Leiharbeit

Die Wirtschaft, unendlicher Reichtum. Wir schreiben das Jahr 2017. Dies sind die Ergebnisse der Sendung „Die Anstalt“ und deren Faktencheck, die mit ihrer Besatzung seit Jahren unterwegs ist, um der Menschheit zu zeigen, was auf der Erde los ist.

„Die Anstalt“, offiziell eine Kabarett-Sendung, zeigt Fehl-Verhalten und Versagen unter Anderem von Politik und Medien auf. Letzte Woche mit dem Thema "Moderne Zeiten – heutige Arbeitswelt":

 

 

Hier der Faktencheck der Sendung vom 16.05.2017: https://www.zdf.de/assets/faktencheck-mai-102~original?cb=1497551487720

Auch der Wurm hatte sich bereits vorher dieses Themas mit mehreren Teilbereichen angenommen. So über die Zustände in der Fleisch-Industrie http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/211-der-gefangene-von-landsberg.html , massive Ausweitung des Niedriglohn-Sektors in Deutschland http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/176-personifizierter-drecksack.html und die Gleichschaltung der (meisten) Gewerkschaften http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/119-niedere-beweggruende.html .

 

Aktuelle Entwicklungen der Zeitarbeit

 

Aus einer Schrift der Bundesagentur für Arbeit vom Januar 2017 (Auszüge):

„- Die Anzahl der Leiharbeitnehmer ist im langfristigen Vergleich in der Tendenz mit hoher Dynamik gewachsen. Die Arbeitnehmerüberlassung reagiert frühzeitig auf Änderungen der konjunkturellen Rahmenbedingungen und ist daher ein Frühindikator für die Entwicklung am Arbeitsmarkt.

- Im Juni 2016 waren 1,006 Millionen Leiharbeitnehmer in Deutschland sozialversicherungspflichtig oder ausschließlich geringfügig beschäftigt. Der Anteil der Leiharbeitnehmer an der Gesamtbeschäftigung liegt bei knapp 3 Prozent.

- Die Zeitarbeitsbranche ist von hoher Dynamik geprägt. Im ersten Halbjahr 2016 wurden 678.000 Beschäftigungsverhältnisse neu abgeschlossen und 616.000 beendet. Gut jeder Fünfte neue Leiharbeitnehmer war zuvor ein Jahr oder länger ohne Arbeit oder noch nie zuvor beschäftigt.

- Knapp drei von zehn Leiharbeitsverhältnissen enden nach weniger als einem Monat; 15 Prozent nach mehr als 18 Monaten.

- Die Bruttoarbeitsentgelte in der Zeitarbeit liegen deutlich unter den im Durchschnitt über alle Branchen erzielten Entgelten.

Die Entwicklung der Zeitarbeitsbranche ist zum einen durch die Konjunktur und zum anderen durch gesetzliche Änderungen geprägt. So gab es in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 – trotz befristeter Möglichkeit der Gewährung von konjunkturellem Kurzarbeitergeld für Zeitarbeitsunternehmen – einen Beschäftigungseinbruch. Deutliche Anstiege sind vor allem nach den Zeitpunkten der wichtigsten rechtlichen Änderungen zu beobachten. 1993 lag die Zahl der Leiharbeitnehmer bei jahresdurchschnittlich 114.000; bereits fünf Jahre später hatte sie sich verdoppelt. Im Zuge der rechtlichen Änderungen im Rahmen der Hartz-Gesetze kam es zu einer weiteren Expansion der Branche. Im Juni 2016 gab es in Deutschland 1,006 Millionen Leiharbeitnehmer.“

https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Branchen-Berufe/generische-Publikationen/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf

 

Vorteile der Leiharbeit

 

„Längst dient Leiharbeit nicht mehr nur dazu, personelle Engpässe zu überwinden. Sie wird in vielen Betrieben systematisch eingesetzt, um die Rendite zu stabilisieren - und die Stammbelegschaft unter Druck zu setzen.

Zunächst nutzten Betriebe Leiharbeit, um kurzfristige Personalausfälle auszugleichen. Dann kam Leiharbeit als "Flexibilitätspuffer" hinzu. Damit begegnen Betriebe Schwankungen im Auftragsvolumen. Die dritte und historisch jüngste Form ist die "strategische Nutzung der Leiharbeit", so eine Analyse des Industriesoziologen Hajo Holst von der Universität Jena. Dabei geht es dem Wissenschaftler zufolge darum, das unternehmerische Risiko zu minimieren, indem die nicht ohne weiteres kündbare Stammbelegschaft möglichst klein gehalten wird. Holst spricht von einer "Personalpolitik der ­unteren Linie". Leiharbeiter werden nicht nur für Hilfstätigkeiten eingesetzt, sondern verrichten die gleiche Arbeit wie Angehörige der Stammbelegschaft. Ausgeliehene und fest angestellte Beschäftigte stehen so in einem direkten Konkurrenzverhältnis.

Der Forscher stützt sich auf rund 80 Interviews mit Personalverantwortlichen, Angehörigen der Stammbelegschaften, Leiharbeitnehmern und Betriebsräten in zwölf Betrieben. Die meisten davon gehören zur Metall- und Elektroindustrie, einer Branche, die besonders viele Leiharbeiter beschäftigt. Die Erhebung liefert ein recht präzises Bild der neuen Form von Leiharbeit:

Leiharbeit als strategisches Instrument, um Marktrisiken auf Arbeitnehmer abzuwälzen. Betriebe, die Leiharbeit strategisch einsetzen, reagieren damit nicht nur auf Auftragsspitzen. Sie wollen grundsätzlich so wenig feste Verpflichtungen eingehen wie möglich, um die Produktion schnell und kostengünstig verringern zu können, sobald Absatzschwierigkeiten auftreten. Leiharbeit stelle ein "Sicherheitsnetz gegen das Kapazitätsrisiko" dar, schreibt Holst. Für den Entleihbetrieb hebele der Leiharbeitseinsatz faktisch den gesetzlichen Kündigungsschutz aus. Entlassungskosten würden vermieden. Es müssten weder Sozialpläne aufgestellt noch Abfindungen gezahlt werden. Die Auswirkungen zukünftiger, schwer vorhersehbarer Marktentwicklungen auf Profitabilität und Kapitalrendite seien für die Betriebe so besser kontrollierbar.

Leiharbeiter: "Übernahme wäre ein Fünfer im Lotto". Beim strategischen Einsatz von Leiharbeit sind auf den ersten Blick keine Unterschiede zwischen Leiharbeitern und fest Angestellten mehr zu erkennen. Sie arbeiten an den selben Maschinen und besuchen dieselben Fortbildungsseminare. In einigen Betrieben bekommen Leiharbeiter die gleichen Zulagen und Prämien wie die Stammbelegschaft. Von einer Spaltung in Kern- und Randbelegschaft könne keine Rede sein, stellt Holst fest. Trotzdem fühlen sich viele als "Arbeiter zweiter Klasse". Denn wenn einer nicht die erwartete Leistung bringe, "dann wird er abbestellt, dann ist er weg, da wird nicht lange gefackelt", wie es einer der Befragten formuliert. Und die Chance, fest angestellt zu werden, ist gering. Das wäre wie ein "Fünfer im Lotto", sagt ein Leiharbeiter. Der Soziologe Holst notiert: Der Konkurrenzkampf um die knappen Übernahmechancen mache die Leiharbeiter zu angepassten Einzelkämpfern. Sie versuchten permanent, ihre Vorgesetzten von ihrer Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft zu überzeugen.

Stammbelegschaft: jederzeit ersetzbar. Die Leiharbeitnehmer machen sich nicht nur gegenseitig Konkurrenz. Da sie die gleichen Arbeiten erledigen und oft über eine gleichwertige Qualifikation verfügen, führen sie der Stammbelegschaft ständig ihre Ersetzbarkeit vor Augen. Der Leiharbeitseinsatz trägt zu einer "Entwertung des betrieblichen Erfahrungswissens der langjährigen Stammkräfte" bei, schreibt Holst. In Unternehmen, die Leiharbeit strategisch nutzen, gebe es nun einen "statusunabhängigen" Wettbewerb um knappe Qualifizierungs- und Aufstiegschancen. Leiharbeitnehmer, die Holst zufolge stets mit einem Bein in der Erwerbslosigkeit stehen, fungieren quasi als Ventil, durch das der Konkurrenzdruck des Arbeitsmarktes in die Unternehmen geleitet wird.“

https://www.boeckler.de/22220_22223.htm

Für die Betroffenen handelt es sich allerdings überwiegend um massive Nachteile. Mensch sehe sich die Dokumentationen „Hungerlohn am Fließband - Wie Tarife bei Daimler Benz ausgehebelt werden“ und „Harte Arbeit, schlechter Lohn - Wie Menschen abgehängt werden“ an und schaudere:

 

 

 

Werkvertrag

 

„Seit Januar 2015 gilt in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn für alle abhängig beschäftigten Arbeitnehmer, nicht jedoch für freie Mitarbeiter mit Werk- oder Dienstverträgen, die im rechtlichen Sinne selbständig sind. Insofern stellt der betriebliche Einsatz freier Mitarbeiter einen Weg zur Umgehung des Gesetzes dar.“

http://www.iab.de/764/section.aspx/Publikation/k160523305

2012: „Eine amtliche Statistik zur Beschäftigung über Werkverträge gibt es nicht, wohl aber einige Untersuchungen: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzt, dass deutschlandweit mehr als 600.000 Menschen über Werk- oder Dienstverträge beschäftigt sind.“

https://www.boeckler.de/39630_39636.htm

IG Metall: „Der Unterschied zur Leiharbeit

Dies ist auch der entscheidende Unterschied zur Leiharbeit: Der Leiharbeitgeber überlässt seine Arbeitnehmer einem Unternehmen, wo sie fest in die Arbeitsabläufe eingegliedert und gegenüber den dortigen Vorgesetzten weisungsgebunden sind. Beim Werkvertrag hingegen bleibt es dem Anbieter überlassen, wie er die Abwicklung seines Auftrags organisiert. Am Ende muss nur die Qualität des Ergebnisses stimmen …

Werkverträge verändern ihren Charakter

Früher ging es bei der Vergabe von Werkverträgen vor allem darum, spezielles Know-how einzukaufen oder Randbereiche (Kantine, Pforte, Sicherheitsdienst) aus dem Unternehmen auszugliedern. Heute setzen Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie Werkverträge im Kernbereich der industriellen Wertschöpfung ein, also in Produktion (35 Prozent), Montage (26 Prozent) sowie in Forschung, Entwicklung und Engineering (19 Prozent).

Ziel: Kostensenkung zu Lasten der Beschäftigten …

Oft arbeiten Beschäftigte von Dienstleistungsunternehmen Seite an Seite mit der Stammbelegschaft, führen die gleiche Tätigkeit aus wie die Beschäftigten des Auftraggebers, dies allerdings zu deutlich schlechteren Bedingungen. Meist gelten keine oder nur schwache Tarifverträge. Die Bezahlung ist in der Regel erheblich niedriger. Häufig gibt es auch kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld und keine Erfolgsbeteiligung. Überstunden werden nicht bezahlt. Betriebsratsgremien und Möglichkeiten zur Mitbestimmung fehlen in den meisten dieser Unternehmen. So werden Werkverträge zu einem Angriff auf faire Bezahlung und gute Tarifverträge …

Die Kosten trägt die Allgemeinheit

Der Missbrauch von Werkverträgen verstärkt den Trend zu immer mehr prekärer Beschäftigung in Deutschland und trägt zur Ausweitung des Niedriglohnsektors bei. Dies vertieft die Spaltung der Gesellschaft und verursacht Kosten, für die die Allgemeinheit jetzt (ergänzende Sozialleistungen) und später (Altersarmut) aufkommen muss …

Offizielle Zahlen fehlen

Es gibt keine amtlichen Statistiken darüber, wie viele Beschäftigte in Deutschland unter Werkvertragsbedingungen arbeiten. Anders als bei der Leiharbeit erhebt weder das Bundesarbeitsministerium noch das Statistische Bundesamt Daten zum Umfang von Werkvertragsarbeit. Das hat etwas mit dem Wesen von Werkverträgen zu tun: Bei einem Werkvertrag schreibt der Auftraggeber eine Dienstleistung aus, die der Auftragnehmer dann eigenverantwortlich ausführt. Wie viele Arbeitskräfte er dafür einsetzt, muss nirgends festgehalten werden. Im Gegensatz zu Verleihfirmen brauchen Werkvertragsunternehmen auch keine Genehmigung dafür, ihre Mitarbeiter für andere Firmen arbeiten zu lassen …

Werkverträge sind auf dem Vormarsch

Fest steht aber, dass im Zuständigkeitsbereich der IG Metall die Vergabe von Werkverträgen weit verbreitet ist. Wie eine aktuelle Betriebsrätebefragung der IG Metall zeigt, hat sich die Fremdvergabe in den letzten Jahren nicht nur auf hohem Niveau verfestigt. Sie wurde sogar ausgebaut. Zwei von drei Betrieben vergeben Arbeiten per Werkvertrag fremd. Seit 2012 wuchs dieser Anteil um 9 Punkte auf 69 Prozent. Werkverträge entwickeln sich zu einer massiven Bedrohung für die Beschäftigten in den beauftragenden Unternehmen. Der Anteil der Betriebe, die Stammarbeitsplätze durch Werkverträge ersetzten, stieg seit dem Jahr 2012 um acht Punkte auf heute 13 Prozent, was fast einer Verdreifachung entspricht. Bei Großbetrieben mit mehr als 1.000 Beschäftigten wurden sogar in 20 Prozent der Fälle Stammarbeitsplätze durch Werkverträge ersetzt.“

https://www.fokus-werkvertraege.de/werkvertraege/#hl268442

Stefan Sauer: „Dabei sind rechtliche Bestimmungen kein Hindernis. Die vorgeschriebenen „getrennten Arbeitsbereiche“ werden mittels gestrichelter Linien in der Werkhalle markiert, Maschinen stundenweise an den Subunternehmer vermietet. Damit wird den gesetzlichen Regularien, die für Werkverträge mit Subunternehmern gelten, genüge getan …

Eine detaillierte Bedienungsanleitung zur Umgehung des Branchenmindestlohns in der Zeitarbeit lieferte auf der ZAAR-Tagung Nathalie Oberthür, Juristin der auf Personalfragen spezialisierten Kölner Kanzlei RPO. Wo liegen die Vorteile von Werkverträgen, mit denen Firmen bestimmte Leistungskontingente („Werke“) bei Subunternehmen einkaufen können? Wie sind Leiharbeits- in Werkverträge umzuwandeln, ohne dass Gewerbeordnung, Bürgerliches Gesetzbuch und Arbeitsrecht dem im Wege stünden? Frau Oberthür wusste Rat.

Wie nützlich solcherlei Kenntnis sein kann, verdeutlichen Beispiele: Im BMW-Werk Regensburg wurden in den vergangenen vier Jahren Leiharbeiter mit knapp zwölf Euro pro Stunde entlohnt. Am Fließband aber standen ebenso Werkvertragler mit einem Stundenlohn von 7,81 Euro. Unter den 12.000 Mitarbeitern des Bosch-Werks in Stuttgart befinden sich laut Gewerkschaft nur 60 Leiharbeiter, dafür aber 2.000 Kollegen von Subunternehmen, die über Werkverträge dort tätig sind.

Eine Umfrage der IG Metall unter 5.000 Unternehmen im Sommer 2011 ergab, dass in einem Drittel der Betriebe Mitarbeiter auf Werkvertragsbasis beschäftigt waren. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung stieg der Anteil der Werkvertragsbeschäftigten in den Betrieben zwischen 2002 und 2010 von 1,0 auf 1,8 Prozent.

Jenseits von solchen Umfrageergebnissen sind verlässliche Daten rar. Weder das Statistische Bundesamt noch die Bundesagentur für Arbeit erheben gesonderte Statistiken über Werkvertrags-Mitarbeiter. Nicht einmal die Personalabteilungen der Unternehmen blicken durch: Werkverträge werden betriebsrechtlich über den Einkauf geordert und als Sachkosten verbucht. Das „Werk“ kostet Geld. Der Mensch, der es erbringt, erscheint als Kostenpauschale.“

http://www.fr.de/wirtschaft/arbeit-soziales/unternehmer-nutzen-werkvertraege-manager-lernen-lohndumping-a-880238

„BMW hat in Leipzig die modernste Autofabrik in Deutschland. Bei der Kalkulation des ostdeutschen Standorts spielten Leiharbeit und Werkverträge von Beginn an eine zentrale Rolle. Für den bayerischen Autobauer arbeiten in Leipzig 3.800 Stammarbeitnehmer, 1.000 Leihbeschäftigte und 4.000 Werkvertragsmitarbeiter.“

https://www.igmetall.de/autohersteller-und-zulieferer-geschaeftsmodell-werkvertrag-16499.htm

2013: „Bislang gab es keine validen Zahlen zum Einsatz von Werkverträgen in der deutschen Wirtschaft. Doch nun könnte eine unveröffentlichte Studie der IG Metall erstmals Aufschluss über die Beschäftigungsverhältnisse in der Metallbranche liefern: Mehr als eine Million Menschen arbeiten demnach als Leiharbeiter oder mit Werkverträgen für die Metall- und Elektroindustrie (M+E). Das entspricht fast einem Drittel der Beschäftigten der gesamten Branche …

In einer mehrere Monate andauernden Befragung von Betriebsräten hatten die Gewerkschafter den Einsatz von Werkverträgen in der M+E-Industrie recherchiert. Die Ergebnisse zeigten, wie weit sich "das Krebsgeschwür" Werkvertrag in der Metallbranche ausgebreitet habe, sagte der designierte IG-Metall-Chef Detlef Wetzel.

Am auffälligsten sei der Trend in der Automobilindustrie. Dort stehen den 763.000 Stammbeschäftigten mittlerweile 100.000 Leiharbeitskräfte und 250.000 Werkvertragsbeschäftigte gegenüber. Das entspricht einem Verhältnis von fast zwei zu eins. Auch in der Werftindustrie kippt das Verhältnis immer mehr zugunsten von Externen. Im Schiffbau arbeiten 16.800 Menschen festangestellt, aber 2.700 Menschen für Leih- und 6.500 Menschen für Werkvertragsfirmen. Auch in der Stahlindustrie werden viele Werkvertragsbeschäftigte angeheuert – 19.000 gegenüber 61.000 Festangestellten.

"Ich habe nichts gegen Werkverträge generell", sagte Wetzel im SPIEGEL. "Ich habe aber entschieden etwas dagegen, wenn sie genutzt werden, das Lohnniveau massiv zu drücken." Die von der IG Metall erhobenen Zahlen zeigten, dass "weite Teile der deutschen Wirtschaft den Gesellschaftsvertrag des Landes aufkündigen wollen", so Wetzel. "Das ist ein Anschlag auf die soziale Marktwirtschaft."

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/eine-million-beschaeftigte-per-werkvertrag-in-der-metallindustrie-a-933989.html

„Anders als die Arbeitgeber behaupten, ist der Missbrauch von Werkverträgen zum Lohndumping ein massenhaftes und riesiges Problem. Der DGB hat in einem Flyer die wichtigsten Fakten zusammengetragen.

In der Ernährungsindustrie, dem Baugewerbe, der Metallindustrie, aber auch bei Dienstleistern in der Logistik, im Handel und im Gesundheitswesen – überall steigt die Zahl der Arbeitskräfte, die nicht zur Stammbelegschaft zählen, sondern per Werkvertrag bei einem externen Unternehmen beschäftigt sind. Besonders absurd ist, wenn diese Werkunternehmen Teil des eigenen Konzerns sind …

Ihre Argumente können DGB und Gewerkschaften durch Befragungen und empirische Untersuchungen belegen. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung und mehrere Befragungen von Gewerkschaften bei Betriebsräten aus dem Jahr 2015 zeigen, dass die Zahl der Werkverträge zunimmt und es zum Teil deutliche Hinweise auf Missbrauch gibt.

Eine Befragung von Betriebsräten der IG Metall zeigt zum Beispiel:

- In zwei von drei Betrieben (69 Prozent) werden mittlerweile Arbeiten über Werkverträge fremdvergeben.

- In den vergangenen drei Jahren hat in 22 Prozent der Betriebe die Anzahl der Werkverträge zugenommen.

- Werkverträge werden in allen betrieblichen Bereichen eingesetzt und betreffen Beschäftigte aller Qualifikationsniveaus.

- Durch die Fremdvergabe werden auch Arbeiten mit zentraler Bedeutung für die Produktion ausgelagert. Somit wird direkt in die Wertschöpfungskette eingegriffen.

- Oft werden Werkverträge für Kostensenkungen missbraucht. Das führt dazu, dass errungene Standards unterlaufen werden. In drei Viertel (73 Prozent) der Betriebe stellen Betriebsräte fest, dass die Beschäftigten in Werkvertrags-Firmen zu schlechteren Arbeits- und Entgeltbedingungen arbeiten müssen.“

http://www.dgb.de/themen/++co++67ab8f7c-f1b2-11e5-b527-52540023ef1a

Ernst Wolff 2012: „Während reguläre und Leiharbeiter nach den geleisteten Stunden bezahlt werden müssen, beziehen sich Werkverträge auf ein zu verrichtendes „Werk“ – auf eine Dienstleistung oder eine Ware. Ist dieses „Werk“ vollendet, gilt der Vertrag als erfüllt. Wie und mit welchem Zeitaufwand das „Werk“ erbracht wird, bleibt ebenso wie Krankheitsrisiko und soziale Absicherung dem Vertragnehmer überlassen.

Wer als Werkverträgler arbeitet, gehört nicht zur Belegschaft und genießt keinerlei Rechte. Sein vorgeschriebener „getrennter Arbeitsbereich“ wird mittels gestrichelter Linien in der Werkhalle markiert, die Maschinen, an denen er arbeitet, werden stundenweise an seinen Subunternehmer vermietet. Die Benutzung firmeneigener Einrichtungen wie Kantinen und Aufenthaltsräumen ist dem Werkverträgler nicht gestattet, Fahrtkostenzuschüsse oder andere Zusatzleistungen stehen ihm nicht zu.

Besonders lukrativ sind Werkverträge, wenn sie grenzüberschreitend abgeschlossen werden. Seit dem Beitritt zehn neuer EU-Mitglieder am 1. Mai 2004 gibt es mit Ausnahme der Bauindustrie eine „eingeschränkte Dienstleistungsfreiheit“. Ein Unternehmen in der EU kann einem Unternehmen in Deutschland anbieten, über einen Werkvertrag eine Dienstleistung zu erbringen. Es „entsendet“ seine Beschäftigten in den deutschen Betrieb und „nutzt“ dessen Anlagen. Für die Beschäftigten gelten bei Bezahlung, Steuern und Versicherung aber die Bedingungen des Herkunftslandes.

Statistiken über Werkverträge gibt es nicht, denn sie werden betriebsrechtlich über den Einkauf geordert und – man mag es kaum glauben – als Sachkosten verbucht.

Die auf Werkverträge spezialisierte Personalberatung Zimmermann schreibt auf ihrer Website: „Werkverträge ermöglichen Ihnen, … Kosten zu senken, indem durch die Ausgliederung von internen Leistungen fixe Kosten zu variablen Kosten transformiert werden. Weitere Vorteile sind z. B. Produktivitätssteigerung, bessere Risikoverteilung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.“

Werkverträgler sind nichts anderes als moderne Parias und das bisherige Endprodukt einer Entwicklung, die vor etwa zwanzig Jahren mit der „Liberalisierung des Arbeitsrechtes“ eingesetzt hat. Durch die Agenda 2010 und die Einführung von Hartz IV von SPD und Grünen vorangetrieben, ist Deutschland inzwischen zum Spitzenreiter bei Niedriglöhnen in Europa geworden. Rund 23 Prozent der Vollzeitbeschäftigten arbeiten derzeit zu einem Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle von 1.802 Euro.

Die Gewerkschaft ver.di schätzt, dass derzeit allein im Einzelhandel 120 Firmen etwa 350.000 Werkverträgler an Firmen vermittelt haben. Während der Export boomt und die Konzerne ihre Führungskräfte fürstlich entlohnen, bleibt immer mehr Menschen am unteren Ende der sozialen Leiter nichts anderes übrig, als ihre Arbeitskraft für einen Hungerlohn zu verkaufen.

Nachdem Wirtschaftsminister Peter Jacoby wegen seines öffentlichen Lobes für das neue Geschäftsmodell der Firma Höll in die Kritik geraten war, sah sich die saarländische Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (CDU) genötigt, darauf hinzuweisen, dass „dies nur eine Maßnahme sein kann, um die aktuelle Insolvenzsituation zu beenden und keine Maßnahme, die auf Dauer die Stammbelegschaft ersetzt.“

Das ist eindeutig nicht der Fall. Das Bosch-Werk in Stuttgart zum Beispiel ist keinesfalls von einer Insolvenz bedroht. Trotzdem arbeiten dort 2.000 von 12.000 Arbeitern auf der Grundlage von Werkverträgen. Im BMW-Werk Leipzig besteht die Hälfte des 5.000 Köpfe zählenden Personals aus Werkverträglern. Laut einer Umfrage der IG Metall beschäftigt inzwischen ein Drittel aller Betriebe einen Teil ihres Personals auf diese Weise. Kai Bliesener, IG-Metall-Sprecher in Baden-Württemberg, spricht von einem seit Monaten andauernden „überdimensionalem Anstieg“.

Genaue Zahlen über die Bezahlung von Werkverträglern sind nur schwer zu finden, da die Betriebe keine Auskunft geben. Laut Zeitungsberichten liegen die Stundenlöhne in der Fleischindustrie unter fünf Euro. In der Automobilindustrie in Leipzig verdient ein Werkverträgler nach Aussage eines Betriebsrates rund tausend Euro im Monat weniger als ein regulär angestellter Arbeiter.

Wie der Spiegel schreibt, arbeiten in der Schlachtindustrie nach Schätzung der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) bis zu 90 Prozent der Beschäftigten über Werkverträge. Häufig kommen die Billigkräfte aus Rumänien. „Die Leute arbeiten teilweise 12 bis 16 Stunden am Stück. Das sind moderne Sklaven“, wird Mark Baumeister, Geschäftsführer der NGG im Saarland, vom Spiegel zitiert.

Die Zunahme der Werkverträge ist der extremste Ausdruck einer Veränderung des gesamten Arbeitsmarktes. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass immer mehr „klassische“ – das heißt unbefristete, tariflich geregelte und von Sozialleistungen begleitete – Arbeitsplätze durch ungeregelte Beschäftigungsverhältnisse ersetzt werden. Ein Meilenstein dieser Entrechtung war die Leiharbeit, ein weiterer ist jetzt die Arbeit auf der Grundlage von Werkverträgen.

Höll ist also kein Einzelfall. Trotzdem verdient er besondere Erwähnung wegen der Dreistigkeit, mit der hier vorgegangen wurde. Während in den meisten Betrieben ein schleichender Wechsel von Vollzeitsarbeitsplätzen zu Werkvertrags-Einstellungen vor sich geht oder Neueinstellungen auf dieser Grundlage vorgenommen werden, sind hier im Rahmen eines Insolvenzverfahrens 102 Arbeiterinnen und Arbeiter mit Vollzeitverträgen vor die Tür gesetzt und bereits eine Schicht später durch Niedriglohnarbeiter mit Werkverträgen ersetzt worden. Die Hemmungslosigkeit, mit der die Rechte von Arbeitern mit Füßen getreten werden, hat damit eine neue Dimension erreicht.“

http://www.wsws.org/de/articles/2012/02/werk-f17.html

 

Vergleich mit anderen Ländern

 

„Wie in Deutschland gilt in Frankreich der Grundsatz Equal Pay / Equal Treatment. Der entscheidende Unterschied: Ausnahmen gibt es nicht. Ab dem allerersten Tag im Entleihbetrieb steht allen Leiharbeitnehmerinnen und –arbeitnehmern der gleiche Lohn zu wie ihren festangestellten Kollegen. Und damit nicht genug. Als Aufwandsentschädigung für die Befristung des Arbeitsverhältnisses müssen die Entleihbetriebe sogar 10 Prozent Aufschlag zahlen.

Keine kurzfristigen Kostensenkungen durch Leiharbeit

Für französische Unternehmen lohnt sich der Einsatz von Leiharbeit also nur, um bei Engpässen vorrübergehend über mehr Arbeitskraft zu verfügen. Zur kurzfristigen Senkung von Personalkosten taugt Leiharbeit nicht. Derartiger „Missbrauch“ wird zusätzlich durch eine Begrenzung der Einsatzdauer verhindert. Grundsätzlich gilt eine maximale Verleihfrist von 18 Monaten. Doch auch für kürzere Auftragsverhältnisse gilt prinzipiell, dass Leiharbeitskräfte keine regulären Beschäftigten ersetzen dürfen. Entsprechend dauerte der durchschnittliche Einsatz eines Leiharbeitnehmers im Jahr 2007 auch nur 9,5 Tage. Zum Vergleich: In Deutschland dauerten vier von zehn Einsätzen länger als 3 Monate.

Kein Beschäftigungsrückgang durch Regulierung

Wirtschaftsliberale in Deutschland werden nicht müde zu warnen, eine striktere Regulierung von Leiharbeit mache ihre Nutzung unattraktiv. Ein Blick über die Grenze nach Frankreich würde ihnen zeigen, wie weit sie mit dieser Einschätzung daneben liegen. Trotz der vergleichsweise strikten Regulierung gibt es dort sogar mehr Leiharbeitnehmer als in Deutschland. Im Jahr 2007 wurden über 637.000 gezählt, in Deutschland waren es zum Vergleichszeitpunkt rund 23.000 weniger. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass Leiharbeit dort besser bezahlt wird als in Deutschland. Zudem legt das Durchschnittsalter der französischen Leiharbeitskräfte nahe, dass diese Art der Beschäftigung oft als Einstieg in den Arbeitsmarkt genutzt wird. Nur 32 Prozent sind über 35 Jahre alt. In Deutschland hingegen wird Leiharbeit bekanntermaßen für viele Beschäftigte zur Sackgasse. Hier liegt das Durchschnittsalter bei über 37 Jahren.

Bewertung: Effektive Regulierung ohne Beschäftigungsverlust

Für Beschäftigte in Frankreich bedeutet Leiharbeit also zwar immer noch mehr Unsicherheit als eine Festanstellung. Diese wird jedoch nicht noch verschärft durch schlechtere Bezahlung, wie hierzulande. Im Gegenteil, Unternehmen müssen die gewonnene Flexibilität durch eine Art „Prekaritätsprämie“ von 10 Prozent über den jeweiligen Tariflohn abgelten.“

https://www.gleichearbeit-gleichesgeld.de/leiharbeit/leiharbeit-in-der-eu/frankreich/

„Fazit: Ein verlorenes Jahrzehnt für Deutschland

Stärker als alle anderen EU-Länder ist Deutschland seit rund einem Jahrzehnt geprägt durch eine massive Zunahme von atypischen, oftmals prekären Arbeitsverhältnissen, die durch eine hohe Arbeitsplatzunsicherheit, geringe Löhne und entsprechend niedrige Sozialleistungen gekennzeichnet sind. Dies hat die Frage aufgeworfen, in welcher Weise die betroffenen Beschäftigten besser unterstützt werden können. Dabei wird neben der Forderung nach einem allgemeinen Mindestlohn oder nach Korrektur von eklatanten Fehlentwicklungen (wie im Bereich der Minijobs) immer wieder auch die besondere Bedeutung eines verbesserten Zugangs zu Weiterbildung hervorgehoben, der eine grundlegende Bedingung für Beschäftigungssicherheit darstellt.

Mit Blick auf die Regulierung von Leiharbeit in anderen europäischen Ländern hat dieser Artikel deutlich gemacht, dass es konkrete Gestaltungsansätze in der Leiharbeit gibt, die nicht einzig auf Lohngerechtigkeit und Einkommenssicherheit zielen, sondern die auch auf eine Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit sowie die Förderung von Arbeitsmarktübergängen hinwirken.

Deutlich wird, dass Deutschland hier noch in den Kinderschuhen steckt. Allerdings konnten in jüngster Zeit zumindest eklatante tarifpolitische Fehlentwicklungen wie das Auftreten der CGZP-Tarifverträge korrigiert werden und mit den Vereinbarungen zu Branchenzuschlägen erste Ergebnisse in Richtung Einkommensverbesserung erzielt werden. Gleichzeitig verdeutlichen die hier beschriebenen Länderbeispiele aber auch, dass es weitergehender Gestaltungsansätze bedarf, um die Brückenfunktionen der Leiharbeit zu stärken und Beschäftigte bei Übergängen in Normalarbeitsverhältnisse aktiv zu unterstützen. Eine Schlüsselfunktion spielen hier die Erfahrungen der gemeinsamen Weiterbildungs- und Sozialfonds sowie entsprechende branchenweite Tarifvereinbarungen.

Hier ist der Blick auf die Rolle der Arbeitgeberorganisationen in Belgien, Frankreich und Italien höchst interessant, da es sich ja bei diesen Ländern keinesfalls um Fälle handelt, die für konfliktfreie und harmonische Beziehungen zwischen den Sozialpartnern bekannt sind. Gleichwohl verdeutlichen die hier geschilderten nationalen Beispiele, dass es zum Thema Leiharbeit Handlungsfelder gibt, in denen Arbeitgeber und Gewerkschaften ähnliche Interessen haben. Zu nennen ist hier insbesondere die Qualifizierung und Weiterbildung der Beschäftigten. Dabei haben die Arbeitgeberorganisationen nicht nur ein Interesse daran, das Image der Leiharbeitsbranche aufzuwerten, sondern auch daran, die Leiharbeit als beschäftigungspolitisches Instrument zur Förderung von Arbeitsmarktübergängen, insbesondere zur Integration von benachteiligten Gruppen in den Arbeitsmarkt, in der öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung zu platzieren.

Wenngleich es nach wie vor insbesondere mit Blick auf konkrete Arbeitsbedingungen und die Qualität der Leiharbeit an vergleichenden und evidenzbasierten Studien und Untersuchungen fehlt (so mangelt es insbesondere an vergleichenden Daten und Analysen zur Einkommenssituation und zu den Effekten von Weiterbildungsaktivitäten), lassen doch die z. B. in den Niederlanden oder Frankreich vorhandenen Untersuchungen vermuten, dass sich die bilateralen Regulierungsansätze insbesondere auch im Bereich der beruflichen Bildung nicht nur für die Unternehmen – Leiharbeitgeber wie Nutzer – auszahlen, sondern auch positiv auf den Status und die Beschäftigungsperspektiven der in der Leiharbeit beschäftigten Menschen auswirken.

Verglichen mit den vorhandenen Ansätzen zur Regulierung der Leiharbeit in den hier beschriebenen Ländern fällt Deutschland zurück – zugespitzt ausgedrückt, kann man hierzulande von einem verlorenen Jahrzehnt (tarif)politischer Gestaltung sprechen. Das erstaunt umso mehr, als gerade angesichts des spezifischen deutschen Modells der industriellen Beziehungen auf betrieblicher wie branchenspezifischer Ebene zu erwarten gewesen wäre, dass sich allemal ähnliche Mechanismen der Regulierung und Ausbalancierung von Flexibilität und Sicherheit bzw. Förderung flexibler Arbeitnehmer herausbilden würden, wie dies in einigen anderen europäischen Ländern der Fall ist. Stattdessen aber ist der hiesige Umgang mit Leiharbeit nach wie vor geprägt von heftig geführten Debatten und Konflikten in betrieblichen, branchenpolitischen wie gesellschaftspolitischen Räumen. Es dominiert eine hartnäckige Verweigerungshaltung innerhalb des Arbeitgeberlagers, mehr Sicherheiten für Leiharbeitsbeschäftigte zu schaffen – es fehlt aber auch an einer branchenübergreifenden Strategie der Gewerkschaftsbewegung. Auch das Regierungshandeln lässt in puncto Leiharbeit eine arbeitspolitische Orientierung vermissen – zu prioritär ist das letztlich auch wahlpolitisch motivierte Ziel, mit einer möglichst geringen Arbeitslosenquote dazustehen, unabhängig davon, welche Nachteile die Leiharbeit für die Beschäftigten mit sich bringt. Insofern wurde die Debatte über die Regulierung von Leiharbeit in den letzten Jahren fast ausschließlich von der Kampagnenfähigkeit der Gewerkschaften in Gang gehalten bzw. durch die erforderliche Umsetzung des Gleichbehandlungsprinzips der EURichtlinie neu entfacht. Diese Impulse haben schließlich auch zu den Tarifvereinbarungen für Branchenzuschläge geführt.

Zu hoffen bleibt, dass sich die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen zur Regulierung der Leiharbeit auch in Deutschland künftig weiter verbessern werden. Es geht um weitergehende tarifliche Vereinbarungen, etwa zur Verbesserung der sozialen Sicherung, zur Fort- und Weiterbildung von Leiharbeitnehmern (und anderen atypisch Beschäftigten); und es geht um Maßnahmen, die insgesamt geeignet sind, die Arbeitsmarktübergänge zu fördern und Segmentierungstendenzen entgegenzuwirken.“

https://www.boeckler.de/wsimit_2013_08_voss.pdf

 

Geschwätz von gestern

 

Die Bundestagsrede von Andrea Nahles vom 17.12. 2010 zu einem Antrag der SPD-Fraktion, den Missbrauch der Leiharbeit zu verhindern.

Mensch sollte nicht vergessen, dass es die SPD war, die diesen Missbrauch erst möglich gemacht hat und deren Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement nach seiner politischen Tätigkeit Aufsichtsrat des Zeitarbeitsunternehmens DIS Deutscher Industrie Service wurde. Siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/176-personifizierter-drecksack.html .

„Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Praxis der Leiharbeit in Deutschland ist verkommen. Vor zehn Jahren wurden Leiharbeiter noch zur Abdeckung von Auftragsspitzen eingestellt. Mittlerweile werden sie eingestellt, um sie auszunutzen und zu missbrauchen und um in den Betrieben Lohndumping zu betreiben und die Tarifverträge der Stammbelegschaften auszuhebeln. Deswegen muss der Missbrauch der Leiharbeit in Deutschland beendet werden. Das wird durch diese schwarz-gelbe Koalition leider verhindert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Realität ist doch, dass Leiharbeiter bis zu 50 Prozent weniger verdienen als ihre Kollegen, obwohl sie die gleiche Arbeit machen. Die Realität ist doch, dass sie immer wieder um ihre Jobs bangen. Die Realität ist doch, dass Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter kaum Aufstiegschancen haben, nicht qualifiziert werden und nach ihrem Einsatz in dem Betrieb, der sie gebraucht hat, im Übrigen kaum übernommen werden. Deswegen bedeutet Leiharbeit Entwürdigung der Arbeit. Würde ist bei der Arbeit aber notwendig, damit die Menschen weiter motiviert sind.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man sich den Gesetzentwurf dieser Regierung anguckt, dann stellt man fest: „Würde“ kennt Schwarz-Gelb nur als Konjunktiv; als Substantiv ist Ihnen dieser Begriff fremd. Das muss man einmal ganz klar festhalten. Das, was hier vorgelegt wird, ist ein kleiner Gesetzentwurf für ein großes Problem …

Nun haben Sie, Frau Ministerin, in dieser Woche endlich etwas vorgelegt. Aber was liegt denn hier vor? Das ist doch ein Schlag ins Gesicht eines jeden, der an diesem Thema wirklich interessiert ist und eine Lösung für die Leiharbeit in Deutschland will.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist doch eine Bagatellisierung der Leiharbeit. Die Situation wird im Grunde genommen noch bunter, wenn Sie sagen: Nur dann soll es gleichen Lohn für gleiche Arbeit geben, wenn der Arbeitgeber die Leute entlässt und innerhalb von sechs Monaten im Wege der Leiharbeit wieder einstellt. Man könnte auch sagen: Das, was wir in Deutschland bisher als Missbrauch bezeichnet haben, wird jetzt noch salonfähig gemacht. Das ist doch der Gegenstand Ihres Gesetzes. Dazu kann ich nur sagen: Den Stempel „rechtmäßig“ werden wir Ihnen für die Leiharbeit nicht geben, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen: Es ist schon ziemlich verlogen, wenn die FDP, um den Mindestlohn in der Leiharbeit zu verhindern, nun funkt, sie sei für Equal Pay. Das hat mich persönlich überrascht, Herr Kolb. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das glaube ich Ihnen unbesehen!)

Ich dachte: Mein Gott, späte Erkenntnis ist auch eine Erkenntnis. Aber auch hier ist es so, dass Sie von der FDP Equal Pay erst nach sechs Monaten wollen. Das bedeutet, dass nur ein Bruchteil der Leiharbeiter jemals in den Genuss von gleichem Lohn für gleiche Arbeit kommen wird. Die Hälfte der Leiharbeiter arbeitet im Durchschnitt nicht länger als drei Monate. Das, was die FDP vorschlägt, ist so wie freiwillig Schneeschippen anmelden, aber im Sommer. Mehr ist dieses Ganze nicht, was Sie da vorlegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (...)

Wir entrechten die Leute, wir nutzen sie aus. Wir schauen bei Ausbeutung zu. Und diese Regierung ist nicht in der Lage, dem Ganzen einen Riegel vorzuschieben, wie Frau von der Leyen es angekündigt hatte.

(Beifall bei der SPD – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!)

Wenn ich sage, die Leiharbeit und die Praxis von Leiharbeit in diesem Land sind verkommen, muss ich feststellen, dass man dies mittlerweile für den gesamten Arbeitsmarkt sagen muss. Dieser ist nämlich auch verkommen, weil viele junge Menschen als Erstes die folgende Berufserfahrung machen: Leiharbeit, unbezahlte oder wenig bezahlte Praktika, sachgrundlose Befristungen. Jede zweite Neueinstellung ist befristet.

Das heißt für mich: Es geht nicht nur darum, meine Damen und Herren von der Koalition, jeden Monat die Arbeitsmarktstatistik abzufeiern; Hauptsache, die Zahlen gehen runter. Nein, es geht nicht um Zahlen, es geht um Menschen, die hinter den Zahlen stehen. Diese verdienen gute Arbeit, sie verdienen anständige Bezahlung. Sie brauchen auch eine Perspektive für das Leben. Das alles verbindet sich mit dem Thema Leiharbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition eiert zwischen Mindestlohn und Equal Pay herum. Wir legen hier einen Antrag vor, in dem es um gleiches Geld für gleiche Arbeit geht, weil nur das gerecht ist. Es geht um den Mindestlohn, um auch zwischen zwei Einsätzen eine angemessene Bezahlung zu sichern. Es geht um die Beschränkung von Leiharbeitseinsätzen auf ein Jahr, weil nach einem Jahr wirklich klar sein müsste, ob man den Menschen braucht und ihn einstellen muss oder nicht. Schließlich wollen wir, dass Leiharbeiter nicht mehr als Streikbrecher missbraucht werden. Deswegen müssen sie in die Mitbestimmung einbezogen werden, und die Mitbestimmung darf nicht ausgehebelt werden.

In diesem Sinne fordere ich Sie auf: Stimmen Sie diesem Antrag zu, machen Sie eine gerechte Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland! Wenn Sie es nicht tun, wird es Ihnen noch böse auf die Füße fallen. Es ist nur schade, dass wir jetzt vor Weihnachten weiter auf Sie warten müssen. Eine vernünftige Equal-Pay-Regelung für alle Leiharbeiter wäre doch wirklich ein schönes Päckchen unterm Weihnachtsbaum. Geben Sie sich einen kleinen Schubser und stimmen Sie unserem Antrag zu.“

http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/17/17082.pdf (S.9188ff)

Seitdem Andrea Nahles Arbeitsministerin wurde, hat sich die Lage der Leiharbeiter eher verschlechtert als verbessert. Worte und Taten …

 

Gleiche Bezahlung?

 

Aus dem Faktencheck der „Anstalt“: https://www.zdf.de/assets/faktencheck-mai-102~original?cb=1497551487720

Die Hälfte aller Leiharbeiter ist nur 3 Monate beschäftigt

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/096/1809664.pdf

Ein weiteres Viertel der Leiharbeiter zwischen 6-9 Monate.

Beschäftigungsdauer von Leiharbeitern:

0-3 Monate 48 %

3-9 Monate 24 %

9-18 Monate 13%

mehr als 18 Monate 15%

https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Branchen-Berufe/generische-Publikationen/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf

 

Nach neun Monaten, da gilt Equal Pay?

Nur 25 % sind so lang im Betrieb

http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-05/zeitarbeit-leiharbeit-kuendigungsschutz-equal-pay-lohndumping-arbeitsrecht

 

Es sei denn...

die Tarifpartner einigen sich: Gleiche Bezahlung erst nach 15 Monaten

http://www.taz.de/!5301483/

 

Die Leiharbeiter fallen unter das Gesetz! Aber die fängt der Tarifvertrag auf.

Leiharbeit: Tariflöhne, die schlechter sind als im Gesetz garantiert.

Prof. Stefan Sell über eine Branche in der die Welt Kopf steht:

https://aktuelle-sozialpolitik.blogspot.de/2017/04/leiharbeit.html

 

Tariflöhne in der Leiharbeit

http://www.taz.de/!5086011/

 

Gewerkschaftsnahe Böckler-Stiftung zu den Details

https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_32_2016.pdf

 

Aber nach 18 Monaten müssen sie übernommen werden?!

Nur 14 Prozent sind länger als 18 Monate in Betrieb

http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-05/zeitarbeit-leiharbeit-kuendigungsschutz-equal-pay-lohndumping-arbeitsrecht

 

Es sei denn die Tarifpartner vereinbaren eine längere Ausleihzeit.

Der neue Leiharbeitstarifvertrag - 48 Monate Leiharbeit möglich

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/leiharbeit-in-deutschland-bis-zu-48-monate-in-der-metallindustrie-moeglich-a-1143881.html

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1048568.zementierte-spaltung.html

 

Die IG Metall verteidigt ihren Tarifvertrag mit 48 Monaten Leiharbeitszeit

https://www.igmetall.de/26-2017-25361.htm

https://www.jungewelt.de/artikel/309862.die-ig-metall-ist-kein-freund-der-leiharbeit.html

 

Kritik an IG Metall Tarifpolitik zu Leiharbeit

http://www.labournet.de/politik/alltag/leiharbeit/leiharbeit-gw/hoechstueberlassungsdauer-der-metall-und-elektroindustrie-geknackt-ig-metall-stimmt-zeitarbeit-bis-zu-vier-jahren-zu/

 

Keine Angst, die 48 Monate sind keine feste Obergrenze

in einem Tarifvertrag (der Tarifparteien der Einsatzbranche wohlgemerkt) können abweichende Regelungen und eine längere Einsatzdauer vereinbart werden. Damit gibt es im Fall der tarifvertraglichen Regelung nach oben keine definierte Grenze bei der Überlassungsdauer.

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2017/05/dchb_052017.pdf

 

Nach 18 Monaten kann der nächste Leiharbeiter anfangen

https://aktuelle-sozialpolitik.blogspot.de/2016/10/227.html

 

Vorübergehend für vier Jahre Leiharbeiter oder Leiharbeiterin

http://www.taz.de/Leiharbeiter-im-Dauereinsatz/!5085963/

http://www.taz.de/Musterprozess-um-Festanstellung/!5081508/

 

Gewerkschaften machen mit

 

Es gibt Arbeitnehmer-Vertreter, die die Interessen der Arbeitnehmer vertreten. Allerdings: je höher das Gehalt, je höher die Macht, je selbstverständlicher der Umgang mit Millionären – umso mehr werden deren Interessen vertreten.

Wie viele Menschen gibt es, die im Jahr mehrere hunderttausend Euro verdienen und sich gleichzeitig für die Schicksale von Menschen interessieren, die von einer Zeitarbeitsfirma „ausgeliehen“ sind oder einen „Werkvertrag“ haben?

Dietmar Henning schildert solch einen Fall: „Dass die Betriebsratsvorsitzenden großer Konzerne unverschämt viel Geld verdienen, ist ein offenes Geheimnis. Dennoch überraschen die konkreten Zahlen, die hin und wieder an die Öffentlichkeit gelangen, immer wieder. So auch jetzt, nachdem bekannt geworden ist, mit welchem Salär der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des VW-Konzerns, Bernd Osterloh, bedacht wird. Sein Grundgehalt von rund 200.000 Euro im Jahr ist durch Boni auch schon mal auf 750.000 Euro gestiegen, das sind 62.500 Euro im Monat …

Osterloh selbst sagte der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung (WAZ) in einem Interview: „Das Wichtigste: Gegen mich wird nicht ermittelt. Und ich bin mit mir auch im Reinen.“ Das Gehalt werde vom Unternehmen festgelegt, dafür gebe es klare Regeln. Neben dem Betriebsverfassungsgesetz gebe es bei VW zusätzlich Bestimmungen zur Betriebsratsvergütung. „Diese Regeln sind mehrfach in Zusammenarbeit mit externen Experten überprüft worden.“ Er werde genauso behandelt, „wie alle anderen Manager (!) im entsprechenden Status“, sagte er.

Der VW-Betriebsrat betont, dass Osterloh das Zehnfache verdienen würde, wenn er wie ursprünglich geplant anstelle Blessings den Posten des Personalvorstands übernommen hätte. Dieser Plan war als Folge des Abgasbetrugs gescheitert. „Ginge es mir ums Geld, wäre ich nicht mehr Betriebsratschef“, sagte Osterloh selbst der Braunschweiger Zeitung:

Laut Betriebsverfassungsgesetz übt der Betriebsrat ein Ehrenamt aus. Er soll weder Nach- noch Vorteile durch seine Tätigkeit haben. Das Gesetz legt fest, dass Betriebsräte in der gleichen Eingruppierung bleiben und finanziell nicht besser oder schlechter gestellt werden dürfen als Kollegen, die eine vergleichbare Tätigkeit ausüben. Zudem soll die Bezahlung gemäß ihren Aufstiegschancen steigen.

Offenbar ist für Gewerkschafter der (Geld)-segenreichste Aufstieg der Aufstieg zum Betriebsrat. Der gelernte Industriekaufmann Osterloh war bereits 1990 in den VW-Betriebsrat eingezogen und hatte 15 Jahre später, 2005, dessen Vorsitz übernommen. Sein Vorgänger Klaus Volkert hatte ebenso wie Personalchef Hartz seinen Hut nehmen müssen, weil der eine (Hartz) dem anderen (Volkert) Prostituierte und Luxusreisen auf Konzernkosten spendiert hatte. Volkert, der später wegen „Untreue“ verurteilt wurde und fast zwei Jahre in Haft saß, hatte für seine Betriebsratstätigkeit weit mehr als 300.000 Euro im Jahr erhalten.

Als Osterloh 2005 die Nachfolge Volkerts antrat, betonte er, bei ihm gelte das „Prinzip der gläsernen Kasse“. Sein Gehalt bezifferte er zu diesem Zeitpunkt auf 6.500 Euro brutto monatlich oder 78.000 Euro im Jahr. Das dürfte das „normale“ Gehalt als „einfacher Betriebsrat“ gewesen sein, bevor er ein Jahr zuvor Stellvertreter Volkerts geworden war. Bereits 2008 äußerte sich Osterloh erneut über sein Gehalt. Es war innerhalb von drei bis vier Jahren auf 120.000 Euro gestiegen.

Weitere sieben Jahre später betrug das Grundgehalt bereits 200.000 Euro – auch ohne Boni eine Gehaltssteigerung von 256 Prozent in zwölf oder dreizehn Jahren. Mit Boni „lag mein Jahresgehalt einmal bei rund 750.000 Euro“, berichtete Osterloh im Interview der WAZ und schob nach: „Aktuell ist es erheblich niedriger.“ Die weit über 200.000 Euro, die er jedes Jahr erhält, weil er auch im Präsidium des Aufsichtsrates sitzt, sind hier noch gar nicht mitgezählt.

Die Zahlungen an die IG-Metall-Personalvorstände und Betriebsratsvorsitzenden sind Teil eines korrupten Gewerkschaftsnetzwerks innerhalb des VW-Konzerns. Uwe Hücks bei Porsche und Peter Mosch bei Audi dürften kaum weniger erhalten. Doch so korrupt die IG Metaller auch sein mögen, was macht die Betriebsratsvorsitzenden im Volkswagen-Konzern so wertvoll?

Der 60-jährige Osterloh wird von allen bürgerlichen Medien als „Deutschlands mächtigster Arbeiterführer“ tituliert. Osterloh erhält sein Geld nicht, weil er „auf Augenhöhe“ mit den Managern verhandeln muss. Er erhält Millionen, weil er die Arbeit des Managements macht.

Das sogenannte VW-Modell, in dessen Rahmen Vorstand, Gewerkschaft, Betriebsräte und Niedersachsens Landesregierung als Anteilseigner aufs Engste zusammenarbeiten, galt jahrzehntelang als Modell der „deutschen Mitbestimmung“ und des „Co-Managements“. Mittlerweile ist es ein Paradebeispiel für die Verwandlung der Gewerkschaften und ihrer betrieblichen Vertreter in arbeiterfeindliche Konzernabteilungen.

Bei VW arbeiten Betriebsrat und IG Metall nicht nur eng mit der Konzernleitung zusammen, um Management-Entscheidungen nach unten durchzusetzen, sondern sie entwerfen und planen den Arbeitsplatzabbau und begründen ihn gegenüber dem Management. In den Gewerkschaftshäusern und Betriebsratsbüros werden die Strategiepläne gegen die Beschäftigten entwickelt.

In einem Interview mit dem Manager Magazin erklärte Osterloh, dass die Betriebsräte die Idee für den im November letzten Jahres beschlossenen Zukunftspakt hatten. „Wenn Dinge nicht passieren, die eigentlich gemacht werden müssten, dann spreche ich das an“, erklärte Osterloh wörtlich.

Die IGM-Funktionäre Blessing und Osterloh haben diesen „Zukunftspakt“ gemeinsam ausgearbeitet, der den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen verbunden mit massiven Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen beinhaltet.“

https://www.wsws.org/de/articles/2017/05/16/oste-m16.html

Alles Weitere braucht mensch nicht mehr zu verwundern.

Stefan Sell: „Wenn die Leiharbeiter in der Leiharbeit per Tarifvertrag eingemauert werden und ein schlechtes Gesetz mit gewerkschaftlicher Hilfe noch schlechter wird

Hat die Gewerkschaft ihre Koordinaten verloren und taumelt sie jetzt orientierungslos durch die prekäre Zone der Arbeitswelt, die sie jahrelang mit Kampagnen und wortgewaltigen Verurteilungen gebrandmarkt hat? Diese Frage mag sich dem einen oder anderen nach der Konfrontation mit dieser Nachricht durchaus stellen: IG Metall stimmt Zeitarbeit bis zu vier Jahren zu: »In der Metall- und Elektroindustrie können Leiharbeiter künftig bis zu 48 Monate in einem Betrieb beschäftigt werden - statt 18 Monaten, wie es das seit 1. April in Kraft getretene Gesetz vorsieht.« Im vergangenen Jahr hatte die Große Koalition das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) mit Wirkung zum 1. April 2017 geändert, u.a. wurde festgelegt, dass ein Leiharbeiter maximal 18 Monate lang an denselben Betrieb ausgeliehen werden darf. »Es sind jedoch Ausnahmen möglich, wenn Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften abweichende Vereinbarungen treffen. Im Fall der Metall- und Elektroindustrie haben sich der Arbeitgeberverband Gesamtmetall und die IG Metall auf die Änderungen verständigt.« Der Gewerkschaft scheint selbst mulmig zu sein, folgt man den Rechtfertigungsversuchen, die in dem Artikel zitiert werden:

IG-Metall-Vorstandsmitglied Juan-Carlos Rio Antas sagte: "Das ist aber nur möglich, wenn die Arbeitnehmervertreter dem freiwillig zustimmen." Zudem verweist die Gewerkschaft darauf, dass die obligatorische Betriebsvereinbarung den Betriebsräten die Möglichkeit biete, die Bedingungen für Leiharbeiter zu verbessern, etwa durch zusätzliche Zulagen oder eine höhere Eingruppierung.

Wenn ..., Möglichkeit ... - das klingt weitaus weniger konkret als diese Feststellung: "Die Arbeitgeber zeigten sich zufrieden mit der Regelung." »Während am Mittwoch von der IG Metall offiziell auf Anfrage kein Statement zu bekommen war, bestätigte Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander ... den Abschluss einer entsprechenden Rahmenvereinbarung zwischen den Tarifparteien auf Bundesebene. Auf die Inhalte habe man sich bereits im Februar geeinigt. Alles werde nun in den kommenden Wochen voraussichtlich zügig in regionale Tarifverträge mit den jeweiligen, für die Tarifpolitik federführenden IG-Metall-Bezirken einfließen«, berichtet Hans-Gerd Öfinger in seinem Artikel Zementierte Spaltung. »Gesamtmetall sei sich mit der Gewerkschaft einig, dass ohne konkreten Sachgrund künftig eine Verleihdauer von maximal 48 Monaten möglich sein soll, wenn dies freiwillig zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung vereinbart wurde.« Und dann gibt es noch einen Schluck aus der Pulle (für die Arbeitgeber) dazu: »Bestünden Sachgründe, etwa in Form konkreter Projekte, so solle - ebenfalls auf freiwilliger Basis - eine über 48 Monate hinausgehende Verleihdauer möglich sein.« Kein Wunder, dass sich die Arbeitgeber zufrieden zeigen …

Verkehrte Welt? Wie kann das alles sein? Da begrenzt ein Gesetz die für Leiharbeiter zulässige Überlassungshöchstdauer auf 18 Monate und die Gewerkschaft schließt mit den Arbeitgebern einen Tarifvertrag, der diese Höchstdauer nicht etwa nach unten begrenzt, sondern sie erheblich verlängert? An dieser Stelle muss allerdings daran erinnert werden, was für ein Gesetz die Große Koalition da im vergangenen Oktober unter Federführung der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) in die Welt gesetzt hat. Das Gesetzgebungsverfahren und das Ergebnis ist in diesem Blog intensiv und kritisch begleitet worden. Dass das, was IG Metall und Arbeitgeber da vereinbart haben, in dem Gesetz bereits angelegt ist, wurde beispielsweise in diesem Beitrag herausgearbeitet: Ein "kleingehäckseltes" koalitionsvertragsinduziertes Abarbeitungsgesetz zu Leiharbeit und Werkverträgen, veröffentlicht am 21. Oktober 2016. Dort findet man bereits die Quelle für das, was die teilweise sicher erstaunte Öffentlichkeit jetzt, im April 2017, zur Kenntnis nehmen muss:

Die Zielsetzung des Koalitionsvertrags hinsichtlich der Überlassungsdauer lässt sich auf diese Formel eindampfen: 18 (+ x).

Damit ist das hier gemeint: Die Präzisierung des „vorübergehenden“ Verleihs soll durch eine Fixierung der zulässigen Höchstdauer auf 18 Monate präzisiert werden – zugleich werden „abweichende Lösungen“ durch tarifvertragliche Regelungen in Aussicht gestellt. Was ist daraus geworden? Auch hier wieder ein Formel-Ansatz:

18 + (ohne Obergrenze) oder (24).

Das sieht nicht nur nicht einfacher aus, sondern ist auch komplizierter und (noch) problematischer als schon der ursprüngliche Ansatz mit den 18 Monaten, geschweige denn der tarifvertraglichen Öffnungsklausel.

Wir bekommen also eine "Obergrenze" von 18 Monaten. Sogleich folgt allerdings die Umsetzung der (+ x)-Öffnungsklausel, denn in einem Tarifvertrag (der Tarifparteien der Einsatzbranche wohlgemerkt) können abweichende Regelungen und eine längere Einsatzdauer vereinbart werden. Damit gibt es im Fall der tarifvertraglichen Regelung nach oben keine definierte Grenze bei der Überlassungsdauer. Aber es kommt noch "besser": Diese Option gilt aber nicht nur für tarifgebundene Unternehmen auf der Entleiher-Seite, denn: Im Geltungsbereich eines Tarifvertrages der Einsatzbranche können auch nicht tarifgebundene Entleiher von der Höchstüberlassungsdauer abweichende tarifvertragliche Regelungen durch Betriebs- oder Dienstvereinbarungen übernehmen. Bei denen wird dann aber eine zweite Höchstüberlassungsdauergrenze eingezogen, die bei 24 Monate liegt.

Offensichtlich geht hier einiges durcheinander. Das Ziel einer Stärkung der Tarifparteien (das hebt die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) immer so hervor) wird erkennbar, zugleich aber hinten rum wieder ausgehebelt. Die zitierte Öffnungsklausel konterkariert im Ergebnis die Besserstellungsabsicht der Tarifebene, da den nicht-tarifgebundenen Unternehmen ein weitgehend gleicher Vorteil ermöglicht wird, so dass mehr als begründungsbedürftig ist, wo hier eine anvisierte Stärkung der Tarifbindung angereizt werden soll. Eher das Gegenteil ist der Fall.

Und mal grundsätzlich gedacht: Ist es nicht eigentlich der Sinn tarifvertraglicher Regelungen, dass damit die Arbeitnehmer besser gestellt werden und gerade nicht schlechter? Man muss sich klar machen: Hier wird durch einen Tarifvertrag eine Abweichung ermöglicht, bei dem sich die betroffenen Leiharbeitnehmer schlechter stellen als würde es nur die gesetzliche Begrenzung auf 18 Monate geben.

Und genau das ist jetzt umgesetzt worden. »Unterdessen mehren sich unter Gewerkschaftern auch kritische Stimmen, die in einer heraufgesetzten Verleihdauer einen weiteren Vorstoß zur Verewigung von Leiharbeit und damit zur Zementierung der Spaltung der abhängig Beschäftigten durch die Prekarisierung von Arbeitsbedingungen sehen. »Damit wird Leiharbeit immer mehr verewigt«, befürchtet ein ehemaliger VW-Betriebsrat aus Wolfsburg«, so Hans-Gerd Öfinger in seinem Artikel Zementierte Spaltung.

»Diesen Abschluss hätte ich von christlichen Gewerkschaften erwartet, aber nicht von der IG Metall. Wenn das Gesetz am Ende besser ist als der Tarifvertrag, dann fragt sich der mündige Gewerkschafter, wozu er eine Gewerkschaft braucht, die solche Tarifverträge abschließt«, kommentierte die niedersächsische Bundestagsabgeordnete und IG-Metall-Gewerkschaftssekretärin Jutta Krellmann (LINKE): »Leiharbeiter werden zur Verhandlungsmasse zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern gemacht. Unter den Augen und mit Zustimmung der IG Metall wird die Zwei-Klassen-Belegschaft weiter zementiert«, so die Gewerkschafterin.

Man kann das auch so formulieren wie bereits in meinem Beitrag Eine weichgespülte "Reform" der Leiharbeit und Werkverträge in einer Welt der sich durch alle Qualifikationsebenen fressenden Auslagerungen vom 1. April 2017: »Früher hat man noch lernen dürfen, dass Tarifverträge dazu dienen, die Situation der Arbeitnehmer zu verbessern. Das reformierte AÜG hingegen produziert eine irritierende Rolle rückwärts. Das von Andrea Nahles immer wieder vorgetragene Ziel einer Stärkung der Tarifparteien wird im AÜG jetzt so umgesetzt, dass zum einen die Besserstellungsabsicht der Tarifebene konterkariert wird, da den nicht-tarifgebundenen Unternehmen ein weitgehend gleicher Vorteil ermöglicht wird. Aber noch schlimmer: Die Tarifvertragsparteien (wohlgemerkt der Entleihbetriebe) können schlechtere Bedingungen für die Leiharbeiter vereinbaren und das auch noch verlängern. Tarifpolitik absurd, mag der eine oder andere an dieser Stelle denken.« Aber warum machen die Gewerkschaften, in diesem Fall die IG Metall, das mit? Hier bewegen wir uns als Beobachter natürlich auf einer spekulativen Ebene, aber eine durchaus plausible Vermutung könnte so lauten: Die IG Metall ist wie jede Gewerkschaft eine Mitgliedsorganisation, aber nicht alle Mitglieder sind gleich. Neben dem normalen Mitglied gibt es die Funktionäre, die Gewerkschaftsführung und eben auch besonders einflussreiche Mitglieder, die eine wesentlich größere Bedeutung haben als die normalen Mitglieder. Dazu gehören sicherlich die Betriebsräte der großen Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, in denen die Industriegewerkschaft quantitativ und qualitativ verankert ist. Und bei den Betriebsräten beispielsweise der deutschen Automobilhersteller ist klar, dass deren Unternehmen die Leiharbeiter als flexible Randbelegschaft fest eingeplant haben, dass sie nicht auf sie verzichten wollen und werden, wenn man sie dazu nicht zwingt. Und das - hier wird es heikel - die schlechteren Bedingungen, unter denen die Leiharbeiter arbeiten müssen, gleichsam eingepreist sind in den wesentlich besseren Bedingungen der Stammbelegschaft, die also von der Randbelegschaft gleichsam "profitiert".

Und man könnte auch durchaus die Vermutung aussprechen, dass hier ein Vertrag zu Lasten Dritter, also der Leiharbeiter, abgeschlossen wird, weil was wäre denn die Alternative für die Gewerkschaft? Dass die Arbeitgeber den Leiharbeitern die gleichen Bedingungen gewähren wie der Stammbelegschaft? Wünschenswert, aber aus Sicht der Arbeitgeber keine echte Option. Die würden auf eine Öffnung des bestehenden Tarifvertrags für die normalen Beschäftigten nach unten bestehen. Und genau das wird eine Gewerkschaft aus institutionenegoistisch nachvollziehbaren Gründen zu vermeiden versuchen, so lange es irgendwie geht.“ https://aktuelle-sozialpolitik.blogspot.de/2017/04/leiharbeit.html

 

Tarif-Verträge

 

Jutta Krellmann: „Die Deregulierungen am Arbeitsmarkt der letzten 20 Jahre haben aber ihre Spuren hinterlassen und Gewerkschaften nachhaltig geschwächt. Arbeitgeber haben sich systematisch aus der Tarifbindung verabschiedet, ohne dass Gewerkschaften diese Tarifflucht verhindern konnten. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse disziplinieren die Stammbelegschaften und verringern die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften. Heute gilt bundesweit nicht einmal mehr für die Hälfte der Beschäftigten ein Flächentarifvertrag und nur 27 Prozent der Betriebe sind tarifgebunden. Vor 20 Jahren waren es noch 43 Prozent.

Daher ist es dringend notwendig, die Tarifbindung wieder zu erhöhen. Wenn sich dieses Ziel neben der SPD sogar die CDU/CSU zu eigen macht, schrillen die Alarmglocken. Und tatsächlich: Beide wollen nicht die Organisationsmacht der Gewerkschaften stärken, sondern Tarifverträge für Arbeitgeber attraktiv machen. Der fatale Ansatz ist: In Gesetzen wird die Möglichkeit eröffnet, von genau diesen zu Ungunsten der Beschäftigten abzuweichen – aber nur durch Tarifvertrag.

Arbeitgeber sollen nicht mehr wie bisher von Gewerkschaften unter Druck gesetzt werden, um Tarifverträge abzuschließen, die Verbesserungen gegenüber gesetzlichen Mindeststandards garantieren. Stattdessen lockt der Gesetzgeber die Arbeitgeber in die Tarifbindung, indem er ihnen über sogenannte tarifdispositive Regelungen die Möglichkeit gibt, in ihrem Betrieb gesetzliche Schutzrechte zu unterlaufen. Das ist nicht nur eine gefährliche Strategie, sondern zugleich die Pervertierung von Tarifpolitik.

Das Argument, dass Gewerkschaften im Gegenzug zu solchen Verschlechterungen an anderer Stelle Verbesserungen aushandeln können, ist kurzsichtig. Solche Zugeständnisse können vielleicht in gut organisierten Branchen oder Betrieben ausgehandelt werden. In Bereichen aber, in denen die Verhandlungsmacht der Beschäftigten gering ist, werden die Arbeitgeber Verschlechterungen durchdrücken - ohne entsprechende Gegenleistung. Das wird eine Spirale der Schmutzkonkurrenz nach sich ziehen. Wenn Tarifverträge nicht mehr eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zum Ziel haben, verlieren sie für die Beschäftigten an Legitimation und Ansehen. Die Folgen einer Tarifflucht seitens der Beschäftigten für die Organisationsmacht der Gewerkschaften sind nicht absehbar.

Das Perfide an dieser Strategie ist, dass sich SPD und CDU/CSU als Verantwortliche entspannt zurücklehnen können, während jenen Gewerkschaften, die Tarifverträge unterhalb gesetzlicher Mindeststandards abschließen, der schwarze Peter zugeschoben wird. SPD und CDU/CSU sind für diese Strategie vehement zu kritisieren. Solche Gesetze sogar noch als Erfolg zur Stärkung der Tarifautonomie zu feiern, ist heuchlerisch. Die politische Absicht wird verschleiert und der gesellschaftliche Druck auf den Gesetzgeber verringert sich. Die Linke fordert, dass Schutzgesetze und gesetzliche Mindeststandards nicht zur Disposition gestellt werden. Wenn Gesetze keine untere Haltelinie mehr bilden, befinden sich die Arbeitsbedingungen im freien Fall und der Sozialstaat gibt seine Rolle als Gestalter und Ordnungsmacht auf.

Ein bekanntes Beispiel für das Scheitern dieser tarifpolitischen Strategie ist die Leiharbeitsbranche. Hier hatte der Gesetzgeber festgelegt, dass nur mit Tarifvertrag vom Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ abgewichen werden darf. Mit der Folge, dass zwar fast die gesamte Branche nun unter einen Tarifvertrag fällt, Equal Pay für die meisten Leiharbeitsbeschäftigten aber in weite Ferne gerückt ist. Mit den gesetzlichen Änderungen, die zum 1. April dieses Jahres in der Leiharbeit in Kraft getreten sind, gibt es weitere Öffnungsklauseln. Die Höchstüberlassungsdauer ist im Gesetz zwar auf 18 Monate festgesetzt, kann zukünftig aber mit Tarifvertrag verlängert werden.“

http://app.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/tarifpolitik-schlechter-mit-tarifvertrag/19770722.html

Wolfgang Däubler: »Seit zehn Jahren sorgen Tarifverträge – auch die der DGB-Gewerkschaften – dafür, dass Leiharbeiter enorme Zumutungen hinnehmen müssen.

Denken wir folgendes Szenario: Ohne Tarifverträge in der Leiharbeit würden Equal Pay und Equal Treatment gelten, wie es im Gesetz steht. Die DGB-Gewerkschaften müssten keinen Mindestlohn und keine Branchenzuschläge verhandeln. Denn die Leiharbeiter/innen würden bezahlt und behandelt wie Stammbeschäftigte. Und wenn Scheingewerkschaften Dumping-Verträge mit Arbeitgebern vereinbaren, dann helfen auch keine DGB-Tarife, sondern – wie im Fall der Christlichen Gewerkschaften Zeitarbeit (CZGP) – nur gerichtliche Mittel. Nichts anderes gilt für Billigtarife aus dem Ausland. Abgesehen davon, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nur nach deutschem Recht geschlossene Tarife gelten lässt. Billigtarife aus dem Ausland verhindern die DGB-Gewerkschaften nicht dadurch, dass sie den Verleiherverbänden mit dem Abschluss von Tarifverträgen entgegenkommen. Außerdem: Die Leiharbeitsrichtlinie der Europäischen Union verlangt, dass der ›Gesamtschutz‹ der Leiharbeiter nicht schlechter sein darf als der der Stammbeschäftigten. Das ist aber mit den DGB-Tarifen der Fall. Damit riskieren die DGB-Gewerkschaften, dass ihre Tarifverträge durch europäische Rechtsprechung für unwirksam erklärt werden.

Was könnten die DGB-Gewerkschaften jetzt also tun, damit Equal Pay und Equal Treatment greifen? Sie sollten erklären, dass sie jetzt und in Zukunft nicht mehr über Leiharbeitstarife verhandeln. Damit würden Tarifverträge nicht mehr die gleiche Bezahlung und Behandlung verhindern; in diesem Punkt gäbe es keine Nachwirkung mehr. Verhandeln sie aber wieder, müssen sich die DGB-Gewerkschaften unterstellen lassen, sie wollten in Wahrheit flexible Arbeitskräfte, die in wirtschaftlich schwierigen Zeiten als Erste gehen müssen.«

https://docs.google.com/file/d/0B4ZJAvyU6G4ONUFWczMzUllRcGM/edit

Stefan Sell: „Die Leiharbeit an sich ist sehr umstritten und oft Synonym für schlechte Arbeitsbedingungen. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die DGB-Gewerkschaften, die da mit den Leiharbeitsfirmen verhandeln, immer wieder genau dafür kritisiert werden, dass sie das überhaupt noch machen. Das klingt nur im ersten Moment mehr als irritierend vor dem Hintergrund, dass doch ansonsten Tarifverhandlungen zwischen den Unternehmen und den Gewerkschaften eines der höchsten Ziele der Gewerkschaften überhaupt ist - man denke an dieser Stelle nur an die seit gefühlt hundert Jahren andauernden Auseinandersetzungen zwischen der Gewerkschaft ver.di und Amazon mit immer wiederkehrenden Arbeitsniederlegungen. Da geht es darum, dass man erkämpfen will, dass der Arbeitgeber endlich mal in Tarifverhandlungen eintritt, wozu er bislang und überaus hartnäckig keine Bereitschaft erkennen lässt. Und in der Leiharbeit werden Gewerkschafter kritisiert, dass sie sich an einen Tarifverhandlungstisch setzen? Wie passt das zusammen? Ganz offensichtlich haben wir es mit einem Sonderfall zu tun, wie überhaupt Leiharbeit eine ganz eigene und besondere Form der Beschäftigung ist. Man kann das alles nur historisch verstehen. Die einfache Variante geht so: Als die Leiharbeit 2003 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung massiv dereguliert wurde, hat man sich darauf verständigt, dass (eigentlich) equal pay gelten soll, also die gleiche Bezahlung von Leiharbeitern und Stammbeschäftigten. Eigentlich, weil man zugleich ein scheunentorgroßes Schlupfloch aufgemacht hat, durch das die Verleihbetriebe mit Hilfe eines eigenen Tarifvertrags für die Leiharbeiter und damit abweichend von den Regelungen für die Stammbelegschaften in den Entleihbetrieben marschieren konnten. Wenn es also einen eigenen Tarifvertrag gibt, dann muss man sich nicht an equal pay halten, sondern kann die Leiharbeiter anders (und das heißt niedriger) vergüten. Aber - so wird der eine oder andere an dieser Stelle vielleicht einzuwerfen versuchen -, die Gewerkschaft muss sich doch nicht dafür hergeben und wenn sie nicht unterschreibt, dann gibt es auch keinen Tarifvertrag und keine damit verbundene Abweichungsoption von den gleichen Bedingungen wie die jeweilige Stammbelegschaft des Betriebes, in dem man ausgeliehen wird.

Das wäre richtig, wenn es nur eine einzige zuständige Gewerkschaft geben würde, aber dem war nicht der Fall. Zum einen passten die Leiharbeiter nicht in die branchenbezogene Struktur der DGB-Gewerkschaften, weshalb einige von ihnen ja auch eine Tarifgemeinschaft gebildet haben, die bis heute besteht. Zum anderen und wesentlich wichtiger aber ist der Tatbestand, dass die Arbeitgeber der Leiharbeitsbranche damals sehr wohl eine Alternative zu den DGB-Gewerkschaften hatten, da die "CGB-Gewerkschaften", also sogenannte "christliche Gewerkschaften" Gewehr bei Fuß standen, um mit den Arbeitgebern entsprechende Tarifverträge zu schließen. Der DGB schreibt dazu selbst in seinen Hintergrund-Informationen zur Tarifrunde 2016:

»In der Folge haben ab 2003 sog. christliche Gewerkschaften auf dieser Grundlage Dumping-Tarifverträge mit den Arbeitgeberverbänden abgeschlossen, in denen sehr niedrigere Entgelte vereinbart wurden. Die parallel von den Mitgliedsgewerkschaften in der DGB-Tarifgemeinschaft ebenfalls ausgehandelten Tarifverträge mit den Arbeitgeberverbänden in der Leiharbeit mit höheren Entgeltstandards mussten auf Druck der Arbeitgeber angepasst werden, damit überhaupt ein Abschluss erzielt werden konnte. Die Lohndumpingstrategie der sog. christlichen Gewerkschaften ist damals voll aufgegangen.«

Man war also durch die Schmutz-Konkurrenz gezwungen gewesen, sich nach unten anzupassen, so die offizielle Lesart des DGB. Nun wird auch dieser Stelle ein Einwurf erfolgen dergestalt, dass doch seit einiger Zeit dieses Problem vom Tisch sein müsste, denn die "christlichen Gewerkschaften" wurden zwischenzeitlich als nicht tariffähig erklärt und können doch dann heute nicht mehr als Argument herangezogen werden für einen Tarifabschluss mit den Leiharbeitgebern. Bereits in der letzten Tarifrunde 2013 gab es einen offenen Brief aus dem Gewerkschaftslager an die Gewerkschaftsspitze: Equal Pay durchsetzen statt Lohndumping tarifieren – Nein zum DGB Tarifvertrag in der Zeitarbeit! vom 11. April 2013. Dort konnte man lesen: »Wir sind gemeinsam mit zahlreichen Arbeitsrechtler/innen der Überzeugung, dass die Vorteile einer ersatzlosen Kündigung angesichts des Equal-Pay-Grundsatzes im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gegenüber möglichen und angeblichen Risiken deutlich überwiegen. Eine ersatzlose Kündigung des Tarifvertrags ermöglicht die Durchsetzung einer gleichen Bezahlung von Leiharbeiter/innen. Eine Neuauflage des Tarifvertrags hingegen zementiert Lohndumping durch die Leiharbeit und beschädigt unsere gewerkschaftliche Glaubwürdigkeit nachhaltig.« Auch in der aktuellen Tarifrunde gab es einen solchen Vorstoß: Equal Pay für LeiharbeiterInnen, diskriminierende Tarifverträge ersatzlos kündigen! Offener Brief an die DGB Tarifgemeinschaft Zeitarbeit und die beteiligten Gewerkschaften

Das wurde auch auf einer anderen Bühne aufgegriffen. Robert Habeck, stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, der derzeit für die Spitzenkandidatur bei den Grünen für die Bundestagswahl 2017 im Rennen ist, hat sich mit diesem Artikel zu Wort gemeldet: Eine unheilige Allianz. Darin teilt er ordentlich aus - gegen den DGB. »Bei der Leiharbeit ließe sich konkret etwas ändern – und zwar durch jene, die klassisch die Interessen der Arbeiter vertreten: die Gewerkschaften ...  Die Gewerkschaften machen das Gegenteil von dem, was sie eigentlich müssten: nämlich die Interessen der Leiharbeitskräfte zu vertreten. Durch Billiglöhne versorgen sie  die Industrie weiter mit kostengünstigen Randbelegschaften.« Und was sollen die Gewerkschaften nach Habecks Ansicht tun?

»Ausreden, dass die Gewerkschaften nur einen kleinen Einfluss auf die Leiharbeitsbranche haben, da nur ein kleiner Teil der Leiharbeitskräfte organisiert ist, sind faule Ausreden. Die Gewerkschaften könnten auf einen Schlag eine Gleichbehandlung von Leiharbeitskräften und Stammbelegschaften erreichen. Der DGB und die Mitgliedsgewerkschaften müssten nur den Leiharbeits-Tarifvertrag kündigen, den sie selbst geschaffen haben. Dann würde automatisch das im Gesetz verankerte Gleichheitsgebot greifen. Damit wäre die Arbeitswelt ein Stück gerechter.« 

Man kann sich vorstellen, dass diese Einlassungen des Herrn Habeck nicht ohne Gegenrede geblieben sind: Warum wir Tarifverhandlungen brauchen – auch in der Leiharbeit, so ist die Replik von Stefan Körzell vom DGB-Bundesvorstand überschrieben. Für Körzell sind die Ausführungen von Habek "ein flotter Meinungsbeitrag" und der solle doch bitte bei den Fakten bleiben. Also schauen wir uns die entsprechenden Ausführungen von Körzell genauer an:

Der erste Einwand gegen Habecks Ausführungen kommt etwas korinthenkackerhaft daher: »So behauptet er beispielsweise, der DGB würde Tarifverträge abschließen, die Branchentarifverträge aushebelten. Der DGB schließt aber gar keine Tarifverträge ab. Es sind seine acht Mitgliedsgewerkschaften, die als „DGB-Tarifgemeinschaft-Leiharbeit“ mit den Arbeitgeberverbänden in der Leiharbeit iGZ und BAP die Tarifverträge aushandeln.« Körzells zweites Argument kommt hingegen gewichtiger daher, geht es hier doch um den Branchen-Mindestlohn in der Leiharbeit:

»Die unterste Lohngruppe im Entgelttarifvertrag bildet die Grundlage für den Mindestlohntarifvertrag. Der Mindestlohntarifvertrag bildet wiederum die Grundlage für die Lohnuntergrenze in der Rechtsverordnung. Die Rechtsverordnung wird durch das Bundesarbeitsministerium erlassen und ist damit auf alle – auch entsandte - Leiharbeitsbeschäftigte anwendbar. Entscheidend ist, dass diese Lohnuntergrenze – anders als der Grundsatz der gleichen Bezahlung (Equal Pay) im Gesetz - auch in der verleihfreien Zeit gilt. Ohne die DGB-Tarifverträge und den Mindestlohn in der Leiharbeit gäbe es in der verleihfreien Zeit nur den gesetzlichen Mindestlohn, der z.B. in Westdeutschland niedriger ist als der Mindestlohn in der Leiharbeit. Nur mit den Tarifverträgen der DGB-Tarifgemeinschaft ist es möglich, einen über dem gesetzlichen Mindestlohn liegenden Branchenmindestlohn in der Leiharbeit zu vereinbaren.«

Nun könnte man durchaus abschwächend einwenden, dass die Entgeltgruppe 1 im Westen bei derzeit 9 Euro liegt und damit den "Branchen-Mindestlohn", während der gesetzliche Mindestlohn bei 8,50 Euro pro Stunde liegt. Aber 50 Cent haben oder nicht haben, macht einen Unterschied, um die Antwort auf diesen Einwand zu umreißen. Und was ist Körzells Argument gegen eine auch aus den eigenen Reihen geforderte Kündigung der bestehenden Tarifverträge und dem Nicht-Abschluss neuer Vereinbarungen?

»Selbst wenn die DGB-Tarifgemeinschaft die Tarifverträge kündigen würde, griffe der Equal Pay-Grundsatz nicht automatisch. Tarifverträge wirken grundsätzlich – mit Ausnahme des Mindestlohntarifvertrags - auch nach Ende der Laufzeit nach und sind anwendbar bis zu einem neuen Tarifabschluss. Die Nachwirkung eines Tarifvertrages in der Leiharbeit ist umstritten und müsste von den Betroffenen individuell vor den Arbeitsgerichten geklärt werden. Sowas dauert. Bis dahin bestünde enorme Rechtsunsicherheit.«

Und dann beendet er seinen Beitrag mit einem Blick auf die Forderungen der Gewerkschaften in der Tarifrunde, deren Ergebnis wir nunmehr kennen: »Wir fordern eine Erhöhung der Entgelte um 6 Prozent, mindestens aber 70 Cent pro Stunde und – ganz wichtig - eine Ost-West-Angleichung in allen Entgeltgruppen. Die untersten Entgeltgruppen müssen dabei deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen. Wir werden hart mit den Arbeitgebern verhandeln und versuchen, den gesteckten Zielen möglichst nah zu kommen.« Jeder kann einen Blick werfen in die am Anfang dieses Beitrags dokumentierten Entgelttabellen, die bei Annahme des Tarifverhandlungsergebnisses in den kommenden drei Jahren Anwendung finden werden und sich selbst ein Urteil bilden, ob und in welchem Umfang die geforderten Verbesserungen erreicht worden sind.“

https://aktuelle-sozialpolitik.blogspot.de/2016/12/260.html

Robert Habeck: „Vor kurzem, ein Abend vor einem Theater: Ein Wachmann stand vor der Tür, und ich kam mit ihm ins Gespräch. Er ist von einer Leiharbeitsfirma abgestellt. Ah, dachte ich, jemand, der bestimmt von dem Leiharbeitsgesetz des Bundes, über das wir gerade in der Landesregierung debattieren und das Ende November im Bundesrat abgestimmt wird, profitieren wird. Aber nein: Er habe zwar einen Tarifvertrag, sagte der Mann, aber eben einen Billiglohn-Tarifvertrag. Den hätte er dann ja aber eine Gewerkschaft schließen müssen, dachte ich mir. Und genau so ist es.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund schließt spezielle Leiharbeits-Tarifverträge auf der Basis einer Öffnungsklausel im Leiharbeits-Gesetz. Mit diesen Tarifverträgen werden die Branchen-Tarifverträge ausgehebelt. Die Öffnungsklausel ermöglicht es, Billiglöhne für Leiharbeitskräfte zu schaffen und vom Gleichbehandlungsgrundsatz per Leiharbeits-Tarifvertrag abzuweichen.

Dabei geht es nicht um eine Nische: Es gibt knapp eine Millionen Leiharbeiter. Eine Million Menschen, die Jobs zweiter Klasse haben. Die auf jedem Lohnzettel sehen: Deine Arbeit ist weniger wert, Du gehörst nicht dazu. Wieder mehr Demütigung, wieder ein Stück weniger Verlässlichkeit. So, wie für Dauerpraktikanten, wie für die vielen Arbeitnehmer, die nur befristet beschäftigt sind (8 Prozent) und nicht wissen, wie sieht es morgen aus.

Bei der Leiharbeit ließe sich konkret etwas ändern – und zwar durch jene, die klassisch die Interessen der Arbeiter vertreten: die Gewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Leiharbeitsbranche verhandeln gerade einen neuen Leiharbeitstarifvertrag. Sie könnten wirkliche Verbesserungen umsetzen.

Die Leiharbeitstarife betragen 9 Euro im Westen und 8,50 im Osten, liegen also nur knapp über dem Mindestlohn. Laut Bundesregierung liegt das mittlere Bruttogehalt von Leiharbeitskräften bei 1.700 Euro. Ein normaler sozialversicherungspflichtig Beschäftigter im gleichen Arbeitsbereich hingegen verdient im Westen 2.960 Euro. Das ist ein erheblicher Unterschied. Eine Gleichbehandlung der Leiharbeitskräfte beim Lohn scheitert, aber regelmäßig daran, dass die Bundesregierung in unheiliger Allianz die Interessen der Arbeitgeber und die Interessen der mächtigen Industriegewerkschaften vertritt.

Und beide Gruppen wollen in Wirklichkeit keine Gleichbehandlung der Leiharbeitskräfte beim Lohn. Die Gewerkschaften machen das Gegenteil von dem, was sie eigentlich müssten: nämlich die Interessen der Leiharbeitskräfte zu vertreten. Durch Billiglöhne versorgen sie die Industrie weiter mit kostengünstigen Randbelegschaften. Bei Bedarf können sie schnell auf- und abgebaut werden. Arbeitgeber und Stammarbeitskräfte profitieren zu Lasten der Leiharbeitskräfte. Wenn es zu wenig Arbeit gibt, müssen die Leiharbeitskräfte gehen. Sie müssen nicht einmal gekündigt werden. Der Leiharbeitsfirma wird der Auftrag gekündigt und sie zieht ihre Leute ab. Die kann sie dann kündigen - wenn kein anderes Unternehmen sie mehr will und zur Arbeitsagentur schicken.

Es ist ja legitim und richtig, dass die Gewerkschaften sich für die Arbeitsplatzsicherheit ihrer Stammbelegschaften einsetzen. Aber an einem System, das die Absicherung der Stammbelegschaften nur über ein Zweiklassensystem ermöglicht, ist etwas faul. Es kann nicht sein, dass an den Gewinnen der Unternehmen nur ein Teil derjenigen teilhat, die mit ihrer Arbeit diese Gewinne erst ermöglichen. Auch Leiharbeitskräfte haben ein Recht auf eine gerechte Bezahlung.

Der DGB sollte also die Tarifrunde nutzen und seinem eigenen Schlachtruf folgen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit in der Leiharbeit. Ausreden, dass die Gewerkschaften nur einen kleinen Einfluss auf die Leiharbeitsbranche haben, da nur ein kleiner Teil der Leiharbeitskräfte organisiert ist, sind faule Ausreden. Die Gewerkschaften könnten auf einen Schlag eine Gleichbehandlung von Leiharbeitskräften und Stammbelegschaften erreichen. Der DGB und die Mitgliedsgewerkschaften müssten nur den Leiharbeits-Tarifvertrag kündigen, den sie selbst geschaffen haben. Dann würde automatisch das im Gesetz verankerte Gleichheitsgebot greifen. Damit wäre die Arbeitswelt ein Stück gerechter.“

http://www.tagesspiegel.de/politik/leiharbeit-eine-unheilige-allianz/14876926.html

 

EU-Recht

 

Interview mit Wolfgang Däubler: „Was sind die Hintergründe und Triebkräfte für den »Equal Pay«-Grundsatz zur Leiharbeit im EU-Recht? Warum ist das EU-Recht hier eine treibende Kraft für egalitäre Regelungen?

Ich glaube nicht, dass die EU die treibende Kraft für den Equal Pay-Grundsatz ist. In einer Reihe von Mitgliedstaaten gibt es ihn schon lange. Längst vor der EU-Richtlinie zur Leiharbeit existierte er auch schon in Deutschland, freilich in sehr verwässerter Form. Das sogenannte Job-Aqtiv-Gesetz von 2001 hatte ihn erstmals eingeführt und zwar sogar als zwingenden Grundsatz. Damals konnten Arbeitskräfte für zwei Jahre an denselben Unternehmer verliehen werden, und im zweiten Jahr mussten sie dasselbe wie vergleichbares Stammpersonal verdienen. Das war nicht sehr bedeutsam, weil die Verleiher darauf verzichteten, jemanden länger als ein Jahr zu verleihen. Dann kam 2003/2004 Hartz I und führte »Equal Pay« als allgemeinen Grundsatz ein, doch konnte (und kann) man von ihm durch Tarifvertrag abweichen. Erst 2008 erging die Leiharbeitsrichtlinie.

Ausgehend vom EU-Recht: Gilt der Grundsatz »Equal Pay« für alle Typen von Leiharbeit? Zum Hintergrund unserer Frage: Üblicherweise wird von zwei Typen von Leiharbeit ausgegangen – einem kontinuierlichen Beschäftigungsverhältnis beim Verleiher, also der ›Fiktion eines friktionslosen Beschäftigungsverhältnisses‹ einschließlich Weiterbeschäftigung in verleihfreien Zeiten, und einem auftragsbezogenen, befristeten Beschäftigungsverhältnis im Verleihunternehmen. Gilt Equal Pay überhaupt für den erstgenannten Typus, wie er modellhaft in Deutschland unterstellt ist, und wie geht man mit diesem Grundsatz bspw. in Bezug auf die verleihfreien Zeiten um?

Ja, Leiharbeit ist Leiharbeit. Ob das Arbeitsverhältnis zum Verleiher befristet oder unbefristet ist, spielt keine Rolle. Für die sogenannten verleihfreien Zeiten gibt es keinen Equal-Pay-Grundsatz, doch darf der Leiharbeitnehmer auch hier nicht ohne Vergütung bleiben. Anderenfalls wäre das Betriebsrisiko des Verleihers auf ihn abgewälzt – ungefähr so, als würde ein Kellner oder ein Friseur nur dann etwas verdienen, wenn ausreichend Kunden kommen. Die Vergütung kann allerdings niedriger sein als während der Einsatzzeiten.

Im deutschen Arbeitsrecht ist der »Equal Pay«-Grundsatz durch Tarifverträge »abdingbar«, also »tarifdispositiv« gestaltet. So wurde es leider im Rahmen der Agenda 2010 bei der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes eingefädelt. Wie weit reicht die Befugnis von Tarifvertragsparteien, von dem gesetzlichen Leitbild abzuweichen?

Das kann man leider nicht wirklich präzise sagen. Inhaltlich ist die Abweichung dadurch gerechtfertigt, dass der Tariflohn auch in den verleihfreien Zeiten bezahlt wird, und außerdem kann man den Standpunkt vertreten, das unterschiedliche Lohnniveau der einzelnen Branchen solle auf diesem Wege »angeglichen« werden, so dass es keine Rolle mehr spielt, ob der Leiharbeitnehmer im »Hochlohnsektor« Chemie oder im Einzelhandel eingesetzt wird. Nur: Eine Abweichung, wonach die Betroffenen im Durchschnitt 40 Prozent weniger als die Stammkräfte verdienen, ist von der Ermächtigung nicht gedeckt.

Ist eine rechtliche Überprüfung solcher, durch Tarifvertrag installierter Abweichungen von gesetzlichen Regelungen vorstellbar?

Ja, natürlich, nur traut sich niemand, die DGB-Tarife ernsthaft in Zweifel zu ziehen, obwohl sie den 40-Prozent-Abzug festschreiben. Auch die Gerichte hätten vermutlich Angst, plötzlich die Verleiher ganz generell zu »Equal pay« zu verdonnern und so die Leiharbeit erheblich teurer zu machen.

In welchem Rahmen und in welchen Grenzen wäre eine richterliche »Tarifkontrolle« akzeptabel?

Die Gerichte können die Rechtmäßigkeit von Tarifverträgen überprüfen, etwa die Vereinbarkeit mit Grundrechten, aber auch die mit Gesetzen. Sie haben dabei im Laufe der Entwicklung in der Bundesrepublik eine sehr positive Rolle gespielt. So gab es etwa in den 1950er-Jahren »Frauenlohngruppen«, wo die geringeren Verdienste für Frauen – manchmal sogar in Form eines prozentualen Abzugs vom »Normallohn« der Männer – festgeschrieben waren. Die Arbeitsgerichte haben dies kassiert und damit einen wichtigen Beitrag zur Lohngleichheit von Mann und Frau geleistet. Warum sollten sie es nicht auch hier tun? Nicht alles, was »tarifautonom« ausgehandelt wurde, ist allein deshalb ethisch wertvoll und rechtlich akzeptabel.

Falls die DGB-Tarife die rote Linie der Zulässigkeit überschritten hätten, wie muss man sich den Rechtsweg vorstellen? Wer kann wie und wo klagen?

Das ist eigentlich ganz einfach. Ein Leiharbeitnehmer, der nach einem DGB-Tarif vergütet wurde, macht »gleiche Bezahlung wie eine vergleichbare Stammkraft« (also Equal Pay) geltend und klagt die Differenz zu seinem bisherigen niedrigeren Lohn ein. Begründung: Weil die Tarife wegen Überschreitung der Ermächtigungsgrundlage unwirksam sind, steht ihm »Equal Pay« zu. Das Gericht überprüft dann, ob dies zutrifft und die Tarife wirklich unwirksam sind. Das einzige Problem liegt darin, Leiharbeitnehmer zu finden, die Klage erheben; bisher scheint die Angst zu dominieren, in dieser Branche nie mehr einen Arbeitsplatz zu bekommen, wenn man sich zu einem solchen Schritt entschließt.

Bekanntlich ist ja fast keine Leiharbeitnehmerin, fast kein Leiharbeitnehmer in einer der gelb-christlichen Gewerkschaften organisiert. Organisationsgrad und Tarifbindung von LeiharbeitnehmerInnen in DGB-Gewerkschaften dürften allerdings auch sehr übersichtlich sein. Insofern realisiert sich der Absenkungseffekt, den Tarifverträge gegenüber dem Equal Pay-Grundsatz entfalten, wohl im Wesentlichen durch die im AÜG vorgesehene Möglichkeit einzelvertraglicher Bezugnahmen auf die Tarifverträge. Ist dies mit der EU-Richtlinie vereinbar?

Die EU-Richtlinie sieht eine Abweichung durch Tarifvertrag vor, was auch den Fall einschließt, dass der Arbeitnehmer kein Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist. In diesem Fall genügt eine Bezugnahme im Arbeitsvertrag. Allerdings unterscheidet sich das EU-Recht in einem wichtigen Punkt vom deutschen: Der »Gesamtschutz« des Leiharbeitnehmers darf durch die Tarifverträge nicht verschlechtert werden. Was das im Einzelnen bedeutet, ist schwer zu sagen, aber vom selben »Gesamtschutz« kann jedenfalls dann nicht mehr die Rede sein, wenn der Leiharbeitstarif 40 Prozent unter dem Stammarbeitstarif liegt.

Was würde passieren, wenn die DGB-Tarifverträge zur Leiharbeit auslaufen würden? Welche Nachwirkungsrisiken gäbe es dabei?

Die Verleiher haben eine gute Lobby in der juristischen Fachöffentlichkeit. Deshalb gibt es eine ganze Reihe von Autoren, die den Standpunkt vertreten, auch ein nachwirkender Tarifvertrag würde dem Equal-Pay-Grundsatz vorgehen. Andere sagen dagegen zu Recht, dass nur ein voll wirksamer Tarifvertrag vom Gesetz abweichen kann. Gerichtsentscheidungen dazu gibt es nicht, weil es meines Wissens noch nie zu einer Nachwirkung von Tarifverträgen gekommen ist.

Die DGB-Tarifverträge haben noch eine beträchtliche Restlaufzeit. Gäbe es, abgesehen von dem erforderlichen politischen Willen, auch rechtliche Möglichkeiten für einen vorzeitigen Ausstieg aus den Tarifverträgen zur Leiharbeit?

Nein, eine solche rechtliche Möglichkeit sehe ich nicht. Man kann nur gerichtliche Verfahren anstrengen, die sich auf die oben genannten Argumente stützen: Die Leiharbeitstarife gehen über die Ermächtigung im AÜG hinaus, und sie verstoßen außerdem gegen die EU-rechtliche Vorgabe, den »Gesamtschutz« nicht anzutasten. Das ist – verglichen mit einer neuen tarifpolitischen Willensbildung in den Gewerkschaften – sogar der sehr viel einfachere Weg.

Welche Probleme für »Equal Pay« ergeben sich aus dem neuen Mindestlohn in der Zeitarbeit?

Keine. Der Mindestlohn fixiert eine Untergrenze und sagt nichts zum Verhältnis Leiharbeitnehmer – Stammbeschäftigte.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die Motive für die DGB-Tarifverträge zur Leiharbeit? Empirisch gesehen überzeugt die häufig gehörte Erklärung des »notwendigen kleineren Übels« zu den gelb-christlichen Tarifen angesichts der tarifierten Entgelte ja nicht so recht.

Sie stellen da eine ganz grundsätzliche Frage. Die DGB-Gewerkschaften hätten sich von vorne herein verweigern und gegen die unchristlichen Christentarife auf dem Rechtsweg vorgehen können. Dann hätte vielleicht ab 2006 oder 2007 der Equal Pay-Grundsatz effektiv gegolten.

Warum sie das nicht getan haben, kann man nur vermuten. Die Agenda 2010 wollte die Arbeitskosten in Deutschland reduzieren und hat dies ja auch erreicht. Dies geschah aber nicht wie heute in Griechenland auf dem brutalen Weg einer direkten Absenkung; vielmehr ermöglichte man Lohndumping im eigenen Land. Dies wirkte sich dann auf die Tarifabschlüsse aus, die nicht mal mehr einen vollen Inflationsausgleich erbrachten. Das war für die Gewerkschaften zwar unangenehm, aber irgendwie hinnehmbar, da ja das Hauptopfer von »Billiglöhnern« erbracht wurde, unter denen es kaum Gewerkschaftsmitglieder gibt.

Sich dieser Politik zu verweigern, hat man sich nicht getraut. Man hätte die Unterstützung der Bundesregierung verloren und wäre ins Abseits gestellt worden. Dagegen kann man sich zwar wehren, aber das geht letztlich nur über Streiks und andere Druckmittel. Diese hätten vorausgesetzt, dass man eine Kampforganisation geworden wäre. Eine solche Verwandlung wäre möglich, aber schwierig gewesen, und – das war wohl entscheidender – man wollte sie auch nicht.

Gibt es nach Ihrer Einschätzung eine Neubewertung der eigenen Tarifpolitik zur Leiharbeit in den DGB-Gewerkschaften? Wohin geht die Reise?

Das müssten Sie die Verantwortlichen fragen. Im Bereich der IG Metall gibt es interessante Ansätze, die Entleiher per Tarifvertrag zu »Equal pay« zu zwingen; in einigen Betrieben ist dies auch schon durch Betriebsvereinbarungen erreicht worden. Aber: Erst brockt man sich die Suppe selbst ein, und dann löffelt man sie 10 oder 15 Jahre lang aus. »Verstand ist stets bei Wen’gen nur gewesen«, sagt der Dichter. Kluge Menschen als Entscheidungsträger – nur unverbesserliche Optimisten werden auch in Zukunft darauf hoffen. Anders als vor zwanzig Jahren habe ich heute Schwierigkeiten, diese Hoffnung zu teilen.“

http://archiv.labournet.de/diskussion/arbeit/realpolitik/psa/daeubler1.html

 

Lohnentwicklung: internationales Schlusslicht

 

2010: „In den meisten Industriestaaten sind die Löhne in den vergangenen zehn Jahren gestiegen. Nicht so in Deutschland: Hier schrumpfte das Durchschnittsgehalt um 4,5 Prozent. Damit liegt die Bundesrepublik bei einem Vergleich der Internationalen Arbeitsorganisation auf dem letzten Platz …

Der deutsche Aufschwung hat eine Kehrseite: In keinem Industrieland der Welt haben sich die Bruttolöhne seit dem Jahr 2000 so schwach entwickelt wie in der Bundesrepublik. Im Schnitt haben die Bürger 4,5 Prozent weniger in der Tasche als vor zehn Jahren.

Zum Vergleich: Weltweit sind die Löhne um ein knappes Viertel gestiegen, berichtet die Internationale Arbeitsorganisation ILO in ihrem Global Wage Report. In den Industrieländern Norwegen, Zypern und Finnland haben die Arbeitnehmer am stärksten profitiert …

Dank sinkender Arbeitskosten sind deutsche Produkte weltweit konkurrenzfähiger geworden, der Export floriert. Das Minus von 4,5 Prozent hat seine Gründe neben moderaten Tarifabschlüssen der vergangenen Jahre vor allem in der Ausweitung des Niedriglohnsektors sowie der Zunahme von atypischen Beschäftigungsformen, heißt es in dem ILO-Bericht. Gemeint sind hier Zeitarbeit und 400-Euro-Jobs.

Menschen in diesen Beschäftigungsverhältnissen verdienen rund ein Drittel weniger pro Stunde als ein normaler Arbeitnehmer. Dazu kommt eine geringere Wochenarbeitszeit, "so dass die Monatsverdienste atypisch Beschäftigter deutlich unter denen von Normalarbeitnehmern liegen", schreiben die Arbeitsmarktexperten.

Die wachsende Zahl dieser Jobs habe dazu geführt, dass der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst 2009 auf 2.154 Euro gesunken sei. Zehn Jahre zuvor waren es noch rund 100 Euro mehr.

Positiver sei die Entwicklung, wenn man nur die Verdienste von Arbeitnehmern in Vollzeitbeschäftigung betrachte. Diese Gruppe habe heute inflationsbereinigt 6,7 Prozent mehr Bruttoeinkommen als vor zehn Jahren. Von 2.752 Euro stieg der Monatslohn eines durchschnittlichen Vollzeitarbeitnehmers auf 2.936 Euro.

Wie sich die Lohnentwicklung vom wirtschaftlichen Aufschwung abgekoppelt hat, zeigt laut ILO die Lohnquote - also der Anteil der Löhne am Volkseinkommen. Diese Quote ist von 72,2 Prozent vor zehn Jahren auf 65,1 Prozent gesunken. Dabei sei es besonders zwischen 2003 und 2007 zu einem deutlichen Rückgang gekommen, heißt es in dem Bericht.“

http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/gehaeltervergleich-der-industriestaaten-deutschland-ist-lohnminus-meister-a-734794.html

2016: „Das Statistische Bundesamt (Destatis) berichtete gestern für das 3. Quartal 2016 von einem Anstieg der durchschnittlichen Reallöhne in Deutschland, in Höhe von +1,8% zum Vorjahresquartal. Nominal stiegen die Löhne um +2,3% zum Vorjahresquartal. Die Verbraucherpreise stiegen offiziell um +0,5%. Trotz dieser positiven Entwicklung liegen die Reallöhne nur leicht über dem Niveau wie Anfang der 90er! …

Miese Löhne in der Breite, gemessen an der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und eine stetige Absenkung des Rentenniveaus führen auch zu vergleichsweise beschämenden Renten. Nach aktuellen Angaben der Bundesregierung und des Statistischen Bundesamtes werden 52% aller heutigen Beschäftigten eine Rente von weniger als 795 Euro erhalten. Schon die heutige Rentenbestandsstatistik offenbart einen lausigen Status Quo bei den Renten …

Die Renten sind Spiegelbild von zu niedrigen Löhnen, der Erhöhung des Renteneintrittsalters und der stetigen Senkung des Rentenniveaus für Neurentner.

Der “kleine” Hegemon Europas finanziert, kreditiert halb Europa, sammelt Forderungen in der ganzen Welt – ohne Ende, damit Konzerne und Exporteure ihre Pfründe mehren können. Gleichzeitig zeigt aber die PHF Studie, beim medianen Nettovermögen der privaten Haushalte liegt man in Deutschland vergleichsweise weit hinten. Der “Erfolg” des deutschen Geschäftsmodells wird nicht breit gestreut, man liegt beim medianen Nettovermögen sogar hinter Griechenland und nur knapp vor Polen …

Der Median ist der Punkt, wo 50% der Nettovermögen darunter oder darüber liegen, nicht zu verwechseln mit einem Durchschnitt.

Nur 60.800 Euro betrug 2014 das mediane Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland, aber 214.300 Euro das durchschnittliche Nettovermögen, was auf eine sehr ungleiche Verteilung hinweist. Die obersten 10% der Haushalte besitzen 59,8% des Nettovermögens und die untersten 50% nur skandalöse 2,5% der Vermögen. Die untersten 20% der privaten Haushalte haben gar kein Vermögen, sondern im Durchschnitt -5.900 Euro Nettoschulden.

Weiterhin unglaublich, dass eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, welche Millionen deutschen Arbeitnehmern und Rentnern ihren fairen Anteil an der Leistungskraft der Volkswirtschaft vorenthält, von der Masse bei Wahlen legitimiert wird.“

https://www.querschuesse.de/deutschland-reallohnindex-q3-2016/

 

Höhere Löhne!

 

Wäre der Wurm ein Mensch, würde er sich für seine Artgenossen schämen. Nicht nur, dass sie all diese Missstände zulassen - dazu kommt, dass sie die Opfer auch noch beschimpfen und ihnen vorwerfen, sie seien selbst an ihrer Lage schuld.

Es gibt eine Maßnahme, von der so ziemlich alle profitieren könnten: höhere Löhne.

Gerd Grözinger: „Dass in Deutschland die Löhne stärker steigen sollten, darüber sind sich alle einig. Oder fast alle: Die Arbeitgeber sehen das natürlich anders. Aber sonst ist das Lager der Befürworter erstaunlich breit aufgestellt.

Schon vor zwei Jahren haben sowohl die Europäische Zentralbank als auch die sonst super-konservative Bundesbank die Tarifparteien zu höheren Abschlüssen aufgefordert. Denn die Eurozone krebst seit Längerem an der gefährlichen Deflationslinie. Und ein zusätzlicher Wachstumsimpuls ist weder von den zu Sparmaßnahmen verdonnerten Staaten noch vom ebenfalls schwächelnden Ausland zu erwarten.

Bleibt die Hoffnung auf eine kräftige Zunahme der privaten Nachfrage, die sich überwiegend aus den Arbeitnehmereinkommen speist. Aber weil in den mediterranen Krisenländern die Löhne systematisch gedrückt werden, um die berühmt-berüchtigte Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, kann eigentlich nur im ökonomisch florierenden Deutschland eine solche Politik durchgeführt werden.

Deshalb also die Forderungen, mit der Hoffnung, dass eine ordentliche Lohnanhebung in Deutschland einen Wachstumsschub und endlich auch ein bisschen Inflation bringen könnte.

Die deutschen Gewerkschaften waren nicht amüsiert. Reflexartig verwahrten sie sich gegen die Einmischung in die Tarifautonomie. Und sind nach wie vor ganz, ganz vorsichtig bei Lohnforderungen. Die könnten ja Arbeitsplätze kosten. Dass es längst hohe Arbeitslosigkeit in der Eurozone gibt, sie aber von Deutschland nach Spanien, Italien, Frankreich exportiert wurde, bleibt lieber ungenannt.

Heiner Flassbeck, Staatssekretär unter dem damaligen Minister Oskar Lafontaine, durchaus gewerkschaftsnah, aber eben auch Ökonom, formuliert dagegen 2016 deutlich: „Ohne dass Deutschland auf den internationalen Märkten wieder Anteile abgibt, die es sich in der Vergangenheit durch die mit der relativen Lohnsenkung verbundene reale Abwertung erschlichen hat, gibt es keine Lösung. Dafür müssen die deutschen Nominallöhne viele Jahre weit stärker als im Moment steigen.“

In der Umsetzung wird das schwierig, wenn die deutschen Gewerkschaften so gar nicht einsehen wollen, dass sie durchaus eine Verantwortung für die hohe Arbeitslosigkeit in vielen anderen Ländern der Eurozone mittragen. Deshalb muss sich der Blick auch auf andere Akteure richten. Und hier kommt der Staat ins Spiel.

Denn eigentlich hat er sich ja durchaus verpflichtet, den deutschen Exportüberschuss, befeuert durch eine zu bescheidene Lohnentwicklung, einzudämmen. In dem nach Beginn der Eurokrise durchgepeitschten Maßnahmenkatalog wurde eben auch vereinbart, dass in keinem Land der Exportüberschuss größer als 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sein darf. Im Moment bewegt er sich in Deutschland um die 8 Prozent, Tendenz steigend.

Was aber kann ein Staat überhaupt tun in einer solchen Situation? Direkt in die Tarifpolitik einzugreifen ist ihm aus guten Gründen untersagt. Aber diese Einsicht verdeckt, dass ein Gutteil des Lohns tatsächlich staatlich bestimmt ist. Es handelt sich dabei um die gesetzlichen Beiträge zur Sozialversicherung.

Man unterstellt dabei gern, dass hier eine hälftige Aufteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quasi gottgegeben sei. Das ist aber falsch. In Sachsen zahlen die Arbeitnehmer relativ mehr in die Pflegeversicherung, überall sonst, auch in der Krankenversicherung, zahlen allein die Arbeitnehmer die Zusatzbeiträge, in der Knappschaftsrente dagegen die Arbeitgeber mehr.

Wenn die Aufteilung im Prinzip flexibel ist, dann kann der Staat, genauer das Parlament, hier auch eine Änderung anstreben. Der Vorschlag lautet also: Zur Reduzierung des deutschen Exportüberschusses soll in jährlichen Schritten der Arbeitnehmeranteil an den Sozialversicherungen reduziert werden, der Arbeitgeberanteil entsprechend steigen. Jährliche Schritte deshalb, um die Reaktion darauf zu beobachten und allen Beteiligten die Gelegenheit zu geben, sich darauf einzustellen.

Sicher wird es daneben weiter Tarifverhandlungen und -abschlüsse geben. Aber neben den üblich erzielten zwei Prozent dort wird es für die Arbeitnehmer dann eben zusätzliche zwei oder drei Prozent durch die Veränderung in der Beitragsaufteilung geben.

Eine solche Lösung hätte noch einen weiteren Vorteil. Weil es eine Bemessungsgrenze gibt, oberhalb derer keine Beiträge mehr zu zahlen sind, begünstigte eine Senkung des Arbeitnehmeranteils ganz direkt die Gering- und Normalverdiener. Und trüge so doppelt zur Korrektur der zunehmend schiefen Einkommensverteilung bei. Es stärkte zum einen allgemein die Lohn- gegenüber der Gewinnseite, zum anderen erhalten auf der Lohnseite die unteren Einkommensgruppen relativ mehr als die oberen. Nicht weniger als durchschnittlich 17 Prozent des Bruttoeinkommens könnten so insgesamt umverteilt werden.

Wie lange sollte diese Verschiebung gehen? Bis aller Exportüberschuss verschwunden ist? Nicht ganz. Ökonomisch gibt es für eine Zielgrenze zwei vernünftige Präzisierungen. Einmal sollten nur die Exportüberschüsse in der Eurozone berücksichtigt werden. Der Handel mit China, den USA und allen anderen ist für die Stabilisierung der Eurozone irrelevant. Zum anderen sollten davon die Investitionen in den Euroraum abgezogen werden. Denn es ist durchaus sinnvoll, Kapitaltransfers zum Aufbau von Produktionskapazitäten etwa in Spanien als gleichgewichtig anzusehen.

Freilich kann niemand garantieren, dass durch eine solche Politik trotz des Wachstums nicht auch Arbeitsplätze in Gefahr gerieten. Aber genau hier wäre wieder eine Gewerkschaftsaufgabe: ihre Tarifpolitik müsste darauf zielen, eine gerechte Verteilung von vermutlich sinkenden Arbeitsstundenmengen auf die Arbeitenden und Arbeitssuchenden zu erreichen. Umfragen zu Arbeitszeitwünschen zeigen, dass dabei viel Platz nach unten besteht. Selbst hier wäre also ein Gewinn für die Bevölkerung möglich: eine bessere Zeitgestaltung ohne Einkommensverlust. Das wäre doch mal ein wirklich schönes Projekt für Rot-Grün-Rot auch im Bund!“

http://www.taz.de/!5340445/

Michael Schlecht 2015: „Der Exportüberschuss wurde erkauft durch Lohndumping. Dies wurde von der Schröder-/Fischer-Regierung eingeleitet mit der Agenda 2010. Mit Leiharbeit, Befristungen, Minijobs und Werkverträgen wurden die Durchsetzungsbedingungen für gewerkschaftliche Tarifpolitik nachhaltig geschwächt.

Auch wenn in den letzten Jahren wieder zaghafte Reallohnsteigerungen möglich wurden, verdienen Beschäftigte in Deutschland preisbereinigt immer noch durchschnittlich drei Prozent weniger als im Jahr 2000. Deutschland hat mittlerweile einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa, und auch der Anteil von Armut Betroffenen steigt regelmäßig.

Wären die deutschen Reallöhne seit 2000 im Gleichschritt mit der Produktivität gewachsen, dann lägen sie heute um nahezu zwanzig Prozent höher. Durch die Umverteilung von unten nach oben in den letzten 15 Jahren sind die Beschäftigten um mehr als eine Billion enteignet worden. Dies ist nicht nur ein sozialer Skandal, sondern auch ökonomisch verhängnisvoll. Die Massenkaufkraft wurde drastisch beschnitten und damit auch die Importe. Auch aufgrund ihres viel zu schwachen Anstiegs werden wir Ende 2015 einen summierten Außenhandelsüberschuss von zwei Billionen Euro haben.

Wenn Wirtschaftsminister Gabriel weiterhin Exportüberschüsse für unverzichtbar hält, dann heißt das nur, dass er erstens dauerhaft die Schulden des Auslands bei uns weiter steigert, und zweitens, dass er dem Ausland nie die Chancen geben will, die Schulden an uns zurückzuzahlen. Letztlich ist er bereit, Waren und Dienstleitungen im Wert von absehbar zwei Billionen Euro dem Ausland zu schenken. Denn wenn es nie seine Schulden bezahlen kann, bleibt am Ende in irgendeiner Form nur die Schuldenstreichung übrig.

Doch die Bundesregierung ist nicht in der Lage oder nicht willens, diese einfachen Zusammenhänge zur Kenntnis zu nehmen. Im Bundestag auf das Problem hingewiesen, lacht Wirtschaftsminister Gabriel und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Die übergroße Mehrheit des Parlaments verlustiert sich schenkelklopfend über ihre eigene ökonomische Inkompetenz. „Eine Stärke der deutschen Industrie ist der Außenhandel, deswegen wünschen wir uns keine Außenhandelsdefizite“, sagte Dirk Becker (SPD). Nichts verstanden! Intellektueller Tiefflug!

Dabei wäre die Lösung so einfach: massive Reallohnerhöhungen und öffentliche Investitionen zur Stärkung der Binnennachfrage. Das stützt die Konjunktur, schafft Jobs, macht Menschen wohlhabender, erhöht den Import – und beseitigt auf Dauer den unhaltbaren Zustand, dass Deutschland den Banker der Welt spielt.

In der Eurokrise sind viele Länder der Eurozone in dramatische Schulden getrieben worden. Die Hauptursache ist nicht Verschwendungssucht, sondern deutsches Lohndumping und die sich daraus ergebenden Außenhandelsüberschüsse. Schäuble hingegen meint: „Die Ursachen liegen in Griechenland und nicht in Europa außerhalb Griechenlands und schon gar nicht in Deutschland.“ Arrogante Ignoranz! Die neue griechische Regierung sollte diese Position massiv zurückweisen. Weshalb thematisieren Tsipras und Varoufakis nicht die deutsche Verantwortung für die Verschuldung in vielen Euro-Ländern?“

http://www.fr.de/politik/meinung/exportueberschuss-die-schulden-der-anderen-a-495382

 

 

Dada

 

Unsere kleine Polizei-Station

 

Wir befinden uns im Jahre 2017 unserer Zeitrechnung. Ganz Deutschland ist von Verbrechern besetzt … Ganz Deutschland? Nein! Eine von unbeugsamen Hütern des Gesetzes bewohnte Polizei-Station hört nicht auf, dem Verbrechen Widerstand zu leisten.

Und so ist halt noch vieles in Ordnung in der Region. Denn für Ruhe, Ordnung und Gerechtigkeit sorgt der Polizeiposten Rüppurr.

Kleine und große Spitzbuben, mehr oder weniger Leichtgläubige, Verrückte und Alkoholisierte, mehr oder weniger wilde Tiere treiben hier ihr Unwesen. Der Polizeioberkommissar und Chronist Karl Sauter hält diese Vorkommnisse fest im Buch „Tatort Rüppurr – Karl Sauters Notizen aus dem Polizei-Alltag“ aus dem Jahr 2005, jeweils monatlich im lokalen „Rieberger Bläddle“ und „Monatsspiegel“ und im Internet:

http://www.polizei.rueppurr.de/index.php?action=berichte

http://www.polizei.rueppurr.de/index.php?action=cms&id=1

Von Zeit zu Zeit möchte der Wurm eine dieser Geschichten zitieren. Diesmal geht es um folgenden Fall:

 

Sturzbetrunken

 

Weiherfeld, Januar 2005, 0 Grad. Ein 47 Jahre alter Mann hatte zunächst zu tief ins Glas und etwas später dann auch noch zu tief ins Wasser geschaut. Nach den Feststellungen des Streifendienstes befand sich der Mann in der Nacht von Samstag auf Sonntag in stark alkoholisiertem Zustand auf dem Heimweg, der ihn entlang der Alb in Richtung Südweststadt führen sollte. Es war so gegen 3.00 Uhr morgens und im Bereich Weiherfeld, als er einen natürlichen Drang verspürte.

Nach dem Motto „Wasser zu Wasser" stellte er sich also ans Ufer der Alb, um sich Erleichterung zu verschaffen. Aufgrund seiner alkoholischen Beeinflussung, einen anderen Grund dürfte es kaum geben, kippte er jedoch nach vorne und ins Wasser. Da stand er nun und da er nicht mehr in der Lage war, das Ufer zu erklimmen, verständigte er über Handy einen in der Nähe wohnenden Verwandten, der wenig später am Unglücksort erschien und ihn wieder ans Ufer zog.

Vorsorglich verständigte der Retter auch einen Krankenwagen, da mit einer Unterkühlung zu rechnen war. Da den beiden das Eintreffen des Krankenwagens zu lange dauerte, fuhren sie mit einem Privatwagen ins Vincentiuskrankenhaus, wo der Verunglückte untersucht wurde. Die Kollegen des Streifendienstes, die hinzugezogen wurden, rekonstruierten anhand der spärlichen Schilderung und dem Zustand des Betroffenen und der offenen Hose den „Tathergang" und schlossen demnach ein Fremdverschulden aus. Da der Mann keine größere körperliche Beeinträchtigung hatte, nahm auch dieser Fall wieder einmal ein gutes Ende.

Rechtlich betrachtet stellt das Urinieren in öffentlichen Anlagen eine Ordnungswidrigkeit dar. Die Vorschrift macht hier allerdings keinen Unterschied, ob einer ins Wasser oder gegen einen Baum pinkelt und so drängt sich der Schluss auf, dass in diesem Falle der Baum wohl die bessere Lösung gewesen wäre.

 

Das Leben geht weiter: Ob Freispruch oder Zuchthaus – und auf die Guillotin' hat unser Herr Polizeioberkommissar Karl Sauter eh niemanden geschickt.

Es ist eine liebe Zeit – trotz der Vorkommnisse, menschlich halt. Und darum kommt es immer wieder zu diesen Szenen – beim Polizeiposten Rüppurr.

 

 

 

Dadaisten frönen ihrer Leidenschaft noch über den Tod hinaus. Hier lümmelt sich einer über seinem Grabmal im Dom von Ascoli Piceno.