„An Winckelmann
Wenn ich der Frömmler Gaukelei’n entkommen,
So sei der Dank dafür an dich gewendet:
Wohl fand dein Geist, was nie beginnt noch endet,
Doch fand er’s nicht im Predigtbuch der Frommen.
Dir ist das Licht des Göttlichen entglommen
Im Werk der Heiden, die es reich gespendet;
Denn himmlisch ist, was immer ist vollendet,
Und Christus selbst gebietet: Seid vollkommen!
Zwar möchten gern gewisse schwarze Röcke
Den Geist verwickeln, der sich will befreien,
Wo nicht, uns stellen in die Zahl der Böcke.
Doch laßt nur ab, die Heiden zu beschreien!
Wer Seelen hauchen kann in Marmorblöcke,
Der ist erhaben über Litaneien.“
Dieses schöne Sonett von August von Platen aus dem Jahre 1826 ist Johann Joachim Winckelmann gewidmet, der vor 300 Jahren geboren wurde, der bis heute Einfluss ausübt und ohne den Deutschland und Teile der Welt anders aussähen.
Aus „Wikipedia“: „Johann Joachim Winckelmann (* 9. Dezember 1717 in Stendal; † 8. Juni 1768 bei Triest) war ein deutscher Archäologe, Bibliothekar, Antiquar und Kunstschriftsteller der Aufklärung. Er gilt, neben Flavio Biondo, als der Begründer von wissenschaftlicher Archäologie und Kunstgeschichte und als geistiger Begründer des Klassizismus im deutschsprachigen Raum.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Joachim_Winckelmann
Johann Joachim Winckelmann
Franz Mehring über Winckelmanns Leben:
„Wie die meisten unserer Klassiker, kam Winckelmann aus kleinbürgerlichen Kreisen. Wenn er sich als Sohn eines armen Handwerkers aus den erdrückenden Fesseln der verkommenen Zunft befreien wollte, so war ihm sein Weg von vornherein gewiesen: auf der lateinischen Schule Kurrendesingen, Freitische, Helfersdienste bei einem Lehrer oder Geistlichen, auf der Universität theologisches Studium von wegen der zahlreichen Stipendien, dann einige Jahre Hauslehrer und endlich eine Hungerstelle als Rektor oder Pastor. Diese zünftige Theologie war im Grunde dieselbe Tretmühle wie das zünftige Handwerk, aber das Studium der Theologie erheischte die Kenntnis der alten Sprachen und bot geweckten Köpfen die Möglichkeit, den Gipfel jener „Humanität" zu erklimmen, die das Ideal unserer klassischen Literatur war.
Diese „Humanität" des achtzehnten erinnert nicht nur durch den äußeren Wortklang an den „Humanismus" des sechzehnten Jahrhunderts. Nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges musste, sobald die langsame Wiederherstellung des Landes auch zu einem langsamen Wiedererwachen der geistigen Bildung führte, wieder da angeknüpft werden, wo die geistige Entwicklung der Nation zerrissen worden war. Was die Kenntnis und das Studium der antiken und namentlich der griechischen Literatur für alle unsere Klassiker bedeutet haben, ist bekannt genug. Aber für keinen haben sie so viel bedeutet wie für Winckelmann, und Justi hat schon mit Recht darauf hingewiesen, wie sehr er in Art und Unart ein Spätling der Humanisten gewesen sei. Wie er sich in das Altertum bis in die kleinsten Einzelheiten einlebt, wie er gleich dem Erasmus aus den antiken Schriftstellern Ausdrücke und Bilder, Sentenzen und Sprüche sammelt, um damit seine Rede zu schmücken, wie er in unsteter Wanderlust immer auf der Landstraße liegt und schon früh nach Griechenland und Italien trachtet, wie er von schrankenlosem Selbstgefühl beseelt ist und doch den gefälligen Cicerone von Despoten und Junkern macht, wie er die Tyrannenmörder des Altertums preist und doch zu den Grafen und Kardinälen, in deren Häusern er lebt, als zu „hohen Gönnern kaum hinaufzublicken" wagt, wie er in „wahrem Galimathias" zu ihnen spricht – nach den Worten des in solchen Sachen auch gerade nicht peniblen Goethe –, wie er vollständig gleichgültig gegen jedes religiöse Dogma ist und dennoch in die alleinseligmachende Kirche flüchtet – alles das und manches andere noch erinnert lebhaft an die Humanisten des sechzehnten Jahrhunderts.
Soweit sich Winckelmann darin von unseren anderen Klassikern unterscheidet, ergibt sich der Grund des Unterschieds daraus, dass keinem von ihnen das Unglück beschieden gewesen ist, die ersten dreißig Jahre seines Lebens in der Altmark zu hausen, der „Wiege des Hohenzollernstaats", womit im Grunde schon alles gesagt ist. Den Ruf, den die Mark Brandenburg im sechzehnten Jahrhundert besaß, hatte sie sich im achtzehnten Jahrhundert bewahrt, dank der Hohenzollernherrschaft: nämlich die barbarischste und geistig verwahrloseste Landschaft in Deutschland zu sein. Winckelmann entbehrte hier jeder anderen Möglichkeit, geistig zu atmen, als dass er sich völlig in das antike Leben vergrub; er musste ewig auf der Landstraße liegen, wenn er da einen Brocken Griechisch oder dort einen alten Lateiner auftreiben wollte; er musste sich unter das Joch eines eisernen Despotismus fügen, wenn er leiblich leben, und er musste sich mit einem starken Selbstbewusstsein durchdringen, wenn er geistig dabei bestehen wollte; die bösartigen Verfolgungen der protestantischen Pfaffen mussten ihn mit Ekel vor jedem religiösen Dogma erfüllen, und doch konnte er nur aus dem Nothafen der katholischen Kirche auf die hohe See des Lebens gelangen …
Endlich im Jahre 1748 gelang es ihm, eine Bibliothekarstelle bei dem sächsischen Grafen Bünau zu erhalten. Es war eine kümmerliche Zuflucht, in materieller Beziehung noch kümmerlicher als das Konrektorat in Seehausen. Aber aufjauchzend verließ Winckelmann die „Wiege des Hohenzollernstaats", und noch lange Jahre später schauderte ihn die Haut vom Haupt bis zu den Zehen, wenn er an den preußischen Despotismus und den Schinder der Völker dachte, der das von der Natur selbst vermaledeite und mit libyschem Sande bedeckte Land zum Abscheu der Menschen machen und mit ewigem Fluche bedecken werde …
Graf Bünau war ein sächsischer Edelmann, der sich von seinen Klassengenossen durch wissenschaftliche Interessen unterschied, eine umfangreiche Bibliothek gesammelt hatte und an einer deutschen Kaiser- und Reichshistorie arbeitete, von der vier Bände bereits erschienen waren, als Winckelmann in seine Dienste trat …
Dabei war Bünau immerhin ein gebildeter Mann, der seinen Bibliothekar nicht quälte und unterdrückte, wie Winckelmann von dem märkischen Pfaffen gequält und unterdrückt worden war. Bünau blieb ihm, was man einen wohlwollenden Gönner nennen mag, wie viel oder wie wenig das sagen wollte; Goethe hat später bitter genug gemeint, Bünau hätte nur ein bedeutendes Buch weniger für seine Bibliothek kaufen brauchen, um für Winckelmann den Weg nach Rom zu eröffnen. Allein wie dem immer sei – Bünau stellte das Licht seines neuen Bibliothekars nicht unter den Scheffel; Winckelmann begann in Dresden, damals der gebildetsten Stadt Deutschlands, einen wissenschaftlichen Ruf zu gewinnen. Dazu bot ihm die Bibliothek des Grafen nunmehr in Fülle die Werkzeuge wissenschaftlicher Forschung, die er bisher nur so schwer und so unzulänglich hatte erreichen können, und – was noch viel wichtiger, ja für Winckelmanns Zukunft entscheidend war – er lernte in der Bibliothek Bünaus die neuere Literatur der Engländer und Franzosen kennen. Er las und studierte Addison, Bolingbroke, Shaftesbury, er las und studierte Montaigne, Montesquieu, Voltaire; er sammelte aus ihnen nicht nur Lesefrüchte, sondern gewann durch sie lebendigen Zusammenhang mit den treibenden Kräften der Zeit; die Fortschritte, die die bürgerliche Aufklärung in der historischen Auffassung machte, prägten sich seinem Geist um so tiefer ein, je mehr ihn die Beschäftigung mit den mittelalterlichen Chroniken und Heiligengeschichten im Dienst an dem Geschichtswerke Bünaus ermüdete. Wenn Lessing in Diderot den Mann sah, der seinem ganzen Denken eine andere Richtung gegeben habe, so kann man für Winckelmann das gleiche von Montesquieu sagen.
In dieser verzweifelten Stimmung traf ihn die Lockung, durch den Übertritt zum Katholizismus sich zu retten. Der Dresdener Hof war wegen der polnischen Königskrone katholisch geworden und hatte seine Freude an jedem Konvertiten, den er in dem starr protestantischen Lande gewann. Dennoch hätte Winckelmann schwerlich über sich vermocht, sich anzubieten: es fügte sich, dass er nicht zu werben brauchte, sondern umworben wurde. Der päpstliche Nuntius am Dresdener Hofe, ein Graf Archinto, sehnte sich in seine italienische Heimat zurück, wo ihn der Kardinalshut und selbst noch höhere Ehren erwarteten; er brachte es zum päpstlichen Staatssekretär, und bei dem einzigen Konklave, das er noch erlebte, fiel eine namhafte Anzahl Stimmen auf ihn. Er wollte nun gern mit einem namhaften Konvertiten heimkehren und warf sein Auge auf Winckelmann, den „großen Griechen", den er bei seinen Besuchen in der Bibliothek des Grafen Bünau kennengelernt hatte. Er wusste um Winckelmanns Sehnsucht nach Rom und nützte sie für seine Proselytenmacherei aus, wobei er den Religionswechsel durchaus in weltmännischem Sinne behandelte, als ein Mittel, nach Rom zu gelangen und in Rom überall offene Türen zu finden. Unterstützt wurden diese Bemühungen durch den Beichtvater des Königs, den Jesuitenpater Rauch, der in der Tat, wie die spätere Zeit zeigte, eine aufrichtige persönliche Freundschaft für Winckelmann gewonnen hatte.
Gleichwohl sträubte sich Winckelmann mehrere Jahre. Er war längst fertig mit aller Religion und meinte wohl, um nach Griechenland zu gelangen, würde er selbst Priester der Kybele werden …
Es war die rettende Wendung seines Lebens. Diesen Klassiker verdankt die deutsche Literatur nicht der berühmten „protestantischen Geistesfreiheit", sondern dem Jesuitenpater Rauch, dem Nuntius Archinto, den Kardinälen Passionel und Albani, den Päpsten Benedikt XIV. und Klemens XIII. Sie alle haben, wie belastet ihr Sündenkonto sonst sein mag, sich niemals nach dem Vorbild der protestantischen Pfaffen dazu erniedrigt, den „großen Griechen" in den Dienst kirchlicher Ausbeutungs- und Verdummungszwecke zu spannen; sie haben wenigstens ehrlich das Versprechen gehalten, durch das sie ihn in ihre Kirche gelockt hatten; sie haben ihm die Möglichkeit geschaffen, sich nach seinen Gaben auszuleben.
Nach seinem Übertritt zum Katholizismus gab Winckelmann seinen Dienst beim Grafen Bünau auf und rüstete sich zur römischen Reise, vor allem durch die erste Schrift, die der nun schon achtunddreißigjährige Mann herausgab, durch die „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst", womit er ein für ihn völlig neues Gebiet betrat.
Im Jahre 1755 erfüllte sich nun endlich der sehnliche Wunsch des gequälten Mannes: er ging nach Rom, noch nicht in der Absicht, sich dort dauernd niederzulassen, und nicht einmal in der Absicht, sich dem Studium der Kunstgeschichte zu widmen. Er dachte noch immer an rein philologische Arbeiten, und er blieb zunächst in Rom, weil wenige Monate nach seiner Ankunft der preußische König über Sachsen herfiel und es für sieben Jahre in seine Tasche steckte, den sächsischen Hof aber nach Warschau jagte. Damit war für Winckelmann die Rückkehr nach Sachsen zunächst abgeschnitten und selbst sein Stipendium auf die Dauer fraglich geworden, obgleich Pater Rauch ihn in allen Wirren der Zeit nicht vergaß.
Es ist müßig, darüber zu streiten, ob Winckelmann ohne diesen äußeren Zwang seinen dauernden Aufenthalt in Rom genommen hätte. Jedenfalls vertiefte er sich alsbald in die römischen Kunstschätze; was in Dresden Öser für ihn geworden war, das wurde in Rom Raphael Mengs für ihn, der Hofmaler des sächsischen Königs. Mengs ist heute nicht ganz so vergessen wie Öser, aber es zeugt abermals für Winckelmanns historisch beschränkte Ästhetik, dass er in Mengs nicht nur den „größten Lehrer in seiner Kunst" feierte, sondern auch „den größten Künstler seiner und vielleicht auch der folgenden Zeit", der als ein Phönix gleichsam aus der Asche des ersten Raffael erweckt worden sei, um den höchsten Flug menschlicher Kräfte in der Kunst zu erreichen.
In gleicher Weise auch wie in Dresden gewann Winckelmann in Rom den Boden unter den Füßen: durch seine unvergleichliche Kenntnis des griechischen Altertums, die im damaligen Rom ebenso begehrt wie selten war. Als verbranntes Kind scheute er allerdings das Feuer und hütete sich, die schwer erworbene Freiheit voreilig aufs Spiel zu setzen; er lernte bald mit den schlauen Monsignoren, die ihn um kümmerlichen Lohn in ihre Dienste locken wollten, Zug um Zug zu handeln, mit seinem alten Gönner Archinto wie mit dem Kardinal Passionei, dessen Bibliothek mit der Bibliothek des Grafen Bünau wetteifern konnte, und endlich mit dem Kardinal Albani, in dessen Stadthaus an den Vier Brunnen und in dessen Villa vor der Porta Salaria Winckelmann endlich heimisch wurde als Hausabbate mit einem Monatsgehalt von zehn Skudi und gelegentlichen Geschenken. Daneben brachte er es noch zu mancherlei Würden, sogar zum „Präsidenten aller Altertümer" in Rom, an welchem Amte freilich der pompöse Titel das Beste war.“
Kind seiner Zeit
Auch Johann Joachim Winckelmann ist nicht vom Himmel gefallen. Er hatte seine Vorläufer und Wegbereiter und traf auf eine Lage, die nur noch auf einen wie ihn wartete, um umso schneller und stärker wirken zu können.
Die Renaissance wirkte immer noch, es wurden immer mehr antike Objekte gefunden und ausgegraben. Die beim Ausbruch des Vesuv im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung verschütteten Städte Herculaneum und Pompeji wurden ausgegraben und brachten sensationelle Funde hervor, die sich viele Staatsgäste und Prominente im Museum von Neapel und vor Ort anschauten und natürlich begeistert waren. Und es gab die Grand Tour.
Aus „Wikipedia“: „Grand Tour (auch Kavalierstour, Cavaliersreise u. a. Bildungsreisen) war die Bezeichnung für eine seit der Renaissance obligatorische Reise der Söhne des europäischen Adels, später auch des gehobenen Bürgertums, durch Mitteleuropa, Italien, Spanien und auch ins Heilige Land. In weiterem Sinne wurden auch die Bildungsreisen erwachsener Angehöriger der genannten Stände so bezeichnet. Insbesondere in England fand die Grand Tour im achtzehnten Jahrhundert einen reichen literarischen Niederschlag …
Die Besichtigung antiker Stätten in Italien hatte in Kreisen der Künstler und Intellektuellen bereits seit dem Spätmittelalter Tradition. Einen wahren Aufschwung erlebte die Grand Tour aber erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts, als es im englischen Adel, vergleichbar einem Initiationsritus, Mode wurde, seine Sprösslinge auf eine mehrjährige Bildungsreise auf den Kontinent zu schicken. Ihren Anfang nahm sie während der Regentschaft von Königin Elisabeth I. von England im 16. Jahrhundert. Die jungen Männer zwischen 17 und 21 Jahren machten sich zumeist in Begleitung eines Tutors und finanziell großzügig von der Familie unterstützt auf den Weg zum Kontinent und durch Europa, um ihren Horizont zur erweitern, antike Bauwerke und Denkmäler zu besichtigen, aber auch um sich in die hohe Schule der Diplomatie einführen zu lassen. Station machte man vorwiegend bei Verwandten und nicht wenige gingen bei dieser Gelegenheit erfolgreich auf Brautschau. Diese große Mode aus England fand bald auch in anderen Ländern Anklang.
Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts erweiterte sich der gesellschaftliche Kreis der Reisenden auf das Bürgertum …
In Rom verbrachten die Kavaliere üblicherweise die Wintermonate, um sich ausgiebig dem Besuch der antiken Monumente, Museen und Kirchen widmen zu können …
So trugen die im 18. Jahrhundert verstärkt in Mode kommenden Grand Tours in erheblichem Maße zum endgültigen Durchbruch des Klassizismus in der Architektur Englands und anderer europäischer Staaten bei. Maßgebliche Impulse gingen insofern von der 1732 in London gegründeten Society of Dilettanti aus, in der sich Grand-Tour-Rückkehrer einmal monatlich zum Gedankenaustausch trafen.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Grand_Tour
Rationalität
Klare Kante, einfach, ausdrucksstark, rational – das ist Klassizismus.
Wer mit Begeisterung Homer liest, der interessiert sich nicht für biblische Erbauungs-Geschichten.
Wer sich für die antiken Griechen begeistert, ob für deren Skulpturen, Philosophie, Schauspiel, Dichtkunst, Wissenschaft oder deren Individualismus, hängt rationalem Gedankengut nach. Und ist damit gegen Religion bzw. wird versuchen, die Religion zu rationalisieren.
Die im 18. Jahrhundert stark wirkende Philosophie der Aufklärung harmoniert wunderbar mit dem aufkommenden Klassizismus.
Unmittelbar vorher gab es das verspielte Barock mit seiner noch verspielteren Unterart, dem Rokoko.
Anders ausgedrückt: Die Zeit war reif für Johann Joachim Winckelmann.
Geschichte der Kunst des Altertums
Franz Mehring: „In den ersten Jahren seines römischen Aufenthaltes schuf nun Winckelmann das Werk, das ihm den dauernden Ehrenplatz in unserer klassischen Literatur gesichert hat, die „Geschichte der Kunst des Altertums". Es war eine Schöpfung ganz aus dem Rohen heraus, die so gut wie gar keine Vorläufer hatte; ein Versuch, an der Hand der antiken Denkmäler, an denen Rom damals noch ungleich reicher war als heute, die Geschichte in erster Reihe der griechischen Kunst nach ihrem Entstehen, Wachsen und Vergehen zu erzählen. Was Lessing an diesem Werke rühmte, die „unermessliche Belesenheit, die ausgebreitetsten, feinsten Kenntnisse der Kunst", das besteht heute noch zu Recht, aber Lessing wurde der Arbeit Winckelmanns nicht einmal gerecht, indem er nur kleine Versehen darin hervorhob, in dem schmeichelhaften Sinn, Winckelmann habe mit der Zuversicht der alten Künstler gearbeitet, die allen ihren Fleiß auf die Hauptsache verwandt und Nebendinge nebensächlich behandelt hätten. Treffender, wohl nicht ohne Hinblick auf Lessings unzulängliche Würdigung, gab Herder den Eindruck des Werkes auf die Zeitgenossen mit den Worten wieder: „Es gehörte Winckelmanns erhabener, kühner, kleine Mängel und Fehler völlig verachtender Genius dazu, an solch ein Werk nur denken, geschweige als Fremdling, nach dem Fleiße einiger weniger Jahre, Hand daran legen zu wollen, und siehe! gewissermaßen hat er's vollendet. In dem Walde von vielleicht 70.000 Büsten und Statuen, den man in Rom zählt, in dem noch verwachsenen Walde betrüglicher Fußtapfen, voll schreiender Stimmen ratender Denker, täuschender Künstler und unwissender Antiquare durch ziemlich lange Zeiten hinunter, endlich in der schrecklichen Einöde alter Nachrichten und Geschichte, da Plinius und Pausanias wie ein paar abgerissene Ufer dastehen, auf denen man weder schwimmen noch ernten kann; in einer solchen Lage der Sachen ringsumher an eine Geschichte der Kunst des Altertums zu denken, die zugleich Lehrgebäude, keine Trümmer, sondern ein lebendiges volkreiches Theben von sieben Pforten sei, durch deren jede Hunderte ziehen: gewiss, das konnte kein Kleinigkeitskrämer, kein Kritiker an der Zeh im Staube." Herder hat denn auch schon mit allem Nachdruck auf die künstlerische Form dieser Kunstgeschichte aufmerksam gemacht; sie sei wie ein Kunstwerk der Alten; jeder Gedanke stehe da, edel, einfältig, erhaben, wie eine Minerva aus Jupiters Haupt dastehe …
Aber die größte Schwäche von Winckelmanns Werk ist auch wieder seine größte Stärke; in ihrer umfangreicheren Hälfte ist die Kunstgeschichte nicht sowohl eine Geschichte als eine Philosophie der griechischen Kunst, und hier hat der „große Grieche", der die deutsche Sprache mit einer seltenen Meisterschaft handhabte, den antiken Kunstschätzen Roms ihre Geheimnisse abzulauschen und in einer Form zu offenbaren verstanden, die ihrer marmornen Schönheit würdig war. Seine Schilderungen der Laokoonsgruppe, des Apoll von Belvedere, des sogenannten Antinous, des Torso des Herkules usw. sind in ihrer Art klassische Meisterwerke, und wie sie vor allem die Bewunderung der Zeitgenossen gefunden haben, so sind sie heute noch der Teil des Werkes, der fortlebt und fortzuleben verdient …
Jedoch trotz solcher und anderer Schwächen machte das Buch seinen Weg und gewann sofort europäisches Ansehen. Dazu trug freilich auch der Umstand bei, dass sein Erscheinen mit dem Ende des Siebenjährigen Krieges zusammenfiel und der Fremdenstrom, der während dieses Krieges ausgesetzt hatte, wieder nach Rom flutete. Als „Präsident aller Altertümer" wurde Winckelmann der Lieblingscicerone dieser deutschen Despoten und Junker, englischer Lords, französischer Ducs, welscher Kardinäle. Es war eine einträgliche Tätigkeit, aber sie galt in Rom nicht gerade als reputierlich. Auch hat Winckelmann wohl auf „die Störer seiner Ruhe und Räuber seiner Zeit" gescholten, aber im allgemeinen fand er sich doch mit großem Behagen in diesem Trubel zurecht.“
Nun aber Johann Joachim Winckelmann in eigenen Worten:
Vorrede
„Die Geschichte der Kunst des Altertums, welche ich zu schreiben unternommen habe, ist keine bloße Erzählung der Zeitfolge und der Veränderung in derselben, sondern ich nehme das Wort Geschichte in der weiteren Bedeutung, welche dasselbe in der griechischen Sprache hat, und meine Absicht ist, einen Versuch eines Lehrgebäudes zu liefern. Dieses habe ich in dem Ersten Teile, in der Abhandlung von der Kunst der alten Völker, von jedem insbesondere, vornehmlich aber in Absicht der griechischen Kunst, auszuführen gesucht. Der Zweite Teil enthält die Geschichte der Kunst im engeren Verstande, das ist, in Absicht der äußeren Umstände, und zwar allein unter den Griechen und Römern. Das Wesen der Kunst aber ist in diesem sowohl als in jenem Teile der vornehmste Endzweck, in welches die Geschichte der Künstler wenig Einfluß hat, und diese, welche von anderen zusammengetragen worden, hat man also hier nicht zu suchen: es sind hingegen auch in dem zweiten Teile diejenigen Denkmale der Kunst, welche irgend zur Erläuterung dienen können, sorgfältig angezeigt.
Die Geschichte der Kunst soll den Ursprung, das Wachstum, die Veränderung und den Fall derselben, nebst dem verschiedenen Stile der Völker, Zeiten und Künstler lehren, und dieses aus den übriggebliebenen Werken des Altertums, so viel möglich ist, beweisen.
Es sind einige Schriften unter dem Namen einer Geschichte der Kunst an das Licht getreten; aber die Kunst hat einen geringen Anteil an denselben: denn ihre Verfasser haben sich mit derselben nicht genug bekannt gemacht und konnten also nichts geben, als was sie aus Büchern oder vom Sagenhören hatten. In das Wesen und zu dem Innern der Kunst führt fast kein Skribent, und diejenigen, welche von Altertümern handeln, berühren entweder nur dasjenige, wo Gelehrsamkeit anzubringen war, oder wenn sie von der Kunst reden, geschieht es teils mit allgemeinen Lobsprüchen, oder ihr Urteil ist auf fremde und falsche Gründe gebaut …
In dieser Geschichte der Kunst habe ich mich bemüht, die Wahrheit zu entdecken, und da ich die Werke der alten Kunst mit Muße zu untersuchen alle erwünschte Gelegenheit gehabt und nichts erspart habe, um zu den nötigen Kenntnissen zu gelangen, so glaube ich, mich an diese Abhandlung machen zu können. Die Liebe zur Kunst ist von Jugend auf meine größte Neigung gewesen, und ohnerachtet mich Erziehung und Umstände in ein ganz entferntes Gleis geführt hatten, so meldete sich dennoch allezeit mein innerer Beruf. Ich habe alles, was ich zum Beweis angeführt habe, selbst und vielmal gesehen und betrachten können, sowohl Gemälde und Statuen als geschnittene Steine und Münzen; um aber der Vorstellung des Lesers zu Hilfe zu kommen, habe ich sowohl Steine als Münzen, welche erträglich im Kupfer gestochen sind, aus Büchern zugleich mit angeführt …
Ich habe mich mit einigen Gedanken gewagt, welche nicht genug erwiesen scheinen können: vielleicht aber können sie andern, die in der Kunst der Alten forschen wollen, dienen, weiter zu gehen; und wie oft ist durch eine spätere Entdeckung eine Mutmaßung zur Wahrheit geworden. Mutmaßungen, aber solche, die sich wenigstens durch einen Faden an etwas Festem halten, sind aus einer Schrift dieser Art ebensowenig als die Hypotheses aus der Naturlehre zu verbannen; sie sind wie das Gerüst zu einem Gebäude, ja sie werden unentbehrlich, wenn man, bei dem Mangel der Kenntnisse von der Kunst der Alten, nicht große Sprünge über viel leere Plätze machen will. Unter einigen Gründen, welche ich von Dingen, die nicht klar wie die Sonne sind, angebracht habe, geben sie einzeln genommen nur Wahrscheinlichkeit, aber gesammelt, und einer mit dem anderen verbunden, einen Beweis.“
http://gutenberg.spiegel.de/buch/geschichte-der-kunst-des-altertums-9545/2
Von den Gründen und Ursachen des Aufnehmens und des Vorzugs der griechischen Kunst vor andern Völkern
„Die Kunst der Griechen ist die vornehmste Absicht dieser Geschichte, und es erfordert dieselbe, als der würdigste Vorwurf zur Betrachtung und Nachahmung, da sie sich in unzählig schönen Denkmalen erhalten hat, eine umständliche Untersuchung, die nicht in Anzeigen unvollkommener Eigenschaften und in Erklärungen des Eingebildeten, sondern im Unterricht des Wesentlichen bestände, und in welcher nicht bloß Kenntnisse zum Wissen, sondern auch Lehren zum Ausüben vorgetragen würden. Die Abhandlung von der Kunst der Ägypter, der Etrurier und anderer Völker kann unsere Begriffe erweitern und zur Richtigkeit im Urteil führen; die von den Griechen aber soll suchen, dieselben auf eins und auf das Wahre zu bestimmen, zur Regel im Urteilen und im Wirken.
Diese Abhandlung über die Kunst der Griechen besteht aus vier Stücken: Das erste und vorläufige handelt von den Gründen und Ursachen des Aufnehmens und des Vorzugs der griechischen Kunst vor andern Völkern; das zweite von dem Wesentlichen der Kunst; das dritte von dem Wachstume und von dem Falle derselben; und das vierte von dem mechanischen Teile der Kunst. Den Beschluß dieses Kapitels macht eine Betrachtung über die Malereien aus dem Altertume.
Die Ursache und der Grund von dem Vorzuge, welchen die Kunst unter den Griechen erlangt hat, ist teils dem Einflusse des Himmels, teils der Verfassung und Regierung und der dadurch gebildeten Denkungsart, wie nicht weniger der Achtung der Künstler und dem Gebrauche und der Anwendung der Kunst unter den Griechen zuzuschreiben.
Der Einfluß des Himmels muß den Samen beleben, aus welchem die Kunst soll getrieben werden, und zu diesem Samen war Griechenland der auserwählte Boden; und das Talent zur Philosophie, welches Epicurus den Griechen allein beilegen wollen, könnte mit mehrerm Rechte von der Kunst gelten. Vieles, was wir uns als idealisch vorstellen möchten, war die Natur bei ihnen. Die Natur, nachdem sie stufenweise durch Kälte und Hitze gegangen, hat sich in Griechenland, wo eine zwischen Winter und Sommer abgewogene Witterung ist, wie in ihrem Mittelpunkte gesetzt, und je mehr sie sich demselben nähert, desto heiterer und fröhlicher wird sie, und desto allgemeiner ist ihr Wirken in geistreichen witzigen Bildungen und in entschiedenen und vielversprechenden Zügen. Wo die Natur weniger in Nebeln und in schweren Dünsten eingehüllt ist, gibt sie dem Körper zeitiger eine reifere Form; sie erhebt sich in mächtigen, sonderlich weiblichen Gewächsen, und in Griechenland wird sie ihre Menschen auf das feinste vollendet haben. Die Griechen waren sich dieses und überhaupt, wie Polybius sagt, ihres Vorzugs vor andern Völkern bewußt, und unter keinem Volke ist die Schönheit so hoch als bei ihnen geachtet worden; deswegen blieb nichts verborgen, was dieselbe erheben konnte, und die Künstler sahen die Schönheit täglich vor Augen. Ja es war dieselbe gleichsam ein Verdienst zum Ruhme, und wir finden in den griechischen Geschichten die schönsten Leute angemerkt: gewisse Personen wurden von einem einzigen schönen Teile der Bildung, wie Demetrius Phalereus von seinen schönen Augenbrauen, mit einem besonderen Namen bezeichnet. Daher wurden Wettspiele der Schönheit bereits in den allerältesten Zeiten vom Kypselus, König in Arkadien, zur Zeit der Heraklider, bei dem Flusse Alpheus, in der Landschaft Elis, angeordnet; und an dem Feste des Philesischen Apollo war auf den gelehrtesten Kuß unter jungen Leuten ein Preis gesetzt. Eben dieses geschah unter Entscheidung eines Richters, wie vermutlich auch dort zu Megara bei dem Grabe des Diokles. Zu Sparta und zu Lesbus, in dem Tempel der Juno und bei den Parrhasiern waren Wettstreite der Schönheit unter dem weiblichen Geschlechte.
In Absicht der Verfassung und Regierung von Griechenland ist die Freiheit die vornehmste Ursache des Vorzugs der Kunst. Die Freiheit hat in Griechenland alle Zeit den Sitz gehabt, auch neben dem Throne der Könige, welche väterlich regierten, ehe die Aufklärung der Vernunft ihnen die Süßigkeit einer völligen Freiheit schmecken ließ, und Homerus nennt den Agamemnon einen Hirten der Völker, dessen Liebe für dieselben und Sorge für ihr Bestes anzudeuten. Ob sich gleich nachher Tyrannen aufwarfen, so waren sie es nur in ihrem Vaterlande, und die ganze Nation hat niemals ein einziges Oberhaupt erkannt. Daher ruhte nicht auf einer Person allein das Recht, groß in seinem Volke zu sein und sich mit Ausschließung anderer verewigen zu können.
Die Kunst wurde schon sehr zeitig gebraucht, das Andenken einer Person auch durch seine Figur zu erhalten, und hierzu stand einem jeden Griechen der Weg offen. Da nun die ältesten Griechen das Gelernte dem, wo sich die Natur vornehmlich äußerte, weit nachsetzten, so wurden auch die ersten Belohnungen auf Leibesübungen gesetzt, und wir finden von einer Statue Nachricht, welche zu Elis einem spartanischen Ringer, Eutelides, schon in der achtunddreißigsten Olympias aufgerichtet worden; und vermutlich ist dieselbe nicht die erste gewesen. In kleineren Spielen, wie zu Megara, wurde ein Stein mit dem Namen des Siegers aufgerichtet. Daher suchten sich die größten Männer unter den Griechen in der Jugend in den Spielen hervorzutun; Chrysippus und Kleanthes wurden hier eher als durch ihre Weltweisheit bekannt; ja Platon selbst erschien unter den Ringern in den Isthmischen Spielen zu Korinth und in den Pythischen zu Sikyon. Pythagoras trug zu Elis den Preis davon und unterrichtete den Eurymenes, daß er an eben dem Orte den Sieg erhielt …
Durch die Freiheit erhob sich, wie ein edler Zweig aus einem gesunden Stamme, das Denken des ganzen Volks. Denn wie der Geist eines zum Denken gewöhnten Menschen sich höher zu erheben pflegt im weiten Felde oder auf einem offenen Gange, auf der Höhe eines Gebäudes als in einer niedrigen Kammer und in jedem eingeschränkten Orte, so muß auch die Art zu denken unter den freien Griechen gegen die Begriffe beherrschter Völker sehr verschieden gewesen sein. Herodotus zeigt, daß die Freiheit allein der Grund gewesen von der Macht und Hoheit, zu welcher Athen gelangt ist, da diese Stadt vorher, wenn sie einen Herrn über sich erkennen müssen, ihren Nachbarn nicht gewachsen sein können. Die Redekunst fing an aus eben dem Grunde allererst in dem Genusse der völligen Freiheit unter den Griechen zu blühen; daher legten die Sizilianer dem Gorgias die Erfindung der Redekunst bei. Die Griechen waren in ihrer besten Zeit denkende Wesen, welche zwanzig und mehr Jahre schon gedacht hatten, ehe wir insgemein aus uns selbst zu denken anfangen, und die den Geist in seinem größten Feuer, von der Munterkeit des Körpers unterstützt, beschäftigen, welcher bei uns, bis er abnimmt, unedel genährt wird. Der unmündige Verstand, welcher wie eine zarte Rinde den Einschnitt behält und erweitert, wurde nicht mit bloßen Tönen ohne Begriffe unterhalten, und das Gehirn, gleich einer Wachstafel, die nur eine gewisse Anzahl Worte oder Bilder fassen kann, war nicht mit Träumen erfüllt, wenn die Wahrheit Platz nehmen will. Gelehrt sein, das ist, zu wissen, was andere gewußt haben, wurde spät gesucht; gelehrt, im heutigen Verstande, zu sein, war in ihrer besten Zeit leicht, und weise konnte ein jeder werden. Denn es war eine Eitelkeit weniger in der Welt, nämlich viel Bücher zu kennen, da allererst nach der einundsechzigsten Olympias die zerstreuten Glieder des größten Dichters gesammelt wurden. Diesen lernte das Kind; der Jüngling dachte wie der Dichter, und wenn er etwas Würdiges hervorgebracht hatte, so war er unter die Ersten seines Volkes gerechnet.
Ein weiser Mann war der geehrteste, und dieser war in jeder Stadt, wie bei uns der reichste, bekannt; so wie es der junge Scipio war, welcher die Cybele nach Rom führte. Zu dieser Achtung konnte der Künstler auch gelangen; ja Sokrates erklärte die Künstler allein für weise, als diejenigen, welche es sind und nicht scheinen, und vielleicht in dieser Überzeugung ging Äsopus beständig unter den Bildhauern und Baumeistern umher. In viel späterer Zeit war der Maler Diognetus einer von denen, welche den Marcus Aurelius die Weisheit lehrten. Dieser Kaiser bekennt, daß er von demselben gelernt habe, das Wahre von dem Falschen zu unterscheiden und nicht Torheiten für würdige Sachen anzunehmen. Der Künstler konnte ein Gesetzgeber werden: denn alle Gesetzgeber waren gemeine Bürger, wie Aristoteles bezeugt. Er konnte Kriegsheere führen, wie Lamachus, einer der dürftigsten Bürger zu Athen, und seine Statue neben dem Miltiades und Themistokles, ja neben den Göttern selbst gesetzt sehen: so stellten Xenophilus und Strato ihre sitzenden Figuren bei ihrer Statue des Äsculapius und der Hygiea zu Argus. Chirisophus, der Meister des Apollo zu Tegea, stand in Marmor neben seinem Werke, und Alkamenes war erhaben gearbeitet an dem Gipfel des Eleusinischen Tempels; Parrhasius und Silanion wurden in ihrem Gemälde des Theseus zugleich mit diesem verehrt. Andere Künstler setzten ihren Namen auf ihr Werk und Phidias den seinigen zu den Füßen des Olympischen Jupiters. Es stand auch an verschiedenen Statuen der Sieger zu Elis der Name der Künstler, und an dem Wagen mit vier Pferden von Erz, welchen der Sohn des Königs Hiero zu Syrakus, Dinomenes, seinem Vater setzen ließ, war in zwei Versen angezeigt, daß Onatas der Meister dieses Werkes sei. Dieser Gebrauch aber war dennoch nicht so allgemein, daß man aus dem Mangel des Namens des Künstlers an vorzüglichen Statuen schließen könnte, daß es Werke aus spätern Zeiten seien. Dieses war nur zu erwarten von Leuten, die Rom im Traume oder wie junge Reisende in einem Monate gesehen.
Die Ehre und das Glück des Künstlers hingen nicht von dem Eigensinne eines unwissenden Stolzes ab, und ihre Werke waren nicht nach dem elenden Geschmacke oder nach dem übelgeschaffenen Auge eines durch die Schmeichelei und Knechtschaft aufgeworfenen Richters gebildet, sondern die Weisesten des ganzen Volkes urteilten und belohnten sie, und ihre Werke in der Versammlung aller Griechen und zu Delphos und zu Korinth waren Wettspiele der Malerei unter besondern dazu bestellten Richtern, welche zur Zeit des Phidias angeordnet wurden. Hier wurde zuerst Panäus, der Bruder oder, wie andere wollen, der Schwester Sohn des Phidias, mit dem Timagoras von Chalkis gerichtet, und der letzte erhielt den Preis. Vor solchen Richtern erschien Aetion mit seiner Vermählung Alexanders und der Roxane: derjenige Vorsitzer, welcher den Ausspruch tat, hieß Proxenides, und er gab dem Künstler seine Tochter zur Ehe. Man sieht, daß ein allgemeiner Ruf auch an anderen Orten die Richter nicht geblendet, dem Verdienste das Recht abzusprechen: denn zu Samos wurde Parrhasius in dem Gemälde des Urteils über die Waffen des Achilles dem Timanthes nachgesetzt. Aber die Richter waren nicht fremd in der Kunst: denn es war eine Zeit in Griechenland, wo die Jugend in den Schulen der Weisheit sowohl als der Kunst unterrichtet wurde. Daher arbeiteten die Künstler für die Ewigkeit, und die Belohnungen ihrer Werke setzten sie in Stand, ihre Kunst über alle Absichten des Gewinns und der Vergeltung zu erheben. So malte Polygnotus das Poikile zu Athen und, wie es scheint, auch ein öffentliches Gebäude zu Delphos ohne Entgelt aus, und die Erkenntlichkeit gegen diese letztere Arbeit scheint der Grund zu sein, welcher die Amphyktiones oder den allgemeinen Rat der Griechen bewogen, diesem großmütigen Künstler eine freie Bewirtung durch ganz Griechenland auszumachen.
Überhaupt wurde alles Vorzügliche in allerlei Kunst und Arbeit besonders geschätzt, und der beste Arbeiter in der geringsten Sache konnte zur Verewigung seines Namens gelangen. Wir wissen noch jetzt den Namen des Baumeisters einer Wasserleitung auf der Insel Samos und desjenigen, der daselbst das größte Schiff gebaut hat; ingleichen den Namen eines berühmten Steinmetzen, welcher in Arbeit an Säulen sich hervortat; er hieß Architeles. Es sind die Namen zweier Weber oder Sticker bekannt, die einen Mantel der Pallas Polias zu Athen arbeiteten. Wir wissen den Namen eines Arbeiters von sehr richtigen Waagen oder Waageschalen; er hieß Parthenius. Ja es hat sich der Name des Sattlers, wie wir ihn nennen würden, erhalten, der den Schild des Ajax von Leder machte. In dieser Absicht scheinen die Griechen vieles, was besonders war, nach dem Namen des Meisters, der es gemacht hatte, benannt zu haben, und unter dergleichen Namen blieben die Sachen immer bekannt. Zu Samos wurden hölzerne Leuchter gemacht, die in großem Werte gehalten wurden; Cicero arbeitete auf seines Bruders Landhause des Abends bei dergleichen Leuchter. Auf der Insel Naxus waren jemandem, welcher zuerst den pentelischen Marmor in der Form von Ziegeln gearbeitet hatte, um Gebäude damit zu decken, bloß wegen dieser Entdeckung Statuen gesetzt. Vorzügliche Künstler hatten den Namen Göttliche, wie Alcimedon beim Virgilius.
Der Gebrauch und die Anwendung der Kunst erhielt dieselbe in ihrer Großheit. Denn da sie nur den Göttern geweiht und für das Heiligste und Nützlichste im Vaterlande bestimmt war, und in den Häusern der Bürger Mäßigkeit und Einfalt wohnte, so wurde der Künstler nicht auf Kleinigkeiten oder auf Spielwerke durch Einschränkung des Ortes oder durch die Lüsternheit des Eigentümers heruntergesetzt, sondern was er machte, war den stolzen Begriffen des ganzen Volks gemäß. Miltiades, Themistokles, Aristides und Kimon, die Häupter und Erretter von Griechenland, wohnten nicht besser als ihr Nachbar. Grabmale aber wurden als heilige Gebäude angesehen; daher es nicht befremden muß, wenn sich Nikias, der berühmte Maler, [hat] gebrauchen lassen, ein Grabmal vor der Stadt Tritia in Achaja auszumalen. Man muß auch erwägen, wie sehr es die Nacheiferung in der Kunst befördert habe, wenn ganze Städte, eine vor der anderen, eine vorzügliche Statue zu haben suchten, und wenn ein ganzes Volk die Kosten zu einer Statue sowohl von Göttern als von Siegern in den öffentlichen Spielen aufbrachten. Einige Städte waren auch im Altertume selbst bloß durch eine schöne Statue bekannt, wie Aliphera wegen einer Pallas von Erz, von Hecatodorus und Sostratus gemacht.“
http://gutenberg.spiegel.de/buch/geschichte-der-kunst-des-altertums-9545/13
Über die Wollust
Völlig unwichtig, aber da dem Wurm die Winckelmannsche Wollust so gut gefallen hat, sei sie hier zitiert:
„Capua, welches von den Etruriern erbaut worden und nach dem Livius eine Stadt der Samniter war, das ist, wie er anderswo berichtet, von diesen jenen abgenommen worden, war wegen der Wollust und Weichlichkeit berühmt …
Die Kampaner waren ein Volk, denen ein sanfter Himmel, welchen sie genossen, und der reiche Boden, welchen sie bauten, die Wollust einflößten.“
http://gutenberg.spiegel.de/buch/geschichte-der-kunst-des-altertums-9545/12
„Diese Verschiedenheit der Meinungen zeigt sich noch mehr in dem Urteile über abgebildete Schönheiten in der Kunst als in der Natur selbst. Denn weil jene weniger als diese reizen, so werden auch jene, wenn sie nach Begriffen hoher Schönheit gebildet und mehr ernsthaft als leichtfertig sind, dem unerleuchteten Sinne weniger gefallen als eine gemeine hübsche Bildung, die reden und handeln kann. Die Ursache liegt in unseren Lüsten, welche bei den meisten Menschen durch den ersten Blick erregt werden, und die Sinnlichkeit ist schon angefüllt, wenn der Verstand suchen wollte, das Schöne zu genießen: alsdann ist es nicht die Schönheit, die uns einnimmt, sondern die Wollust. Dieser Erfahrung zufolge werden jungen Leuten, bei welchen die Lüste in Wallung und Gärung sind, mit schmachtenden und brünstigen Reizungen bezeichnete Gesichter, wenn sie auch nicht wahrhaftig schön sind, Göttinnen erscheinen, und sie werden weniger gerührt werden über eine solche schöne Frau, die Zucht und Wohlstand in Gebärde und Handlungen zeigt, welche die Bildung und die Majestät der Juno hätte.“
http://gutenberg.spiegel.de/buch/geschichte-der-kunst-des-altertums-9545/14
„Bis an die 147. Olympias und bis zum Siege des Lucius Scipio, des Bruders des älteren Scipio Africanus, über Antiochus den Großen waren die Statuen der Gottheiten in den Tempeln zu Rom mehrenteils nur von Holz oder von Ton, und es waren wenige öffentliche prächtige Gebäude in Rom. Dieser Sieg aber, welcher die Römer zu Herren von Asien bis an das Gebirge Taurus machte und Rom mit einer unbeschreiblichen Beute asiatischer Pracht erfüllte, erhob auch die Pracht in Rom, und die asiatischen Wollüste wurden daselbst bekannt und eingeführt; um eben die Zeit kamen die Bacchanalia von den Griechen unter die Römer. L. Scipio führte unter andern Schätzen in seinem Triumphe auf: von silbernen getriebenen und geschnitzten Gefäßen tausendvierhundertvierundzwanzig Pfund; von goldenen Gefäßen, die ebenso ausgearbeitet waren, tausendundvierundzwanzig Pfund.“
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„In Asien und an dem Hofe der Könige in Syrien erging es der griechischen Kunst, wie wenn ein Licht, ehe es aus Mangel der Nahrung verlöscht, vorher in eine helle Flamme auflodert und alsdann verschwindet. Antiochus IV., der jüngere Sohn Antiochus' des Großen, welcher seinem ältern Bruder Seleucus IV. in der Regierung folgte, liebte die Ruhe und suchte seine Tage wollüstig zu genießen: die Kunst und die Unterredung mit den Künstlern war seine vornehmste Beschäftigung; er ließ nicht allein für sich, sondern auch für die Griechen arbeiten. In dem Tempel des Jupiter zu Antiochia, welcher ohne Decke geblieben war, ließ er dieselbe vergoldet machen und alle Mauern inwendig mit vergoldeten Blechen belegen, und in demselben ließ er eine Statue der Gottheit, in der Größe des olympischen Jupiters des Phidias, setzen. Den Tempel des olympischen Jupiters zu Athen, den einzigen, welcher, wie die Alten sagen, der Größe des Jupiters anständig war, ließ er prächtig ausbauen, und den Tempel des Apollo zu Delos ließ er mit einer Menge Altäre und Statuen auszieren; der Stadt Tegea baute er ein prächtiges Theater von Marmor.“
http://gutenberg.spiegel.de/buch/geschichte-der-kunst-des-altertums-9545/23
Kunst hängt von Zeit und ihren Veränderungen ab
„Der zweite Teil dieser Geschichte ist, was wir im engeren Verstande Geschichte nennen, und zwar der Schicksale der Kunst unter den Griechen, in Absicht der äußeren Umstände von Griechenland betrachtet, welche den größten Einfluß in die Kunst haben. Denn die Wissenschaften, ja die Weisheit selbst, hängen von der Zeit und ihren Veränderungen ab, noch mehr aber die Kunst, welche durch den Überfluß und vielmals durch die Eitelkeit genährt und unterhalten wird. Es war also nötig, die Umstände anzuzeigen, in welchen sich die Griechen von Zeit zu Zeit befunden haben, welches kürzlich und bloß in Absicht auf unser Vorhaben geschehen wird; und aus dieser ganzen Geschichte erhellt, daß es die Freiheit gewesen, durch welche die Kunst emporgebracht wurde. Da ich nun eine Geschichte der Kunst und nicht der Künstler [habe] geben wollen, so haben die Leben von diesen, welche von vielen andern beschrieben sind, hier keinen Platz; aber ihre vornehmsten Werke sind angegeben, und einige sind nach der Kunst betrachtet.“
http://gutenberg.spiegel.de/buch/geschichte-der-kunst-des-altertums-9545/21
Laokoon
„Das gütige Schicksal aber, welches auch über die Künste bei ihrer Vertilgung noch gewacht, hat aller Welt zum Wunder ein Werk aus dieser Zeit der Kunst erhalten, zum Beweis von der Wahrheit der Geschichte von der Herrlichkeit so vieler vernichteter Meisterstücke. Laokoon nebst seinen beiden Söhnen, von Agesander, Apollodorus und Athanodorus aus Rhodus gearbeitet, ist nach aller Wahrscheinlichkeit aus dieser Zeit, ob man gleich dieselbe nicht bestimmen und, wie einige getan haben, die Olympias, in welcher diese Künstler geblüht haben, angeben kann. Wir wissen, daß man dieses Werk schon im Altertume allen Gemälden und Statuen vorziehen wollte, und also verdient es bei der niedrigen Nachwelt, die nichts in der Kunst demselben zu vergleichen hervorgebracht hat, um desto größere Aufmerksamkeit und Bewunderung. Der Weise findet darinnen zu forschen und der Künstler unaufhörlich zu lernen, und beide können überzeugt werden, daß mehr in demselben verborgen liegt, als was das Auge entdeckt, und daß der Verstand des Meisters viel höher noch als sein Werk gewesen.
Laokoon ist eine Natur im höchsten Schmerze, nach dem Bilde eines Mannes gemacht, der die bewußte Stärke des Geistes gegen denselben zu sammeln sucht; und indem sein Leiden die Muskeln aufschwellt und die Nerven anzieht, tritt der mit Stärke bewaffnete Geist in der aufgetriebenen Stirn hervor, und die Brust erhebt sich durch den beklemmten Atem und durch Zurückhaltung des Ausbruchs der Empfindung, um den Schmerz in sich zu fassen und zu verschließen. Das bange Seufzen, welches er in sich und den Atem an sich zieht, erschöpft den Unterleib und macht die Seiten hohl, welches uns gleichsam von der Bewegung seiner Eingeweide urteilen läßt. Sein eigenes Leiden aber scheint ihn weniger zu beängstigen als die Pein seiner Kinder, die ihr Angesicht zu ihrem Vater wenden und um Hilfe schreien: denn das väterliche Herz offenbart sich in den wehmütigen Augen, und das Mitleiden scheint in einem trüben Dufte auf denselben zu schwimmen. Sein Gesicht ist klagend, aber nicht schreiend, seine Augen sind nach der höheren Hilfe gewandt. Der Mund ist voll Wehmut und die gesenkte Unterlippe schwer von derselben; in der überwärts gezogenen Oberlippe aber ist dieselbe mit Schmerz vermischt, welcher mit einer Regung von Unmut, wie über ein unverdientes unwürdiges Leiden, in die Nase hinauftritt, dieselbe schwülstig macht und sich in den erweiterten und aufwärts gezogenen Nüstern offenbart. Unter der Stirn ist der Streit zwischen Schmerz und Widerstand, wie in einem Punkte vereinigt, mit großer Weisheit gebildet: denn indem der Schmerz die Augenbrauen in die Höhe treibt, so drückt das Sträuben wider denselben das obere Augenfleisch niederwärts und gegen das obere Augenlid zu, so daß dasselbe durch das übergetretene Fleisch beinahe ganz bedeckt wird. Die Natur, welche der Künstler nicht verschönern konnte, hat er ausgewickelter, angestrengter und mächtiger zu zeigen gesucht: da, wohin der größte Schmerz gelegt ist, zeigt sich auch die größte Schönheit. Die linke Seite, in welche die Schlange mit wütenden Bisse ihr Gift ausgießt, ist diejenige, welche durch die nächste Empfindung zum Herzen am heftigsten zu leiden scheint, und dieser Teil des Körpers kann als ein Wunder der Kunst genannt werden. Seine Beine wollen sich erheben, um seinem Übel zu entrinnen; kein Teil ist in Ruhe: ja die Meißelstreiche selbst helfen zur Bedeutung einer erstarrten Haut.
Es haben einige wider dieses Werk Zweifel aufgeworfen, und weil es nicht aus einem einzigen Stücke besteht, welches Plinius von dem Laokoon in den Bädern des Titus versichert, sondern aus zwei Stücken zusammengesetzt ist, will man behaupten, es sei der gegenwärtige Laokoon nicht der alte so berühmte. Pirro Ligorio ist einer von denselben, und er will aus Stücken von Füßen und Schlangen, die größer als die Natur waren und sich zu dessen Zeit fanden, glauben machen, der wahre alte Laokoon sei viel größer als der jetzige gewesen, und dieses vorausgesetzt, will er angezeigte Stücke viel schöner als die Statue im Belvedere gefunden haben; dieses schreibt derselbe in seinen Handschriften in der Vatikanischen Bibliothek. Den unerheblichen Zweifel über die zwei Stücke haben auch andere angeführt, ohne zu bedenken, daß die Fuge ehemals nicht wie jetzt sichtbar gewesen sein wird. Das Vorgeben des Ligorio aber ist nur zu merken wegen eines verstümmelten Kopfes über Lebensgröße unter den Trümmern hinter dem Farnesischen Palaste, an welchem man noch eine Ähnlichkeit mit dem Kopfe des Laokoon bemerkt, und der vielleicht zu den obigen Füßen und Schlangen gehört; jetzt ist dieser verstümmelte Kopf nebst andern Trümmern nach Neapel geführt worden. Ich kann nicht unangemerkt lassen, daß sich zu St. Ildefonse, dem Lustschlosse des Königs von Spanien, ein erhoben gearbeitetes Werk findet, welches den Laokoon nebst seinen beiden Söhnen vorstellt, über welchen ein fliegender Cupido schwebt, als wenn er ihnen zu Hilfe kommen wollte.“
http://gutenberg.spiegel.de/buch/geschichte-der-kunst-des-altertums-9545/22
Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Altertums - Vorrede
„Diese Anmerkungen waren nicht bestimmt, besonders zu erscheinen, sondern ich würde vermittelst derselben eine vermehrte und verbesserte Ausgabe der Geschichte der Kunst haben liefern können; aber die starke Auflage derselben und die französische Übersetzung haben mich bewogen, meine Bemerkungen, die ich bei Gelegenheit angezeichnet hatte, zu sammeln. Denn auf der einen Seite würde ich noch lange haben anstehen müssen, was ich nötig fand, zu erinnern, auf der anderen Seite aber, da die Geschichte der Kunst in fremder Tracht, obgleich ungeschickt und unwissend eingekleidet, sich allgemeiner gemacht, erachte ich es [für] meine Schuldigkeit, diese Arbeit durch gegenwärtige Zusätze vollständiger zu machen.
Ich entsehe mich nicht, die Mängel der Geschichte der Kunst zu bekennen; so wie es aber keine Schande ist, auf der Jagd in einem Walde nicht alles Wild zu fangen oder Fehlschüsse zu tun, so hoffe ich Entschuldigung zu verdienen über das, was von mir übergangen oder nicht bemerkt worden, und wenn ich nicht allezeit den rechten Fleck getroffen habe. Ich kann hingegen auch versichern, daß manches sowohl dort als hier mit Fleiß nicht berührt worden, teils weil aus Mangel der Kupfer die Anzeige undeutlich oder mangelhaft gewesen sein würde, teils weil ich mich in gelehrte Untersuchungen hätte einlassen müssen, die zu weit von meinem Zwecke abgegangen wären. Denn die Gelehrsamkeit soll in Abhandlungen über die Kunst der geringste Teil sein, wie denn dieselbe, wo sie nichts Wesentliches lehrt, für nichts zu achten ist und alsdann wie bei seichten Rednern oder bei schlechten Saitenschlägern (um mit den Alten zu reden) das Husten zu sein pflegt, nämlich ein Zeichen des Mangels. Ich gestehe auch gerne, daß ich zuweilen einige Kleinigkeiten nicht völlig richtig angegeben gehabt, weil man oft dem Gedächtnis zu sehr traut, oder Gänge an entlegene Orte ersparen will, und dieser Vorwurf würde weniger bedeutend sein als derjenige, den man mit Recht dem Prideaux macht, welcher die Arundelischen Marmor[-Statuen], da er zu Oxford war, wo dieselben an einem Orte beisammen stehen, in dunkelen Stellen nicht selbst untersucht hat."
http://gutenberg.spiegel.de/buch/geschichte-der-kunst-des-altertums-9545/25
Aussagen und Bedeutung
Die Bedeutung von Winckelmanns Werk (im Gegensatz zur Herangehensweise vor ihm) lässt sich in Stichworten folgendermaßen ausdrücken:
- Systematik
- Stile als Kennzeichen einzelner Kunstepochen
- Entwicklung der Kunst hängt von außerkünstlichen Faktoren wie Klima und politischer Verfassung ab
- Interpretation antiker Kunst lässt sich nicht auf ein Werk und eine Gattung beschränken, sondern muss alle in Frage kommenden Gattungen berücksichtigen: Skulpturen, Bilder, Münzen, Gemmen
- möglichst enge Verbindungen zur antiken literarischen und epigraphischen Überlieferung
- alles wird aufeinander bezogen
- das einzelne Werk wird im Kontext seiner Gattung und seiner Entstehungszeit betrachtet, ohne dabei seine auch überzeitliche Wirkung zu vergessen
- Wichtiges wird von weniger Wichtigem getrennt
Edle Einfalt, stille Größe
„Um die Antikebegeisterung des 18. Jahrhunderts, die geistige Aufladung der Weimarer Klassik und auch unsere Wahrnehmung der Antike verstehen zu lernen, lohnt ein Blick auf Winckelmanns kunsthistorische Aufsätze. Berühmt geworden ist das Zitat von der „edlen Einfalt und stillen Größe“ …
Das, worum es dem Autor in der Hauptsache geht, haben wir jetzt schön öfter gehört. Es steckt gleich im ersten Satz der Abhandlung zur Laokoon-Gruppe: „Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt und eine stille Größe“.
„Edle Einfalt und stille Größe“ - was meint Winckelmann damit? Einfalt – einfältig ist doch einer, der ein wenig naiv, vielleicht sogar etwas töricht ist. Im Deutschen Universalwörterbuch steht erstens „auf geistiger Beschränktheit, mangelndem Urteilsvermögen beruhende Arglosigkeit; Naivität“. Passt für den Laokoon also bestimmt nicht! Unter zweitens heißt es dann aber „Einfachheit und Reinheit, Lauterkeit des Geistes, des Gemüts“. Passt! Zu Winckelmanns Zeit war diese zweite Lesart gängig und so kommen wir der Sache näher. Es ist also eine sittliche Komponente, die Winckelmann mit dem Begriff der Einfalt aufruft. Mit dem Adjektiv edel wird die positiv verstandene Einfalt dann auch noch verstärkt. In dem kleinen, aber feinen Wörtchen steckt der Adel und mit dem Adel, der Aristokratie, sind die Besten gemeint. Und so wird die schlichte Formulierung „edle Einfalt“ zu einem Superlativ, der seinesgleichen sucht. In der Laokoon-Gruppe drückt sich ein Adel aus, der sich auf das Wesen, den inneren Kern, die Seele dieser Figuren bezieht. Sie sind nicht nur vornehm qua ihrer Herkunft, sie sind nicht antrainiert vornehm, sondern sie besitzen diese Noblesse ganz selbstverständlich, ganz natürlich. Nichts ist hier gekünstelt, alles ist echt – das eben sieht Winckelmann in den Figuren. Edel ist man oder ist es eben nicht.
Stille Größe – Größe kann sich auf Vieles beziehen, auf die Statur, auf Macht und Einfluss. Was aber ist hier das Thema? Am Ende dieser Geschichte steht der Tod und davor unsägliche Qualen. Die Laokoon-Gruppe zeigt den Moment größten Leidens. Wie dieser Moment gestaltet wird, beschreibt und bewertet Winckelmann mit dem Ausdruck „stille Größe“. „Laokoon erhebet kein schreckliches Geschrei […]: Die Öffnung des Mundes gestattet es nicht“.
Laokoon schlägt nicht wie wild um sich. Die Skulptur strahlt im Moment des größten Schmerzes Ruhe und Konzentration aus. Es wird hier ein Konzentrat gezeigt, die Essenz also von dem, was und wer Laokoon ist. An der Grenze zwischen Leben und Sterben wird die Seele sichtbar und diese ist groß, würdevoll. Sie ist es einfach, braucht es nicht zu beweisen, kann ruhig, kann still bleiben – stille Größe eben.“
„Für Winckelmann zeigte sich echte Schönheit nur im Zustand der Ruhe. „Edle Einfalt“ und „stille Größe“ hieß seine vielzitierte Forderung. Ausgreifende Bewegungen oder dramatische Mimik erschienen als Ausdruck von Hemmungslosigkeit, als deplatziert. Es galt, die menschlichen Leidenschaften zu beherrschen. Im Unterschied zu Darstellungen im Barock sollte das Äußere auch das Innere widerspiegeln.“
http://blog.staedelmuseum.de/schonheit-im-klassizismus-kuhlschrankerotik-oder-zeitloses-ideal/
Schönheit
„In seiner Programm-Schrift „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“, die er 1754/55 in nur 50 Exemplaren veröffentlichte, benutzte WINCKELMANN erstmals das Begriffspaar „edle Einfalt und stille Größe“, das für die deutsche Klassik so wegweisend sein sollte …
Denn mit diesem Begriffspaar bestimmte er das Schönheitsideal der deutschen Klassik. Er legte fest, was als mustergültig, vorbildhaft gelten konnte: Die Kultur und Kunst des antiken Griechenlands. Damit lenkte er den Blick der „späteren Klassiker“ GOETHE und SCHILLER auf das klassische Ideal:
„Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten, und was jemand vom Homer gesagt, daß derjenige ihn bewundern lernet, der ihn wohl verstehen gelernet, gilt auch von den Kunstwerken der Alten, sonderlich der Griechen. Man muß mit ihnen, wie mit seinem Freunde, bekannt geworden sein, um den Laokoon ebenso unnachahmlich als den Homer zu finden. In solcher genauen Bekanntschaft wird man wie Nikomachos von der Helena des Zeuxis urteilen: „Nimm meine Augen“, sagte er zu einen Unwissenden, der das Bild tadeln wollte, „so wird sie dir eine Göttin scheinen.“.
Klassik bedeutete, den Menschen in seiner Idealgestalt zu zeigen und das nicht nur in seiner Körperlichkeit, sondern auch in seiner Geisteshaltung („große und gesetzte Seele“) …
GOETHE beschäftigte sich schon früh mit den Texten WINCKELMANNs, so erwähnt er ihn beiläufig in seinem Reisetagebuch „Italienische Reise“. Auch seine Zeichnungen der Laokoon-Gruppe, die er in Rom anfertigte, gehen auf die Lektüre des Stendalers zurück. Erst Jahre später, nach WINCKELMANNs Tod und als die Romantik sich als neue Sichtweise der Künste etabliert hatte, äußerte sich der Dichterfürst aus Weimar, auch um sich von der neuen Strömung abzusetzen. GOETHE gab 1805 das Bändchen „Winckelmann und sein Jahrhundert“ der Weimarischen Kunstfreunde („W.K.F.“) heraus, an dem er selbst auch als Autor mitwirkte. Darin setzte er WINCKELMANN ein literarisches Denkmal, indem er schrieb:
„Er sieht mit den Augen, er faßt mit dem Sinn unaussprechliche Werke, und doch fühlt er den unwiderstehlichen Drang, mit Worten und Buchstaben ihnen beizukommen. Das vollendete Herrliche, die Idee, woraus diese Gestalt entsprang, das Gefühl, das in ihm beim Schauen erregt ward, soll dem Hörer, dem Leser mitgeteilt werden, und indem er nun die ganze Rüstkammer seiner Fähigkeiten mustert, sieht er sich genötigt, nach dem Kräftigsten und Würdigsten zu greifen, was ihm zum Gebote steht. Er muß Poet sein, er mag daran denken, er mag wollen oder nicht“.“
https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/artikel/johann-joachim-winckelmann
Johann Wolfgang Goethe in „Winkelmann und sein Jahrhundert“: „Wenn aber jenes tiefe Freundschaftsbedürfnis sich eigentlich seinen Gegenstand erschafft und ausbildet, so würde dem altertümlich Gesinnten dadurch nur ein einseitiges, ein sittliches Wohl zuwachsen, die äußere Welt würde ihm wenig leisten, wenn nicht ein verwandtes, gleiches Bedürfnis und ein befriedigender Gegenstand desselben glücklich hervorträte; wir meinen die Forderung des sinnlich Schönen und das sinnlich Schöne selbst: denn das letzte Produkt der sich immer steigernden Natur ist der schöne Mensch. Zwar kann sie ihn nur selten hervorbringen, weil ihren Ideen gar viele Bedingungen widerstreben, und selbst ihrer Allmacht ist es unmöglich, lange im Vollkommnen zu verweilen und dem hervorgebrachten Schönen eine Dauer zu geben. Denn genau genommen kann man sagen, es sei nur ein Augenblick, in welchem der schöne Mensch schön sei.
Dagegen tritt nun die Kunst ein, denn indem der Mensch auf den Gipfel der Natur gestellt ist, so sieht er sich wieder als eine ganze Natur an, die in sich abermals einen Gipfel hervorzubringen hat. Dazu steigert er sich, indem er sich mit allen Vollkommenheiten und Tugenden durchdringt, Wahl, Ordnung, Harmonie und Bedeutung aufruft und sich endlich bis zur Produktion des Kunstwerkes erhebt, das neben seinen übrigen Taten und Werken einen glänzenden Platz einnimmt. Ist es einmal hervorgebracht, steht es in seiner idealen Wirklichkeit vor der Welt, so bringt es eine dauernde Wirkung, es bringt die höchste hervor: denn indem es aus den gesamten Kräften sich geistig entwickelt, so nimmt es alles Herrliche, Verehrungs- und Liebenswürdige in sich auf und erhebt, indem es die menschliche Gestalt beseelt, den Menschen über sich selbst, schließt seinen Lebens- und Tatenkreis ab und vergöttert ihn für die Gegenwart, in der das Vergangene und Künftige begriffen ist. Von solchen Gefühlen wurden die ergriffen, die den Olympischen Jupiter erblickten, wie wir aus den Beschreibungen, Nachrichten und Zeugnissen der Alten uns entwickeln können. Der Gott war zum Menschen geworden, um den Menschen zum Gott zu erheben. Man erblickte die höchste Würde und ward für die höchste Schönheit begeistert. In diesem Sinne kann man wohl jenen Alten recht geben, welche mit völliger Überzeugung aussprachen: es sei ein Unglück, zu sterben, ohne dieses Werk gesehen zu haben.
Für diese Schönheit war Winckelmann, seiner Natur nach, fähig, er ward sie in den Schriften der Alten zuerst gewahr; aber sie kam ihm aus den Werken der bildenden Kunst persönlich entgegen, aus denen wir sie erst kennenlernen, um sie an den Gebilden der lebendigen Natur gewahr zu werden und zu schätzen.
Finden nun beide Bedürfnisse der Freundschaft und der Schönheit zugleich an einem Gegenstande Nahrung, so scheint das Glück und die Dankbarkeit des Menschen über alle Grenzen hinauszusteigen, und alles, was er besitzt, mag er so gern als schwache Zeugnisse seiner Anhänglichkeit und seiner Verehrung hingeben.
So finden wir Winckelmann oft in Verhältnis mit schönen Jünglingen, und niemals erscheint er belebter und liebenswürdiger als in solchen oft nur flüchtigen Augenblicken.“
https://www.lernhelfer.de/sites/default/files/lexicon/pdf/BWS-DEU2-0080-06.pdf
Freiheit
Élisabeth Décultot: „Ab 1789 berufen sich zahlreiche Akteure der französischen Kunstpolitik auf W., um die Verbundenheit, ja die Wesensverwandtschaft von Kunst und politischer Freiheit aufzuzeigen und damit die Vorteile der neuen politischen Ordnung für die künstlerische Produktion darzulegen. Diese politische Lesart hatte sich eigentlich schon Jahrzehnte zuvor angebahnt, wie Diderots W.-Porträt aus dem Salon von 1765 zeigt. Grundlage für die Hervorhebung der politischen Freiheit als wichtiger Parameter der Kunstgeschichte, ja als eigentliche Ursache einer jeden Kunstblüte war eine Passage aus der Geschichte der Kunst des Alterthums im Kapitel „Von der Kunst unter den Griechen“: „In Absicht der Verfassung und Regierung von Griechenland ist die Freyheit die vornehmste Ursache des Vorzugs der Kunst.“ In W.s Panorama der Kunstentwicklung bei den Alten fällt in der Tat der Höhepunkt der griechischen Kunst mit der Zeit der Perikleischen Demokratie zusammen. Nach diesem Höhepunkt, dessen Glanz bis zum Ende der Herrschaft Alexanders des Großen zu spüren gewesen sei, musste, so W., „die Kunst, welche von der Freyheit gleichsam das Leben erhalten … also nothwendig durch den Verlust derselben, an dem Orte, wo dieselbe vornehmlich geblühet, sinken und fallen.“ Die Römer versuchten sie zwar wiederzubeleben, aber selbst Kaiser Hadrian habe trotz ausgezeichneter Bildung den Verfall nicht verhindern können: „Der Geist der Freyheit war aus der Welt gewichen“ – und damit war das Kunstschöne unwiederbringlich dahin.“
So schön sich das alles auch anhören mag – so eindeutig ist das jetzt auch wieder nicht. Sind vollkommene politische und materielle Freiheit gut für die Kunst oder vielleicht doch großer Druck und große Zensur verbunden mit dem Willen, diesem zu entgehen?
So war das Goldene Zeitalter der spanischen Kunst genau in der Zeit der übelsten Inquisition: „In diesem Reich der extremen Gegensätze, wo religiöse Intoleranz und Inquisition jegliche intellektuelle Freiheit einengt und der Klerus neben dem Königshaus wichtigster Auftraggeber wird, wo die fanatisch frommen und mit der Gegenreformation aufblühenden Mönchsorden das religiöse Feuer schüren, da antworten sie mit in Ekstase entrückten Heiligen und das Leiden sublimierenden Mönchsdarstellungen. Mit Gekreuzigten und Gemarterten, gemalten Figuren wie gemeißelt, polychrom bemalten Skulpturen mit plastisch klaffenden Wunden, Peiniger den Hammer schwingend und den Nagel ins Fleisch treibend, dass der Anblick heute noch schmerzt. Auf Armut und Epidemien wie der Pest reagieren sie ganz profan mit wunderbaren Genrebildern, zeigen Bettler, Säufer, Bauern, prall gefüllte Teller und hungrige Kinder, wie hier der hoch talentierte Maler Murillo in „Die Pastetenesser“ 1670. Und wie eine ganze Galerie von herrlichen Stillleben vorführt.“
Franz Mehring: „In der Tat erklärte sich Winckelmann in diesen Kapiteln der Kunstgeschichte als Jünger der bürgerlichen Aufklärung. Er spricht von der „Aufklärung der Vernunft, die den Athenern die Süßigkeit einer völligen Freiheit schmecken ließ"; „durch die Freiheit erhob sich, wie ein edler Zweig aus einem gesunden Stamm, das Denken des ganzen Volkes"; die Freiheit schützte die Künstler vor den Launen der Mäzenaten, so dass ihre Ehre und ihr Glück nicht dem „Eigensinn eines unwissenden Stolzes" überantwortet waren. Der endgültige Verfall der Künste scheint ihm mit der Aufrichtung des modernen Fürstenabsolutismus einzusetzen.
Um an diese Behauptung anzuknüpfen, so wird sie objektiv dadurch beleuchtet, dass Michelangelo und Raffael in der Zeit lebten, wo der moderne Fürstenabsolutismus seine ersten Vertreter und seine ersten Verteidiger fand, dass sie Zeitgenossen des Cesare Borgia und des Machiavelli waren, subjektiv dadurch, dass Winckelmann eben in seiner Kunstgeschichte seinen gefeierten Raphael Mengs als „Hofmaler der Könige von Spanien und Polen" preislich herausstreicht. Aber auch was er über die griechische Freiheit als Mutter der griechischen Kunst sagt, ist weiter nichts als ein leeres Spiel mit Worten, ohne alle greifbare Beziehung auf die politischen und sozialen Zustände des alten Griechenlands; es zeigt nur, dass die bürgerliche Aufklärung, die ihm einst in Dresden nahegetreten war, ihm in Rom mehr und mehr zur tönenden Schelle wurde. Er war ihr fremd geworden, wobei es auf eins hinauskommt, ob er mit dem Geklingel von der heilkräftigen Freiheit ihr noch platonisch huldigen oder ob er damit nur die hohen Gönner anärgern wollte, in deren launenhaften Eigensinn er sich oft genug schicken musste.
Unter diesen Umständen kannte er keine historische Entwicklung der griechischen Kunst, so anerkennenswert und epochemachend auch der Anlauf war, den er zu einer solchen Geschichte nahm. Da ihm der innere Zusammenhang der griechischen Geschichte verschlossen blieb und unter der Unzahl antiker Kunstwerke in Rom nur eine äußerst geringe Minderzahl datiert werden konnte, so war Winckelmann rein auf sein ästhetisches Urteil angewiesen, um an der Hand dieser Denkmäler die einzelnen Perioden der griechischen Kunst zu gliedern. Insoweit ist die von Nicolai berichtete Äußerung Lessings, dass Winckelmanns historische Darstellung durchaus auf seichten Stützen beruhe, sehr begreiflich, um so begreiflicher, als Lessing mit Winckelmann über das Alter der Laokoonsgruppe stritt, das Lessing, gestützt auf eine Notiz des Plinius, in die Zeit des römischen Kaiser Titus setzte, Winckelmann aber in die Zeit des mazedonischen Königs Alexander, aus keinem anderen Grunde, als weil ein so vollendetes Kunstwerk in die Zeit der Blüte und nicht in die Zeit des Verfalls gehöre, wobei dann eben vorausgesetzt war, dass die Zeit des Königs Alexander eine Zeit der Blüte und die Zeit des Kaiser Titus eine Zeit des Verfalls gewesen ist. Es kommt natürlich nicht darauf an, ob Lessing den Plinius nicht auch falsch ausgelegt hat; recht hatte er jedenfalls darin, von „seichten Stützen" einer Geschichtsschreibung zu reden, die auf nichts als der ästhetischen Empfindung des Geschichtsschreibers beruhte.“
Geschichtsschreibung
Die bisherige Geschichts-Schreibung war größtenteils eine Schilderung von Herrschern und Kriegen, Politik und Militär. Winckelmann setzt dem den Aufruf entgegen: „Man zeige zugleich die großen Mittel an, wodurch Staaten glücklich und mächtig geworden“ – und zu diesen „großen Begebenheiten in den Reichen gehören die berühmten Entdeckungen in der Natur und Kunst: auf beyde sollen Lehrer der Geschichte nicht weniger als Staaten aufmerksam seyn“. Wissenschaft und Kunst gehören also genauso zur Geschichte und damit zum Verständnis einer bestimmten Zeit wie die Chronik von Herrschern und Kriegen.
Élisabeth Décultot: „Der Wunsch nach einer vielfältigen Geschichte, die ein umfangreiches Bild aller kulturellen Bestandteile einer Zivilisation liefern würde, war eng mit dem aufklärerischen Motiv der Herrscher- und Tyrannenkritik verbunden. Damit deutete W. schon in dieser frühen Schrift auf die enge Verbindung von Kunstgeschichtsschreibung und Lob der antiken Demokratie, von künstlerischer Produktion und politischer Freiheit hin, die er später in der Geschichte der Kunst des Alterthums eingehender entfalten sollte …
Ganz entscheidend scheint dabei die Lektüre der historischen Schriften Voltaires gewesen zu sein, vor allem seines 1751 erschienenen Essays Le Siècle de Louis XIV … in welchem Voltaire dafür plädiert, die höchste Ausdrucksform der Blüte des Zeitalters Ludwigs XIV. weder im Regierungsstil noch in den militärischen Feldzügen des Herrschers zu suchen, sondern in den Werken der Dichter, Dramatiker und Historiker der Zeit. Erst der Glanz von Molière, Racine, Madame de Sévigné und Boileau zeige das Zeitalter auf seinem Höhepunkt. Damit bot Voltaire für W. das Vorbild einer umfassenden Kulturgeschichte, einer „philosophischen“ Geschichte über den Fortschritt des Geistes und des guten Geschmacks im Zeitalter der Aufklärung.“
Über „die Alten“
Liest mensch Winckelmann und weitere Griechen-Fans, erhält er den Eindruck, es müsse eine reine Wollust gewesen sein, im antiken Griechenland gelebt zu haben. Für den Großteil der Menschen war es das mit Sicherheit nicht.
In Athen konnte nur deshalb so vortrefflich philosophiert werden, weil 20.000 Sklaven in den nahe gelegenen Silberminen schuften mussten und für den Reichtum der Stadt sorgten.
Was selten erzählt wird, ist, dass es im gesamten antiken Griechenland andauernd zu sozialen Aufständen gekommen ist.
„Die Alten“ hatten zumindest in ihren alten Zeiten Menschenopfer dargebracht in der Erwartung, besseres Wetter zu bekommen. Weiteren groben Unfug werden sie auch getrieben haben.
Auch waren sie nicht so rational, wie gerne behauptet wird, sondern meist tief religiös – und auf Atheismus stand die Todesstrafe. Unter anderem wurden Sokrates und Anaxagoras verurteilt. Auch sollte nicht vergessen werden, dass der christliche Glaube auf griechischer Philosophie (mit einigen jüdischen Elementen) beruht und das gesamte Neue Testament in griechischer Sprache geschrieben wurde.
Mensch sollte dies alles nicht vergessen, wenn mit Winckelmann (und anderen) die Wollust durchgeht.
Auswirkungen Winckelmanns auf die folgenden Zeiten
Madame de Staël
Germaine de Staël in ihrem Werk „Über Deutschland“ (siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/221-ueber-deutschland.html ):
„… doch bleibt Winkelmann immer derjenige, von dem in Deutschland eine wahre Revolution, in der Art, die Kunst, und durch die Kunst die Literatur, zu betrachten, ausging. Ich werde an einem andern Orte in Hinsicht seines Einflusses auf die Kunst von ihm sprechen; aber auch die Schönheit seines Stils ist so ausgezeichnet, daß man ihn in die Reihe der ersten deutschen Schriftsteller setzen muß …
Welche contemplative Beredtsamkeit ist in dem, was er über den Apoll von Belvedere, über den Laocoon sagt! Sein Stil ist ruhig und majestätisch, wie die Gegenstände, welche er seiner Betrachtung unterwirft. Er weiß seiner Kunst, sie zu schildern, die imposante Würde der Kunstdenkmäler selbst zu geben, und seine Beschreibungen machen den nämlichen Eindruck, wie die Statuen. Niemand vor ihm hatte es verstanden, genaue und tiefe Bemerkungen mit einer so lebendigen Bewunderung zu vereinigen, und doch ist dies die einzige Art, die Kunst zu ergründen. Die Achtung gegen sie muß aus der Liebe zu ihr fließen, und in den Meisterstücken des Talents müssen, wie in den Zügen eines geliebten Wesens, sich tausend Reize entdecken, die die Empfindungen, welche sie einflößen, offenbaren.
Dichter hatten, vor Winkelmann, griechische Tragiker studirt, um ihre Werke unsern Bühnen anzupassen. Gelehrte gab es, die man, wie Bücher, zu Rathe ziehen konnte; niemand aber hatte, wie Winkelmann sich, so zu sagen, selbst zum Heiden gemacht, um ganz in das Alterthum einzudringen. Winkelmann hat die Fehler, wie die Vorzüge eines kunstliebenden Griechen, und man fühlt in seinen Schriften eine Anbetung der Schönheit, wie sie sich bei einem Volke finden mußte, wo ihr so häufig die Ehre der Apotheose zu Theil wurde.
Einbildungskraft und Gelehrsamkeit liehen beide Winkelmann ihr Licht, vor ihm hatte man die Ueberzeugung, daß sie sich einander ausschlössen. Er zeigte, daß, um die Alten zu enträthseln, das Eine so nöthig, als das Andere, sey. Gegenständen der Kunst kann man nur Leben geben durch die genaue Kenntniß des Landes und der Zeit, in denen sie vorhanden waren. Schwankende Züge fesseln das Interesse nicht. Sollen Erzählungen und Dichtungen, die in entfernten Jahrhunderten spielen, belebt erscheinen, so muß die Gelehrsamkeit selbst der Einbildungskraft zu Hülfe kommen, und sie, wenn es möglich ist, zum Zeugen dessen, was sie darstellt, zum Zeitgenossen dessen, was sie erzählet, machen …
Winkelmanns Urtheil über die Denkmäler der Kunst nimmt den Gang beurtheilender Menschenkenntniß. Er untersucht die Gesichtszüge einer Bildsäule, wie die eines lebenden Wesens. Mit großer Genauigkeit faßt er die geringfügigst scheinenden Beobachtungen auf, um daraus höchst überraschende Schlüsse zu ziehen. Bald ist es eine Physionomie, bald ein Attribut, bald ein Kleidungsstück, was plötzlich eine ganz unerwartete Helle über Gegenstände langer Forschungen verbreitet. Ceres Haare sind mit einer Zwanglosigkeit aufgesteckt, wie sie für Minerva nicht paßt: die Mutter Proserpina's zeigt auch im Aeußern den ewigen Schmerz über ihren Verlust. Minos, Sohn und Schüler Jupiters, trägt auf den alten Münzen die Züge seines Vaters; dennoch bezeichnet die ruhige Größe des einen, und der strenge Ausdruck in dem Bild des andern, bei jenem, den Fürsten der Götter, bei diesem, den Richter der Menschen. Der Torso ist ein Fragment des Gott-gewordenen Hercules, wie er von Hebe den Becher der Unsterblichkeit empfängt, während der farnesische Hercules nur noch die Attribute eines Sterblichen trägt; die Umrisse des Torso, zwar eben so kräftig, aber gerundeter als bei jenem, bezeichnen die Kraft des Helden; doch eines Helden, der in den Himmel versetzt, nun losgesprochen ist von den schweren irdischen Arbeiten. Alles ist symbolisch in der Kunst, und die Natur erscheint unter tausendfältig verschiedenen Gestalten in jenen Statuen, Gemälden und Gedichten, in denen die Unbeweglichkeit die Bewegung andeuten, das Aeußere der Seele Innerstes enthüllen, das Daseyn des Augenblicks zu einer Ewigkeit werden soll.
Winkelmann hat in Europa die Vermischung des antiken und des modernen Geschmacks in der Kunst verbannt. In Deutschland zeigte sich sein Einfluß auf die Literatur noch deutlicher als auf die Kunst. Ich werde später zu der Erörterung der Frage kommen, ob die ängstliche Nachahmung der Alten sich mit der natürlichen Eigenthümlichkeit verträgt, oder ob man vielmehr diese natürliche Eigenthümlichkeit aufopfern, und sich den Zwang auflegen solle, Gegenstände zu wählen, in denen die Poesie, wie die Malerei, nichts Lebendes zum Vorbild nehmend, nur Bildsäulen darstellen kann. Diese Untersuchung thut jedoch Winkelmanns Verdienst auf keine Weise Eintrag: er zeigte, worin der antike Geschmack in der Kunst bestehe; die Neueren mochten nun fühlen, was sie in dieser Hinsicht anzunehmen oder zu verwerfen hätten. Wenn ein Mann von Talent uns die Geheimnisse einer antiken oder fremden Natur enthüllt, so thut er das Seinige durch den gegebenen Anstoß; die dadurch hervorgebrachte Regung muß sich aber in uns selbst gestalten, und je wahrhafter sie ist, diese Anregung, um desto minder wird sie sclavische Nachahmung aufkommen lassen. Winkelmann verdankt man die Entwickelung der jetzt in die Kunstlehre aufgenommenen wahren Grundsätze über das Ideal, diese Vervollkommnung der Natur, dessen Urbild in unserer Einbildungskraft liegt, nicht außer uns. Die Anwendung dieser Grundsätze auf die Literatur ist besonders ergiebig.
Die Poetik aller Künste ist in Winkelmanns Schriften unter einen einzigen Gesichtspunkt gebracht, und zwar zum Vortheil aller. Man hat die Poesie durch die Sculptur, die Sculptur durch die Poesie besser verstehn gelernt, und durch die Kunst der Griechen den Weg zu ihrer Philosophie gefunden. Die idealistische Metaphysik hat bei den Deutschen sowohl als bei den Griechen keinen andern Ursprung als den Dienst des höchsten Schönen, das unsre Seele allein aufzufassen, und zu erkennen vermag; dieses wundervolle Schöne ist eine Erinnerung des Himmels, unsers ursprünglichen Vaterlandes. Phidias Meisterwerke, Sophocles Tragödien, und Platons Lehre, alle vereinen sich, uns davon den nämlichen Begriff zu geben, wenn gleich unter verschiedenen Formen.“
https://www.hs-augsburg.de/~harsch/gallica/Chronologie/19siecle/DeStael/sta_1206.html
Weimarer Klassik
Aus „Wikipedia“: „Die Französische Klassik wurde weltweit als Höhepunkt der Bestrebungen seit der Renaissance betrachtet, die Dichtung der Antike aufleben zu lassen. Nach dem Tod des Sonnenkönigs (Ludwig XIV) 1715 zeigten sich Tendenzen, sich von diesen Vorbildern zu lösen. Die antiken Stoffe wurden von realistisch-aktuellen und dann zunehmend von mittelalterlichen, exotischen, märchenhaften verdrängt. Daher setzten Bemühungen ein, die Beschäftigung mit der Antike zu retten und ihr dabei jenen aristokratischen Anstrich zu nehmen, der bei den Bürgerlichen auf Ablehnung stieß. Dies ging einher mit einer Rückkehr zu den Quellen, wie sie die Reiseliteratur über antike Stätten und die beginnende Archäologie vorführten.
Als Johann Joachim Winckelmann 1755 seine Gedanken über die „Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“ und 1764/67 seine „Geschichte der Kunst des Altertums“ schrieb, ahnte er nicht, welche Wirkung diese Werke bis ins 19. Jahrhundert hinein auf die vorwiegend an der römischen Antike orientierte Kunst und Kultur haben sollten. Seine ästhetische Betrachtung der griechischen Kunst (edle Einfalt, stille Größe) war eine Grundlage für die Zeit der „deutschen“ Klassik. Das Prunkvolle der Französischen Klassik wurde damit zum bürgerlich Schlichten gemacht. Dies entsprach der Tendenz im deutschen Sprachgebiet, zwischen Adel und Bürgertum zu vermitteln, statt Abgrenzungen zu schaffen. Auch die literarische Klassik, später auch Weimarer Klassik genannt, blieb diesen Grundsätzen treu …
Die Erfahrung der schwierigen Durchsetzbarkeit der Ideale der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit) und deren Pervertierung während der Terrorherrschaft der Jakobiner (1793/94) hatten einen generellen Einfluss auf den gesamten deutschen Kulturbetrieb wie z. B. auf die Autoren der Weimarer Klassik, aber auch auf das Werk von Ludwig van Beethoven in der zeitgenössischen Musik. Einen weiteren Bezugspunkt stellt die Literatur des Sturm und Drang dar: Auch hier konnte ein aus der Aufklärung resultierender Wertekonflikt, hier zwischen Vernunft und Gefühl, nicht befriedigend gelöst werden und führte zu zahlreichen Katastrophen in den Texten (vgl. den Selbstmord Werthers in Goethes Die Leiden des jungen Werthers). Als Reaktion auf diese Erfahrungen steht im Zentrum des klassischen Kunstkonzepts das Streben nach einem harmonischen Ausgleich der Gegensätze – denn genau dieser Ausgleich war ja in der Realität der Französischen Revolution und der Literatur des Sturm und Drang gescheitert und führte zu deren zunehmender Eskalation. In Anlehnung an das antike Kunstideal wird in der Klassik nun nach Vollkommenheit, Harmonie, Humanität und der Übereinstimmung von Inhalt und Form gesucht. Wo Goethe in der Natur ein Modell für den universalen Zusammenhang aller Erscheinungen suchte, wurde für Schiller die Geschichte zum wichtigsten Bezugspunkt. Weitere Merkmale sind:
- Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution
- Nicht durch einen gewaltsamen Umsturz (Französische Revolution), sondern durch eine evolutionäre Fortentwicklung (langsame Höherentwicklung) der Gesellschaft gelange man zu dem Ziel eines den aufklärerischen Idealen entsprechenden Staates.
- Zentralisierung auf Weimar und z. T. Jena
- Stellt der Unruhe der Zeit das Programm der ästhetischen Erziehung gegenüber: Die Menschen sollen durch Kunst und Literatur zu Humanität erzogen und dadurch reif für gesellschaftliche Veränderungen werden.
- Erziehungsideal ist die „schöne Seele“, d. h. der Mensch, dessen Handeln, Pflicht und Neigung in Übereinstimmung sind (Ideal eines ruhigen, abgeklärten, in sich selbst ruhenden Menschen).
- Zeitlosigkeit der Epoche, indem sie Gegenstände zur Betrachtung wählt, die „über allen Einfluss der Zeiten erhaben“ sind, genauer menschlich-ethische Werte
- Streben nach Harmonie in der Gesellschaft statt Egoismus des Sturm und Drangs
- Humanität
- Einsicht, dass persönliches Verderben die gerechte Strafe für begangene sittlich-moralische Verfehlungen ist
Zu den wichtigsten Motiven der Weimarer Klassik gehören unter anderem Menschlichkeit und Toleranz. Die wichtigste Gattung ist das Drama, wobei Lyrik und Epik nebensächlich bleiben. Typisch war ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache (vgl. Blankvers der Iphigenie auf Tauris). Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten eben genau den Ausgleich zwischen Vernunft und Gefühl und kann deshalb auch als Vermittlerin der Werte der Klassik und als Mittel der ästhetischen Erziehung dienen (vgl. Schillers Über die ästhetische Erziehung des Menschen und die Kraft des Wortes in Goethes Iphigenie auf Tauris). Im gleichen Zusammenhang sind die Rückkehr bzw. Annäherung Goethes und Schillers an die klassische Dramenkonzeption (pyramidaler Aufbau, Einhaltung der aristotelischen drei Einheiten etc.) zu sehen.
Die Weimarer Klassik hat ihren Namen nicht nur durch die Orientierung hin zur Antike erhalten, die mit Wielands denkerischer und stofflicher Antikerezeption stark einsetzte und sich – vor allem bei Goethe – auch in der Form vieler Werke widerspiegelt. Sie galt auch als „klassische“ Epoche deutscher Dichtung.
In der Gegenbewegung der „Romantik“ wurde dann der Begriff „Klassik“ auf formale Übernahmen eingeengt und als absprechender Kampfbegriff vor allem gegen Schiller gewandt. Von diesem Standpunkt betrachtet bezeichnete der Begriff also keine vorbildliche Epoche, sondern eine Schule, die die griechische Klassik zum Vorbild genommen habe.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Klassik
Dessau
„Ich bin von Dessau, sagte er, mein lieber Winckelmann; ich komme nach Rom zu lernen, und ich habe Sie nöthig.“
1765 stellte sich so Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau vor. Im Rahmen seiner Grand Tour mit einer kleinen Begleitung, darunter dem Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf, kam die Truppe nach Rom – und lernte.
Von Erdmannsdorf in einem Brief: „Während der sechs Monate, welche ich 1766 mit unserem Fürsten in Rom verbrachte, habe ich Winckelmann täglich gesehen. Er kam des Morgens gegen neun Uhr zu uns, um den Fürsten auf seinen Streifzügen, die wir machten, zu begleiten, um diese Menge von Kunstwerken zu sehen, die der Aufmerksamkeit der Menschen so würdig sind. Sie begreifen, welch ein Gewinn es für uns war, einen solchen Führer zu haben! Winckelmann war übrigens unermüdlich … Wir durchstreiften mit ihm die ganze Gegend, und immer sprach er mit demselben Feuer von den Sehenswürdigkeiten … Wenn ich das Tagebuch ansehe, das ich in Hast führte, so finde ich tausend interessante Sachen, die von ihm stammen.“
Das Ergebnis: Fürst und Architekt machten sich daran, Winckelmanns Aufruf „durch die Nachahmung der Alten unnachahmlich zu werden“, in die Tat umzusetzen. Das Gartenreich Dessau-Wörlitz und vor allem das in Architektur und Innendekoration klassizistische Wörlitzer Schloss mit zahlreichen antiken Skulpturen haben unmittelbar mit Winckelmann zu tun.
In der Bibliothek des Schlosses waren nicht nur seine Bücher aufgestellt, sondern auch ein Bild von ihm in einer Galerie bedeutender Männer von der Antike bis zur damaligen Gegenwart.
Aus der Homepage des Gartenreichs: „Das Gartenreich Dessau-Wörlitz entstand in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts an der mittleren Elbe und unteren Mulde. Zwischen der Bauhausstadt Dessau und der Lutherstadt Wittenberg gelegen, erstreckt sich das Gartenreich Dessau-Wörlitz auf 142 Quadratkilometern. Es umfasst im Wesentlichen das Gebiet des historischen Fürstentums Anhalt-Dessau …
Mit Wörlitz als Ausgangs- und Höhepunkt der Gestaltungen entstand hier ab 1765 der erste Landschaftsgarten Kontinentaleuropas. Seine in einem Zeitraum von über vierzig Jahren erfolgte optische und gestalterische Vernetzung mit anderen Landschaftsgärten des Gebietes (Großkühnau, Luisium, Georgium, Sieglitzer Berg), führte zum Entstehen einer im europäischen Maßstab einmaligen Gartenlandschaft …
Als neue, für Anhalt-Dessau wesenstypische Komponente muss die starke Pädagogisierung der Gartenlandschaft betrachtet werden, die aus der Philosophie Jean Jacques Rousseaus, den Überlegungen Johann Joachim Winckelmanns und der Ästhetik Johann Georg Sulzers entstand. Die öffentliche Zugänglichkeit von Gebäuden und Gartenanlagen war Bestandteil des pädagogischen Konzepts zur Humanisierung der Gesellschaft. Besonders durch die Gartengestaltung sollte vor mehr als 200 Jahren Bildung vermittelt werden. Seltene Gehölze und Pflanzen, literarisch inspirierte Gartenszenen und ganze Landschaften ließ man mit Hilfe der Gartenkunst vor den staunenden Zeitgenossen wachsen …
Die Bauwerke Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorffs stellen wichtige Ausgangspunkte für die Architekturentwicklung in Deutschland und Mitteleuropa dar. Mit dem Wörlitzer Schloss (1769–1773) entstand das erste klassizistische Bauwerk der deutschen Architekturgeschichte.“
http://www.gartenreich.com/de/gartenreich/bedeutung/index.html
Klassizismus
Aus „Wikipedia“: „Klassizismus bezeichnet als kunstgeschichtliche Epoche den Zeitraum etwa zwischen 1770 und 1840. Der Klassizismus löste den Barock bzw. das Rokoko ab. Eine Form des Klassizismus ist das Biedermeier. Die Epoche wurde in der Malerei und Literatur von der Romantik begleitet und in der Architektur vom Historismus abgelöst.
Im Verhältnis zum Barock kann der Klassizismus als künstlerisches Gegenprogramm aufgefasst werden. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gelangte er nach einer ersten Phase der Koexistenz durch die anhaltenden Diskussionen über die ästhetischen Leitbilder des Barocks zur Vorherrschaft. Der Klassizismus in der Architektur basiert auf dem Formenkanon des griechischen Tempelbaus, lehnt sich teilweise aber auch an die italienische Frührenaissance an …
Im späten 18. Jahrhundert galt der Klassizismus mit einer purifizierenden Vereinfachung der Formen als Gegenmodell zur Kunst des Barocks, die mit dem Feudalismus assoziiert wurde. Gegenüber dem vorangegangenen Rokoko zeichnet sich der Klassizismus durch eine Rückkehr zu geradlinigen, klaren Formen und einer stärkeren Anlehnung an klassisch-antike Vorbilder aus.
Als geistiger Begründer im deutschsprachigen Raum gilt Johann Joachim Winckelmann.
„Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten.“
„Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdrucke. So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele“ …
Ab den 1790er Jahren galt der Klassizismus als der „Stil der Revolution“, vor allem in der Architektur, wo wuchtige Formen bevorzugt werden. Mit der Vereinnahmung der Revolution durch Napoleon Bonaparte kommt es dann zum dekorativeren Empirestil, der sich mit der Herrschaft des Kaisers über ganz Westeuropa ausbreitet. Auch Jacques-Louis David, der Begründer des Klassizismus in der Malerei, wird zum Anhänger der Revolution und später Hofmaler Napoleons …
Gesellschaftlich werden die neuen Bauformen mit dem aufstrebenden Bürgertum und seiner Wünsche nach Repräsentation assoziiert …
In der Malerei lösten sich die Künstler von dem allegorischen Programm der Barockzeit und malten Szenen aus der griechischen und römischen Antike, die oft einen „patriotischen“ Hintersinn haben. Die Konturen werden klarer und die pastose Farbgebung verschwindet zugunsten eines flächigen Farbauftrages. Die koloristischen Aspekte der Malerei traten in den Hintergrund. Auf Farbigkeit konnte ein strenger Klassizist im Prinzip auch verzichten. Daher wirkt die Farbgebung eher kühl. Körpergrenzen werden zeichnerisch scharf abgegrenzt. Eine klar überschaubare und harmonische Komposition der Figuren, ein ruhiges Zeitmaß waltet in allen Gebärden.
In Illustrationen sind Umrissradierungen für den Klassizismus charakteristisch.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Klassizismus
„Auch hier wirken sich die Ideen von JOHANN JOACHIM WINCKELMANN (1717–1768) aus:
„Die Zeichnung bleibt bei einem Maler ... das erste, das zweite und das dritte Ding.“ Und: „Der Pinsel, so der Künstler führet, soll im Verstand getunkt sein."“
https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/kunst/artikel/malerei-des-klassizismus
Klassizismus in München
König Ludwig I. von Bayern initiierte drei Winckelmann-Büsten im öffentlichen Raum: in der Glyptothek in München, in der Walhalla bei Regensburg, im Park der Villa Albani in Rom.
Aus „Wikipedia“: „Ludwig I. war – ganz dem Zeitgeist des Klassizismus und Neuhumanismus verpflichtet – ein glühender Verehrer des antiken Griechenlands (Philhellenismus), was sich in der baulichen Umgestaltung Münchens widerspiegelt. Er ließ viele noch heute wichtige Bauwerke errichten, darunter die Ludwigstraße mit der Universität (aus Landshut verlegt) und der Ludwigskirche, die Feldherrnhalle, das Siegestor, die Staatsbibliothek, den Königsplatz mit Glyptothek, Propyläen und Antikensammlung, die Alte Pinakothek, die Ruhmeshalle und die Bavaria-Statue auf der Theresienwiese.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_I._(Bayern)
„Alte Pinakothek, Glyptothek, Ruhmeshalle und vieles mehr: Leo von Klenze ist zwar schon 150 Jahre tot, aber seine Bauten prägen immer noch das Stadtbild. Heute haben die Münchner sie fest in ihren vergnüglichen Alltag integriert. Ein Rundgang.
Dass München heute so aussieht, wie es aussieht, verdankt es in weiten Teilen dem Architekten Leo von Klenze und Ludwig I., dessen großen Förderer. Dieser wollte aus München eine Stadt machen, "die Teutschland so zur Ehre gereicht, dass keiner Teutschland kennt, wenn er nicht München gesehen hat". Der in Berlin an der Bauakademie ausgebildete Klenze mit seinen klassizistischen Monumentalbauten schien der richtige Mann für Ludwigs großen Plan. Er hat das damals gängige Kunstideal der griechischen Antike auf München angepasst und "werbewirksam" umgesetzt. Was er vorfand, waren ehrgeizige, vom Königshaus vorgegebene und ursprünglich von Carl von Fischer erarbeitete Stadterweiterungspläne. Statt wie fast sonst überall in Europa die alten Befestigungsringe zu schleifen und neu zu bebauen, ließen die Wittelsbacher gleich eine neue Stadt außerhalb der Stadt bauen. Große Achsen wie die Briennerstraße nach Westen oder die Ludwigstraße nach Norden bildeten das Plankreuz, das nunmehr gefüllt wurde.
Zuständig für die staatstragenden Prachtbauten von Pinakothek über Königsplatz, südliche Ludwigstraße, Residenzanbauten und Ministerien bis hin zu - heute würde man sagen - Leuchtturmprojekten wie der Walhalla oder der Kelheimer Befreiungshalle, war Hofbauintendant, Oberbaurat und Vorsitzender des Baukunstausschusses Leo von Klenze. Eine Ämterfülle, die höchste Effizienz in der Umsetzung der eigenen Planungen garantierte. Zeitgenossen nennen auch den Grund. Klenze galt als gnadenloser Karrierist und Intrigant. Was die dunkle Kehrseite der nach fast zwei Jahrhunderten immer noch so beeindruckenden und trotz Kriegszerstörungen so glänzenden klassizistischen Neuerfindung der Wittelsbachischen Residenzstadt im 19. Jahrhundert zeigt. Und doch: Die staatstragenden Bauten von einst prägen noch immer das Gesicht der Stadt, auch wenn sie sich die Münchner mittlerweile einigermaßen wohnlich hergerichtet haben.“
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchner-stadtbild-klenze-ueberall-1.1872750
Klassizismus in Berlin
Aus „Wikipedia“ über „Spree-Athen“: „Davon, sich mit diesen und gar mit Athen, der Wiege der abendländischen Kultur, auf eine Stufe stellen zu können, war Berlin 1706 allerdings noch weit entfernt. Mit der Gründung der Berliner Universität 1809/1810 war die Stadt dann aber zweifellos zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit und der Künste von Weltrang geworden, und die dem Stil der Antike verpflichteten klassizistischen Bauten wie Langhans' Brandenburger Tor von 1788 und Schinkels Neue Wache (1815), Schauspielhaus (1825) und Altes Museum (1830) legten Assoziationen mit Athen durchaus nah.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Spree-Athen
Über Karl Friedrich Schinkel: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Friedrich_Schinkel
Klassizismus in den USA
Ulrike Johnson: „Amerikanische Architektur wird gemeinhin mit Wolkenkratzern in Verbindung gebracht, der uramerikanischen Erfindung und angemessener Ausdruck des american way of life. Daneben steht jedoch ein anderer Stil, der vielleicht noch uramerikanischer ist, auch wenn er aus Europa importiert wurde: der Klassizismus. Hierin fand die junge Demokratie zu Beginn ihrer Geschichte eine angemessene Form der Darstellung ihrer republikanischen Ideale. Nicht zufälliger Weise ist das wohl meistgezeigte Gebäude der USA ein klassizistischer Bau: das Capitol.
Die ersten amerikanischen Siedler hatten natürlich dringendere Probleme, als sich über Architektur Gedanken zu machen. Die ersten Häuser waren praktisch und einfach gebaut. Der Hauptbaustoff war Holz, aus dem später selbst die repräsentativeren Villen reicher Landbesitzer vorrangig gebaut waren. Ohnehin legte man im puritanischen Amerika nicht viel Wert auf Schnörkel und unnötigen optischen Reichtum. Der Barock hatte hier daher nie eine Chance.
Um so eher war der Klassizismus für die Amerikaner geschaffen: verkörperte dieser Stil doch Demokratie, Ordnung und Vernunft, und außerdem war er ausgesprochen repräsentativ. Für die repräsentativen Bauten der neugeschaffenen Republik konnte man sich daher gar keinen besseren Stil wünschen, und so ist es selbstverständlich, dass ihre erste große Bauaufgabe, der Bau eines angemessenen Regierungssitzes, im Klassizismus geschah. Bis heute lebt der Klassizismus in den USA übrigens neben der modernen Architektur als gängiger Baustil fort.“
http://www.ulrikejohnson.gmxhome.de/uli/writing/clickart/capitol.html
Wichtig für den Klassizismus in den USA war Thomas Jefferson. In seiner Zeit als Botschafter der USA war er mit dem Maler und Architekten Charles-Louis Clérisseau befreundet, der seinerseits mit Winckelmann zu dessen Lebzeiten befreundet war.
Thomas Jefferson untersuchte römische Altertümer in Südfrankreich, Italien und Dalmatien und setzte in den USA durch die erstrebende Verbindung von Einfachheit und Größe Maßstäbe.
Aus „Wikipedia“: „Aufgrund seiner architektonischen Leistungen – neben Monticello und der Universität von Virginia war er maßgeblich am Kapitol von Virginia in Richmond beteiligt – wird er darüber hinaus als „Vater (wahlweise auch als Taufpate) der amerikanischen Architektur“ bezeichnet.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Jefferson
Kunstgeschichte
Aus „Wikipedia“: „Die Kunstgeschichte, veraltet auch Kunsthistorik, oder Kunstwissenschaft, ist die Wissenschaft von der historischen Entwicklung der bildenden Künste und ihrer ikonographischen, ikonologischen wie auch materiellen Bestimmung. Sie untersucht und beschreibt ebenso die kulturelle Funktion der Kunst hinsichtlich ihrer künstlerisch-anschaulichen Gegebenheiten, wie auch den Schaffensprozess von Künstlern …
Die Geschichte der Bildenden Kunst vollzieht sich durch die Veränderung der gesellschaftlichen Funktion und Stellung der Kunst, der theoretischen Auffassung über sie sowie durch die Entwicklung der Kunstformen und Stilrichtungen. Ziel des Faches Kunstgeschichte ist es, die künstlerischen Objekte nach ihren Inhalten zu befragen (Ikonographie), ihre formale Gestaltung zu bestimmen, die Werke in Raum und Zeit einzuordnen und ihrer Rezeption nachzugehen; dabei werden einerseits stilistische Zusammenhänge besprochen, andererseits wird versucht, den historischen Kontext als Voraussetzung eines Kunstwerks zu verstehen oder ihn zum Verständnis des Werks miteinzubeziehen …
Die Begriffe Kunstgeschichte oder Kunstwissenschaft sind eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts und gehen auf Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) zurück, der in seinen Werken zur Kunst der Antike erstmals genauere stilgeschichtliche Untersuchungen unternommen hat …
Von einer eigenständigen Disziplin Kunstgeschichte lässt sich erst seit dem 19. Jahrhundert sprechen. Bei vorhergehenden Schriften handelte es sich meist um Kunstbetrachtung und biographische Beschreibungen …
1755 veröffentlichte Johann Joachim Winckelmann, der später als erster Ausländer die Oberaufsicht über die Antiken in Rom haben sollte, in Dresden seine erste Schrift: Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerei und Bildhauer-Kunst, der er in späteren Neuauflagen weitere Texte beigab. Darin sind bereits die neuen, folgenschweren Gedanken enthalten, die er in seinem 1764 erschienenen Hauptwerk, Die Geschichte der Kunst des Altertums in 2 Bänden, ausführlich darlegte. Winckelmann beschreibt darin nicht nur den chronologischen Ablauf einer Kunstgeschichte der Antike, sondern ein System der griechischen Kunst. Er entwickelt Kriterien einer Ästhetik des Schönen und identifiziert einen klassischen Stil, den er zum Maßstab seiner Beurteilung erhebt. Zwar steht diese Suche nach dem Schönen noch im Mittelpunkt, doch der Versuch einer Stilgeschichte gibt dem Idealen, der edlen Einfalt und stillen Größe einen ersten Kontext. Winckelmann stand im Austausch mit zeitgenössischen Künstlern (Anton Raphael Mengs) und stellte ständig Bezüge von der künstlerischen Vergangenheit in die damalige Gegenwart her. Zum „ersten Kunsthistoriker“ macht ihn unter anderem, dass er als Archäologe und Grabungsleiter von der materiellen Kenntnis seiner Forschungsobjekte ausging; dass er präzise Beschreibungen als Erkenntnismethode verwandte; dass er sich für die Systematisierung seiner Forschungsgegenstände interessierte.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Kunstgeschichte
Klassische Archäologie
Aus „Wikipedia“: „Die Klassische Archäologie ist eine Spezialrichtung der Archäologie und eine altertumswissenschaftliche Disziplin, die sich mit den materiellen Hinterlassenschaften der antiken Kulturen des Mittelmeerraumes, vor allem der Griechen und Römer, befasst.
Archäologie mit einem rein antiquarischen Interesse gab es bereits zur Zeit des Renaissance-Humanismus. Bedeutende Vertreter sind Flavio Biondo und Poggio Bracciolini. Cyriacus von Ancona (um 1391– um 1455), ein italienischer Kaufmann und Humanist, gilt als einer der Gründungsväter der modernen Klassischen Archäologie. Es ist manchmal auch der Vater der Archäologie. Als Begründer der Klassischen Archäologie in einem kunst- und kulturgeschichtlichen Sinne gilt Johann Joachim Winckelmann.
Sie behandelt den Zeitraum von der späten Bronzezeit (mykenische Zeit) bis ins ausgehende 6. Jahrhundert nach Christus, wobei die Archäologie in den letzten Jahrzehnten gerade in Hinblick auf die Spätantike und die sogenannten griechischen Dunklen Jahrhunderte erheblichen Anteil an den Forschungsfortschritten hatte. Die Übergänge zu Ur- und Frühgeschichte auf der einen und frühchristlicher Archäologie auf der anderen Seite sind fließend. Stand bei Winckelmann und seinen ersten Nachfolgern noch klar ein wertender, klassizistischer Ansatz im Mittelpunkt, so ist die Archäologie mittlerweile in der Regel von einer neutraleren Herangehensweise an die Antike geprägt, die sich von der einstigen Suche nach ästhetischen und moralischen Vorbildern gelöst hat. Zugleich wurden historische Fragestellungen wichtiger für das Fach.
Klassische Archäologie besteht heute zum einen aus BibliotheksRecherche, die einen nicht zu verachtenden Anteil an der Arbeit der Archäologen hat, und dem Auswerten des bereits gefundenen Materials sowie der archäologischen Feldarbeit. Da die Archäologie sich im Unterschied zur Alten Geschichte kaum mit schriftlichen Quellen, sondern primär mit materiellen Hinterlassenschaften der Epoche befasst, stehen diese im Zentrum der Forschung. Es kann sich dabei um Gebäudereste, Gegenstände des Alltags, Waffen, ja sogar um Abfälle handeln. Alles, was dem Archäologen Aufschluss über die Lebensweise der Antike gibt, ist von Bedeutung.
Einen großen Teil machen dabei kunsthistorisch relevante Gegenstände aus, wie Statuen, Bronzen, Vasen, Architekturen oder deren Überreste usw.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Klassische_Arch%C3%A4ologie
Humanistische Schulbildung
Winckelmann war zwar nur einer von vielen, aber dennoch wichtig für die zukünftige Bildung. Aus „Wikipedia“:
„Mochte der Humanismus als pedantische Buchgelehrsamkeit am Ende des 16. Jahrhunderts in Verruf geraten sein und anderen geistigen Strömungen wie Rationalismus, Fortschrittsdenken und Historismus Platz gemacht haben, so riss das Interesse an antiken Kulturzeugnissen und Gestalten auch außerhalb der gängigen Schulbildung doch nicht gänzlich ab, sondern wurde im 17. und 18. Jahrhundert zum Beispiel auch im weitgehend katholischen Frankreich durch Schriftsteller und Dichter wie Bruyère, Fénelon, Molière, Corneille und Racine und durch Vordenker der Aufklärung wie Montesquieu, Voltaire, Diderot und Rousseau aufrechterhalten und wiederbelebt. In der Französischen Revolution brach sich der Freiheitsdrang in antikem Dekor Bahn: „Man trägt die phrygische Mütze als Symbol der Freiheit, man stellt allerorts Brutus-Büsten auf, man ahmt antike Feste nach. Personen wie Straßen und Städte erhalten antike Namen.“
Während die französische humanistische Tradition die griechische Antike zwar nicht unbeachtet ließ, aber doch ungleich stärker das Römertum favorisierte, erwachte in bildungsorientierten Kreisen in England und besonders in Deutschland im 18. Jahrhundert ein vehementes Interesse an altgriechischer Kunst und Kultur. Zur Erklärung dieser besonderen Vorliebe kommen mehrere Faktoren in Betracht: Anders als im Falle Frankreichs hatte sich das Römische Reich nur auf Teile des späteren Deutschland erstreckt; die Anfänge deutscher Geschichte wurden mit der Befreiung der Germanen von römischer Herrschaft verknüpft. „Die Reformation“, heißt es bei Hans Oppermann, „trug weiter dazu bei, große Teile Deutschlands in eine neue Oppositionsstellung zu allem zu bringen, was Rom hieß und römisch war.“ In den von der Reformation erfassten Gebieten erhielt das Griechische als Sprache des Neuen Testaments eine besondere Bedeutung. Hinzu kam in der Epoche von Sturm und Drang eine Vorliebe für das Originalgenie und alles Ursprüngliche auf Kosten jeglicher Nachahmung bzw. Ableitung „aus zweiter Hand“. Damit waren die Römer gegenüber den Griechen, war Latein gegenüber Altgriechisch allenfalls zweite Wahl: „Diese besondere Bedeutung des Griechischen wird unendlich vertieft, das Griechenlanderlebnis selbst rückt in den Mittelpunkt der deutschen Kultur in der großen Bewegung des Neuhumanismus der Winckelmann und Wilhelm von Humboldt. […] ‚Das Land der Griechen mit der Seele suchend’ – das ist durchaus die Haltung der Adepten des Neuhumanismus, wobei das ‚das Land der Griechen’ sich dem Rang eines säkularisierten Gottesreiches zumindest nähert.“ Laut Oppermann bekam also das besagte Griechenlanderlebnis der Neuhumanisten einen pseudoreligiösen Akzent, nahm der Neuhumanismus den Charakter einer Menschheitsreligion an.
Wegweisend wurde 1755 Johann Joachim Winckelmanns Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst, zumal in den hymnischen Sätzen:
„Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt und stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdrucke. So wie die Tiefe des Meeres allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeigt der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele.“
Die äußere und die seelische Schönheit sind in den Bildwerken der Griechen demnach vereint, das Schöne und das Gute gemäß dem griechischen Bildungsideal der Kalokagathia untrennbar miteinander verbunden.
Die im Zusammenhang mit Impulsen der Französischen Revolution von Johann Gottfried Herder verfassten Briefe zur Beförderung der Humanität enthalten einen deutlichen Rückbezug auf stoisches Gedankengut. So leitet Herder aus der Vernunftbegabung der Menschen einerseits und ihren vielfältigen Schwächen andererseits die Bereitschaft und Notwendigkeit gegenseitiger Hilfe sowie den Bedarf zur Bildung des Einzelnen wie der menschlichen Gattung ab. Stoische Kosmologie, Anthropologie und Ethik können dem Individuum laut Cancik einen festen Stand verschaffen. Der von Bestialität, Grausamkeit und Destruktivität bedrohten Humanität ist durch Bildung entgegenzuwirken. Der Schlüssel zu Herders Humanitätsbegriff, so Cancik, liegt in den Ausdrücken Menschheit, Menschlichkeit, Menschenrechte, Menschenpflichten, Menschenwürde, Menschenliebe.
Durch Herder gewann der Begriff Humanität laut Martin Vöhler im deutschsprachigen Raum nachhaltige Verbreitung. Die dabei von Herder eingenommene Perspektive war eine kosmopolitische. Er kritisierte Sklaverei und Ausbeutung ebenso wie Kolonialismus und Rassismus. Im 114. Humanitätsbrief wendete er sich gegen die von den vermeintlich kultivierten Nationen Europas verübten Verbrechen an der Menschheit: „Nenne man das Land, wohin Europäer kamen, und sich nicht durch Beeinträchtigungen, durch ungerechte Kriege, Geiz, Betrug, Unterdrückung, durch Krankheiten und schädliche Gaben an der unbewehrten, zutrauenden Menschheit, vielleicht auf alle Aeonen hinab, versündigt haben!“
Die Entwicklung eines theoretischen Gesamtkonzepts neuhumanistischer Bildung wie auch dessen Verankerung in staatlichen Institutionen war das Werk Wilhelm von Humboldts. Einerseits mit den in Sturm und Drang sich entfaltenden und bald als „Dichterfürsten“ gefeierten Schiller und Goethe befreundet, andererseits zu den führenden klassischen Philologen seiner Zeit in Beziehung stehend, propagierte auch Humboldt das Studium der Griechen als wirksames Mittel der Persönlichkeitsbildung in intellektueller, ethischer und ästhetischer Hinsicht: „Wir haben in den Griechen eine Nation vor uns, unter deren glücklichen Händen alles, was unserm innigsten Gefühl nach das höchste und reichste Menschendasein bewahrt, schon zu letzter Vollendung gereift war; wir sehen auf sie wie auf einen aus edlerem und reinerem Stoff geformten Menschenstamm, auf die Jahrhunderte ihrer Blüte wie auf eine Zeit zurück, in welcher die noch frischer aus der Werkstatt der Schöpfungskräfte hervorgegangene Natur die Verwandtschaft mit ihnen noch unvermischter erhalten hatte“.
Im Zuge der Preußischen Reformen unter König Friedrich Wilhelm III. wurde Humboldt als Leiter der Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts mit der Neuordnung des staatlichen Bildungswesens beauftragt und setzte binnen weniger Monate neue Lehrpläne und die Gründung der Berliner Universität, die heute seinen und seines Bruders Namen trägt, auf der Grundlage seines neuhumanistischen Bildungsideals ins Werk. Viele zeitgenössische Geistesgrößen waren davon beeinflusst und warben dafür, so zum Beispiel auch Hegel im Jahre 1809: „Lassen wir es gelten, daß überhaupt vom Vortrefflichen auszugehen ist, so hat für das höhere Studium die Literatur der Griechen vornehmlich und dann die der Römer die Grundlage zu sein und zu bleiben. Die Vollendung und Herrlichkeit dieser Meisterwerke muß das geistige Bad, die profane Taufe sein, welche der Seele den ersten und unverlierbaren Ton und Tinktur für Geschmack und Wissenschaft gebe.““
https://de.wikipedia.org/wiki/Humanismus
„Neuhumanismus bezeichnet die Wiedererweckung der (literatur-)humanistischen Bewegung etwa ab 1750 in Deutschland. Den Begriff prägte der Schulhistoriker Friedrich Paulsen (1885).
Mehrere Strömungen trugen zur Entstehung bei:
- Bedeutende Altphilologen veröffentlichten innovative Erkenntnisse und neue Deutungen in der Altertumswissenschaft: Johann Matthias Gesner in Göttingen, Johann August Ernesti in Leipzig, Christian Gottlob Heyne beiderorts sowie Friedrich August Wolf in Halle und Berlin (Homerische Frage).
- Die antike Kunstgeschichte und Archäologie wurden durch Johann Joachim Winckelmanns idealistische Sichtweise der griechischen Kunst (1755) neu inspiriert.
- Die Idee der „Humanität“ wurde zum zentralen Anliegen der deutschen Klassik, die auf der von Rousseau erneut entfachten Suche nach der menschlichen „Natur“ wieder auf die Antike und besonders die Griechen (Philhellenismus) stieß: Gotthold Ephraim Lessing, Johann Gottfried Herder, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller und Friedrich Hölderlin.
- Friedrich Gedike begründete in Preußen den altsprachlichen Unterricht mit neuer Ausrichtung am Friedrich-Werderschen Gymnasium und am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster.
- Wilhelm von Humboldt entwickelte eine neue Betrachtung der griechischen Sprache und Kultur als Weg zum musterhaften Menschsein („Über das Studium des Alterthums und des Griechischen insbesondere“ 1793).
- Breite Kreise im deutschen Bürgertum erkannten im Neuhumanismus eine Chance zur gesellschaftlichen Emanzipation über den Weg der persönlichen Bildung.
Bereits der klassische Humanismus des späten Mittelalters (Petrarca) und der Renaissancezeit war durch die intensive Beschäftigung mit der römischen und griechischen Literatur, die teilweise erst wiederentdeckt werden musste, charakterisiert (studia humaniora). Die Antike und vor allem das Römische (Cicero) wurden als klassisches menschliches Muster und Ideal (humanitas) empfunden: Die Sprache trenne den Menschen vom Tier, die gebildete Sprache vom Barbaren und schaffe Zugang zur Sphäre des Geistigen und Göttlichen. Sowohl in der protestantischen Gelehrtenschule, die den Zugang zur Bibel im Originaltext schaffen wollte (Melanchthon), als auch im katholischen Jesuiten-Gymnasium bestimmte die christlich interpretierte Klassikerlektüre den Bildungsgang. Das Lateinische genoss dabei eindeutig den Vorrang.
Doch verminderte die fortschrittsbewusste Aufklärung den maßgeblichen Stellenwert der Antike deutlich zugunsten der modernen Wissenschaft und Literatur. Sprachlich äußerte sich dies in der zunehmenden Vorherrschaft des Französischen in Westeuropa. In der deutschen Schulpädagogik (Philanthropismus) wurde Kritik an der einseitigen Dominanz der alten Sprachen sowie an ihrem Nutzen für die jugendliche Entwicklung geübt und der Schulkanon in Richtung von Nützlichkeit und Gegenwartsorientierung verändert. Teilweise zielte dies direkt auf eine Standes- und Berufserziehung.
Der Altphilologe Friedrich August Wolf formulierte das neuhumanistische Ideal: „Studia humanitatis … umfassen alles, wodurch rein menschliche Bildung und Erhöhung aller Geistes- und Gemütskräfte zu einer schönen Harmonie des inneren und äußeren Menschen befördert wird.“ (Darstellung der Alterthumswissenschaften, Ausgabe 1832, S. 45)
Daraus zogen nach dem politischen Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches der Theologe Friedrich Immanuel Niethammer in Bayern (1808) und Wilhelm von Humboldt in Preußen Konsequenzen zur Neuorientierung des Bildungswesens. Der geistige Vater des deutschen Liberalismus wurde im Zuge der Preußischen Reformen 1809 für 16 Monate Leiter der Sektion des Kultus und der Bildung und entwarf sein Konzept im Königsberger und im Litauischen Schulplan. So entstand das „humanistische Gymnasium“, das im 19. Jahrhundert den Universitätszugang maßgeblich regulierte. Humboldt gründete 1810 zur Fortsetzung des Bildungsgangs und als Modell für eine neue Wissenschaftskonzeption die Berliner Universität, in der auch der neue Beruf des „Gymnasiallehrers“ (Einführung des examen pro facultate docendi 1810 als Vorläufer des heutigen Staatsexamens) durch das Studium der Klassischen Philologie zu erlernen war. Zu Humboldts neuhumanistisch gesinnten Mitstreitern gehörten neben dem Mitarbeiter Johann Wilhelm Süvern auch der Gymnasialdirektor August Ferdinand Bernhardi, Reinhold Bernhard Jachmann und der Theologe Friedrich Schleiermacher, die Mitglieder der „Wissenschaftlichen Deputation“ waren, aber zu einzelnen Fragen auch organisatorisch abweichende Vorstellungen hatten.
Gegen den (Gemein-)Nutzen der Aufklärungspädagogik setzte der Neuhumanismus den Wert der Individualität jedes Einzelnen, die in der Schulerziehung ohne Rücksicht auf gesellschaftliche und aktuelle Bedürfnisse ausgebildet werden müsse. Die Sprache gilt dabei als Zentrum des Menschseins, über eine formale sprachliche Bildung gelangt der Mensch also zu sich selbst. Das Erlernen der alten Sprachen, vor allem des Griechischen, diene diesem Zweck vorzüglich, weil sie die Strukturen von Sprache reiner repräsentieren könnten. Daraus folgt für Humboldt, dass sie zu lernen auch dem künftigen Tischler gut tue, was in der weiteren Schulgeschichte allerdings weitgehend ein theoretisches Postulat blieb. Zusätzlich erhält jeder Lernende gerade über die griechische Sprache einen materiellen Zugang zu einer als ideal gedeuteten Kultur, die als Quelle geistiger Inspiration im Gegensatz zur zerrissenen, gefährdeten, antihumanen Gegenwart stehe. Der Weg zur Freiheit und zur Fähigkeit, dem bloß Aktuellen geistig widerstehen zu können, führe über humanistische Bildung. Jegliche berufliche Ausbildung sollte für Humboldt erst später erfolgen, der richtig gebildete Mensch werde aber mit seinen Energien im Berufsleben für die Gesellschaft umso mehr leisten können. Im humanistischen Gymnasium stehen daher die alten Sprachen völlig im Vordergrund, wenn auch gegen Humboldts Intentionen aus schulpraktischen Bedürfnissen bald das Lateinische dem Griechischen wieder vorangestellt wurde (Süvernsche Reform 1816/19).“
https://de.wikipedia.org/wiki/Neuhumanismus
Homosexualität
Tilman Krause: „Das 18. Jahrhundert ist überhaupt die Zeit, in der die Homosexuellen jenseits eines juristischen oder medizinischen Diskurses sichtbar werden. Bezeichnenderweise steht für diese Entwicklung ein Mann, der nicht nur europaweit bereits zu Lebzeiten als praktizierender Homosexueller bekannt war. Sondern der in seinen Schriften die Homosexualität der damals geschmacksprägenden Kultur überhaupt, die der Antike, als Ausdruck höherer Zivilisation interpretierte. Der Mann hieß Johann Joachim Winckelmann. Und er lebte von 1717 bis 1768.
Dieser Deutsche hat nicht nur den griechischen Knabenkörper zum abendländischen Schönheitsideal erklärt (die führenden Köpfe seiner Zeit haben das nachgebetet). Er steht auch am Beginn der weltweiten künstlerischen Erneuerungsbewegung des Klassizismus, den viele Kunsthistoriker als den letzten großen Epochenstil der westlichen Hemisphäre betrachten.
Wer diesen Zusammenhang von kultureller Erneuerung, Traditionsversicherung und Homosexualität als erster verstand und darüber in verblüffender Offenheit ein Buch schrieb, war der größte Dichter der Deutschen. Johann Wolfgang Goethe.“
https://www.welt.de/kultur/article142836781/Die-Deutschen-haben-das-Schwulsein-erfunden.html
Winckelmann war einer der ersten Deutschen, der als Homosexueller lebte, dachte und wirkte. Und Goethe scheint der Überzeugung zu sein, dass die Klassik ihr Schönheitsideal einem Homosexuellen verdankte, der es so nur entwickeln und eindringlich darstellen konnte, weil er homosexuell war.
Mensch kann davon ausgehen, dass Winckelmanns früh veröffentlichte Briefe (spätestens seit Goethe) in europaweiten Netzwerken von Männern zirkulierten, die sich an ihm orientieren konnten und wurde so zu einem Vorbild für viele Homosexuelle.
Und die antike Tradition der „griechischen Liebe“ verlieh der homosexuellen Emanzipationsbewegung Rechtfertigung und Würde.
Winckelmann und sein Jahrhundert
Johann Wolfgang Goethe in „Winkelmann und sein Jahrhundert“ (Auszüge):
„Eintritt
Wenn die Natur gewöhnlichen Menschen die köstliche Mitgift nicht versagt, ich meine jenen lebhaften Trieb, von Kindheit an die äußere Welt mit Lust zu ergreifen, sie kennenzulernen, sich mit ihr in Verhältnis zu setzen, mit ihr verbunden ein Ganzes zu bilden, so haben vorzügliche Geister öfters die Eigenheit, eine Art von Scheu vor dem wirklichen Leben zu empfinden, sich in sich selbst zurückzuziehen, in sich selbst eine eigene Welt zu erschaffen und auf diese Weise das Vortrefflichste nach innen bezüglich zu leisten.
Findet sich hingegen in besonders begabten Menschen jenes gemeinsame Bedürfnis, eifrig zu allem, was die Natur in sie gelegt hat, auch in der äußeren Welt die antwortenden Gegenbilder zu suchen und dadurch das Innere völlig zum Ganzen und Gewissen zu steigern, so kann man versichert sein, dass auch so ein für Welt und Nachwelt höchst erfreuliches Dasein sich ausbilden werde. Unser Winckelmann war von dieser Art. In ihn hatte die Natur gelegt, was den Mann macht und ziert. Dagegen verwendete er sein ganzes Leben, ein ihm Gemäßes, Treffliches und Würdiges im Menschen und in der Kunst, die sich vorzüglich mit dem Menschen beschäftigt, aufzusuchen.
Antikes
So vielfach Winckelmann auch in dem Wissbaren und Wissenswerten herumschweifte, teils durch Lust und Liebe, teils durch Notwendigkeit geleitet, so kam er doch früher oder später immer zum Altertum, besonders zum griechischen, zurück, mit dem er sich so nahe verwandt fühlte und mit dem er sich in seinen besten Tagen so glücklich vereinigen sollte.
Heidnisches
Dieser heidnische Sinn leuchtet aus Winckelmanns Handlungen und Schriften hervor und spricht sich besonders in seinen frühern Briefen aus, wo er sich noch im Konflikt mit neuern Religionsgesinnungen abarbeitet. Diese seine Denkweise, diese Entfernung von aller christlichen Sinnesart, ja seinen Widerwillen dagegen muss man im Auge haben, wenn man seine so genannte Religionsveränderung beurteilen will. Diejenigen Parteien, in welche sich die christliche Religion teilt, waren ihm völlig gleichgültig, indem er, seiner Natur nach, niemals zu einer der Kirchen gehörte, welche sich ihr subordinieren.
Freundschaft
Die leidenschaftliche Erfüllung liebevoller Pflichten, die Wonne der Unzertrennlichkeit, die Hingebung eines für den andern, die ausgesprochene Bestimmung für das ganze Leben, die notwendige Begleitung in den Tod setzen uns bei Verbindung zweier Jünglinge in Erstaunen, ja man fühlt sich beschämt, wenn uns Dichter, Geschichtsschreiber, Philosophen, Redner mit Fabeln, Ereignissen, Gefühlen, Gesinnungen solchen Inhaltes und Gehaltes überhäufen.
Zu einer Freundschaft dieser Art fühlte Winckelmann sich geboren, derselben nicht allein sich fähig, sondern auch im höchsten Grade bedürftig; er empfand sein eigenes Selbst nur unter der Form der Freundschaft, er erkannte sich nur unter dem Bilde des durch einen Dritten zu vollendenden Ganzen. Frühe schon legte er dieser Idee einen vielleicht unwürdigen Gegenstand unter, er widmete sich ihm, für ihn zu leben und zu leiden; für denselben fand er selbst in seiner Armut Mittel, reich zu sein, zu geben, aufzuopfern, ja er zweifelt nicht, sein Dasein, sein Leben zu verpfänden. Hier ist es, wo sich Winckelmann, selbst mitten in Druck und Not, groß, reich, freigebig und glücklich fühlt, weil er dem etwas leisten kann, den er über alles liebt, ja dem er sogar, als höchste Aufopferung, Undankbarkeit zu verzeihen hat.
Wie auch die Zeiten und Zustände wechseln, so bildet Winckelmann alles Würdige, was ihm naht, nach dieser Urform zu seinem Freund um, und wenn ihm gleich manches von diesen Gebilden leicht und bald vorüberschwindet, so erwirbt ihm doch diese schöne Gesinnung das Herz manches Trefflichen, und er hat das Glück, mit den Besten seines Zeitalters und Kreises in dem schönsten Verhältnisse zu stehen.
Schönheit
Für diese Schönheit war Winckelmann, seiner Natur nach, fähig, er ward sie in den Schriften der Alten zuerst gewahr; aber sie kam ihm aus den Werken der bildenden Kunst persönlich entgegen, aus denen wir sie erst kennenlernen, um sie an den Gebilden der lebendigen Natur gewahr zu werden und zu schätzen.
Finden nun beide Bedürfnisse der Freundschaft und der Schönheit zugleich an einem Gegenstande Nahrung, so scheint das Glück und die Dankbarkeit des Menschen über alle Grenzen hinauszusteigen, und alles, was er besitzt, mag er so gern als schwache Zeugnisse seiner Anhänglichkeit und seiner Verehrung hingeben.
So finden wir Winckelmann oft in Verhältnis mit schönen Jünglingen, und niemals erscheint er belebter und liebenswürdiger als in solchen oft nur flüchtigen Augenblicken.
Glücksfälle
Aber auch manches äußere Glück begegnete ihm auf seinem Wege, nicht allein, dass in Rom das Aufgraben der Altertümer lebhaft und glücklich vonstatten ging, sondern es waren auch die Herkulanischen und Pompejischen Entdeckungen teils neu, teils durch Neid, Verheimlichung und Langsamkeit unbekannt geblieben, und so kam er in eine Ernte, die seinem Geiste und seiner Tätigkeit genugsam zu schaffen gab.
Traurig ist es, wenn man das Vorhandne als fertig und abgeschlossen ansehen muss. Rüstkammern, Galerien und Museen, zu denen nichts hinzugefügt wird, haben etwas Grab- und Gespensterartiges; man beschränkt seinen Sinn in einem so beschränkten Kunstkreis, man gewöhnt sich, solche Sammlungen als ein Ganzes anzusehen, anstatt dass man durch immer neuen Zuwachs erinnert werden sollte, dass in der Kunst, wie im Leben, kein Abgeschlossenes beharre, sondern ein Unendliches in Bewegung sei.
In einer so glücklichen Lage befand sich Winckelmann. Die Erde gab ihre Schätze her, und durch den immerfort regen Kunsthandel bewegten sich manche alte Besitzungen ans Tageslicht, gingen vor seinen Augen vorbei, ermunterten seine Neigung, erregten sein Urteil und vermehrten seine Kenntnisse.
Poesie
Die Poeten der Vorzeit schienen ihn früher als Dokumente der alten Sprachen und Literaturen, später als Zeugnisse für bildende Kunst interessiert zu haben. Desto wunderbarer und erfreulicher ist es, wenn er selbst als Poet auftritt, und zwar als ein tüchtiger, unverkennbarer in seinen Beschreibungen der Statuen, ja beinahe durchaus in seinen spätern Schriften. Er sieht mit den Augen, er fasst mit dem Sinn unaussprechliche Werke, und doch fühlt er den unwiderstehlichen Drang, mit Worten und Buchstaben ihnen beizukommen. Das vollendete Herrliche, die Idee, woraus diese Gestalt entsprang, das Gefühl, das in ihm beim Schauen erregt ward, soll dem Hörer, dem Leser mitgeteilt werden, und indem er nun die ganze Rüstkammer seiner Fähigkeiten mustert, sieht er sich genötigt, nach dem Kräftigsten und Würdigsten zu greifen, was ihm zu Gebote steht. Er muss Poet sein, er mag daran denken, er mag wollen oder nicht.
Erlangte Einsicht
Hatte er das Manuskript noch in der Hand, so ward es umgeschrieben; war es zum Druck abgesendet, so wurden Verbesserungen und Nachträge hinterdrein geschickt, und von allen diesen Reuschritten machte er seinen Freunden kein Geheimnis: denn auf Wahrheit, Geradheit, Derbheit und Redlichkeit stand sein ganzes Wesen gegründet.
Charakter
Wenn bei sehr vielen Menschen, besonders aber bei Gelehrten, dasjenige, was sie leisten, als die Hauptsache erscheint und der Charakter sich dabei wenig äußert, so tritt im Gegenteil bei Winckelmann der Fall ein, dass alles dasjenige, was er hervorbringt, hauptsächlich deswegen merkwürdig und schätzenswert ist, weil sein Charakter sich immer dabei offenbart. Haben wir schon unter der Aufschrift vom Antiken und Heidnischen, vom Schönheits- und Freundschaftssinne einiges Allgemeine zum Anfang ausgesprochen, so wird das mehr Besondere hier gegen das Ende wohl seinen Platz verdienen.
Winckelmann war durchaus eine Natur, die es redlich mit sich selbst und mit andern meinte; seine angeborne Wahrheitsliebe entfaltete sich immer mehr und mehr, je selbständiger und unabhängiger er sich fühlte, so dass er sich zuletzt die höfliche Nachsicht gegen Irrtümer, die im Leben und in der Literatur so sehr hergebracht ist, zum Verbrechen machte …
Auch finden wir bei ihm keine ausgesprochenen Grundsätze; sein richtiges Gefühl, sein gebildeter Geist dienen ihm im Sittlichen wie im Ästhetischen zum Leitfaden. Ihm schwebt eine Art natürlicher Religion vor, wobei jedoch Gott als Urquell des Schönen und kaum als ein auf den Menschen sonst bezügliches Wesen erscheint. Sehr schön beträgt sich Winckelmann innerhalb der Grenzen der Pflicht und Dankbarkeit.
Hingang
So war er denn auf der höchsten Stufe des Glücks, das er sich nur hätte wünschen dürfen, der Welt verschwunden. Ihn erwartete sein Vaterland, ihm streckten seine Freunde die Arme entgegen, alle Äußerungen der Liebe, deren er so sehr bedurfte, alle Zeugnisse der öffentlichen Achtung, auf die er so viel Wert legte, warteten seiner Erscheinung, um ihn zu überhäufen. Und in diesem Sinne dürfen wir ihn wohl glücklich preisen, dass er von dem Gipfel des menschlichen Daseins zu den Seligen emporgestiegen, dass ein kurzer Schrecken, ein schneller Schmerz ihn von den Lebendigen hinweggenommen. Die Gebrechen des Alters, die Abnahme der Geisteskräfte hat er nicht empfunden, die Zerstreuung der Kunstschätze, die er, obgleich in einem andern Sinne, vorausgesagt, ist nicht vor seinen Augen geschehen, er hat als Mann gelebt und ist als ein vollständiger Mann von hinnen gegangen. Nun genießt er im Andenken der Nachwelt den Vorteil, als ein ewig Tüchtiger und Kräftiger zu erscheinen: denn in der Gestalt, wie der Mensch die Erde verlässt, wandelt er unter den Schatten, und so bleibt uns Achill als ewig strebender Jüngling gegenwärtig. Dass Winckelmann früh hinwegschied, kommt auch uns zugute. Von seinem Grabe her stärkt uns der Anhauch seiner Kraft und erregt in uns den lebhaftesten Drang, das, was er begonnen, mit Eifer und Liebe fort- und immer fortzusetzen.“
http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/goethe1805/0005?sid=f3097ae889f2a12a451eac80023aa64a
https://www.lernhelfer.de/sites/default/files/lexicon/pdf/BWS-DEU2-0080-06.pdf
Was vom Tage übrig bleibt
Johann Joachim Winckelmann ist keineswegs vergessen: Neu-Übersetzungen der „Geschichte der Kunst des Alterthums“ ins Französische und Englische sowie mehrere umfassende Dokumentationen gerade der letzten zwei Jahren zeigen dies.
Winckelmann hat also noch Einfluss bis auf den heutigen Tag. Auch der, der sich nicht für ihn interessiert, sollte zumindest seinen Namen kennen und ihn grob einordnen können.
Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm