Alles in allem: ein Durchschnittsleben

„Wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs- und Behandlungsverhältnisses in drei Fällen und wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensraums durch Bildaufnahmen in 1467 Fällen über drei Jahre wurde ein 58jähriger Frauenarzt aus dem pfälzischen Schifferstadt zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren und anschließendem vier jährigen Berufsverbot verurteilt“, schreibt die Ärztezeitung.

http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/recht/article/849748/intimfoto-prozess-frauenarzt-haftstrafe-verurteilt.html?sh=2&h=1228325770

 

Aus mehreren Gründen ist dieser Fall für die Bewohner des Erdreichs interessant. Nicht nur für den Wurm, sondern vor allem für Mechthild Miezekatze und ihre Arbeitsgruppe PSALM + VW (Psychologie, Albernheiten, Marter, Verbrechen, Wahnsinn) mit ihrem Wahlspruch „Die spinnen, die Menschen“.

In der Ausgabe 45/2013 des SPIEGEL lesen wir Folgendes über den Frauenarzt „K.“:

„K. berichtete von seiner Kindheit im strengen Elternhaus ohne Zärtlichkeit … von den sadomasochistischen Spielen, die ein Gruppenleiter in der protestantischen Jugendgemeinde später mit ihm getrieben habe …‘Erst musste ich mich bäuchlings auf den Tisch legen, und er verdrosch mich mit einem Rohrstock, dann ging es umgekehrt …‘

Doch mit den Jahren seien sexuelle Gewaltphantasien immer beherrschender geworden, trotz Eheleben und zweier Kinder. Für sich allein schaut er Sadomaso-Pornos, phantasiert sich selbst bei autoerotischen Fesselspielen als unterwürfigen Part.“

Was sagt der psychiatrische Gutachter dazu? „Die Prügelstrafe habe in K.s Generation zur Alltagserfahrung gehört, später sei er in eine typische Midlife-Crisis gerutscht, alles in allem: ein Durchschnittsleben, das Dr. K. gegen die Wand gefahren habe.“

Wir haben da also einen „Gentleman im weissen Kittel“, einen für seine Umwelt sehr angesehenen Mann. Dessen Kindheits- und Jugenderfahrungen („strenges Elternhaus ohne Zärtlichkeit“, Prügelstrafe, Missbrauch in einer Jugendgruppe) gehörte zur „Alltagserfahrung“, nichts Besonderes also. Nun wissen wir zwar, was die Menschen sich gegenseitig antun, sind aber immer wieder von Neuem von denen schockiert. Jemand anders als Mechthild Miezekatze hätte da schon längst das Amt der PSALM + VW-Gruppe niedergelegt. Hier geht es ja nicht um Ausnahmefälle, sondern um „Alltagserfahrung“.

Trotz anscheinend intakten Ehelebens werden „sexuelle Gewaltphantasien immer beherrschender“. „Intaktes Eheleben“ heisst bei denen ja mehr oder weniger nebeneinander her leben und so tun, als ob alles eitel Sonnenschein wäre. Der Mann redet mit seiner Frau nicht über seine Probleme und die Frau hat nicht die geringste Ahnung, was mit ihm los ist. Das heisst bei denen „Durchschnittsleben“.

Irgendwann einmal kommt er nicht mehr zurecht. Eine seiner Sprechstundenhilfen schildert das so: „Seit einigen Jahren hätten sie ihren Chef verändert erlebt. Früher habe er fit und gut gelaunt die Praxis geführt, nach und nach sei ihm alles entglitten. ‚Zwischen den Untersuchungen brauchte er lange Pausen, er spielte Solitaire auf dem PC, war schlecht drauf, manchmal flogen Kugelschreiber durch die Praxis. Wir dachten an einen Burnout.‘“

Der Arzt beschreibt das so: „‘In der Praxis fühlte ich mich unterbewertet, gegängelt und zugleich überfordert‘, sagt K., es folgten Frust, Burnout, Depression.“

Wir haben hier also einen völlig verzweifelten Menschen vor uns, dem das Leben mehr und mehr entgleitet. Offensichtlich hat er niemandem, der ihm helfen kann und wohl auch nicht will. Es ist offensichtlich, dass er Hilfe braucht. Selbst dann, wenn er nicht reden wollte und verschlossen gewesen sein sollte – es ist nicht außergewöhnlich für ein „Durchschnittsleben“, dass sich selbst die engste Umgebung nicht bzw. nur oberflächlich für ihre Mitmenschen interessiert. So kennen wir sie.

„Ein anderer Mann hätte sich vielleicht im Bordell getröstet oder im Sadomaso-Club – ‚für einen Frauenarzt in der Kleinstadt unmöglich‘, sagt K.. Stattdessen verfiel er auf die Idee mit den Fotos. Schon das erste verschaffte ihm einen unheimlichen Kick, später kam er auf 50 bis 60 Aufnahmen pro Tag.“

Es gibt Menschen, die sammeln gerne etwas. Angefangen von Briefmarken bis hin zu allen möglichen skurrilen Dingen. Da ist mehr oder weniger Freude dabei. Mit Sicherheit kommt da noch das Gefühl dazu, mehr und mehr haben zu wollen.

So verwerflich das Verhalten des Frauenarztes auch gewesen sein mag: Er hat Fotos und Filme von Sachen gemacht, die er so schon mal in Ausübung seines Berufes gesehen hat. Und er hat sie ausschließlich für sich selbst verwendet.

Etwas anderes ist es, dass er in drei Fällen „sexuellen Missbrauch“ mit Fingern bzw. Ultraschall-Sonde begangen haben soll und seine Patientinnen in der Umkleidekabine aufgenommen hat. Eher skurril ist der „Koffer voll Damenwäsche, die er als Belegarzt im Krankenhaus gestohlen hatte“.

Das Urteil ist bemerkenswert. Früher hatte wurm den Eindruck, das Mitgefühl der Menschen läge mehr bei den Tätern als bei den Opfern und als Entschuldigung für noch so brutale Vergewaltiger und Massenmörder würde deren schwere Kindheit heran gezogen. Das scheint mit der „Alltagserfahrung“ und dem „Durchschnittsleben“ jetzt vorbei zu sein.

Früher hieß es auch, dass der Staat sich an den Verurteilten nicht rächen wolle, sondern dafür sorgen will, dass sie wieder vollwertige Mitglieder der Gesellschaft werden. Um wieder die „Ärztezeitung“ zu zitieren:

„Das Gericht habe von einer Bewährungsstrafe abgesehen, so der Richter abschließend, weil ihm vor Augen geführt werden solle, was er seinen Opfern angetan habe.“

Das hört sich für einen Wurm aber schon etwas nach Rache an.

Interessant ist auch folgender Auszug: „Hierbei handle es sich also nicht um einen einfachen Tabubruch, so der Richter. Der Gynäkologe habe die Patientinnen - darunter auch viele Muslima - vielmehr zutiefst erniedrigt, sie in ihrer Körperlichkeit missachtet und zu sexuellen Objekten degradiert mit den entsprechenden psychischen Folgen für die Frauen.“

Das mag ja alles so sein. Warum jetzt aber Mitglieder einer bestimmten Religions-Gemeinschaft ausdrücklich erwähnt werden müssen, erschließt sich dem Wurm nicht unbedingt. Früher galt einmal der Grundsatz vor einem deutschen Gericht, dass alle Menschen gleich vor dem Gesetz seien. Mittlerweile scheint es welche zu geben, die „gleicher“ sind.

Während des Verfahrens gab es Folgendes zu lesen (mit „er“ ist der Ermittlungsbeamte gemeint): „Im Gespräch mit der Ausländerbeauftragten, an die sich die muslimischen Patientinnen gewandt hatten, habe er erfahren, dass deren Ehemänner drohten, sie umzubringen oder in die Türkei zu schicken, wenn sie unter den fotografierten Patientinnen seien.“

http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/recht/article/846805/gynaekologen-prozess-vaginalfotos-best-of-vip-unterteilt.html?sh=7&h=1228325770

 

Bei allem, was der Frauenarzt begangen haben mag – Drohungen oder gar Morddrohungen hat er keine ausgestoßen. Bezeichnend für diesen Fall, dass weder Justiz noch Medien sich für diese Morddrohungen interessieren.

Natürlich ist der Arzt an allem schuld, was er den betroffenen Frauen angetan hat. Nur: die fühlten sich erst dann missbraucht, als die Polizei sie mit den entsprechenden Bildern und Filmen konfrontierte und es zum öffentlichen Prozess kam. Hätte es da keinen diskreteren Weg geben können?

Der Frauenarzt (mitsamt seiner Familie) ist beruflich, finanziell und moralisch erledigt. Wie er weiter leben will, wird ihn wohl selbst am meisten beschäftigen. Wenn er überhaupt weiter leben will: am besten dahin gehen, wo ihn keiner kennt. Die meisten der Menschen sagen zwar, dass jeder eine zweite Chance verdient hätte – im Ernstfall sind sie jedoch ganz anderer Meinung.

Ohne das Leid der betroffenen Frauen schmälern zu wollen: hier handelt es sich um einen Einzelfall. Dagegen haben Frauen im ganzen Land mit alltäglichem Sexismus zu tun, der sich schon in lockeren Sprüchen und Witzen äußert. Letztendlich ist das demütigender. Sollte sich eine Frau dagegen zur Wehr setzen, wird sie gleich als „militant“ oder als „Emanze“ bezeichnet.

Die spinnen, die Menschen!