Entdecker - Händler - Militär

Mit dem Morgengrauen – es ist Dienstag, der 20. September 1519, und es wird ein Datum der Weltgeschichte sein – klirren die Anker empor, die Segel flattern, die Geschütze donnern hinüber zum entschwindenden Land: die weiteste Entdeckungsfahrt, das kühnste Abenteuer in der Geschichte der Menschheit hat begonnen.“

Vor 500 Jahren begann die erste Weltumsegelung. Nach einer abenteuerlichen Fahrt kehrte mit Ach und Krach knapp 3 Jahre später eines von ursprünglich 5 Schiffen zurück.

Weniger als die Geschichte selbst interessiert den Wurm die Vorgeschichte, die zu diesem Abenteuer führte.

 

Sofern nicht anders angegeben, stammen die angegebenen Zitate aus dem Buch „Magellan - Der Mann und seine Tat“ von Stefan Zweig, das auch online im „Projekt Gutenberg“ gelesen werden kann: https://gutenberg.spiegel.de/buch/magellan-6864/1

 

Arroganz der späten Geburt

 

Die meisten Menschen sind für sich selbst das Maß aller Dinge. Alle Errungenschaften geistiger oder technischer Art halten sie für selbstverständlich. Diese Geschichtslosen interessiert nicht im Mindesten, welche Anstrengungen ihre Vorgänger machen mussten, damit die Menschen der Gegenwart ein besseres Leben führen können.

Kurz erfasst diese Arroganz Stefan Zweig, der 1936 von England nach Brasilien mit dem Schiff fährt:

Es bedurfte vielleicht nur dieser einen Sekunde, in der ich selbst meines ungeduldigen Zustands bewußt wurde, und schon schämte ich mich. Da reist du, sagte ich mir zornig, in dem denkbar sichersten aller Schiffe auf der denkbar schönsten Fahrt, und aller Luxus des Lebens steht dir zu Gebote. Ist dir abends zu kühl in deiner Kajüte, so brauchst du nur mit zwei Fingern einen Hahn zu drehen, und die Luft ist gewärmt. Du findest das Mittagslicht des Äquators zu heiß; sieh, nur einen Schritt hast du in den Raum mit den kühlenden Ventilatoren und zehn Schritte weiter steht ein Schwimmbad dir bereit. Bei Tisch kannst du jede Speise und jedes Getränk auf diesem vollkommensten aller Hotels dir wählen, alles ist zauberisch da, wie von Engeln hergetragen und im Überfluß. Du kannst allein sein und Bücher lesen oder hast Bordspiele und Musik und Geselligkeit, so viel du begehrst. Alle Bequemlichkeit ist dir gegeben und alle Sicherheit. Du weißt, wohin du fährst, weißt auf die Stunde genau, wann du ankommst, und weißt, daß du freundlichst erwartet bist. Und ebenso weiß man in London, in Paris, in Buenos Aires und New York in jeder Stunde, an welchem Punkte des Weltalls das Schiff sich eben befindet. Und nur eine kleine Treppe hinauf mußt du zwanzig rasche Schritte gehen, und ein gehorsamer Funke springt vom Apparat der drahtlosen Telegraphie weg und trägt deine Frage, deinen Gruß an jeden Ort der Erde, und in einer Stunde hast du von überall auf Erden Botschaft zurück. Erinnere dich, du Ungeduldiger, erinnere dich, du Ungenügsamer, wie dies vordem war! Vergleiche doch einen Augenblick diese Fahrt mit jenen von einst, vor allem mit den ersten Fahrten jener Verwegenen, welche diese riesigen Meere, welche die Welt erst für uns entdeckten, und schäme dich vor ihnen! Versuche es dir vorzustellen, wie sie damals auf ihren winzigen Fischerkuttern ausfuhren ins Unbekannte, unkund des Weges, ganz im Unendlichen verloren, ununterbrochen ausgesetzt der Gefahr, preisgegeben jeder Unbill des Wetters, jeder Qual der Entbehrung. Kein Licht des Nachts, kein Trank als das brackige und laue Wasser der Fässer und das aufgefangene des Regens, keine andere Speise als den verkrusteten Zwieback und den gepökelten ranzigen Speck und selbst dies Kärglichste der Nahrung oft durch Tage und Tage entbehrend. Kein Bett und kein Raum des Rastens, teuflisch die Hitze, erbarmungslos die Kälte und dazu das Bewußtsein, allein zu sein, rettungslos allein, in dieser unbarmherzigen Wüste des Wassers. Niemand daheim wußte monatelang, jahrelang, wo sie waren, und sie selber nicht, wohin sie gingen. Not fuhr mit ihnen, Tod umstand sie in tausendfältigen Formen zu Wasser und zu Land, Gefahr erwartete sie von Mensch und Element, und monatelang, jahrelang, ewig umrundete sie auf ihren armen, erbärmlichen Schiffen die entsetzlichste Einsamkeit. Niemand, sie wußten es, konnte ihnen helfen, kein Segel, sie wußten es, würde ihnen durch Monate und Monate begegnen in diesen unbefahrenen Gewässern, niemand sie erretten können aus Not und Gefahr, niemand Bericht geben über ihren Tod, ihren Untergang. Und ich mußte nur anfangen, diese ersten Fahrten der Konquistadoren des Meeres mir innerlich auszudenken, und war schon tief beschämt über meine Ungeduld.

Dieses Gefühl der Beschämung, einmal erregt, wich nun während der ganzen Reise nicht mehr von mir, der Gedanke an diese namenlosen Helden gab mich keinen Augenblick frei. Es verlangte mich, mehr von jenen zu wissen, die als erste den Kampf gegen die Elemente wagten, zu lesen von jenen ersten Fahrten in die unerforschten Ozeane, deren Schilderung schon meine Knabenjahre erregt hatte. Ich ging in die Schiffsbibliothek und nahm mir auf gut Glück ein paar Bände. Und von allen Gestalten und Fahrten lernte ich eine am meisten bewundern, die Tat des Mannes, der meinem Empfinden nach das Großartigste geleistet in der Geschichte der Erderkundung, Ferdinand Magellan, er, der mit fünf winzigen Fischerkuttern von Sevilla ausfuhr, um die ganze Erde zu umrunden – die herrlichste Odyssee in der Geschichte der Menschheit vielleicht, diese Ausfahrt von zweihundertfünfundsechzig entschlossenen Männern, von denen dann einzig achtzehn heimkehrten auf zermorschtem Schiffe, aber die Flagge des größten Siegs gehißt auf dem Mast. Viel war in jenen Büchern über ihn nicht berichtet, jedenfalls mir nicht genug; so las und forschte ich, heimgekehrt, weiter, erstaunt, wie Weniges und wenig Verläßliches über diese heldenhafte Leistung bisher gesagt war. Und wie schon mehrmals erkannte ich es als die beste und fruchtbarste Möglichkeit, etwas mir selbst Unerklärbares für mich zu erklären, indem ich es auch für andere gestaltete und darstellte. So entstand dieses Buch – ich darf ehrlich sagen: zu meiner eigenen Überraschung. Denn ich hatte, indes ich diese andere Odysseusfahrt nach allen erreichbaren Dokumenten möglichst der Wirklichkeit getreu darstellte, ununterbrochen das merkwürdige Gefühl, etwas Erfundenes zu erzählen, einen der großen Wunschträume, eines der heiligen Märchen der Menschheit. Doch nichts Besseres als eine Wahrheit, die unwahrscheinlich wirkt! Immer haftet den großen Heldentaten der Menschheit, weil sie sich so hoch über das mittlere irdische Maß erheben, etwas Unbegreifliches an; aber immer gewinnt nur an dem Unglaubhaften, das sie geleistet, die Menschheit ihren Glauben an sich selbst zurück.

Der Name des Mannes, der die erste Umrundung der Erde unternahm, ist in nicht weniger als vier oder fünf verschiedenen Formen der Geschichte überliefert. In den portugiesischen Dokumenten erscheint der große Seefahrer manchmal als Fernão de Magalhais, manchmal als Fernão de Magelhaes, er selbst unterzeichnete später, nachdem er in spanische Dienste übergetreten war, Schriftstücke bald Maghallanes, bald Maghellanes, und die Kartographen latinisierten dann diese spanische Form in Magellanus. Als es galt, für dieses Buch eine einheitliche Namensgebung zu wählen, entschied ich mich für die lateinische und international längst geläufige Form: Magellan, aus Analogie zu Columbus, den wir gleichfalls nicht Christoforo Colombo oder Cristobal Colon nennen.“

 

Bedeutung von Gewürz

 

Im Anfang war das Gewürz. Seit die Römer bei ihren Fahrten und Kriegen zum erstenmal an den brennenden oder betäubenden, den beizenden oder berauschenden Ingredienzien des Morgenlandes Geschmack gefunden, kann und will das Abendland die »especeria«, die indischen Spezereien, in Küche und Keller nicht mehr missen. Denn unvorstellbar schal und kahl bleibt bis tief ins Mittelalter die nordische Kost. Noch lange wird es dauern, ehe die heute gebräuchlichsten Feldfrüchte wie Kartoffel, Mais und Tomate in Europa dauerndes Heimatsrecht finden, noch nützt man kaum die Zitrone zum Säuern, den Zucker zur Süßung, noch sind die feinen Tonika des Kaffees, des Tees nicht entdeckt; selbst bei Fürsten und Vornehmen täuscht stumpfe Vielfresserei über die geistlose Monotonie der Mahlzeiten hinweg. Aber wunderbar: bloß ein einziges Korn indischen Gewürzes, ein paar Stäubchen Pfeffer, eine trockene Muskatblüte, eine Messerspitze Ingwer oder Zimt dem gröbsten Gerichte zugemischt, und schon spürt der geschmeichelte Gaumen fremden und schmackhaft erregenden Reiz. Zwischen dem krassen Dur und Moll von Sauer und Süß, von Scharf und Schal schwingen mit einmal köstliche kulinarische Obertöne und Zwischentöne; sehr bald können die noch barbarischen Geschmacksnerven des Mittelalters an diesen neuen Incitantien nicht genug bekommen. Eine Speise gilt erst dann als richtig, wenn toll überpfeffert und kraß überbeizt; selbst ins Bier wirft man Ingwer, und den Wein hitzt man derart mit zerstoßenem Gewürz, bis jeder Schluck wie Schießpulver in der Kehle brennt. Aber nicht nur für die Küche allein benötigt das Abendland so gewaltige Mengen der »especeria«; auch die weibliche Eitelkeit fordert immer mehr von den Wohlgerüchen Arabiens und immer neue, den geilen Moschus, das schwüle Ambra, das süße Rosenöl, Weber und Färber müssen chinesische Seiden und indische Damaste für sie verarbeiten, Goldschmiede die weißen Perlen von Ceylon und die bläulichen Diamanten aus Narsingar ersteigern. Noch gewaltiger fördert die katholische Kirche den Verbrauch orientalischer Produkte, denn keines der Milliarden und Abermilliarden Weihrauchkörner, die in den tausend und abertausend Kirchen Europas der Mesner im Räucherfasse schwingt, ist auf europäischer Erde gewachsen; jedes einzelne dieser Milliarden und Abermilliarden muß zu Schiff und zu Lande den ganzen unübersehbaren Weg aus Arabien gefrachtet werden. Auch die Apotheker sind ständige Kunden der vielgerühmten indischen Specifica, als da sind Opium, Kampfer, das kostbare Gummiharz, und sie wissen aus guter Erfahrung, daß längst kein Balsam und keine Droge den Kranken wahrhaft heilkräftig scheinen will, wenn nicht auf dem porzellanenen Tiegel mit blauen Lettern das magische Wort »arabicum« oder »indicum« zu lesen ist. Unaufhaltsam hat durch seine Abseitigkeit, seine Rarität und Exotik und vielleicht auch durch seine Teuernis alles Orientalische für Europa einen suggestiven, einen hypnotischen Reiz gewonnen. Arabisch, persisch, hindostanisch, diese Attribute werden im Mittelalter (ähnlich wie im achtzehnten Jahrhundert die Ursprungsbezeichnung französisch) gleichbedeutend mit üppig, raffiniert, vornehm, höfisch, köstlich und kostbar. Kein Handelsartikel ist so begehrt wie die especeria; beinahe hat es den Anschein, als hätte der Duft dieser morgenländischen Blüten auf magische Weise die Seele Europas berauscht.

Aber gerade weil so modisch begehrt, bleibt die indische Ware teuer und wird immer teurer: kaum kann man die ständig steigenden Fieberkurven der Preise heute noch richtig nachrechnen, denn alle historischen Geldtabellen bleiben erfahrungsgemäß abstrakt; am ehesten gewinnt man noch eine optische Anschauung von der tollen Überwertung der Gewürze, wenn man sich erinnert, daß zu Anfang des zweiten Jahrtausends derselbe Pfeffer, der heute an jedem Wirtstisch offen steht und achtlos wie Sand verschüttet wird, Korn um Korn abgezählt wurde und im Gewicht fast gleichwertig dem Silber galt. So absolut war seine Wertbeständigkeit, daß manche Staaten und Städte mit Pfeffer kalkulierten wie mit einem Edelmetall: man konnte mit Pfeffer Grund und Boden erwerben, Mitgiften bezahlen, sich einkaufen ins Bürgerrecht; mit Pfeffergewicht setzten manche Fürsten und Städte ihre Zölle fest, und wenn man im Mittelalter einen Mann als schwerreich bezeichnen wollte, so schimpfte man ihn einen Pfeffersack. Auf Gold- und Apothekerwaagen wiederum wurden Ingwer und Zimt, Chinarinde und Kampfer ausgewogen und sorgfältig dabei Türen und Fenster verschlossen, damit nicht etwa ein Luftzug ein Quentchen des köstlichen Abfallstaubs verblase. Aber so absurd diese Überwertung unserem heutigen Blick erscheint, so selbstverständlich wird sie, sobald man die Schwierigkeiten und das Risiko des Transports in Rechnung zieht. Unermeßlich weit liegt in jenen Tagen das Morgenland vom Abendland, und welche Fährnisse und Hindernisse haben die Schiffe, die Karawanen und Wagen unterwegs zu überwinden! Welche Odyssee jedes einzelne Korn, jede einzelne Blüte zu bestehen, ehe sie von ihrem grünen Strauch am Malaiischen Archipel bis an den letzten Strand, an den Verkaufstisch des europäischen Krämers gelangt! An sich wäre freilich keines dieser Gewürze eine Seltenheit. Unten auf der andern Fläche des Erdballs wachsen zwar die Zimtstangen Tidores, die Gewürznelken Amboinas, die Muskatnüsse Bandas, die Pfefferstauden Malabars genau so üppig und frei wie bei uns die Disteln, und ein Zentner gilt auf den Malaiischen Inseln nicht mehr als im Abendland eine Messerspitze voll.“

 

Im Anfang war der Handel

 

Aber das Wort Handel kommt von Hand, und durch wie viele Hände muß die Ware wandern, ehe sie durch Wüsten und Meere an den letzten Käufer, den Verbraucher, gelangt! Die erste Hand wird wie immer am schlechtesten entlohnt; der malaiische Sklave, der die frischen Blüten pflückt und im bastenen Bündel auf seinem braunen Rücken zu Markte schleppt, bekommt keinen andern Lohn als den eigenen Schweiß. Aber sein Herr profitiert schon; von ihm kauft ein mohammedanischer Händler die Last und paddelt sie auf winziger Prau durch glühenden Sonnenbrand von den Gewürzinseln acht Tage, zehn Tage und mehr nach Malacca (in die Nähe des heutigen Singapore). Hier sitzt schon die erste Saugspinne im Netz; der Herr des Hafens, ein mächtiger Sultan, fordert für das Umladen vom Händler Tribut. Erst wenn die Abgabe entrichtet ist, darf die duftende Fracht auf eine andere, eine größere Dschunke verladen werden, und wieder schleicht, von breitem Ruder oder viereckigem Segel langsam vorwärtsgetrieben, das kleine Fahrzeug von einem Küstenplatz Indiens zum andern weiter. Monate gehen so dahin, eintöniges Segeln und endloses Warten bei Windstille unter wolkenlos brennendem Himmel, und dann wieder jähe Flucht vor den Taifunen und den Korsaren. Unendlich mühsam und auch unsagbar gefahrvoll ist diese Verfrachtung durch zwei, durch drei tropische Meere; von fünf Schiffen fällt fast immer eines unterwegs den Stürmen oder Piraten zum Opfer, und der Kaufherr segnet Gott, wenn er Cambagda glücklich umfahren, endlich Ormudz oder Aden erreicht hat und damit den Zugang zu Arabia felix oder Ägypten. Aber die neue Art der Verfrachtung, die hier anhebt, ist nicht minder entbehrungsvoll und nicht minder gefährlich. Zu Tausenden warten in langen, geduldigen Reihen in jenen Umschlagshäfen die Kamele, gehorsam beugen sie auf das Zeichen ihres Herrn sich in die Knie, Sack um Sack werden die verschnürten Bündel mit Pfeffer und Muskatblüten ihnen auf den Rücken geladen, und langsam schaukeln die vierbeinigen Schiffe ihre Fracht dann durch das Sandmeer. In monatelangem Zuge bringen arabische Karawanen die indische Ware – die Namen von Tausendundeine Nacht klingen auf – über Bassora und Bagdad und Damaskus nach Beyruth und Trebizonde oder über Dschidda nach Kairo; uralt sind diese langen Wanderstraßen durch die Wüste und seit den Jahren der Pharaonen und Bactrier schon den Händlern vertraut. Aber verhängnisvollerweise kennen sie die Beduinen, diese Piraten der Wüste, nicht minder genau; ein verwegener Überfall vernichtet oft mit einem Schlage die Fracht und Frucht unzähliger mühsamer Monate. Was dann glücklich den Sandstürmen entgeht und den Beduinen, kommt dafür andern Räubern zupaß: von jeder Kamelladung, von jedem Sack verlangen die Emire des Hedschas, die Sultane von Ägypten und Syrien Tribut, und zwar einen höchst ausgiebigen; auf hunderttausend Dukaten schätzt man, was jährlich allein nur der ägyptische Wegelagerer an Durchgangszoll vom Gewürzhandel erhob. Ist schließlich die Nilmündung nahe von Alexandria erreicht, so wartet dort noch ein allerletzter Nutznießer und nicht der geringste, die Flotte Venedigs. Seit der perfiden Vernichtung der Konkurrenzstadt Byzanz hat die kleine Republik das Monopol des abendländischen Gewürzhandels völlig an sich gerissen; statt direkt weiter verfrachtet zu werden, muß die Ware zuerst an den Rialto, wo die deutschen, die flandrischen, die englischen Faktoren sie ersteigern. Dann erst rollen in breiträdrigen Wagen durch Schnee und Eis der Alpenpässe dieselben Blüten, die tropische Sonne vor zwei Jahren geboren und gegoren, dem europäischen Krämer und damit dem Verbraucher zu.

Durch mindestens zwölf Hände, so schriftet es melancholisch Martin Behaim seinem Globus, seinem berühmten »Erdapfel« von 1492 ein, muß das indische Gewürz wucherisch wandern, ehe es an die letzte Hand, an den Verbraucher, gelangt. »Item ess ist zu wissen, dass die Spezerey die in den Insuln In Indien in Orienten in manicherley Hendt verkaufft wirdt, ehe sie herauss kumpt In unsere Landt.« Aber wenn auch zwölf Hände in den Gewinn sich teilen, so preßt doch jede einzelne genug goldenen Safts aus dem indischen Gewürz; trotz allen Risiken und Gefahren gilt der Spezereihandel als der weitaus einträglichste des Mittelalters, weil bei kleinstem Volumen der Ware mit der größten Marge an Gewinn verbunden. Mögen von fünf Schiffen – die Expedition Magellans beweist dieses Rechenexempel – vier mit ihrer Ladung zugrunde gehen, mögen zweihundert Menschen von zweihundertfünfundsechzig nicht wiederkehren, so haben zwar Matrosen und Kapitäne ihr Leben verloren, der Händler hat aber bei diesem Spiel noch immer gewonnen. Kehrt nur ein noch so kleines Schiff von den fünfen, gut mit Gewürz beladen, nach drei Jahren zurück, so macht die Ladung mit reichlichem Profit den Verlust wett, denn ein einziger Sack mit Pfeffer gilt im fünfzehnten Jahrhundert mehr als ein Menschenleben; kein Wunder, daß bei dem großen Angebot an wertlosen Menschenleben und der stürmischen Nachfrage nach wertvollem Gewürz die Rechnung immer wieder prächtig klappt. Die Paläste Venedigs und jene der Fugger und Welser sind fast einzig aus dem Gewinn an indischem Gewürz erbaut.“

 

Folgen von Export-Überschuss

 

Aber unvermeidlich wie Rost an Eisen setzt sich scharfer Neid an großen Gewinn. Immer wird jedes Vorrecht von den andern als Unrecht empfunden, und wo eine einzelne kleine Gruppe sich übermäßig bereichert, formt sich selbsttätig eine Koalition der Benachteiligten. Mit scheelen Augen sehen längst die Genuesen, die Franzosen, die Spanier auf das geschicktere Venedig, das den goldenen Golfstrom an den Canal grande zu leiten gewußt, und mit noch ärgerer Erbitterung starren sie nach Ägypten und Syrien, wo der Islam eine undurchdringliche Sperrkette zwischen Indien und Europa gelegt. Keinem christlichen Schiff ist die Fahrt auf dem Roten Meer gestattet, keinem christlichen Händler auch nur die Durchreise; unerbittlich geht aller Indienhandel ausschließlich durch türkische und arabische Händler und Hände. Damit wird aber nicht nur den europäischen Verbrauchern die Ware unnütz verteuert, nicht nur dem christlichen Handel der Gewinn von vorneweg abgemelkt, sondern es droht der ganze Überschuß an Edelmetall nach dem Oriente abzufließen, da die europäischen Waren bei weitem nicht den Tauschwert der indischen Kostbarkeit erreichen. Schon um dieses fühlbaren Handelsdefizits willen mußte die Ungeduld des Abendlands immer leidenschaftlicher werden, der ruinösen und entwürdigenden Kontrolle sich zu entziehen, und schließlich raffen sich die Energien zusammen. Die Kreuzzüge waren keineswegs (wie es oft romantisierend dargestellt wird) ein bloß mystisch religiöser Versuch, die Stätte des Heiligen Grabes den Ungläubigen zu entreißen; diese erste europäisch-christliche Koalition stellte zugleich die erste logische und zielbewußte Anstrengung dar, jene Sperrkette zum Roten Meer zu durchstoßen und den Osthandel für Europa, für das Christentum frei zu machen. Da dieser Stoß mißlang, da Ägypten nicht den Mohammedanern entrissen werden konnte und der Islam weiterhin den Weg nach Indien verlegte, mußte notwendigerweise der Wunsch wach werden, einen andern, einen freien, einen unabhängigen Weg nach Indien zu finden. Die Kühnheit, die Columbus nach Westen, die Bartolomeu Diaz und Vasco da Gama nach Süden, die Cabot nach Norden gegen Labrador vorstoßen ließ, entsprang in erster Linie dem zielbewußten Willen, endlich, endlich für die abendländische Welt einen freien, einen unbezollten und ungehinderten Seeweg nach Indien zu entdecken und damit die schmachvolle Vormachtstellung des Islams zu brechen. Immer ist bei entscheidenden Erfindungen und Entdeckungen ein geistiger, ein moralischer Antrieb die eigentlich beflügelnde Macht, meist aber wird der endgültige Abstoß ins Irdische dann von materiellen Impulsen gegeben. Gewiß hätten auch um der kühnen Idee willen die Könige und ihre Räte an Columbus' und Magellans Vorschlägen sich begeistert; nie aber wäre das nötige Geld gewagt worden an ihr Projekt, nie von Fürsten und Spekulanten ihnen tatsächlich eine Flotte ausgerüstet worden ohne die gleichzeitige Aussicht, bei dieser Entdeckungsfahrt den aufgewendeten Betrag tausendfach zu verzinsen. Hinter den Helden jenes Zeitalters der Entdeckungen standen als treibende Kräfte die Händler; auch dieser erste heroische Impuls zur Welteroberung ging aus von sehr irdischen Kräften – im Anfang war das Gewürz.“

 

Heinrich und weitere Seefahrer

 

Wunderbar immer im Lauf der Geschichte, wenn sich der Genius eines Menschen dem Genius der Stunde bindet, wenn ein einzelner Mann hellsichtig die schöpferische Sehnsucht seiner Zeit begreift. Unter den Ländern Europas hat eines bisher seinen Teil an der europäischen Aufgabe noch nicht erfüllen können, Portugal, das in langwierigen heroischen Kämpfen sich der maurischen Herrschaft entrungen. Nun aber Sieg und Selbständigkeit endgültig erfochten sind, liegt die prachtvolle Kraft eines jungen und leidenschaftlichen Volkes völlig brach; der natürliche Expansionswille, der jeder aufsteigenden Nation innewohnt, findet zunächst keinen Ausstoß mehr. Mit seinen ganzen Landesgrenzen liegt Portugal an Spanien gelehnt, an eine befreundete, eine brüderliche Nation; so könnte einzig zur See, durch Handel und Kolonisation das kleine und arme Land sich erweitern. Aber verhängnisvollerweise ist – oder scheint zunächst – die geographische Lage Portugals die ungünstigste unter allen seefahrenden Nationen Europas. Denn der Atlantische Ozean, der seine Wellen von Westen her gegen seine Küsten wirft, gilt nach der ptolemäischen Geographie (der einzigen Autorität des Mittelalters) als endlose und undurchfahrbare Wasserwüste. Als nicht minder ungangbar erklären die ptolemäischen Weltkarten den Südweg, die afrikanische Küste entlang: unmöglich sei es, diese Sandwüste zu Schiff zu umfahren, denn dieses unwirtliche und unbewohnbare Land reiche bis zum antarktischen Pol und sei, ohne Durchlaß zu gewähren, mit der terra australis verwachsen. Nach der Ansicht der alten Geographie hätte Portugal, weil außerhalb des einzig fahrbaren Meers, des Mittelmeers, gelegen, die denkbar schlechteste Position unter den seefahrenden Nationen Europas.

Es wird nun der Lebensgedanke eines portugiesischen Fürstensohns sein, dies angeblich Unmögliche möglich zu machen und den Versuch zu wagen, ob nicht doch gemäß dem Bibelwort die letzten die ersten werden könnten. Wie, wenn Ptolemäus, dieser geographus maximus, dieser Papst der Erdkunde, sich geirrt hätte? Wie, wenn dieser Ozean, der mit seinen gewaltigen Wellen von Westen her manchmal merkwürdige fremde Hölzer (die doch irgendwo gewachsen sein müssen) an Portugals Küsten wirft, gar nicht endlos wäre, sondern zu neuen und unbekannten Ländern führte? Wie, wenn Afrika bewohnbar wäre jenseits des Wendekreises, wie, wenn der allweise Grieche grob geflunkert hätte mit seiner Behauptung, dieser unerforschte Kontinent sei zu Meer nicht zu umfahren und kein Weg führe hinüber in die indische See? Dann wäre Portugal, gerade weil am weitesten gegen Westen gelegen, das wahre Sprungbrett aller Entdeckungen, es hätte den nächsten Weg von allen nach Indien. Nicht verstoßen wäre es vom Ozean, sondern wie kein anderes Land Europas zur Seefahrt berufen. Dieser Wunschtraum, das kleine machtlose Portugal zur nautischen Vormacht zu erheben und den bisher nur als Sperre betrachteten Atlantischen Ozean in eine Straße zu verwandeln, ist in nuce der Lebensgedanke des »Iffante« Enrique gewesen, den die Geschichte zu Recht und zu Unrecht Heinrich den Seefahrer nennt. Zu Unrecht: denn abgesehen von einer kurzen Kriegsfahrt nach Ceuta hat Enrique niemals ein Schiff bestiegen, es gibt kein Buch, keinen nautischen Traktat, keine Karte von seiner Hand. Aber doch darf die Geschichte ihm diesen Namen Rechtens zuerkennen, denn Seefahrt und Seefahrern allein hat dieser Fürstensohn sein Leben und sein Vermögen gewidmet. Früh im maurischen Kriege bewährt bei der Belagerung von Ceuta (1412), zugleich einer der reichsten Männer des Landes, könnte dieser Sohn eines portugiesischen und Neffe eines englischen Königs seinen Ehrgeiz in den blendendsten Stellungen auswirken; alle Höfe laden ihn zu sich, England bietet ihm ein Oberkommando. Aber dieser sonderbare Schwärmer erwählt als Form seines Lebens die schöpferische Einsamkeit. Er zieht sich zurück nach Kap Sagres, das einstmals heilige (sacrum) Vorgebirge der Alten. Von dort bereitet er in beinahe fünfzig Jahren die Seefahrt nach Indien und damit die große Offensive gegen das »mare incognitum« vor.

Was diesem einsam-verwegenen Träumer den Mut gegeben hat, gegen die höchsten kosmographischen Autoritäten seiner Zeit, gegen Ptolemäus und seine Nachsprecher und Nachzeichner, die Überzeugung zu verfechten, Afrika sei kein dem Pol angefrorener Kontinent, sondern umschiffbar und der wahre Seeweg nach Indien – dieses letzte Geheimnis wird kaum mehr zu ergründen sein. Aber niemals war das (auch von Herodot und Strabo verzeichnete) Gerücht völlig verstummt, daß in den dunklen Tagen der Pharaonen einmal eine phönikische Flotte das Rote Meer hinabgefahren sei und nach zwei Jahren unvermuteterweise durch die Säulen des Herkules (die Enge von Gibraltar) heimgekehrt. Vielleicht hatte der Iffante auch durch maurische Sklavenhändler Kunde gehabt, daß jenseits der Libya deserta, der sandigen Sahara, ein »Land des Reichtums«, »bilat ghana«, liege, und tatsächlich findet sich schon auf einer Karte, die 1150 ein arabischer Kosmograph für den Normannenkönig Roger II. angefertigt, das heutige Guinea unter diesem Namen »bilat ghana« völlig richtig eingezeichnet. Es mag also sein, daß Enrique durch guten Kundschafterdienst besser über die wirkliche Form Afrikas unterrichtet war als die Schulgeographen, die einzig auf die Codices des Ptolemäus ihre Hand zum Eidschwur legten und zunächst auch die Berichte des Marco Polo und Ibn Battuta als falsches Geflunker ablehnten. Die eigentliche moralische Bedeutung Enriques aber liegt darin, daß er zugleich mit der Größe des Ziels auch die Größe der Schwierigkeit erkannte, daß er in edler Resignation begriff, er selbst werde seinen Traum niemals erfüllt sehen, weil eben mehr als ein einziges Menschenalter zur Vorbereitung eines so ungeheuren Unterfangens notwendig sei. Denn wie damals Seefahrt von Portugal nach Indien wagen ohne Kenntnis der See und ohne Schiffe zur Fahrt? Unvorstellbar primitiv sind zur Zeit, da Enrique an sein Werk geht, die geographischen, die nautischen Kenntnisse Europas. In den grauenhaften Jahrhunderten der Verdüsterung, die dem Einsturz des Römischen Reichs folgten, hatte das Mittelalter beinahe alles vergessen, was die Griechen, die Phönizier, die Römer auf ihren kühnen Fahrten erkundet. Unglaubhaft wie ein Märchen war es für jene Jahrhunderte der räumlichen Selbstbeschränkung geworden, daß ein Alexander längst bis an die Grenzen Afghanistans und tief hinab bis nach Indien vorgedrungen war, verloren sind die trefflichen Karten, die Weltbilder der Römer, verfallen ihre Heerstraßen, ihre Meilensteine, die bis tief nach Britannien und Bithynien reichten, vernichtet ihr vorbildlicher politischer und geographischer Nachrichtendienst; verlernt ist die Fähigkeit des Reisens, erstorben die Lust des Entdeckens, armselig geworden die Kunst der Schiffahrt; ohne jedes weite, jedes kühne Ziel, ohne richtigen Kompaß und klare Karten schleichen in ängstlicher Küstenfahrt kleine Fahrzeuge von Hafen zu Hafen, immer in Sorgnis vor Stürmen oder den ebenso gefährlichen Piraten. Bei einem solchen Tiefstand der Kosmographie und mit solch kläglichen Schiffen war es noch zu früh, die Ozeane der Erde zu bezwingen und überseeische Reiche zu erobern. Ein Menschenalter der Aufopferung mußte erst nachholen, was Jahrhunderte der Gleichgültigkeit versäumt hatten. Und Enrique – dies seine Größe – war entschlossen, sein Leben zu opfern für die zukünftige Tat.

Nur ein paar verfallene Mauern stehen noch von dem einstigen Schlosse von Kap Sagres, das Prinz Enrique erbaut und das ein höchst undankbarer Erbe seiner Wissenschaft, Francis Drake, geplündert und zerstört hat. Durch die Schatten und Schleier der Legende ist es heute kaum mehr möglich, in den Einzelheiten zu erkennen, in welcher Weise Prinz Heinrich den Welteroberungsplänen Portugals vorgearbeitet hat. Nach den (vielleicht romantischen ) Berichten seiner heimischen Chronisten ließ er sich sämtliche Bücher und Mappen aus allen Weltteilen kommen, berief arabische und jüdische Gelehrte und befahl ihnen, bessere Instrumente und Tabulaturen anzufertigen. Jeder Schiffer, jeder Kapitän, der von einer Reise kam, wurde ausgefragt, alle diese Mitteilungen und Kenntnisse wurden sorgsam in einem Geheimarchiv gesammelt und gleichzeitig eine Reihe von Expeditionen ausgerüstet. Unermüdlich wird die Kunst des Schiffbaus gefördert; in wenigen Jahren erwachsen aus den ursprünglichen »barcas«, diesen kleinen offenen Fischerbooten mit achtzehn Mann Besatzung, wirkliche »naos«, breite Kutter von achtzig und hundert Tonnen, die auch bei schwierigem Wetter im offenen Meere fahren können. Dieser neue, seetüchtige Typus des Schiffs bedingte wiederum einen neuen Typus des Seefahrers. Dem Steuermann gesellt sich ein »Meister der Astrologie« bei, der nautische Fachmann, der Portolane zu lesen, die Deklination zu bestimmen und die Meridiane einzuzeichnen weiß; Theoretik und Praktik greifen schöpferisch ineinander, und allmählich wird auf diesen Expeditionen aus bloßen Fischern und Schiffern ein Geschlecht von Seefahrern und Entdeckern systematisch herangebildet, dessen Taten der Zukunft vorbehalten sind. Wie Philipp von Mazedonien seinem Sohn Alexander die unwiderstehliche Phalanx zur Eroberung der Welt, so hinterläßt Enrique seinem Portugal die besten, die modernsten Schiffe seiner Zeit und die trefflichsten Seeleute zur Eroberung des Ozeans.

Aber es gehört zum tragischen Schicksal der Vorläufer, daß sie an der Schwelle sterben, ohne selbst das gelobte Land zu schauen. Enrique hat keine einzige der großen Entdeckungen erlebt, die sein Vaterland in der Geschichte der Weltentdeckung unsterblich machten; in seinem Todesjahr (1460) ist im äußern, im geographischen Raum kaum etwas Wahrnehmbares erreicht. Die vielgerühmte Entdeckung der Azoren und Madeiras war in Wirklichkeit nur eine Wiederentdeckung (schon 1351 verzeichnet sie der Portolano Laurentino). An der Westküste sind seine Schiffe nicht einmal bis zum Äquator hinabgelangt, ein kleiner, nicht sehr ruhmreicher Handel hat begonnen mit weißem und hauptsächlich mit »schwarzem Elfenbein«: das heißt, man raubt an der Senegalküste massenhaft Neger, um sie auf dem Sklavenmarkt in Lissabon zu verkaufen, und findet etwas Goldstaub – dieser kleine unzulängliche Anfang ist alles, was Enrique von seinem geträumten Werke gesehen. In Wahrheit ist der entscheidende Erfolg aber schon errungen. Denn nicht in der erreichten Distanz liegt damals der erste Triumph der portugiesischen Seefahrt, sondern in der moralischen Sphäre: in der Steigerung der Unternehmungslust und in der Vernichtung einer gefährlichen Legende. Jahrhunderte – und jahrhundertelang hatten die Seeleute gemunkelt, hinter dem Kap Non – zu deutsch: dem Kap Nichtweiter – sei Seefahrt unmöglich. Dahinter beginne sogleich »die grüne See der Dunkelheit«, und wehe dem Schiff, das sich in diese tödlichen Zonen wage. Von der Glut der Sonne siede und koche in jenen Wendekreisen das Meer. Sofort gerieten die Planken und Segel in Brand, jeder Christenmensch, der versuche, das »Land Satans« zu betreten, das wüst sei wie eine Kraterlandschaft, würde sofort zum Neger. So unüberwindlich war durch solche Fabeln diese Angst vor einer Südfahrt geworden, daß der Papst, um Enrique nur überhaupt Seeleute für seine ersten Expeditionen zu verschaffen, jedem Teilnehmer vollen Sündenablaß zusichern mußte; dann erst gelang es, ein paar Verwegene für diese ersten Entdeckungsfahrten anzuwerben. Welcher Jubel darum, als Gil Eannes 1434 dies angeblich unüberwindliche Kap Non umsteuert und von Guinea melden kann, daß der hochberühmte Ptolemäus als arger Fasler entlarvt sei, »denn es geht hier so leicht zu segeln wie bei uns zu Hause und das Land ist äußerst reich und schön«. Damit ist der tote Punkt überwunden. Nun braucht Portugal nach Mannschaft nicht mehr zu fahnden, aus allen Ländern melden sich Abenteurer und Abenteuerlustige. Jede neue geglückte Fahrt macht die Seefahrer verwegener, plötzlich ist eine Generation von jungen Menschen zur Stelle, denen das Abenteuer mehr gilt als das Leben. »Navigare necesse est, vivere non est necesse« – der alte Seemannsspruch hat wieder Gewalt bekommen über die Seelen. Und wo immer eine neue Generation geschlossen und entschlossen am Werke ist, verwandelt sich die Welt.“

 

Erste Seenation der Welt

 

Nur den Augenblick des letzten Atemholens vor dem großen Sprung bedeutet darum der Tod Enriques. Aber kaum hat der energische König João II. den Thron bestiegen, so setzt ein Anschwung ein, der alle Erwartungen übertrifft. Was bisher ärmlicher Schneckengang gewesen, wird mit einmal Sturmlauf und Löwensprung. Während man es gestern noch als grandiose Leistung verzeichnete, wenn innerhalb von zwölf Jahren die wenigen Meilen bis Kap Bojador ersegelt wurden und man nach abermals zwölf Jahren langsamen Vordringens glücklich Kap Verde erreicht hatte, bedeutet nun ein Vorstoß von hundert, von fünfhundert Meilen nichts Ungewöhnliches mehr. Vielleicht nur unsere Generation, welche die Eroberung der Luft miterlebt, wir, die wir ebenso im Anfang schon gejubelt, wenn nur drei, nur fünf, nur zehn Kilometer vom Champ de Mars ein Aeroplan in der Luft sich halten konnte, und die ein Jahrzehnt später schon Kontinente und Ozeane überflogen sahen, nur wir vielleicht können den glühenden Anteil, den erregten Jubel ganz begreifen, mit dem ganz Europa den plötzlichen Vorstoß Portugals ins Unbekannte begleitete. 1471 ist der Äquator erreicht, 1484 landet Diego Cam bereits an der Mündung des Kongo, und endlich 1486 erfüllt sich der prophetische Traum Enriques: der portugiesische Seefahrer Bartolomeu Diaz erreicht die Südspitze Afrikas, das Kap der Guten Hoffnung, das er freilich um der Stürme willen, denen er dort begegnet, zunächst noch Cabo tormentoso, das stürmische Vorgebirge, tauft. Aber wenn ihm auch das Wetter die Segel zerfetzt und den Mast zerspellt, der kühne Konquistador steuert entschlossen weiter. Schon ist er an die Ostküste Afrikas gelangt, und von hier könnten ihn mohammedanische Piloten leichthin nach Indien weiterbringen – da meutert die Mannschaft: genug sei für diesmal erreicht. Verwundeten Herzens muß Bartolomeu Diaz zurück, durch fremde Schuld den Ruhm verlierend, als erster Europäer den Seeweg nach Indien bezwungen zu haben, und ein anderer Portugiese, Vasco da Gama, wird um dieser Heldentat willen in Camoens' unsterblichem Gedicht gefeiert werden; wie immer bleibt der Beginner, der tragische Initiator, vergessen über dem glücklicheren Vollender. Immerhin: die entscheidende Tat ist getan. Zum erstenmal ist die geographische Gestalt Afrikas endgültig bestimmt, zum erstenmal gegen Ptolemäus bewiesen und erwiesen, daß der freie Seeweg nach Indien möglich sei. Den Lebenstraum Enriques haben seine Schüler und Erben ein Lebensalter nach ihrem Meister erfüllt.

Mit Staunen und Neid wendet die Welt jetzt ihren Blick diesem kleinen unbeachteten Seevolk im letzten Winkel Europas zu. Während sie, die Großmächte Frankreich, Deutschland, Italien, in unsinnigen Kriegen einander zerfleischten, hat Portugal, dieses Aschenbrödel Europas, seinen Lebensraum um das Tausendfache und Zehntausendfache erweitert; keine Anstrengung kann seinen unermeßlichen Vorsprung mehr einholen. Über Nacht ist Portugal die erste Seenation der Welt geworden, es hat sich durch seine Leistung nicht nur neue Provinzen, sondern ganze Welten gesichert. Ein Jahrzehnt noch und diese kleinste unter Europas Nationen wird den Anspruch erheben, mehr Weltraum zu besitzen und zu verwalten als das Römische Reich selbst zur Zeit seiner größten Ausbreitung.

Selbstverständlich muß ein derart übersteigerter imperialistischer Anspruch bei dem Versuch seiner Durchsetzung sehr bald die Kräfte Portugals erschöpfen. Jedes Kind könnte errechnen, daß ein so winziges Land, das im ganzen nicht mehr als anderthalb Millionen Einwohner zählt, auf die Dauer nicht allein ganz Afrika, Indien und Brasilien besetzen, kolonisieren, verwalten oder auch nur handelsmäßig monopolisieren kann und am allerwenigsten für ewige Zeiten gegen die Eifersucht der andern Nationen verteidigen. Ein einziger Öltropfen kann nicht ein aufgeregtes Meer glätten, ein stecknadelgroßes Land nicht hunderttausendfach größere Länder endgültig unterwerfen. Von der Vernunft aus gesehen, stellt also die schrankenlose Expansion Portugals eine Absurdität dar, eine Don Quichotterie gefährlichster Art. Aber immer ist ja das Heldische irrational und antirational, immer, wo ein Mensch oder ein Volk sich an eine Aufgabe wagt, die sein eigentliches Maß übersteigt, steigern sich auch seine Kräfte zu nie geahnter Stärke: nie vielleicht hat sich eine Nation großartiger in einen einzigen sieghaften Augenblick zusammengefaßt als Portugal um die Wende des fünfzehnten Jahrhunderts: nicht nur seinen Alexander, seine Argonauten schafft sich das Land plötzlich in Albuquerque, Vasco da Gama und Magellan, sondern auch in Camoens seinen Homer, in Barros seinen Livius. Gelehrte, Baumeister, große Kaufleute sind über Nacht zur Stelle: wie Griechenland unter Perikles, England unter Elisabeth, Frankreich unter Napoleon, verwirklicht in universaler Form ein Volk seine innerste Idee und stellt sie als sichtbare Tat vor die Welt. Eine unvergeßliche Weltstunde lang ist Portugal die erste Nation Europas, die Führerin der Menschheit gewesen.

Aber jede große Tat eines einzelnen Volks ist immer für alle Völker getan. Alle spüren sie, daß dieser eine erste Einbruch ins Unbekannte zugleich alle bisher gültigen Maße, Begriffe, Distanzgefühle umgestoßen hat, und mit pochender Ungeduld verfolgt man darum an allen Höfen, an allen Universitäten die neuesten Nachrichten aus Lissabon. Dank einer merkwürdigen Hellsichtigkeit begreift Europa das Schöpferische dieser welterweiternden portugiesischen Tat; es begreift, daß Seefahrt und Entdeckung bald entscheidender die Welt verändern werden als alle Kriege und Kartaunen, daß eine hundertjährige, eine tausendjährige Epoche, das Mittelalter, endgültig zu Ende ist und eine neue Zeit, die »Neuzeit«, beginnt, die in andern räumlichen Dimensionen denken und schaffen wird. Feierlich erhebt im Vollgefühl solchen historischen Augenblicks der Florentiner Humanist Politian als Sachwalter der friedlichen Vernunft die Stimme zum Ruhme Portugals, und der Dank des ganzen kultivierten Europa schwingt mit in seinen begeisterten Worten: »Nicht nur die Säulen des Herkules hat es hinter sich gelassen und einen wütigen Ozean bezähmt, sondern die bislang unterbundene Einheit der bewohnbaren Welt wiederhergestellt. Was für neue Möglichkeiten und wirtschaftliche Vorteile, welche Erhöhung des Wissens, welche Bestätigungen der alten Wissenschaft, die bisher als unglaubhaft verworfen wurden, dürfen wir noch erwarten! Neue Länder, neue Meere, neue Welten (alii mundi) sind aus jahrhundertelangem Dunkel aufgetaucht. Portugal ist heute der Hüter, der Wächter einer zweiten Welt.«“

 

Spanien „entdeckt“ Amerika

 

Ein verblüffender Zwischenfall unterbricht diesen grandiosen Vorstoß Portugals nach dem Osten. Schon scheint die »zweite Welt« erreicht, schon scheinen Krone und alle Schätze Indiens dem König João gesichert, denn nach der Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung kann Portugal niemand mehr zuvorkommen, und niemand unter den Mächten Europas darf sogar auf diesem langgesicherten Wege ihm noch nachfolgen. Denn bereits Enrique der Seefahrer hatte sich vorsichtigerweise vom Papst verbriefen lassen, daß alle Länder, Meere und Inseln, welche hinter dem Vorgebirge Bojador entdeckt würden, einzig und allein den Portugiesen zugehören sollten, und drei andere Päpste hatten diese sonderbare »Schenkung« bekräftigt, welche mit einem Griff und Federstrich den ganzen noch unbekannten Orient mit Millionen Einwohnern dem Hause Viseu als rechtmäßiges Krongut Übermacht. Portugal und Portugal allein sind also alle neuen Welten zugeschworen. Mit solchen unantastbaren Sicherheiten in Händen hat man im allgemeinen für unsichere Geschäfte nicht viel Neigung, und deswegen war es keineswegs so einfältig und wunderlich, wie es meist die Geschichtsschreiber a posteriori darstellen, wenn der beatus possidens, wenn König João II. dem etwas konfusen Projekt eines unbekannten Genuesen wenig Interesse entgegenbrachte, der emphatisch eine ganze Flotte forderte, »para buscar el levante por el ponente«, um Indien von Westen her zu erreichen. Man hört zwar Messer Christoforo Colombo im Schloß von Lissabon freundlich an, man sagt ihm keineswegs ein grobes Nein. Aber man erinnert sich allzu gut, daß bisher alle Expeditionen nach den sagenhaften Inseln Antilha und Brazil, die westwärts zwischen Europa und Indien liegen sollen, kläglich gescheitert sind. Und überdies: wozu sichere portugiesische Dukaten wagen für einen höchst unsichern Weg nach Indien, da man doch nach jahrelanger Mühe eben den rechten gefunden hat und auf dem Tejo die Schiffswerften bereits Tag und Nacht an der großen Flotte arbeiten, die geradewegs um das Kap bis nach Indien fahren soll?

Wie ein Steinschlag durch das Fenster klirrt darum die brüske Nachricht in den Palast von Lissabon, jener großsprecherische genuesische Abenteurer habe unter spanischer Flagge den Oceano tenebroso wirklich durchsteuert und sei in knappen fünf Wochen auf Land im Westen gestoßen. Ein Wunder hat sich ereignet. Erfüllt ist über Nacht die mystische Prophezeiung aus Senecas »Medea«, die seit Jahren und Jahren schon die Gemüter der Weltfahrer erregte:

»venient annis

saecula seris, quibus Oceanus

vincula rerum laxet et ingens

pateat tellus, Typhisque novos

detegat orbes, nee sit terris

Ultima Thula.«

Wahrlich, sie scheinen gekommen, »die Tage, da nach Jahrhunderten der Ozean sein Geheimnis auftut und ein unbekanntes Land erscheint, da der argonautische Pilot neue Welten entdeckt und Thule nicht mehr das fernste Land unserer Erde ist«. Zwar Columbus, der neue »argonautische Pilot«, ahnt nicht, daß er einen neuen Weltteil entdeckt hat. Bis zu seinem Lebensende hat dieser hartnäckige Phantast sich unbelehrbar in den Wahn vermauert, er habe bereits das Festland Asiens erreicht und könne, von seinem »Hispaniola« westwärts steuernd, in wenigen Tagesreisen an der Mündung des Ganges landen. Gerade dies aber ist Portugals tödliche Angst. Denn was hilft Portugal der Papstbrief, der ihm für die Ostfahrt alle Länder zusagt, wenn Spanien ihm auf dem kürzeren Westwege gerade vor dem Endsprunge zuvorkommt und Indien in letzter Minute noch vorwegnimmt? Damit wäre die fünfzigjährige Lebensarbeit Enriques, die vierzigjährige Mühe seit seinem Tode sinnlos geworden, Indien für Portugal verloren durch den tollkühnen Abenteurerstreich des unseligen Genuesen. Will Portugal seinen Vorrang und sein Vorrecht auf Indien weiter behaupten, so bleibt ihm keine andere Wahl, als die Waffen zu ergreifen gegen den plötzlich eingedrungenen Rivalen.

Glücklicherweise beseitigt der Papst die drohende Gefahr. Portugal und Spanien sind die Lieblingskinder seines Herzens, weil die einzigen Nationen, deren Könige sich niemals störrisch seiner geistlichen Autorität widersetzten. Sie haben die Mauren bekämpft und die Ungläubigen vertrieben, mit Feuer und Schwert rotten sie jede Ketzerei aus in dem Lande, nirgends findet gegen Mauren, Maranen und Juden die päpstliche Inquisition so bereite Helferschaft. Nein, seine Lieblingskinder sollen sich nicht entzweien, beschließt der Papst, und darum geht er daran, alle noch unbekannten Sphären der Welt zwischen Spanien und Portugal einfach aufzuteilen, und zwar aufzuteilen, nicht wie man in unserer modernen diplomatischen Heuchelsprache sagt, als »Interessensphären«, sondern der Papst schenkt klar und redlich diesen beiden Völkern alle die Völkerschaften, Länder, Inseln und Meere kraft seiner Autorität als Statthalter Christi. Wie einen Apfel nimmt er die Erdkugel und teilt sie statt mit einem Messer durch die Bulle vom 4. Mai 1493 in zwei Hälften. Die Schnittlinie setzt ein hundert leguas (ein altes Meilenmaß) von den Kap Verde-Inseln. Was auf der Erdkugel fortan an unentdeckten Ländern westlich dieser Linie liegt, soll seinem lieben Kinde Spanien, was östlich liegt, seinem lieben Kinde Portugal gehören. Zunächst erklären sich die beiden Kinder dankbar einverstanden mit dem schönen Geschenk. Aber bald fühlt sich Portugal doch beunruhigt und ersucht, die Grenzlinie möge noch ein wenig nach Westen verschoben werden. Dies geschieht im Vertrage von Tordesillas am 7. Juni 1494, der die Grenzlinie um zweihundertsiebzig leguas weiter nach Westen legt (wodurch Portugal späterhin tatsächlich das damals noch gar nicht entdeckte Brasilien zufallen wird).

So grotesk auf den ersten Blick eine Generosität auch anmuten mag, welche beinahe die ganze Welt mit einem einzigen Federstrich an zwei einzelne Nationen ohne Rücksicht auf die andern verschenkt – man muß doch diese friedliche Lösung als einen der seltenen Vernunftakte der Geschichte bewundern, wo ein Konflikt statt durch Gewalt vermittels friedlicher Einigung ausgetragen wurde. Für Jahre und Jahrzehnte ist jeder Kolonialkrieg zwischen Spanien und Portugal durch den Tordesillas-Vertrag tatsächlich vermieden worden, obzwar die Lösung von vorneweg eine provisorische bleiben mußte. Denn wenn man mit dem Messer einen Apfel ganz durchschneidet, muß die Schnittlinie auch auf der andern, unsichtbaren Fläche zutage treten. Innerhalb welcher Hälfte aber liegen nun die vielgesuchten, die kostbaren Gewürzinseln? Östlich oder westlich der Schnittlinie auf der andern Hemisphäre? Auf der Seite Portugals oder auf der Seite Spaniens? Das können in diesem Augenblicke weder der Papst noch die Könige noch die Gelehrten voraussagen, weil noch niemand das Rund der Erde ausgemessen hat und die Kirche ihrerseits die Kugelform des Kosmos um keinen Preis öffentlich anerkennen will. Aber bis zur endgültigen Entscheidung haben beide Nationen reichlich zu tun, um die ungeheuren Brocken hinunterzuschlingen, die ihnen das Schicksal hingeworfen: dem einen kleinen Spanien das riesige Amerika und dem einen winzigen Portugal ganz Indien und Afrika.“

 

Abenteuer- und Endeckerlust

 

Die glückhafte Tat des Columbus erweckt in Europa zuerst maßloses Erstaunen. Dann aber bricht ein Rausch von Abenteuer- und Entdeckerlust aus, wie ihn unsere alte Welt nie gekannt: immer entwächst ja dem Erfolg eines einzelnen mutigen Mannes Eifer und Mut für ein ganzes Geschlecht. Alles, was in Europa unzufrieden ist mit seinem Stand und seiner Stellung, jeder, der sich zurückgesetzt fühlt und zu ungeduldig ist, zu warten, die jüngeren Söhne, die unbeschäftigten Offiziere, die Bastarde der großen Herren und die dunklen Gesellen, die von der Justiz gesucht werden – alle wollen sie in die neue Welt. Die Fürsten, die Händler, die Spekulanten rüsten jeder an Schiffen aus, was sie nur aufbringen können, mit Gewalt muß man den Abenteurern und Reisläufern wehren, die mit dem Messer kämpfen, um als erste ins Goldland befördert zu werden; während Enrique noch Sündenablaß für alle Teilnehmer erbitten mußte, um die allernötigsten Matrosen an Bord zu bekommen, wandern jetzt ganze Dörfer zu den Häfen, und die Kapitäne, die Kauffahrer wissen sich nicht mehr zu retten vor dem Andrang. Eine Expedition folgt der andern, und wirklich, als wäre eine Nebelwand plötzlich gesunken, tauchen jetzt überall im Norden, im Süden, im Osten, im Westen neue Inseln, neue Länder auf, die einen in Eis starrend, die andern mit Palmen bestanden; innerhalb von zwei, von drei Jahrzehnten entdecken die paar hundert kleinen Schiffe, die von Cadiz, Palos, Lissabon abstoßen, mehr Welt und mehr unbekannte Welt als vordem die ganze Menschheit in den hunderttausenden Jahren ihres Daseins. Unvergeßlicher, unvergleichlicher Kalender jener Entdeckerzeit: 1498 erreicht Vasco da Gama – »im Dienste Gottes und zum Vorteil der portugiesischen Krone«, wie König Manoel stolz berichtet – Indien und landet in Calicut, im gleichen Jahre sichtet Cabot als Kapitän in englischen Diensten Neufundland und damit die Nordküste Amerikas. Und wieder ein Jahr (1499) und gleichzeitig entdecken, unabhängig einer vom andern, Pinzon unter spanischer Flagge und Cabral unter portugiesischer Brasilien, während Gaspar Cortereal als Nachfahr der Wikinger nach fünfhundert Jahren Labrador betritt. Und weiter geht es Schlag auf Schlag. In den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts streifen zwei portugiesische Expeditionen, deren eine Amerigo Vespucci begleitet, die südamerikanische Küste hinab bis schon nahe an den Rio Plata, 1506 entdecken die Portugiesen Madagaskar, 1507 Mauritius, 1509 erreichen, 1511 erstürmen sie bereits Malacca und haben damit den Schlüssel des Malaiischen Archipels in Händen. 1512 erschließt Ponce de Leon Florida, 1513 sieht von der Höhe von Darien herab Nunez de Baiboa als erster Europäer den Pazifischen Ozean. Von dieser Stunde an gibt es für die Menschheit keine unbekannten Meere mehr. In dem knappen Zeitraum von einhundert Jahren hat sich die europäische Schiffahrt in ihrer Leistung nicht etwa bloß verhundert-, sondern vertausendfacht. Während 1418 unter Enrique es noch bewunderndes Staunen erregte, daß die ersten Barcas bis nach Madeira gelangten, landen 1518 portugiesische Schiffe – man stelle auf der Karte die beiden Distanzen gegeneinander! – schon in Kanton und Japan; bald wird eine Fahrt nach Indien als geringeres Wagnis gelten als vordem die Reise bis Kap Bojador. Von solchem Tempo beflügelt, muß sich von Jahr zu Jahr, ja von Monat zu Monat das Weltbild verändern und erweitern. Tag und Nacht sitzen in ihren Werkstätten zu Augsburg die Kartenstecher und Kosmographen an der Arbeit, aber sie können den Bestellungen nicht mehr nachkommen. Noch feucht, noch unkoloriert reißt man ihnen die Stiche aus den Händen, und ebenso können die Drucker an Reiseberichten, an Globen nicht genug auf die Büchermesse bringen, alles will Nachricht von dem »mundus novus«. Aber kaum haben die Kosmographen sauber und genau nach den letzten Mitteilungen ihre Weltkarte gestochen, so kommt schon neue Zeitung und neuer Bericht. Alles ist umgestoßen, alles muß frisch getan werden, denn was als Insel galt, hat sich als Festland erwiesen, was Indien schien, als neuer Kontinent. Neue Flüsse, neue Küsten, neue Berge sind einzuzeichnen, und siehe, kaum sind die Stecher zu Ende mit ihrer neuen Karte, so müssen sie schon mit einer berichtigten, verbesserten, erweiterten beginnen. Nie vordem, nie nachher hat die Geographie, die Kosmographie, die Kartographie ein so rasendes, so rauschhaftes, so sieghaftes Tempo des Fortschritts erlebt wie innerhalb dieser fünfzig Jahre, in denen, seit Menschen leben, atmen und denken, zum erstenmal Form und Umfang der Erde endgültig bestimmt wird, da zum erstenmal die Menschheit den runden Stern kennenlernt, auf dem sie seit Äonen durch das Weltall rollt. All dies Ungeheure aber hat eine einzige Generation geleistet; ihre Seefahrer haben für alle späteren alle Gefahren bestanden, ihre Konquistadoren alle Wege aufgetan, ihre Helden alle oder fast alle Aufgaben gelöst. Nur eine Tat ist noch übriggeblieben, die letzte, die schönste, die schwerste: auf ein und demselben Schiff den ganzen Erdball zu umrunden und damit gegen alle Kosmologen und Theologen der Vergangenheit die Rundform unserer Erde zu messen und zu erweisen – sie wird die Lebensidee und das Schicksal des Fernão de Magelhaes sein, den die Geschichte Magellan nennt.“

 

Entdecker – Händler - Militär

 

Die ersten portugiesischen Schiffe, die den Tejo hinabsteuerten in die unbekannte Ferne, hatten der Entdeckung gedient, die zweiten suchten noch friedlichen Handel mit den neuerschlossenen Gebieten. Die dritte Flotte wird bereits kriegerisch ausgerüstet – unabänderlich hebt von diesem 25. März 1505 jener dreiteilige Rhythmus an, der das ganze nun beginnende Kolonialzeitalter beherrschen wird. Jahrhunderte wird der gleiche Vorgang sich wiederholen: erst wird die Faktorei errichtet, dann die Festung zu ihrem angeblichen Schutz. Erst wird mit den einheimischen Herrschern friedlich getauscht, dann, sobald man genug Soldaten herangeholt hat, den Fürsten ihr Land und damit die ganze Ware einfach weggenommen. Kaum ein Jahrzehnt, und Portugal hat über den ersten Erfolgen bereits vergessen, daß es ursprünglich nichts anderes begehrte als bloß einen bescheidenen Anteil am Gewürzhandel des Orients. Aber im glücklichen Spiel verlieren sich rasch die guten Vorsätze; von dem Tage, da Vasco da Gama in Indien landet, geht Portugal sofort daran, alle andern Nationen wegzustoßen. Rücksichtslos betrachtet es ganz Afrika, Indien und Brasilien als sein alleiniges Revier. Von Gibraltar bis Singapore und China soll von nun ab kein anderes Schiff mehr die Meere durchfahren, auf dem halben Erdball niemand Handel treiben dürfen als ein Angehöriger der kleinsten Nation des kleinen Europa.“

 

Portugiesische Weltmacht

 

Großartiges Schauspiel darum, jener 25. März 1505, da die erste Kriegsflotte Portugals, welche dies neue Imperium – das größte der Erde – erobern soll, den Hafen von Lissabon verläßt, ein Schauspiel, vergleichbar in der Geschichte nur jenem, da Alexander der Große den Hellespont überschreitet; auch hier ist die Aufgabe eine gleich überhebliche, denn auch diese Flotte fährt aus, nicht, um ein einzelnes Land, ein einzelnes Volk, sondern eine Welt sich Untertan zu machen. Zwanzig Schiffe liegen und warten mit gespannten Segeln auf den Befehl des Königs, die Anker zu lichten, und es sind nicht mehr wie zu Zeiten Enriques kleine, offene Barken, sondern schon breite, schwere Galeonen mit hohen Kastellen am vorderen und rückwärtigen Heck, mächtige Segelschiffe mit drei und vier Masten und ausgiebiger Bemannung. Neben den hunderten von kriegsgeübten Matrosen scharen sich nicht weniger als fünfzehnhundert gerüstete und gepanzerte Soldaten sowie zweihundert Bombardiere an Bord; außerdem sind noch Zimmerleute und alle möglichen Arten von Handwerkern mit eingeschifft, um dann in Indien an Ort und Stelle sofort neue Schiffe auszurüsten.

Auf den ersten Blick muß jeder begreifen, daß einer so gigantischen Flotte ein gigantisches Ziel gesetzt ist: die endgültige Besitzergreifung des Morgenlandes. Nicht vergebens ist dem Admiral Francisco d' Almeida der Titel eines Vizekönigs von Indien zugeteilt, nicht zufällig hat gerade der erste Held und Seefahrer Portugals, Vasco da Gama, der »Admiral der indischen Meere«, die Ausrüstung gewählt und geprüft. Die militärische Aufgabe Almeidas ist eindeutig klar. Almeida hat alle mohammedanischen Handelsstädte in Indien und Afrika zu schleifen und zu zerstören, an allen Stützpunkten Festungen zu errichten und Garnisonen zurückzulassen. Er hat – zum erstenmal wird die politische Idee Englands vorausgenommen – an allen Ausgangspunkten und Durchgangspunkten sich festzusetzen, alle Meerengen von Gibraltar bis Singapore zuzupfropfen und damit jeden fremden Handel auszusperren. Dem Vizekönig ist ferner befohlen, die Seemacht des Sultans von Ägypten sowie jene der indischen Rajahs zu vernichten und so streng alle Häfen unter Kontrolle zu halten, daß von diesem Jahre des Herrn 1505 an kein Schiff ohne portugiesischen Paß auch nur ein Korn Gewürz mehr verfrachten darf. Mit dieser militärischen Aufgabe geht die ideelle, die religiöse Hand in Hand: in allen eroberten Ländern das Christentum zu verbreiten; darum hat die kriegerische Ausfahrt zugleich das Zeremoniell eines Kreuzzugs. Mit eigener Hand überreicht der König in der Kathedrale Francisco d' Almeida die neue Fahne aus weißem Damast mit dem eingewebten Kreuze Christi, die über heidnischen und maurischen Landen siegreich wehen soll. Kniend empfängt sie der Admiral, und auf den Knien leisten hinter ihm die Fünfzehnhundert, die alle gebeichtet und das Abendmahl empfangen haben, den Eid der Treue ihrem irdischen Herrn, dem König von Portugal, sowie dem himmlischen Herrn, dessen Reich sie über diesen fremden Reichen erheben sollen. Feierlich wie eine Prozession durchschreitet der Zug die Stadt zum Hafen; dann donnern zum Abschied die Geschütze, und grandios gleiten die Schiffe den Tejo hinab in das offene Meer, das ihr Admiral bis ans andere Ende der Erde für Portugal erobern soll.

Unter den Fünfzehnhundert, die vor dem Altar mit erhobener Hand den Eid der Treue schwören, kniet auch ein vierundzwanzigjähriger Mann bisher unberühmten Namens, Fernão de Magelhaes.“

 

Die ganze östliche Welt in der Faust

 

Diese Schlacht von Cannanore stellt einen entscheidenden Wendepunkt in der portugiesischen Eroberungsgeschichte dar. Der Zamorin von Calicut hatte Vasco da Gama bei seiner ersten Landung (1498) freundlich empfangen und sich bereit gezeigt, mit diesem unbekannten Volke Handel zu treiben. Aber bald hatte er erkennen müssen, daß die Portugiesen, als sie wenige Jahre später mit größeren und besser gerüsteten Schiffen wiederkehrten, offenkundiges Herrenrecht über ganz Indien anstrebten. Mit Schrecken sehen die indischen, die mohammedanischen Händler, welch ein gefräßiger Hecht da plötzlich in ihren stillen Karpfenteich eingebrochen ist, denn mit einem Hieb haben die Fremden sich aller Meere bemächtigt. Kein Schiff wagt sich mehr aus den Häfen aus Furcht vor diesen brutalen Piraten, der Gewürzhandel stockt, die Karawanen nach Ägypten bleiben aus; bis an den Rialto von Venedig spürt man, daß irgendwo eine harte Hand die Leitung durchschnitten haben muß. Der Sultan von Ägypten, dem seine Zölle fehlen, versucht es zunächst mit dringlicher Drohung. Er schreibt an den Papst, wenn die Portugiesen weiterhin wie Räuber im indischen Meere schalteten, würde er als Repressalie das Heilige Grab in Jerusalem zerstören. Aber weder der Papst noch irgendein Kaiser oder König haben mehr Gewalt über den imperialistischen Willen Portugals. So bleibt den Geschädigten nur übrig, sich zusammenzutun und rechtzeitig den Portugiesen in Indien Schach zu bieten, ehe sie sich endgültig festsetzen. Den Angriff bereitet der Zamorin von Calicut vor, im geheimen unterstützt vom Sultan von Ägypten und wohl auch von den Venezianern, die ihm – Gold ist immer dicker als Blut – unter der Hand Kanonengießer und Geschützmeister nach Calicut senden. Mit einem einzigen plötzlichen Schlag soll die christliche Flotte überfallen und vernichtet werden …

Es wird der schwerste Kampf, den der Vizekönig bisher bestanden; mit nicht weniger als achtzig Toten und zweihundert Verwundeten (eine riesige Zahl für die ersten Kolonialkriege) bezahlen die Portugiesen ihren Sieg – freilich einen Sieg, der ihnen endgültig die Herrschaft über die indischen Küsten sichert …

Dieser neuen Flotte, mit der Magellan nach Indien zurückkehrt, steht eine besondere Aufgabe zu. Zweifellos hat sein illustrer Reisegefährte Lodovico Varthema bei Hof Bericht erstattet über den Reichtum der Stadt Malacca und genaue Mitteilungen gemacht über die vielgesuchten Gewürzinseln, die er als erster Europäer und Christ ipsis oculis gesehen. Dank seinen Informationen begreift man am portugiesischen Hofe, daß die Eroberung Indiens unvollständig bleiben muß und der volle Reichtum nicht gewonnen werden kann, solange man sich nicht der Schatzkammer aller Gewürze, der islas de la especeria, bemächtigt hat; dies aber setzt voraus, daß man zuerst den Schlüssel, der sie verschließt, die Meerenge und Stadt von Malacca in die Hand bekommt (das heutige Singapore, dessen strategische Bedeutung die Engländer nicht übersehen haben). Nach bewährtem heuchlerischen System wird aber nicht sogleich eine Kriegsflotte ausgesandt, sondern zunächst nur Lopez de Sequeira mit vier Schiffen beauftragt, sich vorsichtig an Malacca heranzutasten, das Terrain zu rekognoszieren und ausschließlich in der Maske eines friedlichen Händlers aufzutreten.

Ohne erwähnenswerten Zwischenfall erreicht die kleine Flotte im April 1509 Indien. Eine Fahrt nach Calicut, die knappe zehn Jahre vorher noch als unvergleichliche Heldentat Vasco da Gamas in Geschichte und Gedicht gefeiert wurde, vollbringt jetzt schon jeder portugiesische Handelskapitän. Von Lissabon bis Mombassa, von Mombassa bis Indien kennt man bereits jede Klippe, jeden Hafen; kein Pilot ist mehr nötig und kein »Meister der Astronomie«. Erst als Sequeira am 19. August vom Hafen von Cochin weiter Kurs nach Osten setzt, befahren die portugiesischen Schiffe wieder unbekannte Zonen.

Nach dreiwöchentlicher Reise, am 11. September 1509, nähern sich die Schiffe, die ersten Portugals, dem Hafen von Malacca. Bereits von ferne sehen sie, daß der wackere Varthema nicht gefabelt und übertrieben hat, wenn er berichtete, in diesem Hafen »landeten mehr Schiffe als in einem andern Orte der Welt«. Segel an Segel gereiht drängen sich große und kleine, weiße und bunte Barken und Dschunken und Praus malaiischer, chinesischer, siamesischer Herkunft an der breiten Reede zusammen. Denn geradezu zwanghaft ist durch seine natürliche Lage der aurea chersonesus, die Meerenge von Singapore, zum großen Umschlageplatz des Ostens ausersehen. Jedes Schiff, das von Osten nach Westen, von Norden nach Süden will, von Indien nach China, von den Molukken nach Persien, muß dieses Gibraltar des Ostens passieren. Alle Waren werden in diesem Stapelplatz gegeneinander getauscht, die molukkischen Gewürznelken und die Rubine Ceylons, das chinesische Porzellan und das Elfenbein aus Siam, die bengalischen Kaschmire und das Sandelholz von Timor, die arabischen Damaszenerklingen und der Pfeffer von Malabar und die Sklaven aus Borneo. Alle Rassen, alle Hautfarben und Sprachen wimmeln babylonisch durcheinander in diesem Handelsemporium des Ostens, in dessen Mitte sich mächtig über dem hölzernen Gewirr der niedern Häuser ein leuchtender Palast und eine steinerne Moschee erheben.

Staunend betrachten von ihren Schiffen die Portugiesen die mächtige Stadt, lüstern nach diesem in blendendem Sonnenlicht weiß funkelnden Juwel des Ostens, das als edelster Edelstein die indische Herrscherkrone Portugals schmücken soll. Staunend und beunruhigt betrachtet wiederum von seinem Palast aus der malaiische Fürst die fremden und gefährlichen Schiffe. Das sind sie also, die unbeschnittenen Banditen, endlich haben die Verfluchten auch nach Malacca den Weg gefunden! Längst schon hat sich über tausend und tausend Meilen die Nachricht von Almeidas und Albuquerques Schlachten und Schlächtereien verbreitet; man weiß in Malacca, daß diese furchtbaren Lusitaner nicht wie die siamesischen und japanischen Dschunkenführer nur zu friedlichem Tausch das Meer durchqueren, sondern heimtückisch auf den Augenblick warten, sich festzusetzen und alles zu rauben …

So steuert nach zwei Jahren abermals Magellan dem fernen Osten, dem aurea chersonesus zu. Neunzehn Schiffe, eine ausgesuchte Kriegsflotte, reihen sich im Juli 1511 drohend vor dem Hafen von Malacca auf, und erbitterter Kampf beginnt gegen den verräterischen Gastfreund. Sechs Wochen dauert es, ehe Albuquerque den Widerstand des Sultans zu brechen vermag. Dann aber fällt den Plünderern eine Beute in die Hände, wie sie selbst in dem gesegneten Indien noch nie gewonnen ward; mit dem eroberten Malacca hält Portugal die ganze östliche Welt in der Faust. Endlich ist dem mohammedanischen Handel die Schlagader für immer durchschnitten, in wenigen Wochen blutet er völlig aus. Alle Meere von Gibraltar, den »Säulen des Herkules«, bis zur Enge von Singapore, dem aurea chersonesus, sind endgültig ein portugiesischer Ozean. Weit hinauf bis nach China und Japan und jubelnd zurück bis nach Europa rollt der nachhallende Donner dieses entscheidendsten Schlages, den der Islam seit undenklichen Zeiten erlitten. Vor den versammelten Gläubigen dankt der Papst mit öffentlichem Dankgebet für die herrliche Tat der Portugiesen, die dem Christentum die halbe Erde in die Hände gegeben, und Rom erlebt das Schauspiel eines Triumphs, wie seit den Zeiten der Cäsaren ihn das Caput mundi nicht mehr gesehen. Eine Gesandtschaft, geführt von Tristão de Cunha, bringt die Siegesbeute des eroberten Indien, kostbar gezäumte Pferde, Leoparden und Panther; das Hauptstück und Schaustück jedoch ist ein Elefant, den portugiesische Schiffe lebend herübergebracht haben und der unter dem Jubelgeschrei des ganzen Volkes dreimal hinkniet vor dem Heiligen Vater.

Aber selbst dieser Triumph genügt noch nicht dem unbändigen Expansionswillen Portugals. Nie in der Geschichte hat einen Sieger ein großer Sieg gesättigt; Malacca ist ja nur der Schlüssel zur Schatzkammer der especeria; nun sie ihn in Händen halten, wollen die Portugiesen an die eigentlichen Schätze heran und sich der sagenhaft reichen Gewürzinseln des Sunda-Archipels, der Inseln Amboina, Banda, Ternate und Tidore, bemächtigen. Drei Schiffe werden unter dem Kommando Antonio d'Abreus ausgerüstet, und einige der zeitgenössischen Chronisten nennen auch Magellans Namen unter den Teilnehmern jener Fahrt in den damals äußersten Osten der Erde. In Wirklichkeit aber ist Magellans indische Zeit um jene Stunde schon zu Ende. Genug! sagt das Schicksal zu ihm. Genug gesehen im Osten, genug erlebt! Auf neue Bahnen nun, auf eigene Bahnen! Gerade diese märchenhaften Gewürzinseln, von denen er sein Leben lang träumen wird, auf die er von nun an mit dem innern Blick wie verzaubert starrt, hat Magellan nie »por vista de ojos«, nie mit dem eigenen irdischen Auge sehen dürfen. Nie war es ihm gegeben, den Fuß auf diese eldoradischen Eilande zu setzen, ein bloßer Traum werden sie bleiben für ihn, sein schöpferischer Traum. Aber dank seiner Freundschaft mit Francisco Serrão sind diese niegesehenen Inseln ihm wie erlebte vertraut, und die seltsame Robinsonade seines Freundes ermutigt ihn zum größten und kühnsten Abenteuer seiner Zeit.“

 

Aufschwung in der portugiesischen Heimat

 

Dieser eine Gedanke, ein paar Narben auf dem dunkelgebrannten Leib und schließlich ein malaiischer Sklave, den er in Malacca gekauft – diese drei Dinge sind so ziemlich alles, was nach sieben Jahren indischen Frontdienstes Magellan in seine Heimat zurückbringt. Ein sonderbares, vielleicht ein unwilliges Erstaunen muß es für den abgekämpften Soldaten gewesen sein, da er, 1512 endlich wieder landend, ein ganz anderes Lissabon, ein ganz anderes Portugal erblickt, als das er vor sieben Jahren verlassen. Schon bei der Einfahrt in Belem staunt er auf. Statt des alten niederen Kirchleins, das seinerzeit Vasco da Gamas Ausfahrt gesegnet, erhebt sich, endlich vollendet, die mächtige, prächtige Kathedrale, erstes sichtliches Zeichen des riesigen Reichtums, der mit dem indischen Gewürz seinem Vaterlande zugefallen. Jeder Blick zeigt rings Veränderung. Auf dem früher spärlich befahrenen Fluß drängt Segel an Segel, in den Werften am Ufer entlang hämmern die Werkleute, um nur rasch neue, nur rasch größere Flotten auszurüsten. Im Hafen wimpeln dicht gereiht, Mast neben Mast, inländische und ausländische Schiffe, überfüllt ist die Reede mit Waren, vollgepfropft lagern die Speicher, Tausende von Menschen eilen und lärmen auf den Straßen zwischen den großartigen neuaufgeführten Palästen. In den Faktoreien, an den Wechslerbänken und in den Maklerstuben wirbeln alle Sprachen Babels – dank der Ausbeutung Indiens ist Lissabon innerhalb eines Jahrzehnts aus einer Kleinstadt eine Weltstadt, eine Luxusstadt geworden. In offenen Karossen zeigen die Frauen des Adels ihre indischen Perlen, prächtig gewandet scharwenzelt ein riesiger Troß von Höflingen im Schloß, und der Heimgekehrte erkennt: sein und seiner Kameraden in Indien vergossenes Blut hat sich dank geheimnisvoller Chemie hier in Gold verwandelt. Während sie unter der unerbittlichen Sonne des Südens gekämpft, gelitten, entbehrt und geblutet haben, wurde Lissabon durch ihre Tat die Erbin Alexandrias und Venedigs, wurde Manoel »el fortunado« der reichste Monarch Europas. Alles ist daheim anders geworden, alles lebt in der alten Welt reicher, üppiger, genießerischer, verschwenderischer, als hätte das eroberte Gewürz, das erhandelte Gold die Sinne beschwingt – nur er kehrt wieder als derselbe, als der »unbekannte Soldat«, von niemandem erwartet, von niemandem bedankt, von niemandem begrüßt. Wie in eine Fremde kehrt nach sieben indischen Jahren der portugiesische Soldat Fernão de Magelhaes in seine Heimat zurück.“

 

Der Auftrag

 

Aus „Wikipedia“: „Soweit sich aus den erhaltenen Dokumenten erkennen lässt, hatte Magellan nie die Absicht, die Erde zu umrunden. Der Vertrag, den er am 22. März 1518 mit dem kastilischen König Karl I. schloss, enthielt sogar das implizite Verbot einer Erdumrundung, hätte diese doch die Interessen und Rechte von Karls Onkel und Schwager, dem portugiesischen König Manuel I., verletzt. Der Antrieb zu Magellans Reise war derselbe wie der zur Fahrt von Christoph Kolumbus 27 Jahre zuvor: nach Westen zu segeln, um in den Osten zu gelangen. Vor allem ging es darum, eine möglichst kurze Route zu den Gewürzinseln zu finden, deren genaue Lage damals kaum bekannt war. Ebenso unklar war, ob sie nach dem Vertrag von Tordesillas im portugiesischen oder spanischen Machtbereich lagen.

In diesem Vertrag hatten die kastilische und die portugiesische Krone 1494 den Globus in zwei Hälften aufgeteilt. Als Demarkationslinie wurde ein Meridian 370 Leguas westlich der Kapverdischen Inseln festgelegt. Alle Meere, Inseln und Festlande östlich dieses Meridians sollten Portugal, alle westlich davon Kastilien gehören. 1498 erreichte eine portugiesische Flotte unter Vasco da Gama erstmals die Westküste Indiens. Umgehend begannen die Portugiesen, im Indischen Ozean ein Handelsimperium aufzubauen. 1511 eroberten sie das Handelszentrum Malakka auf der Malaiischen Halbinsel und schickten sich an, weiter nach Osten zu expandieren, indem sie eine Expedition unter António de Abreu zu den Molukken entsandten, damals die einzigen Anbaugebiete von Gewürznelken auf der ganzen Erde.

Während die Portugiesen immer weiter nach Osten expandierten, sah Kastilien „seinen“, das heißt den westlichen Weg zu den Schätzen Asiens durch eine Landmasse blockiert, deren immense, von der Arktis zur Antarktis reichende Erstreckung sich erst allmählich abzeichnete: Amerika. Seit etwa 1505 entwickelten daher Bischof Juan Rodríguez de Fonseca, im Königlichen Rat von Kastilien für die Kolonialpolitik zuständig, der Seefahrer Vicente Yáñez Pinzón, der eines von Kolumbus' Schiffen befehligt hatte, und der später zum Obersten Steuermann ernannte Amerigo Vespucci den Plan, südlich von Brasilien einen Seeweg nach Asien zu suchen. Die Existenz des Pazifiks – damals Südmeer genannt – war in Spanien seit 1515 bekannt, nachdem der Entdecker Vasco Núñez de Balboa zwei Jahre zuvor die Landenge von Panama durchquert hatte. Der portugiesische Steuermann Juan Díaz de Solís unternahm im Auftrag der kastilischen Krone mehrere Anläufe, eine Durchfahrt zu diesem Südmeer und damit nach Ostasien zu finden. Alle Versuche scheiterten jedoch und 1516 fand Solis den Tod am Río de la Plata.

Etwa zur selben Zeit ließ der aus Burgos stammende, von Lissabon aus operierende Kaufmann Cristóbal de Haro zwei Schiffe nach Südamerika segeln, die Brasilholz und Sklaven kaufen und die Küste erforschen sollten. Von dieser Expedition berichtete die Newe Zeytung aus Presillg Landt, eines der ältesten deutschen Nachrichtenblätter seiner Art in deutscher Sprache, Haros Schiffe hätten an der Küste bei etwa 40° Süd eine Meerenge ähnlich wie jene von Gibraltar entdeckt, die auf die Westseite des amerikanischen Kontinents und weiter nach Asien führe. Diese Meeresstraße findet sich kurz darauf auf einem Erdglobus wieder, den der Gelehrte Johannes Schöner aus Karlstadt am Main 1515 anfertigte.

Magellan muss von dieser Unternehmung und ihren vermeintlichen Resultaten in Lissabon erfahren haben. Er und Cristóbal de Haro lernten sich dort vermutlich 1515 oder 1516 kennen. Im Sommer 1516 erhielt Magellan Briefe von Francisco Serrão, der sich auf den Molukken niedergelassen hatte und seinem Freund schrieb, dass diese Inseln sehr weit östlich von Malakka lagen, so dass Magellan die Überzeugung gewann, sie lägen in der kastilischen Erdhälfte. Dieselbe Überzeugung teilte der studierte Kosmograph Rui Faleiro, der zudem behauptete, eine zuverlässige Methode entwickelt zu haben, den Längengrad zu messen. Somit würde es möglich sein, die ost-westliche Position der Molukken genau zu bestimmen. Magellan und Faleiro schlossen daraufhin einen Vertrag: Sie vereinbarten, dem kastilischen König eine Expedition vorzuschlagen, die die Molukken auf der westlichen Route erreichen und sie für Kastilien in Besitz nehmen sollte. Unterdessen sah sich Cristóbal de Haro wegen geschäftlicher Querelen mit der portugiesischen Krone veranlasst, Portugal ebenfalls zu verlassen; er kehrte spätestens im Frühjahr 1517 nach Kastilien zurück.

Magellan traf am 20. Oktober 1517 in Sevilla ein. Er kam im Haus des gebürtigen Portugiesen Diogo Barbosa – seines späteren Schwiegervaters – unter, der als Dienstmann eines portugiesischen Exilanten aus dem Hause Braganza die königlichen Schlösser und Werften in Sevilla verwaltete. In diesen Gebäuden hatte damals die Casa de la Contratación, die kastilische Außenhandelsagentur, ihre Räumlichkeiten. Magellan nahm mit deren Faktor Juan de Aranda Kontakt auf. Aranda erbot sich, für Magellan und Faleiro eine Audienz beim neuen König Karl I. zu arrangieren, der sich damals mit seinem Hof in Valladolid aufhielt. Als Gegenleistung forderte Aranda eine Beteiligung an Magellans und Faleiros Unternehmen, worüber ein Vertrag geschlossen wurde. Aranda, Magellan und Faleiro reisten nach Valladolid, wo sie um den 20. Februar herum vom Königlichen Rat und Bischof Juan Rodríguez de Fonseca und von Großkanzler Jean le Sauvage, nach Magellans Aussage später auch von Karl I. persönlich empfangen wurden. In Jean le Sauvages Vorzimmer lief Magellan dem Missionar Bartolomé de las Casas über den Weg, der den Seefahrer in seiner Historia de las Indias als „kleinwüchsig“ und „unscheinbar“, aber „wacker in seinen Gedanken und zu großen Taten aufgelegt“ beschrieb – die einzige erhaltene zeitgenössische Beschreibung von Magellans Erscheinungsbild. Nachdem Magellan und Faleiro ihr Unternehmen präsentiert hatten, wurden sie von Jean le Sauvage aufgefordert, ein Memorandum mit ihren Geschäftsbedingungen vorzulegen. Auf Grundlage dieses Memorandums schloss König Karl I. am 22. März 1518 mit den beiden Unternehmern eine "Kapitulation", das heißt einen Vertrag.

Durch die „Kapitulation“ vom 22. März 1518 erhielten Magellan und Rui Faleiro von Karl I. den Auftrag, innerhalb der spanischen Welthälfte „Inseln und Festländer zu entdecken, reiche Gewürzvorkommen und andere Dinge“. Auf keinen Fall sollten sie im portugiesischen Teil der Erde tätig werden. Als Lohn für ihre „Mühsal und Gefahr“ sicherte der König Magellan und Faleiro ein Fünftel vom Reingewinn aus ihrer Unternehmung zu. Er versprach, sie zu Gouverneuren über die Länder zu ernennen, die sie entdecken würden. Zudem sollten sie ein Zwanzigstel aller Steuereinnahmen aus diesen Ländern erhalten und jedes Jahr um 1000 Dukaten steuerbegünstigt Handel treiben dürfen. Alle diese Rechte sollten an ihre Erben übergehen, sofern diese in Kastilien geboren und verheiratet wären.

Ferner bestimmte die Kapitulation, dass die Route durch die vermutete Meerenge nach Westen zehn Jahre lang für Magellan und Faleiro reserviert sei und von niemand anderem genutzt werden dürfe. Zur Durchführung ihres Unternehmens sollten den beiden fünf Schiffe von zweimal 130, zweimal 90 und einmal 60 Tonnen Laderaum zur Verfügung gestellt werden, eine Besatzung von 234 Mann sowie Ausrüstung, Artillerie und Proviant für zwei Jahre. Am selben Tag, in gesonderten Urkunden, ernannte der König die beiden Portugiesen zu „Kapitänen sowohl zur See wie an Land“ mit einem Jahresgehalt von jeweils 50.000 Maravedis und er bestimmte, dass sie am 25. August 1518 in See stechen sollten.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Magellan

 

Auf See

 

Die Reise ist abenteuerlich genug – aber der wurm möchte sich auf einige wenige Punkte konzentrieren. Wer möchte, kann das ganze Abenteuer bei Stefan Zweig nachlesen.

 

Menschen-Zoo

 

Eines Morgens erscheint nun auf dem Hügel eine sonderbare Gestalt, ein Mensch, den sie zunächst gar nicht als ihresgleichen erkennen, denn im ersten Schreck der Überraschung scheint er ihnen um das Doppelte das gewohnte Mannesmaß zu überragen. »Duobus humanam superantes staturam«, schreibt Peter Martyr, und Pigafetta bestätigt: »So groß war dieser Mann, daß wir gerade bis zu seinem Gürtel reichten. Er war gut gewachsen, hatte ein breites Gesicht, das rot und mit gelben Ringen um die Augen bemale war und mit zwei herzförmigen Klecksen auf den Wangen. Sein Haar war kurz und weiß gefärbt, seine Kleidung bestand aus den trefflich zusammengenähten Fellen irgendeines Tieres.« Besonders bestaunen die Spanier die riesigen Füße dieses gewaltigen Menschenungeheuers, und um dieses »Großfußes« (patagão) willen benennen sie die Eingeborenen Patagonier und das Land Patagonien. Aber bald weicht der erste Schrecken vor dem Enaksohn. Denn das fellbekleidete Wesen entbreitet immer wieder grinsend die Arme, es tanzt und singt und streut sich dabei unablässig Sand auf das weißgefärbte Haar. Magellan, von früher her einigermaßen in den Sitten der Naturkinder erfahren, deutet richtig dies Zeichen als Wunsch nach freundlicher Annäherung und befiehlt einem Matrosen, in ähnlicher Art zu tanzen und sich gleichfalls Sand auf den Kopf zu streuen. Zum Gaudium der abgearbeiteten, abgemüdeten Seeleute nimmt tatsächlich der wilde Mann diese Pantomime als Willkommgruß und kommt ganz zahm heran. Nun haben die Trinculos nach dem »Tempest« endlich ihren Caliban, zum erstenmal gibt es für die armen, gelangweilten Matrosen in dieser Ödnis Abwechslung und ausgiebigen Spaß. Denn als man dem gutmütigen Riesen einen metallenen Spiegel unvermutet vor die Nase hält, springt er vor Überraschung, sein eigenes Antlitz zum erstenmal zu sehen, so jäh zurück, daß er in seinem Sturz vier Matrosen mit sich reißt. Sein Appetit läßt die Mannschaft die eigene schmale Ration vergessen. Mit aufgerissenen Augen starren sie zu, wie dieser Gargantua einen ganzen Kübel Wasser mit einem Schluck aussäuft und einen halben Korb Zwieback nachstopft wie eine Pfeffernuß. Und welches Hallo erst, da er ein paar Ratten, die sie seiner unbändigen Freßlust präsentieren, zum heiteren Grausen der Zuschauer mit Haut und Haaren frischlebendig hinunterfrißt! Beiderseits, bei dem Fresser und den Matrosen, entsteht herzliche Sympathie, und als ihm Magellan noch ein paar Glöckchen schenkt, holt er bald andere »Riesen« und auch einige »Riesinnen« heran.

Aber gerade diese Unbekümmertheit bringt den arglosen Naturkindern Verderben. Magellan hat wie Columbus und alle andern Konquistadoren von der Casa de Contratacion gemessenen Auftrag, nicht nur von Pflanzen und Erz, sondern auch von allen neuen Menschenspezies, die sie auf der Reise entdecken, einige Exemplare heimzubringen. Einen solchen »Giganten« lebend anzufangen, scheint den Matrosen allerdings zunächst nicht minder gefährlich, als einen Walfisch an der Flosse zu packen. Ängstlich schleichen sie um die Patagãos herum, aber im letzten Augenblick sackt ihnen immer wieder der Mut zusammen. Endlich ersinnen sie eine gemeine List. Man steckt zwei der »Riesen« soviel Geschenke in die Hände, daß sie alle Finger benötigen, um ihre Beute festzuhalten; dann zeigt man den beseligt Grinsenden noch ein besonders köstlich blinkendes, klirrendes Ding, nämlich ein paar Fußschellen, und fragt, ob sie so etwas am Fuße tragen möchten. Die armen Patagonier lachen von einem Ohr zum andern und nicken begeistert – herrlich träumen sie sich's aus, wie diese klappernden Dinger bei jedem Schritt dann klirren und klingeln werden. Krampfhaft ihre Geschenke haltend, blicken sie neugierig von oben zu, wie man ihnen Ketten um die Gelenke paßt, diese schönen kalten Ringe, die so lustige Musik machen – aber schnapp, und sie sind gefangen. Jetzt kann man angstlos die Riesen hinwerfen wie einen Sandsack, gefesselt sind sie nicht mehr gefährlich. Vergebens, daß die Betrogenen heulen, sich wälzen, um sich schlagen und – den Namen hat Shakespeare ihnen abgeborgt – ihren Zaubergott Setebos anrufen: die Casa de Contratacion will Kuriositäten! Wie geschlagene Ochsen schleppt und schleift man die Wehrlosen auf die Schiffe, wo sie aus Mangel an Nahrung erbärmlich zugrunde gehen werden. Durch diesen perfiden Überfall der »Kulturträger« ist sofort mit einem Schlag das gute Einvernehmen zerstört. Die Patagonier halten sich von den Betrügern fern, und als einmal ein Trupp Spanier ihnen nachsetzt – hier wird Pigafettas Bericht merkwürdig verschwommen –, um auch einige Riesenweiber einzufangen oder zu besuchen, setzen sie sich zur Wehr, und einer der Matrosen büßt das Abenteuer mit dem Leben.“

 

Magellan-Straße

 

Am 18. Oktober 1520, nach zwei Monaten leeren, überflüssigen Rastens, gibt Magellan neuerdings Befehl zur Weiterfahrt. Messe wird feierlich gelesen, die Mannschaft nimmt das Abendmahl, dann steuern mit vollen Segeln die Schiffe nach Süden. Scharf stemmt sich noch einmal der Wind ihnen entgegen, Zoll für Zoll muß abgerungen werden dem feindseligen Element. Noch immer tröstet kein mildes Grün den Blick, leer, flach, öde und unwirtlich dehnt sich die unbewohnte Küste, immer nur Sand und Felsen und Felsen und Sand. Am dritten Tage, am 21. Oktober 1520, erhebt sich endlich ein Kap mit weißen Klippen vor einem merkwürdig zerrissenen Strand, und siehe, hinter diesem von Magellan zu Ehren der Kalenderheiligen »Cabo de las Virgines« benannten Vorsprung eröffnet sich eine tiefe Bucht mit schwarzem Gewässer. Die Schiffe steuern näher heran. Merkwürdige, mächtige und strenge Landschaft! Schroff abfallende Hügel, unruhig und zerklüftet, und ganz in der Ferne – seit Jahren nicht gesehener Anblick – mit weißem Schneehaupt hohe Gipfel. Aber wie tot diese Weite! Kein menschliches Wesen ringsum, kaum Baum und Strauch; nur das stete Sausen und Brausen des Winds durchfährt das starre Schweigen dieser gespenstisch leeren Bucht. Unfreudig blickt die Mannschaft auf die finsteren Gewässer. Absurd scheint es ihnen allen, daß diese bergumstandene Bucht und ihre Hadesgewässer weiterführen könnten zu einem flachen Strand oder gar dem »Mar del Sur«, dem hellen, dem sonnigen, dem südlichen Meer. Einhellig äußern die Piloten ihre Überzeugung, dieser tiefe Einschnitt könne nur ein Fjord sein ähnlich jenen im Nordland, und es sei verlorene Mühe, vergeudete Zeit, diese geschlossene Bucht mit dem Senkblei zu durchforschen oder mit den Schiffen rundzufahren. Schon zu viele Wochen habe man versäumt mit der Rekognoszierung all dieser patagonischen Buchten, deren doch keine sich aufgetan zur ersehnten Straße. Nur jetzt keine Verzögerung mehr! Rasch weiter und weiter und, wenn nicht bald der »estrecho« sich zeige, mit der günstigen Jahreszeit nach Hause zurück oder über das Kap der Guten Hoffnung nach dem Indischen Meer!

Aber Magellan, von seiner idée fixe der verborgenen Straße besessen, besteht darauf, auch diese merkwürdige Bucht völlig auszufahren. Verärgert gehorchen die andern dem Befehl, obwohl sie lieber weitersteuerten, denn »wir alle dachten und sagten, es wäre nur eine geschlossene Bucht« (serrato tuto in torno). Zwei Schiffe bleiben zurück, das Flaggschiff und die »Victoria«, um die äußere Bucht zu untersuchen. Die andern beiden, der »San Antonio« und die »Concepcion«, erhalten Auftrag, vorzustoßen, so weit es ihnen gelinge, aber spätestens in fünf Tagen wieder zurück zu sein. Denn die Zeit ist kostbar geworden und knapp der Proviant. Nicht fünfzehn Tage wie am La Plata kann Magellan mehr Frist gewähren. Fünf Tage Rekognoszierung – das ist der letzte Einsatz, den er noch wenden kann an diesen letzten Versuch!

Nun ist der große dramatische Augenblick gekommen. Die beiden Schiffe Magellans, die »Trinidad« und die »Victoria«, beginnen die Vorderbucht rund zu umfahren, bis der »San Antonio« und die »Concepcion« von ihrem Vorstoß in die innere Bucht wiederkehren. Aber noch einmal bäumt sich der Gegenwille der Natur empor, als weigerte sie sich, ihr letztes Geheimnis leichthin preiszugeben. Jählings frischt der Wind auf, wird zum Sturm und bald zu einem jener plötzlichen Orkane, wie sie häufig in dieser Gegend aufspringen, von der die alten spanischen Landkarten warnend verzeichnen, »no hay buenas estaciones«, »hier gibt es niemals günstige Jahreszeiten«. Im Nu schäumt die Bucht in weißem und wildem Quirl, losgerissen werden schon bei dem ersten Aufschwall die Ankertaue; mit eingezogenen Segeln müssen sich die beiden Schiffe wehrlos umtreiben lassen – ein Glück nur, daß sie der hartnäckige Sturm nicht an die Klippen schleudert. Einen Tag, zwei Tage dauert diese entsetzliche Not. Aber nicht das eigene Schicksal verstört Magellan, denn seine beiden Schiffe, sie schwanken und schaukeln immerhin in offener Bucht, wo es möglich ist, sie weit vom Ufer zu halten. Aber die beiden andern Schiffe, der »San Antonio« und die »Concepcion«! Sie muß der Sturm in der inneren Bucht gefaßt haben, im Engpaß hat der grimmige Orkan sie überfallen, in dieser engen Röhre, wo sie nicht Raum haben, zu lavieren, nicht die geringste Möglichkeit, zu ankern und sich zu bergen: wenn kein Wunder geschehen ist, müssen die beiden von dem Sturm längst an die Küste getrieben oder an den Felsen in tausend Stücke zerschellt sein.

Fiebriges, schauriges, ungeduldiges Warten in diesen Tagen, in diesen Stunden, den Schicksalsstunden Magellans. Ein Tag und kein Zeichen. Ein zweiter, und sie sind nicht wiedergekehrt. Ein dritter Tag, ein vierter, und sie sind nicht zurück. Und Magellan weiß: wenn diese beiden Schiffe gestrandet und mit ihrer Mannschaft verloren sind, dann ist alles verloren. Mit zwei Schiffen allein kann er die Weiterfahrt nicht wagen. Seine Tat, sein Traum ist dann an diesen fremden Felsen zerschellt.

Endlich ein Signal vom Mastkorb. Aber Entsetzen! Nicht die Schiffe, die heimkehrenden, hat der Späher erblickt, sondern eine Rauchsäule in der Ferne. Fürchterlicher Augenblick. Ein Rauchsignal kann nur bedeuten, daß Schiffbrüchige um Hilfe rufen. Gescheitert also der »San Antonio«! Gescheitert die »Concepcion«, seine besten Schiffe, gescheitert sein ganzes Unternehmen in dieser noch namenlosen Bucht! Schon befiehlt Magellan, Boote herabzulassen, um in jene innere Bucht zu rudern und an Menschenleben zu retten, was noch zu retten ist. Aber in diesem Augenblick ereignet sich die Wende! Es ist derselbe glorreiche Augenblick wie im »Tristan«, wo die schon matt hinsterbende, die klagende und verzagende Todesmelodie der Hirtenflöte plötzlich umspringt und aufspringt in die beschwingte, die jubelnde, die wirbelnde Tanzweise des Glücksüberschwangs. Ein Segel! Ein Schiff! Ein Schiff! Gepriesen sei Gott – ein Schiff wenigstens ist gerettet! Nein, beide Schiffe, beide! Der »San Antonio« und die »Concepcion«, beide kehren wieder, beide heil und wohlbehalten. Aber sieh, was ist das? Kaum, daß sie Magellans und seiner Flotte ansichtig werden, blitzt es drüben auf Backbord, einmal, zweimal, dreimal, und breit rollt das Echo des Kanonendonners von den Bergen wider. Was ist geschehen? Warum lösen sie, die sonst mit jedem Korn Pulver sorgsam sparen, verschwenderisch eine Salve nach der andern? Warum, kaum wagt es Magellan zu glauben, sind alle Flaggen, alle Wimpel gehißt? Warum winken, warum schreien die Kapitäne, die Matrosen, und was winken, was rufen sie? Noch versteht er nicht aus der Ferne die wirren Worte, noch erfassen die Kameraden nicht den Sinn ihrer Rufe. Aber alle fühlen sie zugleich und Magellan als erster: dies ist die Sprache des Triumphs!

Und wahrhaftig, es ist gesegnete Botschaft, welche die beiden Schiffe bringen. Mit plötzlich aufgeweitetem Herzen lauscht Magellan dem Bericht Serrãos. Erst ist es den beiden Schiffen schlimm gegangen. Schon waren sie tief eingedrungen in die innere Bucht, als jener Sturm losbrach. Obwohl sie sofort alle Segel refften, hatte der Quirl der Strömung sie doch wehrlos weitergetrieben, weiter und weiter hineingepeitscht; schon hatten sie gemeint, wehrlos müßten sie zerschellen am Ende der Bucht und ihren felsigen Ufern. Da hätten sie im letzten Augenblick gemerkt, daß die zerklüftete Felsenmauer vor ihnen gar nicht völlig geschlossen sei, sondern abermals hinter einem Vorsprung sich öffne zu einer Art von Kanal. Durch diese stillere Straße seien sie in eine zweite Bucht gelangt, die sich abermals verengte, um sich abermals zu erweitern und zu verbreitern. Drei Tage seien sie so gefahren, ohne an ein Ende dieser erstaunlichen Wasserstraße zu gelangen. Noch hätten sie ihren letzten Ausgang nicht gefunden, doch keinesfalls könne dieser merkwürdige Wasserweg ein Fluß sein. Denn unverändert salzig bleibe das Wasser, regelmäßig und gleichmäßig zeichne Ebbe und Flut sich am Strande ab. Nicht wie ein Strom, nicht wie der La Plata verschmälere sich dieses sonderbare Gewässer, wenn man von der Mündung aufwärts fahre, sondern im Gegenteil: breit und meerhaft dehne bei beständigem Tiefgang immer wieder von neuem die Fläche sich aus. Mehr als wahrscheinlich sei es darum, daß dieser Fjord, dieser Kanal hinüberführe in das langgesuchte Mar del Sur, dessen Ufer Nuñez de Balboa vor wenigen Jahren von den Höhen von Panama herab als erster Europäer erblickt habe.

Eine bessere Kunde hat Magellan, der vielgeprüfte Mann, seit einem Jahre nicht vernommen. Und nur ahnen kann man, wie diese Hoffnungsbotschaft das düstere und verkrampfte Herz ihm plötzlich aufgehellt. Schon hatte er im Innersten verzagt:, schon den Rückweg über das Kap der Guten Hoffnung ins Auge gefaßt, und niemand weiß, welche heimlichen Gebete und Gelübde er kniend zu Gott und seinen Heiligen erhoben. Und nun, gerade im Augenblick, da sein Glaube zu schwinden begonnen, beginnt Wahn zur Wahrheit, der Traum Ereignis zu werden. Keinen Augenblick jetzt mehr gezögert! Die Anker gehoben! Die Segel entbreitet! Noch einmal eine Salve zu Ehren des Königs, ein Gebet dem obersten Admiral! Und dann mutig hinein in das Labyrinth! Findet er aus diesen acherontischen Gewässern einen Weg in das andere Meer, dann hat er als erster den Weg um die Erde gefunden. Und mit allen vier Schiffen steuert Magellan mutig in diesen Kanal, den er zu Ehren des Tags den Kanal Todos los Santos tauft. Aber die Nachwelt wird ihn dankbar die Magellanstraße nennen.

Ein sonderbarer, ein gespenstischer Anblick muß es gewesen sein, wie zum erstenmal die vier ersten Schiffe der Menschheit leise und lautlos in diese schweigsame, schwarze, seit ewigen Zeiten noch nie von einem Irdischen befahrene Straße hineingleiten. Ein ungeheures Schweigen erwartet sie. Wie Magnetberge starren metallisch die Hügel am Ufer, dunkel lastet der immer hier verwölkte Himmel, schwarz schattet das Wasser; wie Charons Boot auf den stygischen Gewässern, Schatten zwischen Schatten, so steuern die vier Schiffe schweigsam durch diese Hadeswelt. Von ferne leuchten Berge mit schneeigen Gipfeln, und eisigen Hauch trägt nachts der Wind von ihnen her. Kein Lebewesen zeigt sich rings, und doch müssen Menschen verborgen hier hausen, denn nachts leuchten zur Seite flackernde Feuer im Dunkel, weshalb Magellan dies Land terra de fuego, Feuerland, benennt. (Diese ständig brennenden Feuer sind noch durch Jahrhunderte beobachtet worden. Sie erklären sich aus dem Umstand, daß die Feuerländer als kulturell völlig niedere Rasse noch nicht die Technik des Feueranmachens kannten und darum ununterbrochen Tag und Nacht in ihren Hütten Holz und dürres Gras brannten.) Aber nie, während beklommen die Seefahrer nach allen Seiten spähen, eine Stimme, nie eine bewegte Gestalt; als Magellan einmal Matrosen mit einem Boot ans Ufer sendet, finden sie nicht Haus und nicht Spuren von Leben, sondern nur Wohnstatt von Toten, ein paar Dutzend verlassene Gräber. Auch das einzige Tier, das sie aufspüren, ist tot, ein Walfisch, dessen riesige Leiche die Flut an den Strand gespült hat: nur zum Sterben ist er hierhergekommen an diesen Strand der Vergängnis und des ewigen Herbstes. Staunend starren die Fahrenden in die gespenstische Stille; es ist, als ob sie in eine ausgebrannte, ausgestorbene Sternlandschaft geraten wären. Ach, nur weiter! Nur weiter! Und wieder gleiten, langsam von der Brise vorwärtsgetrieben, die Schiffe durch die nächtigen Gewässer, die noch nie den Kiel eines Schiffes gefühlt. Immer wieder taucht das Senkblei in die Tiefe und findet keinen Grund; immer wieder lugt Magellan ängstlich nach allen Seiten aus, ob die Bucht sich nicht plötzlich schließen werde und die freie Wasserbahn ende. Doch immer neu und immer weiter setzt sich die Straße fort, immer neue Zeichen bekunden, daß sie überführen müsse in die offene See. Doch noch unsichtbar bleibt dieser ersehnte Augenblick, noch verworren der Weg, noch verstört die Seele. Weiter und weiter geht die verzauberte Fahrt durch die kimmerische Nacht, einzig begleitet von dem wilden und unverständlichen Gesang des Winds, der schrill und kalt zwischen den Bergen saust.

Aber wenn eine düstere, so ist diese Fahrt auch eine gefährliche zugleich. Nicht im mindesten ähnelt die aufgeschlossene Straße jenem schnurgeraden Phantasiekanal, den in ihren bequemen deutschen Stuben die biedern Kosmographen, den Schöner und vor ihm wohl Behaim in ihre Karten gezeichnet haben, und es bedeutet eigentlich bloß einen abkürzenden Euphemismus, die Magellanstraße überhaupt: Straße zu nennen; in Wahrheit stellt sie einen ununterbrochenen Kreuzweg dar, ein zerfetztes, labyrinthisches Gewirr von Windungen und Wendungen, von Buchten, Baien, Fjorden, Sandbänken und verwickelten Wasserdärmen, das Schiffe nur mit größter Kunst und größtem Glück heil zu durchfahren vermögen. In den sonderbarsten Formen spitzen oder ballen sich diese Buchten, unberechenbar in ihrem Tiefgang, in ihrem Ausgang, dicht mit Inseln durchspickt, mit Untiefen besät; dreimal, viermal gabelt sich zur Rechten, zur Linken jedesmal von neuem die Straße, und nie weiß man, welche die richtige ist, ob jene nach Westen, nach Norden oder nach Süden. Sandbänke müssen vermieden, Felsen umfahren werden, und immer wieder fegt der feindliche Wind mit plötzlichen Wirbelstößen, den sogenannten »williwaws«, durch den unruhigen Sund, die Gewässer aufrührend, die Segel zerspellend. Erst an den vielen Schilderungen der Nachfahren begreift man, warum die Magellanstraße noch für Jahrhunderte den Schrecken aller Seeleute gebildet hat. Denn immer »weht hier Nordwind von allen vier Himmelsrichtungen«, nie gibt es hier stille, sonnige, gemächliche Durchfahrt. Zu Dutzenden scheitern bei den nachfolgenden Expeditionen Schiffe in dem unwirtlichen und heute noch nicht recht besiedelten Sund, und nichts bezeugt besser, welch ein Meister nautischer Kunst Magellan gewesen ist, als daß gerade er, der als erster diesen gefährlichen Seeweg bewältigt, auf Jahre und Jahre hinaus auch der letzte blieb, dem es gelang, jene Straße ohne Verlust eines einzigen Schiffs zu durchfahren. Bedenkt man die Unbehilflichkeit seiner Fahrzeuge, die ohne jeden andern Antrieb als den eines bauchigen Segels und eines hölzernen Steuers einzeln die hundert Arterien und Seitengänge auskundschaften mußten, unablässig vor- und zurückfahrend, um immer wieder einander an bestimmten Stellen zu treffen, und dies in unfreundlicher Jahreszeit und mit schon abgemüdeter Mannschaft, dann erst mutet seine glückliche Durchfahrt als das Wunder an, als das es Generationen von Seeleuten gerühmt haben. Aber wie in allen Sphären war auch in Magellans nautischer Kunst sein eigentliches Genie die Geduld, die unerschütterliche Vorsicht und Voraussicht. Einen ganzen Monat verharrt er in seiner verläßlichen, verantwortlichen Suche. Er eilt nicht, er jagt nicht in ungeduldiger Erwartung weiter, obwohl ihm gewiß innerlich die Seele schon bebt, endlich, endlich, endlich den Ausgang, endlich das südliche Meer schauen zu dürfen. Immer wieder, bei jeder Gabelung, teilt er seine Flotte; jedesmal, wenn zwei Schiffe einen Nordfjord erkunden, durchforschen gleichzeitig die beiden andern den südlichen Pfad. Als wüßte dieser einsame Mann, daß er, unter dunklen Sternen geboren, niemals dem Glück vertrauen darf, überläßt er nicht ein einziges Mal die Wahl unter den vielfachen Wegen dem Zufall, auf gerad oder ungerad die Münze werfend; immer sucht und durchforscht er alle Wege, um den einen, den rechten zu finden, und so triumphiert mit seiner genialen Phantasie zugleich die nüchternste und die eigenste seiner Tugenden: die heroische Beharrlichkeit.

Triumph: die ersten Meerengen der Straße sind glücklich überwunden und schon die zweiten bewältigt. Abermals ist Magellan an einen Kreuzweg gelangt, wo die verbreiterte Bucht sich zur Rechten und zur Linken in zwei verschiedene Arme gabelt, und wer kann wissen, welcher dieser beiden Wege geradeaus zum offenen Meere führt und welcher als tote Sackgasse für ihn wertlos ist. Abermals teilt deshalb Magellan seine kleine Flotte. Der »San Antonio« und die »Concepcion« sollen die Buchtung nach Südosten verfolgen, während er selbst mit dem Flaggschiff und der »Victoria« den Kanal nach Südwesten untersucht. Als Treffpunkt ist spätestens nach fünf Tagen die Mündung eines kleinen Flusses, den sie um seines Fischreichtums willen den Sardinenfluß nennen werden, ausersehen, und genauestens sind bereits die Instruktionen an die Kapitäne verteilt. Schon könnten die Schiffe die Segel hissen. Aber da ereignet sich etwas Unverhofftes, das kein einziger in der Flotte erwartete: Magellan beruft alle Kapitäne an. Bord seines Flaggschiffes, um vor jeder weiteren Aktion sich Rapport über die Vorräte erstatten zu lassen und ihre Meinung zu hören, ob man die Reise jetzt noch weiter fortsetzen oder nach gelungener Erkundung umkehren solle.

Um ihre Meinung zu hören? Was hat, fragt man sich erstaunt, sich ereignet? Weshalb diese verblüffende demokratische Geste mit einemmal? Warum erhebt der eherne Diktator, der bisher keinem seiner Kapitäne das Recht zuerkannte, eine Frage zu tun oder einen Befehl zu bemäkeln, gerade bei dem Anlaß eines ganz geringfügigen Manövers seine Offiziere aus Untergebenen wieder zu Kameraden? In Wirklichkeit ist nichts logischer als dieser Umschwung. Immer können Diktatoren nach dem restlosen Triumph eher der Humanität ihr Recht lassen und viel leichter die freie Rede verstatten nach der Sicherung ihrer Macht. Nun, da er den »paso«, den »estrecho« gefunden, muß Magellan keine Frage mehr scheuen. Nun, da er den Trumpf in der Hand hält, kann er den andern willfahren und die Karten aufdecken. Immer ist es leichter, im Glück gerecht zu handeln als im Unglück. So lockert nun endlich, endlich, endlich der harte, der verschlossene, der in sich vermauerte Mann das Schweigen, das er gewaltsam hinter die Zähne verbissen. Seit sein Geheimnis nicht mehr Geheimnis ist, sondern offenbar, kann Magellan mitteilsam sein.

Die Kapitäne erscheinen und erstatten Bericht. Allerdings ist ihre Meldung nicht erfreulich. Die Vorräte seien gefährlich zusammengeschmolzen, jedes Schiff führe bestenfalls noch Proviant für drei Monate. Magellan nimmt das Wort. Es stünde nun fest, erklärt er nachdrücklich, daß das erste Ziel der Reise erreicht sei, der »paso«, der Durchgang in das Mar del Sur soviel wie gefunden. Nun bitte er seine Kapitäne, frei ihre Ansichten zu äußern, ob die Flotte mit diesem Erfolg sich begnügen oder zu vollenden suchen solle, was er dem Kaiser versprochen: auch die Gewürzinseln zu erreichen und sie für Spanien in Besitz zu nehmen. Gewiß, er gebe willig zu, die Vorräte seien schon äußerst knapp und große Fährnisse stünden ihnen noch bevor. Aber groß sei auch der Ruhm und der Reichtum, der sie alle bei glücklicher Vollbringung erwarte. Sein Mut sei unerschüttert. Aber ehe er eine endgültige Entscheidung treffe, ob sie mit diesem halben Erfolg schon jetzt heimkehren sollten oder um der Ehre willen noch dem letzten Ziele zustreben, wolle er die Meinung seiner Offiziere hören.

Die Antwort der einzelnen Kapitäne und Piloten ist uns nicht überliefert, aber man geht wohl nicht fehl mit der Annahme, daß die meisten ziemlich schweigsam geblieben sind. Noch entsinnen sie sich zu deutlich des Strands von San Julian und der gevierteilten Gliedmaßen ihrer spanischen Kameraden; noch immer bleibt es ihnen unbehaglich, diesem eisernen Portugiesen wider den Willen zu sprechen. Nur ein einziger äußert klar und scharf seine Bedenken, Estevão Gomez, der Pilot des »San Antonio«, ein Portugiese und angeblich sogar mit Magellan verwandt. Gomez sagt offen, jetzt, nachdem allem Anschein nach der »paso« tatsächlich gefunden sei, täte man besser, nach Spanien zurückzukehren und lieber mit einer frisch ausgerüsteten Flotte auf dem nun aufgeschlossenen Wege die Fahrt nach den Gewürzinseln zu wiederholen. Denn die eigenen Schiffe seien seiner Meinung nach nicht mehr genug seetüchtig, außerdem unzulänglich mit Proviant versehen, und niemand wisse, wie weit sich das Mar del Sur, dieser neue, unbekannte Ozean noch hinter der neuentdeckten Straße erstrecke. Wenn sie fehlsteuerten auf dieser unbekannten See und nicht bald einen Hafen fänden, müsse die Flotte auf elendeste Weise zugrunde gehen.

Mit Estevão Gomez spricht die Vernunft, und wahrscheinlich tut Pigafetta, der jeden Widersacher Magellans von vorneweg verdächtigt, diesem erfahrenen Manne unrecht, wenn er ihm allerhand kleinliche Gründe für seine Bedenken unterschiebt. In Wirklichkeit war vom logischen, vom sachlichen Standpunkt aus der Vorschlag Estevão Gomez', jetzt in Ehren zurückzukehren und mit einer zweiten Expedition das vorgesetzte Ziel zu erreichen, der richtige; er hätte Magellan und fast zweihundert Menschen das Leben gerettet. Aber Magellan geht es nicht um das sterbliche Leben, sondern um die unsterbliche Tat. Wer heldisch denkt, muß notwendigerweise widervernünftig handeln. Ohne zu zögern, nimmt Magellan das Wort zur Gegenrede. Gewiß stünden ihnen Schwierigkeiten bevor, wahrscheinlich würden sie Hunger und alle denkbare Not erleiden müssen, aber – ein merkwürdig prophetisches Wort – selbst wenn sie das Leder, mit dem die Segelstangen beschlagen seien, schlingen müßten, erachte er es als seine Pflicht, weiterzufahren und das Land zu entdecken, das er versprochen habe (de pasar adelante y descubrir lo que habia prometido). Mit diesem Aufruf zum Abenteuer scheint die psychologisch so merkwürdige Beratung bereits erledigt gewesen zu sein, und von Schiff zu Schiff wird Magellans Befehl laut ausgerufen, die Reise werde fortgeführt. Im geheimen jedoch erteilt Magellan seinen Kapitänen den Befehl, der Mannschaft die Knappheit der Vorräte sorgfältigst zu verschweigen. Jeder, der auch nur eine Andeutung verlauten lasse, habe sein Leben verwirkt.

Stillschweigend haben die Kapitäne den Befehl übernommen, und bald sind die beiden Schiffe, welchen die Aufgabe obliegt, den südlichen Kanal zu durchforschen, der »San Antonio« unter dem Kommando Mesquitas und die »Concepcion« unter jenem Serrãos, im Gewirr der gezackten und gewundenen Buchten verschwunden. Die beiden zurückgebliebenen Schiffe, die »Trinidad«, das Flaggschiff Magellans, und die »Victoria«, haben indes bequemere Zeit. Sie ankern an der Mündung des Sardinenflusses, und statt selbst den Weiterlauf des Kanals nach Westen zu erkunden, überläßt Magellan diese erste Rekognoszierung einem kleinen Boot. Gefahr besteht keine in diesem stillen Teil des Kanals; nur den einen Befehl, spätestens am dritten Tage von ihrer Erkundung zurück zu sein, erteilt Magellan; dadurch bleiben den beiden großen Schiffen die drei Tage, bis die »Concepcion« und der »San Antonio« zurückkehren, zu völliger Rastpause. Und es wird eine gute Rast, die Magellan mit den Seinen in dieser linderen Landschaft hält. Sonderbar hat sich in den letzten Tagen, je mehr sie gegen Westen vordrangen, die Gegend verschönt. Statt der schroffen sandigen Felsen grüßen hier Wiese und Wald. Weicher senken sich die Hügel nieder, ferner leuchten die eisigen Gipfel. Milder ist die Luft geworden, Quellen mit süßem Wasser erquicken die Matrosen, die wochenlang nur das stinkende Brackwasser ihrer Schiffstonnen gekannt. Nun liegen sie lässig im weichen Grase, sehen faul dem Wunder der in der Luft fliegenden Fische zu, aber sputen sich dann wieder kräftig, um die Sardinen in dem Fluß zu fangen, die sich hier in unglaublicher Fülle finden. So viele gute und würzige Kräuter entdecken sie, daß sie seit Monaten endlich wieder sich satt essen können, und so schön und schattig umschmeichelt sie die Natur, daß Pigafetta begeistert ausruft: »Credo che non sia al mondo el più bello e miglior stretto, comè è questo.«

Aber was will dies kleine Glück der Behaglichkeit, der Bequemlichkeit, des faulen Entspannens gegen das andere besagen, gegen das große, das feurig betörende, das schwunghaft aufhebende, das Magellan jetzt umrauscht? Schon naht es, schon schwingt es heran; denn siehe, am dritten Tag kehrt gehorsam die ausgesandte Schaluppe zurück, und wieder winken schon von ferne die Matrosen wie damals an dem Tage Todos los Santos, da sie den Eingang zur Straße entdeckten. Nun aber – tausendmal wichtiger dies! – haben sie endlich den Ausgang gefunden! Sie haben das Meer, in das dieser Kanal mündet, mit eigenen Augen gesehen, das Mar del Sur, das große unbekannte Meer! Thalassa, thalassa, der tausendjährige Jubelruf, mit dem die Griechen, nach endloser Fährnis heimkehrend, das ewige Gewässer begrüßten, hier hallt er wider in einer andern Sprache und doch mit gleicher Begeisterung; selig schwingt er sich auf in eine Sphäre, die noch nie den Jubel menschlicher Stimme vernommen.

Diese eine Minute ist Magellans großer Augenblick, jener Augenblick äußerster und unüberbietbarer Entzückung, wie ihn jeder Mensch in seinem Leben nur einmal erlebt. Alles hat sich erfüllt. Er hat das Wort eingelöst, das er dem Kaiser gegeben. Er hat wahrgemacht, er, der erste und einzige, was Tausende vor ihm nur träumten: er hat den Weg in das andere Meer gefunden. Gerechtfertigt und der Unsterblichkeit geweiht weiß er sein Leben durch diesen Augenblick.“

 

Pazifik

 

Die Geschichte dieser ersten Durchquerung des bisher noch namenlosen Ozeans – »ein Meer, so weit, daß der menschliche Geist es kaum erfassen kann«, heißt es im Bericht des Maximilian Transsylvanus – ist eine der unsterblichen Heldentaten der Menschheit. Schon die Fahrt des Columbus in das räumlich Unbegrenzte war von seiner Zeit und allen Zeiten als unvergleichliche Mutleistung empfunden worden, und doch: selbst diese Tat ist im Sinn der Aufopferung nicht dem Sieg zu vergleichen, den Magellan unter namenlosesten Entbehrungen den Elementen abgezwungen. Denn Columbus segelt mit seinen drei frisch vom Kiel geholten, neu aufgetakelten, wohlversorgten Schiffen im ganzen nur dreiunddreißig Tage, und eine Woche schon, ehe er landet, bekräftigen ihm das treibende Gras auf der See, schwimmende fremde Hölzer und Landvögel, daß er irgendeinem Kontinente sich nähere. Seine Mannschaft ist gesund und ausgeruht, seine Schiffe so reichlich mit Lebensmitteln versehen, daß er schlimmstenfalls unverrichteter Dinge heimkehren könnte. Nur vor ihm liegt das Unbekannte, und im Rücken hat er die Heimat als letzten Weg und Ausweg. Magellan aber fährt völlig ins Leere, und er fährt nicht von einem vertrauten Europa mit Hafen und Heim fort, sondern von einem fremden, unwirtlichen Patagonien. Seine Mannschaften sind erschöpft von monatelangen Strapazen. Hunger und Entbehrung liegt hinter ihnen, Hunger und Entbehrung fährt mit ihnen, Hunger und Entbehrung droht vor ihnen. Abgenützt ist ihre Gewandung, zerfetzt jedes Segel, verbraucht jedes Tau. Seit Wochen und Wochen haben sie kein neues Menschengesicht gesehen, keine Frau, keinen Wein, kein frisches Fleisch, kein frisches Brot mehr erblickt, und im stillen beneiden sie wohl die verwegeneren Kameraden, die rechtzeitig desertiert und heimgefahren sind, statt ausgesetzt zu sein in so unendlicher Wasserwüste. Und so segeln die drei Schiffe zwanzig Tage, dreißig Tage, vierzig Tage, fünfzig Tage und sechzig Tage, und noch immer kein Land, noch immer kein Hoffnungszeichen, daß sie dem Lande sich nähern! Und wieder eine Woche und noch eine Woche und noch eine und noch eine und noch eine – hundert Tage, dreimal die Zeit, in der Columbus den Ozean durchfahren! Tausend und tausend und tausend leere Stunden segelt Magellans Flotte vollkommen im Leeren. Seit dem 28. November, da das Cabo deseado, das ersehnte Kap, am Horizonte verdämmerte, gilt keine Karte mehr und kein Maß. Falsch haben sich alle Distanzen erwiesen, die Faleiro daheim errechnete, längst glaubt Magellan an Cipangu, an Japan, vorübergesteuert zu sein und hat in Wahrheit kaum erst ein Drittel des unbekannten Ozeans durchmessen, den er um seiner Windstille willen für alle Zeiten »il Pacifico«, den Friedlichen, tauft.“

 

Rund ist die Erde

 

Auf Massawa, dieser winzigen, gleichgültigen philippinischen Insel, die man nur mit dem Vergrößerungsglas auf normalen Karten findet, erlebt Magellan abermals einen jener großartig dramatischen Augenblicke seines Lebens; immer zucken, ganz in eine Sekunde zusammengeballt wie eine steil aufschießende Flamme, innerhalb seiner dunklen und mühseligen Existenz solche Glücksmomente auf, durch ihre berauschende Intensität die zähe, schwere, beharrliche Geduld unzähliger einsamer und sorgenvoller Stunden wundervoll vergeltend. Der äußere Anlaß kleidet sich diesmal höchst unscheinbar. Kaum, daß die drei großen fremden Schiffe mit geschwellten Segeln dem Strande von Massawa sich nähern, sammelt sich freundlich und neugierig das Volk, um die Fremden zu erwarten. Aber ehe Magellan selbst landet, sendet er zur Vorsicht seinen Sklaven Enrique als Friedensvermittler voraus, richtig vermutend, daß die Eingeborenen einem Manne brauner Hautfarbe mehr Vertrauen entgegenbringen dürften als einem der weißhäutigen, sonderbar bekleideten und bewaffneten Bartmenschen.

Und nun begibt sich das Unerwartete. Schwatzend und schreiend umdrängen die halbnackten Insulaner Enrique – und plötzlich staunt und stutzt der malaiische Sklave. Denn er hat einzelne Worte verstanden. Er hat verstanden, was diese Leute ihm sagen, verstanden, was sie ihn fragen. Er, der seit Jahren von der Heimat Weggeraubte, hat zum erstenmal wieder Bruchstücke seiner eigenen Sprache vernommen. Denkwürdiger, unvergeßbarer Augenblick, einer der größten in der Geschichte der Menschheit – zum erstenmal, seit die Erde durch das Weltall kreist, ist ein einzelner lebender Mensch rund um die ganze Erde wieder zurück in seine Heimatszone gelangt. Gleichgültig, daß es ein unbeträchtlicher Sklave war – nicht in dem Menschen, sondern in seinem Schicksal liegt hier die Größe. Denn dieser belanglose malaiische Sklave, von dem wir nicht mehr wissen als seinen Sklavennamen Enrique, er, den man mit der Peitsche weggetrieben von der Insel Sumatra und über Indien und Afrika nach Lissabon, nach Europa geschleppt, er ist als erster der Myriaden Menschen, die je die Erde bevölkerten, über Brasilien und Patagonien, über alle Ozeane und Meere wieder zurückgekehrt in die Sphäre, wo man seine eigene Sprache spricht; vorbei an hundert, an tausend Völkern und Rassen und Stämmen, die jedes Wort für einen Begriff anders im Munde formen, ist er als der erste um den rollenden Ball zurückgekommen zu dem einzigen Volk, das er versteht, das ihn versteht.

In dieser Sekunde weiß Magellan: das Ziel ist erreicht, seine Tat ist getan. Er hat, von Osten her kommend, den Rand des malaiischen Sprachkreises wieder betreten, den er vor zwölf Jahren westwärts steuernd verlassen; bald wird er diesen Sklaven nach Malacca, wo er ihn gekauft, heil wieder zurückbringen können. Ob dies morgen geschieht, ob in späterer Zeit, ob ein anderer statt seiner die verheißenen Inseln erreicht, das ist gleichgültig. Denn das Eigentliche seiner Tat ist schon vollendet in diesem einen Augenblick, der zum erstenmal die Tatsache für alle Zeiten bewiesen, daß, wer beharrlich auf dem Meere fortsteuert, sei es der Sonne nach, sei es der Sonne entgegen, heimkehren muß an die Stelle, von der er ausgegangen. Was die Weisesten vermuteten seit tausenden Jahren, was die Gelehrten träumten, nun ist es durch den Mut eines einzelnen Gewißheit geworden: rund ist die Erde. Denn siehe, ein Mensch hat sie umrundet …

Nach drei Tagen Meeresstille und glücklicher Fahrt, am 7. April 1521, nähert sich die Flotte der Insel Sebu; zahlreiche Dörfer zeigen von ferne schon, daß sie dicht bevölkert ist. Der königliche Pilot Calambu lenkt mit sicherer Hand das Steuer zur Hauptstadt hin, und bereits der erste Blick auf den Hafen belehrt Magellan, daß er es hier mit einem Rajah oder König höheren Ranges und kultivierterer Art zu tun haben wird, denn an der Reede liegen ausländische Dschunken und zahllose kleine einheimische Praus. Es gilt also, von vornherein imposant aufzutreten und sich als der Herr über Blitz und Donner zu erweisen. Magellan befiehlt allen Schiffen, eine Artilleriesalve zur Begrüßung abzugeben, und wie immer erregt dieses Wunder eines künstlichen Gewitters bei klarem Himmel zunächst ungeheures Entsetzen bei den Naturkindern; in schreiendem Schreck flüchten die Eingeborenen nach allen Seiten und verstecken sich. Aber sofort sendet Magellan seinen wackeren Dolmetsch Enrique ans Land, um dem Herrscher der Insel diplomatisch kundzutun, dieser Donner bedeute keineswegs ein Zeichen der Feindschaft, sondern mit solchem hohen Zauber wünsche der mächtige Kommandant dem mächtigen König von Sebu nur seinen besondern Respekt kundzutun. Der Herr dieser Schiffe sei selber bloß Diener, allerdings Diener des größten Herrn der Welt; auf dessen Befehl habe er das gewaltigste Meer der Erde durchfahren, um die Gewürzinseln aufzusuchen. Bei dieser Gelegenheit habe er aber nicht versäumen wollen, dem König von Sebu einen freundschaftlichen Besuch abzustatten, weil er in Massawa vernommen habe, ein wie weiser und freundlicher Fürst der König von Sebu sei. Gerne sei der Kommandant des Donnerschiffs bereit, dem Monarchen dieser Insel niegesehene köstliche Waren zu zeigen und mit ihm in Tauschhandel zu treten. Keinesfalls aber wolle er lange bleiben, sondern nach geschlossener Freundschaft sofort wieder die Inseln verlassen, ohne dem weisen und mächtigen König die mindeste Ungelegenheit bereitet zu haben.

Der König oder vielmehr der Rajah von Sebu, Humabon, ist nun kein so argloses Naturkind mehr wie die nackten Wilden der Ladronen und die »Riesen« Patagoniens. Er hat bereits vom Baum der Erkenntnis gegessen, weiß um Geld und Geldeswert; dieser gelbbraune Fürst am andern Ende der Welt ist praktischer Nationalökonom, was sich dadurch bekundet, daß er die hochkultivierte Errungenschaft der Transitgebühren für seinen Hafen entweder von andern übernommen oder selbst erfunden hat. Dem gerissenen Handelsmann imponiert weder der Kanonendonner noch beschmeichelt ihn die Honigrede des Dolmetschers. Kühl erklärt er Enrique, er verweigere keineswegs diesen unbekannten Fremden die Einfahrt in seinen Hafen, und die neue Geschäftsverbindung sei ihm willkommen. Aber jedes Schiff, das anlege, müsse ausnahmslos eine Taxe, einen Hafenzoll bezahlen. Es möge also dieser große fremde Kapitän der drei großen fremden Schiffe, wenn er hier Tauschhandel treiben wolle, zunächst einmal die übliche Gebühr entrichten.

Der Sklave Enrique weiß sofort, daß sein Herr als Admiral einer königlichen Armada und Ritter von Santiago niemals einem solchen Duodezhäuptling Hafenzoll zahlen wird. Denn durch einen solchen Tribut würde er implicite die Oberhoheit oder Selbständigkeit eines Landes anerkennen, welches Spanien gemäß der päpstlichen Bulle von vornherein schon als seine Provinz betrachtet. Dringlich legt darum Enrique dem König Humabon nahe, in diesem besonderen Falle auf die Taxe zu verzichten und es nicht auf Feindschaft mit dem Herrn des Donners und des Blitzes ankommen zu lassen. Der kommerziell gesinnte Rajah wiederholt sein Bedauern. Erst Geld, dann die Freundschaft. Erst müsse man zahlen, da gäbe es keine Ausnahmen. Und als Zeugen läßt er einen mohammedanischen Händler rufen, der eben von Siam mit einer Dschunke gekommen ist und widerspruchslos den Zoll entrichtet hat.

In Bälde erscheint der maurische Händler und wird sofort blaß. Bei dem ersten Blick auf die großen Schiffe mit dem Kreuz von Santiago auf den gespannten Segeln hat er die schlimme Sachlage erfaßt. Wehe, auch diesen letzten, verborgensten Winkel des Ostens, wo man noch ungehindert von diesen Piraten sein redliches Geschäft treiben konnte, haben die Christen ausgekundschaftet! Auch hier sind sie schon mit ihren furchtbaren Kanonen und Arkebusen, diese Mörder und Feinde Mohammeds! Vorbei nun das friedliche Geschäft, vorbei der gute Gewinn! Hastig flüstert er dem König zu, vorsichtig zu sein und sich mit diesen unwillkommenen Gästen nicht in Streit einzulassen. Es seien dieselben – hier verwechselt er freilich die Spanier mit den Portugiesen –, die Calicut, ganz Indien und Malacca geplündert und erobert hätten. Niemand könne diesen weißen Teufeln widerstehen.

Abermals hat sich mit diesem Erkennen ein Kreis geschlossen: am andern Ende der Welt, unter andern Sternen, hat Europa wieder Europa berührt. Bisher hatte Magellan, nach Westen steuernd, fast überall von Europäern noch unbetretenes Land gefunden. Keiner der Eingeborenen, die ihm entgegengetreten waren, hatte je von weißen Männern gehört gehabt, keiner je vordem einen Europäer gesehen. Selbst Vasco da Gama war, in Indien landend, von einem Araber portugiesisch angesprochen worden; er aber hatte zwei Jahre nicht ein einziges Mal sich erkannt gefühlt, wie auf einem fremden, unbehausten Stern waren die Spanier im Leeren gewandert. Den Patagoniern waren sie wie himmlische Wesen erschienen, wie vor Teufeln oder bösen Geistern hatten die Bewohner der Diebsinseln sich vor ihnen in die Büsche geschlagen. Hier nun, am andern Ende des Erdkreises, stehen die Europäer endlich wieder einem gegenüber, der sie kennt, der sie erkennt – eine Brücke ist geschlagen von ihrer Welt zu diesen neuen Welten über ozeanische Fernen. Der Ring ist geschlossen: ein paar Tage, ein paar hundert Meilen noch, und er wird nach zwei Jahren wieder Europäern begegnen, Christen, Kameraden, Glaubensgefährten. Wenn Magellan noch zweifeln konnte, ob er wirklich schon nahe dem Ziele sei, nun wird es ihm abermals bekräftigt: denn Sphäre hat Sphäre berührt, das Ungeheure ist vollbracht, die Welt ist umrundet.“

 

Magellans Ende

 

Alles ist Magellan gelungen, als hätten Engel den Weg ihm erhellt. Er hat ein neues Reich der spanischen Krone gewonnen, aber wie das Errungene nun dem König bewahren? Länger auf Sebu zu verweilen, ist ihm nicht möglich und ebensowenig, den ganzen Archipel, Insel für Insel, zu unterwerfen. So sieht Magellan – der immer in weiten Etappen denkt – nur einen Weg, um die spanische Macht auf den Philippinen möglichst dauerhaft zu konsolidieren, nämlich Carlos Humabon, den einzigen katholischen Großhäuptling, zum Herrscher über alle andern Häuptlinge zu erheben. Als Bundesgenosse des spanischen Königs soll von nun ab der König Carlos von Sebu ein höheres Prestige besitzen als alle andern. Nicht ein unüberlegter Leichtsinn, sondern ein wohlüberdachter politischer Meisterzug war es darum, wenn Magellan dem König von Sebu nun militärische Hilfe anbot, falls irgend jemand wagte, sich gegen seine Autorität aufzulehnen.

Zufälligerweise ergibt sich gerade in diesen Tagen Gelegenheit zu einer solchen Demonstration. Auf einer ganz winzigen Insel, Mactan, die Sebu gegenüberliegt, regiert ein Rajah namens Silapulapu, der sich von je gegen den König von Sebu aufsässig gezeigt hat. Auch diesmal untersagt er seinen Untertanen, die sonderbaren Gäste des Carlos Humabon mit Lebensmitteln zu verpflegen, und vielleicht hat diese feindselige Haltung eine gewisse Berechtigung. Irgendwo auf seinem Inselchen ist es – wahrscheinlich weil die Matrosen nach ihrer langen Enthaltsamkeit den Weibern wie toll nachjagten – zu einem Scharmützel gekommen, und dabei wurden ein paar Hütten niedergebrannt. Kein Wunder, daß er die Fremden möglichst bald fort wissen will. Aber sein störrisches Verhalten gegen die Gäste Humabons scheint Magellan eine treffliche Gelegenheit für eine demonstrative Machtprobe. Nicht nur der König von Sebu, sondern alle Häuptlinge im weiten Umkreis sollen einmal sehen, wie gut jeder tut, der zu den Spaniern hält, und wie bitter jeder büßt, der sich den Herren des Donners widersetzt: ein solches kleines, nicht sehr blutiges Schauspiel kann überzeugender als alle Worte wirken. Magellan bietet also Humabon an, er wolle jenem widerspenstigen Häuptling eine militärische Lektion erteilen, damit alle anderen Häuptlinge ein für allemal gründlichen Respekt bekämen. Merkwürdigerweise ist der König von Sebu nicht sehr begeistert von Magellans Angebot. Vielleicht fürchtet er, daß sofort nach der Abreise der Spanier die unterworfenen Stämme sich wieder gegen ihn erheben könnten; anderseits warnen auch Serrão und Barbosa den Admiral vor so unnötiger Kriegsexpedition ...

Bei der Vorbereitung dieses kleinen Kriegszugs scheint zum erstenmal Magellan seine augenfälligste Eigenschaft im Stiche zu lassen: Vorsicht und Weitsicht. Zum erstenmal scheint der sonst genaue Rechner leichtfertig sich in eine Gefahr zu begeben. Denn der König von Sebu hat sich bereit erklärt, den Spaniern tausend Mann seiner eigenen Kriegsleute auf diese Expedition mitzuschicken, und ohne Schwierigkeit könnte seinerseits Magellan hundertfünfzig von seiner Mannschaft auf das Inselchen hinüberbeordern – kein Zweifel, daß der Rajah dieser Flohinsel, die man auf einer normalen Karte überhaupt nicht findet, dann eine zerschmetternde Niederlage erleidet. Aber Magellan will keine Schlächterei. Ihm geht es bei dieser Expedition um etwas anderes und Wichtigeres: um das Prestige Spaniens. Einem Admiral des Kaisers beider Welten scheint es unter seiner Würde, gegen einen solchen braunen Lümmel, der keine ungeflickte Matte in seiner dreckigen Hütte hat, eine ganze Armee ins Feld zu schicken und mit Übermacht gegen ein solches jämmerliches Pack von Insulanern zu kämpfen. Gerade das Gegenteil bezweckt doch Magellan – nämlich sichtbar darzutun, daß schon ein einziger gut bewaffneter, gut gepanzerter Spanier allein mit hundert solcher Nackedeis im Spiel fertig wird. Diese Strafexpedition soll ausschließlich den Mythus der Unverwundbarkeit, der Gottähnlichkeit der Spanier über alle Inseln hin sichtbar machen, und was vor einigen Tagen den Königen von Massawa und Sebu auf seinem Schiff als erheiterndes Possenspiel gezeigt wurde, nämlich daß auf einen guten spanischen Eisenpanzer zwanzig Krieger gleichzeitig mit armseligen Lanzen und Dolchen losstoßen können, ohne den Mann darin zu verwunden, soll an diesem widerspenstigen Rajah in größerem Maßstab exemplifiziert werden. Nur aus diesem psychologischen Grunde nimmt der sonst Vorsichtige statt seiner ganzen Mannschaft nur sechzig Leute mit und ersucht den König von Sebu, mit seinen Hilfstruppen unbeteiligt auf den Kanus zu bleiben. Nur als Zeugen, nur als Zuschauer sollen sie an dem lehrhaften Schauspiel teilhaben, wie fünf Dutzend Spanier alle Häuptlinge und Rajahs und Könige dieser Inseln zu Paaren treiben.

Hat der erfahrenste Rechner diesmal falsch kalkuliert? Durchaus nicht. Historisch gesehen war die Proportion von sechzig geharnischten Europäern gegen tausend nackte, mit Fischknochenlanzen fechtende Indios keineswegs absurd. Denn mit vierhundert, fünfhundert Soldaten haben Cortez und Pizarro gegen Hunderttausende von Mexikanern und Peruanern ganze Reiche erobert; im Vergleich zu solchen Unternehmungen war Magellans Expedition nach einem stecknadelkopfgroßen Inselchen wirklich nur ein militärischer Spaziergang. Daß er an Gefahr ebensowenig gedacht hat wie der andere große Seefahrer, Kapitän Cook, der in einem genauso winzigen Gefecht mit Insulanern sein Leben verlor, tut uns schon der eine Umstand zur Genüge kund, daß der fromme Katholik Magellan, der vor jeder entscheidenden Aktion die Mannschaft sonst das Abendmahl nehmen ließ, diesmal nichts dergleichen anordnet. Ein paar scharfe Schüsse, ein paar feste Schläge, und wie die Hasen werden die armen Burschen Silapulapus Fersengeld geben! Ohne richtiges Blutvergießen wird dann die Unantastbarkeit der spanischen Herrschaft für ewige Zeiten glorreich erwiesen sein …

Verhängnisvollerweise findet dieser kleine Häuptling jedoch einen ausgezeichneten Bundesgenossen in der besonderen Struktur des Strands. Infolge der dicht vorgelagerten Korallenriffe können die Boote nicht nahe an das Ufer heran; damit ist den Spaniern von vorneweg die eindrucksvollste Kriegshandlung genommen: das mörderische Fernfeuer aus den Musketen und Armbrüsten, das meist schon mit dem bloßen Donner die Eingeborenen in die Flucht jagt. Aber unbedenklich auf diese Rückendeckung verzichtend, springen die schwerbewaffneten sechzig Mann – die übrigen bleiben in den Booten in das Wasser, Magellan an der Spitze, der, wie Pigafetta schreibt, »als guter Hirte seine Herde nicht verlassen wollte«. Bis zur Hüfte in der Flut waten sie den langen Weg zur Küste, wo heulend und schreiend und ihre Schilde schwingend die riesige Horde der Indios sie erwartet ...

Auf derart sinnlose Weise endet im höchsten und herrlichsten Augenblicke der Erfüllung der größte Seefahrer der Geschichte in einem kläglichen Geplänkel mit einer nackten Insulanerhorde.“

 

Arroganz und Dummheit

 

Jedenfalls war mit dem Respekt vor den Kriegsleistungen jedwede Achtung des Königs für diese wilden Eindringlinge zu Ende. Etwas müssen die Spanier von dem wachsenden Mißtrauen gespürt haben, denn plötzlich werden sie ungeduldig. Nur rasch jetzt die Waren und den Gewinn wegschleppen und schleunigst zu den Gewürzinseln! Die Idee Magellans, durch Frieden und Freundschaft die philippinischen Inseln für das Reich und den Glauben zu erhalten, bekümmert wenig mehr seine merkantileren Nachfolger: nur Schluß jetzt und eilige Heimfahrt! Für diesen Abschluß der Geschäfte benötigen die Spanier aber dringlich Enrique, den Sklaven Magellans, weil er als einziger durch seine Sprachkenntnis Verkehr und Tausch mit den Eingeborenen vermitteln kann, und gleich bei diesem unbedeutsamen Anlaß erweist sich der Unterschied in der Kunst der Menschenbehandlung, dank welcher der humanere Magellan immer seine größten Erfolge errungen hatte. Sein treuer Enrique war bis zum letzten Augenblicke im Kampfe an seiner Seite geblieben. Verwundet haben ihn die Boote zurückgebracht auf das Schiff, und nun liegt er regungslos, eingehüllt in seine Matte, sei es um der Wunde willen, die er im Kampfe empfangen, sei es, weil er mit der Treue eines dumpfen Tierwesens in diesem starren Brüten den Verlust seines geliebten Herrn betrauert. Nun begeht Duarte Barbosa, den nach dem Tode Magellans gemeinsam mit Serrão die Mannschaft zum Oberbefehlshaber erwählt, die Torheit, den tierhaft treuen Diener Magellans auf das tödlichste zu kränken. Grob fährt er Enrique an, er solle nicht meinen, daß er jetzt nach dem Tode seines Herrn faulenzen dürfe und kein Sklave mehr wäre. In der Heimat werde man ihn sofort der Frau Magellans aushändigen, inzwischen habe er zu parieren. Wenn er jetzt nicht sogleich sich aufmache und als Dolmetscher am Lande die Waren verkaufen helfe, werde man an ihm die Hundspeitsche gründlich ausprobieren. Enrique, der von der gefährlichen Rasse der Malaien ist, die nie eine Beleidigung verzeihen, hört mit verhülltem Blick die Drohung. Zweifellos ist ihm bekannt, daß Magellan in seinem Testament ihn ausdrücklich von der Stunde seines Tods an für frei erklärt und sogar mit einem Legat bedacht hat. Heimlich beißt er darum die Zähne zusammen: diese frechen Nachfolger seines großen Herrn und Meisters, die ihn um seine Freiheit bestehlen wollen und seinen Schmerz nicht verstehen, sollen bezahlen dafür, ihn einen »perro« genannt und wirklich wie einen Hund behandelt zu haben!

Äußerlich läßt der heimtückische Malaie allerdings nichts von seinem Rachegedanken erkennen. Gehorsam begibt er sich auf den Markt, gehorsam macht er den Dolmetscher bei Kauf und Verkauf, aber in gefährlicher Weise nützt er gleichzeitig seine Dolmetscherkunst. Denn er verständigt den König von Sebu, daß die Spanier schon Anstalten getroffen hätten, die unverkauften Waren auf ihre Schiffe zurückzuholen, und am nächsten Tage plötzlich mit Sack und Pack verschwinden wollten. Wenn der König jetzt geschickt zugreife, vermöchte er sich leicht aller Waren zu bemächtigen, ohne das Geringste dafür im Tausch geben zu müssen, und sogar die herrlichen drei Schiffe könne er bei dieser Gelegenheit erbeuten.

Wahrscheinlich hat Enrique mit seinem rachsüchtigen Vorschlag nur die innersten Wünsche des Königs von Sebu ausgesprochen; jedenfalls finden seine Worte willkommenes Gehör. Ein Plan wird zwischen den beiden vereinbart und vorsichtig vorbereitet. Äußerlich geht der Handel eifrig vorwärts; herzlicher als je zeigt sich der König von Sebu zu seinen neuen Glaubensbrüdern, und auch Enrique scheint, seit ihm Barbosa die Peitsche gezeigt, von seiner angeblichen Faulheit auf das gründlichste bekehrt. Drei Tage nach Magellans Tod, am 1. Mai, bringt er sogar strahlenden Gesichts besonders freudige Botschaft an die Kapitäne. Endlich habe der König von Sebu die Schmuckstücke erhalten, die er seinem Herrn und Freund, dem König, nach Spanien zu senden versprochen. Um die Übergabe besonders feierlich zu gestalten, hätte er bereits alle seine Häuptlinge und Untertanen berufen; so mögen die beiden Kapitäne Barbosa und Serrão gleichfalls mit den vornehmsten Edelleuten erscheinen, um die Geschenke des Königs Carlos von Sebu an seinen Oberherrn und Freund Carlos von Spanien mit eigener Hand entgegenzunehmen.“

Das war keine gute Idee – die Anzahl der in spanischen Diensten stehenden Seeleute sinkt weiter.

 

Heimreise

 

Diese Heimfahrt des ausgeleierten, auf seiner zweieinhalbjährigen rastlosen Reise überalterten kleinen Segelschiffs um die halbe Erde gehört zu den großen Heldentaten der Seefahrt; ruhmreich hat del Cano sein Vergehen an Magellan wettgemacht, indem er den Willen des toten Führers verwirklicht. Auf den ersten Blick scheint die ihm gestellte Aufgabe, ein Schiff von den Molukken nach Spanien zu steuern, nicht so sonderlich schwer. Denn vom malaiischen Archipel fahren seit der Jahrhundertwende schon regelmäßig portugiesische Flotten jahraus und jahrein mit den Monsunen nach Portugal und im Pendelverkehr zurück; eine Indienreise, vor einem Jahrzehnt unter Albuquerque und Almeida noch ein Vorstoß ins Unbekannte, erfordert jetzt nur mehr die Kenntnis des genau abgesteckten Wegs, und im Notfall findet ein Kapitän an jeder Landungsstelle in Indien und Afrika, auf Malacca, Mozambique und Kap Verde portugiesische Faktoren, Piloten und Beamte, an jeder Station ist Proviant und Ersatzmaterial vorbereitet. Aber die immense Schwierigkeit, die del Cano zu bemeistern hat, besteht darin, daß er diese portugiesischen Retablierungsstationen nicht nur nicht benützen darf, sondern daß er ihnen sogar im allerweitesten Bogen ausweichen muß. Denn zu Tidore haben die Leute Magellans durch einen geflüchteten Portugiesen erfahren, daß König Manoel Auftrag gegeben hat, jedes der Schiffe Magellans abzufangen und die Mannschaft als Piraten gefangenzusetzen – in der Tat ist ihren unseligen Kameraden der »Trinidad« dieses grausame Schicksal nicht erspart geblieben. Del Cano obliegt also die Aufgabe, mit seinem alten, wurmstichigen, ausgefahrenen und vollgeladenen Segelschiff, von dem vor fast drei Jahren im Hafen von Sevilla schon der Konsul Alvarez erklärte, er würde sich damit nicht bis zu den Kanarischen Inseln wagen, nicht mehr und nicht minder, als den ganzen Indischen Ozean auf einen Zug zu durchmessen und dann noch das Kap der Guten Hoffnung und dann noch ganz Afrika zu umfahren, ohne ein einziges Mal zu landen – ein Wagnis, das man auf der Karte anblicken muß, um die Aufgabe in ihrer ganzen Großartigkeit zu verstehen, ein Wagnis, das selbst noch heute nach vierhundert Jahren für einen modernen, mit den raffiniertesten Maschinen ausgerüsteten Dampfer eine außerordentliche Leistung bedeuten würde.“

 

Mittwoch oder Donnerstag?

 

Jedoch so kurz und gefährlich der Aufenthalt auf Kap Verde gewesen, gerade hier ist es Pigafetta, dem wackeren Chronisten, im letzten Augenblicke gelungen, eines der Wunder, um derentwillen er ausgefahren, endlich zu erleben; denn in Kap Verde beobachtet er als erster ein Phänomen, das in seiner Neuheit und Wichtigkeit seine ganze Zeit erregen und beschäftigen wird. Die Mannschaft, die ans Ufer gerudert war, um Lebensmittel zu kaufen, bringt erstaunt die Nachricht mit, zu Lande sei es Donnerstag, während man am Schiff ihnen doch versichert habe, es sei Mittwoch. Pigafetta wundert sich sehr, denn Tag für Tag während der fast dreijährigen Reise hat er genau Tagebuch geführt. Ohne je zu unterbrechen, hat er weitergezählt, Montag, Dienstag, Mittwoch, die ganze Woche, die ganzen Jahre entlang – sollte er einen Tag übersehen haben? Er fragt Alvo, den Piloten, der gleichfalls in seinem Logbuch jeden Tag verzeichnet, und siehe, auch bei ihm ist es erst Mittwoch! Immer westwärts steuernd, muß den Weltumseglern auf unerklärliche Weise ein Tag aus dem Kalender gerutscht sein, und die Mitteilung Pigafettas über dies sonderbare Phänomen erstaunt die ganze gebildete Welt. Ein Geheimnis ist erschlossen, das weder die Weisen Griechenlands, das weder Ptolemäus noch Aristoteles zu ahnen vermochten und das erst Magellans Antrieb aufgedeckt; endgültig ist nun, was Heraklit von Pontus etwa 400 Jahre vor Christus als Hypothese aufgestellt, durch eine exakte Beobachtung erwiesen: daß die Erdkugel nicht starr im Weltraum ruht, sondern in regelmäßigem Rhythmus um die eigene Achse schwingt, und daß, wer westwärts steuernd ihr folgt auf ihrem rollenden Lauf, der Unendlichkeit Zeit abgewinnen kann. Diese neue Erkenntnis, daß in verschiedenen Weltteilen Zeit und Stunde verschieden sind, erregt die Humanisten des sechzehnten Jahrhunderts etwa so wie unsere heutige Welt die Relativitätstheorie. Peter Martyr läßt sich sofort von einem »weisen Mann« das Phänomen erklären und berichtet es an Kaiser und Papst; und so hat, während die andern nur Scheffel von Gewürz, gerade der kleine Rhodosritter das Kostbarste auf Erden als Gewinn von dieser Reise heimgebracht: eine neue Erkenntnis!“

 

Was bleibt?

 

Unter anderem wurden die Begriffe „Pazifik“, „Feuerland“ und „Patagonien“ von Magellan geschaffen; die „Magellan-Straße“ wurde später nach ihm benannt.

Was Magellan, Kolumbus oder andere zu ihrer Zeit auch immer getan haben – hätte es sie nicht gegeben, hätten es andere gemacht. Früher oder später. Gleich oder ähnlich. Die Grundlagen für ihre Taten wurden vorher geschaffen. Um einen Vergleich zu heute zu machen: was etwa ein Steve Jobs geleistet haben mag – die Grundlagen-Forschung für die späteren populären Produkte haben andere gemacht und andere bezahlt. Siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/197-igod.html

Alles fließt, nichts bleibt, wie es ist. Ob es sich um Staaten oder um Gruppen von Menschen handelt: ein „Gleichgewicht" oder eine gerechte Behandlung wird es, wenn überhaupt, dann nur für kurze Zeit geben. Bei Ländern wird es immer den Versuch geben, stärker als andere zu sein und den anderen ihren Willen aufzudrücken. Gewinnt ein Land bzw. eine Gruppe von Ländern die Oberhand, werden sich andere verbünden, um diese zu stürzen. 

Handel ist die Triebfeder menschlichen Handelns. Wg. Handel bzw. Gewinn-Streben werden Expeditionen und Forschungen finanziert. Auch heute noch: wg. zu erwartendem künftigem Gewinn wird geforscht und entdeckt. Die gewonnenen Erkenntnisse werden zu Geld gemacht. Mit dem Gewinn werden Militär und sonstige „Sicherheits-Dienste“ bezahlt, die den Handel „sichern“ oder „erweitern“. Ob sie wollen oder nicht – die Opfer dieser Kriegs- bzw. „Handels-Nationen“ werden gezwungen, Waren abnehmen zu müssen und ihre eigenen Produzenten dafür zu „opfern“ und auf der anderen Seite müssen sie ihre eigenen Produkte zu einem sehr günstigen Preis abgeben. Auch werden sie gezwungen, mit der entsprechenden Infrastruktur Waren durch ihr Land fließen zu lassen. Neben herkömmlichen Straßen seien etwa Öl- oder Gaspipelines genannt. Wer sich dagegen wehrt, ist nicht mehr lange an der Spitze seines Gemeinwesens.

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm