sie rechnen ihm hoch an, dass er als erster Papst Missbrauchsopfer getroffen hat."

Das beurteilen die beiden Autoren gänzlich anders. Sie kritisieren beispielsweise, dass Papst Benedikt sich nicht zu Wort meldete, als Missbrauch und Gewalt bei den Regensburger Domspatzen bekannt wurden, dem Chor, den Papstbruder Georg Ratzinger jahrzehntelang geleitet hatte. Und sie zitieren auch aus einem Brief Ratzingers, den dieser an eine Kirchengemeinde in den USA geschickt hat – als Antwort auf die Bitte, einen Priester, der Kinder missbraucht hatte, aus dem Kirchendienst zu entlassen: Die angeführten Gründe für die Dispens seien zwar schwerwiegend – "doch, zugleich mit dem Wohl des Bittstellers" müsse "auch das Wohl der Gesamtkirche in Betracht" gezogen werden. Eine Dispens würde Schaden unter den Gläubigen anrichten - "vor allem angesichts des jungen Alters des Bittstellers". Ratzinger trage zwar allein nicht die Schuld an einem Kirchensystem, in dem Missbrauch über Jahrzehnte weitgehend unbehelligt möglich war, aber er ist als oberster Repräsentant verantwortlich für ein kriminelles Klerus-System, so die Autoren. Ihr Buch, ein Plädoyer gegen die Mär vom frühzeitigen Einsatz, gegen die Mär vom Mutigen Handeln, gegen die Mär vom Einsatz für Missbrauchsopfer.

Das wollten und konnten Ratzingers Verteidiger nicht akzeptieren. Der Kirchenrechtler Markus Graulich etwa wies zentrale Aussagen des Buches als fehlerhaft zurück. Da die Autoren Doris Reisinger und Christoph Röhl keinen Zugang zu den vatikanischen Archiven gehabt hätten und die ihnen bekannten Dokumente in einer Art und Weise auslegten, die ihre Grundthese belegen solle, gelinge es ihnen nicht, die Zusammenhänge korrekt herzustellen, so Kirchenmann Graulich, der als Untersekretär im Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte tätig ist, in der katholischen Wochenpost. Zugleich räumte er ein, dass das kirchliche Strafrecht in der Vergangenheit eigentlich darauf ausgelegt gewesen sei, nicht angewendet zu werden: "In der 'Liebeskirche', wie sie nach dem 2. Vatikanischen Konzil verstanden wurde – eine Kirche, die nicht mehr straft, dagegen fast ausschließlich von Barmherzigkeit spricht – hatte man für das Recht allgemein wenig Verständnis und schon gar nicht für das Strafrecht." Entsprechend dieser Logik sei der Strafprozess sehr stark auf den Schutz des Beschuldigten ausgerichtet gewesen.

Es graust einen, angesichts der Rhetorik, in der von "Liebeskirche und Barmherzigkeit" schwadroniert wird. Nennen wir es beim Namen: Tolerierte Sexualverbrechen und Rechtsstaats-Verweigerung. Tatsache ist: die Fürsorge der Kirchenführer galt und gilt allein den Tätern, nicht den Opfern. In der außer-kirchlichen, der realen Welt gilt das als Behinderung der Strafverfolgung.

Gibt es hierzulande zwei parallele Rechtssysteme? Können sich Geistliche mithilfe des Kirchenrechts dem Staatsrecht entziehen? Genießt die Kirche eine stillschweigende Unantastbarkeit? Der Kieler Rechtsphilosoph Ino Augsberg weißt darauf hin, dass das deutsche Religionsverfassungsrecht zwar grundsätzlich ein Nebeneinander beider Rechtsordnungen vorsieht. Es gesteht Religionsgemeinschaften zu, ihre Angelegenheiten in einer internen Rechtsordnung zu regeln – bis hin zu eigenen strafrechtlichen Bestimmungen. Das geschieht aber nur, soweit Grundprinzipien der staatlichen Rechtsordnung wie die Grund- und Menschenrechte gewahrt bleiben. Es gibt also keine Ausnahmen von der Strafverfolgung für die Kirche, wenn es um Missbrauch und sexuelle Gewalt geht. Warum dann die Zurückhaltung der Strafverfolgungsbehörden? Warum ordnen sie nicht an, dass die Kardinäle, Bischöfe und Kirchen-Verwalter die Namen der Sexual-Täter nennen müssen? Auch wenn die Kirchenjuristen gerne darauf verweisen, dass staatsanwaltschaftliche Ermittlungsbefugnisse nur bedingt in den Binnenbereich der Kirche hineinwirken dürfen, muss klar sein: der Staat hat einen Strafverfolgungsanspruch. Man nennt das Rechtsstaat.

Tatsache ist: überall haben Kardinäle, Bischöfe und Pfarrer Minderjährigen sexuelle Gewalt angetan oder vieles getan, um dies zu vertuschen. Der Missbrauch hat systemische Ursachen und Folgen. Überall auf der Welt wurden (und werden) Personalakten manipuliert und vernichtet, Verdachtsfälle nicht an Polizei und Staatsanwaltschaften gegeben, wie es in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte. Im Gegenteil: Die Kirche hat ihre Täter so lange vor dem Rechtsstaat geschützt, bis man sie nicht mehr belangen konnte. Im Mittelpunkt steht der Schutz der Kirche, nicht das Leid der Opfer. Darin hat sich bis heute wenig geändert.

Von "Stürmen und Hurrikanen", die 2018 die Weltkirche getroffen hätten, hatte Ratzingers Nachfolger Papst Franziskus in seiner Rede vor der römischen Kurie gesprochen, ganz so, als wäre der weltweite Missbrauch bereits eine Sache von Gestern. "Nie wieder" dürfe Missbrauch vertuscht werden, die Täter müssten konsequent vor Gericht gebracht werden, forderte er – und relativierte doch gleich wieder. Man müsse "berechtigte Anschuldigungen" von Verleumdungen unterscheiden, zudem sei ja nicht nur die Kirche von den "erschütterten Vorfällen", betroffen. Nennen wir die "Vorfälle" das, was sie sind: Verbrechen. Tausende Täter. Tausende Opfer. Tausende Namen – Tausende Male anonymes Leid. Noch am Tag vor Beginn einer "Missbrauchskonferenz", zu der Papst Franziskus Bischöfe im Februar 2019 nach Rom beordert hatte, bezeichnete er allzu scharfe Kritiker der Kirche als "Freunde und Verwandte des Teufels". Eine bizarre Konstruktion, ein grotesker Versuch, die Wirklichkeit umzudeuten.

In Deutschland erschütterte der Missbrauchsskandal 2010 die katholische Kirche. Immer mehr Opfer brachen ihr Schweigen. Die Kirchenoberen entschlossen sich zur Flucht nach vorne: Gemeinsam mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) wurde im Juli 2011 ein Forschungsprojekt aufgelegt, das die Personalakten Geistlicher untersuchen sollte. Gerade mal anderthalb Jahre später aber war das Projekt gescheitert. Der Leiter der Untersuchung, der Kriminologe Christian Pfeiffer, machte die Kirche dafür verantwortlich. "Kurz vor dem Start der eigentlichen Datenerhebung wurden wir mit der Forderung konfrontiert, dass Studienergebnisse nur mit Billigung der Kirche veröffentlicht werden dürfen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das unzumutbar." Die Hauptwiderstände seien aus der Diözese München und Freising gekommen, in der Papst Benedikt XVI. einst Erzbischof war. Pfeiffer erhob den Vorwurf der Zensur. "Die katholische Kirche wollte offenbar ein Gutachten ganz nach ihrem Geschmack." Das aber war mit dem Selbstverständnis des Kriminologen nicht vereinbar.

Das verquere Verständnis von der unbefleckten und unbefleckbaren Kirche war zwar schon lange zerbröckelt, die Glaubwürdigkeit der Kirchenoberhäupter lädiert, doch in vielen Bistümern dröhnt noch immer das laute Schweigen, wenn es um die Missbrauchsfälle im eigenen Sprengel ging. Wissenschaftler – ebenso Staatsanwaltschaften – dürfen Akten weiterhin nur vereinzelt aus Archiven holen und lesen. Falls überhaupt, wählten und wählen Anwälte der Diözesen dies vorab aus, sie wurden anonymisiert übergeben. Weder die Tatzeiten noch die Tatorte, schon gar nicht die Täter sind identifizierbar. Viele Namen und Angaben waren und sind geschwärzt. Ohnehin konnten nur die Fälle ausgewertet werden, die überhaupt aktenkundig sind.

Geht es paradoxer? Bischöfe – oft genug Vertuscher und Manipulierer – kontrollieren selbst, der Zugang zu den Archiven unterliegt dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Bei einem Verdacht übernimmt die Untersuchung nicht die Staatsanwaltschaft, sondern die Kirche selbst. Eine kirchliche Paralleljustiz, die Täter schützt. Verleugnen und Vertuschen in friedlicher Ko-Existenz. Sexueller Missbrauch, ein sogenanntes Offizialdelikt, eine Straftat, die von Amts wegen von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden muss, aber weder von den Klerikern noch von den Ermittlungsbehörden mit Nachdruck verfolgt wird. Selbst nach der Veröffentlichung der "Missbrauchsstudie" bleiben die deutschen Staatsanwaltschaften weitgehend untätig. Der Rechtsstaat macht einen Kniefall.

Man stelle sich einmal vor: ein anderes weltweit agierendes Unternehmen, dessen Angestellte über Jahrzehnte Tausende Straftaten begangen haben – keine Bagatellvergehen, sondern schwere und schwerste Verbrechen. Der Vorstand weiß davon, aber er vertuscht, deckt die Täter und verhängt keine sichtbaren Sanktionen. Normalerweise müsste man die Staatsanwaltschaft einschalten, aber das Unternehmen unternimmt nichts. Und wo kein Kläger, da kein Ermittler. Hier aber ging und geht es nicht um ein normales Unternehmen, sondern um eine Weltfirma, die als Alleinstellungsmerkmal Barmherzigkeit und Glaubwürdigkeit beansprucht.

Es brauchte eine Gruppe engagierter Staatsrechts-Professoren, die im Oktober 2018 "Anzeige gegen Unbekannt" erstatteten und diese bei Staatsanwaltschaften im Bezirk jeder Diözese einreichten. Die Professoren erinnerten die Ermittler an ihre "unbedingte Pflicht", dem offensichtlichen "Anfangsverdacht" nachzugehen. Denn viele Fälle sind keineswegs verjährt. Sie waren überrascht darüber, "wie zurückhaltend Staat und Öffentlichkeit (bislang) mit dem alarmierenden Anfangsverdacht schwerer Verbrechen umgehen". Dies – so die Strafrechtler – habe möglicherweise seinen Grund in einer in Deutschland herrschenden "intuitiven Vorstellung von der sakrosankten Eigenständigkeit der Kirche". Dabei ist die Rechtslage eindeutig: "Es gibt für die Kirche und ihre Priester keine grundsätzlichen Ausnahmen von der Strafverfolgung wie etwa bei der Immunität von Parlamentariern oder Diplomaten." Die Strafrechtsprofessoren verwiesen darauf, dass es auch kein Recht der Kirche gibt, etwa unter Hinweis auf das Kirchenrecht und die eigene Strafgewalt, "ihre Institution von strafrechtlichen Eingriffen frei zu halten". Der Rechtsstaat müsse sicherstellen, dass "die am Schutz der Menschenrechte orientierte Minimal-Ethik des Strafrechts durchgesetzt und persönliche Verantwortung geklärt werde", ansonsten stehe "das Rechtsvertrauen der Öffentlichkeit im säkularen Staat" auf dem Spiel.

Die Juristen enden mit einem markanten Vergleich: "Man stelle sich nur einmal vor, ein Ableger der kalabrischen Mafia 'Ndrangheta' hätte einem Wissenschaftler Zugang zu seinen in Deutschland befindlichen Archiven gewährt, der daraufhin auftragsgemäß eine Studie veröffentlicht hätte, worin er zahlreiche, z. B. zwischen 1990 bis 2014 in Deutschland begangene Verbrechen schildert, woraufhin der 'Pate' sich wortreich bei den Opfern entschuldigt, sich allerdings zugleich weigert, die Akten der Polizei zu übergeben oder die Namen der Täter zu benennen. Es würde kein Tag vergehen, bis die Polizei sämtliche Akten in allen auf deutschem Boden befindlichen Mafiaarchiven beschlagnahmt hätte, um die Täter zu ermitteln und anzuklagen. Es gibt keinen einleuchtenden Grund, warum dies im Fall der katholischen Kirche anders sein sollte."

Mit schonungsloser Offenheit und Kooperation darf auch künftig nicht zu rechnen sein. Die irdischen Gottes-Vertreter, die so gerne von Schuld und Sünde reden, von "Liebeskirche" und "Barmherzigkeit", sind Spezialisten in Sachen Beruhigung durch beharrliche Verharmlosung, Vernebelung und erschöpfendes Aussitzen. Ein andauender Skandal, irritierend ignoriert von der Politik.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat bei ihrem letzten Treffen wieder einmal verlauten lassen, sie wolle konsequent aufklären und neue Maßstäbe für den internen Umgang ihrer Sexualtäter entwickeln. Wir sollten darauf nicht vertrauen. Im Rechtsstaat gelten sie längst – und zwar für alle Täter.“

https://hpd.de/artikel/system-ratzinger-19924

 

Beharrende Kräfte

 

„Peter Beer greift nach der Veröffentlichung eines Gutachtens das Erzbistum München und Freising an. »Wir haben keine Einzelfälle von Missbrauch, sondern ein System«, sagte der ehemalige Generalvikar der »Zeit«.

Der ehemalige Generalvikar von München und Freising, Peter Beer, wirft dem Erzbistum mangelnde Aufklärungsbereitschaft in Missbrauchsfällen vor: »Diese Kirche kann sich nicht selbst aufklären. Das ist meine bittere Erfahrung«, sagte er der »Zeit«. Auch deshalb habe er vor zwei Jahren sein Amt aufgegeben. »Die Widerstände waren zu groß, selbst für einen Generalvikar.«

Beer war von 2010 bis 2020 der zweitmächtigste Mann des Bistums nach Kardinal Marx. Die Gutachter der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) bescheinigten dem Kleriker, dass er in seiner Amtszeit konsequent aufklären wollte, gegen erbitterte interne Widerstände.

Nun sagte Beer, er habe bereits 2010 eingesehen: »Wir haben keine Einzelfälle von Missbrauch, sondern ein System.« Die Institution habe »schändlich« agiert – und sträube sich damals wie heute gegen Aufklärungsbemühungen. »Ein Kardinal sagte zu mir, ich sei ein schlechter Priester. Jemand aus dem Domkapitel nannte mich einen Verräter«, so Beer.

»Wenn du Hierarchien angreifst, Herrschaftswissen transparent machen willst, wird blockiert und zurückgeschossen«, sagte Beer. Er habe »alles versucht gegen die Täterschützer«, so Beer über die Blockierer. »Aber ich konnte den Apparat letztlich kaum ändern.«

Der ehemalige Generalvikar räumte ein, in seiner Amtszeit selbst Fehler in der Missbrauchsaufklärung begangen zu haben, welche die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl aufgelistet hat. Er wolle »keine Entschuldigungen« für seine Fehler suchen. »Die sind passiert, dafür bin ich verantwortlich, so wie ich als Generalvikar für die gesamte Organisation des Erzbistums die Letztverantwortung trug.«

Beer forderte: »Die Kirche darf nicht länger Schonraum sein für Kleriker, die Angst vorm Leben, Angst vor Sexualität, Angst vor Nähe, Angst vor Verantwortung haben. Wir müssen verstehen: Kritik ist nicht zu unserem Schaden, sondern Bedingung für einen Neuanfang.«“

https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/ex-generalvikar-kritisiert-blockierer-im-erzbistum-muenchen-a-0415d6aa-6a34-468d-97bf-44eb8045f77b

 

Wir sind schuldig!

 

„… David Farago von der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), erklärt dazu:

"Viel wichtiger als die Reaktion der Kirche ist aber, wie wir alle – die Gesellschaft, die Politik und die Justiz – auf diesen Skandal reagieren. Fast jeder wird sich wohl daran erinnern, wie die Bild-Zeitung zur Papstwahl 2005 im Überschwang des Freudentaumels titelte 'Wir sind Papst!' – Aber nur die wenigsten werden sich daran erinnern wollen, wie wir alle kollektiv versagt haben. Wie wir den Betroffenen nicht geglaubt haben, wie wir sie im Stich gelassen haben, wie wir ihre Strafanzeigen nicht verfolgt haben, wie wir sie bis heute nicht angemessen entschädigt und uns um sie gekümmert haben. Wie wir die Vertuschung erduldet haben. Wie wir bekannte Täter nicht von Kindern ferngehalten haben. Wie Kirchengemeinden ihren Priester oder Pfarrer verteidigt haben, selbst wenn diese bereits verurteilt wurden. Wie wir die Pflege von Heimkindern nur allzu gerne den Kirchen überlassen haben, ohne sie zu kontrollieren. Wie wir 'gute katholische Richter' den Priestern Strafrabatte haben gewähren lassen. Wie wir seit inzwischen 12 Jahren diese Simulation einer Aufarbeitung durch die Kirchen hinnehmen und sie den Täterorganisationen nicht aus der Hand nehmen. Wie wir es erdulden, dass sich die evangelische Kirche im Schatten der katholischen Skandale versteckt. Wenn die Schlagzeile der Bild jemals gestimmt hat, dann gilt umgekehrt auch: 'Wir sind schuldig!'"“

https://hpd.de/artikel/wir-sind-schuldig-20061

 

Da hat der gute Mann Recht.

Jeder, der es wissen wollte, wusste, was da passiert.

Wer wollte es aber wissen? Die mit Abstand meisten Menschen sind ausschließlich an sich selbst und ihrem eigenen Umfeld interessiert. Alles andere stört und mensch will nicht damit belästigt werden. Erst recht nicht dann, wenn dadurch die eigenen Lebenslügen in Frage gestellt werden.

Um was es sich auch immer handeln mag: jeder, der an gesellschaftlichen Fragen interessiert ist, wird die Erfahrung gemacht haben, dass er mit kaum einem darüber reden kann.

Kinder werden in großer Zahl systematisch misshandelt, die Täter werden strafrechtlich nicht belangt, genießen weiter ein schönes Leben, die Täter-Organisationen decken die Täter, der Staat schaut zu – wer vor etlichen Jahren darüber geredet hätte, wäre fassungslos angeschaut worden.

Mensch interessiert oder empört sich erst dann, wenn es ihn persönlich betrifft – oder wenn er es andauernd, immer und immer wieder tief emotional aufbereitet durch die Medien aufgepfropft bekommt.

 

Einstürzende Altbauten

 

Vor 3 ½ Jahren hatte sich der Wurm ausführlich zur Thematik geäußert: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/350-sexuelle-gewalt-an-kindern-scham-und-entsetzen.html

Was ist neu, was hat sich geändert?

Das Gutachten für das Erzbistum Köln wurde zwar erstellt, aber nicht veröffentlicht. Jenes für das Erzbistum München und Freising schon. Besonders brisant: damit geht es gegen das „Heiligste“ überhaupt vor – den ehemaligen Papst.

Und damit stürzt der ganze Laden zusammen.

Das gesamte Erzbistum bloßzustellen mitsamt Joseph Ratzinger, der zweifellos Dreck am Stecken hat, ist im Sinne von Wahrheit und Transparenz sehr löblich – zeugt aber davon, dass die Katholische Kirche am Ende ist.

Wenn die beharrenden Kräfte es nicht einmal mehr schaffen, ihren ehemaligen Papst zu schützen und zuschauen, wie dieser am Nasenring durch die Manege gezogen wird, dann ist das Ende nah.

Zumindest in diesem Fall sind es die liberalen innerkirchlichen Kräfte, die offensichtlich den Bruch mit der „alten“ Kirche wollen. Das ist verständlich, wird aber unabsehbare Folgen haben.

 

Die Folgen

 

Die Kampagne gegen die Katholische Kirche weltweit, die seit einigen Jahren läuft (von wem auch immer zu welchen Zwecken auch immer) hat jetzt ihren Höhepunkt mit der Veröffentlichung des Münchner Gutachtens erreicht. Die Katholische Kirche als eines der letzten Bollwerke des Konservatismus ist diskreditiert.

Wie geht es weiter? Möglicherweise nehmen alle christlichen Gruppierungen Schaden, möglicherweise erhalten die richtig Konservativen, also Evangelikalen, Zulauf. Siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/49-fest-der-familie.html und siehe das Beispiel Brasilien, wo ein Evangelikaler gerade Präsident ist: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/356-im-jordan-getauft.html

Bei den moderaten Strömungen werden die Konservativen noch weiter zurückgedrängt mit der Folge, dass der Lifestyle endgültig dominieren wird. Was dann Gutmenschentum mit religiösem Brimborium bedeuten wird, dem alles „Alte“ incl. der eigenen Grundlagen ein Dorn im Auge sein wird.

Was sich daraus mittel- bis langfristig ergibt, wird sich zeigen. Auf jeden Fall leben Menschen und die Bewohner des Erdreichs in spannenden Zeiten.

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm

 

 

Das Böse verlachen

- Satire, Realsatire, ernst Gemeintes -

 

29. Jänner – Wochenkommentar von Ferdinand Wegscheider

„Asteroid 2022 AE1“ - Im neuen Wochenkommentar geht es heute um das Ende des Lockdowns für Ungeimpfte, um eine aufschlussreiche Facebook-Gruppe von österreichischen Ärzten und um eine neue Bedrohung, die auf die Menschheit zukommt!

https://www.servustv.com/aktuelles/v/aarcdw3bxp7jw26chdhh/

 

Menschen bei Merkelberger | Neue Talkshow, altes Geleier | Strippenzieher

https://www.rtde.site/programme/strippenzieher/130643-menschen-bei-merkelberger-neue-talkshow/

 

Schafsinn

https://www.youtube.com/watch?v=oYH9-0iEpMQ

 

Gehe nicht über Los. Ziehe nicht 5000 Euro ein.

https://www.youtube.com/watch?v=N3YpAYpszm0

 

Genesenenstatus, Russland, Johannesoffenbarung | Die Echse und der runde Tisch | Folge 5

https://www.youtube.com/watch?v=3qkVUcuKf8E

 

WAS IST NUR MIT DEN DEUTSCHEN LOS??? (heftig!)

https://www.youtube.com/watch?v=YuOqyATPo48

 

"Impfpflicht, Impfpflicht über alles" – Lauterbach und Wieler dechiffriert, Teil 2

https://www.youtube.com/watch?v=Ks3zioKys98

 

KANADAS FREIHEITSTRUCKER VS TRUDEAU / CANADA'S FREEDOM TRUCKERS VS COWARD-19 TRUDEAU

https://www.bitchute.com/video/uOuN18uZLNCX/

 

BOLSONARO MAG COWARD-19-TRUDEAU AUCH NICHT.../ BOLSONARO DOESN'T LIKE COWARD-19-TRUDEAU EITHER....

https://www.bitchute.com/video/rGwTUgQxeLMP/

 

Schigrotte / Steimles Aktuelle Kamera / Ausgabe 53

https://www.youtube.com/watch?v=al0T_afUkDw

 

HallMack Eklat im Bundestag

https://www.frei3.de/post/d4b09159-e3c4-4525-8877-2ba3b9a98ac8

 

HallMack Meuthen und tschüss!

https://www.frei3.de/post/d0d36c2d-467c-4f90-96a5-b5f3e74f5577

 

HallMack Dutzende in Kanada

https://www.frei3.de/post/2a1e1e09-7a19-43fc-8641-2e508d61758d

 

HallMack Keine Lockerungen bis Ostern

https://www.frei3.de/post/d5d259d5-a52f-4ab3-aff5-c59fc0731f75