Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter für Folter:
https://www.youtube.com/watch?v=2aPL79lbDbM
Bei der Veranstaltung „Medien unter Beschuss“ im Bundestag, die von der Partei Die Linke mit prominenten Vortragenden durchgeführt wurde. Der Wurm wird weiter unten näher auf diese Veranstaltung eingehen.
Es war kein Vertreter anderer Parteien zu Besuch. Eine Schande für diese Parteien, unter anderem für die Grünen, die in ihren Anfangszeiten für Menschenrechte eingetreten sind.
Eine Schande für die westlichen Regierungen, die westlichen Medien und die Gutmenschen, die es einen Dreck interessiert, wie Julian Assange, einer der hervorragendsten Vertreter der Meinungsfreiheit seit Jahren sich nicht aus dem Gebäude bewegen kann, in dem er sich gerade befindet.
Die letzten Monate
Aus einem Beitrag des Wurms im April 2019: „Ein schlimmer Tag für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demokratie. Auch ein schlimmer Tag für jene, die noch an die „westlichen Werte“ glauben.
Sehr wahrscheinlich wird Julian Assange an die USA ausgeliefert, wo ihn nichts Gutes erwartet. Selbst die Todesstrafe ist möglich.“
http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/382-sagen-was-ist.html
RT Deutsch im Oktober 2019: „Auf einer Pressekonferenz am 15. Oktober im Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York berichtete der UN-Sonderberichterstatter über Folter, der Schweizer Diplomat Nils Melzer, über seinen Besuch bei WikiLeaks-Gründer Julian Assange in Begleitung von zwei medizinischen Experten im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh und erklärte öffentlich:
Wir kamen zu dem Ergebnis, dass er [Assange] über einen langen Zeitraum psychologischer Folter ausgesetzt war. Das ist ein medizinisches Urteil. Wir haben alle involvierten Staaten gebeten, in dem Fall zu ermitteln und den auf Assange ausgeübten Druck zu mildern und insbesondere seine juristischen Rechte zu respektieren, die aus meiner Sicht systematisch verletzt wurden. Kein betroffenes Land hat zugestimmt, eine Untersuchung einzuleiten, obwohl sie gemäß der UN-Antifolterkonvention dazu verpflichtet wären.
RT-Redakteur Florian Warweg hatte die Bundesregierung bereits letzte Woche gefragt, ob sie die Einschätzung und Kritik des UN-Sonderberichterstatters teilt. Die damalige Antwort der Regierungssprecher lautete, man hätte noch keine Erkenntnisse über die Aussagen des UN-Sonderberichterstatters über Folter zur Lage von Assange vorliegen.
Diese Woche griff RT Deutsch das Thema erneut auf und wollte von Regierungssprecher Steffen Seibert wissen, ob "der Sachverhalt" es eine Woche später nun schon bis zur Bundesregierung geschafft hat und ob die Kanzlerin die Einschätzung des UN-Sonderberichterstatters für Folter teilt. Die Antwort deutet im besten Fall auf massive Probleme der Bundesregierung bei der Informationsbeschaffung aus dem UN-Hauptquartier hin, zumindest wenn es um die Causa Julian Assange geht.
Bereits Ende Juni 2019 hatte der UN-Sonderberichterstatter einen ersten Bericht unter dem Titel "Entlarvung der Folter von Julian Assange" verfasst, den er zahlreichen renommierten westlichen Printmedien zur Veröffentlichung anbot. Vergeblich: Alle angeschriebenen Medien lehnten eine Publikation schlichtweg ab.“
Harald Schumann: „Schon seit April halten ihn die britischen Behörden im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in Isolationshaft. Zuvor hatte er gut sechs Jahre im Not-Exil in der Botschaft von Ecuador ausgeharrt, bis ihn die neue Regierung in Quito der britischen Justiz übergab.
Assange war in die Botschaft geflohen, nachdem die schwedische Polizei seine Überstellung nach Stockholm gefordert hatte. Zwei Schwedinnen hatten ihn angezeigt, weil er sie zum ungeschützten Geschlechtsverkehr genötigt haben soll.
Assange aber fürchtete, in die USA ausgeliefert zu werden. Tatsächlich schickte die US-Regierung nur wenige Stunden nach seinem Rauswurf aus der Botschaft ihr Auslieferungsgesuch. Die Staatsanwaltschaft in Stockholm dagegen stellte ihr Verfahren ein.
Jetzt aber, so berichtete der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, leide Assange unter „den typischen Symptomen einer Person, die psychischer Folter ausgesetzt war.“ Das zeige sich „in chronischen Angstzuständen und einem posttraumatischen Stresssyndrom“.
Trotzdem weigert sich die britische Innenministerin Priti Patel, ihn in ein Krankenhaus zu verlegen. „Diese Willkür könnte ihn das Leben kosten“, warnt Melzer. „Wenn nicht dringend eine Behandlung erfolgt, habe wir die ernste Sorge, dass Herr Assange im Gefängnis sterben könnte“, mahnten vergangene Woche auch 60 Ärzte die britische Regierung. Aber die stellt sich taub. Das ist allein schon Unrecht. Umso schwerer wiegt, dass es keine gültige Rechtsgrundlage für Assanges Haft gibt.
Die US-Regierung bezichtigt ihn der Spionage und der „Verschwörung zum Geheimnisverrat“. Das ist konstruiert und verstößt gegen die US-Verfassung. Assange hat weder Gewalt angewendet noch spioniert. Er hat geheime Dokumente veröffentlicht und seine Quelle geschützt.
Das ist Aufgabe von Journalisten, zumal wenn es gilt, Kriegsverbrechen aufzudecken. Dass die USA nun das Spionagegesetz von 1917 anwenden, „verwischt den Unterschied zwischen Journalisten, die Rechtsbrüche der Regierung aufdecken und Spionen, die die nationale Sicherheit untergraben“, schreibt die New York Times.
„Das bedroht die Rede- und Pressefreiheit und damit die amerikanische Demokratie selbst.“
Über Assanges Methoden lässt sich streiten. Dass er die Klarnamen von Zuträgern der US-Regierung nicht geschwärzt hat, gefährdete Unschuldige. Ob es journalistisch nötig war, E-Mails von Hillary Clinton zu veröffentlichen und Donald Trump zum Wahlsieg zu verhelfen, ist fraglich.
Aber nichts davon rechtfertigt die Auslieferung in die USA, wo ihm eine lebenslange Gefängnisstrafe droht. Umso unverständlicher ist, dass keine Regierung in Europa gegen die inhumane Inhaftierung interveniert. In der Schuld stehen auch die Medien, die sich mit den Wikileaks-Dokumenten als Enthüller profilierten. Die Verhandlung über seine Auslieferung soll am 25. Februar beginnen, vorausgesetzt er lebt dann noch.“
https://www.youtube.com/watch?v=fIryHriPFnQ
Nils Melzer im Gespräch
Johannes Stern: „Am 28. November sprach die WSWS in Berlin mit Nils Melzer, dem UN-Sonderberichterstatter für Folter. Melzer spielt eine zentrale Rolle bei der Verteidigung von Julian Assange. Am Tag vor dem Interview beteiligte sich Melzer an der Enthüllung der Kunstinstallation „Anything to say“ mit Skulpturen von Assange, Chelsea Manning und Edward Snowden vor dem Brandenburger Tor und nahm an einer Anhörung zu Assange im Bundestag teil.
Im Interview mit der WSWS spricht der Schweizer Rechtswissenschaftler, der Humanitäres Völkerrecht an der University of Glasgow lehrt, über seine Arbeit im Fall Assange und den dramatischen Zustand des Wikileaks-Gründers im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Er geißelt die Rolle der Regierungen und der Mainstreammedien bei der Verfolgung von Assange und warnt vor den gefährlichen Konsequenzen der weitgehenden Erosion demokratischer Rechte.
WSWS: Vor wenigen Tagen wurde der Offene Brief von über 60 Ärzten veröffentlicht, die davor warnen, dass Assange im Gefängnis sterben könnte. Die Ärzte beziehen sich auch zentral auf Ihre Berichte – den vom 1. November und vom Frühjahr. Können Sie etwas zur Bedeutung des Briefs sagen und zu Ihrer Arbeit in den letzten Monaten?
Nils Melzer: Als ich Assange im Mai zum ersten Mal traf – zuvor kannte ich ihn und den Fall noch nicht so gut – habe ich ganz bewusst zwei Ärzte mitgenommen, um eine objektive medizinische Basis für meine Schlussfolgerungen zu haben. Das Ergebnis war schon damals sehr klar. Er zeigte alle Symptome, die typisch sind für Opfer langdauernder psychologischer Folter.
Diese Symptome sind das Resultat einer zutiefst willkürlichen Umgebung, welche systematisch destabilisiert und unberechenbar gemacht wurde, um seine Verletzlichkeit zu maximieren. Das ist eine Form der emotionalen und mentalen Manipulation, die bei der psychologischen Folter ganz gezielt angewandt wird. Die Ärzte konnten die neurologischen und kognitiven Konsequenzen bereits physisch messen. Auch wenn der genaue Verlauf nie genau voraussehbar ist, kann sich von diesem Punkt an alles sehr schnell entwickeln. Auf jeden Fall war klar, dass sich Assanges Gesundheitszustand bei gleichbleibenden Faktoren sehr schnell drastisch verschlechtern wird.
Und das war dann auch der Fall.
Ja. Nur wenige Tage nach meinem Besuch musste Assange in die medizinische Abteilung des Gefängnisses überstellt und medikamentös stabilisiert werden. Aber die Ursache für seine Symptome, die ständige Willkür, Isolation und Überwachung, hat man überhaupt nicht verändert, sondern sogar verschlimmert. Vorher hatte er Zugang zu anderen Häftlingen, zumindest ein paar Stunden am Tag konnte er sich frei bewegen und sich mit ihnen unterhalten. Jetzt ist er isoliert. Jetzt hat er keinen Kontakt mehr mit anderen Insassen, und die Behandlung die er von den Behörden erfährt, ist von Willkür und Vorurteilen geprägt. Abgesehen von den Besuchen, die er von außen bekommt, lebt er in einer absolut feindseligen Welt.
Und nun wird das Argument der Gesundheit natürlich missbraucht, um zu sagen, wir müssen ihn immer überwachen, damit ihm nichts geschieht. Ein anderes Argument ist: Wir müssen ihn schützen vor den anderen Häftlingen und deswegen müssen wir sicherstellen, dass er keinen Kontakt hat. Das ist so eine Catch-22-Situation. Ich bin der Überzeugung, dass das ganz absichtlich gemacht wird, und ich werde auch bestärkt in dem Verdacht, weil ich ja sehe, wie die englische Regierung auf meine Briefe reagiert. Da wird alles im Rundumschlag abgelehnt und man weigert sich, mit mir in einen Dialog zu treten.
Was ist der Grund dafür?
Ich nehme an, wenn man die Fragen nicht beantworten kann, ist es bequemer, den Dialog von vornherein abzuwürgen. Staaten, die für ihr Verhalten eine Rechtfertigung haben, präsentieren diese in der Regel sehr gerne. Das Verhalten, das Schweden und England jetzt zeigen, ist hingegen typisch für Staaten, denen die Unrechtmässigkeit ihres Verhaltens sehr bewusst ist, und die gerade deshalb jeden Dialog vermeiden.
Ich habe aus verschiedenen verlässlichen Quellen Informationen erhalten, dass sich sein Gesundheitszustand inzwischen dramatisch verschlechtert hat. Das hat man ja auch gesehen vor Gericht. Wir sind heute an einem Punkt, wo er jeden Moment zusammenbrechen könnte. Vielleicht hält er es auch noch ein Jahr aus, vielleicht auch noch zwei. Vielleicht ist er aber auch morgen schon am Ende. Das war für mich der Grund, erneut Alarm zu schlagen. Auch weil ich gesehen habe, dass die britische Regierung keinerlei Absicht hat, sich auf einen Dialog mit mir einzulassen oder meine Empfehlungen ernst zu nehmen. Hinzu kam, dass Assange nach dem Absitzen seiner Strafe weiter in Auslieferungshaft bleibt und noch dazu in einem Hochsicherheitsgefängnis, was meines Erachtens vollkommen unverhältnismäßig ist.
Sie haben den Fall Assange bei der Enthüllung der Skulpturen vor dem Brandenburger Tor als „wichtigsten Testfall unserer Zeit“ bezeichnet. Können Sie etwas mehr dazu sagen? Was genau meinen Sie damit?
Die westlichen Demokratien, die sich selbst als reife Demokratien bezeichnen, sind sehr selbstgerecht geworden. Vor allem seit dem Fall der Berliner Mauer – wir sitzen hier in Berlin – und dem Ende des Kalten Krieges sind sie der Auffassung, dass ihr politisches und wirtschaftliches System gewonnen hat und deshalb unanfechtbar das richtige und beste ist. In Wirklichkeit sind wir jedoch zu Schönwetterdemokratien geworden, deren staatliche Institutionen in kritischen Situationen nicht mehr funktionsfähig sind, weil sie sich nicht mehr gegenseitig überwachen. Für den Schutz der Rechtsstaatlichkeit ist jedoch absolut entscheidend, dass die Justiz und das Parlament die Regierung überwachen und bei Machmissbrauch eingreifen und die Politiker und Behörden zur Verantwortung ziehen. Das funktioniert heute vor allem dort nicht mehr, wo es um grundlegende Interessen des wirtschaftlichen und politischen Establishments geht.
Und die Medien…
Die Medien sind ja eigentlich die vierte Gewalt im Staat, die das Funktionieren der Gewaltenteilung von außen betrachten soll und bei deren Versagen die Alarmglocken läuten müssten. Das tun aber die Mainstream-Medien nicht mehr, denn sie sind selber Teil des Establishments geworden. Sie profitieren davon, sie sind abhängig davon. Das gleiche gilt für viele der großen Menschenrechtsorganisationen. Zumindest zum Teil hat man den Eindruck, dass eben auch sie Teil des Establishments geworden sind. Sie werden von großen Spenden getragen und sind von den Staaten abhängig und deshalb nicht bereit, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen und auch einmal unbequeme Positionen einzunehmen, die vor allem Geld kosten könnten.
In diesem Kontext, wo die Überwachung der Staatsmacht nicht mehr gegeben ist, weder durch die politischen Institutionen noch durch die Medien, kam eine Organisation wie Wikileaks hoch, die versucht, diese Funktion zu übernehmen. Das ist demokratisch, rechtsstaatlich und staatspolitisch so folgerichtig wie unerlässlich. Gewisse Praktiken von Wikileaks mögen durchaus fragwürdig gewesen sein. Das Internet ist ein schwer regulierbarer Bereich, der neben Informationsfreiheit auch grosse Risiken mit sich bringt, welche angemessen behandelt werden müssen. Aber die grundsätzliche Funktion, welche Wikileaks übernommen hat, nämlich die Aufdeckung von Machtmissbrauch und Korruption, ist staatspolitisch unerlässlich.
Wie wir mit dieser Frage umgehen, ist ein staatspolitischer Testfall. Wie gehen wir damit um, dass unsere Regierungen plötzlich wieder überwacht werden? Nicht mehr durch die ursprünglich dafür geschaffenen Institutionen, sondern durch die Öffentlichkeit. Gegenwärtig erleben wir, wie sich diejenigen, die über unüberwachte Macht verfügen, mit allen Mitteln dagegen wehren, sich wieder der Überwachung unterstellen zu müssen. Die Staaten verfolgen Assange, um an ihm ein Exempel zu statuieren. Sie wollen zeigen, wie es einem ergeht, wenn man ihre Macht in Frage stellt. Darum geht es. Ich möchte ganz klar daran erinnern, dass aufgrund der Enthüllungen kein einziges Strafverfahren gegenüber denen stattgefunden hat, die die enthüllten Verbrechen begangen haben. Das an sich ist ja schon Beweis für das Fehlen des guten Glaubens dieser Staaten. Selbst Kriegsverbrechen werden nicht mehr geahndet, sondern man verfolgt und zerstört all diejeningen, welche solche Verbrechen ans Licht ziehen.
Ich möchte ein Beispiel bringen, welches deutlich macht, wie weit der Westen heute zurückgefallen ist. Vor einigen Monaten wurden zwei Journalisten in Myanmar begnadigt. Sie waren zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil sie ein Massaker an Zivilisten durch die myanmarischen Streitkräfte enthüllt hatten. Gleichzeitig wurden auch die an dem Massaker beteiligten Soldaten begnadigt. Allerdings hatte Myanmar diese Soldaten zuvor immerhin zu zehn Jahren Haft verurteilt und bis zur Begnadigung auch eingesperrt. Diesbezüglich ist sogar Myanmar dem Westen meilenweit voraus. Das haben weder die Amerikaner noch die Briten bisher geschafft. Im Gegenteil, beide Regierungen weigern sich, die Beteiligung ihrer eigenen Agenten und Soldaten am Folter- und Auslieferungsprogramm der CIA strafrechtlich zu verfolgen.
Ein Beispiel ist hier auch der Fall des Oberst Klein, der vor zehn Jahren den Luftangriff von Kundus befohlen hat. Am Ende wurde er befördert.
Ja. Ich war damals vor Ort in Afghanistan und habe mich danach auch persönlich zu dem Fall geäußert. Es kann durchaus sein, dass die Beweislage für eine strafrechtliche Verfolgung zwar nicht ausreichend war. Aber die Frage der strafrechtlichen Schuld einer Einzelperson ist ja nur ein Aspekt eines solchen Falles. Darüber hinaus gibt es ja auch noch die Frage der Staatenverantwortlichkeit. Der Staat ist verantwortlich für jede völkerrechtswidrige Schädigung, ganz unabhängig von der Strafbarkeit der beteiligten Personen. Zuerst hätte man also abklären müssen, ob der Angriff völkerrechtswidrig war. Wenn ja, dann ist der Staat entschädigungspflichtig. Erst in einem zweiten Schritt schaut man, ob allenfalls auch ein Strafverfahren gegen die verantwortlichen Personen eingeleitet werden muss. Aber den ersten Schritt hat man in diesem Fall meines Wissen schlicht ausgelassen. Ich kann nicht beurteilen, wie die strafrechtliche Beweislage wirklich war, aber kriegsvölkerrechtlich war dies sicher ein problematischer Fall, der hätte untersucht werden müssen.
Es geht hier um die Frage der Staatsverantwortung. Im Begriff „verantworten“ steckt das Wort „Antwort“. Staaten müssen auf Fragen der Öffentlichkeit zur Ausübung von Staatsgewalt antworten können. Welche Kriterien sind angewendet worden? Wer hat was auf wessen Befehl gemacht? Wenn Staaten diese Antworten nicht mehr geben, wenn wir nur noch geschwärzte Texte bekommen, dann haben wir keine Transparenz mehr, sondern Zensur. Und mit der Zensur kommt unweigerlich die Tyrannei. Die kommt so sicher wie das Amen in der Kirche, denn unüberwachte Macht korrumpiert. Und darum geht es im Kern auch im Fall Assange. Deshalb ist diese ein systemischer Testfall. Wenn wir diesen Testfall nicht bestehen, dann haben wir die Türe weit aufgesperrt für die Tyrannei.
Wir erleben, dass es in allen Ländern, vor allem aber auch in Europa, eine Hinwendung zu Militarismus, Krieg und Diktatur gibt. Sie warnen vor der Rückkehr der Tyrannei. Wie, denken Sie, muss in dieser Situation die Kampagne zur Verteidigung von Assange weitergehen?
Also, ich werde mich sicherlich weiterhin darauf konzentrieren, Fragen zu stellen, welche die Staaten beantworten können müssen. Mein Mandat gebietet mir, dass ich öffentlich Bericht erstatte über das, was ich sehe, dass ich Fragen stelle, wo sich Fragen stellen, und dass ich die Staaten auffordere, in einen Dialog zu treten und sich zu erklären. Es ist dann an der Öffentlichkeit, an der Zivilgesellschaft und an den Menschenrechtsorganisationen und Medien, sich selber ein Bild zu machen und daraus die politischen Konsequenzen zu ziehen. Den Staaten liefere ich einen Spiegel, und der breiteren Öffentlichkeit liefere ich Informationen und Material, welche von einer Vielzahl von Akteuren – Medien oder andere gesellschaftliche und politische Organisationen – genutzt werden können, um Regierungen zur Verantwortung zu ziehen.
Und genau darum geht es ja auch Wikileaks. Es geht darum, Behörden zur Verantwortung zu ziehen. Sie müssen Rede und Antwort stehen. Das ist das Wesen der Demokratie und des Rechtsstaates. Die Macht kommt vom Volk und ist für das Volk. Und wenn die Regierung uns nur noch geschwärzte Antworten gibt, dann heißt das, dass sie uns nicht mehr antworten will. Dann ist sie aber auch nicht mehr verantwortlich, sondern ist unverantwortlich geworden. Darum geht es hier, und nicht darum, ob Assange möglicherweise narzisstisch ist, ob er in der Ecuadorianischen Botschaft Skateboard fuhr, oder wie er dort seine Katze behandelt hat. Das ist sowohl juristisch wie auch politisch völlig irrelevant. Es geht darum, ob unsere Staaten und Institutionen integer sind. Das hingegen ist sehr relevant, und zwar für alle und für jeden. Denn sobald sich diese unüberwachte Macht auf höchster Ebene etabliert hat, rieselt das durch alle Institutionen hindurch und korrumpiert das gesamte System.
Wir müssen uns einfach bewusst darüber sein, dass das, was wir uns in den letzten 200 Jahren erarbeitet haben nicht selbstverständlich ist. Wir sind drauf und dran, wieder zurückzugleiten in das 18. Jahrhundert. Das manifestiert sich heute natürlich in einer anderen Form. Es sind nicht mehr Menschen mit Kronen auf Pferden mit vorausreitenden Soldaten. Heute sitzen sie in großen Hoteltürmen und häufen groteske Vermögen von zig Milliarden an, während ihre Angestellten von ihren Löhnen häufig nicht mehr leben können und von Sozialhilfe abhängig sind. Und diese Leute regieren uns. Wir wählen zwar unsere Volksvertreter ins Parlament, aber diese Vertreter vollstrecken dann nicht den Volkswillen, sondern denjenigen der Lobbys. Und die Lobbys werden kontrolliert von denjenigen, die die wirtschaftlichen Mittel kontrollieren, also von einer verschwindend kleinen Minderheit der Weltbevölkerung, welche mit Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Allgemeininteresse nur wenig am Hut hat. Wir müssen uns langsam bewusst werden, wie das System wirklich funktioniert und welche Gefahr das in sich birgt: für unsere Zukunft, unsere Menschenwürde und unsere Menschenrechte.
Es gibt eine wachsende Resonanz auf die Kampagne zur Verteidigung von Assange. Wie nehmen Sie diese Entwicklung wahr? Im Mai, als Sie ihre Arbeit begonnen haben, waren Sie noch – und ich weiß nicht, wie stark Sie das selbst empfunden haben – viel isolierter und ziemlich stark unter Druck.
Das stimmt. Ich möchte es mal so sagen, ich war noch etwas allein im Feld. Aber seither hat sich in der Tat etwas verändert. Es ist, wie wenn man einen Flugzeugträger oder einen Ozeandampfer zur Richtungsänderung bringen muss. Da muss man schon ziemlich lange Druck ausüben und Geduld haben. Aber auch hier gilt das Prinzip von Actio und Reactio. Die Energie, die man investiert, geht nie verloren, sondern hat immer einen Effekt. Denn Energie kann man bekanntlich nicht vernichten. Und ich glaube, das spürt man jetzt im Fall Assange auch langsam. Seit seiner Verhaftung hat sich doch einiges bewegt. Nicht nur wegen meiner eigenen Aktivitäten. Auch große Teile des grotesken Narrativs, welches um Assange herum aufgebaut worden war, sind seither in sich zusammengefallen. Etwa die während Assanges Aufenthalt in der Ecuadorianischen Botschaft häufig gemachte Behauptung, seine Angst vor einer Auslieferung in die USA sei paranoid, weil die USA ja gar kein Auslieferungsgesuch gestellt hätten. Nun, innerhalb einer Stunde nach Assanges Verhaftung durch die Briten haben die USA ihr Auslieferungsgesuch gestellt und somit den Gegenbeweis geliefert. Oder die Idee, Assange hätte sich der schwedischen Justiz stellen sollen, wo er ein rechtsstaatliches Verfahren bekommen hätte. Nun, dieses sogenannte rechtsstaatliche Verfahren in Schweden ist nach neuneinhalb Jahren in sich zusammengebrochen, unter anderem nachdem die Regierung ausserstande war, meine auf offiziellem Wege gestellten Fragen betreffend fünfzig zum Teil schwere Verfahrensverletzungen gegenüber Assange zu beantworten. Dies machte die gesamte Untersuchung vollkommen unglaubwürdig.
Am 11. April 2019 wurde Assange dann von Ecuador nicht nur das Asyl entzogen sondern auch noch gleich die Staatsbürgerschaft, und zwar ohne jedes Rechtsverfahren! Das gibt es doch gar nicht. Und wer auch nur ein bisschen hingesehen hat, für den war auch unübersehbar, dass Assanges Rechte auch von England in den letzten Monaten systematisch verletzt wurden. Wenn einem Angeklagten die Möglichkeit genommen wird, seine Verteidigung vorzubereiten, dann sind wir nicht mehr im Rechtsstaat. Das ist relativ offensichtlich. Ob jemand schuldig ist oder nicht, er hat das Recht seine Verteidigung vorzubereiten. Hinzu kommt die dramatische Verschlechterung seines Gesundheitszustandes seit seiner Verhaftung durch die Briten, selbst nach seiner Einlieferung in die Krankenabteilung. Es wird langsam sehr schwer, den Missbrauch zu übersehen. Irgendwann kommt dann der kritische Punkt, wo die öffentliche Meinung sich zu drehen beginnt.
Es ist interessant, dass diese Entwicklung zusammenkommt mit wachsenden Protesten und Streiks weltweit in den letzten Monaten.
Absolut. Das Ganze ist ein Megatrend. Wir haben die Gelbwesten. Wir haben immer mehr solcher Bewegungen auch in Lateinamerika, wo die Regierungen unter Druck kommen, weil so langsam offensichtlich wird, dass sie nicht mehr für das Volk da sind. Und ich warne einfach davor. Ich denke, wir können uns keinen Zusammenbruch unserer komplexen und modernen Gesellschaft leisten. Das wäre grauenhaft. Es ist höchste Zeit, dass wir Schritte einleiten, um dieses Ungleichgewicht auszugleichen, aber vor allem auch – und darin sehe ich meine Funktion – erst mal darauf zu bestehen, dass die Ausübung von Staatsmacht konsequent überwacht werden muss. Transparenz ist die Grundvoraussetzung. Wir werden nicht von schlechten Menschen regiert, wir werden von einem schlechten System regiert. Wen auch immer wir dorthin setzen, es besteht die große Gefahr, dass er mit der Zeit korrumpiert wird, weil das System sich selber nicht mehr überwacht. Die menschliche Natur ist nicht dazu geeignet, unkontrollierte Macht auszuüben.“
https://www.wsws.org/de/articles/2019/12/09/melz-d09.html
Medien unter Beschuss
Christian Kliver: „Journalisten und Presseorganisationen haben sich bei einer Anhörung im Bundestag mit dem inhaftierten Kollegen und Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, solidarisiert. Zugleich warnten sie vor den Auswirkungen der strafrechtlichen Verfolgung gegen Assange auf den freien und investigativen Journalismus. Zu der Anhörung "Medien unter Beschuss", an der rund 240 Gäste teilnahmen, hatte die Linksfraktion im Bundestag eingeladen. Im Beisein von John Shipton, dem Vater von Assange, ging es vor allem um die drohende Auslieferung des australischen Journalisten aus Großbritannien an die USA. Dort drohen dem 48-Jährigen lebenslange Haft oder womöglich sogar die Todesstrafe.
Die Bundesgeschäftsführerin der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union, Cornelia Berger, erklärte sich bei der Anhörung im Bundestag "an der Seite der Kolleginnen und Kollegen, um diese Auslieferung zu verhindern und Julian Assange vor weiteren Bedrohungen und Repressalien zu schützen". Die Gewerkschaftsvertreterin wies auf die Notwendigkeit hin, die Whistleblower-Richtlinie der EU rasch in der bundesdeutschen Gesetzgebung zu überführen, denn "es gibt zunehmende Versuche, Journalistinnen und Journalisten zu kriminalisieren".
Auch der Geschäftsführer der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (RoG), Christian Miehr, betonte die Bedeutung des Falls Assange für den Journalismus. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass Whistleblower noch nie so stark verfolgt wurden wie unter der Präsidentschaft des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama. "Das muss man bei aller Verklärung der Regierung Obama auch einmal klar sagen", so Miehr.
Der RoG-Geschäftsführer kritisierte zugleich die US-Staatsanwaltschaft für ihre Anklage gegen Assange, die "Verschwörung zum Eindringen in Computer" und die "Veröffentlichung geheimer Regierungsdokumente" beinhaltet. Beide Anklagepunkte zielten auf Grundlagen journalistischer Arbeit ab, so Miehr. Er sprach sich entschieden gegen eine Auslieferung Assanges an die USA aus. "Eine Anklage aufgrund des (US-amerikanischen) Anti-Spionage-Gesetzes wäre eine klare Missachtung der Pressefreiheit."
Der NDR-Journalist John Goetz beschrieb die anfängliche Zusammenarbeit zwischen dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel, der New York Times und WikiLeaks um 2010. "Wir haben damals gemeinsam Stories erarbeitet und es gab nicht diese Trennung, die wir später betont haben", so Goetz durchaus selbstkritisch. Er stelle sich heute auch die Frage, was er eigentlich anders gemacht habe als Julian Assange. "Wir haben mitunter aus technischen Gründen die Infos sogar zuerst veröffentlicht", so Goetz. "Es gibt also juristisch gesehen gar keinen Grund, warum jetzt WikiLeaks angegriffen wird" und nicht der "Spiegel" oder die New York Times. Dieser Vergleich, den auch WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson aufgriffe, mache die Gefahr der zunehmenden Kriminalisierung von Whistleblowern für den Journalismus generell deutlich.
Mit deutlichen Worten verwies der Hinweisgeber Edward Snowden in einem Grußwort aus dem russischen Exil auf die möglichen Folgen des Feldzugs gegen WikiLeaks: "Dies ist der Startschuss zu einem neuen Krieg gegen den Journalismus, und wenn wir ihm nicht vor dem nächsten Schuss Einhalt gebieten, wird dieser Krieg nicht länger nur im Ausland geführt werden. Wenn ein Mann, der noch nie in den Vereinigten Staaten gelebt hat, gewaltsam in ein US-amerikanisches Gefängnis überstellt werden kann, weil er die Wahrheit veröffentlicht hat, werden ihm bald weitere Journalistinnen und Journalisten folgen. Und das wird die weniger liberalen Staaten dieser Welt ermuntern, noch härter gegen die schmale Linie vorzugehen, die Wahrheit und Lüge trennt. Die Linie, die Diktatur von Demokratie trennt."
Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen griff eine wiederkehrende Feststellung auf: "Nicht diejenigen, die Kriegsverbrechen aufdecken, gehören ins Gefängnis, sondern diejenigen, die sie befehlen, begehen oder vertuschen." Ihre Fraktionskollegin und Mitorganisatorin Heike Hänsel verwies auf Analysen der New York Times, nach denen die Terroranklage gegen Assange "auf das Herz des ersten Verfassungszusatzes zielt".
Eindrücklich schilderte Assanges Vater John Shipton die Lage seines Sohnes, dem es "nicht gut" gehe. Julian Assange sei 22 Stunden in seiner Zelle gefangen und habe kaum Kontakte nach außen. "Das alles verstößt gegen alle geltenden internationalen Abkommen, etwa gegen willkürliche Inhaftierung", so Shipton, der auch die Schlussworte an den vollen Anhörungssaal im Bundestagsgebäude an der Spree richtete. "Unsere große Aufgabe ist es, Julian zu befreien und Europa gegen ein Imperium zu einen, das alles tut, um sich selbst auf Kosten anderer zu retten". Seine letzten Worte wurden persönlich. Er wünsche sich Freiheit für seinen Sohn, um dessen Leben er fürchte: "Ich möchte, dass Julian wieder mit seinen Kindern und seiner Familie zusammenkommt, um mit ihnen zu scherzen, so wie er es noch vor ein paar Jahren getan hat."“
https://www.heise.de/tp/features/Erst-die-Whistleblower-dann-der-Journalismus-4599967.html
https://www.youtube.com/watch?v=1-ig55rbaSY
Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm