Vampire auf dem englischen Königsthron

Hunde und Menschen, die sich für etwas Besseres wähnen, können ihren Stammbaum über einen sehr langen Zeitraum zurück verfolgen (vorausgesetzt, dass die Mütter nicht geschummelt haben). So ist das auch bei der Geburt der Woche, „Seiner Königlichen Hoheit Prinz George von Cambridge“.

Das Erstaunliche an dessen Stammbaum ist, dass einer seiner Vorfahren Vlad III. Draculea ist. Wem der Name bekannt vorkommt, der liegt richtig: Es handelt sich tatsächlich um „Dracula“ (der Literat Bram Stoker hat in seinem Dracula-Roman das „e“ einfach weggelassen). Seit Königin Mary (Gemahlin von König George V. und Großmutter der aktuellen englischen Königin) zirkuliert Draculas Blut im englischen Königshaus. „Draculea“ heisst auf Latein „Sohn des Drachen“ und auf Rumänisch „Sohn des Teufels“. Nun kann sich jeder aussuchen, ob die aktuelle englische Königsfamilie von einem Drachen, einem Teufel oder einem Vampir abstammt.

 

So was interessiert uns Bewohner des Erdreichs natürlich sehr und so hat der Wurm Aurelius Auerochs gefragt, was er denn so alles über diesen Dracula sagen kann. Ihr müsst nämlich wissen, dass Aurelius sich sehr gut in der menschlichen Geschichte auskennt und von uns allen nur „der Professor“ genannt wird. Und der zu folgendem Ergebnis kommt: Auf dem Reichstag 1431 in Nürnberg erhebt König Sigismund einen rumänischen Adligen namens Vlad zum neuen Fürsten der Walachei und schlägt ihn zum Ritter des zum Kampf gegen die Türken gegründeten Drachenordens. Vlads Beiname lautete fortan „Dracul“. Dessen zweiter Sohn Vlad erhält den Beinamen „Draculea“ (Sohn des Drachen) – unser „Dracula“.

Im Kindesalter wurde „unser“ Dracula als Geisel an den türkischen Hof gegeben, wo er die Türken inständig hassen lernte. Danach und nach zahlreichen Erlebnissen wurde er schließlich 1456 Fürst der Walachei und war aus eigenem Erleben ein exzellenter Kenner der südosteuropäischen Verhältnisse und der regierenden Herrscher. Unter anderem von Mehmed II., dem Eroberer Konstantinopels, von Matthias Corvinus, dem bedeutendsten ungarischen Herrscher und von Stefan dem Großen, Fürst der Moldau, der später als bedeutendster rumänischer Herrscher galt.

Diese vier außergewöhnliche Gestalten hatten eine Gemeinsamkeit: Auf ihre Art waren sie alle Emporkömmlinge, die sich gegen die alten (innenpolitischen) Mächte gewaltsam durchgesetzt hatten, in der Feudalaristokratie keine Macht sehen konnten und deshalb die Herausbildung einer starken Zentralgewalt anstrebten.

Im Falle Draculas hieß das Ermordung der führenden Adelsschicht (im alten Rom hatte bei seinem Amtsantritt Octavian das Gleiche gemacht; danach war Ruhe und er ging als „Augustus“ in die Geschichte ein). Dies war auch Draculas Absicht und er begründete eine Herrschaft, bei der das Wort „grausam“ noch verharmlosend ist. Allerdings mit der Folge, dass Verbrechen und Korruption nahezu zum Erliegen kamen und Handel und Kultur einen gewaltigen Aufschwung nahmen.

In den absehbaren Kriegen gegen die einfallenden Osmanen fügte Dracula diesen einige empfindliche Niederlagen zu, bis er selbst zur Jahreswende 1476/77 gewaltsam zu Tode kam. Sein Körper wurde wahrscheinlich im Kloster Snagov begraben. Nicht jedoch sein Kopf: der wurde abgeschlagen, nach Istanbul gebracht und dort öffentlich ausgestellt.

„Am Beispiel von Dracula wird deutlich, um wieviel spannender als die Fiktion die Realität sein kann“ – so eine der Kritiken zu einer Dracula-Biographie.

Weg von der Realität, hin zur Fiktion: Für seine Vampir-Geschichte nahm sich Bram Stoker Vlad III. Draculea, Fürst der Walachei, zum historischen Vorbild, nannte ihn „Dracula“ und machte aus ihm einen Grafen in Siebenbürgen. Ein anderer Name für Siebenbürgen lautet „Land jenseits der Wälder“, auf Latein Transsilvania. Auch ansonsten ist Bram Stoker recht schlampig mit Geschichte, Volkskunde, Landschaft und Geographie umgegangen. Er war nie in der Gegend, die er beschrieben hat. Da, wo im Roman die „Dracula“-Burg sein soll (am Tihuta-Pass), gibt es gar keine Burg.

Und jetzt kommt genau der Punkt, der uns Erdbewohner fassungslos macht, uns am Menschen zweifeln und manchmal sogar verzweifeln lässt: Bei Bran steht eine Burg, die die rumänische Regierung vor Jahrzehnten zur „Dracula-Burg“ auserwählt hat. Eine Burg, die weder historisch noch literarisch irgend etwas mit Dracula zu tun hat. Sieht aber gut aus, hat gute Verkehrsverbindungen und auch sonst eine gute Infrastruktur. Hierher werden sensationslüsterne Touristen gekarrt, damit die sich ihrem „Dracula“-Bedürfnis hingeben können.

Die meisten wissen, dass das mit Dracula nicht das Geringste zu tun hat – aber die Emotion, die Emotion! Mensch kann sich soo gut vorstellen, dass ER hier gewesen sein könnte! Nun könnte wurm ja sagen: Lass‘ sie doch. Wenn die Menschen unbedingt einen Ort brauchen, um an Dracula zu denken, sollen sie ihn halt haben.

Nun fliegt aber Hugo Habicht gern in der Welt herum und hat uns erzählt, dass es mehrere Stätten gibt, an denen mensch noch heute auf Draculas Spuren wandeln könnte, wenn er denn wollte. An erster Stelle ist das die Residenz der Fürsten der Walachei mit Namen Targoviste. Die Anlage ist zwar größtenteils eine (wenn auch gut aussehende) Ruine, aber es gibt einen vollständig erhaltenen Turm, der zu Draculas Zeiten erbaut wurde und in dem es eine kleine Dracula-Ausstellung zu sehen gibt. Und ganz in der Nähe steht ein Dracula-Denkmal.

Eine sehr große, sehr schöne und sehr gut erhaltene Burg ist die von Hunedoara, die gern für internationale Filme gebraucht wird. Hier war Dracula eine längere Zeit und mensch kann nach einem Besuch dieser Burg mit Recht von sich behaupten, in Draculas Fußstapfen getreten zu sein.

Wie uns Hugo Habicht allerdings versichert, interessieren sich die westlichen Touristen nicht im geringsten weder für diese beiden noch für weitere authentische Dracula-Orte. Dafür gehen sie alle auf eine Burg, die überhaupt nichts mit Dracula zu tun hat.

Auf den Punkt gebracht: Offensichtlich interessieren sich Menschen nicht im Geringsten für Tatsachen oder Wahrheiten. Dafür aber extrem für Emotionen. Kein Wunder, dass mensch sie so einfach an den Emotionen „packen“ kann und sie so extrem einfach manipulierbar sind.

 

In Rumänien gilt „Dracula“ übrigens als bedeutender Herrscher: hart, aber gerecht. Und dass er ein Vampir sein soll, hat dort noch niemand geglaubt: Um sein Unwesen zu treiben, bräuchte ein Vampir schließlich seinen Kopf. Und Draculas Kopf endete bekanntlich in Istanbul, weit ab von seinem Körper.

Babette Bücherwurm hat einen Vierzeiler von Mihai Eminescu über ihn gefunden. Wenn es uns Bewohnern des Erdreichs mal wieder so richtig mit den Menschen reicht, sagen wir ihn alle auf:

"Auf sie, Pfählerfürst, Vlad Tepes! Lass uns länger nimmer harren,
Teil' sie in zwei große Haufen: hier die Schurken, dort die Narren,
Sperr' sie in zwei große Kerker, in ein Zucht-, ein Irrenhaus,
Lege Feuer dann an beide, auch nicht einen lass heraus!"