Weisser Zulu

 

 

Johnny Clegg ist gestorben. Er gehörte zu jenen Aufrechten, die ihr Ding machen, für ihre Überzeugung einstehen und sich nicht einschüchtern lassen. Und genau dadurch hat er viel für sein Land Südafrika und für die gesamte Menschheit erreicht.

 

Volker Zastrow hat den wohl besten Artikel über ihn und seine Bedeutung geschrieben:

Johnny Clegg ist tot – in Deutschland ist das keine Topnachricht. In Südafrika aber schon. Dort wurde das Abendprogramm im Fernsehen unterbrochen. Clegg war weiß, und er hat wahrscheinlich mehr als jeder andere Weiße für die friedliche Überwindung der Apartheid in Südafrika getan. Die teilte die Menschen in „Rassen“ ein. Wer nicht zur weißen Herrenschicht gehörte, dem blieben das Wahlrecht und die Freizügigkeit versagt. Besonders die autochthone schwarze Bevölkerung wurde einem brutalen Regime unterworfen. Kontakte auf Augenhöhe zwischen Schwarz und Weiß wurden bestraft.

Vor bald dreißig Jahren, Anfang 1990, wurde Nelson Mandela, der Führer des Afrikanischen Nationalkongresses, nach 27 Jahren Haft freigelassen. Im Juli beschloss das damalige Parlament aus drei Kammern die Abschaffung der sogenannten Rassentrennung – gegen die Stimmen der Konservativen, die darin die Zerstörung eines „Rechts der Weißen auf Selbstbestimmung“ sahen. Das war der Anfang vom Ende der Apartheid. Ein Wendepunkt in der Geschichte, am ehesten vergleichbar mit der Unabhängigkeit, die Indien 1947 unter Führung Mahatma Gandhis erlangt hatte. Beides hing sogar zusammen, denn Gandhi hatte als junger Mann in Südafrika die rassistische Zurücksetzung am eigenen Leibe erfahren. Das war sein politisches Erweckungserlebnis.

Und Johnny Clegg? Der war Sänger und Tänzer.

Ein wundervoller Mann. Clegg ist nicht in Südafrika geboren, er kam 1953 in Großbritannien zur Welt. Seine Mutter, eine jüdische Jazz-Sängerin, zog bald mit ihm nach Rhodesien, Israel und schließlich Johannesburg, wo sie einen Journalisten heiratete. So wurde aus Johnny ein Junge, der sich seine Wurzeln selbst suchen musste. In den erbärmlichen Wohnheimen der schwarzen Wanderarbeiter, die wenige Weiße freiwillig betraten, freundete er sich mit gleichaltrigen Zulus an. Als Teenager erlernte er deren Sprache, deren Musik und die phantastischen Tänze, mit denen die jungen Männer ihre Kraft und Schnelligkeit feiern und die ansteckende Freude am Rhythmus und der Bewegung ausleben. Mit seinem Freund Sipho Mchunu gründete Clegg damals ein Duo.

Er war durchdrungen von Bewunderung und Begeisterung für die Zulu-Kultur. Er liebte aber auch die irische und schottische Folkmusik und komponierte Melodien und Lieder, die beide Traditionsstränge miteinander verbanden. Das war nun gerade das Gegenteil von Apartheid und Segregation, nämlich ein gegenseitiges Geben und Nehmen, getragen von der Freude, die Welt zu erfahren und zu erfassen, im Fremden das Neue und zugleich sich selbst zu entdecken. Bei ihren gemeinsamen Auftritten spielte Clegg die Maskandi-Gitarre und trug, halbnackt, die traditionelle Zulu-Kleidung mit dem Leopardenfell, mit den geheimnisvoll sprechenden Accessoires aus Fellstreifen, Perlenketten, Schnüren und Bändern sowie rituellen Waffen.

Zu den Auftritten der beiden gehörte der akrobatische Inhlangwini-Tanz, der Clegg über die Jahre einen immer schöneren, athletischen Körper formte. Mit diesen Tänzen rissen sie schon damals ihr Publikum mit. Aber anfangs konnten Clegg und Mchunu nur privat oder an kleinen, versteckten Orten auftreten. Ihre Lieder wurden verboten, und immer wieder wurde Clegg, schon als Junge, ins Gefängnis gesteckt. Dafür genügte es schon, mit schwarzen Freunden abzuhängen. Freundschaft außerhalb des eigenen Hautfarbspektrums war nicht erlaubt. Es durften keine Brücken über den Graben geschlagen werden.

Mchunu und Clegg erweiterten ihr Duo zur Band Juluka. Drei Musiker waren dunkel-, drei hellhäutig. In Südafrika, während der Apartheid. Heute, fast ein halbes Jahrhundert später, kann man kaum ermessen, was für eine Tat das war: die Wahrheit gegen die Lügen der Unterdrückung zu stellen. So hat Juluka damit begonnen, die Dinge in Südafrika zu drehen – denn Musik und Tanz und die damit verbundene Freude gehören zu den mächtigsten Einflüssen der Politik. Sie können zwar auch ein Werkzeug der Herrschaft sein. Aber besser eignen sie sich doch zur Befreiung. Überall auf der Welt, in Südafrika nicht anders als in den Vereinigten Staaten, die selbst Rassentrennung hatten: Dort hatte die Katastrophe, die über die versklavten Afroamerikaner verhängt worden war, im Blues ihren musikalischen Ausdruck gefunden. Daraus ging der Jazz hervor, die erste „schwarze“ Musik, die von Weißen adaptiert wurde; zum Swing tanzten schon alle. Und trotzdem wurde noch in den sechziger Jahren der schon weltberühmte Harry Belafonte, weil er dunkelhäutig war, nicht in den Konzertsaal eingelassen, in dem er selbst auftreten sollte: Zutritt nur für Weiße. Zu dieser Zeit gab es immer noch Lynchmorde in den Vereinigten Staaten. Und doch: Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre wurde von der Macht der Musik vielleicht mehr als von allem anderen vorangetrieben. Denn Tanz und Musik schlugen Brücken über den Graben.

So war es zehn Jahre später auch in Südafrika. Juluka wirkte ansteckend, fand immer mehr Fans. Allerdings blieb die Band, die 1979 ihr revolutionäres erstes Album „Universal Men“ herausbrachte, zu Hause ausgegrenzt. Zugleich dehnte sich ihr Einfluss in Europa aus, besonders in Frankreich. Dort bürgerte sich für Clegg die Bezeichnung „le Zoulou blanc“ ein, der weiße Zulu. Er mochte das nicht, weil er kein Zulu war, keiner sein wollte und sich selbst auch nie als einer ausgegeben hatte. Und weil er, was Hautfarben betraf, entschieden farbenblind war.

Cleggs Formationen spielten auch keineswegs Zulu-Musik, sondern etwas, das er selbst „Crossover“ nannte. Als junger Mann, so hat er vor einigen Jahren erzählt, habe er in den Zulu-Kriegsliedern keltische Echos vernommen. Seine eigenen Kompositionen waren ein Geflecht aus Masikande und irischem oder schottischem Folk. Dabei wurden Sprachen, Melodien und Rhythmen verwoben. So friedlich waren die Zeiten nicht. Südafrika wurde in den siebziger und achtziger Jahren von Aufständen, Ausschreitungen, politischen Morden und Polizeigewalt erschüttert. Das hatte mit den Protesten von Schülern und Studenten 1976 in Soweto begonnen. „Soweto“ steht als Abkürzung für die etwa dreißig Townships im Südwesten von Johannesburg. Die „nie-blances“, die Nicht-Weißen, lebten dort durch städtebauliche Pufferzonen von den weißen Wohngebieten getrennt. Natürlich waren die Townships keine gepflegten Vorstädte, sondern Slums. Die Aufstände, in deren Verlauf mindestens 500 Demonstranten, Kinder und Jugendliche, erschossen wurden, machten Soweto zum weltweiten Symbol gegen die Apartheid.

Clegg litt unter dem fortschreitenden Zerfall der südafrikanischen Gesellschaft. Sein Freund Mchunu hatte die Band verlassen und war auf den heimischen Bauernhof zurückgekehrt. Clegg gründete eine neue Formation, Savuka, die später noch erfolgreicher werden sollte; wieder eine Band mit schwarzen und weißen Musikern, wieder mit verbotenen Liedern. Aber in der Gründungsphase, so hat Clegg später erzählt, fühlte er sich einsam und entmutigt. Er fragte sich, ob es überhaupt noch etwas gab, was die Südafrikaner seiner Generation, schwarz und weiß, miteinander verband. Die Antwort darauf war eine unvergängliche, melancholische Ballade: „Asimbonanga“, zu Deutsch „Wir haben dich noch nie gesehen“. Nelson Mandela. Denn der war schon so lange im Gefängnis, dass ihn keiner der Jüngeren mehr kannte.

Es war das erste Lied in Südafrika, das offen die Freilassung Mandelas forderte. Natürlich wurde es verboten, doch in Frankreich schoss „Asimbonanga“ auf den ersten Platz der Charts. Und wurde zu einem der einflussreichsten Lieder gegen die Apartheid. Das war 1987. Im selben Jahr nannte Margaret Thatcher, die britische Premierministerin, Mandela noch einen Terroristen, und im Jahr darauf setzte der amerikanische Präsident Ronald Reagan den beinah siebzigjährigen, seit einem Vierteljahrhundert eingesperrten Mann als Terroristen auf eine Watchlist. Kein Ruhmesblatt für die Politiker des Westens. Zugleich aber wurden schon seit Jahren zu Ehren Mandelas immer neue Lieder geschrieben. 1984 bereits hatte Jerry Dammers mit der Hymne „(Free) Nelson Mandela“ einen Hit gelandet, der den zeitweise fast vergessenen Freiheitskämpfer weltweit bekannt machte.

1988 initiierte Dammers zu Mandelas siebzigsten Geburtstag ein Solidaritätskonzert im Londoner Wembley-Stadion, das in sechzig Länder ausgestrahlt wurde. Viele Musiker von Rang und Namen traten dort auf, die Stars dieser Zeit wie Sting, Joan Armatrading, Phil Collins, Miriam Makeba, Stevie Wonder – um nur einige zu nennen. Clegg und Savuka durften nicht teilnehmen: weil es sich um eine südafrikanische Band mit weißen Musikern handelte. Angeblich wäre das ein Verstoß gegen den seit 1980 bestehenden Boykott der Vereinten Nationen gegen Südafrika gewesen. Aber es war eine Band mit weißen und schwarzen Musikern. Das passte nicht ins Bild. Es hätte die Glaubwürdigkeit der Anklage gegen Südafrika untergraben. So wurden Clegg und Savuka mit dem Regime, das sie mutig bekämpften, in einen Topf geworfen, und einer der wichtigsten Vorkämpfer gegen die Apartheid wurde auf diese groteske Weise abermals ihr Opfer. Obendrein bedeutete diese Geschichte für die Band, dass ihr der Zugang zum britischen und amerikanischen Markt verwehrt blieb. In Europa und Asien jedoch blieb Clegg erfolgreich. Und natürlich in Südafrika selbst. Er war in den neunziger Jahren der berühmteste Vertreter der „World Music“.

Die Apartheid war abgeschafft. Nelson Mandela hatte den Weg für einen friedlichen Übergang geebnet. 1993 erhielt er dafür den Friedensnobelpreis. 1994 war er der erste Staatspräsident des freien Südafrika geworden und blieb es bis 1999. In jenem Jahr gab Johnny Clegg in Frankfurt ein Konzert, und wie bei jedem Auftritt stimmte er auch „Asimbonanga“ an, das schönste, sehnsüchtigste und tiefste Lied gegen den Rassenhass, tiefer als der tiefste Graben. Trotzdem wunderte sich Clegg darüber, wie das Publikum ausflippte. Und freute sich, dass die Deutschen sein Lied kannten und dermaßen drauf abfuhren. Er hatte ja keine Augen im Rücken und konnte nicht sehen, dass Nelson Mandela auf die Bühne gekommen war. Ein hochgewachsener, weißhaariger, funkelnd gütiger Mann, der nun schon die Achtzig hinter sich hatte. Mandela hielt die Hand der Sängerin Mandisa Dlanga, die Cleggs Stimme mit ihrem wie aus weiter Ferne jubelnden Diskant umrankte. Dann wandte sich Clegg ihr zu und erblickte Mandela.

Er hat das später pure Magie genannt, den dichtesten Moment seines Lebens. Auf der Bühne fragte er Nelson Mandela, ob er etwas sagen wolle. Mandela sann kurz nach und antwortete dann bedächtig: „Well, it is music and dancing that makes me at peace with the world.“ Musik und Tanz bringen mich in Frieden mit der Welt. Da brandete Jubel auf, vielen im Saal kamen die Tränen. Als Mandela wieder zu Wort kam, setzte er hinzu: „And at peace with myself.“ Und in Frieden mit mir selbst. Dann sagte er: „Aber ich sehe euch gar nicht tanzen! Lasst es uns noch mal versuchen.“ Und er bat Clegg, weiterzuspielen. Clegg spielte, und Mandela tanzte.“

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/die-macht-der-musik-zum-tode-von-johnny-clegg-16295096.html

 

 

Zu Nelson Mandela und Apartheid siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/47-apartheid-ist-ueberall.html

Wie groß der Einfluss von Johnny Clegg auf die Freilassung von Nelson Mandela und das friedliche Ende des Apartheid-Regimes gewesen ist, ist schwer zu sagen. Möglicherweise wäre alles auch ohne ihn so gekommen, möglicherweise hat er den Tod von sehr vielen Menschen verhindert.

Auf jeden Fall hat er das getan, was alle Aufrechten vereint: andere Menschen konnten und können sich an ihm aufrichten.

Hier die „Friends of Johnny Clegg“, die sein Lied „The Crossing“ neu aufgenommen haben:

 

 

Und hier eine gelungene arte-Dokumentation:

 

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm