„Normale“ Menschen gibt es mehr als genug. Da sollte es kein Schaden sein, wenn es auch solche gibt, die etwas abseits der Norm sind (und die niemandem schaden). Und in der Tat haben eher ungewöhnliche Charaktere gute Chancen im kulturellen oder sportlichen Bereich. Und sogar in der Religion werden solche nicht selten angebetet.
Wehe, wenn so jemand aber im Alltag auftaucht. Menschen sind Gruppenwesen und nur wenige dulden ein „Anderssein“, auch wenn es ihnen überhaupt nicht schadet. Mensch hat sich angepasst zu verhalten, ansonsten ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er Probleme bekommen wird.
Das fängt schon bei Kindern an. Ausnahmslos jede Form des Anders-Seins wird nieder gemacht. Wer als Kind zum Beispiel eine Brille tragen musste, dem wird der Ausdruck „Brillenschlange“ heute noch geläufig sein.
Je nach Größe der Gruppe, in der mensch sich befindet, ist es schon eine Überlegung wert, sich anzupassen. Wer etwa in einem kleinen Dorf in der entsprechenden Zeit aufgewachsen ist, wird sich sehr wohl überlegt haben, wie er sich etwa religiös oder politisch zu verhalten hat, wie er sein Sexual-Verhalten der öffentlichen Meinung anpasst oder wie er sich überhaupt in der Öffentlichkeit bewegt.
Was tut jetzt so ein Unangepasster? Entweder er passt sich halt doch an. Dann gibt es zwei Versionen dieser Person: die offizielle und die inoffizielle. Mit dem Zustand kommen manche zurecht, andere nicht. Diese leiden dann darunter bzw. lassen andere leiden.
Oder er macht sein Ding. Muss sich aber darüber bewusst sein, dass das von seiner Umwelt gar nicht gern gesehen wird und er mit den entsprechenden Konsequenzen leben muss.
Lustig sind die Meinungen der Menschen über Politiker. Dauernd schimpfen sie darüber, dass es keine „Typen“ mehr gibt. Niemand sage das, was er denkt, alle redeten belangloses Zeug daher. Wenn es doch bloß mal so einen gäbe, der anders ist.
Nun, so einen gab es. Mensch mag von Peer Steinbrück, seiner Politik oder seiner Partei halten, was er mag – auf jeden Fall hatte der ein etwas loseres Mundwerk und redete oft Klartext. Wie war die Reaktion darauf? „Das darf er doch nicht sagen“, „der muss doch viel diplomatischer sein“. Sie sagen zwar, dass die Politiker Klartext reden sollen – aber wehe, wenn das einer tatsächlich tut.
Was ist das Resultat? In der Politik wie im richtigen Leben - mensch verstellt sich und sagt das, was die Leute gerne hören wollen. Besonders beliebt, auch wg. dieser Eigenschaft, ist die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hat ihre Lektion gelernt. Im Bundestagswahlkampf 2005 hat sie noch Klartext geredet und ist dafür gnadenlos abgestraft worden. Ihre große Beliebtheit kommt daher, dass sie eben keinen Klartext mehr redet. Bloß nicht anecken.
2005 hat ihr unter anderem geschadet, dass sie ankündigte, die Mehrwertsteuer erhöhen zu wollen. Da wusste sie noch nicht, dass Ehrlichkeit in der Politik bei den Wählern schlecht ankommt.
Diese Lektion ist bei den Grünen mit Verspätung jetzt erst angekommen. Mensch kann sich ja alles in der Politik wünschen. Die Frage lautet: wie finanzierst du das? Antwort der Grünen: durch moderate Steuererhöhungen bei den sehr gut Verdienenden. Und zwar so moderat, dass diese Gruppe sich darüber empört hätte, wenn sie nur solche Lohnerhöhungen im Jahr bekommen hätte, wie ihnen durch die Steuererhöhung entgangen wäre.
Das Etikett „Steuererhöhungspartei“ war auf den Grünen drauf. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte denn auch nach der Wahl: „Gegen die Wirtschaft gewinnt man keine Regierungsmacht“. Dies ist die eine Erkenntnis, die der Wurm aus der Bundestagswahl zieht: Die Grünen werden sich nie mehr sozialpolitisch engagieren. Wozu auch? Am Ergebnis der Linken ist abzulesen, dass diese Thematik kaum jemanden interessiert. Und die Wenigen, die sich tatsächlich für soziale Gerechtigkeit interessieren, sind bei SPD und Linken besser aufgehoben. Der Weg der Grünen geht in Richtung CDU.
Die zweite Erkenntnis lautet: es wäre sehr, sehr schön, wenn die Menschen nicht immer so schimpfen würden, dass sie Klartext und Ehrlichkeit haben wollen. Genau das wollen sie nämlich nicht.