Intellektuelles Prekariat

Ullrich Fichtner: „Kurz vor dem Ende seiner Karriere kommen sich Glanz und Elend im Leben des Claas Relotius einmal ganz nah. Es ist der Montag vor drei Wochen, der 3. Dezember, am Abend wird Relotius, SPIEGEL-Mitarbeiter seit sieben, SPIEGEL-Redakteur seit eineinhalb Jahren, in Berlin auf eine Bühne gerufen. Er hat nach Meinung der Jury des Deutschen Reporterpreises 2018 wieder die beste Reportage des Jahres geschrieben, über einen syrischen Jungen diesmal, der im Glauben lebt, durch einen Kinderstreich den Bürgerkrieg im Land mit ausgelöst zu haben. Die Juroren würdigen einen Text

"von beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz, der nie offenlässt, auf welchen Quellen er basiert."

Aber in Wahrheit ist, was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wissen kann, leider alles offen. Alle Quellen sind trüb. Vieles ist wohl erdacht, erfunden, gelogen. Zitate, Orte, Szenen, vermeintliche Menschen aus Fleisch und Blut. Fake …

So lässt sich sagen, dass Claas Relotius, 33 Jahre alt, einer der auffälligsten Schreiber des SPIEGEL, ein bereits vielfach preisgekrönter Autor, ein journalistisches Idol seiner Generation, kein Reporter ist, sondern dass er schön gemachte Märchen erzählt, wann immer es ihm gefällt. Wahrheit und Lüge gehen in seinen Texten durcheinander, denn manche Geschichten sind nach seinen eigenen Angaben sauber recherchiert und Fake-frei, andere aber komplett erfunden, und wieder andere wenigstens aufgehübscht mit frisierten Zitaten und sonstiger Tatsachenfantasie. Während seines Geständnisses am Donnerstag sagte Relotius wörtlich:

"Es ging nicht um das nächste große Ding. Es war die Angst vor dem Scheitern." Und "mein Druck, nicht scheitern zu dürfen, wurde immer größer, je erfolgreicher ich wurde".

Die kruden Potpourris, die wie meisterhafte Reportagen aussahen, machten ihn zu einem der erfolgreichsten Journalisten dieser Jahre. Sie haben Claas Relotius vier Deutsche Reporterpreise eingetragen, den Peter Scholl-Latour-Preis, den Konrad-Duden-, den Kindernothilfe-, den Katholischen und den Coburger Medienpreis. Er wurde zum CNN-"Journalist of the Year" gekürt, er wurde geehrt mit dem Reemtsma Liberty Award, dem European Press Prize, er landete auf der Forbes-Liste der "30 under 30 - Europe: Media" - und man fragt sich, wie er die Elogen der Laudatoren ertragen konnte, ohne vor Scham aus dem Saal zu laufen.“

www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fall-claas-relotius-spiegel-legt-betrug-im-eigenen-haus-offen-a-1244579.html

Der Wurm kann Ullrich Fichtner die Antwort darauf geben: so wie Claas Relotius machen es die meisten Menschen: das „liefern“, was von einem erwartet wird, mit dem Bewusstsein, dass das, was nicht „passt“ erst gar nicht genommen wird. Was nicht passt, wird passend gemacht.

 

Einzelne Reportagen des Claas Relotius

 

Die letzte Zeugin

 

Wolfgang Tischer: „Claas Relotius hat meisterlich komponierte Geschichten geschrieben. Beim Lesen überkommt einen oft eine Gänsehaut. Das Dumme daran ist nur: Der SPIEGEL hat die Texte als Reportagen veröffentlicht.

Man sollte sich einmal »Die letzte Zeugin« durchlesen. Ein Text über eine Frau, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit dem Bus durch die USA zu reisen, um als Zeugin Hinrichtungen beizuwohnen. Die Anwesenheit solcher Zeugen ist in den USA gesetzlich vorgeschrieben.

In dem Text begleiten wir Gayle Gladdis bei dieser Busfahrt. Man muss »wir« schreiben, denn der Text arbeitet mit einer interessanten Erzählperspektive. Eigentlich muss sie der Reporter bei dieser Fahrt begleitet haben, doch ein »ich« taucht im Text nicht auf. Während der Fahrt erzählt Gladdis. Sie stellt Fragen und liest aus Zeitungsartikeln und Bibelstellen vor. Sie liefert perfekt komponierte Hintergrundinfos und Drittmaterial zu ihrer Geschichte mit, alles ist aus sich selbst heraus zitiert. Ohne das Ich des Erzählers, sitzen wir alle neben ihr und erleben die Busfahrt hautnah mit, denn Gladdis erzählt uns die Dinge, während detailliert und stimmungsvoll geschildert wird, was draußen vor dem Busfenster alles zu sehen ist.

Die Dramaturgie des Beitrags ist perfekt. Sohn und Enkel von Gladdis wurden selbst Opfer eines Gewaltverbrechens. So darf sie in diesem Beitrag Fragen stellen, die wir alle nicht mal zu denken wagen: Ist die Todesstrafe für brutale Mörder vielleicht doch eine gerechte Sache?

Die Geschichte ist ein kleiner Roadtrip, über den sich eine Lebensgeschichte spannt. Garniert wird dieser Text mit vielen Zahlen, die die Authentizität zusätzlich steigern. Ein Schlüssel wird dreimal umgedreht, das Ticket kostet 141 Dollar, die Fahrt dauert 15 Stunden usw. usf. Diese präzisen Zahlen – eben 141 und nicht 140 Dollar – tragen zusätzlich dazu bei, dass alles wahrlich unglaublich glaubhaft wird.

»Passt alles perfekt. Stimmt nur nicht. Nichts davon. Der Autor Claas Relotius hat in den USA keine Frau zu Hinrichtungen begleitet. Er ist nicht mit ihr Bus gefahren, er hat nicht mit ihr im 3. Buch Mose geblättert. Er hat eine Geschichte erfunden.« Das ist in der aktuellen Ausgabe des SPIEGELs über »Die letzte Zeugin« zu lesen.

Relotius hat eine Geschichte erfunden – wie es ein guter Schriftsteller macht, möchte man bewundernd ergänzen. Das Dumme ist nur, dass der Text im SPIEGEL im Frühjahr als Reportage erschienen ist und niemand an der Wahrheit dieser Geschichte zweifelte.“

https://www.literaturcafe.de/relotius-ohne-grenze-perfekt-erfundene-geschichten-im-spiegel/

 

Gespräch mit Traute Lafrenz

 

Kaum ein Text von Claas Relotius wurde so gelobt wie sein Gespräch mit Traute Lafrenz, der letzten Überlebenden der "Weißen Rose". Jetzt zeigen erneute Recherchen: Auch in diesem Text sind Passagen offenbar erfunden …

Auf Neonazis in Chemnitz bezogen, zitiert Relotius sie so: "Deutsche, die streckten auf offener Straße den rechten Arm zum Hitlergruß, wie früher." Die Sätze in der vierten Antwort habe sie nie benutzt, sagt Lafrenz. Sie habe auch nie aktuelle Fotos in US-Zeitungen von entsprechenden Aufmärschen in Deutschland gesehen.“

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fall-claas-relotius-weisse-rose-ueberlebende-traute-lafrenz-betroffen-a-1244756.html

Der Wurm zitiert sich selbst: „Nach „Chemnitz“ sehen diese Menschen auch, dass friedliche Bürger massiv in die rechte Ecke gestellt werden, dass der politisch-mediale Komplex, die Bundesregierung vorneweg, extrem übertreibt und lügt. Und sie sehen, dass ganze, größtenteils unbescholtene Bevölkerungs-Gruppen, von diesem politisch-medialen Komplex übelst beschimpft und beleidigt werden.“

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/346-chemnitz.html

Sicher waren in Chemnitz auch Neonazis und auch solche, die den Hitlergruß zeigten. Das war dort aber nur eine kleine, medial allerdings aufgebauschte Randerscheinung.

Dass Claas Relotius eine moralische Instanz wie Traute Lafrenz sich dazu äußern lässt, ist eine Verstärkung der Aussagen des politisch-medialen Komplexes, obwohl es in Chemnitz um ganz andere Sachen ging.

Hier handelt es sich nicht einfach um „Erfindungen“, sondern um eine bewusste Manipulation, um ein gewünschtes Resultat zu erzielen.

 

Berichte über Südosteuropa

 

Krsto Lazarevic: „Ich habe noch einmal kritisch über seine Texte aus Südosteuropa gelesen, eine Region, aus der ich stamme und in der ich selbst als Korrespondent gearbeitet habe. Schon bei seiner Themenauswahl exotisiert Relotius die Region. In Albanien schreibt er über eingeschworene Jungfrauen, die nun als Männer leben, und über Blutrache. In Bosnien geht es um ehemalige Feinde aus den Jugoslawienkriegen, die nun gemeinsam eine Traumatherapie machen. Krieg, Blutrache, patriarchale Geschlechterbilder – das sind genau die Klischeethemen, die viele mitteleuropäische Leser und Redakteure mit dem Balkan verbinden. Statt Komplexität darzustellen, werden die Vorurteile der Leser bedient …

Ich komme aus der Region, ich berichte seit Jahren aus Südosteuropa und mir ist kein einziger Fall bekannt, in dem sich in Bosnien oder Kroatien ehemalige Soldaten auf öffentlichen Plätzen verbrennen oder vor laufenden Fernsehkameras in die Luft sprengen. Nicht ein einziger Fall. Claas Relotius schreibt, es passiere „immer wieder“.

Auch in diesem Text nennt Relotius Zahlen, die nicht stimmen können. So schreibt er in seiner Veteranenreportage von „700.000 Kriegsheimkehrern, die heute in Serbien leben“. Das serbische Militär hatte jedoch nie 700.000 aktive Soldaten.

Die erlogene und vorurteilsbehaftete Berichterstattung von Relotius wird auch im Ausland wahrgenommen. Der Sender RTS hat die Veteranenreportage zum Anlass genommen, die „westlichen Medien“ als Ganzes anzugreifen. Der Artikel gehörte zu den meistgelesenen auf der Homepage.

Die Autorin Vesna Knežević nutzt den Fall Relotius, um ein serbisches Opfernarrativ zu bedienen, laut dem die „westlichen Medien“ schon zu Zeiten der Jugoslawienkriege Lügen über die Serben verbreitet und ihnen die alleinige Kriegsschuld gegeben haben. Sie deutet sogar an, dass diese Medien serbische Kriegsverbrechen erfunden hätten. Der Text selbst ist nationalistische Propaganda – und Leute wie Relotius bieten der Autorin Munition.

Als Korrespondent in Belgrad und Sarajevo musste ich mich vor Ort als deutscher Reporter wiederholt für die Berichterstattung über die Region in deutschen Medien rechtfertigen. Manchmal weil meine Gesprächspartner nicht damit umgehen können, dass echte Probleme schonungslos offengelegt werden. Oft genug aber auch, weil „Reporter“ wie Relotius tatsächlich großen Unsinn schreiben und das Misstrauen berechtigt ist. Ich freue mich schon auf Gespräche in Belgrad, in denen jedes meiner Argumente damit entkräftet wird, dass „dieser deutsche Reporter“ seine „Reportagen“ komplett erfunden habe.

Die Menschen in Südosteuropa haben auf dem Schirm, wie in deutschsprachigen Medien über die Region berichtet wird. Texte werden oft von Agenturen zitiert oder von der Deutschen Welle in die jeweiligen Landessprachen übersetzt. Und Lügner wie Relotius festigen vor Ort das Bild, dass Medien sowieso überall lügen – ob in Russland, Serbien oder Deutschland.“

https://uebermedien.de/34075/schauergeschichten-ueber-wilde-bergvoelker-im-suedosten-europas/

 

Bestechen verboten

 

Zuerst möchte der Wurm sich selbst über den Regime-Wechsel in der Ukraine im Jahr 2014 zitieren:

Mensch braucht sich keinen Illusionen hinzugeben: „Gute“ gibt es in diesem Spiel keine. Im Wesentlichen gibt es dafür zwei Gründe: eine unsägliche Korruption, die sich durch sämtliche Institutionen zieht bis hin zu Politik, Polizei und Justiz. Und: vor nur wenigen Jahren gab es schon einmal eine erfolgreiche Revolution. Kaum an der Macht, ging’s genauso weiter wie schon zuvor …

Dazu kommen die Erfahrungen mit der „orangenen Revolution“ von 2004: damals konnte mensch ja noch Hoffnungen haben, dass zumindest der Weg in eine bessere Zukunft eingeschlagen werden würde. Doch die neue Regierung unter Präsident Viktor Juschtschenko und Ministerpräsidentin Julia Timoschenko erwies sich als genauso korrupt wie die alte Regierung und wurde bei der nächsten Wahl wieder abgewählt.

Eine sehr gute Zusammenfassung der Ära Juschtschenko findet sich auf der „World Socialist Web Site“. Manche wird vielleicht das Vokabular im Text stören – im Wesentlichen ist aber die Struktur dieser Zeit sehr schön wiedergegeben:

https://www.wsws.org/de/articles/2010/03/ukra-f05.html

Für die Ukrainer ist damit klar, dass es keine Alternative gibt, für die es sich einzusetzen lohnt. Es gibt noch nicht mal ein „geringeres Übel“ – alles ist gleich schlecht. Der aktuelle Aufstand wurde im Wesentlichen vom Ausland inszeniert, um die eigenen Interessen in diesem strategisch wichtigen Land durchzusetzen. Dazu gesellten sich hauptsächlich rechtsextreme Gruppen, die vor Gewalt nicht zurückschrecken.“

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/57-boxer-aufstand.html

Claas Relotius war da anderer Ansicht. Hier ist sein Original-Artikel: https://reportagen.com/content/bestechen-verboten?pass=7zk24gi5g21322

Ulrich Heyden: „In einer herzzerreißenden Geschichte hat der preisgekrönte Reporter Claas Relotius, der über Jahre für den Spiegel und andere bekannte Medien Reportagen schrieb, über die Polizeireform in der Ukraine berichtet. In der Reportage erzählt Relotius, wie er in Kiew zwei junge Mitarbeiter der neuen ukrainischen Polizei begleitet. Der Artikel legt nahe, dass sich in der Ukraine nun alles zum Besseren wendet, weil patriotische junge Leute mit der Korruption nun Schluss machen wollen. Das passte ins vorherrschende Narrativ und kam wahrscheinlich deswegen gut und ungeprüft an …

Der Text des Geschichten-Erzählers aus Hamburg klingt, als sei er von Präsident Petro Poroschenko persönlich in Auftrag gegeben worden. Die Erzählung handelt von einer Ukraine, die sich mit Hilfe junger Idealisten, wie Dimitri und Valerya und einer in den USA ausgebildeten ehemaligen georgischen Innenministerin von der Korruption reinigt und ganz klar auf dem Weg zur Demokratie ist. "Was nach einem naiven Experiment, nach der Idee einer Anfängerin (der Innenministerin aus Georgien, U.H.) klang, funktionierte. Die Korruptionsrate sank, das Vertrauen der Bürger wuchs, ein kaputter Staat erholte sich wie ein Patient von einer langen schweren Krankheit."

Die Sätze sind stilsicher formuliert, doch es fehlen Belege. Der Star-Reporter verzichtet auf Zahlen zur Entwicklung der Korruption nach dem Maidan und Zitate ukrainischer Amtsträger, welche ein Sinken der Korruption belegen könnten …

Was ist nun aus der von dem Star-Journalisten in höchsten Tönen, ohne Abstand und Reflexion beschriebenen Polizeireform geworden? Anfang November 2018 titelte das gemäßigt kritische Kiewer Internetportal Obrazovatel: "Die Polizeireform in der Ukraine ist gescheitert". Obwohl das Budget des Innenministeriums von 1,7 Milliarden Euro im Jahre 2017 auf zwei Milliarden Euro im Jahre 2018 stieg, vertraut der Polizei - nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Rosumkowa im Dezember 2017 - nur jeder fünfte Ukrainer.

Die Korruption habe sich durch die Polizeireform nicht verringert. Die Hauptursache sei - so das Portal "Obrazovatel" - das niedrige Einkommen der Polizeibeamten. Das Anfangsgehalt im ukrainischen Polizeidienst beträgt monatlich 253 Euro …

Polizisten machen nicht nur wegen Willkür von sich reden. Immer wieder kommt es in der Ukraine auch zu bestialischen Morden, die nicht aufgeklärt werden, weil offenbar kriminelle Netzwerke zwischen Polizisten und Staatsanwälten dies verhindern …

Ob Claas Relotius einen Blick in die Berichte der Menschenrechtsorganisationen geworfen hat, die im Internet in englischer Sprache einsehbar sind, muss man bezweifeln. Seine Reportage war nichts weiter als PR für die ukrainische Regierung. Die nächsten Tage werden zeigen, ob die großen deutschen Medien sich zu der Ukraine-Reportage des Star-Journalisten aus Hamburg äußern oder ob sie das Thema lieber ruhen lassen werden, da sie sonst auch ihre eigenen Ukraine-Berichte kritisch überprüfen müssten.“

https://www.heise.de/tp/features/Wie-der-Journalist-Claas-Relotius-aus-der-Ukraine-berichtete-4259186.html

Der „Freeman“ schreibt: „Als Ergänzung zu meinem vorhergehenden Artikel habe ich mir die Geschichte "Bestechen verboten" von Claas Relotius durchgelesen, im Juni 2016 im Schweizer Magazine "Reportagen" erschienen, und kann nur den Kopf schütteln wegen den vielen falschen Behauptungen darin.

Die Redaktion, die seine Geschichten veröffentlichte, hat wohl gepennt und die Fiktion als Tatsache eins zu eins geschluckt. Oder hat sie bewusst die Falschaussagen akzeptiert, um die Leser zu täuschen?

Hier eine Auflistung der Behauptungen, die Relotius in seiner Reportage nennt, die nicht stimmen:

1. Es gab keinen Einsatz von "Armeepanzern" auf dem Maidan, die Menschen plattgefahren haben. Es wurden keine Soldaten und kein Militärgerät eingesetzt.

2. Es lagen auch keine "Leichen herum die gerochen haben", ausserdem war es minus 15 Grad im Februar 2014.

3. Einen "alten Brunnen" im Zentrum von Kiew gibt es auch nicht und dass ein "Vater mit Kind erschossen" wurde ist auch unbekannt.

4. Es wird der Eindruck erweckt, die Scharfschützen waren von der Regierung, dabei wissen wir, es handelte sich um von den Gegnern von Janukowitsch importierte Söldner aus Georgien, die auf beide Seiten geschossen haben, um es der amtierenden Regierung in die Schuhe zu schieben ...

5. Die stellvertretende US-Aussenministerin Victoria Nuland hat zugegeben, die USA haben 5 Milliarden Dollar über Jahre ausgegeben, um den Putsch in Kiew vorzubereiten und zu orchestrieren, um Janukowitsch zu stürzen und ein pro-amerikanisches Regime zu installieren.

Die "Demonstranten" wurden mit 20 Euro pro Tag von der US-Botschaft dafür bezahlt, auf dem Maidan-Platz als Statisten zu "protestieren", sonst wäre niemand bei minus 15 Grad dort gestanden. Es war also kein "Volksaufstand" sondern ein gekaufter gewaltsamer Umsturz der legitimen Regierung.

6. Wiktor Janukowitsch lebte nicht in einem "Palast wie ein Pharao" und er hatte auch keine "Treppengeländer und Badewannen aus purem Gold".

7. Janukowitsch war auch kein "verhasster Herrscher", denn er wurde mit 48,8 Prozent 2010 zum Präsidenten gewählt.

8. Poroschenko ist auch kein einfacher Pralinenfabrikant aus der Stadt Odessa, er wurde in Bolhrad 176 Km von Odessa entfernt geboren und wuchs in Benda, Moldawien bzw. Trasnistrien auf. Die meiste Zeit seines Lebens hat er in Kiew verbracht und seine regionale Hochburg ist die Stadt Winnyzja im Westen der Zentralukraine, wo er eine Fabrik hat. Er ist ein Betrüger und Steuerhinterzieher, denn wie die Panama-Papiere zeigen, hat er ein riesiges undurchsichtiges Offshore-Konstrukt aufgebaut, um keine Steuern in der Ukraine zahlen zu müssen.

9. Was der Autor komplett weglässt, Poroschenko hat diverse Regierungsämter bekleidet und war für den schlechten Zustand der Ukraine mitverantwortlich. Er war Parlamentsabgeordneter, Vorsitzender des Haushaltsausschusses und Mitglied des Nationalbankrates. Dann Vorsitzender des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates. Am 9. Oktober 2009 wurde Poroschenko Aussenminister und hatte dieses Amt bis zum März 2010 inne. Von März bis Dezember 2012 war er Wirtschaftsminister unter dem Präsidenten Janukowitsch. Er hat die Abkehr von Russland und Orientierung in Richtung EU initiiert, was zur Verschlechterung der Wirtschaftslage führte.

10. Diese neuen Polizisten können nicht "Streifen in Charkiw und in Donezk, in Lwiw und in Odessa fahren", denn wie jeder weiss, steht die Stadt Donezk seit 2014 nicht unter der Kontrolle vom Regime in Kiew, sondern wird von den sogenannten "Separatisten" kontrolliert. Echt krass, dass er Donezk auflistet.

Also, was Relotius geschrieben hat, stimmt von den Fakten her nicht. Daraus lässt sich schliessen, der Rest ist auch Fiktion und die Protagonisten Dimitri und Valerya sind erfunden, gibt es nicht wirklich.

Warum gibt es kein Foto von denen im Artikel?

Was ich der Redaktion von "Reportagen" vorwerfe, diese Diskrepanzen sind sehr leicht zu recherchieren, wieso haben Sie keine simple Prüfung seiner Texte vor der Veröffentlichung unternommen? Sind wohl auch von diesem Geschichtenerfinder geblendet worden, weil er so "schön" schreiben kann.

Was zu schön um wahr zu sein scheint, ist meistens auch nicht wahr!

Wegen der pro-ukrainischen und anti-russischen Einstellung und Voreingenommenheit der Politik und Medien im Westen, ist diese "Reportage" gut angekommen und da wurde der Wahrheitsgehalt nicht angezweifelt. Hauptsache es passt ins westliche Narrativ, böser Russe, guter Ukrainer.“

http://alles-schallundrauch.blogspot.com/2018/12/relotius-bestechen-verboten-ist-reine.html

 

Zu schön, um wahr zu sein

 

Martin Tschechne: „Tief durchatmen. Die feuchten Handflächen schnell noch am Hosenbein abreiben, den Frosch im Hals wegräuspern, dann: die Klinke drücken. Claas Relotius weiß, was nun kommt. Die 18. Etage im Hamburger Spiegel-Haus, das Büro der Chefredaktion. Vier Männer und zwei Frauen erwarten ihn. In wenigen Augenblicken wird der junge Reporter das Ende einer geradezu unglaublichen Karriere erreicht und seinen ganzen Berufsstand in eine Sinnkrise gestürzt haben. Relotius ist 33 Jahre alt. Als er den weiten, offenen Raum betritt, huschen ihm die Rolling Stones durch den Kopf: It’s all over now …

So beginnen Reportagen, die ihr Publikum von der ersten Zeile an fesseln wollen: mit einem szenischen Einstieg. Es ist eine Technik. Der Reporter lenkt den Blick derer, die ihm folgen – auf Menschen, Situationen, eine Atmosphäre, auf das entscheidende Detail. Claas Relotius hat dieses Handwerk beherrscht, viele sagen: bis zur Perfektion. Wer die Preise für seine Reportagen oder seine Auszeichnungen als Reporter zu zählen versucht, dem könnte schwindelig werden.

Aber Relotius hat seine Macht als Erzähler missbraucht. Hat Personen frei erfunden, ihnen Zitate in den Mund gelegt und ganze Städte vom Flachland in die Berge versetzt, wenn er meinte, seiner Inszenierung damit eine bessere Bühne zu bereiten …

Die Methoden funktionieren nach wie vor. Wir wollen es nicht anders: Das eingangs erwähnte Hochhaus des Spiegel hat gar keine 18. Etage. Niemand außer den Beteiligten weiß, wer bei der Hinrichtung dort zugegen war. Und ob dem Delinquenten dabei wirklich ein Song der Stones durch den Kopf ging – das ist reine Erfindung.“

https://www.deutschlandfunkkultur.de/der-fall-claas-relotius-weil-niemand-zweifel-haben-wollte.1005.de.html?dram:article_id=436827

Anne Fromm: „Man muss sich einmal anschauen, welche Kriterien heute für journalistische Brillanz gelten, was an Journalistenschulen gelehrt wird und welchen Stellenwert Journalistenpreise haben. Das Portal journalistenpreise.de listet rund 500 Preise auf, die aktuell vergeben werden. Nicht alle sind gleichermaßen angesehen. Aber die Zahl zeigt, dass sie heute eine Währung darstellen. Und die Redaktionen – auch die taz – bejubeln sich gern selbst.

Der Spiegel hat, wie andere große Blätter auch, Standards gesetzt, wie heute journalistische Texte erzählt werden. Porträts und Reportagen leben von einer möglichst großen Nähe. Vom Nacherzählen, Nachfühlen, von Emotionalität und Details. An Journalistenschulen lernt der Nachwuchs, dass Reportagen beim Leser „Kino im Kopf“ erzeugen sollen, dass ein guter Text starke „Protagonisten“ braucht und einen „Konflikt“, dass die „Dramaturgie“ des Textes wichtig ist. Man lernt, die Texte nicht Artikel zu nennen, sondern „Geschichten“. Journalistenschüler belegen „Storytelling“-Seminare, als schrieben sie für Netflix …

Der Begriff „Geschichte“ ist eben sehr nah an „Märchen“, es scheint verführerisch, hier und da ein bisschen auszuschmücken. Ein Detail zu erwähnen, das die Stimmung unterstreicht, ein Zitat so zu biegen, dass es stärker wird …

Auch der Spiegel-Text, der den Fall Relotius rekonstruiert, bedient sich solch szenischer Rekonstruktionen. Er liest sich wie ein Krimi, ist geschrieben in dem Stil, mit dem Relotius groß geworden ist. Der Kollege, der ihn zu Fall gebracht habe, sei wochenlang „durch die Hölle“ gegangen, durch „tiefe Täler“. Relotius, so beginnt der Text, sei kurz vor dem Ende seiner Karriere „Glanz und Elend“ noch „einmal ganz nah“ gekommen. Relotius sei „ein journalistisches Idol seiner Generation“, und das lässt sich natürlich nicht leicht widerlegen, denn man kann die Generation ja nicht mal eben anrufen und nachfragen, ob das stimmt. Der Text strotzt nur so vor Pathos. Am Ende bleibt hängen: Der Spiegel ist ein Hort der Wahrheit, Relotius ein Nestbeschmutzer. Selbstkritik räumt der Autor des Textes und künftige Spiegel-Chefredakteur Ullrich Fichtner kaum ein.“

http://www.taz.de/Der-Fall-Claas-Relotius-und-Journalismus/!5557396/

Elsa Koester: „… Weil alle diese Story wollen, in der alles so perfekt zusammen passt, wie Relotius, aber auch wie viele Leserinnen sie sich vorstellen. Relotius gab, was im Journalismus derzeit gewollt wird, was erfolgreich ist, und er gab es auch dann, wenn die Realität diese Story nicht mehr hergab. Was ist nun das Problem? Dass die Realität die Story nicht hergab – oder dass alle es so haben wollten, wie sie es sich ohnehin schon gedacht haben? …

Wie im Bilderbuch. Diese Geschichten kommen gut an, es sind Märchen, die alle Klischees bedienen. So stellen Europäer sich die Konservativen in den USA vor: tief gläubig, bibeltreu, dreht dreimal den Schlüssel um, schaut sich die Vollstreckung von Todesstrafen an. So stellt sich auch Relotius sie vor, so schreibt er sie uns auf, und alle sind zufrieden. Wie im Hollywood-Kino …

Wer aber nur der Story folgt, der verliert den Blick für das Wesentliche. Nämlich für das, was ist. Und das ist in den allermeisten Fällen wesentlich komplizierter als eine Story …

Die Geschichte von Relotius, dem Betrüger, ist nur die halbe Geschichte. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Jurys und Redaktionen von Relotius nicht einfach betrogen wurden, sondern seine Storys hören wollten. Ein bisschen betrogen werden wollten, wie im Hollywood-Kino. Natürlich, Relotius hat die Grenze in die Fiktion überschritten, aber die Illusion fängt in Reportagen schon weit vor der Lüge an. Nämlich in der Story. Und die kann Relotius gut. Er sprach zu uns, er sang zu uns, da war's um uns geschehen: Halb zog er uns, halb sanken wir hin.“

https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/sagen-was-ist

 

Gängige Praxis

 

Anne Fromm: „Es gab in den letzten Jahren immer wieder kleinere und größere Unwägbarkeiten bei Spiegel-Texten. Da war zum Beispiel, einer der größeren, René Pfister, der 2010 einen Text über Horst Seehofer schrieb. Der Text beginnt mit einer ausführlichen Beschreibung von Seehofers Modelleisenbahn. Pfister bekam dafür 2011 den schon angesprochenen Henri-Nannen-Preis. Als er die Auszeichnung entgegennahm, kam heraus, dass Pfister nie in Seehofers Keller gewesen war. Er habe lediglich Eindrücke Dritter zusammengeschrieben. Im Text hatte er das aber nicht kenntlich gemacht, der Nannen-Preis wurde ihm später aberkannt. Pfister leitet heute das Hauptstadtbüro des Spiegels …

All diese Fälle sind sehr unterschiedlich und nicht vergleichbar mit einem Reporter, der sich über Jahre Protagonisten und ganze Textpassagen ausgedacht hat. Der, so wie es aussieht, vermutlich Unwahres nicht nur im Spiegel, sondern auch bei Zeit Online und im Magazin der Neuen Zürcher Zeitung untergebracht hat. Aber sie zeigen eine bestimmte journalistische Kultur der Unfehlbarkeit und der Intransparenz. Die gute Geschichte, die richtige Zuspitzung oder die steile These scheint im Zweifel manchmal wichtiger zu sein als Fakten und journalistische Fairness.

Und das nicht nur beim Spiegel. Es sei hier nur kurz erinnert an Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. Er schrieb 2012 ein Porträt über Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts. http://www.taz.de/Journalistisches-Ethos/!5087808/ Prantl beschrieb detailliert, wie Voßkuhle in seiner Küche Gäste bekocht, wie Voßkuhle selbst das Dressing anrührt. Prantl schrieb, als sei er dabei gewesen. War er aber nicht. Er war damals nicht in Voßkuhles Küche.

Aber was passiert mit der Branche? Führt der Fall Relotius, wie es jetzt einige vermuten, wirklich zu mehr Demut im Journalismus? Zu weniger großen Reporter-Egos, zu weniger Journalistenpreisen, zu weniger Kischologie?

Nach den Skandalen um Kummer, Voßkuhle und Seehofer änderte sich in der journalistischen Kultur wenig.“

http://www.taz.de/Der-Fall-Claas-Relotius-und-Journalismus/!5557396/

Wolfgang Tischer: „Der szenische Einstieg ist das Markenzeichen von SPIEGEL-Beiträgen. Und schon immer musste man sich fragen, wenn beispielsweise haarklein Details von ministeriellen Treffen geschildert werden, wie das denn sein könne, wo doch kein Reporter dabei war. Nimmt man als Leserin und Leser nicht automatisch an, dass hier Wahrheiten und Stimmungen des Effekts wegen verdichtet werden? Sind die erfundenen Relotius-Beiträge nicht die konsequente Weiterführung dieser SPIEGEL-üblichen Imaginationen?“

https://www.literaturcafe.de/relotius-ohne-grenze-perfekt-erfundene-geschichten-im-spiegel/

 

Erwartungen der Redaktion

 

Krsto Lazarevic: „Probleme im System gibt es trotzdem. Manchmal sind Redaktionen nicht zufrieden, weil ihnen die Realität nicht krass genug ist. Weil nichts explodiert ist, weil es keinen Amoklauf gab, weil es in Albanien doch nicht üblich ist, seine Mitmenschen zu töten, wenn sie einen zu lange anschauen.

Ja, es gibt aus manchen Redaktionen einen Druck, es mit der Wahrheit nicht ganz so genau zu nehmen, damit eine Reportage sich besser liest. Vor allem aus dem Ausland, weil man die Fakten dort schlechter nachprüfen kann und weil es unwahrscheinlicher ist, dass sich jemand beschwert.“

https://uebermedien.de/34075/schauergeschichten-ueber-wilde-bergvoelker-im-suedosten-europas/

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere geht in jene Richtung, die nicht nur im Journalismus, sondern in der ganzen Gesellschaft üblich ist. Es wird erwartet, das bestätigt zu bekommen, was mensch hören will. Wenn jemand sich trauen sollte, etwas anderes zu berichten, ist die Gefahr sehr groß, dass die Karriere gleich zu Ende ist.

Hätte ein Claas Relotius geschrieben, dass es mit der Korruption in der Ukraine so weiter ginge wie vorher, wäre seine Reportage mit Sicherheit nicht angenommen worden. Also erfindet er etwas, wovon er ausgehen kann, dass es so gewünscht ist. Das Ergebnis mag nicht ausdrücklich vorgegeben sein – aber jeder weiss, was erwartet wird und wie es jenen ergeht, die nicht das Gewünschte liefern.

Markus Kompa: „Relotius tut nichts anderes als das, was von ihm erwartet wurde: Geschichten zu liefern, die das erwünschte Narrativ bedienen, regelmäßig Klickzahlen zu liefern und unerwünschte Beiträge zu vermeiden. Letzteres ist fundamental, denn nicht ein einziger deutscher Journalist erwähnte jüngst die Kriegsverbrechen eines US-Präsidenten, dem Deutschland die Reibungslosigkeit der Wiedervereinigung mitzuverdanken hat.“

https://www.heise.de/tp/news/Die-Aufregung-um-Claas-Relotius-ist-Heuchelei-4258079.html

Markus Kompa ist kein Schönschreiber – aber er schreibt, was ist. Hier sein Artikel über George Bush:

Die unkritischen Berichte über den verstorbenen 41. Präsidenten der USA in den letzten Tagen bieten Aufschluss über die Qualität des politischen Journalismus der Gegenwart. Die Medienvertreter, die unisono von einem "großen Staatsmann" sprachen, konzentrierten sich auf drei Themen:

1. Labrador-Hündin "Sally"

Von SPIEGEL-BILD bis zu den öffentlich-rechtlichen Sendern kamen alle Medien auf den Hund. Medienkritiker erinnern sich an die infame Rede des einstigen Vizepräsidenten Richard Nixon über dessen Hund "Checkers", mit der Tricky Dick 1952 die Fernsehnation erfolgreich von einer Verfehlung ablenkte. Auch George W. Bush konnte auf einem Tiefpunkt seiner Präsidentschaft die Medien mit seinem First Dog "Barney" an der Leine führen. Nachrichtenwert: Null.

2. Trump vs. Establishment

Für Boulevard-Journalisten ist der Kontrast zum proletenhaften Horrorclown ausreichend, um Bush für einen zivilisierten Menschenfreund zu halten.

3. Bush hat den Kalten Krieg beendet und zu den Deutschen gehalten.

Das war‘s. Von BILD bis taz – ja nicht einmal in marxistischen Zeitungen (!) - erinnerte sich auch nur ein deutscher Journalist wenigstens an die unstreitigen Verbrechen des 41. Präsidenten der USA.

Kalte Kriege

Tatsächlich hatte sich Bush den Deutschen gegenüber loyaler als andere Politiker verhalten - aber das liegt nun einmal in der Familie. Vater Prescott Bush und dessen milliardenschwere Freunde Harriman und die Rockefellers hatten mit Deutschland gute Geschäfte gemacht, und zwar schon vor dem Zweiten Weltkrieg. Man verdiente sowohl an der Aufrüstung der USA als auch an der von Nazi-Deutschland, was man sogar noch nach Kriegseintritt der USA fortsetzte.

Es waren die mit dem Bush-Clan befreundeten Dulles-Brüder gewesen, welche die Welt ohne Not in den Kalten Krieg manövrierten und etliche Offerten des Ostens in den Wind schlugen. Warum auch nicht? Der Kalte Krieg war ein krisensicheres Geschäft für die Rüstungsindustrie und induzierte in den Westen Kontrolle und Abhängigkeit.

Heiße Kriege

Gerne hätten hunderttausende Iraker dem großen Krieger ebenfalls ihre letzte Ehre erwiesen, sind jedoch seit den 1990ern selbst tot. Sie starben im absurd massiven Bombenhagel auf Städte, sie starben wegen gezielter Zerstörung von Infrastrukturen und sie verreckten an den Folgen des Boykotts von Lebensmitteln und Medizin. Bei der Bodeninvasion testete General Schwartzkopf gegen die lächerlich bewaffneten Soldaten in ihren scheinbar unüberwindlichen Schützengräben eine neue Waffe: Mit Bulldozern bewegte man den Sand, schüttete damit die Wehrpflichtigen zu und ließ sie ersticken.

Nicht ein Iraker hatte jemals die USA bedroht. Doch acht Erwähnungen der Brutkastenlüge durch den Präsidenten sowie "Geheimdienstinformationen" über eine angeblich riesige Streitmacht an der Grenze zu Saudi-Arabien überzeugten die Fernsehnation von der guten Sache. Die bittere Ironie jedoch ist, dass den so schrecklichen Saddam Hussein niemand anderes an die Macht gebracht und bewaffnet hatte, als die CIA, die George Bush 1976 sogar als Direktor persönlich leitete.

CIA-Kriege

Ebenfalls bei den Trauerfeierlichkeiten fehlten über 50.000 Menschen, die in Süd- und Mittelamerika der CIA-Operation Condor zum Opfer fielen. In der von den USA betriebenen School of the Americas in der Panamakanalregion lehrte man befreundete Geheimdienstler das Bluthandwerk, um rechtsgerichtete Diktaturen zu stützen oder herbei zu putschen. Prominenter Fall war Manuel Noriega, der für die CIA mit Drogenkartellen kooperierte und wie Saddam Hussein dann plötzlich zum Superschurken ausgerufen wurde, als er seine Schuldigkeit getan hatte. Jene CIA, die Bush leitete, hatte keine Lizenz zum Töten handverlesener Gegner - sondern zum Massenmord.

Man darf Bush nicht zu hart verurteilen: Zum einen war er Sohn seines Vaters, der Anfang der 1930er sogar mit einem faschistischen Staatsstreich im eigenen Land sympathisiert haben soll, zum anderen hatte Bush als Öl-Mann einen schlechten Umgang. Im Dallas Petroleum Club traf der Gründer von Zapata Oil auf die damals reichsten Männer der Welt, Clint Murchison, Sid Richardson und Nelson Hunt. Die Öl-Tycoons hatten nicht nur Eisenhower ins Weiße Haus bugsiert, sondern finanzierten ohne große Scham den Ku Klux Klan und die amerikanische Nazi-Partei.

Anfang der 1960er Jahre stellte Bush seine Ölfirma und Bohrinseln der CIA zur Verfügung, um die Geheiminvasion auf Kuba vorzubereiten. Die Verbindungen waren eng, denn CIA-Direktor Allen Dulles fungierte gleichzeitig wie seit Jahrzehnten als Anwalt von Vater Prescott Bush - der wiederum die parlamentarische Aufsicht über die Geheimdienste führte. 1968 hatte Bush für ein paar Wochen in Vietnam zu tun, in Begleitung von CIA-Leuten. Damals pflegten CIA-Kommandos im Rahmen der Operation Phoenix in Vietnam zwischen 25.000-50.000 Menschen zu massakrieren, weil diese etwa lesen und schreiben konnten, mithin anfällig für "Kommunismus" waren.

CIA-Partner wie Orlando Bosch und Luis Posada Carriles, die dringend verdächtig sind, 1976 eine kubanische Passagiermaschine gesprengt zu haben, wurden von Präsident Bush geschützt, wie etliche andere Patrioten dieses Schlags. Während Bush den Vizepräsident gab, schoß die Navy 1988 angeblich versehentlich eine Linienmaschine der Iran Air ab. Dies hinderte Bush nicht daran, den verantwortlichen Kapitän mit dem Legion of Merit auszuzeichnen. Vor seinem Abgang als US-Präsident begnadigte Bush mal eben die Hauptfiguren des Iran-Contra-Skandals – sein halbes Kabinett.

Glaubenskriege

Vor seinem Angriff auf den Irak hatte Präsident George H. W. Bush einst eine Kirche besucht und wollte den Befehl zum Angriff von Gott persönlich erhalten haben. Noch religiöser agierte Sohnemann George "W." Bush, der den Irakkrieg dann aus Nächstenliebe weiterführte. Auch am Irakkrieg von "W" verdiente Bush senior über die Carlyle Group. Das Geschäft bezahlten 500.000 weitere Iraker mit ihrem Leben.

Schon First Lady/Präsidentenmutter Barbara Bush wusste die Dinge präsidentiell einzuordnen und bezeichnete lässig im Irak "gefallene" US-Soldaten als irrelevant. Die Berichterstattung etwa der deutschen Medien, die lieber von Hunden als von Staatsverbrechen künden, gibt ihr auf ganzer Linie recht.“

https://www.heise.de/tp/news/Auf-den-Hund-gekommen-4244823.html

Zu George Bush‘s Irak-Krieg: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/190-die-luege-aller-luegen.html

 

Sagen, was der Leser denken soll

 

Wenn einzelne Reporter oder Redaktionen etwas „aufhübschen“, ist das schon ärgerlich genug.

Schlimm ist es, wenn es um bewusste Kampagnen und Manipulationen geht. Und dann noch so getan wird, als wäre Claas Relotius ein bedauerlicher Einzelfall.

Albrecht Müller: „Mit der meisterhaft formulierten Offenlegung der Fälschungen des Claas Relotius werden zugleich all die ähnlichen Fälle des Versagens des „Spiegel“ verdeckt, obwohl die anderen Fälle von Manipulation um vieles gravierendere Folgen haben als die Fälschungen des gerade ertappten Redakteurs …

Fälschungen der aufgedeckten Art können passieren. Wirklich stören muss, dass jetzt vom Spiegel der Eindruck erweckt wird, als sei ansonsten alles in Ordnung, als würde der Spiegel ansonsten vor allem die Wahrheit schreiben. Dieser falsche Eindruck zwingt zum Widerspruch:

Der aufgeflogene Fall ist harmlos verglichen mit der Tatsache, dass sich der Spiegel als Instanz der Aufklärung und der kritischen Begleitung des politischen Geschehens in Deutschland verabschiedet hat. Das ist um vieles schlimmer als die Fälschungen des Redakteurs Relotius …

Der Spiegel hat sich nahezu komplett zum Medium der Oberschicht gemausert. Er war nie das Organ der Arbeitnehmerschaft, aber früher nicht so klassenbewusst wie heute. Er hat nichts Entscheidendes zur Aufklärung über die Spaltung unserer Gesellschaft beigetragen. Die immer schlimmer werdende Einkommens- und Vermögensverteilung ist kein Topthema des Magazins …

Genau das trifft nicht zu. Die vom Spiegel mitbetriebenen Kampagnen sind der viel gravierendere Tiefpunkt in der langen Geschichte dieses Magazins. Der Tiefpunkt ist der völlige Ausfall des Magazins als kritischer Begleiter des Geschehens. Weil der Spiegel als kritisches Organ ausgefallen ist, haben wir sehr viel schlechtere politische Entscheidungen als in besseren Zeiten des Hamburger Magazins. Die Fälschungen des Claas Relotius mögen die Kollegen des Spiegel und den Verlag noch lange beschäftigen. Uns alle beschäftigt sehr viel mehr der Ausfall des Magazins als demokratische Instanz. Und dieser Verlust hat mit dem jungen Redakteur nun wahrlich nichts zu tun.“

https://www.nachdenkseiten.de/?p=47960

Albrecht Müller hat Recht – allerdings ist die gesamte Massen-Medienlandschaft davon betroffen. Mensch wird Schwierigkeiten haben, zu einem wichtigen Thema zwei unterschiedliche Meinungen zu hören. Der Artikel von Markus Kompa über George Bush zeigt dies. Auch der Wurm hatte sich mehrfach mit der Thematik beschäftigt, unter anderem in http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/322-politisch-medialer-komplex.html und http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/98-geistige-abschottung-fuehrt-zu-verbloedung.html

 

Intellektuelles Prekariat

 

Krsto Lazarevic: „Relotius hat in seinen Texten immer die Vorurteile mancher Redakteure und Leser bedient. Redakteure und Leser, die nicht informiert, sondern unterhalten werden wollen. Das hat er nicht nur in Südosteuropa gemacht.

In einer „Reportage“ über den Euromaidan in Kiew schreibt er von Menschen, die von „Armeepanzern“ überrollt wurden, obwohl keine Panzer auf dem Euromaidan waren. Die US-Amerikaner in Fergus Falls sind natürlich auch nicht allesamt rassistische Mexikanerhasser, die mit einer Waffe unter dem Kopfkissen schlafen. Mit Journalismus hat das nichts zu tun …

Kroaten und Bosnier werden bei Relotius als routinierte Amokläufer dargestellt, Albaner als Menschen, die ihr Gegenüber beim kleinsten Anlass töten. Es sind vor allem rechte Leser, die hier in ihrem Weltbild bestätigt werden ...“

https://uebermedien.de/34075/schauergeschichten-ueber-wilde-bergvoelker-im-suedosten-europas/

Es sind nicht nur „rechte“ Leser, die in ihrem Weltbild bestätigt werden. In erster Linie handelt es sich um Gutmenschen, die ein „Gefühl“ vermittelt bekommen wollen, die nicht groß nachdenken wollen (schon gar nicht über für sie Beunruhigendes), die ihre Erwartungen (und Vorurteile) erfüllt sehen wollen.

Für solche Leute haben Claas Relotius und alle anderen Schönschreiber zu aller Zufriedenheit geschrieben. Dafür haben sie all die schönen Preise erhalten.

Dass es sich etwa im Falle der Ukraine im Jahr 2014 um einen lange vorher geplanten Regime-Wechsel handelte, war von Anfang an klar. Vor allem dann, wenn mensch an die „orangene Revolution“ denkt, wie sie finanziert und organisiert wurde und für die Ukrainer dann doch alles schlimmer wurde, siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/57-boxer-aufstand.html . Dass mit den Todesschützen vom Maidan in Kiew dasselbe Muster ablief wie beim Regime-Wechsel in Rumänien im Jahr 1989 (siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/129-sir-ceausescu.html ).

Wie bescheuert muss mensch sein, um das zu glauben, was der westliche politisch-mediale Komplex verlautbart und dass jetzt alles gut werde für die Ukrainer? Das haben auch schon viele nicht geglaubt. Überraschenderweise eher einfache Menschen, die oft gleich gemerkt haben, dass da etwas nicht stimmt.

Eher „gebildete“ Menschen, die sich mehr oder weniger ausführlich über den politisch-medialen Komplex und gerne über „schön“ geschriebene Texte informieren, glauben fast alles, was ihnen vorgesetzt wird. Und bilden sich auch noch ein, etwas Besseres zu sein. Schließlich sind sie ja „gut“ informiert. Der Wurm bezeichnet solche Menschen als „intellektuelles Prekariat“. Ein Claas Relotius wird ihnen fehlen.

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm