Identität

Die Fußball-WM ist vorbei.

Was bleibt? Neben allem anderen sticht vor allem ein Thema heraus: Identität.

 

Deutsches Abschneiden

 

Jan Christian Müller zitiert den deutschen Kapitän Manuel Neuer: „Neuer sagte, sie seien nicht nur enttäuscht, „sondern auch sauer auf uns selbst“. Man müsse „ganz klar sagen, dass wir es einfach nicht verdient haben, denn in keinem der Spiele hat man gesehen, dass eine deutsche Mannschaft auf dem Platz war, vor der man Respekt hätte haben müssen“. Und der Kapitän wurde noch deutlicher: „Selbst, wenn wir jetzt weitergekommen wären, hätte doch jeder gerne gegen uns gespielt. So wenig Bereitschaft, wie wir hier bei der WM an den Tag gelegt haben, habe ich von uns allen noch nie gesehen. Man hat nicht bemerkt, dass wir hier eine Weltmeisterschaft spielen, dazu waren wir zu lethargisch und zu langsam.“

http://www.fr.de/sport/fussball-wm-2018/wm-aus-der-deutschen-manuel-neuer-spricht-gnadenlos-klartext-a-1533879

Das Ausscheiden war verdient und der Wurm hat sich für die Südkoreaner gefreut, für die es im letzten Spiel um nichts mehr ging, die aber tapfer gekämpft haben und überglücklich über ihren Sieg gegen Deutschland waren.

Allerdings waren die Chancen für die deutsche Mannschaft gegeben, weiterzukommen und viel hätte dazu tatsächlich nicht gefehlt. Die deutsche Mannschaft ist dafür berüchtigt, in den ersten Spielen eines Turniers einen Murks zusammenzuspielen, um dann immer besser zu werden. Der Ausdruck dafür lautet „Turnier-Mannschaft“.

Diesmal hat es nicht geklappt und es wurde schon beinahe das Ende der Welt ausgerufen. Das erste Mal, dass die deutsche Mannschaft bei einer Weltmeisterschaft in der Vorrunde ausgeschieden ist!

Das mag sein, ist aber über-dramatisiert. Bei den Europameisterschaften 2000 und 2004 war auch schon nach der Vorrunde Schluss und bei der Weltmeisterschaft 1938 schon nach dem ersten Gegner (der Schweiz) – damals noch im KO-System. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin (damals einer Weltmeisterschaft gleichrangig) kam das Aus gegen Norwegen.

 

Russland als Gastgeber

 

Jene, die vor Ort waren, waren voll des Lobes über die Organisation und die russischen Alltags-Menschen.

Natürlich wurde vom politisch-medialen Komplex der westlichen Staaten mal wieder alles unternommen, um Russland in den Dreck zu ziehen. Dieses Treiben ist nichts Neues und der Wurm musste schon mehrfach darüber berichten, zuletzt http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/334-auferstanden-von-den-toten.html Dem entsprechend möchte der Wurm nicht näher darauf eingehen, nur einen der „Höhepunkte" zeigen: den Kommentar von Jochen Leufgens zum Ausscheiden der deutschen Mannschaft: https://www.youtube.com/watch?v=5yPRiB7P4xc

Nun aber zu Erfreulicherem. Gert-Ewen Ungar war bei der Fußball-WM dabei und hat von dort über Land und Leute berichtet:

 

Ein Russisches Sommermärchen

https://www.nachdenkseiten.de/?p=44503

 

Petersburg, Weiße Nächte, Fußball und ein Gesamtkunstwerk

https://www.nachdenkseiten.de/?p=44625

 

Schauen wir doch einmal genauer auf die russischen Medien

https://www.nachdenkseiten.de/?p=44770

 

Nicht allein die Analyse von Medien und Pressefreiheit in Ländern wie Russland ist spannend, die kritische und nicht nur formale Analyse der eigenen Situation wäre wichtig

https://www.nachdenkseiten.de/?p=44778

 

Von Bürgern zweiter Klasse – Anmerkungen zu einem Interview im Tagesspiegel

https://www.nachdenkseiten.de/?p=44885

 

Besuch in Wolgograd

https://www.nachdenkseiten.de/?p=45113

 

Identität

 

Je „bunter“ es im Fußball zugeht, umso besser. Unterschiedliche Mentalitäten schlagen sich in unterschiedlichen Spielweisen nieder. Vor allem das macht die Attraktivität einer Fußball-WM aus. Und alle haben die Möglichkeit, voneinander zu lernen. Umso besser, je mehr eine Mannschaft gemischt ist und sich zu einem Ganzen zusammenfügt.

 

Die ersten 4

 

Bei Weltmeister Frankreich, aber auch bei Belgien und England ist alleine an der Hautfarbe der Spieler ersichtlich, dass diese Mannschaften stark gemischt sind, was ihre Stärke ausmacht.

Anders sieht es bei Kroatien aus, dessen Mannschaft sehr homogen war. Aber: alle Spieler haben internationale Erfahrung – kein einziger der Stammspieler spielt in Kroatien.

 

Schweden

 

Ähnlich sieht es mit Schweden aus, bei dem alle Spieler internationale Erfahrung haben und wo es den einen oder anderen Farbtupfer gibt. Über lange Jahre war das vor allem Zlatan Ibrahimovic, ein Weltstar, über den in „Wikipedia“ steht: „Nach eigenem Bekunden sei er zu 100 % Schwede, fühle sich aber als Balkanese und habe auch die jugoslawische Mentalität.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Zlatan_Ibrahimovi%C4%87

Aktuell spielt für Schweden Jimmy Durmaz. In Schweden geboren als Sohn von aus der Türkei eingewanderten Assyrern.

Dieser Jimmy Durmaz hat kurz vor Ende des Spiels gegen Deutschland ein Foul begangen, das zum Freistoß führte, der Deutschland den Siegtreffer bescherte. Ein ganz normales, vielleicht auch „notwendiges“ Foul, das noch nicht einmal ein Fehler war.

In Schweden wurde Jimmy Durmaz wg. dieses Fouls beschimpft und bedroht und erhielt sogar Morddrohungen. Grund: Fremdenfeindlichkeit. Daraufhin kam es zu einer bemerkenswerten Reaktion der schwedischen Mannschaft:

 

 

Jimmy Durmaz: „Ich bin Schwede und stolz darauf, die ‚Krone und Flagge‘ zu tragen. Ich möchte mich gleichzeitig bei allen netten und freundlichen Menschen da draußen bedanken. Das gibt uns ein Gefühl der Wärme. Wir bleiben vereint, wir sind Schweden. Nein zu Rassismus.“ – Der Rest der schwedischen Mannschaft: „Fuck racism!“

https://www.ardmediathek.de/tv/Sportschau/Nach-Anfeindungen-Schweden-steht-hinte/Das-Erste/Video?bcastId=53524&documentId=53406254

 

Schweiz

 

Seitdem in der Schweizer Fußball-Mannschaft verstärkt Kinder von Einwanderern mitspielen, ist sie überhaupt international erfolgreich und Dauergast bei Europa- und Weltmeisterschaften.

Zu den besten Spielern zählen die beiden Kosovo-Albaner Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri. Ausgerechnet diese beiden erzielten die Treffer beim 2:1-Sieg gegen Serbien. Wg. der Geste des albanischen Doppeladlers beim Torjubel wurden beide von der FIFA zu Geldstrafen verurteilt.

Ob als allgemeine politische Aussage gedacht oder als Provokation an die serbischen Fans, mag dahin gestellt sein. Zumindest hatten die serbischen Fans die beiden Schweizer Spieler mit kosovarischen Wurzeln während des Spiels ausgepfiffen.

 

Deutschland

 

Seit Jahren spielt die deutsche Mannschaft mit mindestens einem Drittel Spielern, die einen Migrations-Hintergrund haben. Sportlich bereichernd mit dem Höhepunkt des Weltmeister-Titels 2014, siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/105-weltmeister.html und aus der National-Mannschaft wurde offiziell „Die Mannschaft“.

Ab und zu gab es dazu einen widerlichen Kommentar von fremdenfeindlichen Spinnern, der aber keine gesellschaftliche Akzeptanz hatte.

Was aber immer wieder diskutiert wird, ist, dass es Spieler gibt, die die National-Hymne nicht mitsingen. Zumeist sind es diese Spieler mit Migrations-Hintergrund.

Das zeigt zumindest deren Selbstbewusstsein, dass sie bei der allgemeinen Heuchelei nicht mitmachen. Denn der Wurm geht davon aus, dass alle deutschen Spieler und Offiziellen, die die Hymne singen, dies aus Heuchelei tun und nicht aus innerer Überzeugung.

Gerne erinnert der Wurm daran, dass bis Anfang der 1980er Jahre keiner der deutschen Spieler die Hymne gesungen hat; oft wurde während der Zeremonie auch noch Kaugummi gekaut. Erst ab 1984, als Franz Beckenbauer Bundestrainer wurde, wurde die Singerei von diesem angeordnet, um ein besseres Bild abzugeben (obwohl er als Spieler und Kapitän der Mannschaft selbst nicht gesungen hatte).

Auch bei dieser WM wurde mal wieder breit über die Singerei bzw. Nichtsingerei diskutiert und dabei Mesut Özil zitiert, warum er nicht singt (er betet) und wie das Gebet im Wortlaut geht. Da im Gebet das Wort „Allah“ auftaucht, hat das die Lage noch verschlimmbessert. – Das Deutschland des Jahres 2018 sieht anders aus als von vor ein paar Jahren.

Mesut Özil in seinem Buch „Die Magie des Spiels“ aus dem Jahr 2017: „Mit meinem rechten Fuß betrat ich das Spielfeld. So wie ich es immer machte. Wenn ich aus dem Bett aufstehe, trete ich zunächst auch erst mit dem rechten Fuß auf. Ich esse mit meiner rechten Hand, obwohl ich eigentlich Linkshänder bin. Das alles hat religiöse Gründe. Die rechte Hand ist die reine, die linke dient dazu, Schmutz zu entfernen. Mit links putze ich mir zum Beispiel die Zähne. Wenn ich zunächst mit dem linken Fuß den Platz betreten würde, könnte ich nicht spielen.

Kurz vor dem Anstoß bete ich. Auch das hat bei mir Tradition. Es ist immer derselbe Text, den ich kurz vor dem Anstoß auf dem Rasen vor mich hinsage. Ich bete auf Türkisch.

„Allah (Gott), gib uns für das heutige Spiel Kraft und schütze mich und meine Teamkollegen vor Verletzungen. Allah (Gott), Du kannst uns den Weg (Erfolg) eröffnen oder auch verschließen. Führe uns nicht vom rechten Weg ab. Amen.“

Es ist mein drittes Gebet. Zuvor beim Warmmachen spreche ich bereits ein paar Sätze auf Arabisch.

„Im Namen Gottes, des sich Erbarmenden, des Barmherzigen! Preis sei Gott, dem Herrn der Welten, dem sich Erbarmenden, dem Barmherzigen, dem Herrscher am Tage des Gerichts. Dir allein dienen wir, und Dich allein bitten wir um Hilfe! Führe uns den geraden Weg, den Weg derer, denen Du gnädig bist, nicht derer, denen du zürnst, und nicht der Irrenden.“

Und schließlich bete ich noch in der Kabine, bevor wir kurz vor Spielbeginn in der jeweiligen Arena auflaufen. Wieder auf Arabisch. „Im Namen Gottes, des sich Erbarmenden, des Barmherzigen! Er ist Allah (Gott), der Einzige, Allah, der Unabhängige und von allen Angeflehte. Er zeugt nicht und ward nicht gezeugt und keiner ist Ihm gleich!“

Diese Gebete habe ich schon als Kind von meinen Eltern gelernt. Ich bete sie auch nach dem Aufstehen, nach dem Essen und bei der Nationalhymne. Schon als kleiner Junge habe ich vor Spielen auf dem Fußballplatz gebetet. Und so habe ich es bis heute beibehalten. Auch weil mir das Beten sehr viel Kraft und Zuversicht verleiht.“

https://www.bild.de/sport/fussball/mesut-oezil/das-bete-ich-waehrend-der-nationalhymne-50697118.bild.html

Mesut Özil und Ilkay Gündogan mussten die veränderte Lage auch in einem Foto zusammen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan feststellen. Dazu wird der Wurm demnächst einen eigenen Beitrag schreiben.

 

Frauen

 

Das Übelste, was wg. Identität bei der Fußball-WM abging, war gegen Frauen gerichtet. Bzw. gegen eine bestimmte Frau: Claudia Neumann, Live-Reporterin beim ZDF.

Das, was der Wurm von ihr gehört hat, war tadellos. Ihr Interesse an Fußball ist geprägt durch die Freude am Spiel und ihr geht es um die Sache. Vom Gesagten her sieht der Wurm keinen Unterschied zu ihren männlichen Kollegen; Fehler macht sie nicht mehr und nicht weniger als diese.

Selbst ein Mann, dessen Herzblut am Fußball hängt, hat keinen Grund, etwas gegen Claudia Neumanns Kommentare zu haben. Im Gegenteil: eine kompetente moderierende Frau ist ein „Farbtupfer“ mehr in der Landschaft.

Was sich allerdings an bösartigen und wütenden Kommentaren in den sozialen Medien abspielte, war unter aller Sau. Übelste Beleidigungen aus einem einzigen Grund: eine Frau kommentiert WM-Spiele.

Claudia Neumann im Interview mit der „Zeit“: https://www.zeit.de/2018/28/claudia-neumann-fussball-wm-2018-kommentatorin-beleidigungen

 

 

Bei allem Respekt und allen Emotionen: Fußball ist auch weiterhin „nur“ ein Spiel.

Und die Zivilisation ist nur eine hauchdünne Schicht über dem Menschen. Wenn diese wegfällt, ist der wahre Mensch erkennbar.

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm