Speziezismus

Der Peter-Singer-Preis für Strategien zur Tierleidminderung wurde für 2019 an Mahi Klosterhalfen verliehen.

Zeit, sich näher mit Peter Singer und dem Speziezismus zu beschäftigen.

 

Peter Singer

 

Im Wesentlichen beruht die Philosophie von Peter Singer darauf, Leid zu minimieren. Es handelt sich um eine sehr menschen- und tierfreundliche Philosophie, die konsequent durchdacht ist und die deshalb gerade von deutschen Gutmenschen bekämpft wird, so dass häufig Veranstaltungen mit oder über Peter Singer gestört bzw. abgesagt weren müssen. Anders ausgedrückt: in Deutschland sind Meinungs-Äußerungen oder offene Diskussionen über eine überaus menschen-freundliche Philosophie nicht möglich. Andere meinen wiederum, er wäre inkonsequent und nicht radikal genug.

Mensch stelle sich vor, alle Menschen wären so wie Peter Singer oder dessen Philosophie wäre weitgehend in Politik umgesetzt – die Welt wäre ein sehr viel besserer Platz.

Daniela Wakonigg hat 2018 ein Interview mit Peter Singer geführt, das dessen Standpunkte erläutert:

Der australische Philosoph Peter Singer stieß in den 1970er-Jahren eine gesellschaftliche Diskussion über den moralischen Status von Tieren an, die bis heute anhält. Doch Singers teilweise umstrittene Philosophie richtet den Fokus nicht nur auf Tiere, sondern auch auf Menschen und darauf, wie beider Leid in der Welt möglichst effektiv gemindert werden kann. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg sprach mit Peter Singer am Rande der Verleihung des Peter-Singer-Preises 2018 in Berlin.

Prof. Singer, es ist jetzt schon fast ein halbes Jahrhundert her, dass Sie begonnen haben, Ihre ethischen Überlegungen von Menschen auf nicht-menschliche Tiere auszudehnen. Wie kam es dazu?

Ich machte damals gerade meinen Bachelor of Philosophy an der Universität Oxford und interessierte mich für Ethik im Allgemeinen. Zufällig traf ich dort einen Studenten, der aus ethischen Gründen Vegetarier war. Heutzutage ist das ja nichts Ungewöhnliches, aber damals … ich war 24 und hatte niemals zuvor jemanden getroffen, der aus ethischen Gründen Vegetarier war. Das forderte mich heraus, denn ich war Fleischesser und komme aus Australien, wo Fleisch billig ist und reichlich gegessen wird. Die Einstellung meines Mitstudenten brachte mich zum nachdenken, was ich da aß und ob es richtig war, dass ich es tat. Ich wusste auch nicht viel darüber, wie man mit Tieren umgeht, und dass viele von den Tieren, die ich aß, niemals im Freien gewesen waren, sondern in industriellen Viehzuchtbetrieben gehalten wurden. So kam ich dazu, über den moralischen Status von Tieren nachzudenken, ob wir ihnen gegenüber Verpflichtungen haben und ob die Art, wie wir mit ihnen umgehen, richtig ist.

Warum sind Sie der Auffassung, dass es rational ist, den ethischen Fokus auch auf Tiere zu erweitern?

Man muss sich einfach die Frage stellen, warum der Schmerz oder das Leid eines Wesens nur dann relevant sein sollte, wenn dieses Wesen Mitglied unserer Spezies ist. Es war damals ja eine weit verbreitete Vorstellung – und ist es heute noch – dass etwas, was einem nicht-menschlichen Wesen zustößt, entweder überhaupt nicht zählt oder – heute etwas weiter verbreitet – dass es weniger zählt als das, was einem Menschen zustößt. Aber Schweine und andere Tiere können Schmerz empfinden und leiden. Und in vielerlei Hinsicht – wenn auch nicht in jeder – ist ihr Leid dem unseren sehr ähnlich. Warum also soll es weniger zählen, nur weil sie einer anderen Spezies angehören?

Sie sind Atheist, Prof. Singer. Denken Sie, dass diese Weltsicht für Ihre Entscheidung, zwischen dem Leid von Mensch und Tier nicht grundsätzlich zu unterscheiden, eine Rolle gespielt hat?

In gewisser Weise. Da ich nicht daran glaubte, dass ein Gott uns – im Gegensatz zu den Tieren – nach seinem Angesicht gestaltet hat oder dass er uns die Herrschaft über die Tiere gegeben hat, konnte ich diese Vorstellungen auch nicht nutzen, um die unterschiedliche Behandlung von Menschen und Tieren zu rechtfertigen.

Nun gibt es Menschen, die Atheisten sind und von sich behaupten, dass sie sehr rational denken, die aber trotzdem nie auf die Idee kämen, Menschen und Tiere auf eine ethische Stufe zu stellen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Ich halte das für einen blinden Fleck, den viele Menschen haben, die ansonsten recht rational sind. Und natürlich ist es ein blinder Fleck, auf den wir kulturell konditioniert sind. Das war bei mir ja nicht anders. Wie gesagt, ich bin in Australien aufgewachsen, in einer Familie, in der es ganz normal war, Fleisch zu essen, ich habe nie wirklich hinterfragt, wie dieses Fleisch produziert wird und akzeptierte diese Einstellung zu Tieren. Selbstverständlich war man in meiner Familie dagegen, dass Tiere gequält werden, wir wären nie zu Stierkämpfen gegangen oder etwas ähnliches. Aber die Vorstellung, dass Tiere da sind, um von uns genutzt zu werden, war etwas, das wir akzeptierten. Und, wie gesagt, ich selbst habe das bis zu meinem 24. Lebensjahr niemals hinterfragt. Was ich heute unvorstellbar finde. Heutzutage wissen junge Menschen ja glücklicherweise, dass es Menschen gibt, die die Vorstellung in Frage stellen, dass Tiere nur zu unserem Nutzen da sind. Aber damals haben wir das einfach so akzeptiert. Es war ein blinder Fleck. Ich denke, dass jede Generation ihre blinden Flecke hat. Zukünftige Generationen werden das, was für uns ganz selbstverständlich ist, für falsch halten. Und ich denke, unser Umgang mit Tieren wird ein Beispiel dafür sein.

Was ist Ihr Rezept gegen den blinden Fleck?

Ich wünschte, ich hätte eins. Ich kann nur die Dinge tun, zu denen ich die Möglichkeit habe. Da ich gelernter Philosoph bin und als Professor an einer renommierten Universität arbeite, kann ich ethisch argumentieren und sowohl für andere Philosophen als auch für eine breitere Öffentlichkeit darüber schreiben. Ich kann mit meinen Studenten darüber diskutieren und ich kann Tierrechtsorganisationen darin unterstützen, ihre Sicht der Dinge öffentlich zu machen. Ich denke, da hat es durchaus Fortschritte gegeben, aber das Nutzen rationaler Argumentationen ist ein langer Weg, denn nicht jeder denkt vollständig rational, wenn es um Entscheidungen und Vorlieben geht. Besonders nicht, wenn es um Vorlieben beim Essen geht. Darum müssen wir alle nicht-gewalttätigen Mittel nutzen, die uns zur Verfügung stehen.

Nun setzen Sie sich ja nicht allein für Tiere ein, sondern auch für Menschen. Sie sind Vertreter einer Denkschule, die sich "Effektiver Altruismus" nennt. Was ist das?

Effektiver Altruismus ist die Ansicht, dass es eines der Ziele jedes Menschen sein sollte, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Nicht das einzige Ziel wohlgemerkt – der effektive Altruismus geht nicht davon aus, dass wir alle Heilige werden –, aber dass es doch ein wichtiger Teil einer ethischen Lebensführung sein sollte, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das ist der altruistische Teil des effektiven Altruismus. Effektiv wird er dadurch, dass man das, was man tut, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen – sei es der Einsatz der eigenen Zeit, Energie oder Fähigkeiten ebenso wie das Spenden von Geld an bestimmte Organisationen – so gestaltet, dass mit den verfügbaren Ressourcen möglichst viel Gutes erreicht wird. Eigentlich ein ganz einfaches Prinzip, das die meisten von uns im übrigen Leben üblicherweise anwenden. Wenn wir Geld zahlen, wollen wir etwas dafür bekommen, das unser Geld wert ist. Erstaunlicherweise stellen sich Menschen, die ehrenamtliche Arbeit für eine wohltätige Organisation leisten oder Geld an sie spenden, häufig nicht die Frage, ob es sich dabei um eine möglichst effektive Organisation handelt. Sprich: Geschieht mit der Summe Geld, die ich spende, wirklich das am meisten erreichbare Gute, wenn ich es an diese Organisation spende? Und es gibt hinsichtlich ihrer Effektivität wirklich viele Unterschiede bei den wohltätigen Organisationen.

Das hört sich grundsätzlich überzeugend an. Allerdings stoße ich beim Effektiven Altruismus immer wieder auf einen problematischen Aspekt: Das Bedürfnis zu helfen ist ein emotionaler Impuls. Laut dem Effektiven Altruismus sollte man diesem Impuls jedoch nicht unmittelbar folgen, sondern ihn sozusagen erst durch den Filter seines Verstandes laufen lassen, um herauszufinden, wie man am effektivsten helfen kann. Wird dadurch der ursprüngliche Impuls der Hilfsbereitschaft nicht abgeschwächt?

Der Effektive Altruismus sagt sicherlich nicht, dass man keine emotionalen Impulse haben sollte. Aber er sagt, da haben Sie völlig Recht, der Verstand sollte kontrollieren, ob man diesen Impulsen folgt oder nicht. Das ist allerdings etwas, das für alle Bereiche des Lebens wichtig ist. Selbst in Bereichen, wo die Mehrheit der Menschen wahrscheinlich der Meinung wäre, dass man seinen Gefühlen folgen sollte. Wenn Sie beispielsweise jemanden kennenlernen und sich verlieben, ist es weise, etwas über die Person in Erfahrung zu bringen. Ist die Person wirklich, wer sie vorgibt zu sein? Ist das wirklich ein Mensch, mit dem Sie sich vorstellen können, Ihr Leben zu verbringen? Ich denke, die meisten Menschen werden erkennen, dass es eine gute Idee ist, das zu tun – selbst wenn ihre Emotionen gerade eine große Rolle spielen. Wenn es nun um den Altruismus geht, ist bei vielen Menschen die entscheidende Emotion, dass jemand leidet und dass man helfen möchte. Das Problem ist aber, dass diese Emotion auf viele Arten manipuliert werden kann. Eine Hilfsorganisation wirbt vielleicht mit dem Bild eines hilfsbedürftigen Kindes. Sie identifizieren sich mit dem Kind und wollen ihm helfen. Aber an der Stelle sollten Sie anfangen nachzudenken. Darüber, dass es viele bedürftige Kinder auf der Welt gibt, ob sie wirklich am meisten für diese Kinder erreichen, wenn Sie Ihr Geld dieser Organisation geben oder ob Sie vielleicht viel mehr Kindern helfen können, wenn Sie es einer anderen Hilfsorganisation spenden.

Trotzdem frage ich mich, ob das Menschenbild, von dem der Effektive Altruismus ausgeht, zutreffend ist. Handeln Menschen nicht eher emotional als rational?

Ich denke nicht, dass man Menschen da über einen Kamm scheren kann. Falls Sie der Meinung sind, dass der Effektive Altruismus überhaupt niemanden erreicht, liegen Sie ganz klar falsch. Die Idee hat bereits Hunderttausende Menschen erreicht, die an möglichst effektive Hilfsorganisationen gespendet haben. Und obwohl die Idee erst etwa zehn Jahre alt ist, hat der Effektive Altruismus ohne jeden Zweifel bereits dazu geführt, dass hunderte Millionen von Dollar an effektivere Organisationen gespendet wurden, als dies ohne ihn der Fall gewesen wäre. Also hat er definitiv bereits eine Wirkung erzielt. Wenn Sie dagegen der Meinung sind, dass es nur eine bestimmte Anzahl von Menschen gibt, die man mit dieser Idee erreichen kann, haben Sie wahrscheinlich recht. Ob das 2 Prozent der Bevölkerung sind, 50 Prozent oder mehr, das weiß ich nicht. Ich denke allerdings, dass es um eine beträchtliche Zahl von Leuten geht.

Der Grund, warum ich Sie diesbezüglich quäle, ist, dass ich selbst oft beobachte, dass Menschen nicht besonders rational handeln. Die meisten Menschen wollen weder Tiere quälen noch das Klima schädigen, trotzdem reagieren sie auf Berichte aus der Massentierhaltung nicht mit Fleischverzicht – was eine rationale Konsequenz wäre, um Quälerei und Klimaschädigung zu mindern. Auch in Diskussionen über die Existenz Gottes geben viele Gläubige zu, dass Atheisten die besseren Argumente haben – trotzdem glauben sie weiter. Die Menschen erkennen also die Gültigkeit rationaler Argumente an, ziehen aber keine rationalen Konsequenzen daraus.

Ja, das ist in der Tat frustrierend, wenn Menschen zustimmen, dass es sinnvoll oder rational ist, etwas zu machen, und dann sagen: Ich entscheide mich trotzdem, das Gegenteil davon zu tun. Da fragt man sich natürlich, wie man diese Menschen überhaupt erreichen kann. Manchmal stelle ich allerdings fest, dass Menschen sich kurz nach solchen Gesprächen dann doch geändert haben, weil sie darüber nachgedacht haben. Ich gebe einfach nicht auf und hoffe, dass sich Menschen ändern können. Wir müssen akzeptieren, dass Rationalität nur ein Teil der menschlichen Natur ist. Wir sind definitiv keine rein rationalen Wesen. Darum können wir auch nicht jeden durch rationale Argumente überzeugen.

Aktuell bewegt sich unsere Welt ja eher vom Altruismus zum Egoismus. Wir hören Sprüche wie "America first", "Britain first", "Flüchtlinge raus" und ich fürchte, die Situation wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch zuspitzen, wenn weltweit die Folgen des Klimawandels spürbar werden. Was denken Sie, wie sich dieser Wandel auf die Tierrechts-Bewegung und den Effektiven Altruismus auswirken wird? Werden die zukünftigen globalen Entwicklungen diesen Bewegungen eher Auftrieb geben oder dazu führen, dass sie sich weniger gut durchsetzen können?

Nun ja, ich bin Philosoph und kein Wahrsager. Ich kann nicht die Zukunft vorhersagen. Wenn Sie mir diese Frage vor fünf Jahren gestellt hätten, hätte ich garantiert nicht gesagt, dass in den USA jemand wie Donald Trump gewählt wird oder dass Großbritannien die Europäische Union verlässt. Es ist also sehr schwer, in die Zukunft zu sehen und vorauszusagen, ob das, was Sie als Trend zu mehr Egoismus beschrieben haben, eine längerfristige Entwicklung ist oder ob sich diese Entwicklung im Laufe der nächsten fünf Jahre wieder umkehrt. Was ich natürlich hoffe. Und wenn sich der Trend wieder umkehrt, sieht die Zukunft der Tierrechtsbewegung und des Effektiven Altruismus natürlich rosiger aus, als wenn wir mit dieser "America first", "Britain first", "Europe first"-Sache weitermachen.

Wenn man versuchen würde, Ihrem philosophischen Gesamtwerk einen Titel zu geben, wäre es wahrscheinlich: "Wie mache ich die Welt zu einem besseren Ort für so viele empfindungsfähige Wesen wie möglich?"

Ja, das trifft es ganz gut.

Trotzdem gibt es Menschen – besonders in Deutschland – die der Meinung sind, dass Sie zu den Bösen gehören. Warum?

Ich denke, dass es dafür unterschiedliche Gründe gibt. Einige Menschen haben aus religiösen Motiven Bedenken gegen meine Ansichten zu Abtreibung und Sterbehilfe, weil sie das menschliche Leben für heilig halten. In Deutschland habe ich besonders Menschen beunruhigt, die Behindertenorganisationen angehören, weil ich vorgeschlagen habe, dass es erlaubt sein sollte, das Leben von schwerstbehinderten Neugeborenen zu beenden bzw. dass Eltern diese Möglichkeit haben sollten. Einige Menschen meinen, dass ich für die Tötung schwerstbehinderter Neugeborener eintrete, doch das stimmt nicht. Ich trete dafür ein, dass man Eltern die Möglichkeit gibt, diese Option zu wählen. Eine Option, die sie jetzt bereits während der Schwangerschaft haben. Wenn Sie einen Pränataltest durchführen und der Test zeigt, dass das Kind eine Abnormalität aufweist, dürfen sie die Schwangerschaft beenden. Wenn der Test zeigt, dass Sie zum Beispiel ein Kind mit Down-Syndrom erwarten – was übrigens keinesfalls zu den wirklich schweren Behinderungen zählt – würde niemand in Frage stellen, dass Sie diese Schwangerschaft beenden dürfen. Und eine überwältigende Mehrheit von rund 90 Prozent der Frauen mit einer solchen Diagnose entscheidet sich, die Schwangerschaft zu beenden.

Meiner Meinung nach ist die Tatsache, dass ein Kind geboren ist, an sich nicht ausreichend, um dem Kind einen moralischen Status zuzubilligen, der sich von dem des Fötus unterscheidet. Wenigstens für einige wirklich schwere Behinderungen sollte die Möglichkeit der Tötung deshalb auch nach der Geburt gegeben sein. Und tatsächlich gibt es sie ja in gewisser Weise bereits, indem man die Behandlung einstellt. Zum Beispiel bei einem frühgeborenen Baby mit einer massiven Hirnblutung, das künstlich beatmet werden muss. Üblicherweise sprechen die Ärzte in solchen Fällen mit den Eltern darüber, ob sie die künstliche Beatmung fortsetzen oder einstellen wollen. Wenn sie beschließen, das Beatmungsgerät abzuschalten, wodurch das Baby stirbt, ist es eine wohlüberlegte Entscheidung, das Leben des Kindes durch Einstellung der künstlichen Beatmung zu beenden. Alles, was ich sage, ist: Wenn die Situation dieselbe ist, derselbe Hirnschaden, nur dass das Baby keine künstliche Beatmung braucht, sollten die Eltern dieselbe Wahlmöglichkeit haben. Sie sollten die Möglichkeit haben, das Leben des Babys auf humane Weise zu beenden. Und das ist es, was so viel Widerspruch hervorgerufen hat. Dabei gibt es auch diese Möglichkeit tatsächlich längst. In den Niederlanden gibt es das sogenannte "Groningen Protokoll", durch das Ärzte mit Einwilligung der Eltern Babys in extrem schwerwiegenden, hoffnungslosen Fällen aktive Sterbehilfe leisten dürfen – was übrigens sehr selten passiert. Wenn ich mich mit Menschen zusammensetze und ihnen das alles erkläre, akzeptieren die meisten, dass meine Einstellung nichts Besonderes, sondern tatsächlich sehr weit verbreitet ist. Aber da ich in der Öffentlichkeit stehe, gebe ich natürlich ein leichtes Ziel ab, um gegen diese Position zu protestieren.

Werden Ihre diesbezüglichen Ansichten in Deutschland anders wahrgenommen als in anderen Ländern?

Ja, deutlich anders. Natürlich spielt die deutsche Vergangenheit dabei eine Rolle. Und ich kann durchaus verstehen, warum die Menschen bei meinem Deutschlandbesuch 1989 so sensibel gegenüber dem Thema waren. Die Generation derjenigen, die für den Holocaust verantwortlich waren, lebte noch, und deren Kinder hatten große Schuldgefühle und versuchten, sich von ihren Eltern zu distanzieren, um allen zu zeigen, dass sie Antifaschisten waren. Aber heute sind wir dreißig Jahre weiter und haben es mit einer neuen Generation zu tun. Natürlich darf Deutschland seine Vergangenheit niemals vergessen, aber ich denke, die Menschen dort sollten erkennen, dass sich die Zeiten geändert haben und dass nicht jede gesellschaftliche Entscheidung, die zum Beispiel Menschen mit Behinderungen betrifft, daran gemessen werden muss, was die Nazis getan haben.

Apropos: Man hat Sie ja sogar schon beschuldigt, mit ihrer Position zur Euthanasie von schwerstbehinderten Säuglingen Nazi-Ideologie zu vertreten. Nun stammen Sie aus einer jüdischen Familie und haben drei Ihrer Großeltern im Holocaust verloren. Insofern gehe ich nicht davon aus, dass Sie gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie unkritisch sind …

Ich halte diese Nazi-Vergleiche für ziemlich grotesk – und beleidigend. Und ich verstehe sie offen gesagt auch nicht. Für mich wedeln Menschen, die mir das vorwerfen, einfach nur in einer ziemlich unangebrachten Art und Weise mit der Nazi-Fahne herum. Was nicht bedeutet, dass es keine Gründe gäbe, über die Diskriminierung zu diskutieren, die Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft erfahren – und gegen die ich mich aufs Schärfste wende. Ich unterstütze die Integration von Behinderten in das öffentliche Schulsystem und setze mich dafür ein, dass jemand, der mit einer Behinderung lebt, Unterstützung erhält, um das bestmögliche Leben führen zu können. In diesem Sinne habe ich also überhaupt nichts gegen behinderte Menschen. Andererseits bin ich gegen Behinderung. Und zwar in dem Sinne, dass ich finde, Frauen sollten während der Schwangerschaft keine Tabletten schlucken, die Behinderungen beim Fötus verursachen, oder dass ich finde, Mädchen sollten gegen Röteln geimpft werden, damit sie keine Kinder mit Behinderungen bekommen. Ich bin also gegen Behinderung in dem Sinne, dass ich es besser finde, wenn Menschen ohne statt mit Behinderung geboren werden.

Natürlich kann man der Meinung sein, dass ich hierdurch und durch das, was ich über Sterbehilfe für behinderte Neugeborene gesagt habe, auf gewisse Weise die Vorurteile stütze, die Menschen sowieso schon gegenüber Behinderungen haben. Ich akzeptiere, dass es sich hierbei um sehr reale Probleme handelt. Aber den Vorschlag, dass Eltern nach ärztlicher Beratung die Möglichkeit haben sollten zu entscheiden, was das Beste für ihr Kind und ihre Familie ist, zu vergleichen mit einem staatlichen Programm, das versucht hat, "nutzlose Massen" oder "Schmutzflecke der arischen Rasse" loszuwerden – vom Holocaust ganz zu Schweigen – das halte ich trotzdem für grotesk.

Kritik an Ihrer Position gibt es aber nicht nur von Behindertenverbänden oder Religiösen, sondern durchaus auch von nicht-religiösen Philosophen, die die Meinung vertreten, dass es gefährlich sein könnte, die Grenze der Geburt als Kriterium für den moralischen Status eines Fötus bzw. Kindes aufzuweichen.

Ich denke, es ist sinnvoller, den Einzelfall zu betrachten, als klare Grenzlinien zu ziehen. Außerdem haben wir diese Grenze ja, wie gesagt, sowieso längst überschritten, wenn es darum geht, eine Behandlung einzustellen und dadurch ein Leben zu beenden. Was ist mit Fällen, in denen Menschen Medikamente gegeben werden, die ihr Leiden lindern, aber gleichzeitig ihr Leben verkürzen? Eine weitere ziemlich unscharfe Grenzlinie. Darum denke ich, dass wir uns mit den konkreten Umständen eines Falls beschäftigen müssen, statt Grenzlinien zu ziehen, die niemals überschritten werden dürfen.

Nun führen Interviews mit Ihnen ja gelegentlich zu einem großen Medienecho und vielfältigen öffentlichen Diskussionen. Ich frage mich, ob Ihr Ruf – gerade auch in Deutschland – darunter leidet, dass Sie in Interviews Gedanken aussprechen, die in philosophischen Diskursen an der Universität keine große Erschütterung auslösen würden, die jedoch durch den fehlenden philosophisch-diskursiven Kontext in der Öffentlichkeit falsch ankommen. Denken Sie nicht, dass es manchmal vielleicht klüger wäre, im Vorfeld die Medienwirksamkeit Ihrer öffentlichen Äußerungen zu bedenken?

Nein, das halte ich, offen gesprochen, für eine ziemlich schlechte Idee. Ich halte es für falsch zu sagen, dass es Ideen gibt, die man in der Universität besprechen sollte aber nicht in der Öffentlichkeit. Auf jeden Fall als Philosoph. Wenn Sie als Bioingenieur Viren herstellen, gibt es vielleicht Dinge, die Sie besser nicht in der Öffentlichkeit sagen sollten, um zu vermeiden, dass Terroristen herausfinden, wie man eine Pandemie auslöst. Aber wenn Sie Philosoph sind und noch dazu einer, der sich mit praktischen ethischen Fragen beschäftigt, dann geht es doch genau darum, diese Fragen in die Öffentlichkeit zu tragen, die Menschen aufzuklären und über tatsächliche Probleme zu diskutieren. Wenn wir sagen würden, es gibt Dinge, die wir mit unseren Kollegen an der Universität diskutieren können, aber nicht in der Öffentlichkeit, dann würden wir doch ein falsches Spiel spielen. Was ich nicht wirklich für eine gute Sache halte. Oder anders gesagt: Wenn Sie dieses Spiel spielen wollen, geben Sie letztlich die Erwartung auf, in der breiten Öffentlichkeit rationale Gedankenprozesse etablieren zu können, die zu einer Verbesserung führen können. Manchmal führt sowas natürlich erstmal zu großer Aufregung. Aber dann beruhigen sich die Menschen und bringen letztlich eine größere Offenheit mit, über bestimmte Themen zu diskutieren. Außerdem halte ich Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit für wichtig. Und sich nicht vor den logischen Schlussfolgerungen einer Anschauung zu verstecken, scheint mir der beste Weg, um zu zeigen, dass man auf der Suche nach einer ernsthaften Diskussion ist.

Was mich zu ein paar kurzen abschließenden Fragen führt: Sind Sie Optimist?

Ich denke vom Temperament her bin ich wahrscheinlich eher Optimist, ja. Ich bin nicht der Typ für Untergangsszenarien.

Wenn Sie sich entscheiden könnten, ob Sie geboren werden oder nicht, würden Sie sich dafür entscheiden, geboren zu werden?

Ja.

Und wenn es an Ihnen wäre, die Welt zu erschaffen oder sie nicht zu erschaffen, würden Sie sie erschaffen?

Wenn ich die Macht hätte, die Welt zu erschaffen, würde ich eine wesentlich bessere als diese hier erschaffen. Was einer der Gründe ist, warum ich nicht an Gott glaube – zumindest nicht an einen Gott, der allmächtig und allgütig ist –, denn dieser Gott hätte die Welt nie so geschaffen. Aber wenn ich nicht die Chance hätte, eine bessere Welt zu erschaffen, sondern nur entweder diese Welt mit all ihren Problemen oder gar keine … ja, ich würde sie erschaffen.

Wow. Wirklich ein echter Optimist.

Na ja, egal ob man jetzt findet, dass es in der Welt gegenwärtig mehr Gutes oder mehr Schlechtes gibt, bin ich doch irgendwie optimistisch, dass wir – wenn wir als Spezies überleben und nicht aus einem von vielen möglichen Gründen in den nächsten Jahren aussterben – aus unseren Fehlern lernen werden, dass wir klüger werden, dass sich unsere Technologien verbessern werden, dass wir in der Lage sein werden, auf der Welt jeden mit Nahrung, Kleidung, Bildung und ausreichender medizinischer Hilfe zu versorgen. Darum denke ich, dass es wahrscheinlich ist, dass die Zukunft besser sein wird als die Vergangenheit.“

https://hpd.de/artikel/ich-gebe-einfach-nicht-und-hoffe-dass-sich-menschen-aendern-koennen-15754

 

Befreiung der Tiere – Eine neue Ethik zur Behandlung der Tiere“

 

Aus „Wikipedia“: „Sein 1975 in englischer Sprache erschienenes Buch Animal Liberation gilt als maßgebliches Werk der zeitgenössischen Diskussion über den moralischen Status von Tieren in der Tierrechtsbewegung und ethischen Diskussion. Gemeinsam mit Tom Regan gilt Singer daher als Begründer der modernen Tierethik. In diesem Buch beschreibt er eine Diskriminierung und Ausbeutung von Tierarten aufgrund eines angenommenen Vorranges der Spezies Mensch. Singer spricht daher von „Speziesismus“. Die Zugehörigkeit zu einer Spezies dürfe nach ihm aber für sich selbst keine moralische Relevanz haben. Kriterium für ethische Bewertungen dürfe und müsse einzig die Fähigkeit sein, bestimmte Präferenzen zu besitzen – und in genau diesem Maße seien Lebewesen, ungeachtet ihrer Spezieszugehörigkeit, in das ethische Kalkül einzubeziehen. Darunter fällt für Singer in Anlehnung an Jeremy Bentham bereits die Eigenschaft, Schmerz empfinden zu können, womit dann die Zuschreibung einer Präferenz entsprechender Schmerzvermeidung korreliert. Insbesondere bei Säugetieren und Vögeln gebe es hinreichende Hinweise für die Zuschreibung von Schmerzempfinden.

Zu den Konsequenzen dieser Argumentation zählt die moralische Empfehlung eines Boykotts von Produkten aus nahezu allen Formen der Tierhaltung, insbesondere aber der Massentierhaltung (zum Beispiel durch Vegetarismus oder Veganismus). Viele Tierversuche stünden, so Singers Resultate, in keinem rational zu rechtfertigenden Verhältnis zum in Kauf genommenen Leid der Tiere. Tierversuche seien daher größtenteils moralisch falsch. Allerdings könne es moralisch gerechtfertigte Tierversuche geben, nämlich, wenn als Resultat dieser Versuche mehr Leid verhindert wird (und damit mehr Präferenzen der Leidvermeidung erfüllt werden) als durch die Versuche selbst entsteht.

Zu der Frage, in welchen Fällen das Töten von Tieren moralisch verwerflich ist, äußert sich Singer in Animal Liberation – Die Befreiung der Tiere kaum. Er begründet dies mit der hohen Komplexität dieser Fragestellung und verweist darauf, dass schon allein der Schmerz der Tiere in der modernen Gesellschaft eine umfassende Änderung des Verhaltens gegenüber Tieren verlangt. Die Tötungsfrage und der damit verbundene Wert des Lebens wird in seinem Buch Praktische Ethik ausführlich erörtert.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Singer

Das über eine halbe Million Mal verkaufte und vielfach übersetzte Buch trug zum Entstehen einer modernen Tierrechtsbewegung bei. Es wurde einerseits innerhalb und außerhalb der Tierrechtstheorie teilweise scharf angegriffen und gilt andererseits als ein Klassiker der ethischen und politischen Literatur zur Beziehung zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren. Singer hat seit dem Erscheinen zwar weitere Texte zur Ethik der Mensch-Tier Beziehung verfasst, verweist aber in aktuellen Interviews (Stand 2011) weiterhin auf Animal Liberation als „adäquate Darstellung“ seiner Position, die keiner grundsätzlichen Klarstellungen bedürfe …

Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere gilt als ein Klassiker im Bereich der Tierrechte, das eine moderne Tierrechtsbewegung begründete.

Das über eine halbe Million Mal verkaufte und vielfach übersetzte Buch verhalf der Tierrechtsbewegung zu großem Zulauf und wird daher auch als „Bibel der Tierbefreiungsbewegung“ bezeichnet.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Animal_Liberation._Die_Befreiung_der_Tiere

Das Buch ist über 40 Jahre alt und hauptsächlich auf die Verhältnisse in den USA und Großbritannien bezogen. Mittlerweile hat sich das eine oder andere geändert – nichtsdestotrotz möchte der Wurm in seiner eigenen Reihenfolge aus dem Werk zitieren. Und sei es nur als Dokument der Zeitgeschichte.

 

Tyrannei des Menschen – kurze Geschichte des Speziezismus

 

1. Christliche Grundlagen

 

Ein wesentlicher Kern des menschlichen Denkens stammt aus der Religion. Mit den Aussagen des christlichen Glaubens zum Umgang mit Tieren und der gesamten Natur hatte sich der Wurm bereits in einem früheren Beitrag beschäftigt:

„„Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch und erfüllt die Erde. Furcht und Schrecken vor euch sei über alle Tiere auf Erden und über alle Vögel unter dem Himmel, über alles, was auf dem Erdboden kriecht, und über alle Fische im Meer; in eure Hände seien sie gegeben. Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich's euch alles gegeben.“ (1. Buch Mose 9; 1-3)

http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/1_mose/9/#1

Es liegt in der Natur der Dinge, dass ein Wurm solche Sätze gar nicht gern hört. Vor allem dann nicht, wenn diese Sätze maßgeblich zur Einstellung großer Religionsgemeinschaften zur Natur beitragen …

Jeremias Juchtenkäfer, Leiter der Arbeitsgruppe REA (Religiöses, Esoterisches, Abstruses), kennt sich natürlich in der Thematik gut aus: Es gibt drei Stellen in der Bibel, die für das Verhalten der Christen gegenüber der Natur verantwortlich zeichnen. Die erste ist die eingangs erwähnte, in der „Furcht und Schrecken“ über die Tiere verbreitet werden soll.

Die anderen beiden Stellen haben unmittelbar mit Jesus zu tun: Er lässt Dämonen in eine Schweineherde fahren, die er ohne das geringste Mitleid in dem nahen See ertrinken lässt und er verflucht einen Feigenbaum, der im Frühjahr keine Früchte trägt.

Der Kommentar hierzu von Kirchenvater Augustinus: „Christus selbst zeigt, dass es höchster Aberglaube ist, sich des Tötens von Tieren und des Zerstörens von Pflanzen zu enthalten …“

Hier sind diese zwei Stellen:

„… Als er aber Jesus von ferne sah, lief er und warf sich vor ihm nieder, schrie mit lauter Stimme und sprach: Jesus, du Sohn Gottes, des Höchsten, was habe ich mit dir zu schaffen? Ich beschwöre dich bei Gott, daß du mich nicht peinigest! Denn er sprach zu ihm: Fahre aus, du unreiner Geist, aus dem Menschen! Und er fragte ihn: Wie heißest du? Und er antwortete und sprach: Legion heiße ich; denn wir sind viele! Und er bat ihn sehr, sie nicht aus dem Lande zu verweisen. Es war aber dort an den Bergen eine große Herde Schweine zur Weide. Und die Dämonen baten ihn und sprachen: Schicke uns in die Schweine, damit wir in sie fahren! Und alsbald erlaubte es ihnen Jesus. Und die unreinen Geister fuhren aus und fuhren in die Schweine. Und die Herde stürzte sich den Abhang hinunter in das Meer (ihrer waren etwa zweitausend), und sie ertranken im Meer. Die Hirten aber flohen und verkündigten es in der Stadt und auf dem Lande. Und sie gingen hinaus zu sehen, was da geschehen war. Und sie kommen zu Jesus und sehen den Besessenen, der die Legion gehabt hatte, dasitzen, bekleidet und vernünftig; und sie fürchteten sich. Und die es gesehen hatten, erzählten ihnen, wie es mit dem Besessenen zugegangen war, und das von den Schweinen. Da fingen sie an, ihn zu bitten, er möge aus ihren Grenzen weichen.“ Markus 5; 1-17

http://www.bibel-online.net/buch/schlachter_1951/markus/5/#1

Mensch stelle sich mal vor, er hätte eine Herde von 2.000 Schweinen gehabt. Denjenigen, der diesen Besitz zu Grunde gerichtet hätte, hätte mensch wohl auch „gebeten“, aus seinen Grenzen zu weichen.

Und als sie am folgenden Tage Bethanien verließen, hungerte ihn. Und als er von ferne einen Feigenbaum sah, der Blätter hatte, ging er hin, ob er etwas daran fände. Und als er zu demselben kam, fand er nichts als Blätter; denn es war nicht die Zeit der Feigen. Und Jesus hob an und sprach zu ihm: Es esse in Ewigkeit niemand mehr eine Frucht von dir! Und seine Jünger hörten es.“ Markus 11; 12-14

http://www.bibel-online.net/buch/schlachter_1951/markus/11/#1

Ein friedfertiger, vernünftiger Mensch hätte weder erbarmungslos 2.000 Schweine getötet noch einen Feigenbaum verflucht, der keine Früchte trägt („denn es war nicht die Zeit der Feigen“), nur weil er gerade Hunger hat und meint, alles und jeder hätte ihm zu Diensten zu sein.

Um noch mal den Kirchenlehrer Augustinus zu zitieren: „Christus selbst zeigt, dass es höchster Aberglaube ist, sich des Tötens von Tieren und des Zerstörens von Pflanzen zu enthalten …“

Und es wurde (und wird) getötet, zerstört und Furcht und Schrecken verbreitet: aus theologischen Gründen wurde geleugnet, dass Tiere leiden können – schließlich hat Adam in den Apfel gebissen und nicht irgend ein Hund. Der maßgebliche Kirchenlehrer Thomas von Aquin unterstrich mit der ganzen Kraft seiner Autorität, dass Tiere keinerlei Rechte hätten und – vom christlichen Standpunkt aus – nichts Falsches daran sei, Tiere zu martern. Im 19. Jahrhundert weigerte sich Papst Pius IX., die Gründung einer Gesellschaft zur Verhinderung von Grausamkeiten gegen Tiere zu gestatten. Er meinte, es sei eine Gotteslästerung, wollte man gegen das Abschlachten von Tieren aufbegehren.

Wer sich näher für das Thema interessiert, sei an „Die Lehre des Unheils“ von Edgar Dahl und an „Animal Liberation“ von Peter Singer verwiesen. Und an zwei Seiten im Internet, die sich ausführlich mit dem Thema beschäftigen:

http://www.verbrechenderkirche.de/index.php?option=com_k2&view=item&id=1%3Atierleid&tmpl=component&print=1&Itemid=1

http://www.freiheit-fuer-tiere.de/broschueren-filme-musik/dertierleichenfresser/millionenfaches-tierleid-.html

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/90-oekoterrorist-noah.html

 

2. Thomas von Aquin

 

Wir können mit der Frage beginnen, ob nach Ansicht des Thomas von Aquin das christliche Tötungsverbot auch für nichtmenschliche Lebewesen gilt, und falls nicht, warum nicht. Seine Antwort lautet:

Es ist keine Sünde, ein Ding für den Zweck zu benutzen, für den es ist. Nun ist die Ordnung der Dinge so, daß die unvollkommenen für die vollkommenen sind … Dinge wie Pflanzen, die nur Leben haben, sind für die Tiere, und alle Tiere sind für den Menschen. Daher ist es nicht ungesetzlich, wenn Menschen Pflanzen zum Nutzen der Tiere verwenden und Tiere zum Nutzen der Menschen, wie der Philosoph sagt.

Nun scheint der notwendigste Gebrauch in der Tatsache zu bestehen, daß Tiere Pflanzen und Menschen Tiere zur Nahrung verwenden, und dies kann nicht geschehen, ohne daß diesen das Leben genommen wird, weshalb es erlaubt ist, sowohl Pflanzen das Leben zu nehmen zum Gebrauch der Tiere als auch Tieren zum Gebrauch des Menschen. Tatsächlich stimmt dies mit dem Gebot Gottes selbst überein (Genesis 1, 29, 30 und Genesis 9, 3).

Für Thomas von Aquin ist das Wesentliche nicht, daß Töten zu Nahrungszwecken an sich notwendig und daher zu rechtfertigen ist (da er von Sekten wie den Manichäern wußte, bei denen das Töten von Tieren verboten war, kann ihm die Tatsache nicht völlig unbekannt gewesen sein, daß Menschen leben können, ohne Tiere zu töten, doch für den Augenblick wollen wir das übersehen); nur die „Vollkommeneren" sind berechtigt, aus diesem Grunde zu töten. Tiere, die zu ihrer Ernährung Menschen töten, fallen in eine ganz andere Kategorie:

Wildheit und Brutalität haben ihre Namen von einer Ähnlichkeit mit wilden Tieren … Denn Tiere dieser Art greifen den Menschen an, um sich von dessen Leib zu nähren, und nicht aus einem gerechten Motiv, dessen Berücksichtigung allein dem Verstand zugehört.“

Der Mensch würde natürlich nicht zu Nahrungszwecken töten, ohne vorher darüber nachzudenken, ob es gerecht sei, dies zu tun!

So darf der Mensch also andere Tiere töten und sie zu seiner Nahrung verwenden; gibt es aber vielleicht anderes, das er nicht mit ihnen tun darf? Ist das Leiden anderer Geschöpfe an sich ein Übel? Wenn ja, wäre es dann nicht aus diesem Grunde falsch, sie leiden oder zumindest unnötig leiden zu lassen?

Thomas von Aquin sagt nicht, daß Grausamkeit gegenüber Tieren ohne Verstand falsch ist. In seinem moralischen Schema ist kein Raum für Unrecht dieser Art, denn er unterteilt die Sünden in solche gegen Gott, solche gegen sich selbst und solche gegen den Nächsten. Auch hier also schließen die Grenzen der Moral wieder einmal die nicht-menschlichen Lebewesen aus. Es gibt keine Kategorie für Sünden gegen sie.

Vielleicht ist es, wenn es auch keine Sünde ist, grausam zu nicht-menschlichen Lebewesen zu sein, dennoch eine gute Tat, freundlich zu ihnen zu sein? Nein, Thomas von Aquin schließt auch diese Möglichkeit ausdrücklich aus. Mildtätigkeit, so sagt er, erstreckt sich nicht auf vernunftlose Kreaturen, und zwar aus drei Gründen: sie sind nicht fähig, das Gute zu besitzen, das können nur die vernunftbegabten Geschöpfe; wir haben ihnen gegenüber nicht das Gefühl, ihre Brüder zu sein; und schließlich basiert Mildtätigkeit auf der Brüderlichkeit ewigen Glücks, das die vernunftlosen Kreaturen nie erreichen können. Man kann diese Geschöpfe nur lieben, so wird uns gesagt, wenn wir sie als die guten Dinge ansehen, die wir für andere wünschen, d. h. zur Ehre Gottes und zum Gebrauch des Menschen. Mit anderen Worten, wir können nicht einen Truthahn liebend füttern, weil er hungrig ist, sondern weil wir ihn als jemandes Weihnachtsessen betrachten.

All dies könnte uns zu der Annahme führen, daß Thomas von Aquin einfach nicht glaubt, Tiere seien überhaupt fähig zu leiden. Diese Ansicht ist von anderen Philosophen vertreten worden, und trotz ihrer augenscheinlichen Absurdität würde sie ihn zumindest von der Anklage der Gleichgültigkeit gegenüber Leiden freisprechen. Diese Deutung jedoch wird von den eigenen Worten des Autors widerlegt. Im Verlauf einer Diskussion einiger der milden Verbote gegen Grausamkeit an Tieren im Alten Testament schlägt Thomas von Aquin vor, wir sollten zwischen Vernunft und Mitgefühl unterscheiden. Was die Vernunft angeht, so sagt er uns:

„… es ist unwichtig, wie sich der Mensch den Tieren gegenüber verhält, da Gott alle Dinge unter die Macht des Menschen gestellt hat … und in diesem Sinne sagt der Apostel, daß Gott sich nicht um den Ochsen kümmert, weil Gott nicht fragt, was der Mensch mit dem Ochsen oder mit anderen Tieren tut.“

Wo es aber um Mitgefühl geht, da wird unser Mitleid durch Tiere erregt, weil selbst „unvernünftige Tiere Schmerz empfinden können"; dennoch sind die Verfügungen des Alten Testaments nicht dazu bestimmt, vernunftlosen Tieren Schmerz zu ersparen:

Nun ist es offensichtlich, daß ein Mensch, wenn er Mitgefühl mit Tieren hat, desto mehr geneigt sein wird, auch zu seinen Mitmenschen mitfühlend zu sein, weshalb geschrieben steht: (Sprüche Salomons, 12, 10) „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs ..."

So trägt Thomas von Aquin die oft wiederholte Ansicht vor, daß der einzige Grund gegen Grausamkeit zu Tieren der sei, daß diese zur Grausamkeit gegen menschliche Wesen führen könne. Kein Argument könnte die Essenz des Speziesismus klarer enthüllen.

Der Einfluß des Thomas von Aquin war dauerhaft. Noch Mitte des neunzehnten Jahrhunderts weigerte sich Papst Piux IX., die Gründung einer Gesellschaft zur Verhinderung von Grausamkeit gegen Tiere zu gestatten, und zwar weil dies implizieren würde, daß menschliche Wesen Pflichten gegenüber den Tieren haben. Und wir können diese Aufzählung bis zum heutigen Tag fortsetzen, ohne signifikante Veränderungen der offiziellen Position der römisch-katholischen Kirche zu finden ...“

 

3. Humanismus und erste Abweichler

 

Man könnte meinen, daß das Zeitalter der Renaissance mit dem Aufkommen humanistischen Denkens im Gegensatz zur mittelalterlichen Scholastik das mittelalterliche Bild des Universums erschüttert und dabei frühere Ideen über die Stellung des Menschen gegenüber den anderen Lebewesen zu Fall gebracht hätte. Aber der Humanismus der Renaissance war schließlich Humanismus; und die Bedeutung dieses Begriffs hat nichts mit Humanitarismus zu tun, der Tendenz, human zu handeln.

Das zentrale Merkmal des Humanismus der Renaissance ist sein Beharren auf dem Wert und der Würde menschlicher Wesen und auf der bedeutenden Stellung des Menschen im Universum. „Der Mensch ist das Maß aller Dinge", ein Satz, der von den alten Griechen stammte und während der Renaissance wieder zum Leben erweckt wurde, ist das Leitmotiv des Zeitalters. Statt der in gewisser Weise deprimierenden Konzentration auf die Erbsünde und die Schwäche des Menschen im Vergleich zur unendlichen Macht Gottes hoben die Humanisten der Renaissance die Einzigartigkeit des Menschen hervor, seinen freien Willen, seine Möglichkeiten und seine Würde; und sie betonten den Gegensatz all dessen zu der begrenzten Natur der „niedrigeren Lebewesen". Wie das ursprüngliche christliche Beharren auf der Heiligkeit des menschlichen Lebens war dies in einigen Aspekten ein sehr wertvoller Fortschritt bezüglich der Einstellungen zu menschlichen Wesen, doch die Stellung nichtmenschlicher Lebewesen blieb ebenso tief unter der menschlicher Wesen, wie sie es immer gewesen war.

So schrieben die Autoren der Renaissance selbstgefällige Essays, in denen sie sagten, daß „nichts auf der Welt gefunden werden kann, das bewunderungswürdiger wäre als der Mensch", und den Menschen als „das Zentrum der Natur, die Mitte des Universums, die Meßkette der Welt" beschrieben. Die Renaissance bezeichnet zwar in gewisser Hinsicht den Beginn des modernen Denkens, doch was die Haltungen gegenüber Tieren angeht, so blieben frühere Denkweisen weiterhin gültig.

Um diese Zeit herum jedoch können wir die ersten echten Abweichler erkennen: LEONARDO DA VINCI wurde von seinen Freunden gehänselt, weil er sich das Leiden von Tieren so zu Herzen nahm, daß er Vegetarier wurde; und GIORDANO BRUNO, beeinflußt von der neuen kopernikanischen Astronomie, die die Möglichkeit zuließ, daß es andere Planeten geben könne, von denen vielleicht einige bewohnt wären, wagte die Behauptung, der Mensch sei „nicht mehr als eine Ameise angesichts des Unendlichen". Bruno wurde 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil er sich weigerte, seine „Häresien" zu widerrufen.

MICHAEL DE MONTAIGNES Lieblingsautor war Plutarch, und sein Angriff auf die humanistischen Annahmen seines Zeitalters hätte die Zustimmung dieses sanftmütigen Römers gefunden:

Anmaßung ist unsere natürliche und ursprüngliche Krankheit … Mit der gleichen Eitelkeit der Vorstellungskraft setzt er (der Mensch) sich selbst Gott gleich, schreibt sich selbst göttliche Qualitäten zu und zieht sich zurück und trennt sich von der Masse anderer Geschöpfe …

Es ist sicherlich kein Zufall, daß der Autor, der diese Selbstüberhebung zurückweist, in seinem Essay über die Grausamkeit auch der erste seit römischen Zeiten ist, der sagt, daß Grausamkeit gegenüber Tieren an sich falsch ist, ganz abgesehen von ihrer Tendenz, auch zu Grausamkeit gegenüber menschlichen Wesen zu führen.

Sollte sich vielleicht, ausgehend von diesem Punkt in der Entwicklung des westlichen Denkens, die Stellung der nichtmenschlichen Lebewesen bessern? Das alte Konzept des Universums und der zentralen Stellung des Menschen in ihm wurde allmählich verdrängt; die moderne Wissenschaft begann ihren heute berühmten Aufstieg; und schließlich war die Stellung der nichtmenschlichen Lebewesen so niedrig, daß man hätte meinen können, sie könne eigentlich nur besser werden.“

Zu Leonardo da Vinci siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/386-erster-und-groesster-naturforscher-aller-zeiten.html

 

4. René Descartes

 

Doch der absolute Tiefstand sollte erst noch kommen. Die letzte, bizarrste und - für die Tiere - schmerzlichste Folge kirchlicher Fälschungen erschien in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts in der Philosophie des RENÉ DESCARTES.

Descartes war ein deutlich moderner Denker. Er wird als Vater der modernen Philosophie und auch der analytischen Geometrie angesehen, in der ein großer Teil der modernen Mathematik ihren Ursprung hat. Doch er war auch ein Christ, und seine Überzeugungen in bezug auf Tiere ergaben sich aus der Kombination dieser beiden Aspekte seines Denkens.

Unter dem Einfluß der neuen und erregenden Wissenschaft der Mechanik vertrat Descartes die Ansicht, daß alles, was aus Materie bestehe, von mechanistischen Prinzipien regiert würde wie denen, die eine Uhr leiteten. Ein auf der Hand liegendes Problem bei dieser Sichtweise war die Natur des Menschen selbst. Der menschliche Körper besteht aus Materie und ist Teil des physikalischen Universums. Folglich müßten auch menschliche Wesen Maschinen sein, deren Verhalten von den Gesetzen der Wissenschaft bestimmt wird.

Es gelang Descartes, die unangenehme und häretische Ansicht zu vermeiden, der Mensch sei eine Maschine, indem er die Idee der Seele einbrachte. Es gibt, so sagte Descartes, nicht nur eine, sondern zwei Arten von Dingen im Universum, Dinge des Geistes oder der Seele ebenso wie Dinge physischer oder materieller Natur. Menschliche Wesen sind bewußt, und Bewußtsein kann seinen Ursprung nicht in Materie haben. Descartes identifizierte Bewußtsein mit der unsterblichen Seele, die die Zersetzung des physischen Leibes überlebt, und behauptete, die Seele sei eigens von Gott geschaffen. Von allen materiellen Wesen, so sagte Descartes, haben nur die Menschen eine Seele (Engel und andere immaterielle Wesen haben Bewußtsein und sonst nichts).

So hat in der Philosophie von Descartes die christliche Doktrin, daß Tiere keine unsterbliche Seele besitzen, die außergewöhnliche Konsequenz, daß sie auch kein Bewußtsein haben. Sie sind, so sagte er, Maschinen, Automaten. Sie erleben weder Lust noch Schmerz noch sonst etwas. Obwohl sie vielleicht schreien, wenn sie mit einem Messer geschnitten werden, oder sich verzweifelt winden, um den Kontakt mit einem heißen Eisen zu vermeiden, bedeutet dies Descartes zufolge nicht, daß sie in diesen Situationen Schmerz empfinden. Sie werden von den gleichen Prinzipien regiert wie eine Uhr, und wenn ihre Aktionen komplexer sind als die einer Uhr, so liegt das daran, daß die Uhr eine von Menschen hergestellte Maschine ist, während Tiere unendlich viel komplexere Maschinen und von Gott geschaffen sind.

Diese „Lösung" des Problems, Bewußtsein in einer materialistischen Welt anzusiedeln, erscheint uns paradox, ebenso wie vielen Zeitgenossen Descartes, doch damals war man der Meinung, sie habe auch bedeutende Vorteile. Sie lieferte einen Grund für den Glauben an ein Leben nach dem Tode; etwas, das Descartes für „von großer Bedeutung" hielt, da „der Gedanke, daß die Seelen von Tieren von der gleichen Natur sind wie unsere eigenen und daß wir nach diesem Leben nicht mehr zu fürchten und zu hoffen haben als die Fliegen und Ameisen", ein Irrtum war und geeignet, zu unmoralischem Verhalten zu führen. Sie beseitigte auch das alte und verwirrende theologische Rätsel, warum ein gerechter Gott es zuließ, daß Tiere - die weder Adams Sünde geerbt haben noch nach dem Tode belohnt werden - leiden. John Passmore beschreibt die Frage „Warum leiden Tiere?" als jahrhundertelang das Problem aller Probleme. Er rief auf phantastische Weise ausgeklügelte Lösungen hervor … Malebranche (ein Zeitgenosse von Descartes) sagt ausdrücklich, daß es aus rein theologischen Gründen notwendig sei zu leugnen, daß Tiere leiden können, da alles Leiden die Folge von Adams Sünde ist und die Tiere nicht von Adam abstammen.

Descartes war sich auch praktischer Vorteile bewußt:

„… meine Meinung ist nicht so grausam gegenüber den Tieren wie duldsam gegenüber den Menschen - zumindest jenen, die nicht dem Aberglauben des Pythagoras verfallen sind - da sie sie von dem Verdacht eines Verbrechens freispricht, wenn sie Tiere essen oder töten."

Für den Wissenschaftler Descartes hat die Lehre noch eine andere günstige Folge. Zu jener Zeit verbreitete sich die Praxis, mit lebenden Tieren zu experimentieren, in Europa. Da es damals keine Anästhetika gab, müssen diese Experimente die Tiere zu einem Verhalten veranlaßt haben, das für die meisten von uns ein Anzeichen dafür wäre, daß sie extreme Schmerzen leiden. Descartes Theorie erlaubte es dem Experimentator, alle Gewissensbisse abzulegen, die er sonst unter diesen Umständen vielleicht empfunden hätte. Descartes selbst sezierte lebende Tiere, um sein anatomisches Wissen voranzubringen, und viele der führenden Physiologen der Zeit erklärten sich für Cartesianer und Mechanisten. Der folgende Augenzeugenbericht über einige dieser Experimentatoren, die im späten siebzehnten Jahrhundert am Jansenistischen Seminar von Port Royal arbeiteten, macht die Bequemlichkeit von Descartes' Theorie deutlich:

Sie verabreichten mit völliger Gleichgültigkeit Hunden Schläge und machten sich über diejenigen lustig, die die Kreaturen bedauerten, als könnten sie Schmerz empfinden. Sie sagten, die Tiere seien wie Uhren; die Schreie, die sie ausstießen, wenn sie geschlagen wurden, seien nur das Geräusch einer kleinen Saite, die berührt worden sei, der gesamte Körper jedoch sei ohne Gefühl. Sie nagelten arme Tiere mit allen Vieren auf Brettern fest, um an ihnen Vivisektionen vorzunehmen und die Blutzirkulation zu sehen, die ein bevorzugtes Gesprächsthema war."“

 

5. Aufklärung

 

Die neue Methode der Tierversuche ist vielleicht teilweise für eine Veränderung der Einstellung zu Tieren verantwortlich gewesen, da die Versuche zeigten, daß eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen der Physiologie menschlicher Wesen und anderer Lebewesen besteht. Streng genommen war dies kein Widerspruch zu dem, was Descartes gesagt hatte, doch es machte seine Ansichten weniger plausibel. Voltaire drückte es treffend so aus:

Es gibt Barbaren, die diesen Hund ergreifen, der dem Menschen an Freundschaft und Treue so sehr überlegen ist, ihn auf einen Tisch nageln und bei lebendigem Leibe zerschneiden, um die mesaraischen Venen zu zeigen! Du entdeckst in ihnen die gleichen Gefühlsorgane wie in dir selbst! Antworte mir, Mechanist, hat die Natur all die Quellen des Gefühls in diesem Tier eingerichtet, damit es nicht fühlen soll?"

Obwohl es keine radikale Veränderung gab, wirkten die verschiedensten Einflüsse zusammen, um die Einstellungen gegenüber Tieren zu verbessern. Allmählich wurde erkannt, daß andere Lebewesen durchaus leiden und daß sie eine gewisse Rücksichtnahme verdienen. Man gestand ihnen zwar keinerlei Rechte zu, und ihre Interessen wurden von den Interessen der Menschen verdrängt; dennoch drückte der schottische Philosoph David Hume eine recht allgemeine Empfindung aus, als er sagte, daß wir „durch die Gesetze der Humanität dazu verpflichtet sind, diese Geschöpfe freundlich zu gebrauchen".

Freundlicher Gebrauch" ist in der Tat ein Ausdruck, der die Haltung sehr schön ausdrückt, die sich in dieser Zeit auszubreiten begann: wir waren berechtigt, Tiere zu benutzen, doch wir sollten dies auf freundliche Weise tun. Die Tendenz des Zeitalters war gerichtet auf größere Verfeinerung und Zivilisiertheit, größeres Wohlwollen und weniger Brutalität, und den Tieren kam diese Tendenz ebenso zugute wie den Menschen.“

 

Freundlicher Gebrauch

 

1. Menschen-Versuche, Teil 1

 

Wann sind Tierversuche zu rechtfertigen? Wenn sie die Natur vieler zeitgenössischer Experimente kennenlernen, reagieren viele Menschen mit der Forderung, alle Experimente mit Tieren sollten sofort verboten werden. Doch wenn wir eine so absolute Forderung stellen, haben die Experimentatoren eine rasche Antwort parat: wären wir bereit, Tausende von Menschen sterben zu lassen, falls diese durch ein einziges Experiment mit einem einzigen Tier gerettet werden könnten?

Dies ist natürlich eine rein hypothetische Frage. Es konnte nicht und hat auch nie ein einzelnes Experiment gegeben, das Tausende von Leben rettet. Man muß auf diese hypothetische Frage antworten, indem man eine andere Frage stellt: würde der Experimentator bereit sein, seinen Versuch an einem menschlichen Waisenkind unter sechs Monaten durchzuführen, wenn dies die einzige Möglichkeit wäre, Tausende von Leben zu retten?

Wenn der Experimentator nicht bereit wäre, einen menschlichen Säugling zu benutzen, dann verrät seine Bereitschaft, nichtmenschliche Lebewesen zu benutzen, eine unvertretbare Form der Diskriminierung auf der Grundlage der Spezies, denn erwachsene Affen, Hunde, Katzen, Ratten und andere Säugetiere sind sich dessen, was mit ihnen geschieht, bewußter, sind mehr selbstgesteuert und, soweit wir wissen, mindestens so empfindlich gegen Schmerz wie ein menschlicher Säugling. (Ich sagte, der Säugling sollte ein Waisenkind sein, um die Komplikationen zu umgehen, die durch die Gefühle der Eltern entstehen, obwohl das dem Experimentator gegenüber allzu fair ist, denn die nichtmenschlichen Lebewesen, die bei Versuchen benutzt werden, sind keine Waisen, und bei vielen Arten verursacht die Trennung von Mutter und Jungem beiden Leid).

Es gibt kein Merkmal, das menschliche Säuglinge in einem höheren Grade besitzen als erwachsene nichtmenschliche Lebewesen, es sei denn, man betrachtet die Möglichkeiten des Säuglings als Merkmal, dessentwegen es falsch ist, mit ihm zu experimentieren. Ob dieses Merkmal zählen sollte, ist umstritten - wenn wir es berücksichtigen, müssen wir die Abtreibung ebenso verurteilen wie Experimente an Säuglingen, da die Möglichkeiten beim Säugling und beim Fötus dieselben sind.

Um die Komplexitäten dieser Frage zu vermeiden, können wir jedoch unsere ursprüngliche Frage etwas abändern und annehmen, der Säugling habe einen schweren und irreparablen Hirnschaden, der verhindert, daß er sich jemals über das Niveau eines sechsmonatigen Kindes hinaus fortentwickeln könnte. Leider gibt es viele solcher Menschen, die im ganzen Land in geschlossenen Anstalten untergebracht sind; viele dieser Kinder sind von ihren Eltern schon seit langem aufgegeben worden. Trotz ihrer geistigen Mängel sind Anatomie und Physiologie bei ihnen in jeder Hinsicht denen normaler Menschen gleich.

Wenn wir ihnen daher große Mengen von Fußbodenreinigungsmittel zwangsweise einflößen würden oder konzentrierte Lösungen von Kosmetika in ihre Augen träufeln, so würden wir wesentlich verläßlichere Hinweise über die Unschädlichkeit dieser Produkte erhalten als durch Extrapolation der Testergebnisse bei einer Vielzahl von anderen Arten. Die Strahlungsversuche, die Hitzschlagversuche und viele andere, die früher in diesem Kapitel beschrieben wurden, würden uns ebenfalls mehr Aufschlüsse über die menschlichen Reaktionen auf die Testsituation geben, wenn sie mit geistig zurückgebliebenen Menschen durchgeführt worden wären statt mit Hunden und Kaninchen.

Wann immer ein Experimentator also behauptet, sein Experiment sei wichtig genug, um den Gebrauch eines Tieres zu rechtfertigen, sollten wir ihn fragen, ob er bereit wäre, einen Menschen zu benutzen, der auf einer ähnlichen geistigen Stufe steht wie das Tier, das er verwenden will. Wenn seine Antwort negativ ist, können wir annehmen, daß er nur deshalb ein nichtmenschliches Lebewesen benutzen will, weil er die Interessen von Angehörigen anderer Arten weniger berücksichtigt, als die von Angehörigen seiner eigenen Art - und dieses Vorurteil ist genausowenig zu verteidigen wie Rassismus oder irgendeine andere Form willkürlicher Diskriminierung.

Natürlich würde niemand im Ernst vorschlagen, die in diesem Kapitel beschriebenen Versuche mit geistig behinderten Menschen durchzuführen. Gelegentlich ist bekannt geworden, daß Versuche an Menschen gemacht worden sind, ohne daß diese zugestimmt hätten, manchmal auch Versuche an geistig Behinderten. Die Folgen dieser Experimente aber für die menschlichen Versuchspersonen sind fast immer trivial im Vergleich zu dem, was bei nichtmenschlichen Lebewesen Standardpraxis ist. Dennoch führen diese Versuche an Menschen im allgemeinen zu den heftigsten Protesten gegen die Experimentatoren und das mit Recht. Sie sind sehr häufig ein weiteres Beispiel für die Arroganz des Forschers, der auf der Grundlage wachsender Erkenntnis alles rechtfertigt. Wenn Versuche an geistig zurückgebliebenen, verwaisten Menschen falsch sind, warum sind dann Versuche an nichtmenschlichen Lebewesen nicht falsch? Welcher Unterschied besteht zwischen den beiden außer der schlichten Tatsache, daß der eine biologisch gesehen ein Mitglied unserer Spezies ist, der andere aber nicht? Das aber ist mit Sicherheit kein moralisch relevanter Unterschied, ebensowenig wie die Tatsache, daß ein Lebewesen nicht Angehöriger unserer Rasse ist, ein moralisch relevanter Unterschied ist.“

 

2. Menschen-Versuche, Teil 2

 

Tatsächlich läßt sich die Analogie zwischen Speziesismus und Rassismus in der Praxis wie in der Theorie auf den Bereich der Experimentation anwenden. Dreister Speziesismus führt zu schmerzhaften Experimenten mit anderen Arten, die aufgrund ihres Beitrags zur Wissenserweiterung und ihrer möglichen Nützlichkeit für unsere Spezies verteidigt werden. Dreister Rassismus hat zu schmerzhaften Experimenten mit anderen Rassen geführt, die aufgrund ihres Beitrags zur Wissenserweiterung und ihrer möglichen Nützlichkeit für die experimentierende Rasse verteidigt wurden. Unter dem Naziregime in Deutschland haben sich fast 200 Ärzte, von denen einige in der Medizinwelt einen hervorragenden Ruf hatten, an Experimenten mit Juden und russischen und polnischen Gefangenen beteiligt. Tausende von anderen Ärzten wußten von diesen Experimenten, die teilweise Gegenstand von Vorlesungen bei medizinischen Akademien waren. Dennoch beweisen die Aufzeichnungen, daß die Ärzte sich Berichte über „geringerwertigen Rassen" zugefügte schreckliche Verletzungen bis zum Ende anhörten und dann zur Diskussion der medizinischen Lehren schritten, die daraus zu ziehen waren, ohne daß jemand auch nur einen milden Protest gegen die Natur der Experimente vorbrachte. Die Parallelen zwischen dieser Haltung und der heutiger Experimentatoren gegenüber Tieren sind auffallend. Damals wie heute wurden die Versuchsobjekte unterkühlt, überhitzt und in Dekompressionskammern gesteckt. Damals wie heute wurden diese Ereignisse in einer leidenschaftslosen wissenschaftlichen Fachsprache aufgezeichnet.“

 

3. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

 

Ignoranz ist also die erste Verteidigungslinie des Speziesisten. Sie läßt sich allerdings leicht von jedem durchbrechen, der die Zeit und Entschlossenheit aufbringt, die Wahrheit herauszufinden, Die Unwissenheit hat nur deshalb so lange vorgeherrscht, weil die Menschen die Wahrheit nicht herausfinden wollten. „Sagen Sie es mir nicht, Sie verderben mir mein Abendessen", das ist die übliche Antwort auf einen Versuch, jemandem mitzuteilen, wie eben dieses Abendessen hergestellt wurde. Selbst Leute, die sich darüber klar sind, daß der traditionelle, von der Familie geführte Bauernhof von Konzerninteressen übernommen worden ist und daß in den Laboratorien einige fragwürdige Experimente vor sich gehen, klammern sich an die vage Annahme, die Bedingungen könnten nicht allzu schlecht sein, denn sonst würden ja die Regierung oder die Tierschutzorganisationen etwas dagegen unternommen haben. Dr. Bernhard Grzimek, Direktor des Frankfurter Zoos und einer der erklärtesten Gegner der Intensivtierzucht in Westdeutschland, hat die Unwissenheit der heutigen Deutschen hinsichtlich dieser Farmen mit der Unwissenheit einer früheren Generation von Deutschen in bezug auf eine andere Form von Greueln verglichen, die auch den meisten Augen verborgen war; und zweifellos ist es in beiden Fällen nicht so sehr die Unfähigkeit, das herauszufinden, was vorgeht, als der Wunsch, Tatsachen nicht zur Kenntnis zu nehmen, die das eigene Gewissen schwer belasten würden, was hinter diesem Mangel an Bewußtsein steht; ebenso natürlich auch der tröstliche Gedanke, daß es schließlich nicht Mitglieder der eigenen Rasse (Spezies) sind, die Opfer dessen werden, was immer sich an diesen Orten abspielen mag.“

Zu „modernen“ Menschen-Versuchen siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/169-ultra.html

 

Die wahre Bestie

 

Wir betrachten Löwen und Wölfe als wild, weil Sie töten; doch sie müssen töten oder verhungern. Die Menschen töten andere Tiere aus Sport, um ihre Neugier zu befriedigen, ihren Körper zu schmücken oder ihren Gaumen zu erfreuen. Menschen töten auch Angehörige ihrer eigenen Art aus Gier oder Gewalttätigkeit. Außerdem sind die Menschen mit dem bloßen Töten noch nicht zufrieden. Während der ganzen Geschichte haben sie eine Neigung an den Tag gelegt, sowohl ihre Mitmenschen als auch andere Lebewesen auch noch zu foltern und zu quälen, bevor sie sie umbrachten. Kein anderes Tier zeigt daran großes Interesse.

Während wir unsere eigene „Wildheit" übersehen, übertreiben wir die anderer Lebewesen. Der bekannte Wolf beispielsweise, der Bösewicht so vieler Märchen, hat sich bei den sorgfältigen Untersuchungen von Zoologen in freier Wildbahn als außerordentlich soziales Tier erwiesen, als treuer und anhänglicher Gatte - nicht nur für eine Saison, sondern für das ganze Leben als hingebungsvoller Elternteil und als loyales Mitglied des Rudels. Wölfe töten fast nie andere Lebewesen; es sei denn, um sie zu fressen. Wenn die Männchen untereinander kämpfen, endet der Kampf mit einer Unterwerfungsgeste, bei der der Verlierer dem Sieger die Unterseite seines Halses darbietet - den verwundbarsten Teil seines Körpers. Seine Fänge sind nur ein paar Zentimeter von der Drosselader seines Gegners entfernt, doch der Sieger gibt sich mit der Unterwerfung zufrieden und tötet im Gegensatz zu einem menschlichen Eroberer den besiegten Gegner nicht.

Indem wir an unserem Bild der Tierwelt als blutigem Kampfschauplatz festhalten, ignorieren wir das Ausmaß, in dem andere Arten ein komplexes Sozialleben aufweisen, andere Angehörige ihrer Art als Individuen erkennen und zu ihnen in Beziehung treten. Wenn Menschen heiraten, schreiben wir ihre gegenseitige Nähe der Liebe zu, und wir empfinden tiefes Mitgefühl mit einem Menschen, der seinen Ehepartner verloren hat. Wenn andere Tiere sich für ihr Leben paaren, sagen wir, es sei nur Instinkt, der sie dazu veranlaßt, und wenn ein Jäger oder Fallensteller ein Tier tötet oder es zu Forschungszwecken einfängt oder für einen Zoo, dann denken wir nicht daran, daß dieses Tier möglicherweise einen Partner hat, der unter seiner plötzlichen Abwesenheit leiden wird. Auf ähnliche Weise wissen wir, daß die Trennung einer Menschenmutter von ihrem Kind für beide tragisch ist; doch weder der Farmer noch der Züchter von Haustieren und Labortieren verschwendet einen Gedanken an die Gefühle nichtmenschlicher Mütter und Kinder, wenn er sie routinemäßig trennt, weil das zu seinem Geschäft gehört.

Es ist merkwürdig, daß Menschen zwar oft komplexe Aspekte tierischen Verhaltens als „bloßen Instinkt" abtun, der daher eines Vergleichs mit anscheinend ähnlichen Verhaltensweisen des Menschen nicht wert sei, daß aber dieselben Menschen die Bedeutung einfacher instinktiver Verhaltensmuster ignorieren oder übersehen, wenn ihnen das bequem ist. So wird über Legehennen, Mastkälber und Hunde, die zu experimentellen Zwecken in Käfigen gehalten werden, oft gesagt, sie litten nicht darunter, weil sie nie andere Bedingungen gekannt hätten. Wir sahen in Kapitel 3, daß dies eine Täuschung ist. Tiere haben ein Bedürfnis danach, sich zu bewegen, ihre Glieder oder Flügel auszustrecken, sich zu pflegen und umzudrehen, ganz gleich, ob sie jemals unter Bedingungen gelebt haben, die dies zulassen. Herden- oder Gruppentiere sind verwirrt, wenn sie von anderen Artgenossen getrennt sind, obwohl sie möglicherweise nie andere Bedingungen erlebt haben, und eine zu große Herde oder Schar kann die gleiche Wirkung haben, weil das einzelne Tier nicht mehr in der Lage ist, die anderen Individuen zu erkennen. Diese Belastungen treten in Untugenden oder „Unarten" wie dem Kannibalismus zutage.

Die allgemeine Unkenntnis der Natur nichtmenschlicher Lebewesen gestattet es denjenigen, die Tiere so behandeln, Kritik mit dem Argument zurückweisen, diese Tiere seien ja schließlich „nicht menschlich". Das sind sie tatsächlich nicht; aber sie sind auch keine Maschinen zur Umwandlung von Futter in Fleisch oder Werkzeuge für die Forschung. Wenn man bedenkt, wie weit das Wissen der breiten Öffentlichkeit hinter den jüngsten Erkenntnissen von Zoologen und Ethologen zurückbleibt, die Monate und manchmal Jahre mit der Beobachtung von Tieren mit Notizbuch und Kamera zugebracht haben, dann sind die Gefahren eines sentimentalen Anthropomorphismus weniger groß als die entgegengesetzte Gefahr des bequemen und eigennützigen Gedankens, daß Tiere Lehmklumpen sind, die wir so formen können, wie es uns paßt.

Die Natur nichtmenschlicher Lebewesen dient auch als Grundlage für andere Versuche, unseren Umgang mit ihnen zu rechtfertigen. Als Einwand gegen den Vegetarismus wird oft gesagt, daß andere Tiere töten, um sich zu ernähren, und wir es daher auch tun dürfen. Diese Analogie war bereits alt, als William Paley sie 1785 mit dem Hinweis auf die Tatsache widerlegte, daß die Menschen leben können, ohne zu töten, daß aber andere Tiere keine andere Wahl haben als zu töten, wenn sie überleben sollen. Vielleicht ist dies eine nicht ganz angemessene Widerlegung; doch es ist wichtig, daß man erkennt, daß, selbst wenn es andere Tiere gibt, die mit vegetarischer Ernährung leben könnten, aber manchmal zu Nahrungszwecken töten, dies keine Unterstützung für die Behauptung wäre, daß es moralisch vertretbar ist, wenn wir dasselbe tun. Es ist merkwürdig, wie Menschen, die sich normalerweise als so hoch über den Tieren stehend betrachten, auf einmal, wenn es ihre Nahrungsvorlieben zu stützen scheint, ein Argument benützen, das im Grunde bedeutet, wir sollten uns in unserer Moral nach anderen Tieren richten!

Es geht natürlich darum, daß nichtmenschliche Lebewesen nicht in der Lage sind, die Alternativen in Erwägung zu ziehen oder moralisch abzuwägen, ob das Töten zu Nahrungszwecken richtig oder falsch ist; sie tun es einfach. Wir können bedauern, daß die Welt so ist, doch es hat keinen Sinn, nichtmenschliche Lebewesen moralisch für das verantwortlich oder schuldig zu erklären, was sie tun. Andererseits ist jeder Leser dieses Buches fähig, in dieser Angelegenheit eine moralische Wahl zu treffen. Wir können der Verantwortlichkeit für unsere Wahl nicht ausweichen, indem wir die Handlungen von Wesen nachahmen, die unfähig sind, diese Art Wahl zu treffen.

Nun sagt gewiß jemand, ich hätte zugegeben, daß es einen bedeutsamen Unterschied zwischen Menschen und anderen Tieren gibt, und damit den Haken bei meinem Eintreten für die Gleichheit aller Tiere aufgedeckt. Jeder, dem diese Kritik in den Sinn kommt, sollte das Kapitel 1 sorgfältiger lesen. Dann wird er feststellen, daß er die Natur des Eintretens für die Gleichheit, die ich dort vorgetragen habe, mißverstanden hat. Ich habe nie die absurde Behauptung aufgestellt, es gäbe keine bedeutsamen Unterschiede zwischen normalen erwachsenen Menschen und anderen Tieren. Ich sage nicht, daß Tiere fähig sind, moralisch zu handeln, sondern daß das moralische Prinzip der gleichen Berücksichtigung der Interessen für sie ebenso gilt wie für den Menschen. Daß es häufig richtig ist, in die Sphäre der gleichen Berücksichtigung auch Wesen einzubeziehen, die selbst nicht fähig sind, eine moralische Wahl zu treffen, geht aus unserem Umgang mit kleinen Kindern und anderen Menschen hervor, die aus dem einen oder anderen Grunde nicht die geistige Fähigkeit besitzen, die Natur moralischer Wahl zu verstehen. Wie Bentham gesagt haben könnte, geht es nicht darum, ob sie wählen können, sondern ob sie leiden können.

Es muß zugegeben werden, daß die Existenz fleischfressender Tiere tatsächlich ein Problem für die Ethik der Befreiung der Tiere stellt und zwar insofern, als wir überlegen müssen, ob wir dagegen etwas tun sollten. Angenommen, daß die Menschen die fleischfressenden Arten von der Erde entfernen könnten und daß dadurch das Gesamtmaß an Leiden unter den Tieren verringert würde, sollten wir es tun?

Die kurze und schlichte Antwort lautet, daß wir, wenn wir einmal unseren Anspruch, über alle anderen Arten zu „herrschen", aufgeben, überhaupt kein Recht haben, uns auf irgendeine Weise einzumischen. Wir sollten die Tiere in Ruhe lassen, soweit das möglich ist. Wenn wir die Rolle des Tyrannen aufgegeben haben, sollten wir auch nicht versuchen, den Großen Bruder zu spielen.“

Etwa bei organisierten Hahnen-Kämpfen quälen Menschen Tiere aus Spass an der Freud‘. So wie es ihnen auch Spass macht, Tiere zu töten ohne deren Fleisch zu verwerten, siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/180-lust-am-toeten.html

 

Normale Praxis

 

Ich habe mich in diesem Kapitel auf die modernen Methoden der intensiven Tierzucht und -haltung konzentriert, weil die breite Öffentlichkeit sich weitgehend im Unklaren darüber ist, welches Leiden mit diesen Methoden verbunden ist. Doch nicht nur die Intensivproduktion fügt den Tieren Leid zu. Die Tiere erleiden zahlreiche kleinere Grausamkeiten, ob sie nun mit modernen oder traditionellen Methoden aufgezogen werden.

Einige davon sind seit Jahrhunderten normale Praxis. Das kann uns dazu führen, sie nicht zu beachten, doch für das Tier, dem sie zugefügt werden, ist das kein Trost. Betrachten Sie beispielsweise einige der Routineoperationen, denen Rinder noch immer unterzogen werden.

Nahezu alle Rinderzüchter sägen ihren Tieren die Hörner ab, brandmarken und kastrieren sie. Alle diese Vorgänge können heftigen physischen Schmerz verursachen. Die Hörner werden entfernt, weil gehörnte Tiere am Futtertrog oder beim Transport mehr Platz brauchen und einander verletzen können, wenn sie eng zusammengepfercht werden. Zerquetschte Tierleichen und beschädigte Häute sind teuer. Die Hörner bestehen nicht nur aus unempfindlichem Knochen. Arterien und anderes Gewebe müssen durchtrennt werden, wenn die Hörner entfernt werden, und es kommt dadurch zu Blutungen, vor allem, wenn die Hörner nicht schon kurz nach der Geburt der Kälber entfernt werden.

Die Kastration wird vorgenommen, weil man meint, daß Ochsen besser an Gewicht zunehmen als Stiere - obwohl sie in Wirklichkeit nur mehr Fett anzusetzen scheinen - und weil man fürchtet, daß die Fleischqualität durch die männlichen Hormone beeinträchtigt wird. Außerdem sind kastrierte Tiere leichter zu handhaben. Die meisten Farmer geben zu, daß die Operation dem Tier einen Schock und Schmerzen zufügt. In Großbritannien muß ein Betäubungsmittel benutzt werden, es sei denn, das Tier ist noch sehr jung, doch in Amerika sind Betäubungsmittel nicht allgemein im Gebrauch. Die Prozedur geht so vor sich, daß das Tier auf dem Boden festgehalten wird, dann nimmt man ein Messer und schlitzt das Skrotum auf, um die Testikel freizulegen. Dann werden diese einzeln gepackt und herausgezogen, wobei der Strang, der sie hält, durchgerissen wird; bei älteren Tieren kann es nötig sein, den Strang zu zerschneiden.

Einigen Farmern muß man zugute halten, daß ihnen diese brutale Operation widerstrebt. In einem Artikel unter dem Titel „Das Kastrationsmesser muß verschwinden" nimmt C. G. Scruggs, Herausgeber von The Progressive Farmer, Bezug auf „den extremen Streß der Kastration" und schlägt vor, da mageres Fleisch heute gefragt sei, könne man auf die Kastration verzichten. Die gleiche Meinung wurde in der Schweinezuchtindustrie geäußert, wo eine ähnliche Praxis üblich ist. In einem Artikel in dem britischen Magazin Pig Farming hieß es:

Die Kastration selbst ist eine scheußliche Aufgabe, selbst für den abgehärteten kommerziellen Schweinezüchter. Ich wundere mich nur, daß die Lobby gegen die Vivisektion noch nicht heftig dagegen protestiert hat.

Und da die Forschung nun einen Weg gefunden hat, den Giftstoff festzustellen, den das Fleisch von Ebern gelegentlich enthält, schlägt der Artikel vor, man solle daran denken, „die Kastrationsmesser beiseite zu legen".

Das Brandmarken von Rindern mit einem heißen Eisen ist eine weitverbreitete Maßnahme, die das Auffinden verirrter Tiere erleichtern und Viehdieben (die es noch immer gibt) das Handwerk legen soll; außerdem kann man leichter über die Bestände Buch führen. Obwohl Rinder eine dickere Haut haben als Menschen, ist sie nicht dick genug, um sie vor einem rotglühenden Eisen zu schützen, das direkt auf die Haut gedrückt wird - das Fell wird vorher geschoren - und dort fünf Sekunden bleibt. Damit diese Operation durchgeführt werden kann, wird das Tier mit geübter Gewalt niedergeworfen und auf dem Boden festgehalten. Man kann es statt dessen auch in eine Vorrichtung sperren, die eine Art verstellbarer Verschlag ist, der das Tier fest umschließt, Doch selbst dann, wie es in einer Anleitung heißt, „wird das Tier gewöhnlich einen Satz machen, wenn Sie das Eisen aufdrücken").

Eine weitere Verstümmelung wird den Rindern häufig zugefügt, indem man ihre Ohren mit einem scharfen Messer in eine bestimmte Form schneidet. Dies geschieht, damit man sie auf den Weiden aus einiger Entfernung erkennen kann oder dann, wenn man sie von vorn oder von hinten sieht, denn dabei ist das Brandmal nicht sichtbar.

Dies also sind einige der Standardmaßnahmen der traditionellen Methoden der Rinderzucht. Ähnliches wird auch mit anderen Tieren gemacht, wenn sie zu Ernährungszwecken gezüchtet werden. Und schließlich ist es noch wichtig, wenn man an das Wohl der Tiere bei traditionellen Systemen denkt, sich daran zu erinnern, daß zu nahezu allen Methoden die Trennung von Mutter und Jungem in einem sehr frühen Alter gehört und daß dies beiden Tieren beträchtlichen Kummer verursacht. Keine Form der Tierzucht gestattet es den Tieren, aufzuwachsen und Teil einer Gemeinschaft von Tieren verschiedenen Alters zu werden, wie es unter natürlichen Umständen der Fall wäre.

Obwohl Kastration, Brandmarkung und die Trennung von Mutter und Jungen den Farmtieren seit Jahrhunderten Leid verursacht haben, war es die Grausamkeit von Transport und Schlachtung, die die heftigsten Reaktionen der humanistischen Bewegung auszulösen pflegte zu der Zeit - im neunzehnten Jahrhundert -, zu der sich die humanistische Bewegung um das kümmerte, was mit Farmtieren geschah. Damals wurden die Tiere von den Weiden in der Nähe der Rocky Mountains zu den Bahnstationen getrieben und dann in Eisenbahnwaggons gepfercht, in denen sie tagelang ohne Futter blieben, bis der Zug Chicago erreichte.

Dort, in gigantischen Viehhöfen, die nach Blut und verfaulendem Fleisch stanken, mußten die Tiere, die die Reise überlebt hatten, warten, bis sie an der Reihe waren, die Rampe hinauf getrieben und gezerrt zu werden, an deren oberem Ende der Mann mit dem Schlachtbeil stand. Wenn sie Glück hatten, zielte er gut; viele aber hatten kein Glück.“

 

Tierversuche

 

Das Beunruhigende an den obigen Experimenten ist die Tatsache, daß trotz des Leidens, das die Tiere durchgemacht haben, die erzielten Ergebnisse sehr häufig trivial und offenkundig sind - selbst wenn diese Experimente offenbar bedeutsamer waren als andere, die nicht veröffentlicht wurden ...

Es muß daran erinnert werden, daß dies ein Beispiel für viele Tausende andere ist. In Großbritannien kommen fast 100 neue Kosmetika und Toilettenartikel wöchentlich auf den Markt, und es ist geschätzt worden, daß jährlich bis zu einer Million Tiere allein bei Forschungsarbeiten für Kosmetika sterben. Die Zahlen für die Vereinigten Staaten oder Deutschland sind nicht bekannt, dürften aber jeweils wesentlich höher sein. Dazu muß noch die riesige Anzahl von Tieren gezählt werden, die benutzt werden, um unwesentliche Nahrungszusätze zu testen - neue Färbemittel, Süßstoffe oder andere aromatisierende Stoffe, neue Konservierungsmittel etc. Jede Firma, die eine solche neue Substanz auf den Markt bringen will, muß bei der Food and Drug Administration die Unschädlichkeit des Produkts nachweisen. Dieser Nachweis besteht aus einem dicken Aktenordner voller Berichte über die experimentelle Vergiftung von Tieren.

Nicht nur für den Verzehr bestimmte Produkte werden getestet. Alle Arten von industriellen und Haushaltswaren werden an Tiere verfüttert und an ihren Augen getestet. Ein Nachschlagebuch, Clinical Toxicology of Commercial Products (Klinische Toxikologie kommerzieller Produkte) liefert Daten darüber, wie giftig Hunderte von kommerziellen Produkten sind, meist auf der Grundlage von Tierversuchen. Zu diesen Produkten gehören: Insektenvertilgungsmittel, Frostschutzmittel, Bremsflüssigkeiten, Bleichmittel, Christbaumsprays, Kirchenkerzen, Ofenreiniger, Deodorants, Hauterfrischungsmittel, Schaumbäder, Enthaarungsmittel, Augen-Make-ups, Feuerlöscher, Tinten, Sonnenöle, Nagellacke, Maskara, Haarsprays, Anstrichfarben und Gleitmittel für Reißverschlüsse …

Immer, wenn die Tierversuche mit für den menschlichen Gebrauch bestimmten Produkten kritisiert werden, bringt jemand die tragischen Fälle der „Contergankinder" zur Unterstützung der Behauptung vor, gründliches Testen sei erforderlich, um die Öffentlichkeit zu schützen. Dieses Beispiel ist wert, untersucht zu werden. Die Lehre, die daraus zu ziehen ist, sieht anders aus, als die meisten Leute annehmen.

Zunächst muß daran erinnert werden, daß Thalidomid keine wesentliche, lebensrettende Substanz war. Es handelte sich um eine neue Art von Schlaftablette, und Schlaftabletten können zwar wichtiger sein als Kosmetika, doch das Leiden der Tiere, das mit dem Testen einer Substanz verbunden ist, ist auf jeden Fall ein hoher Preis für das Vermeiden von Schlaflosigkeit. Ohne Tierversuche auszukommen, würde nicht bedeuten, Substanzen wie Thalidomid ungetestet freizugeben; es würde bedeuten, sie nicht zu benutzen und zu versuchen, weniger von Medikamenten abhängig zu werden.

Der zweite und wichtigere Punkt ist die Tatsache, daß Thalidomid sehr wohl intensiv an Tieren erprobt wurde, bevor es freigegeben wurde. Bei diesen Tests traten keinerlei Abnormitäten auf. Tatsächlich war es so, wie der Herausgeber eines neueren Buches über Toxikologie festgestellt hat: „Die Toxizitätstests waren bei Thalidomid sorgfältig durchgeführt worden und hatten ohne Ausnahme ergeben, daß es ein nahezu einmalig unschädliches Präparat war." Selbst nachdem man bereits argwöhnte, daß das Medikament Mißbildungen bei menschlichen Babies verursachte, traten bei allen mit trächtigen Laborhunden, Katzen, Ratten, Affen, Hamstern und Hühnern durchgeführten Tests keinerlei Mißbildungen auf. Erst als man das Präparat an einer bestimmten Kaninchenart erprobte, kam es zu Mißbildungen.

Die Thalidomidgeschichte unterstreicht etwas, das Toxikologen schon seit langem gewußt hatten: die Arten sind unterschiedlich. Die Extrapolation von einer Spezies auf eine andere ist ein sehr riskantes Unterfangen. Thalidomid ist für die meisten Tiere unschädlich. Insulin dagegen kann Mißbildungen bei jungen Ratten und Mäusen auslösen, nicht aber bei menschlichen Kindern.

Und, wie ein anderer Toxikologe gesagt hat: „Wenn man Penicillin jemals auf seine Toxizität bei Meerschweinchen untersucht hätte, wäre es vielleicht nie beim Menschen angewendet worden."

Wir sollten aus dieser Angelegenheit also nicht den Schluß ziehen, daß Tierversuche notwendig sind, sondern den, daß sie unzuverlässig sind; nicht, daß wir noch mehr Tiere vergiften müssen, sondern, daß wir andere Testmethoden finden müssen; bis dahin sollten wir dafür sorgen, daß wir ohne neue, unwesentliche Medikamente auskommen ...

Außer von den hier aufgeführten Stellen werden Tierversuche auch von vielen anderen Regierungskörperschaften finanziert, beispielsweise von der National Aeronautics and Space Administration. Auch das Verteidigungsministerium führt viele Versuche durch; es testet neue Waffen an Tieren und benutzt sie auch für viele andere Zwecke. Die genaue Anzahl der Tiere, die das Verteidigungsministerium verwendet, ist nicht bekannt. In Großbritannien, wo Statistiken zur Verfügung stehen, zeigen offizielle Zahlen, daß im Jahre 1972 von Forschungseinrichtungen des Verteidigungsministeriums 131.994 Tierversuche durchgeführt wurden. Da das amerikanische Verteidigungsministerium wesentlich größere Einrichtungen umfaßt als das britische, ist die entsprechende Zahl hier wahrscheinlich viel höher.“

Zum Thema Tierversuche siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/370-bemerkungen-ueber-horst-stern.html

 

Mangelnder Tierschutz

 

Der Gedanke, daß wir uns darauf verlassen können, die Tierschutzorganisationen würden dafür sorgen, daß Tiere nicht grausam behandelt werden, ist tröstlich. In den meisten Ländern gibt es heute wenigstens eine große und etablierte Tierschutzgesellschaft. Man darf vernünftigerweise wohl fragen: warum haben diese Vereinigungen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht auf die Tatsachen gelenkt, die ich in den Kapiteln zwei und drei dieses Buches dargelegt habe?

Es gibt verschiedene Gründe für das Schweigen des Tierschutzestablishments über die wichtigsten Bereiche der Grausamkeit. Einer ist historisch. Als sie gegründet wurden, waren die RSPCA und die ASPCA (die große englische und amerikanische Tierschutzorganisation) radikale Gruppen, der öffentlichen Meinung ihrer Zeit weit voraus, und wandten sich gegen alle Formen der Grausamkeit gegenüber Tieren, einschließlich der Grausamkeit gegenüber Farmtieren, die damals wie heute die Quelle vieler der schlimmsten Mißbräuche war. Allmählich aber, als diese Organisationen an Reichtum, Mitgliederzahlen und Respektabilität zunahmen, verloren sie ihren radikalen Antrieb und wurden zu einem Teil des „Establishments".

Sie stellten enge Kontakte zu Mitgliedern der Regierung, zu Geschäftsleuten und Wissenschaftlern her. Sie versuchten, diese Kontakte zu benutzen, um die Lebensbedingungen von Tieren zu verbessern, und es ergaben sich einige geringfügige Verbesserungen; doch gleichzeitig ließen die Kontakte mit jenen, deren Hauptinteressen im Gebrauch von Tieren zu Nahrungs- oder Forschungszwecken lagen, die radikale Kritik an der Ausbeutung von Tieren abstumpfen, die die Begründer inspiriert hatte. Wieder und wieder kompromittierten die Gesellschaften ihre fundamentalen Prinzipien zum Wohl trivialer Reformen. Besser jetzt ein gewisser Fortschritt als gar nichts, so sagten sie; doch oft erwiesen sich die Reformen als unwirksam zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Tiere und dienten eher dazu, die Öffentlichkeit mit dem Gedanken zu trösten, weiter brauche nichts getan zu werden …

Als ihr Reichtum zunahm, gewann eine andere Erwägung Bedeutung. Die Tierschutzgesellschaften waren als eingetragene wohltätige Einrichtungen gegründet worden. Dieser Status verschaffte ihnen beträchtliche Steuerersparnisse; sowohl in Großbritannien wie in den Vereinigten Staaten werden aber nur solche Organisationen als wohltätig registriert, die sich nicht politisch betätigen. Politische Aktion ist leider manchmal das einzige, was zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Tiere getan werden kann (besonders, wenn eine Organisation zu vorsichtig ist, um zu einem öffentlichen Fleischboykott aufzurufen), doch die meisten der großen Gruppen hielten sich fern von allem, was ihren Status als wohltätige Einrichtung hätte gefährden können. Dies hat dazu geführt, daß sie ungefährliche Aktivitäten betonen wie das Einsammeln von streunenden Hunden und die Verfolgung individueller Akte willkürlicher Grausamkeit statt umfassender Kampagnen gegen systematische Grausamkeit.

Schließlich haben an einem Punkt in den letzten hundert Jahren die größeren Tierschutzorganisationen das Interesse an Farmtieren verloren. Vielleicht lag es daran, daß die Förderer und Vertreter der Gesellschaften aus den Städten kamen und ihnen Hunde und Katzen vertrauter und näher waren als Schweine und Kälber.

Es ist bedauerlich, Organisationen kritisieren zu müssen, die versuchen, Tiere vor Grausamkeit zu schützen. Doch es ist eine Tatsache, daß Literatur und Werbung der großen Tierschutzorganisationen einen wesentlichen Beitrag zu der vorherrschenden Auffassung leisten, daß Hunde und Katzen und Wildtiere Schutz brauchen, andere Tiere aber nicht: Daher stellen sich die Leute unter „Tierschutz" etwas für freundliche Damen vor, die in Katzen vernarrt sind, und nicht eine Sache, die auf den grundlegenden Prinzipien von Gerechtigkeit und Moral begründet ist.

Tatsächlich versäumen es die meisten Tierschutzorganisationen in den Vereinigten Staaten nicht nur, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was in Farmen und Labors mit Tieren geschieht; sie wissen es selbst nicht …

Indem sie es versäumten, die Hauptarten von Grausamkeit gegen Tiere anzugreifen, haben diese Gruppen es der Öffentlichkeit gestattet, sich der Illusion hinzugeben, alles sei in Ordnung; und indem sie aktiv mit jenen zusammengearbeitet haben, die für die Grausamkeit verantwortlich sind, haben sie Praktiken einen Anstrich von Respektabilität verliehen, die eigentlich unverblümt verdammt werden müßten. Einige Beispiele: die American Humane Association ist hinsichtlich der Nahrungsmittelproduktion so unwissend, daß ein Sprecher dieser Organisation einem Reporter, der schockiert war über die Zustände, die er auf einer Eierfarm gesehen hatte, und um einen Kommentar dazu bat, zur Antwort gab, man müsse „die Nachfrage nach Nahrungsmitteln befriedigen, und Techniken der Massentierhaltung sind vielleicht die einzige Möglichkeit hierzu."

Die AHA arbeitet mit den Organisatoren von Rodeos zusammen und deklariert diese Veranstaltungen damit als „human"; obwohl die so deklarierten Rodeos vielleicht nicht in einigen der feineren Grausamkeiten schwelgen, die anderswo praktiziert werden, ist jedes Rodeo seiner Natur nach ein Mißbrauch von Tieren, wie jeder sehen kann, der eines beobachtet. Heute besteht die Hauptfunktion der SPCAs in den verschiedenen Staaten darin, streunende Hunde und Katzen einzusammeln. Die meisten davon werden getötet, und zwar so human wie möglich; in einigen Staaten aber fügt sich die SPCA gehorsam solchen Gesetzen, die von ihr verlangen, diese Tiere zu Forschungszwecken an Laboratorien zu übergeben. In Großbritannien unterhält die RSPCA am Flughafen ein Tierheim, in dem Tiere, die unter dem durch Transportbedingungen ausgelösten Schock leiden, wiederbelebt und gepflegt werden; oft aber werden diese Tiere nach Großbritannien transportiert, um dort für Versuchszwecke benutzt zu werden. Sollte eine Tierschutzorganisation den Experimentatoren dadurch helfen, daß sie ihre Opfer für sie am Leben erhält? …

Ein paar kleinere Organisationen haben versucht, das zu tun, was die größeren versäumt haben, doch sie haben es sehr schwer dabei. Unter den Faktoren, die es kleinen Gruppen erschweren, die Teilnahme der Öffentlichkeit für das Schicksal der Tiere anzuregen, ist der vielleicht am schwierigsten zu überwindende die Annahme, daß „die Menschen an erster Stelle kommen" und daß kein Problem in bezug auf Tiere als ernste oder moralische oder politische Frage mit Problemen in bezug auf Menschen zu vergleichen sei. Über diese Annahme gibt es einiges zu sagen. Zunächst einmal ist sie als solche schon ein Hinweis auf Speziesismus.“

 

Fähigkeit, Freude und Leid zu empfinden

 

Sobald Sie einmal aufgehört haben, Geflügel, Schweine-, Kalb- und Rindfleisch zu essen, ist der nächste Schritt die Weigerung, überhaupt ein geschlachtetes Säugetier oder einen getöteten Vogel zu essen. Dies ist nur ein sehr kleiner zusätzlicher Schritt, da nur außerordentlich wenige von den üblicherweise verzehrten Vögeln oder Säugetieren nicht aus Intensivzuchten stammen. Der Grund für diesen weiteren Schritt kann die Überzeugung sein, daß es falsch ist, diese Geschöpfe für den trivialen Zweck zu töten, unsere Gaumen zu erfreuen; er kann auch darin bestehen, daß diese Tiere, selbst wenn sie nicht aus Intensivzuchten stammen, auf die verschiedenen anderen Arten leiden, die im vorigen Kapitel beschrieben wurden.

Jetzt erheben sich schwierige Fragen. Wie weit sollen wir die Evolutionsleiter heruntersteigen? Sollen wir Fisch essen? Was ist mit Krabben? Austern? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir das zentrale Prinzip im Sinn behalten, auf dem unser Mitgefühl mit anderen Lebewesen basiert. Wie ich im ersten Kapitel sagte, ist die einzige legitime Grenze unserer Berücksichtigung der Interessen anderer Wesen der Punkt, an dem man nicht mehr sagen kann, daß das andere Wesen Interessen hat. Um im strengen, nicht metaphorischen Sinn Interessen haben zu können, muß ein Wesen fähig sein, zu leiden oder Freude zu empfinden. Wenn ein Wesen leidet, kann es keine moralische Rechtfertigung für die Mißachtung dieses Leidens oder für die Weigerung geben, es ebenso wichtig zu nehmen wie das Leiden irgendeines anderen Wesens. Doch das Gegenteil hiervon trifft auch zu. Wenn ein Wesen nicht fähig ist, zu leiden oder sich zu freuen, dann gibt es nichts, was man berücksichtigen müßte.

Das Problem der Grenzziehung ist also das Problem, darüber zu entscheiden, wann wir mit Recht annehmen dürfen, daß ein Wesen nicht fähig ist zu leiden. Bei der vorherigen Erörterung der Beweise, die wir dafür haben, daß nichtmenschliche Lebewesen fähig sind zu leiden, habe ich zwei Indikatoren für diese Fähigkeit vorgeschlagen: das Verhalten des Wesens, ob es sich windet, Schreie ausstößt oder versucht, der Quelle des Schmerzes zu entgehen etc.; und die Ähnlichkeit des Nervensystems des Wesens mit unserem eigenen. Wenn wir auf der Skala der Evolution hinuntergehen, stellen wir fest, daß aus beiden Gründen die Stärke der Beweise für eine Fähigkeit zur Schmerzempfindung abnimmt. Bei Vögeln und Säugetieren sind die Beweise überwältigend. Reptilien und Fische haben Nervensysteme, die sich in einigen wesentlichen Hinsichten von denen der Säugetiere unterscheiden, aber die Grundstruktur zentral organisierter Nervenwege ebenfalls besitzen. Fische und Reptilien weisen den größten Teil des Schmerzverhaltens auf, das auch die Säugetiere aufweisen. Bei den meisten Arten wird dies sogar stimmlich zum Ausdruck gebracht, wenn es auch für unsere Ohren nicht hörbar ist. Fische beispielsweise geben Vibrationsgeräusche von sich, und Forscher haben verschiedene „Rufe" unterschieden, zu denen auch Töne gehören, die „Alarm" und „Erbitterung" anzeigen. Fische weisen auch Zeichen von Leiden auf, wenn sie aus dem Wasser genommen werden und in einem Netz oder auf trockenem Boden ausharren müssen, bis sie sterben. Sicher liegt es nur daran, daß Fische nicht auf eine Weise kreischen oder winseln, die wir hören können, daß ansonsten anständige Leute der Meinung sein können, sie verbrächten einen angenehmen Nachmittag, wenn sie am Wasser sitzen und angeln, während zuvor gefangene Fische neben ihnen langsam sterben. Der Nachweis dafür, daß Fische und andere Reptilien leiden können, scheint stark, wenn nicht ebenso schlüssig wie bei den Säugetieren.

Menschen, denen das Zufügen von Schmerz mehr Sorgen bereitet als das Töten, könnten fragen: angenommen, daß Fische leiden können, wie sehr leiden sie dann tatsächlich bei dem üblichen Vorgang des kommerziellen Fischfangs? Fische sind im Gegensatz zu Vögeln und Säugetieren nicht so beschaffen, daß sie leiden, wenn sie für unseren Tisch gezüchtet werden, denn gewöhnlich werden sie überhaupt nicht gezüchtet; der Mensch greift in ihr Leben nur ein, um sie zu fangen und zu töten. (Gegenwärtig werden einige „Fischfarmen" errichtet, doch selbst hier sind die Lebensbedingungen der Fische ihrer natürlichen Umgebung ähnlicher, als dies bei anderen intensiv gezüchteten Tierarten der Fall ist). Andererseits zieht sich das Sterben eines kommerziell gefangenen Fisches viel mehr in die Länge als beispielsweise das eines Huhns, weil Fische einfach aufs Trockene gebracht und sich selbst überlassen werden, bis sie sterben. Da ihre Kiemen Sauerstoff aus Wasser, nicht aber aus Luft extrahieren können, können Fische außerhalb des Wassers nicht atmen. Der Fisch, der bei Ihrem Fischhändler zum Verkauf ausliegt, ist also langsam an Erstickung gestorben.

Da Fische nicht gezüchtet werden, gilt das ökologische Argument gegen den Verzehr von Tieren aus Intensivzuchten hier nicht. Wir verschwenden kein Getreide und keine Sojabohnen, indem wir die Fische im Ozean füttern. Dennoch gibt es ein anderes ökologisches Argument, das gewichtig gegen das ausgedehnte kommerzielle Leerfischen der Ozeane spricht, wie es gegenwärtig praktiziert wird, nämlich das, daß wir die Ozeane tatsächlich schnell leerfischen.

In den letzten Jahren sind die Fischfänge dramatisch zurückgegangen. Einige früher reichlich vorhandene Fischsorten wie die Heringe Nordeuropas, die kalifornischen Sardinen und die Schellfische Neuenglands, sind heute so selten, daß sie kommerziell praktisch nicht mehr existieren. Länder wie Island und Peru versuchen verzweifelt, ihre Fischfanggrenzen auszudehnen, damit sie ihre traditionellen Fanggebiete vor dem völligen Untergang retten können. Moderne Fischereiflotten durchstreifen die Fischgründe systematisch mit feinmaschigen Netzen, die alles fangen, was ihnen in den Weg kommt. Die Netze, die von der Thunfischindustrie verwendet werden, fangen jedes Jahr auch Tausende von Delphinen, indem sie sie unter Wasser festhalten und ertränken. Zusätzlich zur Zerstörung der Ökologie der Ozeane durch dieses exzessive Fischen sind die Folgen auch für die Menschen schlecht. Überall auf der Welt stellen kleine Küstendörfer, die vom Fischen leben, fest, daß ihre traditionelle Nahrungs- und Einkommensquelle austrocknet. Von den Gemeinden an der Westküste Irlands bis zu den burmesischen und malayischen Fischerdörfern ist es überall dasselbe. Die Fischindustrie der entwickelten Länder ist zu einer weiteren Form der Umverteilung von den Armen auf die Reichen geworden.

So sollten wir aufgrund unserer Sorge sowohl um die Fische als auch um die Menschen vermeiden, Fisch zu essen. Gewiß haben diejenigen, die weiter Fisch essen, sich aber weigern, andere Tiere zu essen, bereits einen großen Schritt weg vom Speziesismus getan; doch diejenigen, die keines von beiden essen, sind einen Schritt weiter.

Wenn wir über die Fische und anderen Formen des Meereslebens hinausgehen, die gewöhnlich von Menschen verzehrt werden, so wird die Existenz einer Fähigkeit, Schmerz zu empfinden, fragwürdiger. Schalentiere - Krabben, Shrimps, Garnelen und Hummer – haben Nervensysteme, die mehr denen von Insekten als denen von Wirbeltieren ähneln. Sie sind komplex genug, doch so anders organisiert als unsere eigenen Nervensysteme, daß es schwierig ist, Verläßlicheres darüber zu sagen, ob sie Schmerz empfinden oder nicht. Wir können die Hypothese nicht ausschließen, daß die Reaktionen von Krustentieren auf das, was für uns eine Schmerzquelle wäre, eine automatische Antwort sind, die nicht auf der Ebene des Bewußtseins operiert; doch wir können auch nicht annehmen daß diese Hypothese stimmt. Krustentiere handeln, als fühlten sie Schmerz, wenn die Umstände entsprechend sind. Es mag Raum für Zweifel geben, doch es scheint, daß die Krustentiere es verdienen, von diesem Zweifel zu profitieren.

Einige andere eßbare Meerestiere jedoch gehören zu einer sehr anderen Ordnung. Austern und andere eßbare Muscheln sind Mollusken, und Mollusken sind im allgemeinen sehr primitive Organismen. (Es gibt eine Ausnahme: der Tintenfisch ist eine Molluske, doch ungleich entwickelter und vermutlich empfindender als seine entfernten Molluskenverwandten.) Die meisten Mollusken sind so rudimentäre Wesen, daß man sich schwer vorstellen kann, sie empfänden Schmerz oder seien anderer Zustände fähig. Diejenigen, die ganz sichergehen wollen, daß sie kein Leid verursachen, werden auch keine Mollusken essen; doch irgendwo zwischen einer Krabbe und einer Auster die Grenze zu ziehen, erscheint einigermaßen angemessen und besser als die meisten anderen Grenzen.“

 

Menschen zuerst

 

Wir können die Sache noch anders angehen. Nehmen wir an, wir haben einen Morgen fruchtbaren Landes. Wir können diesen Morgen dazu benutzen, eine proteinreiche pflanzliche Nahrung anzubauen wie Erbsen oder Bohnen. Wenn wir das tun, erhalten wir aus unserem Morgen zwischen 300 und 500 Pfund Protein. Wir können diesen Morgen aber auch dazu verwenden, etwas anzubauen, mit dem wir Tiere füttern, und dann diese Tiere schlachten und essen. Dann haben wir ein Endresultat von zwischen vierzig und fünfundfünfzig Pfund Protein aus unserem Morgen Land. Es ist interessant, daß, obwohl die meisten Tiere pflanzliches Eiweiß effizienter als Rinder in tierisches Eiweiß umwandeln - ein Schwein beispielsweise braucht „nur" acht Pfund Protein, um für die Menschen ein Pfund zu erzeugen - dieser Vorteil nahezu gleich null ist, wenn wir überlegen, wieviel Protein wir pro Morgen erzeugen können, weil Rinder Proteinquellen nutzen können, die für Schweine unverdaulich sind. So kommen die meisten Schätzungen zu dem Schluß, daß pflanzliche Nahrung etwa zehnmal mehr Protein pro Morgen erbringt als Fleisch, obwohl die Schätzungen unterschiedlich sind und das Verhältnis manchmal sogar als zwanzig zu eins bezeichnet wird.

Wenn wir die Tiere, statt sie zu töten und zu essen, dazu verwenden, uns mit Milch oder Eiern zu versorgen, so erhöhen wir unseren Ertrag beträchtlich. Dennoch muß das Tier in jedem Falle Eiweiß für seine eigenen Zwecke verwenden, und selbst die wirksamste Form der Milch- und Eiererzeugung erbringt nicht mehr als ein Viertel des Proteins pro Morgen, das durch Anbau pflanzlicher Nahrung erzeugt werden kann.

Die Folgen, die all das für die Welternährungslage in sich trägt, sind verblüffend. Ende 1974, als sich in Indien und Bangladesch eine Hungersnot abzuzeichnen begann, schätzte Lester Brown vom Overseas Development Council, daß, wenn die Amerikaner ihren Fleischkonsum für ein Jahr um nur zehn Prozent senken würden, dies zwölf Millionen Tonnen Getreide für den menschlichen Verzehr freisetzen würde - oder genug, um 60 Millionen Menschen zu ernähren, was mehr als ausreichend wäre, um diejenigen zu retten, die in Indien und Bangladesch gefährdet waren. Wenn die Amerikaner überhaupt aufhören würden, durch Getreidefütterung erzeugtes Rindfleisch zu verzehren, so würde das dadurch eingesparte Getreide genügen, um alle 600 Millionen Menschen in Indien zu ernähren. Einer anderen Schätzung zufolge wurden in den USA im Jahre 1968 zwanzig Millionen Tonnen Eiweiß, hauptsächlich aus Quellen, die auch für den menschlichen Verzehr geeignet gewesen wären, an Vieh (ausgenommen Milchkühe) verfüttert. Das auf diese Weise gefütterte Vieh erzeugte nur zwei Millionen Tonnen Protein. Die bei diesem Vorgang verschwendeten achtzehn Millionen Tonnen Eiweiß entsprachen neunzig Prozent des jährlichen weltweiten Proteindefizits. Wenn wir zu dieser Ziffer ähnliche Verschwendungen in anderen wohlhabenden Nationen hinzurechnen, kommen wir auf eine Zahl, die höher ist als der gesamte Proteinmangel auf der Welt. Wenn man Nahrung jeder Art berücksichtigt und nicht nur Eiweiß, dann, so hat Don Paarlberg, früherer US Assistant Secretary of Agriculture, gesagt, daß die bloße Verringerung des amerikanischen Viehbestandes um die Hälfte genügend Nahrung zur Verfügung stellen würde, um das Kaloriendefizit der nicht sozialistischen Entwicklungsländer viermal zu decken. Wenn wir diese beiden Tatsachen zusammennehmen, stellen wir fest, daß die in den wohlhabenden Ländern durch Tierproduktion verschwendete Nahrung, wenn sie richtig verteilt würde, ausreichend wäre, um in der ganzen Welt sowohl den Hunger als auch die Fehlernährung zu beenden.

Die einfache Antwort auf unsere Frage ist also, daß die Aufzucht von Tieren zu Nahrungszwecken mit den von den industrialisierten Ländern verwendeten Methoden nicht zur Lösung des Hungerproblems beiträgt. Im Gegenteil, sie verschlimmert es beträchtlich. Die Fütterung von Vieh verschwendet eine ungeheure Menge Nahrung, die dazu verwendet werden könnte, den Hunger auf der ganzen Welt zu bekämpfen. Wenn, wie 1973 und 1974, Getreide und Sojabohnen relativ knapp und teuer sind, daß Indien, Bangladesch, die südlich der Sahara gelegenen Nationen Afrikas und andere vom Hunger bedrohte Gebiete sie nicht mehr kaufen können, dann liegt die Knappheit dieser wertvollen Nahrungsmittel nur daran, daß wir sie an Vieh verfüttern.

Dies bedeutet nicht, daß alles, was wir tun müssen, um den Hunger auf der Welt zu beenden, das Einstellen des Fleischverzehrs ist. Wir müßten uns noch immer darum kümmern, daß das so eingesparte Getreide tatsächlich zu den Menschen gelangt, die es brauchen. Transportkosten, unangemessene Transportsysteme und ungerechte soziale Strukturen in einigen der hilfsbedürftigen Nationen würden ernste Probleme aufwerfen. Doch diese Probleme wären überwindbar. Zwar erreicht ein beträchtlicher Teil von Regierungsbeihilfen diejenigen, für die diese bestimmt sind, nicht, doch einige der kleineren, nicht von der Regierung geleiteten Wohlfahrtsorganisationen, die dort, wo die Nahrung benötigt wird, ihre Helfer haben, weisen in dieser Hinsicht eine wesentlich bessere Bilanz auf.

Gegenwärtig haben wir, wenn wir unser Vieh erst einmal gefüttert haben, nicht mehr genügend zusätzliches Getreide, um die Hungrigen zu ernähren, selbst wenn wir über ein angemessenes System zur Verteilung dieses Getreides verfügen würden. Versuche, die gesamten Ernteerträge der Welt durch Mittel wie die „Grüne Revolution" zu steigern, scheinen durch die hohen Kosten von Öl und Düngemitteln blockiert zu werden. Daher ist eine wirksamere Nutzung des Getreides, das wir jetzt erzeugen, ein unerläßlicher erster Schritt zu einer Lösung des globalen Nahrungsproblems.

Ein anderer Punkt, der beachtet werden sollte, ist der, daß in vielen Fällen die Proteine, die wir verschwenden, tatsächlich aus den Ländern, die sie am meisten brauchen, in die wohlhabenden Nationen importiert worden sind …

Die Wahrheit ist nämlich, daß hier keine Unvereinbarkeit vorliegt. Gewiß, jeder verfügt nur über ein beschränktes Maß an Zeit und Energie, und die Zeit, die der aktiven Mitarbeit für eine Sache gewidmet wird, verringert die Zeit, die für eine andere Sache zur Verfügung steht; doch es gibt nichts, was diejenigen, die ihre Zeit und Energie menschlichen Problemen widmen, daran hindern könnte, sich dem Boykott der Produkte der Grausamkeit des „Agribusiness" anzuschließen. Es braucht nicht mehr Zeit, Vegetarier zu sein, als das Fleisch von Tieren zu essen. Tatsächlich sollten, wie wir in Kapitel 4 gesehen haben, diejenigen, die behaupten, ihnen läge am Wohl der Menschen, schon allein aus diesem Grunde Vegetarier werden. Sie würden dadurch die Getreidemenge vergrößern, die für die Ernährung von Menschen anderswo zur Verfügung steht, und da eine vegetarische Ernährung billiger ist als eine, die auf Fleischgerichten aufgebaut ist, hätten sie mehr Geld für die Verminderung des Hungers, die Geburtenkontrolle oder jede andere soziale oder politische Sache, die sie für besonders dringend halten. Ich würde nicht die Ehrlichkeit von Vegetariern in Frage stellen, die sich für die Befreiung der Tiere kaum interessieren, weil sie andere Themen für vorrangig halten; wenn aber Menschen, die nicht Vegetarier sind, sagen, daß „die Menschen zuerst kommen", dann muß ich mich fragen, was genau sie eigentlich für die Menschen tun, das sie zwingt, weiterhin die verschwenderische, gewissenlose Ausbeutung von Farmtieren zu unterstützen.“

 

Ausreden

 

1. Besser Sklave als frei

 

Es gibt noch eine scheinbare Rechtfertigung für unseren Umgang mit Tieren, die auf der Tatsache beruht, daß einige Tiere im Naturzustand andere Tiere töten. Die Menschen sagen oft, die modernen Farmbedingungen seien zwar schlecht, aber auch nicht schlimmer als die Bedingungen in freier Wildbahn, wo die Tiere der Kälte, dem Hunger und beutesuchenden Tieren ausgesetzt sind; daher sollten wir uns nicht gegen die Bedingungen auf modernen Farmen wenden.

Interessanterweise haben die Verteidiger der Versklavung der Farbigen häufig einen ähnlichen Standpunkt vertreten. Einer von ihnen schrieb:

Insgesamt liegt es zweifellos auf der Hand, daß die Entfernung der Afrikaner aus dem Zustand von Brutalität, Armseligkeit und Elend, in den sie daheim so tief verstrickt sind, und ihre Verbringung in dieses Land des Lichts, der Humanität und christlichen Wissens für diese ein großer Segen ist, wie sehr auch einige Individuen im Hinblick auf die in diesem Geschäft praktizierte unnötige Grausamkeit gefehlt haben mögen; ob der allgemeine Zustand der Unterordnung hier, der eine notwendige Konsequenz ihrer Entfernung ist, dem Naturgesetz entspricht, kann in keiner Weise länger in Frage gestellt werden."

Nun ist es schwierig, zwei so verschiedene Gruppen von Umständen miteinander zu vergleichen wie die, unter denen wilde Tiere leben, und die auf einer fabrikmäßigen Farm (oder die „wilder" Neger und die solcher in einer Plantage); doch wenn ein Vergleich gezogen werden muß, so ist das Leben in Freiheit sicherlich vorzuziehen.

Tiere, die in Farmen fabrikmäßig gehalten werden, können nicht frei umherlaufen, sich bewegen und strecken oder Teil einer Familie oder Herde sein. Sicher, viele wilde Tiere sterben aufgrund widriger Umstände oder werden von beutejagenden Tieren getötet; doch auch die in Farmen gehaltenen Tiere erleben nicht mehr als einen kleinen Bruchteil ihrer normalen Lebensspanne. Die beständige Versorgung mit Futter auf einer Farm ist auch keine ungetrübte Wohltat, da sie das Tier seiner grundlegendsten natürlichen Aktivität beraubt, nämlich der Nahrungssuche. Das Ergebnis ist ein Leben äußerster Langeweile, bei dem das Tier nichts weiter zu tun hat als in einem Stall zu liegen und zu fressen.

Auf jeden Fall ist der Vergleich zwischen den Bedingungen auf einer fabrikmäßigen Farm und den natürlichen Bedingungen in Wirklichkeit unerheblich für die Vertretbarkeit von fabrikmäßigen Farmen, da diese nicht die Alternative sind, vor der wir stehen. Die Abschaffung der fabrikmäßigen Farmen würde nicht bedeuten, daß die Tiere, die darin leben, nun in die freie Wildbahn zurückkehren. Die Tiere, die heute dort leben, wurden von Menschen gezüchtet, um in diesen Farmen aufgezogen und zu Nahrungszwecken verkauft zu werden. Wenn der Boykott der Produktion von fabrikmäßigen Farmen, zu dem dieses Buch rät, wirksam ist, so wird er die Menge von Produkten dieser Farmen, die verkauft wird, verringern. Das bedeutet nicht, daß wir über Nacht von der heutigen Lage in eine Lage gelangen, in der niemand mehr diese Produkte kauft. (Ich bin zwar optimistisch im Hinblick auf die Befreiung der Tiere, aber kein Phantast). Die Verringerung wird allmählich eintreten. Das Aufziehen von Tieren wird weniger gewinnbringend sein. Die Farmer werden sich anderen landwirtschaftlichen Zweigen zuwenden, und die riesigen Konzerne werden ihr Kapital anderswo investieren. Das Ergebnis wird sein, daß weniger Tiere gezüchtet werden. Die Zahl der Tiere auf den fabrikmäßigen Farmen wird abnehmen, weil die getöteten nicht ersetzt werden und nicht, weil Tiere wieder „zurück" in die Wildnis geschickt werden. Am Ende wird man vielleicht (und nun lasse ich meinem Optimismus freien Lauf) die einzigen Rinder- und Schweineherden in großen Reservaten finden, die unseren Naturschutzgebieten ähneln. Die Wahl ist daher nicht zwischen einem Leben in einer Fabrikfarm und einem Leben in der Wildnis zu treffen, sondern es geht darum, ob Tiere, die dazu bestimmt sind, in solchen Farmen zu leben und dann zu Nahrungszwecken getötet zu werden, überhaupt zur Welt kommen sollten.“

 

2. Zum Leben verurteilt

 

An diesem Punkt könnte ein weiterer, etwas merkwürdiger Einwand erhoben werden. In Anbetracht der Tatsache, daß es, wenn wir alle Vegetarier wären, weit weniger Schweine, Rinder, Hühner und Schafe geben würde, haben ein paar Fleischesser behauptet, sie täten in Wirklichkeit den Tieren, die sie essen, einen Gefallen, denn sonst würden diese Tiere nie ins Leben getreten sein!

Diese Verteidigung des Fleischverzehrs - die man auch zugunsten der Tierversuche anführen könnte - hat etwas Lächerliches an sich, doch einige von den Leuten, die sie vorbringen, erscheinen ganz ernsthaft. Man könnte sie durch den bloßen Hinweis widerlegen, daß das Leben in einer modernen fabrikmäßigen Farm für ein Tier derartig freudlos ist, daß diese Art der Existenz in keiner Weise ein Wohl für das Tier ist. Doch selbst wenn wir einmal annehmen, daß die Bedingungen verbessert würden, so daß im Leben dieser Tiere die Freude den Schmerz ein wenig überwiegen würde, wäre der Einwand noch immer nichtig. Sein Fehler liegt in der Implikation, wir täten einem Wesen einen Gefallen, indem wir ihm zur Existenz verhelfen; und erzielten dadurch ein Recht, dieses Wesen nicht ebenso zu berücksichtigen wie uns selbst. Einiges Nachdenken deckt den Irrtum in dieser Argumentation auf. Wem gewähren wir die Gunst der Existenz? Dem nicht-existierenden Tier, das ungeboren und nicht empfangen ist? Das ist absurd. Es gibt keine Wesen wie nicht existierende Geschöpfe, die irgendwo darauf warten, daß jemand ihnen zur Existenz verhilft. Wenn ein Wesen einmal existiert, so haben wir die Verpflichtung, unnötiges Leiden dieses Wesens zu vermeiden, doch Wesen gegenüber, die nicht existieren, haben wir keine Verpflichtungen. Schon der Begriff „nicht existierendes Wesen" ist ein Widerspruch in sich. Daher können wir einem nicht existierenden Lebewesen weder nützen noch schaden. (Die einzige erforderliche Einschränkung ist hier, daß wir Lebewesen nützen oder schaden können, die in der Zukunft existieren werden; daher ist es falsch, unsere irdische Umwelt zu schädigen, selbst wenn die Auswirkungen des Schadens erst in fünfzig Jahren zutage treten werden). Vielleicht sagt nun jemand: dem Schwein wurde, wenn es geboren wird, die Gunst der Existenz gewährt. Doch sobald das Schwein einmal geboren ist, ist es zu spät, diese besondere Gunst zu gewähren, und daher bringt uns das nicht weiter. Außerdem: wenn es eine Gunst ist, ein Lebewesen existent zu machen, dann ist es vermutlich eine Schädigung, es nicht existent zu machen. Es gibt aber kein „es“, dem durch diese Entscheidung ein Schaden zugefügt würde. Auf diesem Gebiet kann man leicht Unsinn reden, ohne es zu merken.

Von diesem Unsinn einmal abgesehen machen sich diejenigen, die diese naive Verteidigung vorbringen für ihren Wunsch, Schweine- oder Rindfleisch zu essen, selten klar, was für Implikationen damit verbunden sind. Wenn es gut wäre, Wesen in die Existenz zu bringen, dann sollten wir uns vermutlich auch bemühen, so viele Menschen wie möglich in die Existenz zu bringen; und wenn wir nun noch die Ansicht hinzufügen, daß menschliche Leben wichtiger sind als die von Tieren - eine Ansicht, die der Fleischesser sicherlich akzeptieren wird -, dann kann das Argument zum Unbehagen des ursprünglich Vortragenden auf den Kopf gestellt werden. Da mehr Menschen ernährt werden können, wenn wir unser Getreide nicht an Vieh verfüttern, läuft das Argument letzten Endes darauf hinaus, daß wir Vegetarier werden sollten!

Ein letzter Punkt noch. Soweit es um dieses besondere Argument geht, würde, wenn die Tatsache, daß wir ein Lebewesen in die Existenz gebracht haben, uns berechtigte, es für unsere eigenen Zwecke zu benutzen, dieses Prinzip auch auf die Menschen anzuwenden sein. Jonathan Swift machte einmal den ironisch gemeinten Vorschlag, wir sollten die Babys armer irischer Frauen für den Verzehr mästen, denn, so versicherte er, ein junges, gesundes Kind, das gut ernährt sei, sei im Alter von einem Jahr eine überaus köstliche, nahrhafte und gesunde Speise, ob geschmort, gebraten, gebacken oder gekocht. Swifts Gedanke war nicht, daß die Babys sonst nicht geboren worden wären, sondern daß sie, da ihre Mütter zu arm waren, um für sie zu sorgen, das elende Leben von Straßenbettlern würden führen müssen und daß ein einziges Jahr mit reichlicher Nahrung und Komfort diesem Leben vorzuziehen wäre; doch wir können den Vorschlag dahingehend abändern, dass Frauen dafür bezahlt werden, Extrakinder für den Tisch des Feinschmeckers auszutragen. Wenn diese Kinder dann ein angenehmes Jahr verlebten, ehe sie auf humane Weise geschlachtet würden, würde wohl der Feinschmecker, der den Wunsch hätte, gebratene menschliche Kinder zum Abendessen zu verzehren, eine ebenso gute Verteidigung seines Handelns haben wie diejenigen, die behaupten, sie hätten das Recht, Schweinefleisch zu essen, weil das Schwein sonst nicht existiert haben würde. George Bernard Shaw beschrieb einmal die Ernährungsweise des Fleischessers als Kannibalismus, bei dem das „heroische Gericht" ausgelassen würde, und es sollte offensichtlich sein, daß an dieser Bemerkung etwas Wahres ist. Wenn wir aus irgendeinem Grunde Swifts Vorschlag für moralisch nicht akzeptabel halten, dann sollten wir auch die parallele Verteidigung des Tötens nichtmenschlicher Lebewesen zurückweisen, die zu Nahrungszwecken gezüchtet wurden.“

Jonathan Swifts Satire „Bescheidener Vorschlag, wie man verhüten kann, daß die Kinder armer Leute in Irland ihren Eltern oder dem Lande zur Last fallen, und wie sie der Allgemeinheit nutzbar gemacht werden können“ ist in einem früheren Beitrag des Wurms nachzulesen: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/307-ad-usum-delphini.html

 

3. Inkonsequenz

 

Speziesismus ist eine so durchdringende und weitverbreitete Einstellung, daß diejenigen, die eine oder zwei seiner Manifestationen angreifen - wie das Schlachten wilder Tiere durch Jäger, grausame Tierversuche oder den Stierkampf -‚ oft selbst an anderen speziesistischen Praktiken beteiligt sind. Dies erlaubt den Angegriffenen, ihre Gegner der Inkonsequenz zu beschuldigen. „Ihr sagt, daß wir grausam sind, weil wir Rotwild schießen", sagen die Jäger, „aber ihr eßt auch Fleisch. Worin liegt der Unterschied, außer darin, daß ihr jemand anderen dafür bezahlt, daß er das Töten für euch erledigt?" „Ihr seid gegen das Töten von Tieren, um sich in deren Haut zu kleiden", sagen die Pelzhändler, „aber ihr tragt Wildlederjacken und Lederschuhe." Der Experimentator fragt, warum die Leute, wenn sie das Töten von Tieren zu ihrer Gaumenfreude akzeptieren, etwas gegen das Töten von Tieren für den Fortschritt des Wissens einwenden sollten; und wenn die Einwände sich nur gegen das Leiden richten, kann er darauf hinweisen, daß auch die Tiere, die zu Nahrungszwecken getötet werden, nicht ohne Leiden leben. Selbst der Stierkampfenthusiast kann argumentieren, daß der Tod des Stiers in der Arena Tausenden von Zuschauern Freude bereitet, während der Tod des Ochsen in einem Schlachthaus nur den wenigen Leuten Freude macht, die Stücke davon essen; und wenn auch der Stier am Ende mehr akute Schmerzen leiden mag als der Oche, wird er doch während des größten Teils seines Lebens besser behandelt als dieser.

Der Vorwurf der Inkonsequenz bietet wirklich keine logische Unterstützung für die Verteidiger grausamer Praktiken …

Das erste Kapitel dieses Buches stellt ein klares ethisches Prinzip auf, durch das wir bestimmen können, welche unserer Praktiken in bezug auf nichtmenschliche Lebewesen zu rechtfertigen sind und welche nicht. Damit können wir denjenigen, die die Interessen der Tiere ignorieren, die Gelegenheit nehmen, uns Inkonsequenz vorzuwerfen.

Aus Gründen, die in diesem Buch oft genug aufgezählt wurden, verlangt die Befolgung des Prinzips von der gleichen Berücksichtigung der Interessen von uns, daß wir Vegetarier sind.

Dies ist der wichtigste Schritt und der, dem ich die meiste Aufmerksamkeit gewidmet habe; doch um konsequent zu sein, sollten wir auch aufhören, andere tierische Produkte zu benutzen, für die Tiere getötet wurden oder gelitten haben. Wir sollten keine Pelze tragen. Wir sollten auch keine Lederwaren kaufen, da der Verkauf von Häuten für Leder eine bedeutsame Rolle in der Rentabilität der Fleischindustrie spielt …

Andere Probleme, die einst den fortschrittlichsten Gegnern der Ausbeutung der Tiere zu schaffen machten, sind heute ebenfalls verschwunden. Kerzen, die früher aus Talg hergestellt wurden, sind nicht mehr unentbehrlich, und wer sie trotzdem benutzen möchte, kann solche auch aus nicht tierischen Grundstoffen bekommen. Seifen aus Pflanzenölen statt aus tierischen Fetten kann man in Reformhäusern kaufen. Wir könnten ohne Wolle auskommen, wenn wir das wollten, doch da die Schafe nicht getötet werden, um geschoren zu werden, und außerdem frei umherlaufen dürfen, ist das vielleicht kein so wichtiger Punkt. Kosmetika und Parfums, die häufig aus Wildtieren wie dem Moschustier und der äthiopischen Zibetkatze hergestellt werden, sind ohnehin keine wesentlichen Güter, doch wer trotzdem Wert darauf legt, kann Kosmetika einer Organisation beziehen, die sich Beauty Without Cruelty (Schönheit ohne Grausamkeit) nennt und keine tierischen Produkte verwendet.

Obwohl ich diese Alternativen zu tierischen Produkten erwähne, um zu zeigen, daß es nicht schwierig ist, die Teilnahme an den größten Bereichen der Ausbeutung von Tieren zu verweigern, glaube ich nicht, daß Konsequenz dasselbe ist wie starres Bestehen auf Maßstäben absoluter Reinheit in allem, was man verzehrt oder trägt, oder daß Konsequenz dieses mit sich bringt. Bei der Veränderung der Einkaufsgewohnheiten geht es nicht darum, sich von allem Bösen freizuhalten, sondern darum, die ökonomische Unterstützung für die Ausbeutung von Tieren zu verringern und andere davon zu überzeugen, dasselbe zu tun. Es ist also keine Sünde, wenn Sie weiterhin die Lederschuhe tragen, die Sie gekauft haben, ehe Sie über die Befreiung der Tiere nachzudenken begannen. Wenn sie abgetragen sind, so kaufen Sie andere, die nicht aus Leder sind; aber Sie verringern die Rentabilität des Tötens von Tieren nicht, indem Sie Ihre gegenwärtigen Schuhe wegwerfen. Auch bei der Ernährung ist es wichtiger, sich an die großen Ziele zu erinnern, als sich über Einzelheiten Sorgen zu machen wie darüber, ob der Kuchen, der Ihnen bei einer Party angeboten wird, mit einem Ei aus einer fabrikmäßigen Hühnerfarm zubereitet wurde.

Wir sind noch weit von dem Punkt entfernt, an dem es möglich ist, Druck auf Restaurants und Nahrungsmittelhersteller auszuüben, damit sie auf tierische Erzeugnisse überhaupt verzichten. Dieser Punkt wird erreicht sein, wenn ein signifikanter Anteil der Bevölkerung Fleisch und andere Produkte fabrikmäßiger Tierhaltung boykottiert. Bis dahin verlangt die Konsequenz nur, daß wir nicht signifikant zur Nachfrage nach tierischen Erzeugnissen beitragen. So können wir demonstrieren, daß wir tierische Produkte nicht brauchen. Wir können andere eher davon überzeugen, unsere Einstellung zu teilen, wenn wir unsere Ideale mit Maß und gesundem Menschenverstand vertreten, als wenn wir nach der Art von Reinheit streben, die eher zu einem religiösen Nahrungsgebot paßt als zu einer ethischen und politischen Bewegung.

Gewöhnlich ist es nicht allzu schwierig, in den Einstellungen gegenüber Tieren konsequent zu sein. Wir brauchen nichts Wesentliches zu opfern, weil in unserem normalen Leben kein schwerwiegender lnteressengegensatz zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen besteht. Es muß jedoch eingestanden werden, daß weniger gewöhnliche Fälle denkbar sind, in denen ein echter Interessengegensatz besteht. Wir müssen beispielsweise Gemüse und Getreide anbauen, um uns zu ernähren; diese Anpflanzungen können aber von Kaninchen, Mäusen und anderen „Schädlingen" bedroht sein. Hier haben wir einen klaren Interessenkonflikt zwischen Menschen und Tieren. Was wäre hier zu tun, wenn wir in Übereinstimmung mit dem Prinzip der gleichen Berücksichtigung der Interessen handeln wollten?

Zunächst einmal wollen wir uns ansehen, wie diese Situation gegenwärtig gehandhabt wird. Der Landwirt wird versuchen, die „Schädlinge" mit der billigstmöglichen Methode zu töten. Das wird vermutlich Gift sein. Die Tiere fressen vergiftete Köder und sterben eines langsamen und qualvollen Todes.

Das Gift verbleibt in der Umwelt und sickert in den Boden oder das Grundwasser. Die Interessen des „Schädlings" werden in keiner Weise berücksichtigt - schon allein das Wort „Schädling" scheint jedes Mitgefühl mit dem Tier selbst auszuschließen. Doch die Klassifizierung als „Schädling" stammt von uns, und ein Kaninchen, das ein Schädling ist, ist ebenso leidensfähig und verdient ebenso Rücksichtnahme wie das niedlichste weiße Kaninchen in einer Tierhandlung. Das Problem ist, wie wir unsere eigenen wesentlichen Nahrungsmittelquellen verteidigen können und gleichzeitig die Interessen jener Tiere so weit wie möglich berücksichtigen. Es sollte nicht jenseits unserer technologischen Möglichkeiten liegen, eine Lösung für dieses Problem zu finden, die, wenn sie auch nicht jedermann völlig zufriedenstellt, zumindest wesentlich weniger Leid verursacht, als die gegenwärtige „Lösung". Die Verwendung von Ködern, die Sterilität verursachen und nicht einen langsamen Tod, wäre schon eine eindeutige Verbesserung.

Wenn wir unsere Nahrungsmittelvorräte gegen Kaninchen verteidigen müssen und unsere Häuser und unsere Gesundheit gegen Mäuse und Ratten, so ist es für uns ebenso natürlich, uns heftig gegen die Tiere zu verteidigen, die in unser Eigentum eindringen, wie es für die Tiere selbst ist, Futter zu suchen, wo sie es finden können. Beim gegenwärtigen Zustand unserer Haltung gegenüber Tieren wäre es absurd, wenn man erwarten wollte, daß die Leute in dieser Hinsicht ihr Verhalten ändern. Vielleicht aber werden, wenn die größeren Mißbräuche einmal abgeschafft sind und die Einstellungen zu Tieren sich verändert haben, die Menschen einsehen, daß selbst Tiere, die in einem gewissen Sinne unser Wohlergehen „bedrohen", nicht die grausamen Todesarten verdienen, die wir ihnen heute zufügen; und so könnten wir schließlich humanere Methoden zur Begrenzung der Anzahl jener Arten entwickeln, deren Interessen wirklich mit den unseren nicht vereinbar sind.“

 

4. Pflanzen essen ist auch Mord

 

Ich habe gesagt, daß der Unterschied zwischen Tieren wie Rotwild - oder auch Schweinen und Hühnern -‚ an die wir nicht mit Begriffen wie „Ernte" denken sollten, und beispielsweise Getreide, das wir ernten dürfen, darin besteht, daß die Tiere fähig sind, Lust und Schmerz zu empfinden, die Pflanzen aber nicht. An diesem Punkt kann ein weiterer häufiger Einwand erhoben werden: „Woher wissen wir, daß Pflanzen nicht leiden?"

Dieser Einwand mag einer echten Besorgnis um Pflanzen entstammen; häufiger jedoch zieht derjenige, der ihn äußert, nicht ernsthaft in Betracht, die Rücksichtnahme auf Pflanzen auszudehnen, wenn sich herausstellen sollte, daß sie leiden; stattdessen hofft er zu zeigen, daß wir, wenn wir nach dem Prinzip handeln wollen, das ich empfohlen habe, ebenso mit dem Verzehr von Pflanzen aufhören müßten wie mit dem von Tieren, und daher verhungern würden. Er zieht daraus den Schluß, daß, wenn es unmöglich ist, ohne Verstoß gegen das Prinzip der gleichen Berücksichtigung der Interessen zu leben, wir uns darum überhaupt nicht kümmern müssen, sondern weitermachen können, wie wir es immer getan haben, und Pflanzen und Tiere essen.

Der Einwand ist sowohl faktisch als auch logisch gesehen schwach. Es gibt keinen zuverlässigen Nachweis dafür, daß Pflanzen fähig sind, Lust oder Schmerz zu fühlen. Obwohl ein kürzlich erschienenes populäres Buch, The Secret Life of Plants, behauptet hat, daß Pflanzen alle möglichen bemerkenswerten Fähigkeiten haben, einschließlich der Fähigkeit, im Geist der Menschen zu lesen, wurden die verblüffendsten Experimente, die in dem Buch angeführt werden, nicht in seriösen Forschungsinstitutionen durchgeführt, und neuere Versuche von Forschern in größeren Universitäten, die Experimente zu wiederholen, haben keinerlei positive Resultate erbracht.

Diese Fehlschläge werden von denjenigen, die die ursprünglichen verblüffenden Behauptungen aufstellten, damit erklärt, daß nur Menschen, die auf die physischen Eigenschaften der Pflanzen „eingestimmt" sind, diese zu den Leistungen veranlassen können, aber, wie Arthur Galston, Biologe an der Yale University, über die Experimente von Cleve Backster und seinem Lügendetektor gesagt hat:

Was möchten Sie glauben - Resultate, die erzielt werden, wenn sorgfältig beschriebene Experimente von kompetenten Forschern an irgendeinem Ort der Erde wiederholt werden, oder Resultate, die nur von einigen wenigen Auserwählten erzielt werden können, die in 'besonderem Kontakt' mit ihrem Testmaterial stehen?"

Im ersten Kapitel dieses Buches habe ich drei deutliche Gründe für die Überzeugung genannt, daß nichtmenschliche Lebewesen Schmerz fühlen können: Verhalten, die Natur ihrer Nervensysteme und die evolutionäre Nützlichkeit von Schmerz. Keiner dieser Gründe gibt uns Anlaß zu glauben, daß Pflanzen Schmerz fühlen. Beim Fehlen von wissenschaftlich glaubhaften experimentellen Funden gibt es kein beobachtbares Verhalten, das Schmerz nahelegt; nichts, das einem zentralen Nervensystem ähnelt, ist bei Pflanzen gefunden worden; und man kann sich schwer vorstellen, warum Arten, die nicht fähig sind, sich von einer Schmerzquelle zu entfernen oder die Wahrnehmung von Schmerz zu verwenden, um das Sterben auf irgendeine Art zu vermeiden, die Fähigkeit entwickelt haben sollten, Schmerz zu empfinden. Daher erscheint der Glaube, Pflanzen fühlten Schmerz, ganz ungerechtfertigt.

Dies zur faktischen Grundlage des Einwandes. Nun wollen wir seine Logik betrachten. Nehmen wir an, so unwahrscheinlich dies auch aussieht, daß die Forscher Nachweise dafür erbringen könnten, daß Pflanzen möglicherweise Schmerz empfinden. Daraus würde noch nicht folgen, daß wir ebensogut weiter essen können, was wir immer gegessen haben. Wenn wir Schmerz zufügen müssen oder aber verhungern, dann müßten wir das geringere Übel wählen. Vermutlich würde es noch immer zutreffen, daß Pflanzen weniger leiden als Tiere, und daher wäre es noch immer besser, Pflanzen zu essen als Tiere. Tatsächlich würde sich diese Schlußfolgerung selbst dann ergeben, wenn Pflanzen ebenso empfindungsfähig wären wie Tiere, da die Ineffizienz der Fleischerzeugung bedeutet, daß diejenigen, die Fleisch essen, verantwortlich sind für die indirekte Zerstörung von mindestens zehnmal soviel Pflanzen, wie die Vegetarier verzehren! An diesem Punkt, das gebe ich zu, wird das Argument absurd, und ich habe es nur so weit getrieben, um zu zeigen, daß diejenigen, die diesen Einwand erheben, aber seine Implikationen nicht bedenken, in Wirklichkeit nur nach einer Entschuldigung suchen, um weiter Fleisch zu essen.“

Bis hierher haben wir in diesem Kapitel Haltungen untersucht, die von vielen Menschen in westlichen Gesellschaften geteilt werden, sowie die Strategien und Argumente, die gewöhnlich benutzt werden, um diese Haltungen zu verteidigen. Wir haben gesehen, daß von einem logischen Standpunkt aus diese Strategien und Argumente sehr schwach sind. Sie sind eher Rationalisierungen und Entschuldigungen als Argumente.“

 

Der Peter-Singer-Preis

 

Walter Neussel auf der Homepage des Fördervereins:

 

Vereinszweck

 

lm Bewusstsein, nicht allen leidenden tierlichen Individuen selbst helfen zu können, wollen wir durch diesen Verein in konsequenter ethischer Verantwortung für ein artgerechtes Leben aller Tiere diejenigen Personen ideell und materiell durch eine Ehrung in Form einer Preisverleihung auszeichnen, die durch ihre Publikationen oder sonstigen Aktivitäten für innovative philosophische, pädagogische, politische, medizinische oder juristische Bestrebungen dazu beitragen, von Menschen verursachtes Tierleid durch gezielte Strategien qualitativ und quantitativ zu mindern. Es gilt dementsprechend als vordringlicher Zweck des Vereins, für diese Ziele durch die Form der Ehrungen Leidminderungsstrategien zugunsten von nicht menschlichen Tieren aus utilitaristischen, tierrechtlichen, tugendethischen, sozialen und empathischen philosophischen Grundpositionen heraus zu überdenken und eine Signalwirkung auszuüben zur Prüfung, wie jeder von uns unnötige Schmerzen und unnötiges Leid nicht nur bei Menschen und Haustieren, sondern bei allen leidensfähigen Lebewesen im persönlichen Einflussbereich reduzieren kann und soll.“

 

Motivation

 

Gestatten Sie mir zunächst einige persönliche Anmerkungen: Im Alter von 6 Jahren sah ich, wie ein Tier geschlachtet wurde und fand diesen Vorgang dermaßen widerlich, dass ich seither kein Fleisch mehr gegessen habe. Die Lektüre von Peter Singer’s bahnbrechendem Werk in der deutschen Fassung von 1982: „Befreiung der Tiere. Eine neue Ethik zur Behandlung der Tiere“ erweiterte wie bei vielen anderen Menschen auch bei mir die Sicht auf die Notwendigkeit eines rücksichtsvolleren Umgangs mit den evolutionsgeschichtlich uns so nahestehenden sogenannten Nutztieren. In meinem beruflichen Werdegang als Anästhesist, Intensivmediziner und Notarzt standen allerdings zu diesem Zeitpunkt Schmerzausschaltung und schnellstmögliche Notfalltherapie im Vordergrund, so dass ich das erste Rettungszentrum (also eine Einrichtung, die zugleich einen Rettungshubschrauber und einen Notarztwagen vorhält) im ländlichen Bereich weltweit ins Leben gerufen und unter maximalem persönlichen Einsatz mitgetragen habe. Man kann mir also jetzt, wenn ich mich nach meiner Pensionierung eher der Minderung von Schmerz und Leid bei Tieren widme, gerechterweise nicht vorwerfen, dass ich mich weniger um menschliches Leid als um Tierleid gekümmert habe und folglich auch zukünftig kümmern sollte. Soweit meine persönlichen Bemerkungen, warum mir Leidminderung speziell bei Nutztieren besonders am Herzen liegt.

Wie konnte es geschehen, dass sich nach dem 2. Weltkrieg eine Massentierquälerei gigantischen Ausmaßes in immer brutalerer Ausprägung global durchsetzen konnte? International agierende Konzerne unterliegen keinen adäquaten Regeln, die menschliche und tierische Ausbeutung auf schlimmstem Niveau verhindern, da es keine Weltregierung und damit auch keine weltweit verbindlichen Gesetze gibt und da so jeder moralische Standard im internationalen Wettbewerb kontinuierlich unterboten werden kann. Durch korrumpierende Einflussnahme auf Politiker und Journalisten sichern multinationale Konzerne ihr amoralisches Treiben ab und erzwingen ein ständiges Wachstum des Bruttosozialproduktes, was am besten durch ständig steigende Bevölkerungszahlen erreicht wird. Somit wird das deletäre Bevölkerungswachstum, welches in unheiliger Allianz zwischen den Multis und verschiedenen Religionsgemeinschaften, die uneinsichtig auch noch in der heutigen Zeit ein „Seid fruchtbar und mehret Euch“ propagieren, in wenigen Jahrzehnten zum Kollaps geordneter Lebensbedingungen auf der Erde führen, wenn dem nicht Einhalt geboten werden kann. Täglich steigt die Bevölkerungszahl um etwa 230.000 Menschen und mit ihnen – mit einem Multiplikator von 3,5 – die Zahl der für sie in Massentierhaltung gequälten Nutztiere. Wenn man diesen Faktor einbezieht (bei allein 1,5 Milliarden Rindern auf der Erde), entspricht das insgesamt der Zunahme des Gewichtsäquivalentes von mehr als einer Million Menschen am Tag. Hieraus resultieren das menschliche Leben negativ beeinflussende und für Nutztiere qualitativ und quantitativ katastrophale Aspekte im Sinne unnötiger Leidensvermehrung und eine bald deletäre Klimaschädigung, wobei der völlig überzogene Fleischkonsum und die mit ihm verbundene Massentierhaltung mehr klimaschädliche Gase verursachen als der gesamte weltweite Verkehr zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Derzeit werden jährlich 56 Milliarden Nutztiere geschlachtet – also 56.000 Millionen – bei stark zunehmender Tendenz! Allerdings haben UN-Studien gezeigt, dass es um 2025 nicht mehr genügend Wasser und landwirtschaftliche Nutzflächen geben wird, um 8 Milliarden Menschen zu versorgen. Nicht tierrechtlicher Einsatz, sondern der Zwang des Faktischen wird einen allmählichen quantitativen Rückgang der Massentierquälerei bewirken. Dieser geringe Hoffnungsschimmer sollte uns aber schon jetzt motivieren, über Alternativen zu unserem jetzigen Lebensstil nachzudenken, auch wenn „Zoopolis“, also ein politscher Ansatz, um Nutztiere als unsere Mit-Staatsbürger zu integrieren und dementsprechend weniger leiden zu lassen, eine Illusion bleiben wird.

Schon 1789, im Jahr der Französischen Revolution, schrieb der englische Philosoph Jeremy Bentham den berühmten, auch heute noch uneingeschränkt gültigen Satz: „Die Frage ist nicht: Können (Tiere) denken? Können sie reden?, sondern: Können sie leiden?“. Wenn man diese Position als wahr und richtig anerkennt und sich von realitätsfernen religiösen Phantasievorstellungen wie der einer Gottähnlichkeit des Menschen und einer unsterblichen Seele als Basis für eine sakrosankte, ausschließlich Menschen zustehende Würde löst, sind Rechtsverbesserungen für Tiere in vernünftigerer Weise diskutabel, da ja auch althergebrachte juristische Festlegungen grundsätzlich veränderbar sind. Als Beispiel hierfür sei angeführt, dass Homosexuelle noch vor wenigen Jahrzehnten für Jahre hinter Gitter gesperrt oder sogar in einigen Ländern zum Tode verurteilt werden konnten und noch verurteilt werden können. Inzwischen kann man aber in zivilisierten Ländern sogar gleichgeschlechtlich heiraten. Das allgemeine Rechtsempfinden hat sich also in diesem Falle innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes grundlegend im Sinne eines Verzichts auf Strafandrohung geändert. Umgekehrt kann man genauso darüber nachdenken, inwieweit massive tierquälerische Maßnahmen unter objektiven Bewertungskriterien ihrem Schweregrad entsprechend auch tatsächlich strafverfolgt statt wie bisher weitgehend toleriert werden sollen. Man könnte beispielsweise einen Putenmäster, dessen Mastsystem darauf beruht, dass er aus wirtschaftlichen Gründen Tiere heranzüchtet, deren Skelettsystem unter dem eigenen Körpergewicht zusammenbricht, nicht nur mit einer Geldbuße, sondern mit einer Gefängnisstrafe bedrohen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass eine solche nachgewiesene und dokumentierte Qualzucht von „Big-Six-Puten“ konkret gegen die Interessen einer rücksichtslosen Agrarlobby per Gesetz verboten wird und dementsprechend geahndet werden kann.

Zusammenfassend erscheint es deshalb als wesentlich, aber nicht als ausreichend, Leidminderungsstrategien zu Gunsten von Menschen und nichtmenschlichen Tieren aus utilitaristischen, tierrechtlichen, tugendethischen, sozialen und empathischen philosophischen Grundpositionen heraus zu überdenken. Es bedarf auch stringenter politischer Bemühungen, unzureichende und unzeitgemäße Gesetze zu ändern, überholte Religionsvorstellungen zu hinterfragen und unmoralische kapitalistische Bestrebungen zu bekämpfen. Die grausame und extrem klimaschädliche Massentierhaltung muss zurückgedrängt und möglichst ganz abgeschafft werden. Somit sollte neben Überlegungen zur qualitativen Leidminderung zusätzlich auch der quantitative Leidminderungsaspekt utilitaristisch berücksichtigt und in politische Handlungsstrategien umgesetzt werden. Solche Bestrebungen will der von mir initiierte Peter-Singer-Preis für Strategien zur Tierleidminderung fördern. Er wird ab 2015 jährlich vergeben werden und ist mit 10.000,- Euro dotiert. Peter Singer als dem meistbeachteten Philosophen der modernen Tierbefreiungsbewegung gebührt die Ehre, heute der erste Preisträger des nach ihm benannten Preises zu werden.

Der Preis soll auch auf jede Bürgerin und jeden Bürger eine Signalwirkung ausüben, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie/er einen persönlichen Beitrag leisten kann, um unnötige Schmerzen und unnötiges Leid nicht nur bei Menschen und Haustieren, sondern bei allen leidensfähigen Lebewesen in ihrem/seinem persönlichen Einflussbereich zu reduzieren.

Die Finanzierung des Peter-Singer-Preises einschließlich aller Nebenkosten ist auf lange Sicht noch nicht definitiv abgesichert; insofern sind weitere Fördermitglieder herzlich willkommen und Spenden erwünscht.“

 

Vergaberichtlinien

 

Wie aus dem Titel des Fördervereins hervorgeht, sollen mit diesem Preis nicht Tierschützer und Tierrechtler geehrt werden, die ihre Motivation, ihre Arbeitskraft und ihre Geldmittel eingebracht haben, um einzelnen Haustieren ein besseres Leben zu ermöglichen oder um Tierheime, Zoos u.ä. zu unterstützen, sondern es sollen grundsätzliche strategische Überlegungen und Handlungen gefördert werden, die geeignet sind, zu einer Minderung des Leidens von Milliarden von Tieren (vor allem von sogenannten Nutztieren und Versuchstieren) aktuell und zukünftig beizutragen. Es steht jeder Bürgerin und jedem Bürger frei, sich im Rahmen eines offenen Verfahrens um die Preisvergabe zu bewerben.

Beispiele für eine Preiswürdigkeit im Sinne dieser Vergaberichtlinien sind: die Arbeit von PETA (der weltweit größten Tierrechtsorganisation, gegründet von Ingrid Newkirk), das Carnism-Network (Prof. Melanie Joy) und die Albert-Schweitzer-Stiftung für unsere Mitwelt (intensive Bemühungen um Abschaffung der Massentierhaltung). Preiswürdig wäre z.B. auch eine erfolgreiche Kampagne zum EU-weiten Verbot der nachgewiesenen und dokumentierten Qualzucht von „Big-Six-Puten“.

In den jeweiligen Mitgliederversammlungen des Fördervereins wird über die zukünftigen Preisvergaben entschieden werden. Die 1. Mitgliederversammlung wird am 27.05.2015 im Hollywood-Media-Hotel in Berlin stattfinden.

Wittlich, den 13.01.2015“

https://peter-singer-preis.de/praeambel/

https://peter-singer-preis.de/

 

Preisvergabe 2019

 

Daniela Wakonigg: „Für die Entwicklung effektiver Strategien zur Tierleidminderung wurde am vergangenen Samstag Mahi Klosterhalfen mit dem Peter-Singer-Preis 2019 ausgezeichnet. Tenor der Preisverleihung und Motto des Preisträgers: Wer Tierleid vermindern will, muss die eigene Komfortzone verlassen und auch ungeliebte Kooperationen suchen – grundsätzliche Gegner der Nutztierhaltung ebenso wie jene, die nicht auf Fleisch verzichten wollen.

Die Biografie des diesjährigen Peter-Singer-Preisträgers Mahi Klosterhalfen hat Züge eines Hollywood-Drehbuchs: Als BWL-Student fällt ihm die Autobiografie von Gandhi in die Hände. Eine Stelle im Buch beeindruckt ihn besonders. Als Gandhi sehr krank ist, bestehen seine Ärzte darauf, dass er Hühnersuppe isst, da er sonst sterben würde. Gandhi jedoch weigert sich mit dem Hinweis, dass er lieber sterben würde, als für den Tod eines anderen Lebewesens verantwortlich zu sein. Bekanntlich überlebte Gandhi den Hühnersuppen-Verzicht und starb später an den Folgen menschlichen Irrsinns durch das Attentat eines fanatischen Hindu-Nationalisten. Die Hühnersuppen-Episode in Gandhis Biografie lässt den BWL-Studenten Klosterhalfen seinen Fleischkonsum überdenken und zum Veganer werden. Doch damit nicht genug. Er überzeugt auch den Chef der Mensa, keine Käfigeier mehr zu verwenden. Durch diese Aktion wird der Gründer der Tierschutzorganisation "Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt" 2007 auf Klosterhalfen aufmerksam und engagiert ihn. Gemeinsam folgen unter anderem erfolgreiche Gespräche mit deutschen Supermarktketten über den Ausstieg aus dem Verkauf von Käfigeiern und die Ausweitung des veganen Sortiments. Dank seiner BWL-Kenntnisse baut Klosterhalfen die Albert-Schweitzer-Stiftung vom Ein-Mann-Betrieb zu einer bekannten Organisation mit heute rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von fast 2 Millionen Euro aus, die die Stiftung hauptsächlich für Kampagnen zur Leidminderung sogenannter Nutztiere verwendet.

Für diese Aufbauleistung erhielt Mahi Klosterhalfen, der heute geschäftsführender Vorstand der Albert-Schweitzer-Stiftung ist, am Samstag in Berlin den mit 10.000 Euro dotierten Peter-Singer-Preis, der seit 2015 jährlich vom "Förderverein des Peter-Singer-Preises für Strategien zur Tierleidminderung e.V." verliehen wird. Das Preisgeld wird, so Klosterhalfen, der Albert-Schweitzer-Stiftung zugute kommen, um deren Kampagnen zur Leidminderung von Nutztieren weiter voranzubringen. Klosterhalfen wies in seiner Dankesrede darauf hin, dass es zum Erreichen dieses Ziels notwendig sei, als Tierfreund die eigene Komfortzone zu verlassen, sprich sich auch auf Gespräche mit Akteuren rund um die Nutztierindustrie einzulassen.

Das Verlassen der eigenen Komfortzone war auch das bestimmende Motiv des umfangreichen Vortrags-Rahmenprogramms der Preisverleihung. Wobei das Verlassen der Komfortzone sowohl den grundsätzlichen Gegnern der Nutztierhaltung im Publikum abverlangt wurde als auch jenen, die nicht auf den Verzehr von Fleisch verzichten wollen. Ersteren dürfte nicht geschmeckt haben, dass die Abschaffung der Nutztierhaltung sowie Tierrechte bei der diesjährigen Verleihung des Peter-Singer-Preises nicht einmal ansatzweise diskutiert wurden. Für Letztere dürfte die Information schwer verdaulich gewesen sein, dass eine auch nur einigermaßen angemessene und leidfreie Haltung von Nutztieren enorme Kosten verursachen und Fleisch sowie tierische Produkte erheblich verteuern würde. Eine Einschätzung, die nicht von vermeintlich ahnungslosen Tierschützern stammt, sondern von den Vortragenden des Abends – durchweg Experten in der Nutztierhaltungsforschung.

Prof. Dr. Edna Hillmann, Spezialistin für Tierhaltungssysteme am Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der HU Berlin gab einleitend einen Überblick darüber, was in der einschlägigen Forschung unter "Tierwohl" verstanden wird. Hierzu gehöre neben der Vermeidung von Hunger und Durst, Unwohlsein, Schmerzen, Krankheiten, Furcht und Stress auch die Möglichkeit, dass ein Tier sein natürliches Verhalten ausleben könne. Bei Schweinen sei es beispielsweise ein natürliches Verhalten, die Umgebung in verschiedene Bereiche für Ruhe, Fressen, Aktivität und Koten aufzuteilen. Dieses Verhalten auszuleben, sei in der aktuell üblichen Schweinehaltung nicht möglich. Auch die von der Politik derzeit geplanten minimalen Vergrößerungen der festgelegten Haltungsfläche pro Schwein änderten daran nichts.

Dass die gegenwärtige Nutztierhaltung mit "Tierwohl" im genannten Sinne nicht viel zu tun hat, darauf verwiesen auch die Präsidentin der Tierärztekammer Berlin, Dr. Heidemarie Ratsch, die über tiergerechte Nutztierhaltung im Spiegel des Ethikkodexes der Tierärztinnen und Tierärzte Deutschlands referierte, sowie Dr. Michael Marahrens von der tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V.. Letzterer berichtete unter anderem von seinen Versuchen zur Schlachtbetäubung von Schweinen mit Stickstoff, da die Tiere unter der derzeit üblichen Betäubung mit Kohlendioxid starke Schmerz- und Atemnotreaktionen zeigten – weswegen die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) auch die Abschaffung dieser Methode empfiehlt. Veterinär-Physiologe Prof. Dr. Holger Martens von der FU Berlin zeigte am Beispiel der Milchkühe ferner auf, wie Tierleid durch einseitige Züchtung auf Leistung entsteht. So komme es bei modernen Hochleistungskühen oft zu Klauenproblemen, die in direktem physiologischen Zusammenhang mit ihrer Milchleistung stehen. Die Tiere erleiden hierdurch Schmerzen und nicht selten kommt es zu einer Schlachtung noch in jungem Alter.

Auf die ökonomischen Aspekte eines verbesserten Tierschutzes in der Nutztierhaltung ging Prof. Folkhard Isermeyer ein, Präsident des Thünen-Instituts. Das landwirtschaftliche Forschungsinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erarbeitet wissenschaftliche Grundlagen als Entscheidungshilfe für die Politik der Bundesregierung. Isermeyer machte mehr als deutlich, dass der Markt ein ungeeignetes Werkzeug ist, um Tierwohl zu gewährleisten. Zwar fordert der Verbraucher Tierwohl, weil er Fleisch und andere tierische Produkte mit gutem Gewissen verzehren will, doch letztlich lässt er sich leicht und gern täuschen. Isermeyer verwies diesbezüglich auf die Macht entsprechender Bilder wie zum Beispiel fröhliche Bauernhofhühner auf Eierverpackungen, während in der Realität 18 Legehennen auf dem Raum einer Duschkabine leben müssten. Auch das geplante Tierwohl-Label sei von einem Wohl der Tiere im wissenschaftlichen Sinne weit entfernt. Tierwohl, so Isermeyer, koste Geld. Da der Markt jedoch billige Produkte fordere, müsse der Staat investieren, um das im Grundgesetz festgeschriebene Staatsziel "Tierschutz" umzusetzen. Isermeyer geht von rund 3–5 Milliarden Euro Zahlungen an Landwirte pro Jahr aus, um die Haltung sämtlicher Tierarten im Sinne des Tierwohls angemessen umzustellen. Zur Gegenfinanzierung plädiert er für eine Anhebung der Mehrwertsteuer vom derzeit reduzierten auf den normalen Satz für Fleisch und Milch. Wenn beides teurer würde, sei auch mit einem Rückgang des Verbrauchs zu rechnen, was zusätzlich positive Auswirkungen auf das Klima und regionale Umweltproblematiken durch umfangreiche Nutztierhaltung habe.

Neben der sehr intensiven Diskussion um die Problematik des Tierwohls in der Nutztierhaltung wurden im Rahmen der Preisverleihung auch juristische Aspekte der Nutztierhaltung thematisiert. Der Rechtsanwalt, Experte für Tierschutzrecht und ehemalige CDU-Politiker Hans-Georg Kluge referierte über von ihm rechtlich betreute Fälle von Stalleinbrüchen sowie aktuelle einschlägige Urteile. Besonders hob Kluge das vor wenigen Wochen ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Kükentöten hervor. In § 1 des deutschen Tierschutzgesetztes heißt es "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen". Bislang hätten Gerichte dazu tendiert, ökonomische Gründe – wie das Töten der für die Nutztierindustrie wertlosen männlichen Küken – als "vernünftige Gründe" anzuerkennen. Nun sei jedoch erstmals obergerichtlich entschieden worden, dass ökonomische Gründe nicht unmittelbar vernünftige Gründe seien. Entsprechend muss nun in Brutbetrieben auf die technisch längst machbare frühzeitige Geschlechtserkennung im Ei umgestellt werden und das Kükentöten bleibt nur für eine Übergangszeit weiterhin erlaubt.

Die Laudatio auf den Preisträger hielt schließlich Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper, der 1987 die Vereinigung "Juristen für Tierrechte" gegründet und wohl für den größten rechtlichen Fortschritt für Tiere in Deutschland gesorgt hat: In den 1990er Jahren leitete er maßgeblich die Bestrebungen zur Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz, welche 2002 erfolgte. Von Loeper lobte vor allem die Verknüpfung von Wirtschaft und Tierschutz, die Preisträger Mahi Klosterhalfen erreicht habe.

Das Schlusswort am Ende der rund vierstündigen Veranstaltung hatte schließlich der Empfänger des 5. Peter-Singer-Preises für Strategien zur Tierleidminderung selbst: "Lassen Sie uns die Hebel finden, um Tierleid zu beenden", appellierte Klosterhalfen ans Publikum. "Und lassen Sie uns diese Hebel nutzen, auch wenn das außerhalb unserer Komfortzonen liegt."“

https://hpd.de/artikel/einsatz-fuer-tiere-jenseits-eigenen-komfortzone-16982

Vortrag von Dr.med. Walter Neussel zur 5. Verleihung des Peter-Singer-Preises am 29.06.2019 in Berlin:

„Nutztierethische Fragestellungen – ein Tabuthema für Ethikräte?

Ethikräte haben den Auftrag, neben der Informierung der Öffentlichkeit auch Stellungnahmen und Empfehlungen für politisches und gesetzgeberisches Handeln zu erarbeiten. Würden sich Ethikräte also grundlegend mit Fragen der Nutztierhaltung befassen (was bisher praktisch in keinem Land der Erde der Fall ist), könnten sie Vorschläge wie den auf der Basis des vom BMEL in Auftrag gegebenen Gutachtens von 2015 „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ ausarbeiten, die wiederum maßgeblich für eine zukünftige Gesetzgebung sein könnten. Etwa 80% der deutschen Bevölkerung wünschen ja einen verbesserten Tierschutz in der Nutztierhaltung.

Ich habe deshalb ein dementsprechendes Schreiben, welches von Herrn Prof. Ben Moore (Direktor des Zentrums für Theoretische Astrophysik und Kosmologie als Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Albert Einstein in Zürich) und Herrn Steve Wise, dem Gründer und Präsidenten des „Nonhuman Rights Project“ mitgetragen wird, an die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates, den Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, das Nuffield Council on Bioethics in Großbritannien, den Vorsitzenden der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Außenhumanbereich sowie einzelne Mitglieder von Ethikräten gesandt.

Der Text des Schreibens lautet:

Die industrielle Nutztierproduktion hat sich nach dem 2.Weltkrieg immer einseitiger in Richtung Rationalisierung und Gewinnmaximierung entwickelt, wobei das Wohlbefinden der betroffenen Tiere weitgehend unberücksichtigt blieb. Qualzucht und Qualhaltung für eine Vielzahl der 56 Milliarden Schlachttiere pro Jahr weltweit sind zu einem Problembereich geworden, dessen extreme Auswüchse von der Mehrzahl empathisch empfindender Mitbürger abgelehnt werden und die dringend außer einer ökonomischen Betrachtungsweise auch einer tierethischen Würdigung bedürfen. Der in der Anlage beigefügte Appell erläutert diesen Aspekt.

Wir appellieren an diejenigen Ethikräte, die sich lediglich mit forschungsrelevanten humanethischen und tierethischen Fragestellungen befassen, zusätzlich auch nutztierethische Themen in ihren Aufgabenbereich aufzunehmen oder sich in ihrem Einflussgebiet für eine zusätzlichen dementsprechenden Ethikrat einzusetzen.“

Als Anlage zu diesem Schreiben hatte ich den Wortlaut eines Kampagnentextes gegen Qualzucht und Qualhaltung beigefügt, den ich zusammen mit anderen Unterzeichnern initiiert hatte. Dieser Text lautet:

Die Unterzeichner rufen zur Erarbeitung einer tiergerechten Zukunftsstrategie in der Tierzucht und Tierhaltung auf und fordern eine sofortige Beendigung der Qualzucht und Qualhaltung von Puten. Begründung:Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft kommt in seinem Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ von März 2015 zu dem Schluss, dass unsere derzeitige Nutztierhaltung hinsichtlich relevanter gesellschaftlicher Ziele wie Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz nicht zukunftsfähig ist. Deshalb fordern sie tiefgreifende Änderungen in der Nutztierhaltung, da die tägliche Praxis unserer landwirtschaftlichen Produktion in hohem Maße mit Qualzucht und Qualhaltung verbunden ist.

Unter QUALZUCHT ist die Ausübung von Zuchtmaßnahmen zu verstehen, die bei den betroffenen Tieren zu unzumutbaren Schmerzen, Leiden, Gesundheitsschäden und Verhaltensstörungen führt. Das Leid der Tiere aus wirtschaftlichen und gewinnorientierten Interessen zu fördern, heißt, einen ethisch nicht verantwortbaren Zustand billigend in Kauf zu nehmen. Nach §11b des Deutschen Tierschutzgesetzes ist Qualzucht verboten; in der Praxis wird diese gesetzliche Bestimmung jedoch mangelhaft umgesetzt und in der Rechtsprechung viel zu tierhalterfreundlich ausgelegt.

Unter QUALHALTUNG ist eine Tierhaltung zu verstehen, die bei den betroffenen Tieren zu Dauerstress führt, der erzeugt wird durch zu hohe Besatzdichten, lebenslanges Dahinvegetieren im eigenen Kot, Aufwachsen in geschlossenen Hallen ohne Freilandzugang sowie durch Verstümmelungen und Verhinderung artgerechten Verhaltens. Eine solche Qualhaltung wird durch Rechtsverordnungen ermöglicht, die das bestehende Tierschutzrecht bewusst unterlaufen und Produktionskrankheiten billigend in Kauf nehmen. Sie wird auch deshalb in erschreckendem Ausmaß toleriert, weil klare Definitionen fehlen, wann Tierzucht zu Qualzucht und Tierhaltung zu Qualhaltung werden.

Dementsprechend müssen vom Gesetzgeber unbedingt und ohne weiteren Verzug – wie von veterinärmedizinischer Seite seit langem gefordert – verbindliche Parameter erarbeitet werden, an denen sich Züchter und Vollzugsbehörden orientieren können. Das Ausmaß zumutbarer Einschränkungen muss von züchtungs- und haltungsbedingten unzumutbaren Schädigungen, Schmerzen und Leiden abgegrenzt werden. Der institutionalisierte Rechtsbruch mit systemimmanenter Tierquälerei muss ein Ende finden.

Besonders eklatant sind die Missstände hinsichtlich Qualzucht und Qualhaltung in der tierindustriellen Produktion von Puten. Kaum eine Tierart hat in ihrer Entwicklung zum landwirtschaftlich genutzten Tier so viele genetische Manipulationen über sich ergehen lassen müssen und ist unter Berücksichtigung ethischer Erwägungen ungeeigneter für die industrielle Intensivhaltung als die Pute. Eine EU-Tierschutzrichtlinie für Putenhaltung gibt es nicht.“

Auf die Verlesung des übrigen Kampagnentextes verzichte ich aus Zeitgründen. Die Unterzeichner sind: Herr Dr. Dr. Martin Balluch, Herr Dr. Mark Benecke, Frau Hiltrud Breyer, Herr Prof. Wolfgang Karnowsky, Frau Dr. Angela Küster, Herr Prof. Sievert Lorenzen, Herr Prof. Reinhard Merkel, Herr Prof. Thomas Metzinger, Herr Prof. Ben Moore und ich.

Von Seiten der Ethikräte habe ich auf dieses Schreiben (mit einer Ausnahme) leider keine Antwort erhalten. Warum sich diese Verantwortungsträger mit Äußerungen zurückhalten, ist nicht schwer zu verstehen. Eine Verteidigung der schrecklichen Zustände in der Massentierhaltung dürfte einem Ethiker schwerfallen. Auf in Qualzucht und in Qualhaltung dahinvegetierende Nutztiere kann man auch nicht guten Gewissens Albert Schweitzer`s berühmten Satz anwenden: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will“. Beispielsweise erleiden mehr als 50% der Legehennen mindestens einmal in ihrem kurzen Leben wenigstens einen schmerzhaften Knochenbruch als Folge der etablierten Qual z u c h t bedingungen . Und tatsächliche Qual h a l t u n g ist es, weibliche Zuchtschweine über sehr lange Zeiträume nahezu bewegungsunfähig in Kastenständen zu fixieren oder Puten und Masthühner lebenslang in ihren eigenen Fäkalien (ohne zwischenzeitliche Reinigung des Stalles) stehen bzw. liegen zu lassen, was fast zwangsläufig zu Ballenentzündungen führt und auf Grund der dauerhaft bestehenden Ammoniakatmosphäre permanent die Schleimhäute reizt. Für diese armen, leidensfähigen Lebewesen wäre es zweifellos besser, niemals geboren worden zu sein.

Aus meiner Sicht kann man solche Auswüchse in der Nutztierhaltung mit den Worten von Hannah Arendt nur als „Banalität des Bösen“ bezeichnen.

Ethikräte, die von staatlicher Seite mit der Bearbeitung nutztierethischer Fragestellungen beauftragt wären und den Mut zur Wahrheit aufbrächten, könnten ihre Arbeit mit der Prüfung der ganz wesentlichen Fragestellung beginnen, ob nicht die derzeitigen Agrarsubventionen in Höhe von 6,8 Milliarden Euro allein für deutsche Bauern umgewidmet werden sollten in dem Sinne, dass diese Gelder nicht mehr von der bewirtschafteten Fläche abhängen, sondern vom Ausmaß der von den Bauern umgesetzten tiergerechten Verfahren. Wie wir von Herrn Prof. Isermeyer heute gehört haben, könnte eine weitere sinnvolle Maßnahme allein oder in Verbindung mit den oben genannten Umwidmungsmaßnahmen darin bestehen, dass die Mehrwertsteuervergünstigung für tierische Lebensmittel beendet wird, was weitere 5 Milliarden Euro erbringen würde.- Das Geld für eine Wende in der EU-Agrarpolitik wäre also da und Ethikräte könnten den Politikern auf die Sprünge helfen, dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung gerecht zu werden. Sie sollten sich vor dieser Verantwortung nicht drücken. Wirklich dringend gebotene Tierschutzmaßnahmen in der Nutztierhaltung dürfen kein Tabuthema für Ethikräte bleiben!“

https://peter-singer-preis.de/nutztierethische-fragestellungen/

 

Zum Schluss

 

Auch, wenn sich das eine oder andere in den letzten 45 Jahren geändert haben mag – sehr viel ist es nicht. Vor allem nicht beim Denken der breiten Masse.

Aus einem früheren Beitrag des Wurms: „Ohne Produkte tierischen Ursprungs würde kein Mensch verhungern. Dennoch ist es halbwegs nachvollziehbar, dass Menschen Tiere töten, um sie zu essen. Überhaupt nicht nachvollziehbar sind die Bedingungen, unter denen sie die bemitleidenswerten Tiere halten und töten.

In der heutigen Zeit müsste kein Mensch frieren ohne tierisches Fell. Die Wolle von Schafen oder notfalls Pelz als „Abfallprodukt“ von Schlachttieren wäre völlig ausreichend. Jeder Mensch, der Pelz trägt, trägt den Tod (der Tiere) am eigenen Körper. Und ist, je nach Pelz, für die Ausrottung bestimmter Tierarten verantwortlich. Oder für das lebenslange Leiden der Tiere.

Höhepunkt der Perversion ist jedoch das Tragen von Pelz als kleinteilige „Schmuckstücke“, die überhaupt keine wärmende Funktion mehr haben. In Deutschland werden mit diesen Kleinteilen mehr als 70% des Pelz-Umsatzes gemacht …

"Eine komplette Pelzjacke ist Tierquälerei - aber so ein Mantelkragen doch nicht." Viele Menschen denken, der Pelzbesatz an ihrer Kleidung oder Accessoires aus Fell seien nur Reste, die sowieso anfallen würden. Doch unter anderem genau für diese Fellteile werden jedes Jahr mehr als 85 Millionen Tiere gezüchtet und getötet. Rechnet man die Tiere hinzu, die in freier Wildbahn gefangen und getötet werden, sind es hundert Millionen insgesamt, deren Felle verarbeitet werden …

Das NDR Team konnte auf einer der Farmen filmen. Mit 500 Marderhunden ist es eher ein kleiner Betrieb. Zu sehen, wie die Tiere behandelt und vor allem wie sie getötet und gehäutet werden, sei schwer zu ertragen gewesen, berichtet die Autorin. Die Marderhunde leben in kleinen Käfigen und haben keinen festen Boden unter den Pfoten, sondern nur den Draht der Käfige.

Die Hunde sind etwa fünf Monate alt, wenn im November die sogenannte Ernte ansteht. Um diese Zeit im Jahr stellen die Farmen Arbeiter ein, die die Tiere töten und ihnen das Fell abziehen sollen. Die Männer bekommen pro Tier umgerechnet 70 Cent. Damit sich die Arbeit lohnt, arbeiten die Männer möglichst schnell. Deshalb wird offenbar nicht darauf geachtet, ob die Tiere wirklich tot sind.

Mit Stangen wird den Hunden auf den Schädel geschlagen. Doch die Schläge sind nicht immer tödlich. Kontrolliert wird das nicht. Die Tiere werden in jedem Fall gehäutet. Das Filmteam beobachtet mehrere Hunde, die noch atmen, obwohl ihnen schon das Fell abzogen wurde. So sehe die gängige Fellernte in weiten Teilen Chinas aus, berichtet unsere Autorin. Gesetzliche Schutzregelungen für Pelztiere gibt es in China nicht. Die Kadaver werden als Tierfutter verwertet oder verbrannt.“

https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/So-leben-und-sterben-Pelztiere,pelz128.html

http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/45_min/Die-Wahrheit-ueber-Pelz,sendung302420.html

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/201-untier-im-pelz.html

Umso wertvoller die Bemühungen von Peter Singer, denjenigen Menschen, die den Peter-Singer-Preis verleihen und vielen anderen Menschen, die sich für das Wohl der Tiere einsetzen.

Zum Schluss möchte der Wurm an einen großen Humanisten und Tierfreund erinnern: Karlheinz Deschner http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/92-aufklaerung-ist-aergernis.html

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm