Das Böse verlachen

Vor 125 Jahren wurde der Film-Regisseur Ernst Lubitsch geboren und vor 75 Jahren feierte sein genialer Film „Sein oder Nichtsein“ seine Uraufführung.

Nichts trifft böse Menschen und das Böse überhaupt so sehr, als wenn über sie gelacht wird. Zum Einen werden sie so entlarvt, zum Anderen haben diejenigen, die unter ihnen zu leiden haben, Gelegenheit, sich etwas Luft zu verschaffen.

Vor allem in jenen Szenen, in denen der Gestapo-Chef „Konzentrationslager-Ehrhardt“ spielt, ist das Grauen sehr lebendig, um sich schließlich in großem Gelächter aufzulösen. Ob mensch will oder nicht – er muss lachen.

Nicht zuvor und nicht danach gelang es einem Film, sich dermaßen gekonnt über dieses Böse lustig zu machen. Selbst nicht Charlie Chaplin mit „Der große Diktator“, siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/93-friedenshetzer.html

 

 

Aus „Wikipedia“: „Heute wird der Film von fast allen Kritikern positiv gesehen, bei Rotten Tomatoes hat er beispielsweise eine positive Wertung von 97 %.

„Nachdem er in Ninotschka den Kommunismus persiflierte, versuchte Lubitsch hier, die Nazis durch Lächerlichkeit zu töten. Er ist seinem Ziel dabei immerhin so nah gekommen, daß sein Witz niemals degoutant wirkt. (...) Entstehen konnte dieser Film wohl nur, weil man damals in den USA die ganze grausige Wirklichkeit noch nicht kannte; aber es spricht für den Geschmack und die künstlerische Kraft Lubitschs, daß sein Film auch in Kenntnis dieser Wirklichkeit Bestand hat.“

Dieter Krusche: Reclams Filmführer

„Aus diesem Stoff, der halb Hahnrei-Farce, halb Widerstandsdrama ist und halb (falls es eine dritte Hälfte gäbe) Theaterklamotte, hat der europäische Emigrant die perfekteste Hollywood-Komödie überhaupt geschaffen, eine Mischung aus Frivolität und Moral, aus politischem Witz und Dekadenz. Einen Film, der alle seine Situationen so oft umkehrt und spiegelt, bis das Unterste zuoberst ist; einen Film, der mit einem falschen Hitler den echten so treffend einfing, wie der nie sein konnte - vielleicht von Chaplins Großem Diktator abgesehen.“

– Hellmuth Karasek in Der Spiegel, 1984

To Be or Not to Be ist eine Meisterleistung an Sarkasmus und Ernsthaftigkeit zugleich. Es ist erstaunlich, dass nicht nur Lubitsch sondern alle Beteiligten an diesem Film im Kriegsjahr 1942 und angesichts der bis dahin bekannten Gräueltaten des Nationalsozialismus ihren Glauben an eine Zeit nach Hitler und an die Menschlichkeit, ihre Kraft und ihren Humor nicht verloren hatten. Sein oder Nichtsein war eben auch ein kraftvolles Zeichen der Hoffnung und ein Appell an die Bedeutung des Humors in extrem schwierigen Zeiten und für eine menschliche Zukunft.“

– Filmzentrale.com

„Der Komik mit Grauen stilvoll verquickende Film ist eine immer noch nützliche Abrechnung mit dem Führerkult und seinen Begleiterscheinungen. Einer der besten Filme von Ernst Lubitsch, der als ätzende Satire die Schergen des Nationalsozialismus als Schmierendarsteller beschreibt und die Schauspielertruppe als tragikomische Helden ehrt.“

– Lexikon des internationalen Films

„Der Meister der intelligenten Komödie zeigt auch hier seine typische Handschrift.“

– Berliner Zeitung

„Polit-Thriller als bissig-böse Anti-Nazi-Satire. Filmklassiker. (Wertung: 3 ½ Sterne - außergewöhnlich).“

– Adolf Heinzlmeier und Berndt Schulz in Lexikon „Filme im Fernsehen“

https://de.wikipedia.org/wiki/Sein_oder_Nichtsein_(1942)

Sofern nicht anders angegeben, stammen die folgenden Zitate aus dem Buch „Lubitsch“ aus dem Jahr 1984, das von Hans Helmut Prinzler und Enno Patalas herausgegeben wurde.

Heinz-Gerd Rasner: „Ein Film über Schauspieler, eine Hommage an Schauspieler.

Das erste, was wir sehen, ist eine Reihe von Firmenschildern: Lubinski, Kubinski, Rozanski & Poznanski. Eine Stimme aus dem Off verliest die Namen und stellt fest, daß wir uns offensichtlich in Polen befinden, in Warschau, im August 1939. Einige Augenblicke später: Wir sehen eine Straße, einen Mann mit einem kleinen Bärtchen in Naziuniform, von Passanten erschrocken beobachtet. Die Stimme aus dem Off teilt uns mit, daß es sich bei diesem Mann um Adolf Hitler handelt.

Szenenwechsel: ein großes Büro, an der Wand Hakenkreuzfahnen und ein Hitlerbild. Die Stimme erklärt, wo wir sind: im Gestapohauptquartier in Berlin. Am Schreibtisch ein SS-Mann, ein zweiter betritt den Raum, ein kleiner Junge wird verhört. Plötzlich erscheint der Führer selbst in der Tür, begrüßt von einem dreifachen ‚Heil Hitler!‘. Er antwortet mit ‚Heil myself!‘

In diesem Augenblick erfolgt ein Schnitt auf einen Mann im Straßenanzug, der aufspringt und feststellt, daß dies so nicht im Textbuch stehe. Hinter ihm erkennen wir den leeren Zuschauerraum eines Theaters. Wir erleben die Probe eines Stücks mit Schauspielern in Kostüm und Maske, mit einem Regisseur, der inszeniert. Wir sind von Lubitsch, dem Regisseur des Films, reingelegt worden; wir haben eine Imitation für die Realität gehalten, einen Bildausschnitt für das Gesamtbild. Durch eine veränderte Perspektive des Kamerablicks zerstört der Film die Illusion, die er mit wenigen Bildern eben geschaffen hat.

In dieser ersten Sequenz formuliert Lubitsch bereits das Hauptthema seines Films, die Frage nach der Trennungslinie zwischen Bühne und Leben, zwischen Schein und Realität, zwischen Spiel und Ernst, zwischen Sein und Nichtsein. Wie leicht es in diesem Zusammenhang zu Verwirrungen kommen kann, erfährt der Zuschauer am eigenen Leibe, er erlebt selbst als Opfer die Kurzfassung dessen, was der Film im folgenden erzählen wird: die Geschichte einer Täuschung durch einen gigantischen Mummenschanz. Von nun an sind wir gewarnt und gewappnet.

Der kleine Mann auf der Straße war also nicht Adolf Hitler, sondern der Schauspieler Bronski. Er spielt die Rolle Hitlers in der politischen Satire „Gestapo“, die am Theatre Polski in Warschau aufgeführt werden soll. Bronski hat die Bühne verlassen, um die angezweifelte Echtheit seiner Maske in der Öffentlichkeit auf die Probe zu stellen. Mit durchschlagendem Erfolg, wie wir gesehen haben, bis ein kleines Mädchen an ihn herantritt und „Herrn Bronski“ um ein Autogramm bittet. Selbstzufrieden lächelnd willigt er ein, um einen Herzschlag später angesichts der Demaskierung betroffen das Gesicht zu verziehen. Das zweite Thema des Films ist formuliert: der permanente Konflikt des Schauspielers zwischen dem Wunsch, überzeugend in seiner Rolle aufzugehen, und dem Bedürfnis, als großer Darsteller erkannt und anerkannt zu werden.

In stärkerem Maße noch als für Bronski gilt dies für Joseph Tura, den Star des Ensembles. Turas Eitelkeit und sein stetes Streben nach Bestätigung wird nur noch übertroffen durch die Eifersucht auf seine Ehefrau Maria, Partnerin im Leben und auf der Bühne, gleichzeitig aber auch in beiden Fällen Rivalin. Ständig untergräbt sie das private und professionelle Selbstbewußtsein ihres Gatten. Sie beginnt eine Affäre mit dem jungen Fliegerleutnant Sobinski, denn der kann in drei Minuten vier Tonnen Dynamit fallen lassen. Die beiden treffen sich während der Aufführung von „Hamlet“ in Marias Garderobe. Wenn Tura auf der Bühne in der Titelrolle zu seinem großen Monolog anhebt, ist dies für Sobinski das Signal, den Zuschauerraum zu verlassen. Tura starrt ihm entgeistert nach. Maria setzt ihrem Mann Hörner auf und führt zudem einen Schlag gegen sein Geltungsbedürfnis. Etwas später übernimmt sie dann die Rolle der Trösterin und rüstet ihren geschockten Gemahl moralisch wieder auf - die ganze Sache erweist sich für sie in dreifacher Hinsicht als befriedigend.

Für beide Turas beschränkt sich das Rollenspiel nicht auf die Bühne, es fängt hinter den Kulissen erst richtig an. Sie spielen nicht, um zu leben, sie leben, um zu spielen. Der Versuchung, eine Vorstellung zu geben, erliegen sie fortwährend mit gesteigertem Vergnügen. Jeder spielt, immer und überall, ob mit oder ohne Publikum, ob mit oder ohne Kostüm. Jeder neue Raum im Film ist eigentlich immer nur derselbe Raum mit neuer Dekoration, jede neue Begegnung immer nur ein anderes Stück. Immer wieder (an die hundertmal) öffnen und schließen sich im Verlauf der Geschichte Türen und signalisieren „Auftritt“ beziehungsweise „Abgang“ im Sinne der Theaterdramaturgie.

Die ganze Welt eine Bühne! Dieser Eindruck verstärkt sich, je weiter die Schauspieler von ihrem ursprünglichen Spielfeld, der Bühne des Theaters, verdrängt werden. Zunächst verbietet die polnische Regierung die Aufführung des Gestapostücks, gleichzeitig schiebt sich die Wirklichkeit in das Gebiet des Illusionären hinein: Auf der Bühne umringen die kostümierten Schauspieler ein Radio, aus dem die Stimme Hitlers ertönt. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Warschau wird das Theatre Polski geschlossen.

Der Schock des militärischen Überfalls teilt sich im Film über einen radikalen Bruch der Stimmung mit. Für rund zwanzig Minuten verliert die Geschichte fast völlig den Charakter einer Komödie und nimmt statt dessen die Form eines realistischen Kriegsdramas an.

Die Firmenschilder des Anfangs tauchen wieder auf, sie sind jetzt zerstört; die Stimme aus dem Off verliest die Namen wie eine Liste von Gefallenen. Dauernd kommt es von nun an zur Wiederholung von Situationen, Objekten, Figuren und Dialogen, stets in leichter Variation oder in anderem Zusammenhang.

Aus London erscheint der Naziagent Professor Siletzky auf der Szene. Unter den nach England entkommenen polnischen Soldaten hat er die Rolle des Patrioten gespielt und dabei wichtige Informationen über die Warschauer Widerstandsbewegung gesammelt. Sobinski soll ihn ausschalten, ehe er diese Informationen an SS-Gruppenführer Ehrhardt weitergibt, den Chef der Gestapo. Die Turas und ihre Kollegen nehmen teil an dieser Aktion; die Schauspieler beginnen wieder zu spielen, nicht im Theater, sondern in der Wirklichkeit. Und indem sie spielen, handeln sie – „acting“ in der doppelten Bedeutung des Wortes. Allmählich erwacht so auch die Komödie aus ihrer Betäubung.

Maria, die zuerst mit Siletzky zusammentrifft, beginnt mit der Vorstellung. Ihr nach einem Kuß mit verklärtem Augenaufschlag gehauchtes „Heil Hitler!“ täuscht Siletzky sexuelle und politische Hingabe vor. Sein vermeintlicher Sieg im erotischen „Blitzkrieg“ macht ihn unvorsichtig. Er wird in das zum Gestapohauptquartier umgebaute Theatre Polski gelockt, wo ihn der als Ehrhardt verkleidete Tura erwartet. Das zu Beginn geprobte Stück dient nun als Vorlage für eine wirkliche Farce. Der Unterschied: Jetzt spielt man ums Überleben. Sein oder Nichtsein wird zur existentiellen Frage.

Turas Schwächen als Mensch und als Schauspieler, das Unvermögen, seine persönlichen Gefühle von den Anforderungen der Rolle zu trennen, bringen den ganzen Plan aber immer wieder in Gefahr. Das Ziel, Siletzky hinters Licht zu führen, wird sabotiert durch Turas Versagen beim Improvisieren und durch das zwanghafte Bedürfnis, die Maske für Momente zu lüften, um den Applaus für die darstellerische Leistung entgegenzunehmen. Seine Eifersucht, die neu aufflammt, als er durch Siletzky beiläufig von der Affäre zwischen Maria und Sobinski erfährt, führt zu einem geradezu schizophrenen Rollenchaos: Als betrogener Ehemann und als Gestapochef in einer Person will er sich an Maria rächen, indem er sie verhaften läßt. Ein kurzer Augenblick des Irrsinns, in dem Tura „aus der Rolle fällt“, aber er reicht aus, um sich „an die Wand zu spielen“. Siletzky flieht von der falschen Bühne durch den angrenzenden Zuschauerraum auf die wirkliche Bühne und stirbt, von den Kugeln Sobinskis getroffen, im Rampenlicht einen theatralischen Heldentod. Die Geographie des Theaters steht auf dem Kopf - während auf der Bühne Amateure Realität spielen, sehen die Profis vom Parkett aus zu. Die Ordnung der Welt ist durch die Nazis völlig aus den Fugen geraten, im großen wie im kleinen.

Nachdem Tura für Siletzky die Rolle Ehrhardts gespielt hat, muß er im Anschluß als Siletzky vor Ehrhardt auftreten. Die charakterlichen Parallelen, die sich dabei zwischen Ehrhardt und Tura auftun, sind ebenso grotesk wie beunruhigend. Auch Ehrhardt ist im Grunde nichts weiter als ein eitler Schmierendarsteller, der jede Geste und jede Gefühlsregung überzieht und bei allem, was er tut oder sagt, selbstgefällig auf den dramatischen Effekt schielt; Nazismus und Narzißmus gehen bei ihm eine schrecklich-komische Verbindung ein. Er lacht über denselben Witz, für den er andere erschießen läßt, er herrscht durch Terror und lebt doch selbst in ständiger Angst vor seinem Führer. Er ist kein unbezwingbarer Herrenmensch, sondern nur ein theatralischer Popanz, ein mörderischer Clown, ein Unmensch, der durch seine Schwächen aber wiederum auch menschlich wirkt.

Gegenüber Ehrhardt demonstriert Tura, daß er inzwischen das Improvisieren gelernt hat. Als Ehrhardt ihn mit der Leiche Siletzkys konfrontiert und so versucht, eine „psychologische Zermürbung“ zu inszenieren, treten zwei Stücke miteinander in Konkurrenz. Tura steigert dabei das bisherige Spielprinzip, die Nachahmung möglichst wirklichkeitsgetreu zu gestalten, indem er zusätzlich dem Realen den Anschein der Fälschung verleiht: der echte Bart des toten Siletzky wird durch einen falschen Bart ersetzt, um vom falschen Bart des falschen Siletzky abzulenken. Um eine Ecke kann Ehrhardt denken, nicht aber um zwei. Seine Inszenierung bricht in sich zusammen.

Aber Turas Sieg ist nur vorübergehend, denn der von Ehrhardt bereits in die Wege geleitete Flug nach England wird durch eine weitere „Vorstellung“ verhindert. Die Schauspielerkollegen, Tura in einer ausweglosen Falle wähnend, erscheinen in ihren Nazikostümen und verhaften den falschen Siletzky. Zwei nicht aufeinander abgestimmte Improvisationen heben sich gegenseitig auf, ergeben im Endeffekt Null.

Schließlich, nach allen nur zum Teil gelungenen Proben und Vorspielen, doch noch die erfolgreiche Gala. Im Theaterfoyer bringt man unter den Augen der versammelten Besatzungsmacht und vom echten Hitler nur durch eine Wand getrennt ein „Attentat auf den Führer“ (Hauptrolle: Bronski) zur Aufführung und nutzt die allgemeine Verwirrung, um mit Hitlers Sondermaschine nach Schottland zu fliehen. Dort stimmen dann die Relationen wieder, man spielt wieder am angemessenen Ort, auf der Bühne eines Theaters. Wieder wird „Hamlet“ gegeben, wieder betritt Tura die Szene für seinen großen Monolog, wieder sitzt Sobinski in der zweiten Reihe. Die beiden Männer fixieren sich; Tura beginnt, und es erhebt sich ein englischer Offizier, um den Zuschauerraum zu verlassen. Wir wissen, wohin. Tura und Sobinski wissen es auch. Entgeistert starren sie hinter dem Engländer her. Maria ist, wie stets im ganzen Film, bereits einen Schritt weiter als die Männer. Obwohl sie nicht im Bild zu sehen ist, gehört ihr der letzte Triumph. Wie so oft bei Lubitsch ist das Ende kein Schluß, sondern nur der Anfang noch einmal.“

Ernst Lubitsch: „„Sein oder Nichtsein” hat einigen Widerspruch hervorgerufen und ist meiner Meinung nach zu Unrecht angegriffen worden. Dieser Film machte sich an keiner Stelle über die Polen lustig, lediglich Schauspieler behandelte er satirisch und den Nazi-Geist und den faulen Nazi-Humor. Obwohl er eine Farce war, zeichnete er ein wahreres Bild des Nazismus als viele Romane, Magazingeschichten und Filme, die das gleiche Thema behandelten.“

Hier ein Vortrag von Martin Seel zum Film: „TO BE OR NOT TO BE ist ein frühes – und herausragendes – Beispiel der bis heute andauernden komischen Verarbeitung der faschistischen Schreckensherrschaft im Kino. Gedreht in der Zeit des japanischen Überfalls auf Pearl Harbour und des anschließenden Kriegseintritts der USA, ist der Film zugleich eine rasante screwball comedy und einer der humansten je gedrehten Propagandafilme. In Form einer satirischen Farce stellt er den Eigensinn neurotischer Theaterleute dem mörderischen Welttheater des Nazi-Regimes entgegen.“

 

 

Biografie von Ernst Lubitsch

 

„Ernst Lubitsch, geboren am 29. Januar 1892 in Berlin als Sohn eines Schneidermeisters, absolvierte nach dem Gymnasium zunächst eine Lehre in einem Stoffgeschäft und arbeitete danach als Buchhalter im Geschäft seines Vaters. Durch die Bekanntschaft mit dem Schauspieler Victor Arnold, dessen Schüler er wurde, entdeckte er seine Leidenschaft für die Schauspielerei. Nach vereinzelten Auftritten in Kabaretts und auf Kleinkunstbühnen erhielt er durch Arnolds Vermittlung im Jahr 1911 ein Engagement als Kleindarsteller an Max Reinhardts Deutschem Theater, wo er schon bald in prägnanten Rollen auftrat. Seine erste Filmrolle spielte Lubitsch höchstwahrscheinlich 1913 in "Die ideale Gattin" (ganz gesichert ist diese Information nicht). Im Jahr darauf gab er den Kommis Moritz Abramowsky in Carl Wilhelms "Die Firma heiratet", einer Produktion der "Projektions AG Union" (PAGU), für die er in den nächsten Jahren arbeitete. Sein von ihm selbst kreierter Rollentyp war dabei stets ähnlich und beim Publikum sehr erfolgreich: ein gewitzt vorlauter Lehrling, dem mit Dreistigkeit und Schlitzohrigkeit der Aufstieg gelingt und zum "Stolz der Firma" avanciert – so der Titel von Wilhelms und Lubitschs nächstem gemeinsamen Film.

Gegen Ende 1914 gab Lubitsch mit "Fräulein Seifenschaum" dann auch schon sein Debüt als Hauptdarsteller und Regisseur in Personalunion. Im Winter 1914/15 gründete er gemeinsam mit dem Schauspieler Ernst Mátray die Firma Malu-Film, für die er mindestens zwei Filme produzierte. Unabhängig davon war er zu diesem Zeitpunkt bereits ein neuer Komödien-Star und beim Publikum nicht zuletzt dank seines zuweilen etwas rüden Humors äußerst populär. 1915 rief die PAGU sogar eine eigene "Lubitsch-Serie" ins Leben. Als Autor und Regisseur zählte er Ossi Oswalda, Harry Liedtke, Victor Janson, und Margarete Kupfer zu seinen Schauspiel-Stars.

1916 entstand mit "Schuhpalast Pinkus", in dem er den Lehrling und späteren Ladenbesitzer Sally Pinkus verkörpert, einer der ersten echten Lubitsch-Klassiker. 1919 folgte (nach einer ganzen Reihe anderer Werke) mit der romantischen Komödie "Die Austernprinzessin" einer seiner bis heute berühmtesten frühen Filme, der die Kritik nicht zuletzt auf Grund seines ausgefeilten visuellen Stils und seiner originellen Dekors begeisterte.

1919 realisierte Lubitsch "Madame Dubarry", seinen ersten großen Historienfilm, der ihn auch in den USA bekannt machte. Mit "Sumurun" (1920), "Anna Boleyn" (1920) und "Das Weib des Pharao" (1921) setzte er seine Reihe an aufwändigen und kostenintensiven Historienfilmen fort. Zu seinen wichtigsten und regelmäßigen Stars gehörten Pola Negri, Emil Jannings und Henny Porten. Nachdem sich sein erstes amerikanisches Filmprojekt Ende 1921 zerschlug, kehrte Lubitsch nach Berlin zurück und nahm das Drama "Die Flamme" mit Pola Negri und Alfred Abel in den Hauptrollen in Angriff – es sollte sein letzter deutscher Film bleiben.

Ende 1922 reiste Lubitsch erneut nach New York, um auf speziellen Wunsch der Hauptdarstellerin und Produzentin Mary Pickford deren Komödie "Rosita" zu inszenieren. Während der Dreharbeiten kam es jedoch zu Differenzen zwischen Regisseur und Star – als Folge wurde trotz eines Erfolgs bei Kritik und Publikum Lubitschs Vertrag nicht verlängert.

Daraufhin erhielt Lubitsch einen Vertrag bei Warner Bros. In den kommenden drei Jahren inszenierte er für das Studio fünf Filme: "The Marriage Circle" (Die Ehe im Kreise, 1924), "Three Women" (Drei Frauen, 1924), "Kiss Me Again" (Küß mich noch einmal, 1925), "Lady Windermere's Fan" (Lady Windermeres Fächer, 1925) und "Kiss Me In Paris" (So ist Paris, 1926). Bei allen handelt es sich um temporeiche Gesellschaftskomödien, bei denen Lubitsch ein besonderes Geschick für pikante erotische Andeutungen und vielsagende Auslassungen entwickelte – womit er das Publikum begeisterte und die amerikanische Zensur düpierte. Dieser spezielle Stil wurde später als der "Lubitsch-Touch" berühmt.

Ab Mitte der 1920er Jahre gehörte Lubitsch zu den gefragtesten Regisseuren in Hollywood. 1926 löste er seinen Vertrag mit Warner, inszenierte für MGM "The Student Prince in Old Heidelberg" (Alt Heidelberg, 1927) und erhielt 1928 einen Vertrag bei der Paramount. Bei seinem ersten Paramount-Film "The Patriot" (Der Patriot, 1928) engagierte er seinen einstigen Lieblingsschauspieler Emil Jannings für die Hauptrolle. Das Berg-Melodram "Eternal Love" (Der König der Bernina, 1929) wurde Lubitschs letzter Stummfilm.

In der Folgezeit nutzte er die Möglichkeiten des Tonfilms bei einer Reihe von Film-Operetten: "The Love Parade" (Liebesparade, 1929), "Monte Carlo" (Monte Carlo, 1930), "The Smiling Lieutenant" (Der lächelnde Leutnant, 1931). Einmal mehr nahm Lubitsch dabei die Position eines stilbildenden Vorreiters ein. Auch die schlitzohrige Gaunergeschichte "Trouble In Paradise" (Ärger im Paradies, 1932) wurde zu einem Klassiker der Filmkomödie. 1934 drehte er mit "The Merry Widow" eine weitere komödiantische Operette, diesmal für MGM und nach einem Drehbuch von Ernest Vajda und Samuel Raphaelson, die in den 1930er Jahren die meisten seiner Filme schrieben.

Im Januar 1935 wurde Lubitsch von den Nationalsozialisten in Abwesenheit die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Einen Monat später ernannte man ihn zum Produktionschef der Paramount, eine Position, die er jedoch nach einem Jahr wieder abgab. Dafür wurde er im Frühjahr 1936 verantwortlicher Leiter einer eigenen Produktionsgruppe. Er drehte "Angel" (Engel, 1937) mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle und inszenierte mit den Komödien "Bluebeard's Eighth Wife" (Blaubarts achte Frau, 1938) und "Ninotchka" (Ninotschka, 1939) zwei weitere Klassiker in Folge. Als Co-Autor für die beiden letzten Filme war Billy Wilder verantwortlich, dem nicht zuletzt die satirische Schärfe der Dialoge zu verdanken ist.

Auch in den nächsten Jahren riss die Serie der Lubitsch-Meisterwerke nicht ab: 1940 drehte er die anrührende Komödie "The Shop Around the Corner" (Rendezvous nach Ladenschluß) mit James Stewart und Margaret Sullavan in den Hauptrollen, 1942 "To Be Or Not To Be" (Sein oder Nichtsein), eine bissige Satire über eine jüdische Schauspieltruppe, die ihre Flucht aus dem von Nazis besetzten Warschau plant. Wegen seiner Verulkung eines ernsten Themas von Teilen der Kritik zunächst angegriffen, ist auch dieser Film längst ein Klassiker und womöglich Lubitschs berühmtestes und beliebtestes Werk.

1943 wechselte Lubitsch zu Twentieth Century Fox und inszenierte die Gesellschaftskomödie "Heaven Can Wait" (Ein himmlischer Sünder). Daneben betreute er als Produzent Otto Premingers "A Royal Scandal" (1945) und Joseph L. Mankiewiczs "Dragonwyck" (Weißer Oleander, 1946). 1946 erlitt er einen Herzinfarkt, von dem er sich nie mehr vollständig erholte. Dennoch führte er noch im gleichen Jahr die Regie bei der romantischen Komödie "Cluny Brown". Bei der Oscar-Verleihung 1947 wurde er mit einem Ehrenpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Kurz darauf nahm er seinen letzten Film "That Lady In Ermine" (Die Frau im Hermelin) in Angriff, musste die Arbeit jedoch vorzeitig abbrechen; Otto Preminger stellte den Film für ihn fertig.

Am 30. November 1947 starb Ernst Lubitsch in Hollywood an einem neuerlichen Herzinfarkt.“

http://www.filmportal.de/person/ernst-lubitsch_1594a2cee028453f9001bf090cc6f8aa

 

Ein großer Künstler und Mensch

 

Samson Raphaelson: „Lubitsch liebte Ideen mehr als alles auf der Welt, seine Tochter Nicola ausgenommen. Dabei spielte die Art der Ideen keine Rolle. Er konnte sich ebenso leidenschaftlich für den Schlußmonolog einer Figur aus einem gerade entstehenden Drehbuch begeistern wie für die Verdienste von Horowitz und Haifetz, die Ästhetik der modernen Malerei oder für die Frage, ob es der richtige Zeitpunkt sei, um Immobilien zu kaufen. Und seine Begeisterung übertraf gewöhnlich die aller anderen, so daß er in einer Gruppe meist dominierte. Dennoch sah ich sogar auf diesem Tummelplatz der Egoisten nie jemanden, der nicht in Lubitschs Gesellschaft vor Vergnügen strahlte. Nicht seine Brillanz oder seine Unfehlbarkeit bereiteten uns dieses Vergnügen - denn unfehlbar war er in der Tat nicht, und auch sein Witz hatte schwache Momente, schließlich war er ein Mensch -, sondern das reine, kindliche Entzücken an seiner lebenslangen Liebesbeziehung zu Ideen.

Eine Idee war ihm wichtiger als beispielsweise der Weg, den seine Gabel voll Essen gerade nahm. Dieser Regisseur, der einen so sicheren Blick für Stil hatte - von den Äußerlichkeiten wie Kleidung und Manieren bis hinein in die subtilsten Regungen eines aristokratischen Herzens -, griff in seinem Privatleben mit Vorliebe nach der nächstbesten Hose und Jacke, ob sie nun zusammenpaßten oder nicht, brüllte wie ein König oder Bauer (aber nie wie ein Gentleman) und ging durchs Leben, vieler Feinheiten und Schattierungen ungeachtet und mit jener Unbeholfenheit, die den aufrechten Mann kennzeichnet. Er hatte keine Zeit für Manieren, doch seine innere Grazie war unübersehbar, und ein jeder wurde von ihr angesteckt, ob Laufjunge oder Mogul, Techniker oder Künstler. Sogar die Garbo lächelte in seiner Gegenwart, und auch Sinclair Lewis und Thomas Mann. Er war mit der glücklichen Gabe geboren, sich sogleich und allen aufzuschließen.

Als Künstler war er raffiniert, als Mensch fast naiv. Als Künstler durchtrieben, als Mensch einfach. Als Künstler verhielt er sich ökonomisch, präzis, anspruchsvoll; als Mensch vergaß er ständig seine Lesebrille, seine Zigarren, Manuskripte, und meist fiel es ihm schwer, sich seine Telefonnummer zu merken. Wie groß die Filmhistoriker ihn eines Tages auch einschätzen, als Mensch war er größer.

Ich bezweifle, daß je ein Mensch sein Handwerk besser verstanden hat. Ich war bezaubert von Charles Bracketts Vorstellung von Lubitsch, wie er durch das Himmelstor schreitet und die anderen Showleute trifft: Molière, Congreve, Shakespeare. Auch wenn sie nie von ihm gehört haben sollten, weiß ich, daß er zehn Minuten später einer von ihnen sein würde. Ich bin sicher, daß mit der Zeit viele von ihnen, nachdem sie ihn besser kennengelernt hätten, fühlen würden - wie die sterblichen Autoren, die Lubitsch wirklich kannten -, daß hier einer ist, der die Kunst des Schreibens zutiefst achtet und versteht.

Er war von echter Bescheidenheit. Er strebte nicht nach Ruhm und war nicht auf Preise aus. Er war unfähig, für sich selbst Reklame zu machen. Man konnte ihn nie verletzen, wenn man kritisch über seine Arbeit sprach. Und irgendwie verletzte auch er seine Mitarbeiter nie mit seiner unschuldigen Direktheit. Wenn er dich akzeptierte, dann weil er an dich glaubte. Folglich konnte er sagen: «0, ist das lausig», und gleichzeitig spürtest du, wie sehr er deine verborgenen Qualitäten (auf die du hofftest) schätzte. Ein großartiger Schauspieler, war er völlig unfähig, in seinen persönlichen Beziehungen zu schauspielern. Er ging mit den Großen nicht anders um als mit den Kleinen, benahm sich im Salon nicht anders als in der Kneipe. Er war frei von Arglist und Scheinheiligkeit, so wie man es von Kindern sagt, und das machte ihn unendlich vielseitig und liebenswert.

Es tut mir leid, daß ich ihm all dies nicht zu sagen vermochte, als er noch lebte.“

 

Frauen

 

Helma Sanders-Brahms: „'Wer die Welt vor der Revolution nicht gekannt hat, hat die Süße des Daseins nicht geschmeckt', sagt Talleyrand, der bekanntlich nicht nur den französischen Königen, sondern auch der Republik, dem Parvenü Napoleon, dessen Entmachtung und der Restauration gleichermaßen gedient hat. Immerhin schaffte er es, aus dem in die Knie gezwungenen Frankreich beim Wiener Kongreß fast eine Siegermacht zu machen, einfach dadurch, daß er seinen Beruf - den des Diplomaten - und die Menschen kannte, letztere durchschaute, ein bißchen zynisch sogar.

Ernst Lubitsch hat mit dem großen Frauenliebhaber Talleyrand sicherlich dieses Kredo gemeinsam, das geradezu leitmotivisch sein Werk durchzieht: Sehnsucht nach der alten, vorrevolutionären Welt, nach ihren verfeinerten, dekadenten Genüssen, nach ihrer subtilen Verehrung dessen, was eine Frau sein kann: Lächeln, Duft, Rauschen von Seide, Verführung. Alles Fremdwörter im nachrevolutionären Vokabular, das er dann später, in NINOTCHKA, noch einmal durchbuchstabiert hat …

Und daß er die Frauen besonders liebt und ihre spezielle Unmoral besonders schätzt, daran läßt er gleichfalls keinen Zweifel. Mit Ausnahme von Marlene Dietrich, die auch bei ihm nicht aufregender war als bei Josef von Sternberg, gibt es keine Schauspielerin einschließlich der Garbo, die bei ihm nicht schöner, komplexer, reicher gewesen wäre als bei jedem anderen Regisseur. Neben seinen Frauengestalten kommen die Männer, so sorgsam er auch mit ihnen umgeht, immer ein bißchen schlechter weg.“

 

Lubitsch-Touch

 

Fritz Göttler: „Wenn man etwas wirklich sieht bei Lubitsch, hat man das Eigentliche meistens schon verpaßt. Seine Filme sind auf Erwartungen und Vorausahnungen gebaut, nicht auf Erfüllung oder Bestätigung. Es sind Filme des Versprechens, sie machen Reklame fürs Glück, aber man spürt, daß in diesem Versprechen allein schon das ganze Glück besteht. Nur die Schatten der Liebenden vereinigen sich in "Trouble in Paradise" auf einem Bett – das ist der einzige "Vollzug", zu dem es bei Lubitsch kommt.

Die Lust am permanenten Aufschub ist die Quelle für das Komische und Groteske, das aber dann immer wieder auch ans Grausame und Erschreckende grenzt.“

http://www.filmportal.de/sites/default/files/DB95C578406E418A94098C8BD0D70A82_ernst_lubitsch.pdf

Frieda Grafe: „Der Lubitsch-Touch ist das Unausgesprochene, das jedermann als solches versteht, und er ist eine Inszenierung, gedacht als Falle, fürs Unbewußte. Es stimmt nicht, was ein Zensor vom Hays Office meinte: Man weiß genau, was er sagt, aber man kann nicht beweisen, daß er es sagt. Seine berühmten Auslassungen, seine Ellipsen, die ihren vollendeten Ausdruck in der Funktion der Türen in seinen Filmen finden, sind kein süffisantes, anzügliches Verschweigen. Alles liegt offen zutage in Bildern ohne Worte. Zu beiden Seiten der Türen ist außen. Man staunt oder man lacht laut auf, Augen und Mund weit offen.“

Peter Bogdanovich: "Der Lubitsch-Touch – das war ein ebenso berühmtes Markenzeichen wie Hitchcocks Meister des Suspense, nur vielleicht nicht so oberflächlich. Der Begriff deutet auf etwas Leichtes, merkwürdig Undefinierbares und doch Berührbares, und wenn man Lubitsch-Filme sieht, spürt man - mehr als in dem Werk fast jedes anderen Regisseurs - diesen Geist; nicht nur in der taktvollen und immer angemessenen Position der Kamera, der subtilen Ökonomie seiner Handlungsführung, den doppelbödigen Dialogen, die alles sagen, ohne es zu sagen, sondern auch - und vor allem - in der Darstellung jedes einzelnen Schauspielers, gleichgültig, wie klein die Rolle ist. Jack Benny erzählte mir, Lubitsch habe alles bis ins Detail vorgespielt - oft in aller Breite, aber immer genau auf den Punkt -, wohl wissend, sagte der Komiker, daß er die Anweisung in seine eigene Art übersetzen und umsetzen würde. Dies muß Lubitschs Methode bei all seinen Schauspielern gewesen sein, denn in einem Lubitsch-Film spielt jeder - ob Benny oder Gary Cooper, Lombard oder Kay Francis, Maurice Chevalier oder Don Ameche, Jeanette MacDonald oder Claudette Colbert - in demselben, unverwechselbaren Stil. Trotz ihrer individuellen Persönlichkeiten - und Lubitsch unterdrückte diese nie - sind sie so durchdrungen von der Weltsicht des Regisseurs, daß sie sich anders verhalten als in ihren übrigen Filmen.

Das war nicht imitierbar. Obwohl Lubitsch im Laufe der Zeit viele Nachahmer fand, gelang es keinem, das Wesentliche zu erfassen. Stil ist schwer zu beschreiben. Er entsteht von innen heraus, durch das feinverästelte Wirken von Herz und Verstand, nicht aus dem, was offen zutage liegt - wie etwa Lubitschs Hang, als Kontrapunkt zu den Machenschaften seiner Figuren mit der Kamera auf unbelebten Gegenständen zu verweilen. Sicherlich, Lubitsch war berühmt dafür, eine geschlossene Tür zu zeigen, während sich dahinter stumm oder kaum hörbar eine Krise abspielte, oder seine Figuren durch geschlossene Fenster nur beim Gebärdenspiel zu beobachten. Das war gewiß ebensosehr Teil seines Stils wie ein Zeichen seines Takts und guten Geschmacks und der grenzenlosen Zuneigung und Achtung, die er den oft leichtsinnigen und frivolen Männern und Frauen entgegenbrachte, die in seinen herrlichen Komödien und Musicals für uns ihre Scharaden spielten.

Nein, viel wesentlicher (wenn auch nicht das wahre Geheimnis, denn das starb wohl mit ihm - wie das Geheimnis eines jeden großen Künstlers) war seine geradezu wunderbare Fähigkeit, zu spotten und zu preisen, und zwar gleichzeitig und mit solcher Perfektion, daß man nie wirklich sagen kann, wo Satire endet und die Glorifizierung beginnt …

Lubitsch hatte einen gewaltigen Einfluß auf den Amerikanischen Film. Jean Renoir hat nur wenig übertrieben als er kürzlich zu mir sagte 'Lubitsch hat das moderne Hollywood erfunden', denn sein Einfluß war - und ist weiterhin - spürbar in der Arbeit sogar vieler sehr eigenwilliger Regisseure. Hitchcock hat mir das eingeräumt, und ein Blick auf Lubitschs TROUBLE IN PARADISE (1932) und Hitchcocks To Catch A Thief (Über den Dächern von Nizza, 1955 - in beiden Filmen geht es um Juwelendiebe, der Vergleich fällt also leicht) enthüllt, wie gut er von Lubitsch gelernt hat, obwohl beide Arbeiten eindeutig die Handschrift ihrer Schöpfer tragen. Billy Wilder, Co-Autor einiger Filme von Lubitsch, darunter dem wundervollen Film NINOTCHKA (1939), unternahm mehrere respektable Ausflüge in dessen Welt, andere versuchten es mit weniger bemerkenswertem Resultat.“

Pola Negri: „Auch wenn der Film (Die Augen der Mumie Ma) nicht der beste aller Zeiten war, mein Instinkt in bezug auf Lubitsch war richtig. Mit ihm zu arbeiten, war ein faszinierendes Erlebnis. Wir ergänzten einander vollkommen. Er wußte, daß sein analytisches Vorgehen leicht kalt und distanziert wirken würde, wäre es nicht mit meiner Emotionalität gekoppelt. Von Anfang an zeigten sich in seiner Arbeitsweise gewisse Konstanten, die bis zum Ende seiner Karriere anhielten. Er verfolgte die satirische Linie; bis sein Publikum vor Lachen nicht mehr konnte, um es dann unvermittelt mit einer tragischen Wendung zu konfrontieren, so daß es sich fragen mußte, was denn so amüsant gewesen sei. Er sorgte für ersteres, während ich letzteres beitrug. Das war die Grundlage unserer glücklichen Zusammenarbeit und einer der Gründe, warum wir zusammen niemals Mißerfolg hatten. In den folgenden Jahren sollte ich viele Filme ohne ihn machen und er ohne mich. Einige waren gut, einige waren schlecht. Als Team waren wir jedoch immer erfolgreich.“

Billy Wilder: … Die Wahrheit ist natürlich, daß Lubitsch selbst der beste Drehbuchautor seiner Filme war, obwohl sein Name nie auf der Leinwand erschien in dieser Funktion. Es gab keinen Autor und keinen Regisseur, der für diese Art von Filmen, die er machte, besser war als Lubitsch selbst.

Rasner/Wulf: Hat Lubitsch während des Drehens die Drehbücher verändert oder hat er in der Entstehungsphase mitgearbeitet?

Wilder: Während des Drehens nicht, nie. Aber er hat regelrecht am Drehbuch mitgeschrieben, saß tagelang mit uns zusammen, bei beiden Filmen. Er war ein vollwertiger Mitarbeiter ohne credit. Und es war immer wieder überwältigend mitzuerleben, was dem Mann da spontan so alles einfiel. Der hat ein ganz anderes Gehirn gehabt als gewöhnliche Menschen! Wenn wir eine Szene geschrieben hatten, der Brackett und ich, dann kam Lubitsch dazu, hat es irgendwie ein bißchen geknetet, hat es ein bißchen gedreht und hat so ein paar kleine Lichter draufgesetzt, hat es noch etwas eleganter gemacht, und auf einmal war es Lubitsch. Ein ganz besonderes, seltenes Talent. Und das hat er mit ins Grab genommen …

Die große Lubitsch-Idee ist doch, daß das Publikum für ihn arbeitet. Ein mittelmäßiger oder auch ein guter Regisseur sagt dem Publikum ‚Zwei und zwei ist vier.‘ Aber der Lubitsch ist gekommen und hat nur gesagt: ‚Zwei und zwei …‘ und das Publikum hat es selbst zusammengezählt: ‚Aha, vier!‘ er hat sie dazu gebracht, sein Spiel mitzuspielen, er hat es nicht einfach so flach serviert. Da wurde immer die Phantasie des Publikums miteinkalkuliert. Die mußte natürlich vorher stimuliert, ja in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt werden. Und das steckte schon alles in den Drehbüchern drin. Lubitsch war ein Mann, der vollständig vorbereitet war, wenn er ans Drehen ging. Nicht einer der Scherze in seinen Filmen wurde da erst am Drehort erfunden.

Immer wenn ich eingeladen werde, vor Filmstudenten zu sprechen - was ich nicht besonders gern tue -, wenn ich dann keine Lust mehr habe, über meine eigenen Filme zu reden, sage ich: ‚Passen Sie auf, wir sprechen lieber über Lubitsch.‘ Und dann führe ich immer so ein bißchen vor, wie der Lubitsch mit einem gearbeitet hat: ‚Wir haben folgende Situation. Da ist ein König, gespielt von Georges Barbier, diesem großen, dicken Schauspieler; wir haben eine Königin, das ist die Una Merkel; und wir haben einen Leutnant, das ist der Chevalier. Ich möchte jetzt, daß Sie mir dramatisieren, daß der Leutnant ein Verhältnis mit der Königin hat und daß der König es eines Tages durch Zufall herausfindet. Heute ist Freitag, kommen Sie am Dienstag mit der fertigen Szene, ich möchte sie dann sehen.‘

Wenn man eine solche Ausgangssituation an fünftausend Autoren verteilte, keiner würde herausfinden, wie es der Lubitsch gemacht hat. Die Szene ist aus THE MERRY WIDOW und ist, glaube ich, ein sehr schönes Beispiel für die Technik Lubitschs, obwohl man aus jedem seiner Filme ein Dutzend gleichwertiger Beispiele anführen könnte: Man sieht ein Schloß, ein Schlafzimmer, den König und die Königin. Die Königin liegt noch im Bett, der König zieht sich an, küßt seine Frau und geht aus dem Zimmer. Draußen vor der Tür steht der Chevalier auf Wache. Der König geht vorbei, der Chevalier salutiert, der König verschwindet um die Ecke. Im gleichen Augenblick dreht sich der Chevalier um und geht ins Schlafzimmer zur Königin. Er macht die Tür zu, der Zuschauer sieht nichts, nur die Tür von draußen, die Kamera geht nicht mit ihm hinein. Jetzt wieder der König: Er geht die Treppe hinunter und merkt, daß er vergessen hat, seinen Säbel umzuschnallen. Also geht er langsam wieder die Treppe hoch, Richtung Schlafzimmer, das Publikum wartet schon auf den Knall, den es da geben wird. Er macht die Tür auf, geht hinein, macht die Tür zu. Wir sind wieder draußen, malen uns aus, was jetzt im Zimmer passiert. Die Tür geht wieder auf, der König kommt heraus, seinen Säbel in der Hand, er lächelt. Nichts gemerkt, kein Knall. Er geht langsam weg, will den Säbel umschnallen - der Gürtel ist viel zu eng, es ist gar nicht seiner! Und jetzt durchschaut er die Situation, geht zurück und findet den Chevalier unterm Bett. Jeder hätte es anders gelöst, aber keiner hätte es so elegant, so witzig und so spannend fürs Publikum gemacht wie der Lubitsch.

 

 

Rasner/Wulf: Es gibt ja mindestens einen Film von Ihnen, bei dem die Anklänge an den Lubitsch-Touch sehr deutlich sind, das ist Love in the Afternoon.

Wilder: Ja, ein bißchen. Ich hab's natürlich auch versucht, immer wieder versucht. Besonders die Szene, in der der Cooper im Hotelzimmer sitzt, sich betrinkt, und die Zigeuner spielen. Der Gag mit dem Wagen, den Flaschen und den Gläsern, die sich dauernd hin und her schieben. Man versucht doch immer, die Meister zu kopieren, und manchmal ist die Sache sogar ganz erfolgreich. Aber es ist immer nur „wie Lubitsch“, Lubitsch-Schule, nie Original-Lubitsch. So wie bei Rembrandt und seinen Schülern. Ich wollte, er wäre nicht so früh gestorben und ich hätte seine Technik noch etwas länger studieren können.“

 

Desinteresse für alles Politische

 

Wolfgang Limmer: „Stil war ihm alles. Das Wien, Paris, der Operettenbalkan, das aristokratische Europa, das im ersten Weltkrieg unterging, die ausladenden Salons, die langen Abendroben und Fräcke, all die Accessoires, die seine Personen als Hürden mit der heimlichen Aufforderung, sie zu überspringen, untereinander aufbauten (Türen waren die idealsten Hürden), die Gesten, die immer mehr sagten als Worte, dies alles war seine Welt. Elend oder auch nur Alltag brachte er nie auf die Leinwand; nicht, weil er das nicht kannte, sondern, weil es keinen Stil hatte. Wer um seine Existenz kämpfen mußte, hatte keine Zeit für Charme … Lubitschs Desinteresse für alles Politische, seine Skepsis gegenüber jeder sozialen Utopie verband ihn eng mit der Schicht, aus der die Majorität seiner Zuschauer kam, dem Kleinbürgertum … Lubitschs Interesse galt dem Menschen, weniger den Bedingungen, unter denen er lebte. Während der Depression befriedigte er den Drang nach Eskapismus, weil er in ihm ein echtes Bedürfnis sah. Er ließ sich kaum vor den Wagen einer aktuellen Ideologie spannen, wie es seine Schüler Capra (New Deal) und Preston Sturges (militaristischer Nationalismus) taten … Warten kann jede Ideologie, jedes Engagement, das nicht die wahren Lebensbedürfnisse befriedigt, das heißt nicht die Freude am Leben befördert. Nur darauf kam es Lubitsch an. Er hat aus seinem Publikum Connaisseure und nicht Voyeure gemacht.“

Pola Negri: „Für den Abend des 8. November 1918 luden wir die Presse und die leitenden Leute der Ufa zu einer Sondervorstellung von CARMEN in den Vorführsaal des Studios ein. Lubitsch war noch mit dem endgültigen Schnitt beschäftigt, mir wurde für die Vorführung ein neues Abendkleid geschneidert, und das Studio bereitete einen Champagner-Empfang vor. Keiner von uns schenkte den umwälzenden Ereignissen, die sich überall abspielten, viel Aufmerksamkeit. Wenn man am Rande des Abgrunds lebt, nimmt man ihn bald nicht mehr wahr, und wenn Zeitungen tagtäglich von Katastrophen voll sind, hört man bald nicht mehr hin …

Am Morgen jenes Vorführungstages hatte München von Berlin die bayerische Unabhängigkeit gefordert. überall gärte es, und die Roten wie die Weißen - die Sozialisten wie die Royalisten -, all die verschiedenen politischen Fraktionen des Landes waren bereit, nach einem Staatsstreich zu rufen. Deutschland war völlig demoralisiert von der bevorstehenden Niederlage. Und wir bereiteten eine Party vor ...

An jenem Abend war mein Lamé-Kleid ein glitzernder Triumph. Der Champagner war perfekt gekühlt und löste die Zungen: Gelächter, Scherz und Plauderei. Das Studio-Orchester spielte Melodien aus „Carmen“, um uns in die richtige Stimmung für den Film zu versetzen. Die Konversation floß so frei und prickelnd wie der Champagner. Sogar die düsteren Ahnungen der Bankiers, die der Ufa die Kredite gegeben hatten, wurden vom Glanz der Zusammenkunft überdeckt.

Wir nahmen im Vorführsaal Platz, und der Film begann. Bei meinem ersten Auftritt gab es Beifall. Durch den Applaus und noch einen Moment danach hörte ich in der Ferne ein schwaches Geräusch. Es klang - doch das konnte nicht sein - wie Gewehrfeuer. Ich sah mich um, ob andere es ebenfalls wahrgenommen hatten, aber da war nichts als intensive Konzentration auf den Film, unterbrochen nur durch gelegentlichen Beifall für bestimmte filmische Effekte. Als Escamillo auftrat, intonierte das Orchester die markige „Torero-Arie“. Minuten später wiederholte sich das Geräusch. Diesmal wurde es nicht vom Klatschen übertönt. Ich lehnte mich hinüber zu Lubitsch und flüsterte: ‚Ernst, hast du gehört ...‘ Seine Antwort kam schnell und knapp. ‚Ja, scht! Da kann keiner was machen. Sieh dir den Film an.‘

Das entfernte Gewehrfeuer rückte jetzt näher und untermalte fortwährend den Film. Jeder im Publikum mußte es bemerkt haben, aber man starrte weiterhin auf die Leinwand, und keiner verriet auch nur mit einer Kopfbewegung seine Wahrnehmung. Ich kauerte mich auf meinem Sitz zusammen, entsetzt über unsere ruhige Selbstbezogenheit, über die Tatsache, daß wir alle wußten, was vorging, doch lieber so taten, als geschehe nichts. Es war ja so viel einfacher, die Augen zu verschließen, als Fragen zu stellen.

Am Ende des Films gab es enthusiastischen Applaus. Alle blieben im Vorführsaal, scheinbar, um uns zu gratulieren, tatsächlich aber, weil sie nicht wußten, was sie sonst tun sollten. Das Gewehrfeuer dauerte an. Wir konnten nicht sicher sein, was uns außerhalb dieses angenehm fensterlosen Raums erwartete, also tranken wir weiter und lachten fröhlich und diskutierten über den Film.

Paul Davidson schlich sich für ein paar Minuten fort. Als er zurückkehrte, winkte er mich beiseite und sagte: ‚Es ist ein Gefecht zwischen den Roten und den Weißen. Diese Irren beschießen sich gegenseitig von den Dächern aus.‘ ‚Was sollen wir tun?‘ ‚Wenn wir alle auf einmal weggehen, bieten wir ein zu deutliches Ziel. Wir gehen am besten einzeln oder zu zweit. Was ist mit Ihnen? Wie kommen Sie nach Haus? Es gibt keine Taxis. Ich halte es nicht für sicher zu fahren. Soll ich Ihnen ein Zimmer im Adlon besorgen?‘ ‚Nein, nein, ich bin in Charlottenburg besser aufgehoben. Wenn die U-Bahn fährt, kann ich die nehmen.‘

Davidson schickte seinen Assistenten los, um die Verkehrsmöglichkeiten zu erkunden. Die U-Bahn fuhr, und ich wollte lieber gehen, solange ich noch konnte. Als ich mich still verdrückte, war die Party noch in vollem Gange, als sei nichts auf der Welt in Unordnung. Die Straßen waren vollkommen verlassen. Die einzigen Geräusche kamen von den Gewehrschüssen direkt über mir, die mit ohrenbetäubendem Krach durch die Luft peitschten. Um nicht von einer verirrten Kugel getroffen zu werden, bewegte ich mich in kurzen, seitlichen Schritten vorwärts, den Rücken immer dicht an einer Hauswand. Der halbe Block bis zur U-Bahn-Station war der längste Spaziergang meines Lebens. Als ich endlich dort ankam, war ich schweißgebadet. Gefahren hatte ich schon vorher gekannt, aber niemals war der Tod so nah gewesen, daß er neben mir herzulaufen schien.“

Die Welt fällt in Trümmer und Ernst Lubitsch scheint das nicht zu interessieren. Bei allem Desinteresse an Politik hat er dennoch mit „Sein oder Nichtsein“ und „Ninotschka“ zwei der politisch einflussreichsten Filme der Geschichte inszeniert. „Ninotschka“ wurde Jahre nach seiner Uraufführung als anti-kommunistisch angesehen, was der Film tatsächlich nicht war (unter Anderem waren die Kommunisten mit einer Ausnahme als sehr sympathisch geschildert und die richtig Unsympathische war die Vertreterin des russischen Adels).

Mit „The Man I Killed/Broken Lullaby” („Der Mann, den sein Gewissen trieb“) aus dem Jahr 1931 bezieht Ernst Lubitsch tatsächlich Stellung für Pazifismus und Völkerverständigung, was das Publikum aber nicht interessiert und in „Cluny Brown auf Freiersfüßen“ spielt das britische Kastensystem eine Rolle.

Zur Rolle des Künstlers bzw. überhaupt von Menschen, eindeutig Stellung zu beziehen, siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/153-was-gesagt-werden-muss.html

 

Filme von Ernst Lubitsch

 

Ernst Lubitsch in einem Brief an Theodore Huff: „Wenn ich von den Filmen spreche, die ich in der Vergangenheit gemacht habe, so urteile ich natürlich nach der Erinnerung und nach der Wirkung, die sie zu der Zeit hatten, als sie produziert wurden, und nicht nach gegenwärtigen Maßstäben.

Der verstorbene Victor Arnold, der bekannte Schauspieler, der in Ihrem Index erwähnt wird, war mein Lehrer. Er hatte auf meine gesamte Laufbahn und meine Zukunft großen Einfluß. Nicht nur stellte er mich Max Reinhardt vor, indem er mir die Rolle des Lehrlings in Die Firma heiratet verschaffte, war er auch für meinen ersten Filmerfolg verantwortlich.

Obwohl ich in dem nächsten Film, Der Stolz der Firma, Hauptdarsteller war und der Film Erfolg hatte, kam meine Filmlaufbahn zu einem Stillstand. Ich war abgestempelt, und niemand schien eine Rolle zu schreiben, die mir angemessen war. Nach zwei Erfolgen war ich vollkommen draußen, und da ich nicht aufgeben wollte, sah ich mich genötigt, selbst Rollen für mich zu schaffen. Zusammen mit einem Freund, dem inzwischen verstorbenen Erich Schönfelder, schrieb ich eine Serie von Einaktern, die ich an die Union-Gesellschaft verkaufte. Ich inszenierte sie und spielte in ihnen die Hauptrolle. Und so wurde ich Regisseur. Wäre meine Schauspielerkarriere glatter verlaufen, wäre ich vielleicht nie Regisseur geworden.

Nachdem ich diese Serie von Lustspiel-Einaktern beendet hatte, beschloß ich, zum Spielfilm zurückzukehren. Wie jeder Komiker, wollte ich gern eine ernste Hauptrolle spielen, eine Art „Bonvivant“-Rolle. So schrieb ich mit meinen Mitarbeitern ein Drehbuch mit dem Titel Als ich tot war. Der Film war ein völliger Fehlschlag, weil das Publikum nicht bereit war, mich in einer ernsten Rolle zu akzeptieren.

Ich beschloß, mit dem Film Schuhpalast Pinkus zu der Art von Rollen zurückzukehren, die mir den ersten Erfolg gebracht hatten. Der Film war ein großer Erfolg, und ich schloß mit der Union-Gesellschaft einen neuen Vertrag für eine Serie von Filmen dieser Art. Ich möchte erwähnen, daß solche Filme damals als Spielfilme betrachtet wurden und die Hauptattraktion waren.

Zu dieser Zeit geschah es, daß ich Ossi Oswalda entdeckte und ihr die Hauptrolle in einem meiner Filme gab. Sie hatte solchen Erfolg, daß ich beschloß, sie in eigenen Filmen herauszustellen und nur als Regisseur zu fungieren. Schließlich interessierte mich die Regie zunehmend mehr als die Schauspielerei, und nachdem ich meinen ersten dramatischen Film mit Pola Negri und Jannings gedreht hatte, verlor ich jedes Interesse daran, Schauspieler zu sein. Erst 1919, glaube ich, als ich in Sumurun spielte, stand ich wieder vor der Kamera. Mein letzter Bühnenauftritt war 1918 in einer Revue, „Die Welt geht unter“, im Berliner Apollo-Theater.

Meiner Meinung nach waren die drei wichtigsten Lustspiele, die ich als Regisseur in Deutschland gemacht habe, DIE AUSTERNPRINZESSIN, DIE PUPPE und KOHLHIESELS TÖCHTER. DIE AUSTERNPRINZESSIN war mein erstes Lustspiel, in dem sich ein bestimmter Stil andeutete. Ich erinnere mich an eine kurze Szene, die damals viel diskutiert wurde. Ein armer Mann mußte in der glanzvollen Empfangshalle eines Multimillionärs warten. Der Parkettfußboden bestand aus einem sehr komplizierten Muster. Um seine Ungeduld und seine Scham nach Stunden des Wartens zu bezwingen, schritt der arme Mann die Linien des ausgeklügelten Parkettmusters ab. Es ist sehr schwer, diese Nuance zu beschreiben, und ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, aber es war das erste Mal, daß ich mich von der Komödie der Satire zugewandt hatte. DIE PUPPE war in einem gänzlich anderen Stil. Wie DIE AUSTERNPRINZESSIN war sie in jeder Hinsicht ein Erfolg. Es war reine Phantasie; die meisten Dekorationen waren aus Pappe, einige sogar aus Papier. Selbst heute noch halte ich diesen Film für einen meiner einfallsreichsten.

Doch die populärste Komödie, die ich in Deutschland gemacht habe, war KOHLHIESELS TÖCHTER. Es war „Der Widerspenstigen Zähmung“, in die bayrischen Berge versetzt. Der Film war typisch deutsch. Er ist seither drei- oder viermal neugedreht worden.

Aus der Periode meiner historischen Filme und Kostümfilme waren, würde ich sagen, die drei hervorragenden CARMEN, MADAME DUBARRY und ANNA BOLEYN. Meiner Meinung nach bestand die Bedeutung dieser Filme darin, daß sie sich vollständig unterschieden von der damals sehr gängigen italienischen Schule, die der Großen Oper verwandt war. Ich versuchte, meine Filme zu ent-opern und meine historischen Gestalten zu vermenschlichen - die intimen Nuancen nahm ich ebenso wichtig wie die Massenbewegungen und versuchte, beide zu mischen. In diesem Zusammenhang muß ich SUMURUN erwähnen, ein spielerisch-phantastisches Stück nach der Inszenierung von Max Reinhardt. Es war erfolgreich, doch nicht in dem Maße wie die drei zuvor erwähnten Filme.

Der Film DIE BERGKATZE war ein vollständiger Fehlschlag, und doch besaß dieser Film mehr Einfallsreichtum und satirischen Bildwitz als viele meiner anderen Filme. Kurz nach dem Kriege, als der Film herauskam, befand sich das deutsche Publikum nicht in der Stimmung, einen Film zu akzeptieren, der Militarismus satirisch behandelte.

Zwei weitere Filme meiner deutschen Periode sind meiner Meinung nach nicht richtig gewürdigt worden, RAUSCH und DIE FLAMME. Ich empfand die Notwendigkeit, als Gegengewicht zu den großen Historienschinken ein paar kleine „Kammerspiele“ zu machen. Beide Filme waren sehr erfolgreich. Natürlich war das Spiel von Asta Nielsen, Alfred Abel und Carl Meinhard wie auch der übrigen Besetzung in RAUSCH hervorragend und wurde seinerzeit als beispielhaft für den Charakter eines „Kammerspiels“ anerkannt.

Dasselbe gilt für DIE FLAMME mit Pola Negri. Die in Amerika verliehene Fassung hatte ein anderes Ende und war verstümmelt, sie vermittelte nicht die leiseste Vorstellung vom dramatischen Wert und Gehalt, die dieser Film in seiner Originalfassung gehabt hatte.

In meiner Stummfilmperiode in Deutschland sowohl als auch in Amerika versuchte ich, immer weniger Zwischentitel zu verwenden. Mein Ziel war, die Geschichte gänzlich mit Hilfe bildhafter Nuancen und der Mimik meiner Darsteller zu erzählen. Es gab sehr oft lange Szenen, in denen Leute sprachen, ohne daß sie durch Zwischentitel unterbrochen wurden. Die Lippenbewegung wurde als eine Art Pantomime eingesetzt. Nicht, daß ich die Zuschauer im Lippenlesen unterrichten wollte, aber ich versuchte, der Sprache ein solches Tempo zuzumessen, daß das Publikum mit den Augen hören konnte.

Über meine amerikanische Periode sind Sie natürlich gut informiert, deshalb kann ich mich hier kürzer fassen. Ich möchte nur darlegen, welches meiner Meinung nach die wesentlichsten Filme meiner amerikanischen Periode waren.

Aus den stummen Tagen möchte ich THE MARRIAGE CIRCLE, LADY WINDERMERE'S FAN und THE PATRIOT nennen und auch KISS ME AGAIN.

Die Tonfilmzeit ist Ihnen und Mr. Huff zu bekannt, als daß ich darauf ausführlich eingehen müßte, und ich will gleich zu der Zeit übergehen, die im Index als die Periode meines „Niedergangs“ beschrieben wird.

Es mag zutreffen, daß meine Laufbahn sich abwärts neigt, und ich will nicht versuchen, es zu bestreiten. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, daß ich gerade in jener Periode vier wichtige Filme gemacht habe, von denen drei nach Meinung vieler Leute die besten drei Filme meiner ganzen Laufbahn waren: TROUBLE IN PARADISE, NINOTCHKA und SHOP AROUND THE CORNER.

Was reinen Stil angeht, so habe ich wohl nichts Besseres gemacht als TROUBLE IN PARADISE und auch nichts gleich Gutes.

Was Satire angeht, so glaube ich, daß ich wahrscheinlich nie schärfer war als in NINOTCHKA, und ich meine, daß ich die sehr schwierige Aufgabe bewältigt habe, eine politische Satire mit einer romantischen Geschichte zu verbinden.

Was menschliche Komödie angeht, so war ich wohl nie so gut wie in SHOP AROUND THE CORNER. Ich habe nie einen Film gemacht, in dem die Atmosphäre und die Gestalten authentischer gewesen wären als in diesem Film. Der Film, der in sechsundzwanzig Tagen mit einem sehr bescheidenen Etat produziert wurde, war kein sensationeller, aber ein guter Erfolg.

HEAVEN CAN WAIT - ihn betrachte ich als eine meiner Hauptproduktionen, weil ich in verschiedener Hinsicht aus der etablierten Filmkonvention auszubrechen versuchte. Ich stieß auf teilweise großen Widerstand, ehe ich diesen Film machte, weil er keine Botschaft hatte und keine Aussage welcher Art auch immer. Der Held war ein Mann, den es allein interessierte, gut zu leben, der nicht darauf aus war, etwas zu vollbringen oder etwas Edles zu tun. Als ich vom Studio gefragt wurde, warum ich einen derart nichtssagenden Film machen wolle, antwortete ich, ich hoffte das Kinopublikum mit einigen Leuten bekanntzumachen, und wenn das Publikum sie liebenswert finden würde, wäre das für den Erfolg des Films ausreichend. Und wie sich herausstellte, hatte ich zum Glück recht. Übrigens zeigte ich die glückliche Ehe in einem wahrheitsgetreueren Licht, als es sonst in Filmen geschieht, wo eine glückliche Ehe nur allzuoft als eine sehr langweilige und freudlose Heimchen-am-Herd-Affäre dargestellt wird.“

Hier ein paar Links, teilweise nur in kurzen Ausschnitten.

 

1914: Der Stolz der Firma

 

 

1916: Schuhpalast Pinkus

 

 

1918: Die Augen der Mumie Ma

 

 

1918: Carmen

 

 

1919: Meyer aus Berlin

 

 

1919: Die Austernprinzessin

 

 

1919: Madame Dubarry

 

 

1919: Die Puppe

 

 

1920: Kohlhiesels Töchter

 

 

1920: Romeo und Julia im Schnee

 

 

1920: Sumurun

 

 

1920: Anna Boleyn

 

 

1921: Die Bergkatze

 

 

1922: Das Weib des Pharao

 

 

1922: Die Flamme

 

 

1923: Rosita

 

 

1924: Die Ehe im Kreise (The Marriage Circle)

 

 

1924: Das verbotene Paradies (Forbidden Paradise)

 

 

1925: Lady Windermeres Fächer (Lady Windermere’s Fan)

 

 

1926: So ist Paris (So This Is Paris)

 

 

1927: Alt-Heidelberg (The Student Prince in Old Heidelberg)

 

 

1928: Der Patriot (The Patriot)

 

 

1929: Liebesparade (The Love Parade)

 

 

1931: Der lächelnde Leutnant (The Smiling Lieutenant)

 

 

1932: Der Mann, den sein Gewissen trieb (Broken Lullaby / The Man I Killed)

 

Die Szene ist nur 15 Sekunden lang – sagt dafür aber sehr viel über das Thema „Krieg“:

 

 

1932: Eine Stunde mit Dir (One Hour with You)

 

 

1932: Ärger im Paradies (Trouble in Paradise) - der Ton setzt erst nach ein paar Sekunden ein:

 

 

1933: Serenade zu dritt (Design for Living)

 

 

1934: Die lustige Witwe (The Merry Widow)

 

 

1937: Engel (Angel)

 

 

1938: Blaubarts achte Frau (Bluebeard’s Eighth Wife)

 

 

1939: Ninotschka (Ninotchka)

 

 

 

1940: Rendezvous nach Ladenschluß (The Shop Around the Corner)

 

 

1941: Ehekomödie (That Uncertain Feeling)

 

 

1943: Ein himmlischer Sünder (Heaven Can Wait)

 

 

1946: Cluny Brown auf Freiersfüßen (Cluny Brown)

 

 

  

Dada

 

von Rupert Regenwurm

 

Sein oder Nichtsein

 

Rund herum

Um

Den Bismarck-Archipel

Schwimmt ein Hering

Er trinkt Cognac und isst einen Harzer Käse

So richtig erfasst

Hat das nur der Cineast.

 

Nach einem früheren Beitrag http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/225-baden-in-milch.html war dies bereits zu lesen und beruhte auf einem (nicht besonders guten) Witz, der eine Rolle im Film „Sein oder Nichtsein“ spielte: „Sie haben einen Cognac nach Napoleon benannt, einen Hering nach Bismarck und ein Harzer Käse wird mal den Namen des Führers tragen.“ Im Original: „They named a brandy after Napoleon, they named a herring out of Bismarck and the Führer is going to end up as a piece of cheese.”

 

 

 

 

Toll trieben es die alten Götter. Hier ist der griechische Gott Zeus in Gestalt eines Schwans zu sehen, wie er Leda begattet.

 

 

Zu sehen in der Pinacoteca von Pesaro.