Im Jordan getauft

Jair Messias Bolsonaro wurde zum neuen brasilianischen Staatspräsidenten gewählt. Der Messias scheint dermaßen daneben zu sein, dass sich automatisch die Frage stellt, warum er gewählt wurde.

Die Antwort ist einfach: gemäßigte Linke und gemäßigte Rechte sind nicht glaubwürdig, haben an der Regierung keine gute Figur gemacht, so dass die hinter dem Messias stehenden Kräfte lieber gleich einen radikalen Rechten an die Spitze brachten, um ihre Interessen durchzusetzen.

Gleichzeitig wurde mit des Messias‘ Wahl deutlich, dass weltweit die gemäßigten religiösen Kräfte im Niedergang begriffen und die Fundamentalisten auf dem Vormarsch sind.

Weitere Länder werden folgen.

 

Der Messias

 

Matthias Ebert, ARD-Studio Südamerika: „Jair Bolsonaro hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit radikalen Äußerungen zu Wort gemeldet. Dies tat er sowohl in seiner 28-jährigen Tätigkeit als Parlamentarier als auch im Präsidentschaftswahlkampf. Bis zuletzt hat sich Bolsonaro dabei einer rechtsextremen Rhetorik bedient, weswegen sich die ARD dazu entschlossen hat, ihn als rechtsextrem zu bezeichnen.

Für den Begriff "rechtsextrem" gibt es keine einheitliche Definition. Generell gilt: Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung ab und wollen - auch unter Anwendung von Gewalt - ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten.

Als Abgeordneter forderte Jair Bolsonaro im brasilianischen Fernsehen, man müsse den Ex-Präsidenten Fernando Henrique Cardoso aufgrund dessen Wirtschaftspolitik umbringen. Darüber hinaus würde man "mit Wahlen nichts erreichen". Dies gelinge nur, wenn man die "Arbeit der Militärgeneräle (Anmerk.: in der Zeit der Militärdiktatur von 1964 bis 1985) vollendet und 30.000 Korrupte umbringt."

Kurz vor der Stichwahl kündigte Bolsonaro seinen Anhängern per Telefonansprache bezogen auf die demokratische Opposition eine "Säuberung" an. Wer nicht ins Ausland gehe, werde inhaftiert. Wiederholt verherrlichte Bolsonaro die brasilianische Militärdiktatur und die Folter während dieser Zeit.

Vor dem Kongress widmete er seine Stimme im Rahmen des Amtsenthebungsverfahrens gegen Ex-Präsidentin Dilma Rousseff einem der Hauptverantwortlichen für Folter, Coronel Carlos Alberto Ustra. Dieser darf seit einer Gerichtsentscheidung öffentlich als Folterer bezeichnet werden.

Darüber hinaus nannte Bolsonaro als einzigen Fehler der Militärgeneräle, dass diese nur gefoltert hätten, anstatt zu töten. Im Wahlkampf hat Bolsonaros Vize-Kandidat, Ex-Militär Alberto Mourão, mit einem "Putsch" gedroht, sollte es die Sicherheitslage nach der Wahl erfordern.“

https://www.tagesschau.de/ausland/bolsonaro-rechtsextrem-101~_origin-4eb42477-4450-4218-b6ed-e6e954f0e061.html

Peter Steiniger: „Welchem politischen Lager man dort auch angehört: Wer in Brasilien am kommenden Sonntag nicht für Fernando Haddad stimmt, öffnet der Barbarei die Tür, ebnet einem Psychopathen den Weg zur Macht. 46 Prozent der gültig Wählenden liefen in der ersten Runde dem Rattenfänger nach, der mit dem Segen evangelikaler Sekten und der Hilfe des großen Geldes Goebbels’ Methoden in unsere Zeit überträgt. Für Faschisten in der oder ohne die Maske der Demokraten weltweit wäre ein Sieg Jair Bolsonaros dank Massenmanipulation ein Quantensprung. In der imperialistischen Rollback-Strategie für Lateinamerika kommt dem größten Land der Region eine entscheidende Rolle zu. Der »sanfte« Putsch 2016 stürzte Brasiliens schwache Demokratie ins Chaos. Der von Mainstreammedien immer wieder als rechtskonservativer oder rechtspopulistischer Politiker verharmloste Bolsonaro machte noch nie ein Geheimnis daraus, dass er für die terroristische Herrschaftsvariante steht. Bei einem großen Teil der Oberschicht brauchte er da nicht erst am republikanischen Lack kratzen.

In einer am Telefon gehaltenen und auf Demos seiner Anhänger in São Paulo und weiteren Orten übertragenen Ansprache ließ Bolsonaro an diesem Sonntag einmal mehr wissen, was Brasilien und der politische Gegner von ihm zu erwarten haben. Die Roten will er aus »unserem Vaterland verbannen« oder in den Knast stecken lassen. Seine Unterstützer stellten die Mehrheit dar und seien »das wahre Brasilien«. Die der Arbeiterpartei (PT) hätten »2016 verloren und werden kommende Woche wieder verlieren. Nur, dass die Säuberung diesmal sehr viel größer ausfällt« – wie man sie in der Geschichte Brasiliens »noch nie erlebt« habe. An Luiz Inácio Lula da Silva gewandt, kündigte er an: »Du wirst im Knast verfaulen.« Seinem Gegenkandidaten Haddad versprach Bolsonaro, dass auch dieser auf dem Weg ins Gefängnis sei: »Aber nicht, um dich (Lula) zu besuchen, sondern um ein paar Jahre an deiner Seite zu verbringen.« Offen droht Bolsonaro mit dem Militär, will die »PT-Bande« mit Hilfe der Polizei das Fürchten lehren. Die Aktivitäten der »Banditen von MST und MTST«, der Landlosen- und der »Bewegung der obdachlosen Arbeiter« will er als Terrorismus einstufen und verfolgen lassen.

Bolsonaro möchte zurück zu den Methoden der Diktatur, die für ihn leider nicht mehr Tote »als ein Karneval in Rio« zur Folge hatte und deren Folterknecht Oberst Ustra er öffentlich sein Idol nennt. Der innere Feind ist derselbe geblieben, das Aufstacheln zu Hass und Gewalt bleibt straflos. Bolsonaros Anhänger folgen ihm. Justiz und Polizei stehen Pate, gehen bereits gegen linke Organisationen vor. Dem liberalen Bürgertum wird immerhin langsam unwohl. Der Faschismus an der Schwelle zur Macht ist die Quittung dafür, dass Brasilien mit den Verbrechen der Junta nie abrechnete, dass der tiefe Staat intakt blieb.“

https://www.jungewelt.de/artikel/342158.diktatur-mit-ansage.html

Mario Schenk: „Bolsonaro hat indes klargestellt, etwas anderes als einen Sieg nicht zu akzeptieren. Am Freitag vor der ersten Wahlrunde warnte er im Fernsehinterview, einen Wahlsieg anderer nicht hinzunehmen. "Wenn ich die aktuelle Lage betrachte, akzeptiere ich kein Wahlergebnis außer meiner Wahl", so der Ex-Soldat im Interview beim Sender Bandeirantes. Der PT unterstellte er, für den Fall ihrer absehbaren Niederlage einen Plan B zu haben und Wahlbetrug begehen zu wollen. Im selben Atemzug warnte der Kandidat mit einem möglichen Eingreifen der Militärs. "Die militärischen Institutionen würden keine Initiative ergreifen. Doch bei einem ersten Fehler, den die PT begehen könnte, könnte es zu einem Einschreiten der Streitkräfte kommen", so Bolsonaro.“

https://amerika21.de/analyse/216390/bolsonaro-instrument-militaers

Frederico Füllgraf: „“Mythos” Jair Bolsonaro – wie das Codewort seiner Mitläufer heißt – predigt jedenfalls ungestraft seit nahezu zwei Jahrzehnten den Vernichtungsfeldzug. Folter sei unerlässlich! Falls er eines Tages zum Präsidenten gewählt würde, werde er am Tag darauf eine Diktatur errichten. Mit Demokratie seien die Probleme Brasiliens nicht in den Griff zu kriegen, nur mit einem Bürgerkrieg und der Ermordung von 30.000 Gegnern, einschließlich des Ex-Präsidenten Fernando Henrique Cardoso, erklärte einst der kreischende Ex-Hauptmann ins Mikrofon eines Reporters.

Die Androhung von 30.000 Morden stammt aus Bolsonaros Repertoire vom Ende der 1990-er Jahre. Doch am Vorabend des Karnevals 2018 in Rio de Janeiro war der gemeingefährliche Psychopath von neuen Massaker-Visionen beflügelt. Auf einer Veranstaltung der von seinem neoliberalen Wirtschaftsguru Paulo Guedes gegründeten Bank BTG Pactual schlug Bolsonaro vor, Brasiliens größtes Elendsviertel Rocinha mit mehr als 70.000 Einwohnern bei Zusammenstößen rivalisierender Drogendealer-Banden aus der Luft mit MG-Feuer niederzumähen.

Nach einem Bericht des Kolumnisten Lauro Jardim von O Globo schlug Bolsonaro vor, einen Hubschrauber mit dem Abwurf tausender Flugblätter über dem Elendsviertel zu beauftragen. Nach dem darin angedrohten Ultimatum würde „den Banditen“ sechs Stunden Zeit dafür eingeräumt, sich zu ergeben. Sollte die Frist nicht eingehalten werden, würde er Rocinha unter MG-Beschuss nehmen. Jardim wusste zu berichten, dass das Auditorium dem „Vorschlag“ euphorischen Applaus zollte.

An diesem Punkt wäre der Satz zu erwarten, „ganz Brasilien reagierte mit Abscheu auf die Gräueltaten“. Falsche Annahme!

Legt man der Erwartung die jüngsten Wählerumfragen zugrunde, empörten sich höchstens 41 Prozent – die Summe der demokratisch gesinnten Haddad-Wähler – über die Entsetzlichkeiten, während sie von mehr als der Hälfte Brasiliens – genauer: von den 59 Prozent der Bolsonaro-Anhänger – wenn nicht nur ignoriert, sondern sogar mit Applaus bedacht wurden …

Wenn die den Anschlägen vorausgegangenen Hasspredigten Bolsonaros nun gar von Madame Le Pen verabscheut werden – die mit Verweis auf Attacken Bolsonaros gegen Homosexuelle und Frauen im Interview mit Radio France International erklärte, „er hat extrem unangenehme Dinge gesagt, die nicht zu unserem Land passen …” – dann ist es fünf vor zwölf für eine warnende Stellungnahme der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Union.“

https://www.nachdenkseiten.de/?p=46627

Ivo Marusczyk: „Jair Messias Bolsonaro sitzt seit 30 Jahren im Kongress, tritt aber jetzt als Kämpfer gegen das Establishment und die politische Klasse in Brasília auf. Aufgefallen ist der Hinterbänkler in all den Jahren eigentlich nur durch Ausfälle gegen Frauen, gegen Schwarze und gegen Schwule. Und dadurch dass er die Folterknechte der Militärdiktatur lobte

Veränderung gibt es nur durch Bürgerkrieg“

Wer mag schon Schwule, keiner mag sie, die Leute ertragen sie halt.“

Ich bin für Folter.“

Mit Abstimmungen wird sich in diesem Land nichts ändern. Gar nichts. Veränderung gibt es nur, wenn wir einen Bürgerkrieg anfangen.“

Berühmt ist auch sein Zitat, keiner seiner Söhne werde sich in eine schwarze Frau verlieben, denn sie seien ja gut erzogen. Einer Parlamentskollegin rief er zu, sie sei zu hässlich, um sie zu vergewaltigen. Und bei der Amtsenthebung von Dilma Rousseff rief er „Für Oberst Ustra“, den Offizier, der die Politikerin seinerzeit foltern ließ.“

https://www.deutschlandfunkkultur.de/praesidentschaftswahl-in-brasilien-samba-zwischen-klinge.979.de.html?dram:article_id=429654

Harald Neuber: „In einem ersten Interview mit dem Privatsender RecordTV äußerte sich Bolsonaro auch zu seinen im Wahlkampf angekündigten Vorhaben wie einer Liberalisierung des Waffenrechtes und einer Verschärfung der Politik gegenüber sozialen Bewegungen. Vor allem von der Landlosenbewegung MST und der Bewegung der Obdachlosen in dem von massiven sozialen Gegensätzen geprägten Land dürften diese Stellungnahmen mit Sorge aufgenommen werden. Landbesetzungen durch die MST-Bewegung will Bolsonaro künftig nicht mehr akzeptieren und als Terrorismus verfolgen lassen. Er werde weder mit der Landlosenbewegung noch mit der Bewegung der obdachlosen Arbeiter Gespräche führen, sagte er gegenüber RecordTV. "Jede Aktion von MST und MTST wird als Terrorismus beurteilt werden. Das Privateigentum ist heilig", so Bolsonaro …

Die politische Linke innerhalb und außerhalb des Parlamentes bezeichnet er als "rote Verbrecher", die es zu "beseitigen" gelte. Weitere Beispiele von Bolsonaros Ausfällen hat die brasilianische Journalistin Elaine Brum für die britische Tageszeitung Guardian zusammengetragen:

- "Ich hatte vier Söhne, aber dann hatte ich einen schwachen Moment und unser fünftes Kind wurde ein Mädchen." - "Ich werde Sie nicht vergewaltigen, weil Sie sehr hässlich sind" (zu einer oppositionellen Parlamentsangeordneten).

- "Ich würde es bevorzugen, dass mein Sohn bei einem Autounfall stirbt, ehe er mit einem Typen als Date auftaucht."

- "Ich bin für Folter, so wie die Bevölkerung auch."

- Zu den Quilombolas, den Nachkommen aufständischer afrikanischer Sklaven: "Sie machen überhaupt nichts. Ich glaube, sie sind noch nicht einmal mehr für Nachwuchs zu gebrauchen."

- "Sie können sich sicher sein, wenn ich Präsident werde, wird es kein Geld mehr für NGOs geben. Wenn es nach mir geht, wird jeder Bürger eine Waffe zu Hause haben. Und es wird keinen Zentimeter mehr für Indigenengebiete oder Quilombolas geben."

- "Sie werden in diesem Land nichts mit Wahlen verändern - gar nichts. Leider kann man die Dinge nur über einen Bürgerkrieg verändern, indem die Arbeit erledigt wird, die das Militärregime (Diktatur) nicht erledigt hat. Indem 30.000 Leute umgebracht werden, beginnend mit FHC (Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso). Umbringen. Wenn ein paar unschuldige sterben, geht das schon okay."“

https://www.heise.de/tp/features/Brasilien-Militaer-in-Regierung-soziale-Bewegung-terroristisch-4207966.html

Martin Dudenhöffer: „Die Liste an verbalen Ausfällen, die nicht nur vielen Menschen in Brasilien Angst und Bange machen, ist lang geworden. Sollte er nur einen Bruchteil davon wahrmachen, ist nicht nur Brasiliens Demokratie in Gefahr, viele soziale Gruppen müssten wohl sogar um ihr Leben fürchten. Bolsonaro bedrohte offen politische Konkurrenten, er kündigte an, eine potentielle Wahlniederlage nicht zu akzeptieren und auf die Macht des Militärs zurückzugreifen.

Flüchtende Menschen, aus Haiti, Venezuela oder Afrika, sind durch die Aussage, sie seien der „Abschaum der Menschheit“ völlig entmenschlicht worden. Indigene Völker im Amazonasgebiet nannte er öffentlich „Parasiten“, denen er keinen Zentimeter Lebensraum mehr überlassen werde, wenn er regiere. Homosexuelle sind für ihn „Pädophile“, Jugendlichen, die zu gleichgeschlechtlicher Liebe neigen, solle mit körperlicher Gewalt begegnet werden.“

http://justicenow.de/2018-10-23/bolsonaros-angriff-auf-brasiliens-demokratie/

 

 

Brasilien vor dem Messias

 

Kriminalität

 

Ivo Marusczyk: „Kriminalität ist überall in Brasilien ein enormes Problem. Seit den Großereignissen, seit Fußball-WM und Olympischen Spielen in Rio, hat sich die Bandenkriminalität wieder ausgebreitet. In den Städten sind wilde Schießereien an der Tagesordnung: Drogenbanden gegen andere Banden oder gegen die Polizei. Und auf dem Land haben viele Menschen das Gefühl, der Staat könne sie nicht mehr vor Überfällen schützen." 

https://www.deutschlandfunkkultur.de/praesidentschaftswahl-in-brasilien-samba-zwischen-klinge.979.de.html?dram:article_id=429654

Martin Dudenhöffer: „Während der Amtszeit des rechtskonservativen Temers, dessen politischer Block bei der Wahl in der Versenkung verschwunden ist, steigerte sich die Kriminalitätsrate enorm. Temer wie auch Bolsonaros Antworten auf die Gewalt von Militär, Polizei und Kriminellen ist: mehr Gewalt. So hat sich die Gewaltspirale in den letzten Jahren extrem negativ entwickelt. Offizielle Stellen sprechen von einem Anstieg der Mordrate um 26 Prozent. In den Armenvierteln Rio de Janeiros, zum Beispiel, wurde die Armee nun fest installiert, um Straßen zu kontrollieren und Präsenz zu zeigen. In vielen Teilen Rios hat das aber das Gegenteil bewirkt und die staatliche Repression und Gewalt gegen Zivilist*Innen erhöht.

Die öffentliche Wahrnehmung gerade bei konservativen und rechten Wähler*Innen zeichnet sich unter anderem durch Forderungen von mehr Waffengewalt gegen jeden und alles aus. Davon profitiert ein Hardliner wie Bolsonaro besonders. Rezepte, jene ungeheuerliche soziale Ungleichheit zu bekämpfen, die sich in immer schlechter werdenden Armutsraten manifestiert, bleiben im neoliberalen und oligarchischen Brasilien aus. Bolsonaro wie auch Temer verbindet die Nähe zu Großunternehmern und Großgrundbesitzern, deren Reichtum und ihre unverhältnismäßige gesellschaftliche Macht auf Ausbeutung, Unterdrückung und illegaler Einflussnahme basieren.“

http://justicenow.de/2018-10-23/bolsonaros-angriff-auf-brasiliens-demokratie/

Thomas Milz: „Weder Polizei noch Militärs sind Herr der Lage in Rio de Janeiro. Mitglieder von Mittel- und Oberschicht passen ihren Alltag an die alltägliche Gewalt an, während die Bewohner der betroffenen Favelas in der Falle sitzen.

Die Smartphone-Apps, die Rios besorgte Bürger vor Schusswechsel warnen, registrierten im August 700 Vorfälle, 80 Prozent mehr als im Vorjahr. Derart informiert, versuchen die Cariocas Gefahrenherde wie die Schnellstraßen "Linha vermelha" und "Linha amarela" zu umgehen. Wer Geld hat, fährt im gepanzerten Wagen. Die anderen bekleben die Autoscheiben mit Sichtschutzfolien.

Im Mittelklasseviertel Tijuca diskutieren besorgte Eltern darüber, ob man wegziehen sollte. Die Bars hier klagen genauso über weniger Kundschaft wie die Sambaschuppen im Boheme-Viertel Lapa. Derweil trifft man in Ipanema und Leblon, Rios Top-Wohnlagen, auf immer mehr private Wachdienste. Um schlecht beleuchtete Parks wie den "Jardim de Alah", der die beiden Edelviertel trennt, macht man nachts einen Bogen.

So unangenehm dies für die Menschen auf dem "Asphalt", in den regulären Wohnvierteln, auch ist - in den Favela-Slums trifft es die Menschen mit voller Wucht. Das Risiko, umzukommen, werde in Rio durch die Hautfarbe und die Postleitzahl bestimmt, so die Politikwissenschaftlerin Ilona Szabó. Beispiel: die Vila Cruzeiro. "Ich würde hier ein Gesetz erlassen, dass alle zuhause bleiben müssten. Nur zur Schule, zur Arbeit oder zum Einkaufen darf man raus. Denn man weiß hier nie, was demnächst passiert", sagt Claudia Sacramento. 

Tagtäglich verschickt sie via Whatsapp, Facebook, Twitter und Instagram Warnungen an ihre Mitbewohner. Wo wird gerade geschossen, wo bewegen sich Polizeikräfte und Militärs, welche Straßen sollten die Bewohner meiden? Ende 2010 hatten die Sicherheitskräfte die Drogenbanden hier vertrieben, Mitte 2012 wurde dann die Befriedungseinheit UPP stationiert. Doch längst hat sich die Polizei zurückgezogen. Eine von Einschüssen durchsiebte leere Polizeikabine unter Claudias Fenster steht für ihr Scheitern. Funktioniert habe die UPP nie wirklich, statt Sozialprogrammen bot der Staat nur Gewalt. Seit sieben Jahren verschickt sie die Warnungen, "und solange ich lebe, werde ich wohl damit weiter machen" …

Die Polizei starte ihre Operationen genau dann, wenn die Schüler auf dem Schulweg seien, so Constantino. "Da werden wir als lebende Schutzschilde benutzt. Das zeigt, dass das Leben der Leute hier nichts zählt."

Die Sicherheitskräfte setzten lediglich auf gewaltsame Konfrontationen. Er würde am liebsten wegziehen, "irgendwo auf den Asphalt". Dort erlaube sich die Polizei das Rumgeballer nicht. "Das hier ist ein Vernichtungslager der dunkelhäutigen Menschen. Wie könnte ich sagen, dass ich gerne an einem Ort lebe, an dem es zwei geheime Friedhöfe voll verscharrter Leichen gibt?" Es fehle an Angeboten zu Bildung und Kultur und Politikansätzen, um die Jugend hier zu retten. "Aber der brasilianische Staat will sie nicht retten. Er will sie töten. Michael Jackson hatte Recht: They don't care about us."“

https://www.dw.com/de/rio-de-janeiro-gewalt-au%C3%9Fer-kontrolle/a-45353146

 

Schlanker Staat

 

Vanessa Brinktrine: „Nach einem verheerenden Brand im Nationalmuseum von Brasilien in Rio de Janeiro, der die Ausstellungsstücke auf rund 13.000 Quadratmetern fast vollständig vernichtet hat, wird massive Kritik an der Regierung von De-facto-Präsident Michel Temer laut. Demonstranten warfen der Staatsführung vor, durch Sparmaßnahmen die Vernichtung des Kulturguts provoziert zu haben. Temer habe sich eines historischen Verbrechens schuldig gemacht, hieß es seitens der Demonstranten.

Das Feuer war nach Ende der Besucherzeiten am Sonntagabend gegen 19.30 Uhr ausgebrochen. Erst nach sechs Stunden konnte der Brand von den Einsatzkräften unter Kontrolle gebracht werden. Annähernd 80 Feuerwehrmänner aus zwölf verschiedenen Feuerwachen der Stadt waren angerückt. Ein Teil des Museumsinneren brach in sich zusammen. Die Löscharbeiten seien zudem durch fehlendes Wasser der Hydranten in der Nähe erschwert worden, so der Generalkommandant der Feuerwehr Rios, Roberto Robadey. Die Feuerwehr musste zuerst Tanklaster anfordern und mit Wasser aus einem naheliegenden See pumpen.

Der Universitätsrektor, Roberto Leher, der für die Verwaltung des Museums verantwortlich ist, kritisierte das Vorgehen der Einsatzkräfte, welche seit Februar – wie auch die Polizei – durch ein Dekret für öffentliche Sicherheit des Interimspräsidenten Temer der Bundesregierung unterstehen. "Es ist offensichtlich, dass die Art des Einsatzes in keiner Proportion zum Ausmaß des Feuers stand. Wir haben klar gesehen, dass es an Logistik und Infrastruktur bei der Einsatztruppe gemangelt hat", kritisierte er in einem Interview. Mehr Einsatzkräfte hätten das Feuer sicherlich unter Kontrolle gebracht, so Leher weiter. Die Vizedirektorin des Museums, Cristiana Serejo, sagte, dass 90 Prozent der Archive verbrannt seien.

Das Museum selbst habe zudem über kein Brandschutzsystem verfügt. Diese Sicherheitsvorrichtung sollte mit finanzieller Unterstützung der staatlichen Entwicklungsbank BNDES von 21 Millionen Reais (rund vier Millionen Euro) installiert werden. Die Universität verfügt nicht über ausreichende Mittel, um die Bauarbeiten alleine tragen zu können.

Als staatliche Universität ist sie wie viele andere Hochschulen im Land von den starken Budgeteinschränkungen der Regierung betroffen. Museumsdirektor Alexander Keller macht daher auch die De-facto-Regierung wegen der fehlenden Zuteilung von Haushaltsmitteln verantwortlich. Er habe darauf schon zum 200-jährigen Jubiläum aufmerksam gemacht. Zwischen 2013 und 2018 hatte sich das Budget von 500 Millionen auf lediglich 43 Millionen Reais (rund neun Millionen Euro) verringert. Tatsächlich verfügt kein brasilianisches Museum über einen Versicherungsschutz der Archive, welche auch die Schäden an Gebäuden einschließt, sagte der Experte in Sicherheitsmanagement der britischen Versicherung JLT, Robert Muniz.

Das Nationalmuseum in Rio de Janeiro ist das älteste Museum des Landes und untersteht administrativ der Bundesstaatlichen Universität von Rio de Janeiro. Schwierigkeiten hatte es in der Vergangenheit vor allem bezüglich des Budgets für die Instandhaltung gegeben. Seit 2014 erhielt die Institution keine Haushaltsmittel mehr, die in Höhe von jährlich 520.000 Reais (rund 109.000 Euro) den Betrieb unterstützen sollten. Dieser Geldmangel wurde vor allem durch bauliche Missstände wie nicht verputzte, abgebröckelte Wände und offenliegende Kabel deutlich. Das Museum befand sich in einem alten Palast aus dem 19. Jahrhundert. Sein Archiv umfasste 20 Millionen Artefakte kulturellen und wissenschaftlichen Interesses in verschiedenen paläontologischen, anthropologischen und ethnobiologischen Sammlungen, welche so umfangreich waren, dass lediglich ein Prozent ausgestellt wurde.“

https://amerika21.de/2018/09/211786/brasilien-museum-brand-proteste-temer

Das Nationalmuseum als Beispiel:so dürfte es überall im Land im staatlichen Zuständigkeitsbereich aussehen.

 

Putsch gegen die Arbeiterpartei

 

Harald Neuber: „Dass Brasilien nun in die Hände eines rechtsextremen Hardliners gefallen ist, ist auch das Ergebnis eines schleichenden Putsches unter dem Deckmantel der Rechtsstaatlichkeit. Begonnen hatte dieser Staatsstreich im August 2016 mit der Absetzung von Ex-Präsidentin Dilma Rousseff. Das Verfahren gegen die PT-Politikerin wurde mit Regelverstößen beim Umgang mit Staatsgeldern begründet.

Rousseff und hochrangige Juristen verweisen darauf, dass auch vorherige Regierungen in ähnlicher Weise in den Haushalt eingegriffen haben. Zudem wurden die Haushaltstricks, die Rousseff nach dem Überlaufen ihres Vizepräsidenten Michel Temer ins gegnerische Lager das Amt kosteten, nach ihrer Absetzung umgehend legalisiert. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass Rousseffs Gegner sie gestürzt haben, um selbst Korruptionsermittlungen zu entgehen - ein Großteil der Abgeordneten sah sich selbst Ermittlungen ausgesetzt.

Das zweite Kapitel im Parlaments- und Justizputsch gegen die lange regierende Arbeiterpartei war der Prozess gegen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und seine folgende Inhaftierung. In einer Aufsatzsammlung trugen Experten Dutzende Manipulationen und Verfahrensfehler zusammen. Der Jurist Jacson Zilio von der Bundesuniversität des Teilstaates Paraná (UFPR) konstatierte "schwere juristische Probleme" im Ermittlungsverfahren und dem folgenden Prozess. "Eines der größten Probleme sind die juristischen Defizite in diesem Prozess und der Missbrauch des Strafrechtes zu politischen Zwecken", sagte Zilio. Er sieht den demokratischen Rechtsstaat in Gefahr, "weil Strafprozesse sowie Verfahren im rechtlichen Ausnahmezustand durchgeführt werden".

Auch in Deutschland gab es durchaus Kritik an dem Lula-Verfahren. Die ehemalige SPD-Justizministerin (1998-2002) Herta Däubler-Gmelin bezeichnete den Prozess als Teil eines "sozial- und wirtschaftspolitischen Rollbacks". Und in der Tat: Ohne die umstrittene Inhaftierung von Lula, der die Umfragen lange anführte, wäre Bolsonaro kaum Präsident geworden. Der Dank kam umgehend: Bolsonaro kündigte an, Ermittlungsrichter Sergio Moro, der Lula da Silva in den Knast brachte, zum Justizminister zu machen.“

https://www.heise.de/tp/features/Brasilien-Militaer-in-Regierung-soziale-Bewegung-terroristisch-4207966.html

So schlimm das alles auch sein mag – das Schicksal einer Partei und eines Landes darf nicht an einem einzigen Pensionisten liegen. Wenn die Arbeiterpartei weder in der Lage ist, den Parlaments-Putsch gegen Dilma Rousseff abzuwehren noch den völlig danebigen Messias-Arsch bei der Präsidentschafts-Wahl zu besiegen, dann liegen die Gründe bei ihr selbst und dem mangelnden Vertrauen ihrer früheren Wählerschaft, siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/242-das-elend-mit-der-sozialdemokratie.html

 

Establishment

 

Martin Dudenhöffer: „Mit einer Zustimmungsrate von etwa 4 Prozent war kein brasilianischer Präsident so unbeliebt und verhasst wie Temer, dem selbst etliche Korruptionsvorwürfe anhängen und sogar faktisch nachgewiesen werden können. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht neue Verdachtsfälle und groteske Fälle von Korruption, Vetternwirtschaft, Geldwäsche, Bestechung und Selbstbereicherung in Brasiliens herrschender Elite aufkommen und die brasilianische Öffentlichkeit erschüttern. Folgen dieser tiefgreifenden Krise waren Massenproteste, die sich in den Straßen von Rio de Janeiro und anderen Städten entluden. Unter dem Motto „Fora Temer!“, „Temer raus!“, forderten zigtausende Bürgerinnen und Bürger nicht nur den Rücktritt des 78-Jährigen – mit ihm soll das ganze kleptokratische, neoliberale und undemokratische Brasilien fallen.

Mit Temer und seiner kleptokratischen und oligarchischen Elite verschärfte sich die Situation im ganzen Land allerdings erheblich. Nicht nur schwand durch die überdimensionalen Bestechungs- und Korruptionsskandale das Vertrauen in das sogenannte Establishment der Politik, auch ganz praktisch vergrößerte sich das Leid vieler Brasilianerinnen und Brasilianer. Mit der Fußball-WM 2014 und den Olympischen Sommerspielen 2016 wurden seitens der brasilianischen Regierung große Geschenke an FIFA, IOC, deren Sponsoringpartner und nationale und internationale Großunternehmen verteilt, natürlich auf Kosten der Allgemeinheit.

Ausgaben für das Bildungssystem, das jungen Brasilianer*Innen langfristig den Sprung aus der absoluten Armut ermöglichen soll, werden zusammengestrichen. Das Gesundheitswesen im Land ist schon derart am Boden, dass Krankenhäuser weder Löhne, Gehälter noch Rechnungen bezahlen können – und das sogar im Universitätsklinikum der Metropole Rio de Janeiro. Im gleichen Moment haben sich führende Politiker und Unternehmer des Landes, darunter der scheidende Präsident Temer, der ehemalige Parteifreund und Vorsitzende der Abgeordnetenkammer Eduardo Cunha, oder die Verantwortlichen von Petrobras, Odebrecht und anderen Unternehmen bereichert oder massiven Amtsmissbrauch begangen.

Hunger, Gewalt, Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne, Umweltzerstörung, soziale Ungleichheit – die alltäglichen Probleme in Brasilien füllen eine lange Liste an Problemen. Statt um Lösungen in den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Verwerfungen zu ringen, korrumpierte sich das System von oben so, dass mit Bolsonaro fast schon die logische Konsequenz in den Startlöchern steht. Eine Vielzahl an sozialen Gruppen, die der Kandidat bereits beschimpft und verbal praktisch schon vor Amtsantritt zum Abschuss freigab, werden mit Angst und Schrecken auf die Stichwahl zwischen dem rechtsextremen Bolsonaro und dem zentristischen Fernando Haddad (PT) Ende des Monats schauen.“

http://justicenow.de/2018-10-23/bolsonaros-angriff-auf-brasiliens-demokratie/

Nicole Anliker: „Die brasilianische Bundespolizei hat die Staatsanwaltschaft aufgefordert, Präsident Michel Temer wegen Korruption, Geldwäsche und krimineller Geschäfte anzuklagen. Laut einem Polizeibericht hat Temer zwischen 2000 und 2014 Bestechungsgelder in der Höhe von rund 1,6 Millionen Franken von Firmen aus dem Hafensektor erhalten. Im Gegenzug dafür soll er im Mai 2017 ein Dekret, welches das Hafengesetz modifizierte, zugunsten von diesen erlassen haben. Weitere 4,6 Millionen Franken sollen von den Unternehmen zudem direkt an seine Partei Movimiento Democrático Brasileño geflossen sein.

Die Polizei ermittelte 13 Monate lang gegen den seit Mai 2016 amtierenden Staatschef. Temer weist seit Beginn der Untersuchungen jede Schuld von sich. Seine Anwälte forderten am Mittwoch das Oberste Gericht auf, den jüngsten Polizeibericht für nichtig zu erklären. Die Staatsanwaltschaft entscheidet nun, ob sie Anklage erhebt, weitere Ermittlungen anordnet oder die Akte schliesst.

Der Oberste Gerichtshof kann gemäss der Verfassung aber nur dann gegen den Präsidenten ermitteln, wenn er dazu vom Parlament beauftragt wird. Die Staatsanwaltschaft hatte im vergangenen Jahr zwei Mal Klage gegen Temer wegen Korruption und krimineller Aktivitäten eingereicht. Beide Male verhinderten die Abgeordneten Ermittlungen gegen ihn.“

https://www.nzz.ch/international/anklage-gegen-temer-gefordert-ld.1429375

Philipp Lichterbeck: „Insbesondere das Abschneiden der moderaten Konservativen ist für viele ein Schock. Der Kandidat von Michel Temers Partei, MDB, erhielt ein Prozent der Stimmen und der ehemalige Gouverneur von São Paulo, Geraldo Alckmin von der PSDB nicht einmal fünf Prozent. Beide Parteien hatten 2016 den fragwürdigen Sturz Dilma Rousseffs initiiert.

Nun bevorzugten die Wähler mit Jair Bolsonaro die weitaus radikalere Variante. Auch ins Parlament und den Senat schickten sie viele extreme Rechte, darunter auch einen von Bolsonaros Söhnen. Etablierte Kandidaten wurden hingegen abgestraft. Es ist bezeichnend für diesen Rechtsruck, dass Bolsonaro auf dem Ticket der zuvor völlig unbedeutenden Kleinstpartei PSL gewinnen konnte.

Mit der Wahl ist Bolsonaro zum Hauptvertreter des sogenannten Anti-PTismus geworden. Dieser vereint Gegner der Arbeiterpartei, die wegen der Korruptionsaffären der vergangenen Jahre für viele Menschen eine „Diebesbande“ ist. Insbesondere im Süden Brasiliens sowie in der weißen Oberschicht schlägt der PT regelrechter Hass entgegen. Man beschimpft sie dort trotz ihrer eher sozialdemokratischen Ausrichtung als „kommunistisch“. Im ärmeren Nordosten Brasiliens bevorzugte die Mehrheit hingegen Fernando Haddad und die PT …

Jair Bolsonaro scheint wie aus dem Nichts aufgestiegen zu sei. Aber er ist das Ergebnis eines politischen Systems, das in den Augen vieler Brasilianer gescheitert ist. Zu diesem Eindruck haben Korruptionsaffären beigetragen, in die alle großen Parteien und zahlreiche Politiker bis hin zu Präsident Temer verwickelt sind …

Brasilien steht nun vor einer Zäsur. Was 2012 mit einer Wirtschaftskrise begann, wuchs sich zu einer Krise der Politik, des Staats und seiner Institutionen, ja, zu einer Krise der Gesellschaft und ihrer Moral aus. Der Profiteur heißt Jair Bolsonaro, ein Hassredner ohne jede Regierungserfahrung. Die Geschichte Brasiliens handelt von einem Land, das noch vor zehn Jahren als Aufsteigernation des 21. Jahrhunderts gefeiert wurde, weil es sein riesiges Potential endlich angezapft zu haben schien. Nun steht es kurz vor dem Abgleiten in den Rechtsextremismus.“

https://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsextremer-favorit-bolsonaro-warum-so-viele-brasilianer-einen-radikalen-wollen/23161250.html

 

Die Unterstützer

 

Manuela d’Avila von der Kommunistischen Partei Brasiliens (PCdoB) wird als Vizepräsidentschaftskandidatin gemeinsam mit dem Präsidentschaftskandidaten der Arbeiterpartei (PT), Fernando Haddad, am kommenden Sonntag in die Stichwahl gehen. UZ sprach mit ihr über die aktuelle Lage in Brasilien, über Siegchancen und den faschistischen Kandidaten Bolsonaro.

UZ: Liebe Genossin Manuela, wir beglückwünschen dich und den Präsidentschaftskandidaten Fernando Haddad zum Erreichen der Stichwahl. Gegner ist der offen rechtsextreme Jair Bolsonaro. Wer unterstützt ihn, welche Rolle haben dabei Agrarindustrielle, Militär, Rüstungsindustrie und evangelikale Gruppen?

Manuela d’Avila: Die Kandidatur von Jair Bolsonaro drückt die Ideen und Werte der konservativsten Kreise Brasiliens aus. Sie zeigt eine extreme Rechte, die sich bei den letzten Präsidentschaftswahlen nicht getraut hatte, sich so klar zu äußern. Sie versteckte ihre Kampagnen als „Zentrum“ oder maximal „Mitte-Rechts“. Sogar trotz der programmatischen Begrenztheit Bolsonaros, vor allem in der Wirtschaft, haben verschiedene Gruppen ihn unterstützt, als sich seine Kampagne als erfolgversprechend gegen das demokratisch-fortschrittlichen Lager aus dem Erbe von Lula und Dilma Rousseff entwickelte. An der Seite des faschistischen Kandidaten stehen nun die großen Medien, der Finanzmarkt, die Wirtschaftseliten, vor allem des Agrarbusiness, sowie breite Sektoren der Streitkräfte und der Evangelikalen.

Man muss betonen, dass all diese Unterstützungen sehr partikulären Interessen dienen. Die Investoren glauben an das Versprechen Bolsonaros, das Finanzministerium an seinen Wirtschaftsberater Paulo Guedes, einen ultraliberalen Fan von Privatisierungen und wenig Staat, zu geben. Die Großgrundbesitzer setzen auf Entlastung bei den Löhnen, mehr Flexibilisierung von Arbeits- und Umweltvorschriften, die Erleichterung des Tragens von Waffen auf dem Land und eine protektionistischere Politik. Bolsonaro hat es geschafft, die zunächst skeptischen Militärs über eine ultrakonservative Korpsgeistlinie, die an den Kalten Krieg erinnert, für sich zu gewinnen. Nicht zufällig hat die Kampagne klar gesagt, dass eine Reform der Sozialsysteme die Privilegien der Militärs ausklammern würde.

Hinzu kommt ein opportunistischer Diskurs gegen die Korruption und „für die brasilianische Familie“ mittels tausender Fake-News-Botschaften über die Medien. Bolsanaros Kandidatur bringt die Demokratie in Gefahr und zeigt in Richtung Barbarei.“

https://www.unsere-zeit.de/de/5043/internationale_politik/9691/Verteidigung-der-Demokratie.htm

Frederico Füllgraf: „Zum machtvollen, inländischen und internationalen Bündnis gehören von Kommandostellen der brasilianischen Militärs, über die rechtsextremen Szenen der US-Evangelikalen – wie dem American Center for Law and Justice – und US-Alt-Right unter Führung von Donald Trumps ehemaligem Chefberater Steve Bannon, dem Bloomberg-Wahlberater Arick Wierson, bis hin zu zionistischen Organisationen und der Regierung Israels; das einzige Land im internationalen Maßstab, in dem politische Kundgebungen zur Unterstützung von Bolsonaros Wahlkampagne stattfanden.

Brasilianische Quellen mutmaßen, dass seine Wahlkampagne vom Samarco-Konzern, australischen und kanadischen Bergbau-Multis und Spenden der einflussreichen evangelikalen Sekte “Universelle Kirche vom Reich Gottes” mit ihrem zweitgrößten Privatsender TV Record finanziert wird …

In der seit 2016 herrschenden Szenerie des parlamentarischen Putschs gegen Präsidentin Dilma Rousseff gedeiht die Militarisierung des Staatsapparats mit der Nominierung von rechtsradikalen Generälen für die Posten des Geheimdienstchefs und des Verteidigungsministers. Selbst STF-Vorsitzender Toffoli berief Reserve-General Fernando Azevedo e Silva auf den Posten eines „militärischen Beraters“ – ein militärischer Berater im zivilen Obersten Verfassungsgericht? Im Übrigen: Der General ist einer der Wahlprogramm-Autoren Bolsonaros.“

https://www.nachdenkseiten.de/?p=46391

 

Militär

 

Mario Schenk: Laut Informationen aus brasilianischen Militärkreisen arbeiten ranghohe Militärs seit Jahren an einem Plan, ihren Einfluss auf die Regierung zu sichern. Der Sieg eines rechts-nationalistischen Kandidaten ist Teil davon und der Präsidentschaftsanwärter Jair Bolsonaro dabei ihr Vehikel. Die im jüngsten WhatsApp-Skandal verwendeten Datensätze zur Diffamierung des linksgerichteten Konkurrenten, Fernando Haddad, waren illegal vom Militär bereitgestellt worden, wie Amerika21 erfahren hat.

Bereits im Jahr 2014 beschlossen ranghohe Offiziere, einen eigenen Kandidaten ins Rennen um das Staatsoberhaupt zu schicken. Nach anfänglichen Zweifeln entschieden sich die Generäle für den früheren Hauptmann Bolsonaro. Teile der Streitkräfte halten sich für die bessere Interessenvertretung der brasilianischen Nation. Insbesondere "strategische Bereiche" wie die Erdölförderung und Stromerzeugung stehen unter ihrem "Schutz". 33 Jahre nach Ende der Militärdiktatur scheinen die Militärs in Brasilien wieder das erste und letzte Wort zu haben.

Wie die argentinische Zeitung Ámbito Financiero Anfang Oktober berichtete, planen Offiziere des brasilianischen Militärs seit Längerem, wieder die Rolle eines Protagonisten in der Gesellschaft einzunehmen. Ziel sei es, eine Art "neue Demokratie" anzustoßen, die durch das aktuelle System verhindert werde. Ihre Grundanschauungen seien der politische Konservatismus, der ökonomische Liberalismus, eine aktive Rolle der Militärs im politischen Geschehen und die Mission, die politische Linke mit der Wurzel auszureißen. Die Zeitung beruft sich dabei auf einen ranghohen Offizier der Streitkräfte, der seit Jahren aktiv an einem "minutiösen Prozess des politischen Aufbaus" beteiligt sei. Dieser Prozess habe mit dem Sieg Bolsonaros im ersten Wahlgang seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden, so der Armeeangehörige, der anonym bleiben wollte.

Wohl aufbauend auf den jüngsten Erfahrungen, dass Bolsonaros offene Verherrlichung der Militärdiktatur (1964-1985) keine Stimmenverluste, sondern eher -gewinne bedeutet, sind die Militärs im Hintergrund zunehmend an die Öffentlichkeit getreten. Mitte Oktober verriet der Vier-Sterne-General Augusto Heleno gegenüber dem Magazin Época, dass sich eine Gruppe von Generälen der Reserve seit Langem mehrmals in der Woche treffe, um Tischvorlagen für eine Regierung unter Bolsonaro zu erarbeiten. "Wir arbeiten zu Themen, die zukünftig von möglichen Ministerien priorisiert werden sollen", so der General. Heleno spricht von mindestens sechs Ressorts, die an Militärs gehen werden. "Verteidigung und Sicherheit ist mein Part", kommentierte Heleno den Stand der Postenvergabe. Natürlich sehe man sich aktuell nur in beratender Funktion. "Ein Regierungsprogramm gibt es erst, wenn es Minister gibt. Im offiziellen Programm sind die Vorhaben festgehalten. Das kann während der vier Jahre Regierung erweitert, analysiert und vertieft werden" so der General. Über alles Weitere entscheide Bolsonaro. Zudem folge man "im Wahlkampf dem Hinweis, eine detaillierte Darstellung der Vorhaben zu vermeiden, um Polemiken zu ersparen". Der General erklärt die wahren Absichten zur Black Box.

Die Suche nach einem Kandidaten, der Interessen der Streitkräfte im Kongress verteidige, habe bereits im Jahr 2014 begonnen, heißt es in der argentinischen Zeitung weiter. Auslöser dafür waren die Massenproteste von 2013, die das politische System nachhaltig erschütterten. Zeitgleich wurden die Ausmaße der Korruption um den halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras deutlich. Politiker fast aller Parteien waren involviert. Innerhalb eines Jahres verwandelten sich die sozial motivierten Demonstrationen gegen Fahrpreiserhöhungen und die schlechte Finanzierung des Bildungs- und Gesundheitssystem mithilfe der Medien in Proteste der allgemeinen Unzufriedenheit mit dem parlamentarischen System und stürzten dieses in eine tiefe Legitimitätskrise. Besonders geschädigt ging die Linke im Allgemeinen und die PT im Besondern aus dem Skandal heraus. Die linksgerichtete Regierungschefin Dilma Rousseff erlag 2016 einem zweifelhaften, politisch motivierten Amtsenthebungsverfahren des mehrheitlich rechts-konservativ geprägten Parlamentes. Die Vorwürfe "falscher Amtsführung" waren nicht haltbar; die eines massiven Stimmenkaufs, um ihre Abwahl zu sichern, hingegen schon.

Der Historiker Vladimir Safatle, der zu den Kontinuitäten der Militärdiktatur in der heutigen Gesellschaft forscht, spricht von einer "brutalen Frustration und Desidentifikation der Bevölkerung mit dem politischen System". Nur die Rechte bot Antworten und zwar in Form von Radikalisierung und Abwendung vom institutionellen Rahmen. Die Militärs scheinen dies am besten erkannt zu haben.

"Gegenüber dieser Situation [der Massenproteste] entschieden wir, eine Gruppe von Militärangehörigen höheren Ranges, dem Kommando der Streitkräfte den Abgeordneten [Bolsonaro] vorzustellen. Wir hatten dabei bereits die Wahlen in diesem Jahr vor Augen. Ein Jahr zuvor hatte die Armee analysiert, dass es eine weitere Polarisierung geben werde, und dass Bolsonaro in der Lage sein würde, es mit der PT aufzunehmen", wird die anonyme Quelle in Ámbito Financiero zitiert. "Die Geschichte Brasiliens hatte bis dahin gezeigt, dass sich ihre Elite niemals um die Nation scherte und nur an sich selbst dachte. Uns war klar, dass sich die Zentrumsparteien niemals zusammenschließen würden, um die Linke zu bekämpfen. So ist es passiert. Wir hatten recht, als wir auf Bolsonaro setzten".

Zu Beginn bestanden erhebliche Zweifel am Charakter des früheren Fallschirmspringers. Laut einem Dossier aus dem Jahr 1990 wurde Bolsonaro während seiner aktiven Zeit beim Militär mehrmals disziplinarisch bestraft. In dem Dossier sind Beobachtungen von Vorgesetzten und eines Kollegen vermerkt, in dem er als "intrigant" und "feige" charakterisiert wird. Dennoch, "die Art, wie er für die Streitkräfte eintrat, ließ unsere Wertschätzung ihm gegenüber wachsen", so der Offizier weiter. In der Folge führten die Militärs mit dem bis dahin bedeutungslosen Abgeordneten einige Gespräche. "Er akzeptierte unsere Vorschläge und änderte einige seiner Ansichten. Zum Beispiel ging er vom Wirtschaftsnationalismus zum Liberalismus über. Was man im Wahlkampf sah, war bereits Ergebnis des Dialogs mit der Armee". Zudem brachte er "Ordnung in sein Privatleben". Die Heirat mit seiner dritten Frau ging laut Quelle auf den Druck der Militärs zurück. Nicht Bolsonaro ist der Macher, für den er sich ausgibt. Die Militärs hinter ihm sind es.

Der Einfluss der Streitkräfte auf die Ausrichtung der Politik Bolsonaros trat im Wahlkampf mehrmals offen durch Richtungsentscheidungen oder Drohungen gegen das politische System zu Tage. Bolsonaros Vize ist der pensionierte Armeegeneral Hamilton Mourão. Dieser drohte Anfang September mit einem Putsch des Präsidenten "von innen" mithilfe der Streitkräfte, einem Staatsstreich von höchster Stelle. In einem Interview für den TV-Sender Globo betonte Mourão, dass "seine Kameraden im Oberkommando der Streitkräfte" der Ansicht seien, dass eine "Militärintervention angebracht ist, sollte die Justiz das politische Problem nicht lösen." Gemeint waren das politisch-juristische Hin und Her um die Verhaftung und die mögliche Kandidatur Luiz Inácio Lula da Silva, dem bis dahin aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten.

In einem Vortrag vor Polizeischülern im Juli legte Eduardo Bolsonaro, ältester Sohn des "Hauptmanns" und meist gewählter Abgeordneter, mit Drohungen gegen die Justiz nach. Angesprochen auf die Möglichkeit, das Oberste Bundesgericht (STF) könne die Kandidatur Bolsonaros aufgrund illegaler Wahlkampfspenden verhindern, zeigte sich der Junior siegessicher. "Wenn man das STF schließen will, schickt man zwei Soldaten. Man braucht nicht einmal einen Jeep. […] Wer ist denn das STF? Wenn du einen Richter festnimmst, denkst du, da gibt es eine Demonstration dagegen, für den Richter?" Tatsächlich blieb der öffentliche Widerspruch auf hohe Funktionsträger und Linke reduziert.

Den Sieg überlassen die Militärs indes nicht dem demokratischen Entscheidungsprozess der Bevölkerung. Allem Anschein nach haben sie manipulierend in den Wahlkampf eingegriffen. Wie Amerika21 erfahren hat, stecken Teile des Militärs hinter dem WhatsApp-Skandal, der den Wahlkampf vergangene Woche erschüttert hat. Nachforschungen der Zeitung Folha de São Paulo hatten ergeben, dass private Firmen Messengerdienste wie WhatsApp damit beauftragten, Botschaften mit Fake News über den linksgerichteten Kandidaten zu verbreiten. Im Zuge dessen nahm die Bundesstaatsanwaltschaft Ermittlungen auf und das Oberste Wahlgericht ordnete die Löschung von 146.000 Posts an, die eine Reichweite von über 20 Millionen Lesern gehabt haben sollen. Die Praxis war illegal, weil Wahlkampfunterstützung durch die Privatwirtschaft mittlerweile verboten ist und Fake News zur Verzerrung des Meinungsbildungsprozesses beitrugen. Fast die Hälfte der Brasilianer soll sich hauptsächlich über WhatsApp "informieren".

Offen war bisher, woher die Nummern der Zielpersonen stammten. Gegenüber Amerika21 berichtete ein brasilianischer Politikwissenschaftler, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, dass die Datensätze vom Militär bereitgestellt wurden. Diese Insider-Information stamme von drei unterschiedlichen Quellen im Militär, die mit der Parteinahme der Generalität für Bolsonaro unzufrieden seien.

Bolsonaro hat indes klargestellt, etwas anderes als einen Sieg nicht zu akzeptieren. Am Freitag vor der ersten Wahlrunde warnte er im Fernsehinterview, einen Wahlsieg anderer nicht hinzunehmen. "Wenn ich die aktuelle Lage betrachte, akzeptiere ich kein Wahlergebnis außer meiner Wahl", so der Ex-Soldat im Interview beim Sender Bandeirantes. Der PT unterstellte er, für den Fall ihrer absehbaren Niederlage einen Plan B zu haben und Wahlbetrug begehen zu wollen. Im selben Atemzug warnte der Kandidat mit einem möglichen Eingreifen der Militärs. "Die militärischen Institutionen würden keine Initiative ergreifen. Doch bei einem ersten Fehler, den die PT begehen könnte, könnte es zu einem Einschreiten der Streitkräfte kommen", so Bolsonaro.

Äußerungen dieser Art verdeutlichen, mit welcher Sicherheit Bolsonaro und Co. davon ausgehen, den Rückhalt der Streitkräfte zu haben. Den der Bevölkerung indessen auch. Mit jeder Drohung gegen Linke und das Establishment wächst der Zuspruch für den Rechtsextremen sowie für jene, die auf seiner Erfolgswelle schwimmen. Bei den Landtags- und Kongresswahlen am 7. Oktober sind landesweit 79 Militärs in Parlamente und politische Ämter gewählt worden. In den Nationalkongress schafften es 22. Im Vergleich zur Wahl 2014 hat sich die Anzahl von Armeeangehörigen in Parlamenten damit vervierfacht. In den drei Bundesstaaten Rio de Janeiro, Rondônia und Santa Catarina haben Ex-Soldaten gute Aussichten, in der Stichwahl am 28. Oktober den Gouverneursposten zu gewinnen.

So oder so gelangen immer mehr Militärs in politische Entscheidungspositionen. Das Team um Bolsonaro setzt sich zur Hälfte aus pensionierten und beurlaubten Angehörigen der Streitkräfte zusammen. Im Finanz- und handelspolitischen Flügel finden sich Investmentbanker wieder, die vor allem die Privatisierung der staatlichen Anteile an noch 147 Betrieben predigen. Bei strategischen Sektoren wie der Energiegewinnung und -versorgung oder der Luftfahrttechnik soll jedoch die Kontrolle des Staates beibehalten werden – auf Drängen der Militärs. Am Donnerstag wurde bekannt, dass unter Bolsonaro ein Offizier die Petrobras leiten wird. Das Team sei sich einig, dass nur ein Militär den notwendigen Eindruck von "Seriosität" für den Vorstandsposten des von Korruption betroffenen Unternehmens vermitteln könne.

Ein Leser der Folha de São Paulo kommentierte jüngst einen Artikel: "Wer Bolsonaro wählt, sucht im Grunde Sicherheit, das Ende von Korruption, Nationalismus, und ganz besonders Anti-Petismus. Bolsonarismo ist nicht mit Neoliberalismus zu vergleichen. Da gab es andere Kandidaten. [Der] General [sic] macht keinen Ausverkauf des Landes." Im Grunde hat er recht. Doch ist der Bolsonarismo eine Konstruktion der Militärs. Und die verstecken ihre Absichten bisher noch in der Black Box.“

https://amerika21.de/analyse/216390/bolsonaro-instrument-militaers

Frederico Füllgraf : „Mit Onyx Lorenzoni (Präsidialamtschef), Paulo Guedes (Wirtschaft), General Augusto Heleno (Verteidigung und Sicherheit), Oberst Marcos Pontes (Forschung und Technologie) und Sérgio Moro (Justiz) sind die ersten fünf Ministerien Bolsonaros fünf Tage nach der Präsidentschaftswahl besetzt; zwei von ihnen mit militärischen Hardlinern, denen Vizepräsident und General Hamilton Mourão zugerechnet werden muss.

Bolsonaro ist die Ausgeburt einer subversiven Dreiheit, nämlich der Politisierung der Justiz, des langen Arms der USA – insbesondere des State Departments und des Departments of Justice – sowie im Amt befindlicher und pensionierter, revanchistischer Militärs.

Wieso „revanchistisch”? Auf „Vergeltung“ selbstverständlich aus ideologischen Gründen, jedoch insbesondere deshalb ausgerichtet, weil es die Regierungen der Arbeiterpartei gewagt hatten, eine Wahrheitskommission einzurichten, die die Menschenrechts-Verbrechen von Militärs, Polizei und rechtsradikalen Todeskommandos dokumentierte und sie der systematischen Folter von zigtausenden Oppositionellen und des Verschwindens von mindestens 450 Widerstandkämpfern beschuldigte.

Dagegen erhob sich im Bunker der finstersten, jedoch niemals zur Rechenschaft gezogenen militärischen Gestalten lauter Protest; man sollte korrekterweise sagen, sie sorgten für Stunk. Im Parlament wurde Jair Bolsonaro ihr Sprecher. Obwohl wegen seiner Impulsivität nicht von allen hohen Offiziersrängen anerkannt, gelang es während der beiden vergangenen Jahre dennoch einer Gruppe von Reservegenerälen unter Führung Augusto Helenos, das Oberkommando von der Zweckmäßigkeit einer Kandidatur Bolsonaros zu überzeugen.

Laut Folha de São Paulo wurde der Ex-Hauptmann seitdem von einer einflussreichen Fraktion von 17 4-Sterne-Generälen an der Spitze der Streitkräfte-Hierarchie sowie von Führungs- und Reserveoffizieren als der Kandidat der Kasernen gehandelt und vorbereitet. Im Auftrag dieses mächtigen Bunkers begannen im September 2017 die 4-Sterne-Reserve-Generäle Augusto Heleno und Oswaldo Ferreira mit der Ausarbeitung des Regierungsprogramms Bolsonaros.

Heleno gilt als Dekan der Gruppe und genießt als ehemaliger Kommandant der UN-Truppen in Haiti, traditioneller Hardliner und Anhänger der Militärdiktatur hierarchischen Respekt. Ferreira wiederum brachte seine Erfahrung als Armee-Chef ein und organisierte mehrfache Arbeitsgruppen, die das Bolsonaro-Programm nicht nur unter der Truppe, sondern auch außerhalb der Kasernentore verbreiteten. Zu den 17 Hierarchen gehört General und Militäringenieur Aléssio Ribeiro Souto, der den Bereich Bildung, Wissenschaft und Technologie bearbeitete und in einem Interview mit dem Nachrichtenportal UOL ankündigte, dass Lehrbücher fortan “die Wahrheit” über das “Militärregime von 1964” beinhalten würden; Soutos Betonung lag auf “Militärregime”, denn eine Diktatur, so der Rechtsradikale, habe es nicht gegeben.

Außer 4-Sterne-Brigadier Ricardo Machado besitzt die Luftwaffe einen zweiten Vertreter im Bunker, was als “Ausgleichsversuch” zwischen der übermäßig “olivgrünen Umgebung” der Heeresgeneralität zugestanden wurde. Wie bereits während der Diktatur (1964-1985) befürchten Luftwaffe und Marine in einer späteren “stellvertretenden Regierung” im Verhältnis zur Armee unterrepräsentiert zu sein. Allerdings gestand ein Marineoffizier unter Vorbehalt, dass das Oberkommando der Streitkräfte dem Stil Bolsonaros nicht hundertprozentig traut und folgt. Die 4-Sterne-Generalität soll die letzten drei Jahre damit verbracht haben, kontroverse Diskussionsthemen zu sammeln, dabei Bolsonaros Huldigung des Folter-Obersten und Schergen von mehr als 40 politischen Gefangenen, Carlos Alberto Brilhante Ustra, sehr wohl gutzuheißen und gegen „die Inkompetenz von Präsidentin Dilma” eine militärische Intervention zu erwägen.

Eine Schlüsselrolle kam General Sérgio Etchegoyen Westphalen zu, der zunehmend Heereschef Villas Bôas‘ Sprecherrolle wegen dessen degenerativer Erkrankung und Fesselung an einen Rollstuhl übernahm. Als Abkömmling zweier Generäle – darunter seines der brutalen Folterung und Ermordung angeklagten Vaters – bekleidet Etchegoyen seit nahezu zwei Jahren die Leitung des sogenannten “Büros für institutionelle Sicherheit”, sprich des Geheimdienstes, und tritt auf als Spiritus Rector der Kriminalisierung sozialer Bewegungen wie der Landlosen (MST) und Wohnungslosen (MTST) sowie von Umweltschützern – die auf dramatische Weise erahnte, kommende Etappe der Repression mit der brutalen Staatsgewalt.

Die Militärs um Bolsonaro haben es eilig. Am vergangenen 15. Oktober erließ der in wenigen Wochen abdankende und vollkommen unbedeutende Präsident Michel Temer das Gesetzesdekret Nr. 9.527 für die Aufstellung der “Intelligence Task Force zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität”. Die Sondereinsatzgruppe setzt sich zusammen aus den Geheimdiensten GSI und ABIN, den Nachrichtendiensten der Marine, der Armee und der Luftwaffe, der Bundespolizei, Bundesverkehrspolizei, ferner der Nationalen Strafvollzugsabteilung des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit und des Nationalen Sekretariats des Ministeriums für öffentliche Sicherheit; mit süffisanter “Unterstützung des Kontrollrats über finanzielle Aktivitäten der UNO”.

Die politische Begründung lautet, soziale Bewegungen, die “gewalttätig agieren”, müssen als “terroristisch” eingestuft werden; ein durchschaubarer Vorwand für die schrittweise Jagd auf Demokraten und Gegner des Polizeistaates, der auf die vollständige Liquidierung der Arbeiterpartei und ihrer Verbündeten abzielt.“

https://www.nachdenkseiten.de/?p=46875

 

Wirtschaft

 

Manuela Tovar: „In den letzten Tagen vor der Wahl wurde deutlich, dass vor allem das Großkapital auf einen Staatschef Bolsonaro setzt. Über Jahre hatte sich dessen „Sozialliberale Partei“ (PSL) der Betreuung durch die der deutschen FDP nahestehenden Friedrich-Naumann-Stiftung erfreuen können. Wie die Tageszeitung „junge Welt“ am 12. Oktober berichtete, rühmte sich die Stiftung auf ihrer Homepage, dass man Vertreter der Bolsonaro-Partei „zur Stärkung des organisierten Liberalismus“ in „Fertigkeiten-Trainings und strategischem Planen mit Blick auf die Wahlen 2018“ geschult habe. Die aus Geldern deutscher Steuerzahler finanzierte Friedrich-Naumann-Stiftung ist in Lateinamerika für derartige Verbindungen berüchtigt – sie war bereits in den Sturz des honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya 2009 und in die Absetzung des paraguayischen Staatschefs Fernando Lugo 2012 verwickelt.

Bolsonaro kann sich aber auch auf die Hilfe schwerreicher Unternehmer verlassen. Diese finanzieren unter anderem das massenhafte Versenden von Falschmeldungen gegen Haddad und D‘Avila über die „sozialen Netzwerke“. Im Gegenzug sollen offenbar führende Köpfe von Investmentunternehmen und Finanzinstitutionen hochrangige Posten in einer Regierung Bolsonaro bekommen. Darüber berichtete das linke Magazin „Brasil de Fato“, prompt ließ die Staatsanwaltschaft am Samstag in Rio de Janeiro ein Gewerkschaftshaus stürmen und dort lagernde Exemplare der Zeitschrift beschlagnahmen. Der zuständige Untersuchungsrichter Sandro de Araújo Lontra begründete dies damit, dass in dem Heft „negative Behauptungen über den Kandidaten Bolsonaro“ enthalten seien.

Brasiliens Justiz hat sich in den vergangenen Monaten als treue Helferin der wirtschaftlich Mächtigen erwiesen, wie durch die Verfolgung Lulas und Rousseffs deutlich wurde. Auf sie können sich die Hunderttausenden, die in den Wochen für die Verteidigung der Demokratie auf die Straße gegangen sind, nicht verlassen.“

https://www.unsere-zeit.de/de/5043/internationale_politik/9663/Der-fortgesetzte-Putsch.htm

Frederico Füllgraf: „Das Umweltministerium soll dem von Großgrundbesitzern, Soja- und Fleisch-Exporteuren politisch kontrollierten Landwirtschaftsministerium einverleibt werden. Großgrundbesitzer üben massiven Druck für die Novellierung der in Kraft befindlichen Umweltgesetze aus. Der „ganze Schrott” soll „flexibilisiert“ und mit ihm Indianerreservate und unter Schutz stehende Biotope in Amazonien für den Ausbau der Soja-Monokultur und der Viehherden überrannt werden …

Die Ministerien für Industrie, Finanzen und Planung werden zu einem zentralen und mächtigen Wirtschaftsministerium unter Führung des Chicago Boys, ehemaligen Funktionärs der Pinochet-Diktatur in Chile und Bankers, Paulo Guedes, schlagkräftig gebündelt. Guedes kündigte die vollständige Privatisierung noch bestehender Staatsbetriebe an, die mit der geschätzten Einnahme von 170 Milliarden Euro 20 Prozent der schwindelerregenden Staatsverschuldung tilgen soll.

Die sogenannten „Märkte“ bezeichneten die Rechnung des Bankerkollegen als übertrieben hoch; die Betriebe seien es nicht wert. Also will Guedes die von den Regierungen der Arbeiterpartei erzielten, stolzen internationalen Devisenreserven Brasiliens in Höhe von 380 Milliarden Euro anzapfen. Das ist der Druck der „Märkte“, sie wollen ihre Schuldtitel liquidieren, neue „Assets“ verschlingen. Indes erklärte Guedes, der gemeinsame südamerikanische Markt, Mercosur, sei „nicht vorrangig“, ebenso wenig Brasiliens Hauptinvestor China. Vielmehr solle Brasilien seine Beziehungen zu den USA und Israel ausbauen.“

https://www.nachdenkseiten.de/?p=46875

Deutsche Wirtschaftskreise geben sich mit Blick auf den künftigen brasilianischen Präsidenten Jair Messias Bolsonaro hoffnungsfroh und verweisen dazu auf das Wirtschaftsprogramm seines Superministers in spe, Paulo Guedes. Guedes wirkte zur Zeit des Militärregimes von Augusto Pinochet als Dozent an der Universidad de Chile; seine Pläne ähneln der Wirtschaftspolitik der chilenischen Militärdiktatur. Bolsonaro, der sich seit rund einem Jahr von Guedes beraten lässt, wird von der brasilianischen Wirtschaft bejubelt, nicht zuletzt vom brasilianischen Partnerverband des BDI, der Confederação Nacional da Indústria (CNI), in der deutsche Unternehmen eine starke Stellung innehaben. Deutsche Konzerne hatten bereits mit der brasilianischen Militärdiktatur kooperiert. Bolsonaros Sieg versetzt der Politik einer vorsichtigen Umverteilung zugunsten verarmter Bevölkerungsschichten den Todesstoß, für die die Präsidenten Lula da Silva und Rousseff standen und die im Kern schon mit dem kalten Putsch vom Mai 2016 beendet wurde - unter dem Beifall deutscher Unternehmer.“

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7768/

Der klare Sieg des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro bei der ersten Runde der brasilianischen Präsidentschaftswahlen sorgt an den Aktien- und Devisenmärkten für große Freude.

Der brasilianische Bovespa-Index gewann zur Eröffnung in Sao Paulo 5,43 Prozent. In Frankfurt gewinnen die Titel des staatlichen Ölkonzerns Petrobras sogar über 13 Prozent.

Auch der Landeswährung Real hat der Wahlsieg Bolsonaros einen Schub verliehen. Der Real wertete zum Dollar um über drei Prozent auf. Somit müssen für einen Dollar nur noch 3,76 Real nach 3,84 Real am Freitag bezahlt werden. "Die Finanzmärkte favorisieren Bolsonaro, der im Falle eines Wahlsieges den Investmentbanker Paulo Guedes zum Superminister für Wirtschaft und Finanzen machen will", sagte LBBW-Analyst Martin Güth …

Der Sieger bei den Präsidentenwahlen werde sich der Herkulesaufgabe stellen müssen, lange überfällige Strukturreformen unter massivem Gegenwind der Bevölkerung und der Opposition umzusetzen, meint Marian Heller, Portfoliomanager der BKC. Hierzu gehören seiner Meinung nach die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und vor allem die bei der Bevölkerung verhasste Reform des Rentensystems.

Neben den strukturellen Themen wie Reformbedarf und Korruption ist vor allem das massive Haushaltsdefizit (minus 7,8 Prozent des BIP für 2017, Tendenz weiter steigend) besorgniserregend. Die daraus resultierende wachsende Staatsverschuldung hatte bereits 2017 mit 73 Prozent des BIP ein Niveau erreicht, bei dem es für ein Schwellenland extrem schwierig wird, ohne radikale Reformen zu gesunden.“

https://boerse.ard.de/anlagestrategie/regionen/brasilien-rechtsaussen-erfolg-befluegelt-die-maerkte100.html#xtor=export

 

Medien

 

Jule Reimer: „Doch für den differenzierten Blick war kein Platz mehr bei einem Wahlvolk, das zwar überall Zugang zu den Hetzkampagnen des Internets und wenig Zugang zu politischer Bildung hat. Jair Bolsonaro konnte mit absurden Warnungen vor kommunistischen Zuständen wie in Venezuela unwidersprochen punkten, gestützt von den Medien, die sich fest in der Hand weniger rechtskonservativer und evangelikaler Familien befinden." 

https://www.deutschlandfunk.de/praesidentschaftswahl-in-brasilien-klarer-sieg-fuer.720.de.html?dram:article_id=430015

 

Rechte

 

Frederico Füllgraf: „Warum Bolsonaro dennoch unaufhaltsam punktet und mit angeblichen 59:41 Prozent der Wählerintentionen Haddad scheinbar hoffnungslos abgehängt hat, ist zwar den meisten ausländischen Beobachtern ein Rätsel, lässt sich aber auf eine simple Formel bringen: Den konservativen Wählern, insbesondere der zahlreichen rechtsradikalen Aktivistenszene ist das Programm des Kandidaten nicht nur unbekannt, sondern schlicht und einfach „scheißegal“.

Die Extremisten denken nicht, sie überlassen es ihrem Führer“, bemerkte zu Jahresbeginn selbst der konservative Radio-Kommentator Marco Antonio Villa. „Jair Bolsonaros Modell ist nicht Berlusconi. Es ist Goebbels”, warnte vor wenigen Tagen der argentinische Historiker Federico Finchelstein. Der rechtsextreme brasilianische Präsidentschaftskandidat sei nicht ein weiterer Rechts-Populist, wie fälschlicherweise behauptet werde. Vielmehr habe seine Wahlkampagne sich eine Seite direkt aus dem Drehbuch der Nazis angeeignet. Bolsonaros Sprache und Wortschatz – „Ausmerzung“, „unterjochen“, „zertrümmern“ – sind jedenfalls denen des Nationalsozialismus auf verblüffende Weise verwandt, ebenso wie die Feindbildkonstituierung in Hitlers “Mein Kampf”. Die Bedrohlichkeit der Zustände in Brasilien findet selbst in der einundzwanzigjährigen Militärdiktatur keine Präzedenz.“

https://www.nachdenkseiten.de/?p=46627

Harald Neuber: „Auch der massive Rückgriff auf Fake-News gleicht dem Vorgehen der Alt-Right-Bewegung in den USA. Vor allem über Whatsapp-Gruppen wurden wilde Verschwörungstheorien über die linksgerichtete Arbeiterpartei und ihren Kandidaten Haddad verbreitet, wie ARD-Südamerika-Korrespondent Ivo Marusczyk berichtete: "Haddad befürworte Inzest und Pädophilie. Er fahre einen Luxus-Sportwagen und plane eine kommunistische Diktatur ohne jede Moral. Haddad wolle alle Kirchen verbieten, das Vermögen aller Brasilianer beschlagnahmen. Und seine Vize-Kandidatin sei der Meinung, Jesus sei Transvestit."

https://www.heise.de/tp/features/Brasilien-Militaer-in-Regierung-soziale-Bewegung-terroristisch-4207966.html

Frederico Füllgraf: „Halbnackte “Feministinnen”, die auf offener Straße Kot ausscheiden; Kleinkinder, die angeblich von Homosexuellen vergewaltigt werden; ein drohendes Gesetz der Arbeiterpartei (PT) „zur Festnahme von Priestern und Pastoren, die sich weigern, gleichgeschlechtliche Ehen in Kirchen zu schließen …” So entstellten brasilianische Rechtsradikale den Protestmarsch von schätzungsweise einer Million Frauen, die am vergangenen 29. September unter dem Hashtag #EleNão (ErNicht) gegen die Bedrohung durch den Faschismus durch Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonaro in mehr als 80 brasilianischen Städten protestierten.

Auf diesem Niveau werden täglich mindestens 1.000 falsche Nachrichten und erlogene Unterstützungen einflussreicher Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben von 37 virtuellen “Einsatzkommandos” der Bolsonaro-Kampagne im Internet und in evangelikalen Kirchen mit dem Ziel verbreitet, seinen wichtigsten Herausforderer Fernando Haddad zu diffamieren und unentschlossene Wähler in den Armenvierteln rund um die brasilianischen Millionen-Metropolen mit Psychoterror zu verunsichern.“

https://www.nachdenkseiten.de/?p=46391

Philipp Lichterbeck: „Neben der allgemeinen Wut auf die etablierte Politik, waren in diesem Wahlkampf die sozialen Netzwerke entscheidend für Bolsonaros Wahlsieg. Er und drei seiner Söhne – die ebenfalls Politiker sind – bedienen gemeinsam mit Unterstützern insgesamt 1500 Whats App-Gruppen. Diese sind ein ständiger Quell von Lügen. Es ist bei der Flut an Nachrichten unmöglich, sie alle zu entlarven. Dahinter steckt eine bekannte Strategie. Einer von Bolsonaros Söhnen traf sich vor der Wahl mit Steve Bannon, dem ehemaligen Berater Donald Trumps.“

https://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsextremer-favorit-bolsonaro-warum-so-viele-brasilianer-einen-radikalen-wollen/23161250.html

Frederico Füllgraf: „Doch in den sozialen Netzwerken, insbesondere auf dem Instant-Messaging-Dienst WhatsApp, tobt sich ein infernalischer Hate Speech aus. Aus der Hochburg der rechtsradikalen Wahlkampagne setzte der mit 1,8 Millionen Stimmen wiedergewählte, vom absoluten Rekord in der brasilianischen Wahlgeschichte angetriebene, dienstbefreite Polizist, der Sohn des rechtsradikalen Präsidentschaftskandidaten und Abgeordnete, Eduardo Bolsonaro, einen Tweet ab, in dem er den PT-Rivalen seines Vaters, Fernando Haddad, der „Schul-Indoktrinierung zum Inzest“ beschuldigte.

Haddad reichte Klage beim Obersten Wahlgericht (TSE) ein, die Meldung wurde offiziell zur groben Fälschung erklärt, ihre weitere Verbreitung gerichtlich untersagt, doch das juckte den freigestellten Polizisten rein gar nicht. Er dachte nicht daran, den Tweet zu löschen und seine Provokation der Justiz hatte auch keine Folgen …

Längst bevor er sich als Präsidentschaftskandidat aufstellen ließ, fiel Jair Bolsonaro als geübter, digitaler Aktivist auf, der nun wegen seiner spärlichen 8 Sekunden täglicher Werbezeit im brasilianischen Fernsehen auf die gleichsam mächtigen wie billigen sozialen Netzwerke – vor allem Facebook und Twitter – setzte, jedoch mit einem millionenfachen Anhängernetz auf dem Messaging-Schnellservice WhatsApp rechnet, in dem vor allem das ärmere Fußvolk ohne Internet-Anschluss per Handy agitiert wird.

Koordiniert von seinen drei Söhnen – die allesamt in parlamentarischen Ämtern zusammen mit zwei geschiedenen Ehefrauen des Präsidentschaftskandidaten den harten Kern des Bolsonaro-Clans in der Politik bilden – und von einer nebulösen Firma namens Raposo Fernandes Associados (RFA) umgesetzt, speist die rechtsradikale, virtuelle Propaganda-Maschine das Internet mit Informationen über den Fortgang der Wahlkampagne, jedoch mit scharfem Fokus auf die Bekämpfung und skrupellose Kriminalisierung der PT und Haddads gerichtet.

Von Aufsichtsbehörden völlig unkontrolliert und scheinbar bewusst ignoriert, enthalten die Netzwerke außer Propaganda Hinweise auf alles, was unter Demokraten als verlässliche Informationen und kritische Presseberichte anerkannt, hier jedoch umgebogen, verdreht und gefälscht wird, wozu u.a. der Reputationsmord an Haddad und die jeden Tag wiederholte Leier von den angeblich unzuverlässigen, elektronischen Wahlurnen gehört, von denen Eduardo Bolsonaro schon vor der ersten Wahlrunde per richterlichem Erlass einen Teil beschlagnahmen ließ, um somit die Aussetzung der Wahlen herbeizuführen. Doch das Wahlgericht durchschaute den schmutzigen Trick und – eine Seltenheit in der rechtsextremistisch unterwanderten Justiz – der Richter wurde immerhin gefeuert.

Eine Untersuchung der Zeitung O Estado de S. Paulo in Zusammenarbeit mit der NGO Avaaz belegte bisher unvorstellbare Zahlen über die Wirkung von Bolsonaros Propaganda-Maschine. So erreichten beispielsweise in den vergangenen 30 Tagen allein Pro-Bolsonaro-Facebook-Profile 12,6 Millionen sogenannter Interaktionen – also die Summe von Postings, Reaktionen, Kommentaren und Teilungen – sowie rund 16 Millionen sogenannte Follower; eine gigantische Zahl, die die Facebook-Seiten von weltbekannten Stars wie Neymar (1,1 Million) und Madonna (442.500) in lächerlichen Schatten stellten.

Andererseits erklärt sich der ebenso bedeutende Erfolg des WhatsApp-Einsatzes mit der Schwierigkeit seiner öffentlichen Überwachung. Das Erstellen eines gefälschten WhatsApp-Profils ist unkomplizierter als in anderen sozialen Netzwerken und schwieriger zu erkennen, womit der tsunami-artigen Verbreitung von FakeNews keine Grenzen gesetzt sind. Das Bolsonaro-Propaganda-Netz wird auf zigtausende Aktivisten geschätzt, aufgeteilt in geschlossenen WhatsApp-Gruppen, von denen ein Großteil aus dem Ausland, insbesondere den USA und Portugal, gesteuert wird; darunter eine erstaunlich hohe Anzahl von US-amerikanischen Mobiltelefonen.

Allein die Brasilianer Carlos Nacli und Newton Martins – Erstgenannter aus Lissabon, der Zweite aus Boston, USA – koordinieren mindestens 50 WhatsApp-Gruppen, die für die Wahlkampagne Bolsonaros gefälschte Nachrichten an 10.000 Multiplikatoren in Brasilien liefern, von denen sie per WhatsApp weiterverbreitet und viralisiert werden. Die Szene rekrutiert sich selbstverständlich aus den typischen, verblödeten und aggressiven Figuren aus Umberto Ecos Zitat über den leidlichen Zeitgeist: „Das Drama des Internets ist, dass es den Dorftrottel zum Träger der Wahrheit befördert hat.” Allerdings haben auch vom britischen Channel 4 heimlich gefilmte Cambridge-Analytica-Manager unvorsichtigerweise über ihre Infiltrierung in den brasilianischen Wahlkampf laut nachgedacht.

Doch welche Rolle spielt nun US-Altright-Ideologe Steve Bannon in Jair Bolsonaros Kampagne, fragen sich brasilianische Medien, nachdem Eduardo Bolsonaro mit einem Tweet vom vergangenen 3. August eine entsprechende Anspielung auf Dienste des US-Amerikaners und ehemaligen Chefstrategen Donald Trumps machte. Vom Magazin Forum zitiert, erklärte der brasilianische Philosoph Rafael Azzi, die von Bolsonaro verwendeten Techniken und Tricks folgten sehr wohl dem von Bannon für Trump entwickelten Propaganda-Skript, das seit dem erfolgreichen Wahlsieg des US-Milliardärs zum Präsidenten von der weltweiten rechtsextremen Szene übernommen wurde.

Bannons Kommunikationsmodell zielt auf die Steuerung von Emotionen ab und lässt sich verkürzt folgendermaßen zusammenfassen: „Der Gebrauch primitiver Sprache zum Nullpreis, ständige Kritik an den traditionellen Medien, mit der gleichzeitigen, potenzierten und zielgerichteten Nutzung sozialer Netzwerke. In allen Fällen sind solche Kampagnen von nationalistischer Komponente und Personenkult geprägt, dass die seiner Rivalen in den Schatten stellt“.

Bannon hat mittlerweile erwähnt, dass Bolsonaro Mitglied in seiner rechtsextremistischen Internationalen The Movement ist, hält sich jedoch bedeckt mit der Auskunft über seine Rolle im Wahlkampf des brasilianischen Faschisten; eine dieser Komplizenschaften, die dann, wenn überhaupt, um das Jahr 2050 von declassified CIA-Akten bestätigt werden wird.

https://www.nachdenkseiten.de/?p=46627

 

Evangelikale

 

Tobias Käufer: „Brasiliens mächtige evangelikale Kirchen greifen nach dem höchsten Amt im Staat. Bei den Präsidentenwahlen im Oktober haben sie gute Chancen, denn zwei populäre Kandidaten werden von den Evangelikalen unterstützt.

Rio de Janeiros Bürgermeister Marcelo Crivella, zugleich Bischof der evangelikalen „Universalkirche vom Reich Gottes“, scheute diesmal das Licht der Öffentlichkeit. Die 250 eingeladenen Gäste, allesamt Vertreter evangelikaler Kirchen, durften über das Treffen in seinem Amtssitz nichts veröffentlichen. Keine Fotos, keine Videos, keine Statements. Der Termin in seinem Amtssitz fand sich in keiner Agenda.

Crivella und seine Mitstreiter wollten Ende Juli unter sich sein, denn sie arbeiten gemeinsam auf ein Ziel hin, das unausgesprochen lautet: endgültige Machtübernahme in der Stadt der Christus-Statue und des Karnevals …

Der Weg zu Gott und zur Macht, das wissen die Manager der umsatzstarken religiösen Unternehmen, führt vor allem über die Geldbörse und Privilegien. Und sie gehen nach dem Prinzip vor, wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. Die Grundsteuer, von der Crivella seine Kirchen befreien will, hatte der Bischof zuletzt für alle anderen Bürger massiv erhöht. Das Milliardenvermögen beruht auf einem einfachen Prinzip: Nahezu alle evangelikalen Kirchen verlangen von ihren Gläubigen rund zehn Prozent der Einkünfte als „freiwillige“ Spende. Crivellas Universalkirche ist so zu einer der reichsten Kirchen Brasiliens geworden.

Was in Rio de Janeiro, der Stadt des katholischen Weltjugendtages von 2013, bereits vollzogen ist, könnte schon bald in ganz Brasilien Realität werden: eine kulturelle und gesellschaftspolitische Wende an der Spitze eines einst durch und durch katholischen Staates. Denn die Evangelikalen gewinnen immer mehr politischen Einfluss – und der könnte mit den Präsidenten-, Parlaments- und Gouverneurswahlen am 7. Oktober noch wachsen …

Der Einfluss der Evangelikalen auf die Gesellschaft wächst weiter“, sagt Jan Woischnik von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rio de Janeiro. „Die parteiübergreifende Fraktion evangelikaler Politiker, die Bancada Evangélica, ist im Kongress sehr gut organisiert.“ Die Gruppe trägt auch den Spitznamen „BBB“ (Boys, Balas, Biblias), der sich auf ihre Wurzeln in der Agrar- und Waffenlobby sowie den evangelikalen Kirchen bezieht. 

Dieser religiöse Block zählt 203 Mitglieder (199 im Abgeordnetenhaus, vier im Senat) und stellt damit bereits gut ein Drittel der Parlamentarier. Im Präsidentschaftswahlkampf zielen sowohl Bolsonaro als auch Silva auf die stetig wachsende Zahl evangelikaler Christen in Brasilien, die bereits knapp ein Viertel der Bevölkerung ausmachen und im Gegensatz zu anderen Bevölkerungsgruppen auch tatsächlich zur Wahl gehen.

Bolsonaro setzt seinen Glauben wesentlich offensiver ein als Marina Silva, die den Glauben eher als eine Privatangelegenheit aufzufassen scheint“, sagt Woischnik. Bolsonaros Slogan lautet vielsagend „Brasilien über alles und Gott über allen“. Er passt zu einer Aussage von Rios Bürgermeister Crivella, von dem das Zitat überliefert ist, dass „nur ein evangelikales Brasilien die Heimat retten“ könne. Inmitten der tiefen wirtschaftlichen Krise, in der sich das Land befindet, finden solche Aussagen immer mehr Anhänger.

Brasiliens evangelikale Kirchen sind wahre Umsatzmaschinen und auf Expansionskurs. Marcelo Crivella ist der Neffe von Edir Macedo, dem Gründer der Universalkirche, dessen Privatvermögen auf rund eine Milliarde Dollar geschätzt wird. Macedo besitzt neben anderen Medienunternehmen auch den zweitgrößten TV-Sender des Landes, Rede Record.

Dort sehen die Zuschauer pompöse Gottesdienste in Arenen mit gepolsterten Sitzen, Showmastern und Berichten von Wunderheilungen. Macedos Sender finanzierte jüngst einen Kinofilm über sein eigenes Leben, in seinen Kirchen wurden Gratistickets dafür verteilt. Auch über Schulen versuchen die evangelikalen Kirchen, ihren Einfluss zu erhöhen, in Rio de Janeiro ließ Crivella Werbeveranstaltungen seiner Universalkirche abhalten.

Und die Evangelikalen suchen gezielt nach prominenter Unterstützung. Kürzlich schloss sich Ex-Weltfußballer Ronaldinho der Splitterpartei PRB (Republikanische Partei Brasiliens) an. Sie gilt als politischer Arm der Universalkirche und ist ganz nebenbei die politische Heimat von Crivella. Mit seiner breiten Anhängerschaft vor allem in den Armenvierteln Brasiliens und in den sozialen Netzwerken wird Ronaldinho ein wichtiger Markenbotschafter für die Universalkirche und ihre Partei. Brasiliens evangelikale Kirchen denken inzwischen nur noch in den ganz großen Dimensionen.“

https://www.welt.de/politik/ausland/article181552626/Wahl-in-Brasilien-Egal-wer-siegt-die-Evangelikalen-gewinnen-auf-jeden-Fall.html

Martin Dudenhöffer: „Einiges aus seinem individuellen Programm ist deckungsgleich mit dem erzkonservativen, evangelikalen Fundamentalismus, dem er sich verbunden fühlt und auf dessen Unterstützung er im Wahlkampf zählen konnte. Seine moralische Rechtfertigung für krude und letztlich inhumane Positionen findet er so immer wieder in Predigten streng evangelikaler Fundamentalisten.“

http://justicenow.de/2018-10-23/bolsonaros-angriff-auf-brasiliens-demokratie/

Frederico Füllgraf : „Sodann trat Gott in Szene. „Was ich am meisten neben der Verfassung wünsche, ist die Lehre Gottes. Mit seiner Hilfe und guter technischer Beratung erheben wir uns bald in die Gruppe der Weltführer…”. Jaja, „die Gesetze (seien) für alle da”, unsere Regierung und Verfassung bleibt demokratisch”, dichtete er dazu.

An dieser Stelle schaltete sich der faschistoide Pastor Magno Malta ein. „Die Fühler der Linken sind endgültig von der Hand Gottes amputiert worden”, warnte der irre Fundamentalist und schwor: „Bolsonaro ist in göttlicher Mission gekommen!”.

Milton Hatoum, auch ins Deutsche vielübersetzter Romanautor, kommentierte: Die erste Rede des neugewählten Präsidenten war beschämend. Vorgetragen unter Auserwählten und Helfern, mit geschlossenen Augen betend, schien Bolsonaro als Führer einer religiös-fundamentalistischen Sekte und nicht als politischer Führer eines säkularen Staates aufzutreten.““

https://www.nachdenkseiten.de/?p=46809

Thomas Milz: „Während die katholische Kirche seit den 1970er Jahren in Brasilien an Einfluss verliert, haben die evangelikalen Kirchen regen Zulauf. Nun zielen sie auf das höchste Staatsamt und könnten für einen Rechtsruck sorgen.

Brasilien galt einst als "das größte katholische Land der Welt". Bis auf den evangelischen General Ernesto Geisel, der dem Land in der Zeit der Militärdiktatur von 1974 bis 1979 vorstand, hatte das Land nur katholische Staatsoberhäupter.

Bei der Stichwahl am 28. Oktober konkurrieren erstmals in der Geschichte Brasiliens zwei nicht katholische Kandidaten um das Präsidentenamt: Der evangelikale Jair Messias Bolsonaro, der streng katholisch erzogen wurde, sich aber 2016 von einem evangelikalen Pastor im Jordan taufen ließ. Und der spiritistisch geprägte Fernando Haddad von der Arbeiterpartei PT.

Die evangelikalen Kirchen haben seit Jahrzehnten regen Zulauf in Brasilien. Beim Zensus 2010 bekannten sich 42 Millionen Brasilianer (22 Prozent) zu ihrem christlich evangelikalem Glauben. Als katholisch bezeichneten sich 123 Millionen Brasilianer (64 Prozent). Derzeit liegt die Zahl der "evangélicos" bei rund 30 Prozent, schätzen Experten.

Von den 513 Abgeordneten des brasilianischen Parlaments gehören rund 100 der im Jahre 2003 gegründeten "bancada evangélica" an, wie der parteiübergreifende Zusammenschluss evangelikaler Politiker in Brasilien genannt wird. Im Senat sind fünf der insgesamt 81 Senatoren evangelikal. Nach dem Einzug Bolsonaros in die Stichwahl kündigten die Evangelikalen im Kongress bereits ihre Unterstützung an.

Bei den anstehenden Wahlen dürfte ihr Anteil wachsen. Allein die sozialliberale Partei PSL von Präsidentschaftskandidat Bolsonaro legte enorm zu und stieg mit 52 Abgeordneten zur zweitgrößten Fraktion im Kongress nach der Arbeiterpartei PT (57 Sitze) auf. Zum Vergleich: Bei den Wahlen 2014 gelang es PSL lediglich, einen einzigen Sitz im Parlament zu erobern.

Ein Gradmesser für den Machtzuwachs der Freikirchen war auch 2016 die Wahl von Marcelo Crivella zum Bürgermeister von Rio de Janeiro. Crivella, Bischof der "Universalkirche vom Reich Gottes", konnte dabei auf die Macht der von seinem Onkel Edir Macedo gegründeten Pfingstkirche zählen, zu der auch ein TV-Sender namens "Rede Record" gehört. Pastoren sollen bei Gottesdiensten um Stimmen für Crivella geworben haben, berichten Medien.

Nicht alle evangelikalen Kandidaten haben derart einflussreiche und finanzkräftige Großkirchen im Rücken. Aber sie gewinnen Wähler aus der neuen unteren Mittelschicht, die während der Regierungszeit der brasilianischen Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores; 2003 bis 2016) stark gewachsen ist.

"Viele Geringverdiener und Angehörige der unteren Mittelschicht fühlten sich von den Versprechungen der evangelikalen Neo-Pfingstkirchen angesprochen", erläutert der Politikwissenschaftler Ricardo Ismael von der Katholischen Universität von Rio de Janeiro (PUC).

Besonders die ehemalige Landbevölkerung konnte in den letzten Jahrzehnten ökonomisch in eine neue Mittelschicht aufsteigen – und wählt nun eher rechts-konservativ. Jüngste Umfragen ergaben, dass evangelikale Wähler deutlich seltener linke Parteien wählen (sechs Prozent) als Katholiken (21 Prozent). "Der katholische Diskurs zielt eher auf soziale Fragen ab, auf die Rechte der Ärmsten", so Francisco Borba Ribeiro Neto von der Katholischen Universität von Sao Paulo (PUC-SP) Borba. "Währenddessen konzentriert sich der evangelikale Diskurs – und besonders der der Neo-Pfingstkirchen – auf moralische Werte."

Anders als die eher links wählenden armen Schichten, die von staatlicher Hilfe abhängig sind, ist die in die untere Mittelschicht aufgestiegene Bevölkerung nicht mehr auf direkte Hilfen des Staates angewiesen. "Die Neo-Pfingstkirchen haben in dieser neuen Mittelschicht eine Hegemonialstellung, und dort kümmern sie sich um moralische Werte, kämpfen gegen die Unsicherheit in den Städten und verlangen ein Ende des Sozialstaates – der ja ihre Bedürfnisse nicht mehr anspricht."

Die große Mehrheit der evangelikalen Politiker lehnt zudem die linke Minderheitenagenda ab, so Ismael. "Die evangelikale Fraktion hat sich gegen eine linke Agenda in Stellung gebracht, die für mehr Rechte für Minderheiten eintritt, für neue Familienformate, die Gender-Fragen und das Bildungssystem diskutieren wollen. Noch ist es zu früh um zu sagen, ob sie Erfolg haben werden, diese Agenda aufzuhalten. Aber Kraft und Einfluss, um hier mitzureden, haben sie."

Kommt nun ein evangelikales Staatsoberhaupt? "Bolsonaro reproduziert in seinem Diskurs evangelikale Predigten, wobei er sich in Fragen der Traditionen und Gewohnheiten gegen die linke Agenda stellt. Daher kommt seine große Zustimmung unter den Evangelikalen," so Ismael.“

https://www.dw.com/de/machtzuwachs-f%C3%BCr-brasiliens-evangelikale/a-45643713

Ole Schulz im Jahr 2016: „In Brasilien sind evangelikale Strömungen schon länger auf dem Vormarsch. Doch jetzt herrscht in manchen Predigten eine hohe Aggressivität gegenüber dem traditionellen afrobrasilianischen Kult. Sie wird für die steigende Gewalt gegen deren Anhänger verantwortlich gemacht.

Mit der Hilfe von Gott, meiner Familie und aller Evangelikalen im Land, sage ich Tschau zur `Liebsten´ Dilma und der PT, der Partei der Finsternis! Und ich stimme mit Ja zum Impeachment gegen Dilma!“

Mitte April im brasilianischen Kongress. Der konservative evangelikale Pastor und Parlamentarier Marcos Feliciano beim umstrittenen Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff. Dass die Opposition die Abstimmung gegen die Arbeiterpartei deutlich gewinnt, liegt auch an den vielen Evangelikalen im Kongress.

Die evangelikalen Parlamentarier bilden inzwischen eine eigene Fraktion. Ihren Einfluss hat man beim Impeachment gesehen. Und durch ihre politische Macht ist es ihnen gelungen, Genehmigungen für Radio- und Fernsehstationen zu erhalten. Sie haben eine große Medienmacht.“

So Ivanir dos Santos. Er ist der Vorsitzende der „Kommission zur Bekämpfung von religiöser Intoleranz“, einer nichtstaatlichen Organisation. Laut dos Santos hat sich das gesellschaftliche Klima in Brasilien mit dem Vordringen der Evangelikalen in Politik und Medien verhärtet.

Zur protestantischen Kirche gehören zwar auch Lutheraner, Baptisten und liberalere Freikirchen. Aber gerade Pastoren der neuen Pfingstkirchen predigen gegen Homosexualität und Andersgläubige. Sie hetzen auch gegen afrobrasilianische Religionen – und es bleibt nicht immer nur bei Worten …

Doch statt das anzuerkennen, setzen vor allem die evangelikalen Pfingstkirchen auf Abgrenzung und strikte Regeln: kein außerehelicher Sex, kein Alkohol, keine Schimpfwörter. Erfolg haben sie dabei gerade in den Armenvierteln. Dass ein solch intolerantes Weltbild dort fruchtet, ist für den Schauspieler und Philosophen Rodrigo dos Santos letztlich ein Erbe der Sklaverei – einer Gesellschaft, die auf Abwertung und Unterdrückung anderer beruht …

Die neuen evangelikalen Pfingstkirchen wachsen bei uns sehr stark. Und so schlicht und seicht das Denken ihrer Pastoren sein mag, so hat es doch auch Wurzeln in dem, was Max Weber als den protestantischen Geist des Kapitalismus beschrieben hat.“

Erlösung im Hier und Jetzt versprechen viele der evangelikalen Pfingstkirchen – durch wirtschaftlichen Erfolg. „Theologie des Wohlstands“ nennen das Kritiker. Von den Gläubigen wird auch erwartet, dass sie ihre Hingebung zu Gott durch Opfer beweisen: Mindestens ein Zehntel des Monatsgehalts müssen sie abtreten. Laut Ivanir dos Santos von der Kommission gegen religiöse Intoleranz geht es am Ende vor allem um eines:

Um Geld. Diese Kirchen dienen dazu, Spenden einzusammeln. Und es gibt Vorwürfe, dass sie Bestechungsgelder an Politiker im Kongress gewaschen haben. Auch der Markt für Gospelmusik wächst, sie haben eine prosperierende Ökonomie geschaffen. Viele evangelikale Parlamentarier machen hier Geschäfte. Und es muss verurteilt werden, wie der Gesellschaft dadurch Werte aufgezwängt werden, welche die Vielfalt der brasilianischen Gesellschaft nicht widerspiegeln.““

https://www.deutschlandfunkkultur.de/evangelikale-in-brasilien-wie-aggressive-predigten-gewalt.1278.de.html?dram:article_id=363673

Wer sich über die Evangelikalen in Deutschland informieren möchte, kann das in einem Beitrag des Wurms aus dem Jahr 2013 tun: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/49-fest-der-familie.html

Ein informativer Beitrag mit dem Titel „Die Ankunft des evangelikalen Zeitalters“ stammt von Phillip Berryman aus dem Jahr 1994, der sich mit Lateinamerika auseinandersetzt. In den letzten 24 Jahren hat sich einiges getan und geändert – nichtsdestotrotz handelt es sich um ein wertvolles Dokument der Zeitgeschichte:

Die Linke und die progressiven Katholiken sind aufgeschreckt durch die rasche Ausbreitung einer, wie sie es sehen, fremden und importierten Religion. In den Stadtvierteln scheinen die evangelikalen Kirchen der Volkskultur mittlerweile näher zu sein, als die katholische Kirche. Der Autor untersuchte das Phänomen vor allem in Sao Paulo und Caracas. Sein folgender Artikel erschien in der Mai/Juni-Ausgabe der US-Zeitschrift NACLA. Die Übersetzung ist leicht gekürzt.

Montag Nacht in der Kirche der Wiedergeburt im Stadtzentrum von Sao Paulo. Es ist Jugendgottesdienst. Die Sitze des umgewandelten Theaters sind an den Wänden gestapelt. Um die 3000 jungen Leute bewegen sich über das leicht schräge Parkett. Das junge Publikum kennt die religiösen Rockklänge gut genug, um während der Pausen der Band eine A capella anzustimmen. Ein Song katalogisiert drei Jahrzehnte internationaler Jugendkultur mit Anspielungen auf die Beatniks, Drogen, Yoga, Naturkost und Politik (“Müssen wir töten?”), und endet mit der Strophe: “Die Revolution ist Gott, der Vater und sein Sohn Jesus Christ!” Viele der Jugendlichen tragen T-Shirts mit meist englischen Aufschriften, wie: “Be cool, Jesus loves you!” .

Später am Abend wendet sich ein lässig gekleideter Mann um die zwanzig an das Publikum, das mittlerweile auf dem Boden sitzt. Der Seminarstudent bekommt einen besseren Draht zu den Leuten als der schon ältere Prediger. Seine Botschaft ist einfach: “Jesus Christ”, mahnt er. “möchte Teil eures Lebens sein.” Danach kommen zwei oder drei Dutzend nach vorne, um Christus zu akzeptieren, und werden hinter die Bühne geführt, wo sie aufgenommen werden und weitere Anweisungen bekommen. Währenddessen spielt ein bekannter Gitarrist, der ebenfalls Christus entdeckt hat, ein Bluesarrangement auf den 22. Psalm. Wiedergeburtstaumel und Erfolg sind eine Facette der derzeitigen Welle des evangelikalen Protestantismus, die über Lateinamerika schwappt. 1993 bezahlte die Kirche angeblich 2 Mio. US-Dollar für ein Auditorium im Herzen Sao Paulos. Solche Großveranstaltungen sind in Brasilien kaum noch etwas Neues. 1990 bezahlte die von Bischof Edir Macedo geführte Universalkirche des Königreich Gottes 45 Mio. US-Dollar für eine Fernsehstation in Sao Paulo. Macedo kann das Maracaná-Stadion in Rio mit 150.000 Anhängern füllen. Auf einem solchen Zusammenkommen sagte er den Brillenträgern, ihre Augen seien geheilt. Die Brillen wurden eingesammelt und nach vorne gebracht, wo er auf ihnen herumtrampelte.

Linke verharren in alten Denkmustern

Vielleicht aufgrund der Bewunderung der Linken und AkademikerInnen für die Rolle progressiver Teile der Katholischen Kirche in den sozialen Bewegungen, haben sie nur langsam das beträchtliche Anwachsen der Evangelikalen zur Kenntnis genommen. Außerdem wurde versucht das Phänomen in engen reaktionären Begriffen zu sehen, besonders als Guatemalas wiedergeborener Präsident Efraín Rios Montt (1982-83) Massaker der guatemaltekischen Armee rechtfertigte, und US-Fernsehprediger die nicaraguanischen Contras gegen die “gottlosen” Sandinisten unterstützten.

Die wesentlich andere Realität zeigt der Anteil der Protestanten an der Gesamtbevölkerung: Belief er sich noch vor einer Generation auf 2-3 Prozent, erreicht er heute eine kritische Masse um die 15 Prozent (mit großen Unterschieden von Land zu Land). Obwohl die Mehrheit der LateinamerikanerInnen sich bei Umfragen noch immer als KatholikInnen bezeichnet, besuchen nur wenige regelmäßig die Messe. Das Ergebnis ist, daß die Anzahl aktiver protestantischer KirchgängerInnen heute vergleichbar ist mit der Zahl praktizierender KatholikInnen. Die Anzahl praktizierender ProtestantInnen ist jedoch größer als die Zahl der Mitglieder aller anderen ehrenamtlichen Gruppierungen. ob politisch, kulturell oder sportlich, zusammen.

Siegeszug der Evangelikalen in Brasilien

Forscher des Instituts für Religiöse Studien (ISER) in Rio de Janeiro behaupten. daß der evangelikale Protestantismus “die am meisten meinungsmachende Bewegung der derzeitigen brasilianischen Gesellschaft sei, vor allem in den armen Vorstadtbezirken.” ISER fand heraus. daß sich zwischen 1990 und 1992 mehr als 710 Gemeinden im Großraum von Rio etablieren konnten, das bedeutet fünf pro Woche. Während dieser ganzen Zeit hat sich nur eine neue katholische Gemeinde gegründet. Obwohl die traditionellen Kirchen, besonders die Baptisten und die Presbyterianer weiterhin stark präsent sind, waren 90 Prozent der neugegründeten Gemeinden Pfingstgemeinden. In den armen Bezirken war die Proportion der Kirchen zu den BewohnerInnen dreimal höher als in den reichen, in Strandnähe gelegenen Gemeinden.

Aber es wäre ein Fehler anzunehmen, die evangelikale Bewegung wäre eine unaufhaltsame Schwindelei. Trotz guter Organisation einer einwöchigen Evangelisierungskampagne vieler Kirchen in Caracas in der alten Stierkampfarena, konnten sie nicht einmal 1.000 Leute mobilisieren, von denen .die meisten schon Evangelikale waren. Ähnlich plante die Assembleias de Deus in der Karwoche eine Kampagne im Zentrum von Sao Paulo mit dem Ziel, sechs bis zehntausend Seelen für Christus zu gewinnen. Es kamen vielleicht 5000 Leute, die meisten Evangelikale, und jene, die nach vorne kamen um Christus anzunehmen, gingen in die Hundert.

Kürzlich war ich in Sao Paulo. wo die evangelikale Bewegung gut gedeiht, und in Caracas, wo die Protestanten gerade ein Prozent der Bevölkerung ausmachen (für Venezuela insgesamt liegt die Zahl bei vier Prozent). Diese beiden Städte zeigen die unterschiedlichen Züge der evangelikalen Bewegung recht gut.

Protestanten oder “Evangélicos”, Evangelikale, wie sie sich selbst nennen, sind nicht alle aus dem gleichen Holz geschnitzt. Die traditionellen, wie die Lutheraner, Methodisten, Presbyterianer, Baptisten, und andere sind den entsprechenden Konfessionen in Europa und den Vereinigten Staaten, woher sie auch stammen. sehr ähnlich. Im allgemeinen verstehen diese Kirchen die Bibel kritischer als die konservativen Kirchen, welche die Bibel wortwörtlich interpretieren. Während diese Kirchen als fundamentalistisch bezeichnet werden, steht bei der sich rasch ausdehnenden Pfingstbewegung weniger die Predigt oder eine Doktrin im Mittelpunkt, als vielmehr eine emotionale Erfahrung mit dem Geist Gottes. Diese allgemeinen Kategorien sind aber auf keinen Fall wasserdicht. Pfingstlensche Praktiken haben mittlerweile auch die traditionellen Kirchen durchdrungen.

Die Pfingstgemeinden

Zudem gibt es eine große Vielfalt im Bereich der Pfingstgemeinden innerhalb der protestantischen Kirche. Bischof Macedos Universalkirche beispielsweise drehte die Praxis der meisten protestantischen Konfessionen einfach um. Diese bildeten neue Gemeinden als Folge einer Kirchenspaltung, oder als kleine Missionsgruppen, die zu einer Gemeinde wurden. Eigentum erwarben und darauf aufbauten. Die Universalkirche bildet generell eine Gemeinde auf kommerzieller Basis. Dann erst werden Pastoren ernannt, die damit beginnen, Gottesdienste abzuhalten, üblicherweise viermal am Tag, sieben Tage die Woche. Der Pastor muß die Leute zu den Gottesdiensten locken und sie zu Spenden motivieren.

Bei der Universalkirche hat jeder Tag ein Thema: “Wohlstand”, “Familie”, und so weiter. Das Freitagsthema “Befreiung” hat nichts mit sozialer Veränderung zu tun. sondern mit der Befreiung von bösen Geistern. Wie jeder andere Gottesdienst an den anderen Tagen, fängt auch dieser mit einer halben Stunde Singen an. Dann kommt ein halbes Dutzend Leute, vorrangig Frauen, nach vorne. Schon bald fangen sie an zu stöhnen, zu schreien, zu kriechen. Der Prediger schreit die Dämonen an, und führt den Gesang, wobei er immer wieder singt: “Sai! Sai!” (“Geh raus, Geh raus!”). Die Dämonen verschwinden gehorsam, hinterlassen ihre Opfer spendabel, und ihre Familien erleichtert. Die Kirche Deus é Amor (Gott ist Liebe). eine Vorgängerin der Universalkirche, wird ebenfalls von einem “caudillo”-Prediger geführt, David Miranda. Sie legt besonderen Wert auf Heilung, und strahlt über hundert Stunden pro Woche Radioprogramme aus. Diejenigen, die die täglichen Gottesdienste in den riesigen warenhausähnlichen Hauptquartieren in der heruntergekommenen industriellen Region auf der anderen Seite des Flusses von Sao Paulo in Anspruch nehmen, sind sichtlich arm. Und diejenigen, die in der Kirche arbeiten, reflektieren wirklich die Kultur der unteren Bevölkerungsschichten, aus der auch sie stammen, im Gegensatz zur Universalkirche. Deren Pastoren sehen aus. als würden sie Autos oder Immobilien verkaufen. Viele Menschen nehmen an den Gottesdiensten der Universalkirche oder Deus é Amor teil, wenn sie gerade das Bedürfnis danach haben, sind aber keine aktiven Mitglieder in einer lokalen Gemeinde.

Die Congregacao Crista in Brasilien unterscheidet sich in vielerlei von der Universalkirche. Sie hat keinen vergleichbaren Klerus, führt keine Kampagnen, veröffentlicht keine Bücher, sendet keine Radioprogramme und ist nicht politisch. ihre teilweise pfingstlerischen Gottesdienste sind Vorzeigemodelle des Anstandes. Sogar Angehörige der ArbeiterInnenklasse kommen in Anzügen und Kostümen, Frauen und Männer sitzen getrennt. Trotz ihrer ruhigen Art verbreitet sich die Congregacao Crista immer mehr in den Vororten von Sao Paulo und entlang der großen Highways.

Geballte Kraft

Die größte einzelne Gruppe in Brasilien wie auch andernorts in Lateinamerika sind die Assembleias de Deus, die Versammlungen Gottes. Sie haben heute bereits mindestens acht Millionen Mitglieder, wobei sie selbst von mehr als 12 Millionen sprechen, und haben 35.000 Gemeinden über das ganze Land verstreut. Sie bilden die größte protestantische Glaubensrichtung in jedem “katholischen” Land und haben mindestens viermal so viele Mitglieder wie die anglikanische Kirche in England. so der britische Forscher Paul Freston. Die Assembleias haben mittlerweile einen beeindruckenden Grad an Organisation erreicht. Ich war dabei, als sich 1.100 Geistliche aus dem Großraum Sao Paulo zu ihrem monatlichen Gebet und Planungstreffen versammelten. Als eine Konsequenz ihrer schieren Größe haben sie zu ganz anderen Geldquellen Zugang als die anderen, kleineren Kirchen.

Die weitbewunderte Las Acacias-Kirche in Caracas unterscheidet sich deutlich von den oben genannten brasilianischen Kirchen, und auch von den meisten Pfingstgemeinden in Venezuela. Der Gottesdienst ist zwar auch pfingstlerisch, aber es gibt immer wieder Momente der Ruhe und des Sich-Sammelns, und die Eindringlichkeit der Predigt wird nicht in Dezibel gemessen. Im Gegensatz zu den strengen Regeln in vielen evangelikalen Gemeinden, die das Rauchen, Tanzen. Alkohol, Filme und Fernsehen verbieten, und einen Kleiderzwang auferlegen (vor allem für Frauen), überläßt es Las Acacias ganz dem Ermessen ihrer Mitglieder. Sie betont vor allem die positive Auswirkung des Glaubens auf das Leben jedes einzelnen. Manche Beobachterinnen lehnen Las Acacias als eine MitteIklassen-Kirche ab, obwohl sie in Wirklichkeit klassenübergreifend ist. Aber viel wichtiger ist, daß sie eine Alternative zu der Rigidität vieler anderer evangelikaler Kirchen bietet.

Diese Vielfalt an Stilen ist die Stärke des lateinamerikanischen Protestantismus. Innerhalb eines katholischen Pfarrbezirks in Sao Paulo, gibt es ein Dutzend und mehr protestantischer Gemeinden, deren Bandbreite von den traditionellen bis zu unabhängigen Konfessionen reicht, die sich von einer größeren Pfingstkirche abgespaltet haben.

Finanzielle und intellektuelle Abhängigkeit von den US-Rechten

Die Linke und die progressiven Katholiken sind erschreckt und befremdet über diese rapide Expansion einer, wie sie sagen, fremden Religion. Sie sind versucht, dieses evangelikale Anwachsen einer bewußten US-Regierungsstrategie unter Reagan und Bush zuzuschreiben, und der starken finanziellen Unterstützung der religiösen Rechten in den USA. Und tatsächlich werden die evangelikalen Gemeinden nachhaltig von den großzügigen Beiträgen ihrer Mitglieder finanziert, von denen erwartet wird, daß sie ein Zehntel ihres Einkommens an die Kirche geben, was sie auch tun. Die Katholische Kirche ist da weitaus abhängiger von finanziellen Mitteln von außen - primär aus Europa - als die Evangelikalen. Ein Bereich, indem auch die evangelikalen Gemeinden abhängig sind. ist der intellektuelle Bereich. Um ein Beispiel zu geben: 1991 wurden 70 Prozent der 585 in Brasilien publizierten evangelikalen Bücher von ausländischen AutorInnen geschrieben.

Orientierungshilfen

Die meisten der linken und katholischen KritikerInnen scheinen nie einen Schritt in eine evangelikale Kirche getan zu haben, um selbst einmal zu beobachten und ein Verständnis davon zu bekommen, was Millionen armer Leute in ihre Reihen zieht. Ihre Anziehung kommt durch die Intensität des Gebets, und eine einfache, verständnisvolle Botschaft, die dem ganzen Chaos der sie umgebenden Situation einen Sinn gibt. Strenge moralische Verhaltensweisen ermöglichen eine Orientierung. die in mancher Hinsicht einen Rückschritt zu den strengmoralischen Werten kleinbäuerlicher Gesellschaften darstellt. Eine Gemeinschaft, in der sich die Leute gegenseitig Brüder und Schwestern nennen, und ein Gefühl von Selbstrespekt vorhanden ist. Auch wenn den evangelikalen Kirchen oft vorgeworfen wird, sie wären ausländische Importe, scheinen sie in den armen Bezirken der Volkskultur näher zu sein als die Katholische Kirche. Die meisten protestantischen Geistlichen kommen aus derselben Schicht und Kultur wie die anderen aus der Gemeinde. Die Mehrzahl der progressiven katholischen Priester dagegen versuchen, die “Option für die Armen” zu bieten, leben aber in einer anderen kulturellen Welt und Schicht. Die “Option für die Armen”, die für die Erneuerungsbewegung der Katholischen Kirche in den Sechzigern steht, fand ihren Ausdruck in einer neuen Form pastoraler Arbeit, was auch die Verteidigung der Menschenrechte und die Zusammenführung von Basisgemeinden beinhaltete. Kleine Gruppen, die sich zum gemeinsamen Gebet, Diskussionen und Bewußtseinsbildung trafen. All das war unterlegt von einer Theologie der Befreiung. Progressiver Katholizismus war noch nie eine Massenbewegung, obwohl er qualitativ sehr wichtig war, vor allem in seiner Oppositionsrolle, die er während der Militärdiktaturen einnahm und bei den Kämpfen in Zentralamerika, wo nur eine kleine Minderheit daran teilnahm. Auch wenn es in Brasilien wirklich 80.000 Basisgemeinden mit jeweils mindestens 25 Mitgliedern gibt, beträgt ihre absolute Anzahl an AnhängerInnen gerade mal 2 von 160 Millionen. Und neuere Forschungen sehen diese Zahlen sogar als überhöht an.

Befreiungstheologie in der Krise

Diese Strömung innerhalb des Katholizismus ist aber in einem gewissen Maß in eine Krise geraten. Die Ernennungspolitik des Vatikan, der seit zehn Jahren konservative Bischöfe ins Amt beruft, verbunden mit massiven Druck gegen die Befreiungstheologen, hatte ihren Preis. Die Krise sitzt tiefer, und hat etwas mit dem Aufeinanderprallen der in das Befreiungsprojekt gesteckten Hoffnungen und den gegenwärtigen Zukunftsaussichten der lateinamerikanischen Gesellschaft zu tun. Christliche Basisgemeinden, so die Worte eines brasilianischen Theologen, hätten der “Ausgangspunkt für eine soziale Revolution sein können, die zu einer neuen Gesellschaft geführt hätte. In den Basisgemeinden zu arbeiten hieß, die Zukunft einer neuen lateinamerikanischen Gesellschaft vorzubereiten.” In den 90ern sind diese utopischen Träume, die im Klima der Militärdiktatur genährt wurden, an dem scheinbar universellen Triumph des Kapitalismus, an der Krise des Marxismus und an dem Zurückdrängen linker Themen zu reformistischer Sozialdemokratie zerplatzt. Venezuelas progressive Katholiken, die nie eine vergleichbare Phase des Widerstands gegen eine Militärdiktatur hatten, und deren Hoffnungen vielleicht weniger utopisch sind, sind weniger in der Krise als die brasilianischen.

Religiöser Pluralismus

In jedem Fall kommen diejenigen. die sich zum Protestantismus bekehren, nicht aus den christlichen Basisgemeinden, sondern aus der großen Mehrheit derer, die nur beiläufig Kontakt zur Katholischen Kirche haben. Die zum Protestantismus Bekehrten gehörten nie fest zur Katholischen Kirche im Sinne aktiver Gemeindemitgliedschaft. So ist es wohl auch richtiger davon zu sprechen, daß sich Lateinamerika in religiöser Hinsicht zum ersten Mal pluralistischer zeigt, und nicht “protestantischer wird”. Selbstverständlich haben schon immer andere religiöse Anschauungen, vor allem afrobrasilianische Religionen und ähnliche Formen hinter der katholischen Fassade prächtig geblüht.

Das aufkommende protestantische Zeitalter aber markiert das Ende einer katholischen Hegemonie.

Als direkte Folge ihrer Masse an Mitgliedern stellt die protestantische Bewegung nicht zuletzt auch eine potentielle politische Kraft dar. Ohne seine evangelikale Identität hätte Jorge Serrano wohl nicht Präsidentschaftskandidat in Guatemala werden können, und Alberto Fujimori warb bei den Präsidentschaftswahlen 1990 in Peru offen um die Stimmen der Evangelikalen. Evangelikale Abgeordnete repräsentieren mittlerweile den wichtigsten Block im brasilianischen Kongreß.

Protestantische politische KandidatInnen sind stärker vertreten als jemals zuvor. Die Botschaft an ihre AnhängerInnen ist, daß der Moment gekommen sei, und daß die evangelikale Bewegung ein Recht auf politische Repräsentation hätte. Sie versuchen große Teile der Bevölkerung davon zu überzeugen, daß ihre evangelikale Politik sich von der machtgierigen und korrupten Politik herkömmlicher Politiker- Innen absetzt (ein Anspruch, der nicht viele Jorge Serranos überleben wird). Einige protestantische Führungsköpfe sehnen sich nach einer gesellschaftlichen Stimme wie die der katholischen Bischofskonferenz. Da aber die meisten lokalen Pastoren nicht die Notwendigkeit einer derartigen Stimme sehen. und auch nicht eine zentrale evangelikale Dachorganisation anerkennen, ist die Unterstützung recht gering.

Die Konservativen haben sich rasch das Argument des britischen Soziologen David Martin zu eigen gemacht, wonach der Protestantismus letztendlich durch die Überwindung des kapitalismusfeindlichen Katholizismus helfen könnte, die Modernisierung Lateinamerikas voranzutreiben. In einem Artikel über den lateinamerikanischen Protestantismus in dem Magazin “Forbes”, ein Magazin, das normalerweise weder Lateinamerika noch Religion beachtet, freute man sich hämisch darüber, daß “der kulturelle Umbruch durch das Anwachsen der Evangelikalen “nichts anderes ist, als die andere Seite der ökonomischen Transformation”, und “zeigt solide Anhaltspunkte für die Zukunft, einer kapitalistischen. bürgerlichen Zukunft, und keiner marxistischen oder traditionellen.”

Nicht rechts, nicht links, sondern religiös!

Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung sind nicht alle Evangelikalen konservativ. Eindeutiger Hinweis dafür ist die Mitgliedschaft von Evangelikalen in der linken Arbeiterpartei Brasiliens, der PT. Hier ist ihr Anteil nur ein bißchen geringer als ihre Präsenz in der brasilianischen Gesellschaft. Benedita da Silva zum Beispiel, die schwarze Sozialarbeiterin, die in den Kongreß gewählt wurde und 1992 beinahe das Rennen um das Bürgermeisteramt in Rio gewonnen hatte. ist aktives Mitglied in der Assembleias de Deus.

Wenn man sich überlegt, daß für 15 Prozent der lateinamerikanischen Bevölkerung der protestantische Glaube von Bedeutung ist, erkennt man, daß diese Kirchen eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen. Und selbst wenn ihre Theologie für ein soziales Engagement eher demotivierend ist, könnte sich ihre politischer Stellung noch weiter ausbauen. In einigen theologisch-konservativen Kreisen hört man die Behauptung, daß die versprochene Erlösung durch Christus umfassend sei: Das bedeutet, daß es nicht nur die “Seele” betrifft, sondern die gesamte Person, und somit auch die Gesellschaft. Diese Position ist analog zur Position im römischen Katholizismus, die die Grundlage für soziales Engagement und für die Befreiungstheologie legte. Eine Gruppe konservativ-protestantischer Theologen. die sich 1988 in Medellín versammelten, kritisierten zwar die Befreiungstheologie, gestanden aber ein, daß es Evangelikale bei weitem daran fehlen lassen, sich sozialen Mißständen zuzuwenden. Das abschließende Dokument dieser Zusammenkunft rief zu mehr Verbindlichkeit bei sozialen Themen auf.

Wenn die lateinamerikanische Linke nach dem Kalten Krieg dabei ist, Bündnisse mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zu schließen um Alternativen zum Neoliberalismus zu finden, muß sie die Stereotype bezüglich evangelikaler Kirchen fallen lassen. Es ist höchste Zeit, daß die Linke endlich diese religiösen Bewegungen ernstnimmt, die sie bisher nur verspottet, ignoriert oder distanziert wahrgenommen hat.“

https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/die-ankunft-des-evangelikalen-zeitalters/

 

Wie geht es weiter?

 

Peter Steiniger: „Die Wahlen am 7. Oktober haben die politische Landschaft Brasiliens abrupt verändert. Den Vormarsch des faschistischen Kandidaten Jair Bolsonaro in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen begleitete der rasante Aufstieg seiner Partei PSL (Partido Social Liberal) von einer Kleinstpartei zur zweitstärksten Kraft im 513 Köpfe zählenden Abgeordnetenhaus in Brasília. Ab der 2019 beginnenden Legislaturperiode wird sie im Unterhaus des Kongresses statt mit bisher einem mit 52 Sitzen vertreten sein. Nur die Arbeiterpartei PT verfügt dann dort – trotz Verlusten – mit 56 Abgeordneten über eine noch größere Fraktion. Einen Absturz bei den Kongresswahlen erlebten die traditionellen Mitte-rechts-Parteien. Der MDB von Präsident Michel Temer hält dann noch 34 Sitze, bisher sind es 66. Der traditionelle großbürgerliche Gegenspieler der Arbeiterpartei PSDB ist mit 29 Mandaten ebenfalls in der Kategorie »ferner liefen« gelandet. Zu den Gewinnern der Wahl gehört die Mitte-links-Partei PDT von Ciro Gomes, der als Dritter aus dem Rennen um die Präsidentschaft ausschied.

Insgesamt werden die Vertreter von sage und schreibe 30 Parteien im Parlament vertreten sein, das ist neuer Rekord. Trotz einiger Ausreißer unter den Gewählten – mehr als die Hälfte ist neu in der Kammer – hat sich im Kongress der schärfste Rechtsruck seit dem Ende der Militärdiktatur 1985 vollzogen. Ähnlich verhält es sich mit dem Oberhaus, dem 81 Sitze zählenden Senat, wovon 54 zur Wahl standen. Bei den dann 21 Parteien dort ist PSL erstmals mit vier Senatoren vertreten. Einer von ihnen ist Bolsonaros Sohn Flávio, der für Rio de Janeiro ein Mandat errang. Die Arbeiterpartei büßte hier sechs ihrer zwölf Sitze ein.“

https://www.jungewelt.de/artikel/341488.brasilien-liberaler-untergrund.html

Innenpolitisch ist das Schlimmste zu befürchten. In der Außenpolitik wird sich zeigen, ob die neue Regierung mehr ideologisch oder mehr praktisch agieren wird. Mit Sicherheit werden die Interessen der USA mehr vertreten und diejenigen Chinas weniger. Zu Chinas Investitionen in Lateinamerika siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/306-schwerpunkt-verlagerung.html

Sollte Brasiliens neue Außenpolitik wie angekündigt mehr ideologisch orientiert sein, wird das vor allem für den einfacheren Teil der Bevölkerung von Nachteil sein. Volker Hermsdorf beschreibt so einen Fall: „Die italienische Journalistin Geraldina Colotti warnt vor dem »neuen Hitler in Lateinamerika«, und der brasilianische Theologe Leonardo Boff nennt Jair Bolsonaro einen »Nazi«. Aus gutem Grund. Der ehemalige Fallschirmjäger, der nach der Stichwahl am 28. Oktober neuer Präsident Brasiliens werden könnte, verherrlicht Adolf Hitler und die Militärdiktatur von 1964 bis 1985. Bolsonaro verteidigt den Mord an Oppositionellen, ist für Folter und hetzt gegen Schwarze und Homosexuelle. Die rechtskonservative Tageszeitung Nuevo Herald in Miami stört das nicht. Einen Tag nachdem er im ersten Wahlgang 46 Prozent der Stimmen erhalten hatte, frohlockte das Blatt am 8. Oktober: »Bolsonaro ist der größte Alptraum für Kuba.« Die ihm ideologisch nahestehenden Contras in Miami, Madrid und Havanna hoffen darauf, dass der Faschist die guten Beziehungen zwischen Brasilien und Kuba beenden wird.

Im August hatte Bolsonaro versprochen, bei einem endgültigen Wahlsieg die rund 8.500 derzeit im Land tätigen kubanischen Mediziner nach Hause zu schicken. Die überwiegend hellhäutige Zuhörerschaft bei einer Veranstaltung der Sozial-liberalen Partei (PSL) im wohlhabenden Bundesstaat São Paulo applaudierte frenetisch, als der Präsidentschaftskandidat ins Mikrophon schrie: »Wir werden die Kubaner aus Brasilien hinauswerfen!« Dasselbe Publikum hatte zuvor Attacken gegen Gewerkschaften und die Ankündigungen beklatscht, die Steuern für Reiche zu senken, aus der »kommunistischen UNO« auszutreten, die Rechte der indigenen Ureinwohner zu beschneiden und den Amazonaswald zur Ausbeutung freizugeben.

Während der von Bolsonaro angekündigte Rauswurf der Kubaner in Medien der Contras wie dem Nuevo Herald, dem Onlineportal Diario de Cuba in Madrid und der in Kuba von der Bloggerin Yoani Sánchez produzierten Onlinezeitung 14ymedio begrüßt wird, befürchten Experten den Zusammenbruch des brasilianischen Gesundheitssystems und einen Rückfall in frühere Zustände.

Die katastrophale Gesundheitsversorgung hatte 2012 zu heftigen sozialen Unruhen und Massenprotesten geführt. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums von Mitte 2013 fehlten mehr als 50.000 Mediziner. Als Reaktion legte die Regierung Dilma Rousseff das Programm »Mais Médicos« auf, um 10.000 Ärzte aus dem Ausland anzuwerben. Kuba schickte zunächst 2.400 Ärzte.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die brasilianische Bevölkerung lobten die kubanische Hilfe, die konservativen Standes- und Interessenverbände der Mediziner aber protestierten von Anfang an. Der Bundesärzterat CFM (Conselho Federal de Medicina) bezeichnet sie als »unverantwortlich und respektlos«. Als Grund führten die Standesärzte unter anderem an, dass »weder die fachliche noch die sprachliche Qualifikation der Ausländer« ausreiche.

Bolsonaro behauptet jetzt auch noch, die kubanischen Ärzte würden »Sklavenarbeit« für die Diktatur leisten, weil sie nur einen Teil des von Brasilien bezahlten Geldes erhalten. Dieser Verzicht erfolgt allerdings freiwillig. Mit dem Rest werden unter anderem die Hilfseinsätze in Haiti, Afrika und anderen Regionen finanziert, die nichts dafür zahlen können.“

https://www.jungewelt.de/artikel/341558.brasilien-kuba-die-gesundheit-der-reichen.html

 

An die Gutmenschen und Pseudo-Linken dieses Landes

 

Liebe Leute! Wenn hierzulande jemand politisch nicht ganz korrekt etwas sagt oder macht, gilt dieser Mensch gleich als „rechts“, „Nazi“ oder „Antisemit“ oder gleich alles zusammen. Auch, wenn es noch so harmlos oder ungerechtfertigt gewesen sein mag.

Mit dem Messias und seinen Hintermännern ist ein Mensch an der Macht, der rechtsextremer, gewalttätiger und bösartiger kaum sein kann. Wie ist Eure Reaktion darauf?

Mit dem Argument „das ist der neue Hitler“ habt Ihr Euch dazu begeistern lassen, Jugoslawien, den Irak, Libyen, Syrien zu bombardieren und habt bereitwillig den Tod hunderttausender Menschen in Kauf genommen, um Euer Gerechtigkeits-Gefühl befriedigen zu können.

Was tut Ihr im Falle Brasiliens?

Klar und deutlich wurde angekündigt, zigtausende Menschen zu töten.

Wenn Ihr ein „Nichts“ schon als „Hetzjagd“ bezeichnet – siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/346-chemnitz.html -, werdet Ihr in naher Zukunft sehen können, wie Hetzjagden auf Menschen tatsächlich aussehen.

Wenn Euch schon die kommenden Toten nicht interessieren und auch nicht die Millionen, die wirtschaftlich ins Elend gestoßen werden – dann habt wenigstens Mitleid mit den Bäumen, die im Regenwald des Amazonas gefällt werden, den edlen Wilden, die dort weichen und womöglich zivilisiert werden müssen! Oder den Homosexuellen oder Transgendern, denen ein übles Schicksal bevorsteht.

Ihr regt Euch immer noch nicht auf? Bei allem Respekt – aber hier wird es jetzt richtig ernst. Hier geht es um Rechtsextremismus der übelsten Sorte mit der eindeutigen Erklärung, die Gegner zu töten. Wer sich jetzt nicht aufregt und jetzt nichts tut, braucht nie mehr mit Argumenten von „Moral“ oder „politischer Korrektheit“ daherzukommen.

Oder wäre es etwa antisemitisch, sich über Rechtsextremismus der übelsten Sorte aufzuregen? Schließlich unterstützt der Staat Israel ausdrücklich die neue Regierung und stört sich überhaupt nicht an deren Rechtsextremismus.

Nach Eurem Denken darf der Staat Israel ja ausnahmslos alles, weil es der Staat Israel ist. Und derjenige, der die israelische Regierung kritisiert (genauso wie er es mit seiner eigenen Regierung und allen anderen Regierungen der Welt tut) ist in Euren Augen ein übler Antisemit – siehe unter anderem http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/318-zeit-gegen-die-verleumder-vorzugehen.html

Ist es deshalb, warum Ihr nichts tut?

Was muss passieren, damit Ihr Euch nennenswert aufregt? Viel rechtsextremer geht nicht.

Könnt Ihr Euch vorstellen, dass Menschen, die sich ansonsten so moralisch anstellen, die aber übelster staatlicher Rechtsextremismus nicht sonderlich zu stören scheint, tiefste Verachtung entgegen schlägt?

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm