„Die Belagerung Leningrads gehört zu den größten Katastrophen des Zweiten Weltkriegs. Fast 900 Tage lang, vom 7. September 1941 bis zum 27. Januar 1944, hielten die deutsche Wehrmacht im Süden und die finnische Armee im Norden die Stadt vom sowjetischen Hinterland abgeschnitten. Nur über den Ladogasee konnten Lebensmittel in den Belagerungsring gebracht werden: im Sommer per Schiff und im Winter per Lastwagen über die Eisstraße. Diese „Straße des Lebens" ermöglichte es den Leningradern, die deutsche Belagerung zu überstehen. Die Kapazität dieser Versorgungslinie reichte jedoch nicht aus, um die Bedürfnisse der drei Millionen Einwohner zu befriedigen. Die lokalen Verantwortlichen waren gezwungen, die Lebensmittelrationen immer weiter herabzusetzen. Im Dezember 1941 erreichten sie mit 125 Gramm Brot pro Tag ihren Tiefststand. Dieses „Blockadebrot" bestand in jenem Winter zu 40 % aus Ersatzstoffen: Kleie, Futterkuchen, Hülsen, Reiskörnern und Zellulose. Der Hunger nahm schreckliche Formen an. Menschen brachen mitten auf der Straße tot zusammen. In ihrer Verzweiflung aßen die Leningrader alles: Bald waren Hunde und Katzen aus dem Stadtbild verschwunden, auch sind Fälle von Kannibalismus überliefert. Die Kälte verschärfte die Situation. Der erste Kriegswinter war mit Temperaturen bis zu minus 40°C einer der strengsten im 20. Jahrhundert. So hatte auch der Mangel an Brennmaterialien fatale Auswirkungen. Das gesamte Alltagsleben kam zum Erliegen. Die Wasser- und Energieversorgung brach zusammen, seit November fuhren keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr, und Leningrad versank in Dunkelheit. Im Dezember fielen die Heizungen aus, und die Menschen versuchten, ihre Zimmer mit kleinen gußeisernen Öfen selbst zu beheizen. Sie verbrannten ihre Möbel und Bücher, da es schon bald kein Holz mehr in der Stadt gab. Die Bilanz dieser 900 Tage: rund eine Million Tote unter der Leningrader Zivilbevölkerung - das sind rund doppelt so viele Zivilisten wie in Deutschland während des gesamten Kriegs durch die alliierten Luftangriffe umgekommen sind.“
Sofern nicht anders angegeben, stammen die angeführten Zitate aus Jörg Ganzenmüllers Buch „Das belagerte Leningrad 1941 – 1944 – Die Stadt in den Strategien von Angreifern und Verteidigern, 2007“
Hier eine Dokumentation des ORF: